Ozma von Oz - Die Oz-Bücher Band 3 - L. Frank Baum - E-Book

Ozma von Oz - Die Oz-Bücher Band 3 E-Book

L. Frank Baum

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Beschreibung

Im 3. Band der Oz-Reihe - Ozma von Oz - gelangt Dorothy zurück ins Land Oz und kämpft Seite an Seite mit Ozma gegen den Gnomenkönig. Das Königreich von Ev dümpelt führungslos vor sich hin. Die Königinwitwe wird seit vielen Jahren mitsamt ihren Kindern vom verschlagenen Gnomenkönig in dessen unterirdischen Königreich gefangen gehalten, und die eitle Prinzessin Langweila, eine Nichte des letzten Königs, regiert das Land seitdem mehr schlecht als recht. Ozma und ihre Freunde eilen aus allen Winkeln von Oz herbei, um die Königin und ihre Kinder zu befreien. Doch nur, wenn sie alle zusammenhalten, können sie die vielen Gefahren überwinden ... Empfohlenes Alter: 5 bis 10 Jahre. Große Schrift, auch für Leseanfänger geeignet.

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Seitenzahl: 190

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Ozma von Oz

Ein Bericht ihrer Abenteuer mit Dorothy Gale aus Kansas, der Gelben Henne, der Vogelscheuche, dem Blechmann, Tik-Tak, dem Feigen Löwen und dem Hungrigen Tiger.

Neben anderen guten Leuten, die zu zahlreich sind, um sie zu erwähnen

Treulich aufgezeichnet

von

L. Frank Baum

Dem Autor von „Der wunderbare Zauberer von Oz“, „Das wundersame Land von Oz“ etc.

Nach dem Text der amerikanischen Erstausgabe von „Ozma of Oz“ (1907) übersetzt von Maria Weber

Inhalt.

Vorbemerkung des Verfassers.

Kapitel 1: Das Mädchen im Hühnerstall.

Kapitel 2: Die gelbe Henne.

Kapitel 3: Buchstaben im Sand.

Kapitel 4: Tik-Tak, der Maschinenmann.

Kapitel 5: Dorothy öffnet den Speiseeimer.

Kapitel 6: Langweilas Köpfe.

Kapitel 7: Ozma von Oz kommt zu Hilfe.

Kapitel 8: Der Hungrige Tiger.

Kapitel 9: Die königliche Familie von Ev.

Kapitel 10: Der Riese mit dem Hammer.

Kapitel 11: Der Gnomenkönig.

Kapitel 12: Die elf Rateversuche.

Kapitel 13: Der Gnomenkönig lacht.

Kapitel 14: Dorothy nimmt ihren Mut zusammen.

Kapitel 15: Billina macht dem Gnomenkönig Angst.

Kapitel 16: Purpur, Grün und Gold.

Kapitel 17: Die Vogelscheuche gewinnt den Kampf.

Kapitel 18: Das Schicksal des Blechmanns.

Kapitel 19: Der König von Ev.

Kapitel 20: Die Smaragdstadt.

Kapitel 21: Dorothys Zaubergürtel.

Vorbemerkung des Verfassers.

MEINE Freunde, die Kinder, sind verantwortlich für dieses neue „Oz-Buch“, wie sie es schon für das letzte waren, welches „Das wundersame Land von Oz“ hieß. In ihren lieben kleinen Briefen bitten sie darum, „mehr über Dorothy“ zu erfahren; und sie fragen: „Was ist aus dem Feigen Löwen geworden?“, und „Was hat Ozma danach gemacht?“ – damit meinen sie, nachdem sie die Herrscherin von Oz geworden ist. Und einige von ihnen schlagen mir Handlungen für neue Geschichten vor und sagen: „Bitte lassen Sie Dorothy wieder ins Land von Oz gehen“, oder: „Warum lassen Sie Ozma und Dorothy sich nicht treffen und gemeinsam Abenteuer erleben?“

Könnte ich alles tun, worum meine kleinen Freunde mich bitten, wäre ich gezwungen, Dutzende von Büchern zu schreiben, um ihre Forderungen zu erfüllen. Und ich wünschte, ich könnte es, denn ich schreibe diese Geschichten genauso gerne, wie die Kinder sagen, daß sie es lieben, sie zu lesen.

Nun, hier ist „mehr über Dorothy“ und über unsere alten Freunde, die Vogelscheuche und den Blechmann, und über den Feigen Löwen und Ozma und den ganzen Rest; und hier ist ebenfalls eine Menge über neue Leute, die seltsam und ungewöhnlich sind. Ein kleiner Freund, der diese Geschichte vor dem Druck gelesen hatte, sagte zu mir: „Billina ist wirklich ozig, Mr. Baum, und Tik-Tak und der Hungrige Tiger auch.“

Wenn dieses Urteil unparteiisch und richtig ist und die jungen Leser diese neue Geschichte als „wirklich ozig“ empfinden, werde ich sehr froh sein, daß ich es geschrieben habe. Und vielleicht werde ich noch mehr dieser sehr willkommenen Briefe von meinen Lesern bekommen, die mir erzählen, wie ihnen „Ozma von Oz“ gefällt. Ich hoffe es auf jeden Fall.

L. Frank Baum.

Macatawa, 1907.

Kapitel 1.

Das Mädchen im Hühnerstall.

DER Wind wehte stark, rührte das Wasser des Meeres auf und brachte seine Oberfläche sanft zum Kräuseln. Dann hob der Wind die Ränder der Kräuselungen an, bis sie zu Wellen wurden, und häufte die Wellen auf, bis sie zu Wogen wurden. Die Wogen stiegen schrecklich hoch, höher noch als die Spitzen der Häuser. Einige von ihnen waren tatsächlich so hoch wie die Wipfel hoher Bäume und schienen wie Berge; und die Klüfte zwischen den großen Wogen waren wie tiefe Täler.

All dieses wütende Toben und Wirbeln der Wasser des großen Ozeans, das der schelmische Wind ohne jeden vernünftigen Grund verursachte, führte zu einem schrecklichen Sturm, und ein Sturm auf dem Ozean kann viele seltsame Streiche spielen und großen Schaden anrichten.

Zu der Zeit, als der Wind zu wehen begann, segelte ein Schiff weit draußen auf dem Meer. Als die Wellen zu wogen und sich aufzutürmen begannen und größer und größer wurden, bewegte sich das Schiff auf und ab und schwankte zur Seite – zuerst in die eine Richtung und dann in die andere – und wurde so grob herumgerüttelt, daß selbst die Seeleute sich schnell an Seilen und Geländern festhalten mußten, um nicht vom Wind weggeweht oder kopfüber ins Meer geworfen zu werden.

Und die Wolken am Himmel waren so dick, daß das Sonnenlicht nicht durch sie hindurchdringen konnte, so daß der Tag dunkel wie die Nacht wurde, was zu den Schrecken des Sturms beitrug.

Der Kapitän des Schiffes hatte keine Angst, weil er bereits zuvor Stürme erlebt und sein Schiff sicher hindurchgesegelt hatte; aber er wußte, daß seine Passagiere in Gefahr wären, wenn sie versuchen würden, an Deck zu bleiben, also steckte er sie alle unter Deck und sagte ihnen, daß sie dort bleiben sollten, bis der Sturm vorbei war, daß sie tapfer bleiben und keine Angst haben sollten, und daß alles gut werden würde.

Unter diesen Passagieren befand sich ein kleines Mädchen aus Kansas namens Dorothy Gale, die mit ihrem Onkel Henry nach Australien fuhr, um Verwandte zu besuchen, die sie noch nie gesehen hatten. Onkel Henry, müßt ihr wissen, ging es nicht sehr gut, weil er so hart auf seiner Farm in Kansas gearbeitet hatte, daß seine Gesundheit schlechter geworden war und ihn schwach und nervös gemacht hatte. Also ließ er Tante Em zu Hause, damit sie nach den angeheuerten Männern sehen und sich um die Farm kümmern konnte, während er weit weg nach Australien reiste, um seine Cousins zu besuchen und sich gründlich auszuruhen.

Dorothy wollte unbedingt mit ihm auf diese Reise gehen, und da Onkel Henry dachte, daß sie eine gute Gesellschaft sein und ihn aufheitern würde, beschloß er, sie mitzunehmen. Das kleine Mädchen war eine sehr erfahrene Reisende, denn sie war einmal von einem Wirbelsturm weit von zu Hause fort bis ins wundersame Land von Oz getragen worden, und sie hatte in diesem fremden Land viele Abenteuer erlebt, bevor sie wieder nach Kansas zurückkam. So war sie nicht leicht zu erschrecken, was auch immer geschah, und als der Wind zu heulen und zu pfeifen anfing, und die Wellen zu wogen und sich aufzutürmen begannen, störte unser kleines Mädchen sich nicht im geringsten an dem Aufruhr.

„Natürlich müssen wir unter Deck bleiben“, sagte sie zu Onkel Henry und den anderen Passagieren, „und so ruhig wie möglich bleiben, bis der Sturm vorbei ist. Denn der Kapitän sagt, wenn wir an Deck gehen, könnten wir über Bord gefegt werden.“

Wie ihr euch denken könnt, wollte niemand einen solchen Unfall riskieren; also verharrten alle Passagiere zusammengedrängt in der dunklen Kajüte, lauschten dem Heulen des Sturms und dem Knarren der Masten und der Takelage und versuchten, nicht gegeneinanderzustoßen, wenn das Schiff seitwärts schwankte.

Dorothy war beinahe eingeschlafen, als sie mit einemmal aufschreckte und bemerkte, daß Onkel Henry nicht mehr da war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wohin er gegangen sein könnte, und da er nicht bei guter Gesundheit war, begann sie sich Sorgen um ihn zu machen und zu befürchten, daß er so unvorsichtig gewesen sein könnte, an Deck zu gehen. In diesem Fall wäre er in großer Gefahr, wenn er nicht sofort wieder herunterkäme.

Tatsächlich hatte Onkel Henry sich auf seine kleine Schlafstatt gelegt, aber Dorothy wußte das nicht. Sie erinnerte sich nur daran, daß Tante Em sie eindringlich gebeten hatte, sich gut um ihren Onkel zu kümmern, also beschloß sie kurzerhand, an Deck zu gehen und ihn zu suchen, obwohl der Sturm jetzt schlimmer denn je war und das Schiff auf eine wirklich schreckliche Weise schwankte. In der Tat stellte das kleine Mädchen fest, daß es ihr das Äußerste abverlangte, die Treppe zum Deck zu erklimmen, und sobald sie dort ankam, schlug ihr ein so heftiger Wind entgegen, daß ihr fast die Röcke ihres Kleides fortgerissen wurden. Doch Dorothy empfand eine freudige Aufregung, dem Sturm zu trotzen, und während sie sich am Geländer festhielt, spähte sie durch die Dunkelheit und glaubte, die düstere Gestalt eines Mannes zu erkennen, der sich an einem Mast unweit von ihr festklammerte. Da sie dachte, daß es ihr Onkel sein könnte, rief sie so laut sie konnte:

„Onkel Henry! Onkel Henry!“

Aber der Wind pfiff und heulte so wild, daß sie kaum ihre eigene Stimme hörte, und der Mann konnte sie offensichtlich nicht hören, denn er rührte sich kein bißchen.

Dorothy entschied, daß sie zu ihm gehen müßte. So machte sie während einer kurzen Ruhepause des Sturms einen Vorstoß nach vorn, wo ein großer quadratischer Hühnerstall mit Seilen an Deck festgezurrt war. Sie erreichte diesen Ort unbehelligt, aber kaum hatte sie die Latten der großen Kiste, in der die Hühner gehalten wurden, ergriffen, als der Wind, der wütend darüber schien, daß das kleine Mädchen es wagte, sich seiner Kraft zu widersetzen, plötzlich seine Wut verdoppelte. Mit einem Brüllen wie dem eines wütenden Riesen zerriß er die Seile, die das Gehege hielten, und hob es hoch in die Luft, während Dorothy sich noch immer an die Latten klammerte. Hin und her wirbelte es, und ein paar Augenblicke später segelte der Hühnerstall weit ins Meer hinaus, wo ihn die großen Wellen packten und ihn eine schäumende Woge hinauf, und dann in ein tiefes Tal hinuntergleiten ließen, als ob er nichts als ein Spielzeug wäre, das sie amüsieren sollte.

Dorothy wurde natürlich gut untergetaucht, aber sie verlor ihre Geistesgegenwart nicht für eine Sekunde. Sie hielt sich an den dicken Latten fest, und sobald sie das Wasser aus ihren Augen bekam, sah sie, daß der Wind den Deckel vom Stall gerissen hatte, und die armen Hühner in alle Richtungen davonflatterten und vom Wind verweht wurden, bis sie wie Flederwische ohne Griffe aussahen. Der Boden des Stalls bestand aus dicken Brettern, und Dorothy sah, daß sie sich an einer Art Floß mit Lattenwänden festklammerte, das ihr Gewicht gut tragen konnte. Nachdem sie das Wasser aus ihrer Kehle gehustet hatte und wieder zu Atem gekommen war, gelang es ihr, über die Latten zu klettern und sich auf den festen Holzboden des Stalls zu stellen, der sie leicht aushielt.

„Nun, jetzt habe ich ein eigenes Schiff!“, dachte sie eher amüsiert als verängstigt über ihren plötzlichen Zustandswechsel; und dann, als der Stall den Gipfel einer großen Welle erklomm, sah sie sich eifrig nach dem Schiff um, von dem sie heruntergeweht worden war.

Es war bereits weit, weit entfernt. Vielleicht hatte noch niemand an Bord sie vermißt oder wußte von ihrem seltsamen Abenteuer. Der Stall schnellte mit ihr in ein Wellental hinab, und als er den nächsten Kamm erkletterte, sah das Schiff wie ein Spielzeugboot aus, so weit war es entfernt. Bald war es völlig in der Dunkelheit verschwunden, und Dorothy seufzte voller Bedauern, daß sie von Onkel Henry getrennt worden war, und begann sich zu fragen, was als nächstes mit ihr geschehen würde.

Im Augenblick trieb sie auf der Oberfläche eines großen Ozeans, mit nichts, um sie über Wasser zu halten, als einem elenden hölzernen Hühnerstall, der einen Plankenboden und Lattenseiten hatte, durch die ständig das Wasser spritzte und sie bis auf die Haut durchnäßte! Und es gab nichts zu essen, wenn sie Hunger bekäme – was sicher bald geschehen würde – und kein frisches Wasser zu trinken und keine trockene Kleidung anzuziehen.

„Nun, hiermit erkläre ich!“, rief sie mit einem Lachen. „Du steckst in ziemlich großen Schwierigkeiten, Dorothy Gale, das kann ich dir sagen! Und ich habe keine Ahnung, wie du wieder aus ihnen hinauskommen wirst!“

Als ob sie zu ihren Schwierigkeiten beitragen wollte, brach die Nacht an, und die grauen Wolken am Himmel verwandelten sich in tintige Schwärze. Aber der Wind, der offenbar endlich mit seinen schelmischen Streichen zufrieden war, hörte auf, über den Ozean zu blasen und eilte in einen anderen Teil der Welt, um woanders zu wehen; so daß die Wellen, die nicht mehr aufgerührt wurden, sich langsam wieder beruhigten und zügelten.

Ich glaube, es war ein Glück für Dorothy, daß der Sturm nachließ; andernfalls, fürchte ich, wäre sie untergegangen, so mutig sie auch war. Viele Kinder hätten an ihrer Stelle geweint und sich der Verzweiflung ergeben. Aber weil Dorothy so viele Abenteuer erlebt und ungeschoren überstanden hatte, empfand sie zu dieser Zeit noch nicht besonders viel Angst. Sie war naß und fühlte sich unbehaglich, das ist wahr; aber nachdem sie diesen einen Seufzer geseufzt hatte, von dem ich euch erzählte, gelang es ihr, etwas von ihrer üblichen Heiterkeit wiederzuerlangen und sie beschloß, geduldig zu erwarten, was auch immer ihr Schicksal sein mochte.

Nach und nach trieben die schwarzen Wolken davon und ließen einen blauen Himmel mit einem silbernen Mond sehen, der freundlich in seiner Mitte leuchtete, und kleine Sterne, die Dorothy fröhlich zuzwinkerten, als sie in ihre Richtung sah. Der Stall schleuderte nicht mehr herum, sondern schwamm sanfter auf den Wellen – beinahe wie eine schaukelnde Wiege –, so daß der Boden, auf dem Dorothy stand, nicht mehr von Wasser geflutet wurde, das durch die Latten kam. Als sie das sah, entschied das kleine Mädchen, das von der Aufregung der letzten paar Stunden ziemlich erschöpft war, daß Schlaf das beste Mittel sei, um ihre Kraft wiederherzustellen, und die einfachste Art, sich die Zeit zu vertreiben. Der Boden war feucht und sie selbst war naß, aber zum Glück herrschte ein warmes Klima und ihr war überhaupt nicht kalt.

Also setzte sie sich in eine Ecke des Stalls, lehnte sich an die Latten und nickte den freundlichen Sternen zu, bevor sie die Augen schloß und in einer halben Minute eingeschlafen war.

Kapitel 2.

Die gelbe Henne.

EIN seltsames Geräusch weckte Dorothy, die ihre Augen öffnete, um zu sehen, daß der Tag angebrochen war und die Sonne hell an einem klaren Himmel schien. Sie hatte geträumt, daß sie wieder in Kansas wäre und in dem alten Scheunenhof mit den Kälbern und Schweinen und Hühnern um sie herum spielte; und zuerst, als sie den Schlaf aus ihren Augen rieb, glaubte sie wirklich, sie wäre dort.

„Kut-kut-kut, ka-do-kut! Kut-kut-kut, ka-do-kut!“

Ach, hier war wieder das seltsame Geräusch, das sie geweckt hatte. Das war ganz gewiß eine gackernde Henne! Aber ihre weit aufgerissenen Augen sahen durch die Latten des Stalls zuerst die blauen Wellen des Ozeans, die jetzt ruhig und friedlich waren, und ihre Gedanken flogen zur vergangenen Nacht zurück, die so voller Gefahr und Unbehagen gewesen war. Auch begann sie sich daran zu erinnern, daß sie durch den Sturm gewissermaßen verwaist war, und auf einer tückischen und unbekannten See trieb.

„Kut-kut-kut, ka-do-o-o-kut!“

„Was ist das?“, rief Dorothy und sprang auf.

„Nun, ich habe gerade ein Ei gelegt, das ist alles“, antwortete eine leise, aber klare und deutliche Stimme, und als das kleine Mädchen sich umsah, entdeckte es eine gelbe Henne, die in der gegenüberliegenden Ecke des Stalls hockte.

„Du liebe Güte!“, rief sie überrascht; „Sind Sie etwa schon die ganze Nacht hier gewesen?“

„Natürlich“, antwortete die Henne, flatterte mit den Flügeln und gähnte. „Als der Stall vom Schiff davonwehte, klammerte ich mich mit Krallen und Schnabel an dieser Ecke fest, denn ich wußte, wenn ich ins Wasser fiele, würde ich sicher ertrinken. Tatsächlich wäre ich auch so beinahe ertrunken, mit all dem Wasser, das über mich schwappte. Ich war in meinem Leben noch nie so naß!“

„Ja“, stimmte Dorothy zu, „es war eine Zeitlang ziemlich naß, ich weiß. Aber jetzt fühlen Sie sich wohl?“

„Nicht sehr. Die Sonne hat geholfen, meine Federn zu trocknen, wie sie es bei deinem Kleid tat, und ich fühle mich besser, seit ich mein Morgenei gelegt habe. Aber ich würde gerne wissen, was aus uns werden soll, wo wir doch auf diesem großen Teich schwimmen?“

„Das würde ich auch gerne wissen“, sagte Dorothy. „Aber sagen Sie mir, wie kommt es, daß Sie sprechen können? Ich dachte, Hühner könnten nur glucken und gackern.“

„Nun, was das betrifft“, antwortete die gelbe Henne nachdenklich, „habe ich mein ganzes Leben lang gegluckt und gegackert, und vor diesem Morgen noch nie ein Wort gesprochen, an das ich mich erinnern könnte. Aber als du vor einer Minute eine Frage gestellt hast, schien es das Natürlichste auf der Welt zu sein, dir zu antworten. Also sprach ich und ich spreche weiter, so wie du und andere Menschen es tun. Seltsam, nicht wahr?“

„Sehr“, antwortete Dorothy. „Wenn wir im Land von Oz wären, würde ich es nicht so seltsam finden, weil viele der Tiere in diesem Märchenland sprechen können. Aber hier draußen im Ozean müssen wir ziemlich weit von Oz entfernt sein.“

„Wie ist meine Grammatik?“, fragte die gelbe Henne besorgt. „Sprich ich deiner Ansicht nach ganz richtig?“

„Ja“, sagte Dorothy, „Sie machen das sehr gut für eine Anfängerin.“

„Das freut mich zu hören“, fuhr die gelbe Henne in einem vertraulichen Ton fort; „weil, wenn man spricht, es am besten ist, richtig zu sprechen. Der rote Hahn hat oft gesagt, daß mein Glucken und Gackern ziemlich vollkommen wären; und jetzt ist es ein Trost zu wissen, daß ich richtig spreche.“

„Ich werde langsam hungrig“, bemerkte Dorothy. „Es ist Frühstückszeit, aber es gibt kein Frühstück.“

„Du kannst mein Ei haben“, sagte die gelbe Henne. „Es macht mir wirklich nichts aus.“

„Wollen Sie es nicht ausbrüten?“, fragte das kleine Mädchen überrascht.

„Nein, überhaupt nicht. Ich brüte nie Eier aus, es sei denn, ich habe ein schönes Nest, an einem ruhigen Ort, mit einem Bäckersdutzend Eier unter mir. Das sind dreizehn, weißt du, und es ist eine Glückszahl für Hühner. Also kann du dieses Ei ebensogut essen.“

„Oh, ich könnte es gewiß nicht essen, es sei denn, es wäre gekocht“, rief Dorothy. „Aber ich bin Ihnen dennoch sehr dankbar für Ihr Angebot.“

„Nicht der Rede wert, meine Liebe“, antwortete die Henne ruhig und begann, ihre Federn zu putzen.

Für einen Moment blickte Dorothy auf das weite Meer hinaus. Sie dachte allerdings immer noch an das Ei, und so fragte sie jetzt:

„Warum legen Sie Eier, wenn Sie nicht wollen, daß sie schlüpfen?“

„Es ist eine Angewohnheit von mir“, antwortete die gelbe Henne. „Es war stets mein ganzer Stolz, jeden Morgen ein frisches Ei zu legen, außer wenn ich in der Mauser war. Ich kann morgens erst richtig gackern, wenn ich mein Ei gelegt habe, und wenn ich nicht gackern kann, bin ich nicht glücklich.“

„Das ist seltsam“, sagte das Mädchen nachdenklich; „Aber da ich keine Henne bin, kann ich das natürlich nicht verstehen.“

„Natürlich nicht, meine Liebe.“

Dann wurde Dorothy wieder still. Die gelbe Henne bot ihr Gesellschaft und auch ein wenig Trost; aber es war trotzdem schrecklich einsam auf dem großen Ozean.

Nach einiger Zeit flog die Henne auf und setzte sich auf die oberste Latte des Stalles, die ein wenig über Dorothys Kopf lag, wenn sie auf dem Boden saß, wie sie es vor einigen Augenblicken getan hatte.

„Ach, wir sind nicht weit vom Land entfernt!“, rief die Henne aus.

„Wo? Wo ist es?“, rief Dorothy und sprang aufgeregt auf.

„Ein wenig in diese Richtung dort“, antwortete die Henne und nickte mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung. „Wir scheinen dorthin zu treiben, so daß wir uns vor Mittag wieder auf trockenem Land befinden sollten.“

„Das wäre schön!“, sagte Dorothy mit einem kleinen Seufzer, denn ihre Füße und Beine wurden immer noch hin und wieder vom Meerwasser benetzt, das durch die offenen Latten kam.

„Oh ja“, antwortete ihre Begleiterin. „Es gibt nichts auf der Welt, das so elend ist wie eine nasse Henne.“

Das Land, dem sie sich schnell zu nähern schienen, da es jede Minute deutlicher wurde, sah für das kleine Mädchen im schwimmenden Hühnerstall ziemlich schön aus. Am Rand des Wassers lag ein breiter Strand aus weißem Sand und Kies, und weiter hinten ragten mehrere felsige Hügel empor, hinter denen sich ein Streifen grüner Bäume befand, der den Saum eines Waldes anzeigte. Aber es gab weder Häuser noch irgendwelche Hinweise auf Menschen, die dieses unbekannte Land bewohnen könnten.

„Ich hoffe, wir werden etwas zu essen finden“, sagte Dorothy und blickte sehnsüchtig zu dem hübschen Strand, auf den sie zugetrieben wurden. „Die Frühstückszeit ist jetzt schon lange vorbei.“

„Ich bin selbst ein bißchen hungrig“, erklärte die gelbe Henne.

„Warum essen Sie nicht das Ei?“, fragte das Kind. „Sie müssen Ihr Essen nicht kochen, so wie ich.“

„Hältst du mich für eine Kannibalin?“, rief die Henne empört. „Ich weiß nicht, was ich gesagt oder getan habe, das dich dazu bringt, mich zu beleidigen!“

„Ich bitte um Entschuldigung, ich bin sicher, Frau – Frau –, darf ich nach Ihrem Namen fragen?“, fragte das kleine Mädchen.

„Ich heiße Bill“, sagte die gelbe Henne etwas mürrisch.

„Bill! Aber das ist doch ein Name für einen Jungen.“

„Welchen Unterschied macht das?“

„Du bist doch eine Henne, oder?“

„Natürlich. Aber als ich ausgebrütet wurde, konnte niemand sagen, ob ich eine Henne oder ein Hahn sein würde. Also nannte mich der kleine Junge auf der Farm, auf der ich geboren wurde, Bill und machte ein Haustier aus mir, weil ich das einzige gelbe Huhn in der ganzen Brut war. Als ich erwachsen wurde und er feststellte, daß ich nicht krähte und kämpfte, wie dies die Hähne tun, dachte er nicht daran, meinen Namen zu ändern, und jede Kreatur im Scheunenhof und die Leute im Haus kannten mich als ‚Bill‘. Darum ist mein Name Bill, und so wurde ich stets gerufen.“

„Aber das ist ganz falsch“, erklärte Dorothy ernsthaft; „wenn es dir nichts ausmacht, werde ich dich ‚Billina‘ nennen. Wenn man ein „ina“ an das Ende eines Namens setzt, wird ein Mädchenname daraus.“

„Oh, es macht mir nichts aus“, erwiderte die gelbe Henne. „Es spielt überhaupt keine Rolle, wie du mich nennst, solange ich weiß, daß der Name mich meint.“

„Gut, Billina. Mein Name ist Dorothy Gale – nur Dorothy für meine Freunde und Fräulein Gale für Fremde. Du kannst mich Dorothy nennen, wenn du willst. Wir nähern uns jetzt dem Ufer. Denkst du, es wäre zu tief, den Rest des Weges zu waten?“

„Warte noch ein paar Minuten. Der Sonnenschein ist warm und angenehm und wir haben es nicht eilig.“

„Aber meine Füße sind ganz naß und durchweicht“, sagte das Mädchen. „Mein Kleid ist trocken genug, aber ich werde mich erst richtig wohlfühlen, wenn ich wieder trockene Füße habe.“

Sie wartete jedoch, wie die Henne es riet, und schon bald landete der große Holzstall sanft an dem sandigen Strand und die gefährliche Reise war vorüber.

Ihr könnt euch vorstellen, daß die Schiffbrüchigen nicht lange brauchten, um an Land zu gelangen. Die gelbe Henne flog sofort zum Strand, aber Dorothy mußte über die hohen Latten klettern. Doch für ein Mädchen vom Land war das keine große Leistung, und sobald sie an Land war, zog Dorothy ihre nassen Schuhe und Strümpfe aus und breitete sie zum Trocknen am sonnengewärmten Strand aus.

Dann setzte sie sich hin und beobachtete Billina, die mit ihrem spitzen Schnabel in Sand und Kies herumpickte, den sie mit ihren kräftigen Krallen aufscharrte und umwendete.

„Was tust du da?“, fragte Dorothy.

„Ich suche mir mein Frühstück zusammen, was sonst“, murmelte die Henne, die eifrig pickte.

„Was findest du denn so?“, erkundigte sich das Mädchen neugierig.