Palmenblues - Uwe Wittenfeld - E-Book

Palmenblues E-Book

Uwe Wittenfeld

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Beschreibung

Leben und Arbeiten unter Palmen, ein Traum? Shila und Pete arbeiten schon seit Jahren auf Lanzarote und sehnen sich nach schlechtem Wetter, Apfelbäumen, schlecht gelaunten Mitmenschen und etwas mehr Kultur. Als dann eine Freundin entführt wird, Pete bedroht wird und ihr Dienstwagen in die Luft fliegt, wird aus dem Traum endgültig ein Albtraum. Sie geraten in ein Netz aus Drogenhandel und haben das Gefühl, eine Spur von Leichen hinter sich herzuziehen.

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Personen
1. Shila
2. Brigitte
3. Berlin – 4 Wochen zuvor
4. Papagayo
5. Berlin - 2 Wochen zuvor
6. Feuerberge
7. Die Staatsmacht?
8. Angst
9. Warnung
10. Beichte
11. Brigittes Geschichte
12. Mietwagen mit Überraschung
13. Nie wieder Alkohol
14. Arrecife
15. Flucht
16. Friede, Freude, Eierkuchen?
17. Jannik
18. Bingo
19. Philosophische Aussicht
20. The Show must go on
21. El Golfo
22. Privatsauna in Berlin
23. Cartagena-Connection
24. Brigittes Frust
25. Befragung
26. There’s no business like ...
27. Verfolgung
28. Blues is back
29. Teneriffa
30. Langmuts Ende
31. Zoom
32. Gefangen
33. Das Geständnis muss warten
34. Seemanöver
35. Alles gut?
36. Seemanöver, Teil 2
37. Viel Koks
38. Tina Turner
39. Faro de Punta Pechiguera
40. Schwein gehabt
41. Berlin
42. Endlich alles gut?
43. Epilog: Ein halbes Jahr später
Kleiner touristischer Anhang

Uwe Wittenfeld

Palmenblues

Lanzarote-Krimi

Ruhrkrimi-Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© Uwe Wittenfeld

© 2022 Ruhrkrimi-Verlag, Mülheim/Ruhr (SE)

Druck: BoD

Covergestaltung: Uwe Wittenfeld unter Verwendung eines Fotos von © Aiselin | Dreamstime.com

ISBN 978-3-947848-63-8

Auch als eBook (ISBN 978-3-947848-64-5) erhältlich.

1. Auflage (Originalausgabe)

Disclaimer:

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Verwendung von Text und Grafik ist auch auszugsweise ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

https://ruhrkrimi.de

Uwe Wittenfeld erblickte im äußersten Zipfel Ostwestfalens das Licht der Welt. Nach dem Abitur floh er tief in den Westen, wo damals noch die Sonne verstaubte, um an der Ruhr-Universität Bochum Elektrotechnik und an der ev. FH Bochum Sozialpädagogik zu studieren.

Bis zur Jahrtausendwende war er Teilhaber eines Ingenieurbüros im Bereich Umweltmesstechnik, um dann als Studienrat an einem technischen Berufskolleg zu arbeiten.

Palmenblues ist sein fünfter Kriminalroman und der erste, der (fast) nicht im Ruhrgebiet spielt. Zusätzlich veröffentlichte er in mehreren Anthologien Kurzkrimis.

Uwe Wittenfeld ist Mitglied im Syndikat und Verleger im Ruhrkrimi-Verlag.

Personen

Shila McCormick

Arbeitet und lebt unter Palmen und leidet häufig am Palmenblues.

Peter (Pete) Terschinsky

Beglückt mit seiner Kollegin Shila Pauschaltouristen.

Brigitte Saladin

Ist unzufrieden mit ihrem Job und träumt davon, als Sängerin auf einer großen Bühne zu stehen.

Anton Saladin

Der Bruder von Brigitte bekommt sein Leben nicht unter Kontrolle und gerät in falsche Gesellschaft.

Jannik Langmut

Wechselt die Seiten, was seiner Gesundheit auf Dauer nicht zuträglich ist.

Sergio Ramirez

Ist der Mann fürs Grobe und kommt auch auf grobe Art ums Leben.

Comandante Mateo Alvarez

Repräsentiert Recht und Ordnung auf der Insel.

1. Shila

Völlig unvorbereitet traf mich der Schlag auf den Rücken. Fast hätte ich den Teil des Drinks, den ich noch im Mund hatte, auf die Theke gespuckt.

»Hey, Pete.«

Sie sagte statt Peter immer Pete und sprach es aus wie ›Pieth‹. Sie bezog den Hocker neben mir an der Theke.

»Hallo Shila. Wie geht es dir?«

Ich schaute sie an. Man sah ihr an, dass sie nicht den ersten Drink in der Hand hatte und ich ahnte es schon: »Palmenblues?«

»Jepp.«

Mindestens einmal im Monat überkam sie die Sehnsucht nach regnerischem Wetter, englischen Pubs und mies gelaunten Mitmenschen in Birmingham. Meistens endete das Ganze, zumindest für sie, häufig auch für mich, mit einem furchtbaren Besäufnis. Ich nahm mir vor, heute standhaft zu bleiben und nur alkoholfreien Ipanema zu trinken. Ich legte Shila die Hand auf ihre Schulter.

»Schlimm?«

»Ach scheiße. Ich kann dieses Gute-Laune-Getue und die Nervbolde nicht mehr ertragen. Und dann dieses verdammte Wetter. Jeden Tag scheint die Sonne und es ist angenehm warm. Das hält kein Mensch auf Dauer aus. Pete, soll das denn immer so weitergehen?«

»Ich verstehe dich. Mir geht es ab und zu auch so. Nach drei Wochen deutschem Winter habe ich dann aber die Faxen dicke und freue mich wieder auf die Wärme.«

Wir arbeiteten beide für das gleiche Reiseunternehmen und hatten die mäßig anspruchsvolle Aufgabe, Urlauber vom Flughafen zum Hotel zu begleiten, ihnen zum Empfang ein Glas Billigsekt in die Hand zu drücken und sie zur Wahl ihres Urlaubsziels zu beglückwünschen. Nicht gerade ein Traumjob und intellektuell nur eine mäßige Herausforderung.

Ab und zu mussten wir uns um Beschwerden kümmern. Vorgabe war, die Reklamationen möglichst wegzulächeln. Das funktionierte aber bei etlichen Gästen und richtigen Problemen nicht.

Manche Urlauber schienen der Meinung zu sein, hier sei alles wie zu Hause, nur mit gutem Wetter. Wer hier seine Currywurst will und davon ausgeht, dass alle Deutsch sprechen, sollte bitte zu Hause bleiben oder sich an Nord- oder Ostsee abzocken lassen.

Eine angenehmere Aufgabe war, Ausflugsfahrten zu den Sehenswürdigkeiten der Insel zu begleiten und den Reiseführer zu geben. So oft wie wir das schon gemacht hatten, brauchten wir nicht mal mehr Notizen.

Neben den offiziellen Fahrten hatten wir zur Aufbesserung unseres Gehalts für kleine Gruppen einen Service mit Kleinbussen aufgebaut, den wir unserem Arbeitgeber tunlichst verschwiegen. Für die Animation waren wir Gott sei Dank nur in Ausnahmefällen zuständig.

Shila orderte zwei Single Malt. Meinen schob ich gleich zu ihr zurück.

»Heute musst du alleine trinken.«

»Wer nicht will, der hat schon.« Den Ersten schluckte sie, als wenn es Wasser wäre.

Sie machte diesen Job bereits seit Jahren. Vor irgendetwas war sie in Birmingham geflohen, ich hatte nie erfahren wovor. Shila sprach fast perfekt Deutsch, da ihre Mutter Deutsche war. Ihr Vater hatte sie, nachdem seine Zeit bei der Rheinarmee ausgelaufen war, aus dem Ostwestfälischen nach Mittelengland mitgenommen.

Shila war alles andere als eine unauffällige Person. Sie war 1,70 groß, hatte einige Kilo zu viel auf den Knochen, vor allem am Hintern und den Brüsten, war aber nicht wirklich dick. Sie hatte feuermelderrote Haare und strahlte immer aus ihren blauen Augen, wenn ... ja wenn ... sie nicht gerade den Palmenblues hatte.

»Lange ertrage ich das nicht mehr. Nur Urlauber, keine Freunde ...«

»Ähhh ...«

»Ich korrigiere: Nur einen engen Freund, aber dafür den Besten, den man sich wünschen kann. Mensch Pete, ohne dich wäre ich längst ins Wasser gegangen oder hätte mich aufgehängt. Das Leben im noblen Hotel geht einem irgendwann auf den Wecker und die kulturellen Errungenschaften der Insel kenne ich in- und auswendig.«

»Shila, wir müssen mal wieder zusammen etwas Abgedrehtes tun, damit du auf andere Gedanken kommst.«

»Was denn? Kamelreiten mit übergewichtigen Touristen? Die Vulkane sind sehenswert, aber nach der achtundneunzigsten Besichtigung ist mir jeder Krater persönlich bekannt. Die Kunstwerke von César Manrique sind super, aber die kenne ich alle schon.«

»Du hast ja Recht. Sollen wir uns auf eine andere Insel versetzen lassen?«

»Aber nur zusammen, sonst habe ich gar keine Freunde mehr. Da geht der Palmenblues dann nach kurzer Zeit wieder von vorne los.«

»Vielleicht an die Nordsee?«

»Um Himmels willen. Es regnet dauernd, ist kalt und wenn man ins Wasser will, gibt es nur Matsch statt Wasser.«

Essen und Trinken waren frei für uns, sonst hätte sie heute ein kleines Vermögen vertrunken.

»Shila, du hast mir nie über dein Leben vor diesem Job erzählt und warum du hierhergekommen bist.«

»Ach Pete, das willst du gar nicht hören.«

»Doch, will ich. Wir sind Freunde, oder etwa nicht?«

»Ja, das sind wir. Aber das sind wir auch, ohne das ich meine Vergangenheit auf den Tisch lege.«

»Natürlich. Ich bin eben neugierig.«

»Pete, du nervst.«

Sie schaute mich mit ihren großen blauen Augen an.

»Na los, rück´s raus dein Geheimnis.«

»Okay. Ein Geheimnis ist es nicht. Aber nur die Kurzversion: Geboren in Bielefeld, das gibt es nämlich wirklich, mein Vater war bei der Rheinarmee, meine Mutter Hausfrau. Als ich noch ein Kleinkind war, sind wir nach Birmingham umgezogen. Der Alte war nicht oft da. Aber wenn, dann gab es meistens Prügel. Erst als ich zurückgeschlagen und ihm die Nase gebrochen hatte, hat er aufgehört.

Dann bin ich in die falsche Clique geraten: Saufen, Drogen und prügeln. Trotzdem habe ich den Schulabschluss geschafft. Es durfte so nicht weitergehen, also habe ich mich vom Acker gemacht und einige Jahre in Berlin gelebt. Ich war mit einem Typen zusammen, der als der große Progressive auftrat, aber in Wirklichkeit ein Arschloch war. Da ich Tourismus studierte, habe ich dann diesen Job bekommen. Und jetzt bin ich hier: Shila, das unantastbare ›Lonesome Cowgirl‹.«

»Ich lächelte sie an.«

Sie bestellte einen weiteren Whisky und ich befürchtete, dass sie nicht mehr in der Lage war, alleine aufrecht zu gehen.

»Mit dem Alkohol hast du aber noch nicht abgeschlossen.«

»Na ja. Ab und zu muss das mal sein. Pete, ich kann nicht mehr. Zu dem Engländerghetto, in dem ich wohne, schaffe ich es jetzt nicht mehr. Bitte gewähr mir Asyl. Ich bin auch ganz friedlich«, lallte sie und schaute mich mit ihren großen blauen Augen an. »Aber nächstes ... hicks ... nächstes Mal will ich alle deine Jugendsünden hören.«

Sie hatte ein Zimmer in einem Hotel etwa 500 m entfernt, in dem überwiegend Engländer abstiegen. Hier, in dem Hotel, in dem ich wohnte, war alles in deutscher Hand.

»Okay. Wenn du mir ins Bett kotzt, gibts Ärger.«

»Tu ich nicht. Kannst du mich stützen?«

Im Zimmer angekommen zog sie die Schuhe und alle ihre Klamotten aus, fiel in Bauchlage aufs Bett und schlief sofort ein.

Ich musste grinsen angesichts dieses Anblicks. ›Welch ein Hintern‹, dachte ich. Nach dem Badbesuch versuchte ich die freie Ecke im Bett ohne Verrenkungen zu nutzen.

Eine unruhige Nacht später hatte ich Probleme, die Augen zu öffnen. Das Bett hatte ich für mich allein. Ich schaute mich im Zimmer um und musste unwillkürlich lachen. Shila war nicht gegangen, sie stand auf dem Balkon und rauchte. Dabei hatte sie es nicht für nötig befunden, sich etwas anzuziehen. Das man aus der Hälfte der Hotelzimmer eine gute Sicht auf sie hatte, störte sie nicht im Geringsten.

Ich zog mir eine Hose an, entzündete ein Zigarillo und ging zu ihr.

»Na du? Wieder fit?« Ich legte meinen Arm um sie.

»Nicht wirklich. Ich glaube, ich brauche dringend starken Kaffee und Acetylsalicylsäure.«

»Du weißt schon, dass dich hier das halbe Hotel beobachten kann?«

»Na und? Findest du meine Brüste so furchtbar?«

»Nein, ganz im Gegenteil. Da freuen sich bestimmt einige über die morgendliche Balkon-Show und haben schon zum Frühstück neuen Stoff für ihr Geläster.«

»Behalte deine Finger trotzdem bei dir. Du weißt doch, ich bin Shila, die Unberührbare. Leider.«

»Keine Angst, ich halte genügend Sicherheitsabstand, auch wenn es mir schwerfällt.«

Sie drehte sich kurz um und schaute mich ungläubig an. Rauchend schauten wir auf die Poollandschaft. Die meisten Gäste saßen noch am Frühstückstisch, aber eins hatten sie vorher schon erledigt: Eine Liege mit einem Handtuch reserviert. Woran erkennt man einen Deutschen? Er bleibt auch nachts um drei vor einer roten Fußgängerampel stehen und im Urlaub wird morgens als Erstes eine Liege mit einem Handtuch gekennzeichnet.

»War ich friedlich heute Nacht?«

»Mir sind keine Klagen zu Ohren gekommen, die Geräuschentwicklung hielt sich in Grenzen. Über die Aufteilung des Bettlakens müssen wir aber noch ausführlich diskutieren. Ich habe Hunger, lass uns erstmal frühstücken.«

»Gut, dann ziehe ich mich besser an. Danke, dass du dich gekümmert hast. Und bei Gelegenheit solltest du dein Bett festschrauben lassen. Das hat sich manchmal merkwürdig gedreht.« Sie nahm mich in den Arm. »Was haben wir Sklaven denn heute auf dem Programm?«

»Touris vom Flughafen abholen. Der Flieger landet um 15 Uhr.«

»Wie viele?«

»Um die 80, zwei Busse. Da muss die liebe Shila mit, auch wenn sie einen kleinen Mann mit Presslufthammer im Kopf hat.«

»Okay, okay. Bis dann bin ich wieder fit und kann eine salbungsvolle Rede halten.«

Vom Buffet hielt sie sich fern und schüttete nur schwarzen Kaffee in großen Mengen und Mineralwasser mit Kopfschmerztabletten in sich hinein.

2. Brigitte

Der Hoteltransfer war ein Ritual, das die meisten Urlauber stoisch über sich ergehen ließen. Ich hätte mir das persönlich nie angetan. Erst muss man den Koffer vom Band ziehen, dann den richtigen Flughafenausgang und den richtigen Bus suchen. Wie war noch gleich die Nummer? Anschließend wartet man, bis alle da sind, und das konnte dauern. Endlich beginnt die Rundfahrt von einem Hotel zum nächsten. Das Eigene war meistens eins der Letzten. Und Playa Blanca, der Ort, in dem wir residierten, kam immer als Letztes dran. Ich buchte in solchen Fällen einen Mietwagen vom Flughafen aus, um diese Strapaze zu umgehen.

Pünktlich um 15 Uhr standen wir mit einem Schild des Reiseveranstalters vor den uns zugeteilten Bussen, hatten unser professionelles Herzlich-Willkommen-Lächeln aufgesetzt und warteten auf die Touris. Shila sah fast fit aus.

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis alle auf ihren Plätzen saßen. Die Rundfahrt konnte beginnen. Mehr als eine Stunde später, hatten wir es dann überstanden. Wir hatten unsere Sprüche und Tipps auf die Ankömmlinge ergossen, ihnen versichert das weltbeste Reiseziel gebucht zu haben und sie zum Willkommensdrink eingeladen.

»Ich lade dich heute zum Essen ein«, sagte Shila. »Du musstest ja gestern unter mir leiden.«

»Na ja, so schlimm war es nicht. Aber ich nehme die Einladung gerne an.«

»Dann lass uns in den Ort schlendern, ich habe keinen Bock auf das Buffet. Ich weiß eh schon, was es gibt.«

Wir spazierten etwa eine halbe Stunde auf der Strandpromenade bis zum Hafen von ›Playa Blanca‹, von dem die Fähren zur Nachbarinsel Fuerteventura ablegten. Warum dieser Ort ›weißer Strand‹ hieß, hatte ich mich häufig gefragt. Lediglich hier am Hafen gab es einen sehr übersichtlichen Sandstrand. Der restliche Strand bestand aus Felsen und Steinen.

Normalerweise aßen wir immer in ›meinem‹ Hotel. Nachdem ich gesehen hatte, wie einige Engländer in Shilas Hotel die Salatsoßen testeten, indem sie einen Finger hineinsteckten und dann ableckten, war der Speisesaal dieses Hotels für mich tabu.

Das einzig Interessante dort war, etwa 15- bis 16-jährige, übertrieben angestrichene Damen dabei zu beobachten, wie sie auf hohen Stöckelschuhen, auf denen sie natürlich nicht laufen konnten, Berge von ›Delikatessen‹ des Buffets zu ihren Tischen jonglierten. Häufig gab es sehenswerte Unfälle bei diesen Vorführungen.

Auch in ›meinem‹ Hotel konnte ich voraussehen, was auf der Speisekarte stand. Das Ganze wiederholte sich spätestens nach zwei Wochen. Die Show der jungen Damen entfiel, da das Hotel ein No-Adult-Etablissement war.

Auf der Terrasse eines kleinen Restaurants auf der Hafenpromenade zu sitzen und dabei die vorbeiflanierenden Menschen und die Schiffe zu beobachten, erzeugte sogar in uns eine Art ›Urlaubsflair‹. Vor allem, wenn dann auch noch das Essen vorzüglich schmeckt.

»Whisky?«, fragte ich.

»Spinnst du. Heute nur Agua con gas.«

Wir mussten beide grinsen.

»Das ist angenehm, hier mit dir zu sitzen und die Seele baumeln zu lassen«, sagte ich. »Fast wie im Urlaub.«

»Das sollten wir öfter machen. Was ist jetzt mit dem angebrochenen Abend?«

»Wir gehen in mein Hotel und schauen uns die Touriunterhaltung an.«

»Bist du wahnsinnig? Ich schaute sie entgeistert an. Andererseits ... mir ist der Lesestoff ausgegangen. Okay, wir lästern mal wieder, was das Zeug hält.«

Ich lächelte schelmisch, denn als Lästermäuler waren wir zwei mittlerweile kaum zu toppen. Das Problem daran war, dass wir bei den Touris bekannt waren, wie die sprichwörtlichen bunten Hunde. Nur nicht danebenbenehmen, sonst könnte uns das den Job kosten. Dann war zwar der Palmenblues vorbei, aber eine Alternative, um unseren Lebensunterhalt zu sichern, hatten wir momentan beide nicht.

Die Show begann, nachdem alle Raubtiere abgefüttert waren und die ersten Getränke auf den Tischen standen. Ein Conférencier machte blöde Witze, die wir alle kannten. Gut waren sie auch beim ersten Mal nicht. Der Mann brauchte dringend einen Gagschreiber. Der Rest des Publikums applaudierte brav. Dann wurde es musikalisch. Die Musiker beherrschten grob ihre Instrumente und brachten internationale Hits zu Gehör.

Besser als die Witze, wirklich gut aber auch nicht.

»Was hältst du davon, wenn wir wieder unser Leute-Einschätz-Spiel machen?«, fragte Shila.

»Alles klar. Du fängst an.«

»Siehst du die junge Frau dort an der Tür? Die mit den langen Haaren und dem braven blauen Pulli, die so traurig schaut?«

»Ich sehe sie und sie hat schon im Bus so deprimiert geschaut. Sieht man so aus, wenn man sich auf einen Urlaub freut?«

»Sie scheint alleine zu sein. Die Frage ist, warum hat sie diesen Urlaub gebucht? Ich glaube, sie läuft vor irgendetwas weg.«

»Kaputte Beziehung?«, fragte ich.

»Passt nicht. Dann fährt man in den Urlaub, um andere Leute kennenzulernen und Spaß zu haben und nicht um doof in der Ecke zu sitzen und miese Laune zu verbreiten. So furchtbar ist die Musik ja auch nicht. Lassen wir die Ärmste in Ruhe. Du bist dran mit Aussuchen.«

Ich schaute mich um. Mein Blick blieb an einem älteren Ehepaar hängen.

»Siehst du das Paar dort, beide Mitte bis Ende 50. Sie aufgedonnert wie eine Prinzessin, die Mengenrabatt bei einer Kosmetikfirma bekommt. Er hat seine Hawaiihemden reaktiviert, die aus der Zeit stammen, als er noch rank und schlank war.«

»Jepp, sehe ich.«

»Also ... beide haben Angst, etwas zu verpassen. Sie meinen, beweisen zu müssen, wie cool sie sind. Und später können sie dann in Bottrop-Nord mit ihren Heldentaten prahlen. Dann sitzt er wieder in seinem Büro im Finanzamt und sie steht an ihren Kochtöpfen. Und sie sparen für den nächsten Superurlaub im Süden.«

»Pete, ich bin müde.«

»Okay, lass uns gehen.«

Kurz bevor wir den Saal verlassen konnten, sprach uns die traurige Frau an.

»Darf ich Sie etwas fragen? Ich meine ... also ... ähmm ... Sie haben bestimmt schon Feierabend.«

»Na los, fragen Sie«, forderte ich sie auf.

»Ich würde gerne zwei Sachen auf dieser Insel unternehmen, aber bei der ersten weiß ich nicht, wie ich dahinkommen soll. Und ich dachte, Sie kennen sich doch gut aus auf der Insel.«

»Und ... ?«

»Zu den Vulkanen gibt es ja übermorgen eine Bustour. Die habe ich schon gebucht. Aber wie komme ich zu den Papageienstränden?«

»Nur mit dem Auto«, schaltete sich Shila ein.

»Schade, ich traue mich bisher nicht, hier Auto zu fahren. Die ganzen Kreisverkehre machen mich nervös.«

Und dann sagte Shila etwas, was ich nie gedacht hätte.

»Wir haben morgen unseren freien Tag und fahren sowieso zum Strand. Wenn Sie wollen, nehmen wir Sie mit.«

Sowohl die Frau, als auch ich, schauten erstaunt.

»Um 12 Uhr an der Rezeption. Wasser, Sonnenmilch und Handtuch nicht vergessen.«

»Danke, vielen Dank.« Ein Lächeln überschattete ihre Traurigkeit.

»Shila, was war denn das eben?«

»Sie sieht so traurig aus und tut mir leid. Und wir können jede Woche an diesen Strand fahren. Schlaf gut!«

»Du auch.«

Heute würde jeder in seinem eigenen Zimmer schlafen.

3. Berlin – 4 Wochen zuvor

Der Schweiß lief Anton den Rücken hinunter. Er war von Mitte nach Kreuzberg gefahren und hatte dabei mehrmals die Bahn gewechselt. Das Gefühl, beobachtet zu werden war immer stärker geworden. Wenn er seine Wohnung verließ, schien ihn ein Schatten zu verfolgen. In jeder U-Bahn-Station schaute er sich um, aber er konnte niemanden entdecken, den er im Schlepptau hatte.

Hatte das was mit seinem neuen Job zu tun? Womit sonst. Er hätte sich nicht auf diese Typen einlassen dürfen, doch das Geld reizte ihn. Er hatte bisher jede Geschäftsidee in den Sand gesetzt. Sein Dispo-Limit war erschöpft, es gab niemanden mehr, der ihm Geld leihen würde. Es wurde Zeit, dass er nicht immer von der Hand in den Mund leben musste. Der Druck des Faktischen hatte sein Gewissen besiegt. Er war zum Mitarbeiter eines Clans geworden, der sein Geld mit Drogenschmuggel und Prostitution verdiente.

Anton arbeitete in der Drogenabteilung. ›Etage 3, pling: Koks, Heroin, Crystel. Joints finden Sie in der Kinderabteilung.‹ Er hatte jedoch ein Problem. Es war nicht nur groß, es war lebensbedrohend: Er war den Gepflogenheiten der Szene nicht gewachsen und war nicht in der Lage, sein Gewissen komplett abzustellen. Er lebte davon, dass andere Menschen ihre Gesundheit, wenn nicht sogar ihr Leben aufs Spiel setzten.

Zudem war seine Nahkampferfahrung eher rudimentär. Wenn es handgreiflich werden sollte, war er nicht in der Lage, sich zu wehren. Die Muskelpakete aus der Türsteherszene würden ihn nur antippen müssen, damit er umfiel.

Er betrat eine düstere Kreuzberger Szenekneipe, die man früher wohl als Spelunke bezeichnet hätte. Er wollte sich bei ein paar Bieren entspannen und über seine Situation nachdenken. Es war noch früh und außer einem Pärchen, das mit sich selbst beschäftigt war, war er der einzige Gast.

Als der Wirt, Typ ewiger Student, ihm das zweite Bier brachte, quietschte die Tür. Ein Mann, Mitte 40, betrat den Raum. Er schaute sich um, ging auf Anton zu und setzte sich neben ihn.

Anton fragte sich, was der Typ wollte. Nur quatschen oder gab es einen anderen Grund? Er befürchtete, es würde Ärger geben. Hatte er irgendetwas verpatzt?

»Guten Abend, Herr Saladin.«

Anton schaute zur Seite. Er ahnte, dass sein Schatten ihn hier gefunden hatte und zu einer realen Person geworden war. Er merkte, wie er anfing zu frieren. Was wollte der von ihm?

»Hallo. Wer sind Sie und warum kennen Sie meinen Namen?«

»Ich beobachte Sie seit einiger Zeit.«

Da hatte sein Gefühl ihn also doch nicht getrogen. Er fühlte sich vom Blick des Mannes durchbohrt. Bis auf seinen stechenden Blick machte er einen völlig unauffälligen Eindruck.

»Sie sind in schlechte Gesellschaft geraten.«

»Bin ich das? Interessant, was Sie alles zu wissen glauben.«

»Wir brauchen hier keine Spielchen zu spielen. Ich habe Sie auf dem Radar, seit Sie für diesen Rauschgiftclan arbeiten.«