Ruhrdreck - Uwe Wittenfeld - E-Book

Ruhrdreck E-Book

Uwe Wittenfeld

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Beschreibung

Olga Paschke und ihre Mitarbeiter Hugo Koslowsky, Florian Pulesko und Erwin Bosetzky versuchen zusammen mit der Detektivin Maggie Morgensonne aus Halle an der Saale den Müllschiebern das Handwerk zu legen. Die kriminelle Müllszene ist jedoch gut vernetzt auch über Grenzen hinweg. Wo viel Geld im Spiel ist, zählen Menschenleben immer weniger.

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Hauptpersonen
Prolog
Teil 1
1. Sommerloch
2. Schermbeck
3. Der Weg der Pellets
4. Nebel
5. Deponie
6. Lagebesprechung
7. Oleg
8. Zeuge
9. Das Zockerpaar
Teil 2
10. Unverhofft kommt oft
11. Halle an der Saale
12. Saale-Unstrut
13. Nacht über Freyburg
14. Datenauswertung
15. Potsdam
16. Berlin
17. Leipzig
Teil 3
18. Bochum
19. Münsterland
20. Bochum
21. Düsseldorf
22. Aachen
23. Inselabfall
24. Bochum
25. Neuharlingersiel
26. Bochum
27. Telefonat
28. Verfolgung
29. Heribert
Teil 4
30. Dirty Harry
31. Zwischenbilanz
32. Trojanisches Pferd
33. Rifiuti pericolosi (Gefährliche Abfälle)
34. Der verlorene Sohn
35. Bochum
Teil 5
36. Teambildung
37. Leipzig
38. Telefonat
39. Berlin
40. Bochum
41. Undercover
42. Jubiläumsfeier
43. Abschluss
Epilog: Die letzte Tour
44. Glossar (alphabetisch)
45. Quellen
46. Nachwort

Uwe Wittenfeld

Ruhrdreck

Olga Paschkes dritter Fall

Kriminalroman

»Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.«

(Kurt Tucholsky)

Ruhrkrimi-VerlagUwe Wittenfeld

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 Ruhrkrimi-Verlag Uwe Wittenfeld, Mülheim/Ruhr

Druck: BoD, Norderstedt

ISBN 978-3-947848-18-8

1. Auflage 2021

Lektorat: Dr. Daniela Richter-Wittenfeld

Coverbild: © Jaana Redflower

Dieses Buch ist auch erhältlich als:

eBook: ISBN 978-3-947848-19-5

Großdruck: ISBN 978-3-947848-20-1

Disclaimer:

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Verwendung von Text und Grafik ist auch auszugsweise ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

www.ruhrkrimi.de

Autor:

Uwe Wittenfeld erblickte im äußersten Zipfel Ostwestfalens das Licht der Welt. Nach dem Abitur floh er tief in den Westen, wo damals noch die Sonne verstaubte, um an der Ruhr-Universität Bochum Elektrotechnik und an der Ev. FH Bochum Sozialpädagogik zu studieren.

Bis zur Jahrtausendwende war er Teilhaber eines Ingenieurbüros im Bereich Umweltmesstechnik, um dann als Studienrat an einem technischen Berufskolleg zu arbeiten.

Der Autor ist Mitglied im Syndikat und Verleger des Ruhrkrimi-Verlages.

Bisher erschienen:

Mauerzwillinge – eine Reise nach Dresden

Ruhrzaster (Olga Paschke ermittelt in Bochum 1)

Ruhrspione (Olga Paschke ermittelt in Bochum 2)

Winnetou und die Frau in Weiß Kurzkrimis zusammen mit Martina Arnold

Kunst und Krimi Kunstwerke und Krimikurzgeschichten zusammen mit Dr. Daniela Richter-Wittenfeld

Strafversetzt (in: Sachsenmorde 3, edition krimi)

Aschenbrödel -oder- Gefährlicher Engel (in: Märchenmorde, edition krimi)

Demnächst: Der Meisterdieb (in: Mordsmärchen, Ruhrkrimi-Verlag)

Hauptpersonen

Olga Paschke ist Detektivin in Bochum. Sie wird ihrem Leitspruch »Alles, außer Mord!« Schon wieder untreu.

Hugo Koslowsky fühlt sich wohl in Bochum und hilft Olga.

Florian Pulesko ist Hugos Freund und Vermieter.

Maggie Morgensonne ist blond, schön (aber nicht dumm), Detektivin und Hugos Freundin.

Susi Morgensonne ist die schlaue Tochter von Maggie.

Maike Stromfeld denkt häufig, sie sei auf einem anderen Planeten als der Rest der Menschheit.

Oleg Schmitz zockt, bis er dahin geht, wo er kein Geld mehr braucht.

Heribert Willings, Peter Sauer und Armin Lötsche wissen, dass Müll stinkt, aber nicht das Geld, was man damit verdient.

Prolog

Das Donnerwetter brach über sie herein, kaum dass sie Platz genommen hatte. Sie hatte es schon geahnt, als die Sekretärin sie zu ihm geschickt hatte. Mit grimmigem Blick und hochrotem Kopf thronte er hinter seinem überdimensionierten Schreibtisch.

»Wofür werden Sie eigentlich bezahlt?«, polterte er los. »Scheinbar ist Ihnen völlig unklar, dass ich Ihr Gehalt bezahle und wofür Sie es bekommen.«

Er knallte eine Zeitung vor ihrer Nase auf den Tisch und pikste mit seinem rechten Zeigefinger auf den Aufmacher.

»Irgendein Schnösel aus der Provinz huldigt hier seiner Meinung nach hehren Journalismus und träumt vom Wurlitzer-Preis.«

Wurlitzer? Sie verzichtete, ihn darauf hinzuweisen, dass der ungarisch-amerikanische Journalist und Herausgeber Pulitzer hieß und nichts mit dem Produzenten von Jukeboxen zu tun hatte. Aber das wäre jetzt mit Sicherheit der falsche Zeitpunkt.

Im Leitartikel der Zeitung, die vor ihr auf dem Tisch lag, ging es um eine Umweltsauerei, in die ihr Arbeitgeber involviert war. Sie hatte ihn bereits gelesen und war darauf gefasst, dass es Ärger gab.

Er polterte weiter: »Und was haben Sie gemacht, Sie dumme Kuh? Scheinbar nichts. Haben Sie jemals Ihre Arbeitsplatzbeschreibung gelesen? Ihre Aufgabe ist es, die Presse in unserem Interesse zu beeinflussen, damit so ein Bockmist nicht mehr erscheint.«

Die ›dumme Kuh‹ würde er noch bereuen.

»Ich soll denen also die Hucke volllügen, wenn es im Sinne meiner Firma ist.«

»Sie sollen die Öffentlichkeit in unserem Sinne beeinflussen. Mir ist scheißegal, ob Sie lügen, mit dem Journalisten ins Bett gehen oder nackt auf dem Konferenztisch tanzen. Das Ergebnis zählt.«

»Der Journalist hat den Artikel gut recherchiert, die Anschuldigungen entsprechen, wie wir beide wissen, durchaus der Wahrheit.«

»Wahrheit, Wahrheit. Das ist ein Begriff, der durchaus interpretierbar ist. Zunächst einmal ist das wahr, was der sagt, der mich und sie bezahlt. Sie wissen doch: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral, wie schon Brecht wusste. Wir sind ein international operierendes Unternehmen. Sollen wir uns da vor einem Provinzschmierer vorführen lassen?«

»Ja, aber ...«

»Nichts aber, halten Sie den Mund! Versuchen Sie, den Schaden möglichst einzudämmen, damit wir hier nicht auch noch den Spiegel oder das Fernsehen auf der Matte stehen haben. Ich gebe Ihnen bis zum Ende des Monats. Wenn Sie es nicht schaffen, die Sache runterzukochen, können Sie sich nach einem neuen Job umschauen. Und jetzt raus an die Arbeit.«

Sie würde sich nach einem neuen Job umsehen, ob sie gefeuert würde oder nicht. Sie wollte nicht den Pulitzer-Preis gewinnen, aber den Rest journalistischen Anstands konnte dieser Arsch ihr auch mit viel Geld nicht abkaufen. Die Idee mit dem Spiegel oder dem Fernsehen war gar nicht so schlecht. Das wäre doch ein schönes Abschiedsgeschenk an diesen Choleriker. Sie holte ihr Telefonverzeichnis aus der Handtasche.

Teil 1

1. Sommerloch

Ich liebe die Wärme. Wenn die Sonne auf Bauch und Rücken scheint, dann geht es mir gut. Vorausgesetzt, dass genügend kühle Getränke in Reichweite sind.

Dieser Sommer übertrieb es aber erheblich, sodass sogar ich ein schattiges Plätzchen vorzog. Die Temperaturen im Revier lagen jenseits der Wohlfühlgrenze bei 38 Grad. Wer wollte da in den Süden fahren, um bei noch höheren Temperaturen am Strand zu rösten?

Ich hatte viel Zeit, um zu relaxen, denn das Institut, an dem ich sonst versuchte, Mitmenschen die Geheimnisse der Netzwerktechnik beizubringen, hatte Sommerpause. Die Auftragslage von ›Olga and Friends‹, die Detektei, zu deren freien Mitarbeitern ich mich zählen durfte, hatte gerade ein erhebliches Sommerloch. Scheinbar war es auch für Verbrechen und Fremdgehen zu warm.

Ein großer für mich bisher unbekannter Luxus war der Garten mit den stattlichen alten Bäumen, indem ich meinen Liegestuhl aufgestellt hatte. Mein Kumpel Florian hatte von seinen Eltern diese Villa in Bochums noblen Vorort Weitmar geerbt. Geld hatte er genug, so dass er mir zum Spottpreis, die zweite Wohnung vermietet hatte. Ich hatte mich eine Zeit lang geziert und dann doch zugeschlagen. So ein Angebot gibt es nur einmal.

Hier konnte ich der Hitze der Stadt und meiner ehemaligen kleinen Wohnung am Schauspielhaus, die nicht einmal einen Balkon gehabt hatte, entfliehen.

Wir lagen beide im Liegestuhl, eine bayerische Weizenkaltschale in Reichweite, blickten über das Ruhrtal und hingen unseren Gedanken nach. Chillen nennt man das auf neudeutsch.

Die Idylle wurde jäh unterbrochen. Irgendein Honk klingelte Sturm. Wir schauten uns an. Er gab nicht auf. Vielleicht würde ja der Andere aufstehen.

»Hugo, das ist Olga. Ich höre es schon am Klingeln. Niemand klingelt so dynamisch und penetrant, wie sie.«

Mühevoll hievte ich mich schwitzend aus meiner entspannten Lage und schlurfte zum Gartentörchen. Florian hatte recht gehabt, es war Olga.

»Hallo Hugo.«

»Hey Olga. Komm rein.«

»Coole Badehose. Ich seh schon, ich störe bei wichtigen Geschäften.«

Ich grinste. »Die Geschäfte werden in unserem Freiluft-Konferenzraum, früher Garten genannt, geführt. Der bisher einzige Punkt der Tagungsordnung ist die aktive Förderung des bayerischen Brauereiwesens. Wir befinden uns gerade in der Versuchsphase.«

Sie folgte mir in den Garten und setzte sich auf den Stuhl in den Schatten der Buche. »Habt ihr noch ein kaltes Weizen für mich?«

Das war eine rhetorische Frage. Olga wusste genau, dass wir bei dem Wetter immer größere Mengen von Mineralwasser und Weizenbier eingelagert hatten.

»Ohne Alk bitte, sonst bleib ich bei der Hitze gleich hier.«

»Das ist kein Problem. Wir haben noch eine Sonnenliege«, sagte Florian. »Ich fürchte aber, du willst nicht mit uns relaxen.«

»Oh doch, und wie ich will. Aber ich muss noch meinen Job machen. Die Auftragslage ist bescheiden, da muss man nehmen, was einem angeboten wird. Ich brauche etwas Beratung von euch.«

»Hört, hört. Bochums beste Detektivin braucht unsere Hilfe. Können wir da nein sagen?«

Florian grinste. »Wir könnten schon, aber wollen wir auch? Und wir müssten natürlich zunächst unseren Terminkalender konsultieren und die Frau Detektivin müsste die Thematik und die notwendige Hilfe etwas exakter spezifizieren.«

»Jungs, ist euch die Hitze aufs Hirn geschlagen? Sprecht mal bitte nicht mehr so geschwollen mit mir.«

Florian schlurfte Richtung Kühlschrank. Mit einem eingegossenen Bier, inklusive perfekter Schaumkrone, kam er nach fünf Minuten zurück.

Olga nahm einen großen Schluck. »Aaah, das tut gut.« Sie nahm gleich noch einen und kam dann zur Sache.

»Jungs, ich brauche eure Hilfe bei der Aufklärung eines Umweltskandals. Wisst ihr, was Ölpellets sind oder Petrolkoks?«

Wir hatten keinen Plan. »Nöö. Spucks aus Olga. Der allwissende Erwin ist ja nicht da und mein kleiner kalifornischer Freund liegt im Arbeitszimmer«, sagte Florian.

»Das scheint etwas ziemlich Ekeliges zu sein, aber bevor ich hier mein chemisches Halbwissen ausbreite, schlage ich vor, dass ihr morgen jemanden von der Bürgerinitiative, die mich beauftragt hat, trefft. Der Mann hat Ahnung und wird euch über alle Details aufklären. Er mutmaßt, dass die Pellets aus einer Raffinerie in Gelsenkirchen kommen und in eine Tongrube am Niederrhein entsorgt werden.«

»Tongrube hört sich nicht unbedingt nach einer speziellen Deponie an«, bemerkte Florian.

»Das siehst du nicht alleine so. Es handelt sich überhaupt nicht um eine Deponie, sondern eigentlich nur um ein Loch, aus dem Ton ausgebaggert wurde.«

»Da schmeißt ein Weltkonzern seinen Giftmüll in ein Loch am Niederrhein?«

»So sieht es aus. Alles zum Wohl der Aktionäre.«

»Wir schauen uns das Ganze erst einmal an«, sagte ich.

»Wenn ihr juristische Probleme habt ...«

»Ja, ja. Dann fragen wir Erwin.«

Erwin war Anwalt und residierte in Olgas Nachbarbüro. Wir hatten schon in so manchem Fall zusammengearbeitet.

»Alles klar?«

»Dürfen wir das Bier noch austrinken?«

»Ihr dürft sogar noch ein zweites. Sogar mit Alk. Der Termin mit dem Kontaktmann ist morgen Mittag. Heute habt ihr noch Urlaub.« Olga reichte mir einen Zettel mit Namen, Anschrift und Telefonnummer unseres Ansprechpartners.

»Ist dir schon mal aufgefallen, dass du wie selbstverständlich Florian einplanst. Der ist nicht bei dir angestellt.«

»Alles gut, Hugo«, intervenierte Florian. »Glaubst du, ich will hier immer nur im Garten sitzen und Bier trinken? Die nächsten zwei Wochen habe ich Zeit genug. Danach habe ich allerdings Rosa versprochen, sie in der Galerie zu vertreten.« Sie war Florians Schwester und betrieb an der Kö in Düsseldorf eine Kunstgalerie.

»Du als Galerist? Seit wann bist du Kunstkenner?«, lästerte ich.

»Das ist doch ganz einfach: Das Bunte an der Wand sind die Bilder. Unten steht eine Nummer dran und Rosa hat mir einen Ordner mit Exposés über jedes Bild gegeben. Da steht jeweils die gleiche Nummer drauf. Hauptsache ich kann zu den Bildern den Maler und den Preis nennen.«

»Na denn.«

2. Schermbeck

Ich holte den MX-5 aus der Garage und ließ das Dach in seine Parkposition gleiten. Die ersten 80.000 km seines Lebens hatte er den Luxus einer Garage nicht gekannt. Wenn alles gut ging, hatte er früher unter einem Straßenbaum in der Nähe des Schauspielhauses übernachtet. Kappe auf und los.

Der Kontaktmann hieß Hans Telinsky und wohnte in Schermbeck. Knapp eine Stunde später hielten wir vor einem gepflegten Einfamilienhaus. Auf unser Klingeln zeigte sich keine Reaktion. Wir versuchten es ein zweites und schließlich ein drittes Mal, aber die Bewohner des Hauses schienen ausgeflogen zu sein.

»Na, das fängt ja gut an. Haben wir die falsche Zeit?«

»Wollen Sie zu den Telinskys?«

Über den Zaun vom Nachbargrundstück sprach uns eine ältere Frau an. Auf dem Land funktioniert die soziale Kontrolle noch.

»Ja. Wir haben einen Termin mit Herrn Telinsky«, antwortete ich ihr. »Aber er scheint nicht da zu sein.«

»Er ist im Krankenhaus, hat mir seine Frau heute Mittag gesagt. Ich glaube, es war ein Unfall oder so etwas.«

»In welches Krankenhaus ist er gekommen?«

»Seine Frau sprach vom St. Elisabeth in Dorsten.«

»Vielen Dank. Tschüss.«

»Außer Spesen nichts gewesen. Also heim zu Olga«, grummelte Florian.

»Moment, wir fahren einfach mal vorbei. So groß ist der Umweg nicht.« Ich hatte ein ungutes Gefühl.

An der Rezeption des Krankenhauses wurden wir zum Wartezimmer der Ambulanz geschickt. Anders, als ich es gewohnt war, saß dort nur ein Paar.

»Herr und Frau Telinsky?«

Der Mann nickte. »Sind Sie die Herren aus Bochum von ›Olga and Friends‹«?

Er war um die 60, mit grauem, mittellangen Haar und John-Lennon-Brille. Ich würde wetten, dass er Lehrer war. Diesen Berufsstand erkennt man fast immer, obwohl ich nicht konkret sagen könnte woran.

»Was ist passiert?«, fragte Florian.

»Mein Mann ist zusammengeschlagen worden. Auf dem Schulparkplatz«, antwortete seine Frau.

»Waren das Schüler?«, fragte ich.

»Nein. Die waren schon älter. Und so unbeliebt bin ich bei den Schülern nicht.«

»Haben Sie einen Verdacht?«

»Keinen konkreten. Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass das etwas mit meiner Tätigkeit in der Bürgerinitiative zu tun hat. Aber wie gesagt, ich weiß nur, dass es zwei waren, die ich nicht kannte. Gesagt haben sie auch nichts.«

»Sind Sie stark verletzt?«

»Wir warten noch auf das Ergebnis des CT, aber ich denke, es sind nur Prellungen.«

»Die können aber ziemlich weh tun.«

»Ich muss ja eh noch auf den Arzt warten, dann können wir auch hier miteinander sprechen.«

»Gut, dann stellen wir uns erst einmal vor. Mein Kollege heißt Florian Pulesko und ich bin Hugo Koslowsky. Wir sind freie Mitarbeiter des Detektivbüros ›Olga and Friends‹ in Bochum.«

»Sie sind quasi die ›Friends‹«, sagte er lächelnd.

»Genau so ist es.«

»Entschuldigen Sie bitte mein Misstrauen, aber ich würde gerne Ihre Ausweise sehen.« Als wir ihn irritiert anschauten, erklärte er uns: »In der Angelegenheit, über die wir gleich reden werden, ist schon zu viel gelogen worden, da möchte ich ganz sicher sein, auch die richtigen Personen vor mir zu haben.«

Wir suchten die Plastikkarten und er studierte sie sorgfältig.

»Alles gut und nochmal herzlich willkommen, wenn ich Sie auch lieber im Garten begrüßt hätte. Ich weiß natürlich nicht genau, was Frau Paschke Ihnen schon erzählt hat.«

»Erzählen Sie am besten die ganze Geschichte. Wir fragen nach, wenn uns etwas unklar ist.«

»Sie wissen, was Petrolkoks ist?«

Wir schüttelten die Köpfe.

»Er stammt aus Kokereien und ist relativ harmlos.«

»Na ja, der Betrieb von Kokereien ist ja an sich schon eine ziemliche Sauerei«, unterbrach ich ihn.

»Da haben Sie recht, aber hier geht es gar nicht um Kokereien. Zurück zum Petrolkoks: Da der Kohlenstoffgehalt über 90% beträgt, handelt es sich um einen hervorragenden Brennstoff. Er wird in Kohlekraftwerken und den Öfen der Zementindustrie verfeuert und dagegen ist auch kaum etwas einzuwenden.

Ölpellets, um die geht es hier, stammen jedoch aus Raffinerien. Der Ruß wird mit Schweröl gebunden und zu Kügelchen oder Pellets gepresst. Die Namen werden aber oft synonym verwendet.«

»Igitt. Da ist dann ja der gesammelte Giftcocktail drin, der bei der Destillation übrig bleibt.« Ich grub nach den Resten meines Wissens aus dem Chemie-Leistungskurs.

»Und das Schweröl, das nicht für Schiffsmotoren verwendet wird und in den Häfen und auf dem Meer die Umwelt vergiftet, landet in den Pellets. Kommt das dann auch in die Kraftwerke?«

Steinkohlekraftwerk Scholven, Autor Uwe Wittenfeld

Seine Miene versteinert sich. »Jahrelang hat man genau das getan. Auch die Ölpellets wurden verbrannt, weil sie ebenfalls einen hohen Brennwert haben. Das Kraftwerk liegt direkt neben der Raffinerie. Mit noch weniger Aufwand wird man das Zeug nicht los. Aber seit einiger Zeit geht das nicht mehr«, klärte uns Hans auf. »Sogar den Behörden ist aufgefallen, dass die Schwermetalle und aromatischen Bestandteile zum Schornstein wieder raus kommen. Die Pellets müssen jetzt auf eine Sondermülldeponie.«

»Klingt logisch. Was ist das konkrete Problem?«

»In unserem Fall geht es um Ölpellets, die neben polyaromatischen Kohlenstoffen viel Nickel und Vanadium enthalten. Sie stammen aus einer Raffinerie in Gelsenkirchen. Das Steinkohlekraftwerk Scholven, in dem die Pellets früher verbrannt wurden, ist gleich nebenan.«

»Wie praktisch«, merkte ich süffisant an.

»Für die Betreiber der Raffinerie schon. Da das Verbrennen im Kraftwerk nicht mehr zulässig ist, hat der Raffineriebetreiber eine andere Entsorgungsmöglichkeit gesucht, die möglichst preiswert sein sollte. Ich fürchte, die hat er gefunden. Beziehungsweise, es wurde ein Mittelsmann, ein sogenannter Abfallmakler, beauftragt. Ein Weltkonzern möchte doch nicht selbst in die Negativschlagzeilen kommen. Wir, d.h. die Bürgerinitiative, sind der Meinung, dass der Konzern immer informiert war und selbst auf die Anklagebank gehört.«

»Und wo ist das giftige Zeug jetzt?«, fragte ich.

»Wir gehen davon aus, dass es in eine Tongrube in der Nähe von Schermbeck gekippt wird.«

»Obwohl es keine Deponie ist?«, fragte Florian.

»Das sehen Sie völlig richtig. Es handelt sich nicht um eine Deponie, sondern um eine sogenannte ›Abgrabung mit Wiederverfüllung‹. Da gehören nicht belastete Schuttmaterialien und Ähnliches rein.«

»Warum ist das erlaubt, die Pellets einzulagern?«

»Das ist nicht erlaubt. Die Ölpellets wurden als Petrolkoks deklariert. Aber nicht einmal der hätte dort deponiert werden dürfen, weil der organische Anteil zu hoch ist.«

»Wie viel ist da eingebuddelt worden?«

»Knapp 30.000 Tonnen.«

Wir blickten Hans fassungslos an.

»Ich sage es nochmal: 30.000 Tonnen.«

»Scheiße«, entfuhr es mir.

»Da kann ich Ihnen nur beipflichten.«

Wir brauchten einen Moment, um die Information zu verdauen und uns vorzustellen, wie viele LKW-Ladungen das wären.

»Was sollen wir konkret für Sie machen?«

»Die örtliche Bürgerinitiative braucht gerichtsverwertbare Beweise über die Herkunft des Materials, das in der Tongrube entsorgt wurde.«

»Was sagen die Behörden dazu?«

»Denen trauen wir nicht, weil sie uns schon häufig belogen haben. Vor allem die Bezirksregierung in Münster hat sich durch unvollständige und falsche Informationen hervorgetan.

Sie sollen nachweisen, dass das Material wirklich von der Raffinerie letztendlich zur Tongrube geschafft wird. Die Bürgerinitiative meint, den Transport würde eine Bochumer Spedition ausführen. Außerdem werden die Pellets mit anderen harmlosen Materialien gestreckt, bevor sie nach Schermbeck kommen, damit es nicht so stinkt und ungefährlich aussieht. Dokumentieren Sie die Fahrten, machen Sie Fotos, nehmen Sie Proben. Alles, was uns vor Gericht helfen kann.

Zusätzlich wäre es gut, ein paar Zeugen zu finden. Ich habe gehört, einer der LKW-Fahrer habe sich beschwert, dass seine Ladefläche immer schmierig und schwer zu reinigen wäre, wenn er eine Lieferung gemacht hat. Es gibt auch einen Makler, der den Deal eingefädelt hat.«

»Da sind wir erst einmal beschäftigt. Wie kommunizieren wir? Direkt oder über Olga?«

»Ich würde vorschlagen, dass bei Frau Paschke alle Informationen zusammenlaufen, damit nichts verloren geht.«

»Darf ich Sie fragen, wie Sie auf ›Olga and Friends‹ gekommen sind?«

Es war eine mehr rhetorische Frage, denn ich meinte die Antwort schon zu kennen.

»Über Erwin Bosetzky. Er ist unser Anwalt. Ich kenne ihn bereits aus meiner Zeit an der Ruhr-Uni.«

Eine letzte Frage hatte ich noch, bevor wir uns auf den Rückweg machten.

»Wird die Deponie, oder vielleicht besser: das Loch, stark bewacht?«

»Uns ist davon nichts bekannt. Ab und zu kommt nachts ein Sicherheitsdienst vorbei, rüttelt einmal am Tor und fährt dann wieder. Aber es könnte durchaus sein, dass durch die ganze Aufregung in der Öffentlichkeit die Sicherungsmaßnahmen verschärft worden sind.«

Wir verabschiedeten uns mit den besten Genesungswünschen.

Draußen brachten wir ein kubanisches Rauchopfer in Form einer Cohiba im Mini-Format. Ich hatte Florian mit dieser Marotte angesteckt.

»Was hältst du von Hans, Hugo?«

»Ich halte ihn für kompetent und vertrauenswürdig. Im Zweifelsfall können wir Erwin fragen, wenn er der Anwalt der Bürgerinitiative ist. Wie fangen wir an?«

»Morgen hängen wir uns an den LKW.«

»Jepp. Aber dazu müssen wir ihn erst einmal finden.

3. Der Weg der Pellets

Auf Olgas Kosten hatten sich Florian, Erwin und ich den Magen mit wunderbaren Tapas bei unserem Lieblingsspanier vollgeschlagen. Wir konnten draußen sitzen, so dass wir in Ruhe miteinander sprechen konnten.

Als die Nachspeise in Form von Crème Catalana vernichtet war und das zweite Weizen auf dem Tisch stand, ergriff Erwin das Wort.

»Was haltet ihr von Hans?«

»Er macht einen gut informierten und seriösen Eindruck«, antwortete ich.

»Wir können ihm vertrauen. Ich kenne ihn schon seit zwanzig Jahren. Er weiß, wovon er redet und diesmal betrifft es ihn auch persönlich. Diese Tongrube liegt nur einige hundert Meter von seinem Haus entfernt.«

»Neben 30.000 Tonnen Sondermüll möchte ich auch nicht wohnen.«

»Wir sollten jetzt besprechen, welche Schritte wir als Nächste unternehmen«, sagte Olga. »Die Spedition soll in Bochum sein. Aber ohne zusätzliche Informationen ist das kein guter Ansatzpunkt. Es kommen mindestens ein Dutzend größerer Speditionen in Frage.«

»Wir suchen einen LKW einer Bochumer Spedition, der bei der Deponie in Gelsenkirchen beladen wird. Weiß jemand, ob die zu regelmäßigen Zeiten fahren?«

Ich befürchtete, stundenlang im Auto sitzen zu müssen, um auf einen blöden Kipplaster zu warten.

Dann war die Frage, ob bei der Raffinerie oder bei der Deponie, der richtige Ort für den Beginn der Observation war. Nach Gelsenkirchen war es zwar nicht so weit, aber das Raffineriegelände war groß und hatte mehrere Zufahrten. Damit blieb die Deponie in Schermbeck. Es sollten jeden Tag ca. 40 Tonnen transponiert werden, das waren zwei Fuhren.

»Olga, wir nehmen dein Auto. Das ist unauffälliger«, verkündete ich. Sie hatte ihren knallroten GTI, den ich zu ihrem Missfallen immer Proll-Ferrari nannte, gegen einen silber-grauen Passat-Kombi getauscht, wie ihn fast jede Firma fuhr. Das war nicht nur unauffälliger als ein MX-5, sondern zugegebenermaßen auf die Dauer auch bequemer.

»Du verzichtest auf dein Heiligtum? Aber du hast recht. Ich bekomme dann die Reisschüssel mit Klappdach.«

»Olga, beleidige meinen MX-5 nicht!«

»Iss ja gut.«

Ich hatte einen Krimi als Hörbuch mitgenommen und das war gut so. Es dauerte etwa zwei Stunden, bis ein LKW den Blinker setzte und in die Einfahrt der Deponie fuhr, ein Sattelschlepper für Schüttgut mit Bochumer Kennzeichen. Ich holte die Nikon vom Rücksitz und machte Fotos, auf denen das Tor und die Nummer des LKW deutlich zu sehen war. Er kam von der Bochumer Spedition Turbotrans.

Florian ging währenddessen von der Seite auf das Fahrzeug zu, so dass der Fahrer ihn nicht sah. Bevor das Tor komplett geöffnet war und der LKW hineinfuhr, hatte er einen GPS-Tracker mit Magnethalterung aus Olgas Fundus an einer unauffälligen Stelle des Fahrgestells angebracht. Hoffentlich würde der Wagen nicht jeden Tag mit einem Hochdruckreiniger gesäubert.

Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sich das Tor wieder öffnete und der Wagen das Gelände verließ. Ich schoss wiederum einige Fotos, in der Hoffnung, den Fahrer identifizieren zu können.

Wir schauten uns die Deponie an, soweit sie über den Zaun zu überblicken war. Es schien nur eine Grube zu sein. Der einzige Mitarbeiter hockte in einer Holzhütte, von zusätzlicher Bewachung war nichts zu sehen.

Die Rückfahrt führte zur Raffinerie nach Gelsenkirchen. Eine Stunde später kam der Wagen wieder aus dem Firmentor. Er fuhr aber nicht in die Richtung, aus der er gekommen war. Die Fahrt ging nach Bochum.

»Wollen die das Zeug auf dem Hof der Spedition stehen lassen?«, fragte Florian.

»Schaun wir mal.«

Der LKW fuhr auf den Hof einer Abfallbehandlungsfirma.

»Was soll das?«, fragte Florian.

»Ich denke, die Mischen ihre giftigen Pellets hier mit Sand oder Ähnlichem und haben dann plötzlich keinen Sondermüll mehr, sondern harmlosen Baustoff, den man in eine Tongrube kippen darf.«

»Und das ist erlaubt?«

»Nein, aber es merkt doch keiner oder will zumindest keiner merken.«

»Sauerei!«

»Dann musst du nur noch die Papiere frisieren und alles ist offiziell in bester Ordnung.«

Dem war nichts hinzuzufügen.

Raffinerie Scholven, Autor: Uwe Wittenfeld

Der Sender am LKW zeigte uns, dass die Fahrten halbwegs regelmäßig stattfanden und immer der gleiche Wagen benutzt wurde.

Als Nächstes wollten wir versuchen, Proben zu nehmen.

4. Nebel

Der Truck hatte die A43 an der Abfahrt Bochum-Riemke verlassen und fuhr auf der Herner Straße stadteinwärts. An der Kreuzung mit der Rensingstraße würgte der Fahrer eines silber-grauen Kombis vor ihm den Motor ab, als die Ampel auf Grün sprang. Bis der Fahrer den Wagen endlich wieder gestartet hatte, zeigte die Ampel wieder Rot. Der LKW-Fahrer merkte nicht, dass ein Mann am Straßenrand ein Päckchen auf die Ladefläche seines Trucks warf. Er fluchte und gab Gas.

Er war nur wenige hundert Meter weit gekommen, als er sich wunderte, dass die Fahrer entgegenkommender Fahrzeuge wild gestikulierten und die Lichthupe betätigten. Dann sah er im Rückspiegel, dass sein Trailer in dichten Rauch gehüllt war. Er bremste und fuhr zur Seite. Er sprang aus der Fahrerkabine und riss den Feuerlöscher aus seiner Halterung. Das hatte ihm noch gefehlt, dass die Scheißkarre kurz vor Feierabend ihren Geist aufgab oder das Ladegut Feuer gefangen hatte. Er griff nach dem Feuerlöscher und sprühte in den Nebel. Flammen konnte er nicht entdecken. Er befürchtete, dass sich dieses Mistzeug aus der Raffinerie selbst entzündet hatte. War das möglich? Er wusste es nicht. Aber so, wie das stank, hätte es ihn nicht gewundert.

Hinter seinem Fahrzeug war ein MX-5 mit geschlossenem Verdeck zum Stehen gekommen. Der Beifahrer stieg aus. Er hatte blaue Gummihandschuhe an den Händen und verschwand im Rauch. Kaum zwei Minuten später kam er zurück, zeigte der Fahrerin triumphierend zwei Kunststoffdosen und stieg wieder ein. Der MX-5 fädelte sich in den Verkehr ein und gab Gas.

»Auch wenn der Rauch nicht schädlich ist, angenehm ist er nicht.«

»Es stinkt erbärmlich«, erwiderte die Fahrerin. »Schreib Datum und Ort drauf, dann kann das ganze ins Labor.«

Proben von dem Material, das aus der Raffinerie kam, hatten wir jetzt. Die Frage war, wie und womit die giftige Fracht gestreckt wurde, damit es in der Tongrube nicht so auffiel, wenn es abgelagert war.

»War sich Hugo eigentlich sicher, dass die Rauchbombe nicht die ganze, gut brennende Ladung abfackeln würde?«, fragte Florian Olga, die am Lenkrad saß und an der nächsten roten Ampel das Verdeck öffnete.