Pannen, Pech und Paul - Susanne Friedrich - E-Book

Pannen, Pech und Paul E-Book

Susanne Friedrich

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Beschreibung

Charlotte will eigentlich nur in Ruhe ihren neuen Krimi fertigschreiben. Doch ihre Freundin Sandra funkt mal wieder dazwischen und zwingt sie mit den Worten "Paul ist weg!" unbarmherzig zurück in die Realität. Denn Sandra hat sich in den Kopf gesetzt, den gutaussehenden Anwalt Paul Wichert zu heiraten. Das Problem: Paul will nicht heiraten. Und schon gar nicht Sandra. Deshalb ist er abgehauen und hat Charlotte mit seiner hysterischen Freundin zurückgelassen. Und als die beiden Frauen ihn schließlich finden, wartet eine Überraschung … 

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Die AutorinSusanne Friedrich wurde 1965 als Kind deutscher Eltern in Indien geboren. Weitere Lebensstationen in Singapur, London, Paris, Sankt Petersburg und Russland folgten. Das Reisen prägte sie von klein auf und schenkte ihr vier Sprachen, genau wie unzählige Erinnerungen. Gesammelt hat sie das Erlebte zu Beginn durch die Linse ihrer Kamera. Ihre Bilder erzählen Geschichten. Später wechselte sie von der Kamera zum Stift und wurde zur Autorin. In ihren Büchern erzählt sie Geschichten mit viel Humor und einem dicken Augenzwinkern. Und genau dieser Blickwinkel kommt bei ihren Lesern an. Die Autorin hat bereits mehrere Romane veröffentlicht. Seit 2007 lebt und arbeitet sie mit ihrer Familie in Berlin.

Das Buch

Charlotte will eigentlich nur in Ruhe ihren neuen Krimi fertigschreiben. Doch ihre Freundin Sandra funkt mal wieder dazwischen und zwingt sie mit den Worten »Paul ist weg!« unbarmherzig zurück in die Realität. Denn Sandra hat sich in den Kopf gesetzt, den gutaussehenden Anwalt Paul Wichert zu heiraten. Das Problem: Paul will nicht heiraten. Und schon gar nicht Sandra. Deshalb ist er abgehauen und hat Charlotte mit seiner hysterischen Freundin zurückgelassen. Gemeinsam machen sich die beiden Frauen auf die Suche nach dem Flüchtigen. Als sie ihn schließlich finden, wartet eine Überraschung … 

Susanne Friedrich

Pannen, Pech und Paul

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Februar 2017 (2)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95818-162-5  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Kapitel 1

Sonnenstrahlen tanzten auf der Wasseroberfläche wie aufgeregte Glühwürmchen. Die zarten Farben des Regenbogens spiegelten sich im Wasserglas, bewegt durch das Wechselspiel von Wind und Wolken.

Charlotte Liebvogel ließ sich nicht lange bitten. Sie folgte nur zu gerne dem Ruf in die Welt der Phantasie. Verzückt saß sie an ihrem Schreibtisch und wohnte dem Schauspiel gedankenverloren bei. So überhörte sie das Geräusch sich nähernder Schritte genauso wie ein deutlich hörbares Schnaufen.

»Paul ist weg!«

Der Ausruf riss Charlotte ruckartig aus ihrer Welt. Sie brauchte einen Moment, um sich in der Realität zurechtzufinden. Mit der Maustaste fuhr sie auf Speichern, lehnte sich zurück und rückte ihre Hornbrille zurecht. An Arbeit war jetzt nicht mehr zu denken. Sie seufzte kaum hörbar und sah auf.

»Wow!«, sagte sie schließlich und sah Sandra aufmerksam an.

»Wow? Das ist alles, was dir dazu einfällt? Mein Verlobter ist wie vom Erdboden verschwunden und du sagst wow?!«

Charlotte lehnte sich tief in den Stuhl zurück, lächelte schwach und ließ Sandra dabei nicht aus den Augen. Die Sache mit der Verlobung. Richtig. Nun, es schien jetzt nicht der passende Zeitpunkt, das Thema zur Sprache zu bringen. Wieder rückte sie ihre Hornbrille zurecht, obwohl sie perfekt saß. Damit ließ sich immer spielend Zeit gewinnen. Und die war in diesem Augenblick bitter nötig.

»Wie wär’s mit einem Kaffee?«, schlug sie vorsichtig vor und erhob sich, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie ging an Sandra vorbei in die offene Wohnküche und hörte, wie der ungebetene Besuch es sich lautstark in ihrem Lieblingssessel bequem machte.

»Die Tür zum Garten war schon wieder nicht verschlossen, ich könnte auch ein Einbrecher sein.«

»Aber du bist keiner.«

»Ernsthaft Charlotte, das ist so was von leichtsinnig. Besonders in der heutigen Zeit!«

Charlotte schwieg. Die Terrassentür ihres Schlafzimmers, die über einen großzügigen Balkon hinunter in den Gemeinschaftsgarten des Mehrfamilienhauses führte, war einer der Gründe gewesen, warum sie die Wohnung in Schmargendorf gekauft hatte. Zugegeben, mit dem Verschließen haperte es öfters, aber bisher hatte noch niemand außer Sandra diesen Weg ungebeten in ihr Zuhause gewählt.

»Also wie gesagt, Paul ist weg. »

»Ich weiß.«

»Charlotte, du treibst mich in den Wahnsinn, ernsthaft jetzt!«

Charlotte füllte zwei Tassen mit Kaffee, fügte für sich selbst reichlich Kaffeesahne hinzu, reichte Sandra ihre Tasse und setzte sich aufs Sofa.

»Riecht gut, wie gelingt er dir immer so perfekt?«

»Ich mache genügend davon, wenn ich schreibe. Übung macht den Meister. Was hast du jetzt vor? Was soll das überhaupt heißen, Paul ist weg?«

»Weg! Verschwunden, nicht mehr erreichbar. Hat sich sozusagen in Luft aufgelöst.«

Charlotte betrachtete Sandra aufmerksam. Sie sah wie immer fabelhaft aus, dachte sie ohne Neid. Ohne Konkurrenz zu empfinden. Männer und Frauen blickten ihr gleichermaßen nach, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Das weibliche Geschlecht stufte Sandra mehrheitlich als Gefahr ein, das männliche als eine Augenweide und mögliche Beute. Sandra freute sich über die verhohlene, neidvolle Aufmerksamkeit der Frauen, es bereitete ihr fast eine teuflische Freude, das wusste Charlotte nur zu gut. Die lustvollen Blicke der Männer ließ sie kühl an sich abgleiten.

»Und nun?«

»Nun weiß ich nicht mehr weiter. Ich störe dich ungern aus dem Blauen heraus, aber ich brauche deinen Rat.«

Charlotte lächelte in sich hinein. Die Aussage war an Unwahrheit nicht zu übertreffen. Sandra nahm auf niemanden Rücksicht.

»Ich denke, Walter wäre der bessere Ansprechpartner, findest du nicht?«

»Walter steckt über beide Ohren in Arbeit. Vor dem frühen Abend brauche ich mir die Mühe nicht zu machen.«

»Ich stecke auch über beide Ohren in Arbeit. Die Rohfassung ist in vollem Gange.«

»Bei dir ist das etwas völlig anderes. Du allein bestimmst über deine Zeit. Zudem bist du eine erfolgreiche Autorin, die Leute reißen sich förmlich um deine Krimis. Der arme Walter muss hoch anstrengende Persönlichkeiten umgarnen, die nur auf sich selbst fixiert sind.«

Charlotte schwieg. Mit Sandra zu diskutieren war reine Zeitverschwendung. Im besten Falle mühselig. Für Walter konnte sie kein Mitleid empfinden. Er ist genauso eine Rampensau wie Sandra, ging es ihr durch den Kopf.

»Ich denke, du tust gut daran, abzuwarten. Paul wird schon wieder auftauchen.« Sie wusste nur zu gut, dass Sandra ihr diesen Schwindel nicht abnehmen würde. Dafür war sie viel zu schlau. Aber einen Versuch war es wert. Charlotte hatte weder die Zeit noch den Nerv für dieses Gespräch.

»Er ist seit knapp einer Woche verschwunden, geht nicht ans Telefon und antwortet weder auf meine Nachrichten noch auf E-Mails. Ich bin fast am Durchdrehen.«

»Verständlich.«

»Ich dachte, du hättest eine Idee, wo er sein könnte, oder besser, was ich tun soll.«

»Wie kommst du darauf, dass ich wissen könnte, wo er ist? Wir sind lose bekannt, und zwar durch dich. Und wie gesagt, Walter wird dich in diesem Fall weit besser beraten können als ich.«

Sandra schwieg einen Moment, leerte ihren Kaffee in einem Zug und nahm Charlotte ins Visier.

»Sag mal, wie siehst du überhaupt aus?« Ihr Ton war unterschwellig tadelnd.

»Sandra, du solltest mich zur Genüge kennen. Wenn ich schreibe, kümmert mich mein Aussehen herzlich wenig.«

»Das, meine Liebe, ist offensichtlich. Nun gut, ich mach los! Bei dem Verkehr werde ich Ewigkeiten brauchen, bis ich bei Walter bin, geschweige denn einen Parkplatz finde. Danke für den Kaffee.«

Charlotte erhob sich zeitgleich mit Sandra, die ihr zerknautschtes T-Shirt, die ausgebeulte Boyfriend-Jeans und die lose hochgesteckten Haare missbilligend begutachtete.

»Ich kenne den Weg, ich überlasse dich wieder deinem Schreibtisch. So kannst du auf keinen Fall vor die Tür. Falls Paul sich meldet, richte ihm aus, dass ich ihn töte, sobald ich die Möglichkeit dazu habe.

Wohl kaum, dachte Charlotte amüsiert und nahm Sandra die Tasse ab. Sie verabschiedete ihren Besuch mit einem müden Winken und war froh, als die Tür ins Schloss fiel. Nachdem sie die Kaffeetassen in die Spüle gestellt hatte, ging sie zum Fenster und sah, wie Sandras Smartphone bereits an ihrem Ohr klebte und sie ungeduldig nach dem Autoschlüssel suchte.

Wohl kaum, dachte sie erneut und kehrte zum Schreibtisch zurück. Wohl kaum. Sandra war eine Meisterin darin, sich Dinge zurechtzubiegen. Für Charlotte stand fest: Einen Mann wie Paul Wichert hält man nicht fest. Auch eine Sandra Meise nicht. Keine Chance. Nicht Paul Wichert. Dreimal nein. Ihn zum Standesamt zu bewegen ist so unmöglich, wie den Papst dazu zu bringen, sich als Buddhist zu outen. Und zwar während einer öffentlichen Ansprache auf dem Petersplatz, wo sonst?

Charlotte kreiste rastlos um ihren Schreibtisch. Sandra hatte sie völlig aus dem Takt gebracht. Und wie so oft eine Mordslust in ihr ausgelöst. Das wiederum war von Vorteil, ihr Protagonist war kurz davor, ein weiteres Opfer verschwinden zu lassen.

Charlotte löste die Haarspange und strich mit ihren Fingern durch ihre Mähne. Vielleicht sollte ich ein Bad nehmen, überlegte sie, die Leiche muss warten. Aber im Kühlschrank ist auch nichts mehr, fiel ihr ein. Gähnende Leere, um genau zu sein. Zeit Mustafa zu besuchen, entschied sie. Die Arbeit hole ich später wieder auf.

Kurzentschlossen steckte sie die Haare zusammen, griff zur Handtasche und ging zur Tür. Zeit die Vorräte aufzufüllen. Mit etwas Glück würde ihr Gemüsehändler sie mit Tee und Gebäck aufheitern.

Sandra trieb der späte Nachmittagsverkehr in den Wahnsinn. Ihren steigenden Unmut ließ sie an einem ihrer Mitarbeiter aus, dessen Jammern nur zaghaft durch die Freisprechanlage des BMWs klang.

»Thorsten, hören Sie auf, sich wie ein Kleinkind zu benehmen, das ist ja unerträglich!«

Rüde nahm sie einer älteren Dame die Vorfahrt und beachtete die Lichthupe nicht, die folgte.

»Nein, ich verspäte mich, also packen Sie die Gelegenheit beim Schopf und beweisen Sie sich endlich als professioneller Mitarbeiter! Sonst überlasse ich die arabische Delegation morgen ganz ihnen.«

Ohne auf das Wimmern, das folgte, einzugehen, legte Sandra auf und versuchte sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Wo verdammt nochmal war Paul? So einen Stunt hatte er noch nie gebracht. Entnervt wählte sie die Nummer seines Büros.

»Wichert und Partner, Sarah Meyer am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?«

Die zuckersüße Stimme der Rezeptionistin trug nicht zur Verbesserung ihrer Laune bei, im Gegenteil.

»Frau Meyer, Sandra Meise, guten Tag. Offensichtlich tun Sie sich schwer damit, meine Rückrufbitte zu Herrn Wichert durchzustellen.«

Der Antwort schenkte Sandra wenig Aufmerksamkeit. Genervt verdrehte sie die Augen und straffte die Schultern. »Wie dem auch sei, bitte richten Sie Herrn Wichert aus, dass ich dringend seinen Rückruf erwarte! Das wäre zu reizend von Ihnen, vielen Dank!« Entnervt kappte sie die Verbindung.

Ein Klopfen an der Fensterscheibe ließ sie aufschrecken. Eine ältere Frau lächelte ihr aufmunternd zu. Widerstrebend öffnete Sandra das Fenster und schenkte der Unbekannten ein kühles Lächeln. Bevor sie etwas sagen konnte, eröffnete die Frau das Gespräch.

»Jetzt passen Se mal uff, meene Puppe: Erst nehmen Se mir die Vorfahrt, dann schaffen Se’s hier alle zu blockieren. So wat kann ick nich verknusen. Also tun Se mir eenen Gefallen, kommen Se aus’m Knick und gehen Se mir nich uff de Ketten, kapiert?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg die Greisin in ihr Auto, legte den Gang ein und ließ eine sprachlose Sandra zurück. Mit offenem Mund starrte sie dem Wagen nach und schluckte schließlich schwer. Wenn Walter jetzt keine Zeit für mich hat, dachte sie, drehe ich durch!

Das Warenangebot sah aus wie gemalt. Das Obst und Gemüse glich dem Stillleben eines holländischen Meisters. Entzückt betrachtete Charlotte die Farben und Formen und wartete geduldig, bis sie an der Reihe war.

Vielleicht sollte die Leiche doch im Fluss verschwinden, überlegte sie, als sie den frischen Knoblauch in Augenschein nahm. Oder doch besser im Wald? Hm. Keine leichte Entscheidung.

»Und, gibt es schon Tote?«, erklang Mustafas Stimme und riss Charlotte aus ihren Gedanken. Sein Lächeln war so erfrischend wie der Anblick der Auslage.

»Mehr als das. Schließlich darf ich meine Leser nicht enttäuschen.«

»Aber diesmal bitte keine Kinderleichen. Das kann ich nicht ertragen.«

»Eine Frau tut, was sie tun muss, Mustafa. Aber ich mache eine Notiz im Hinterkopf, versprochen.«

»Dann bin ich beruhigt. Also, was kann ich dir Schönes anbieten?«

»Der Kühlschrank ist leer.«

»Verstehe. Lass mich machen. Komm, setz dich, ich bring dir erst einmal etwas zur Stärkung.«

Charlotte ließ sich nicht lange bitten, setzte sich auf leere, aufeinandergestapelte Gemüsekisten und lehnte den Kopf an die Wand. Es war herrlich kühl im kleinen Laden. Eine erfrischende Auszeit von der Hitze des Berliner Sommers. Sie schloss die Augen und wartete geduldig.

»Hier, das setzt die Ideen frei.«

Charlotte nahm die frischen Feigen und den Minztee entgegen. Der Duft löste sofort ein Hochgefühl aus.

»Danke, du bist mein Held.«

»Und, wann steigt die Hochzeit deiner besten Freundin?«, fragte Mustafa amüsiert. Er war bereits damit beschäftigt, für Charlotte die passende Auswahl zu treffen.

»Sie ist nicht meine beste Freundin. Und außerdem ist ihr Verlobter verschwunden. «

»Wow!«

»Genau das habe ich auch gesagt.«

»Und jetzt?«

»Gute Frage. Ich habe Sie erst einmal zu Walter geschickt.«

»Schlau von dir. So, ich denke, damit solltest du eine Weile überleben. Genug für frische Salate, Nüsse hab ich dir eingepackt, Joghurt, Käse und alles für eine schöne Gemüsesuppe, am Wochenende wird Regen und Abkühlung erwartet.«

»Perfekt!«

Als sie geraume Zeit später mit ihren Einkäufen zum Auto lief, fühlte Charlotte sich leicht und beschwingt. Sie war zufrieden, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Jetzt konnte die Leiche verschwinden.

Sandra tippelte unruhig mit den Fingern auf ihr Lenkrad. Sie hatte alles geprüft: E-Mail-Eingänge, SMS, Whatsapp, verpasste Anrufe. Nichts. Wieso tut er das, was will er damit bezwecken, fragte sie sich und lehnte den Kopf zurück. Er schmerzte höllisch, sie hatte Ewigkeiten gebraucht, in der Kneesebeckstraße einen Parkplatz zu finden. Es war die reinste Hölle gewesen. Trotzdem musste sie sich noch gedulden. Sie wusste, Walter hatte wichtige Termine bis siebzehn Uhr. Sie brauchte seine volle Aufmerksamkeit. Also wartete sie notgedrungen und tat das, was sie am besten konnte, wenn sie alleine war: sich langweilen.

Sandra konnte nicht nachvollziehen, wie Charlotte die Einsamkeit ihres Schreibtisches der Gesellschaft anderer Menschen vorzog. Kennengelernt hatten sich die beiden während Sandras Ausbildung im Hilton am Gendarmenmarkt. Charlotte war bereits dabei, Karriere zu machen. Kurze Zeit später drehte sie Deutschland den Rücken, um eine Stelle im Ausland anzunehmen, die sie auf der Karriereleiter einige Stufen hochkatapultierte. Charlottes Lücke füllte Walter, den Sandra kurz darauf im Berliner Nachtleben kennenlernte.

Gott sei Dank hat Walter sie nicht in diesem Aufzug gesehen, dachte Sandra und schlug die Augen wieder auf. Nicht auszudenken!

Ein Klopfen an der Scheibe schreckte sie erneut auf. Genervt ließ sie die Scheibe runter und bemühte sich nicht, freundlich auszusehen.

»Sie haben keinen gültigen Parkschein.«

»Richtig. Ich parke nicht, ich stehe.«

»Der Motor läuft nicht. Also parken Sie.«

»Das sehe ich anders.«

»Ziehen Sie nun einen Parkschein oder nicht?«

Nachdem Sandra genervt die Augen rollte und keine Anstalten machte, sich zu bewegen, tippte die Beamtin gelangweilt in ihr Gerät, druckte den Strafzettel aus und reichte ihn ihr.

»Schönen Tag noch.«

Sandra nahm den Strafzettel entgegen, bedachte die Beamtin mit einem bösen Blick, der nicht die gewünschte Wirkung zeigte, und lehnte sich erneut zurück. Was für ein Scheißtag, dachte sie, was für ein absoluter Scheißtag!

Die Hitze ließ in den Abendstunden etwas nach. Charlotte streckte sich und drückte mit der Maustaste auf Speichern. Zufrieden reckte sie die Arme in die Höhe – das Tagespensum war erfüllt, die Leiche verschwunden und der Inspektor ohne Spur. Genau, wie es sein sollte, dachte sie und erhob sich. Sie öffnete alle Fenster, um kühle Luft reinzulassen und entschied sich, nach draußen zu gehen.

Im Gemeinschaftsgarten sah sie das Ehepaar Gowitzki, das einladend winkte. Die Gowitzkis waren Menschen, wie nur Berlin sie hervorbrachte und ein weiterer Grund, warum Charlotte sich zum Kauf der Wohnung entschlossen hatte. Urberliner, Ende der Dreißiger Jahre in diesem Haus geboren und aufgewachsen, Herr Gowitzki im Erdgeschoss und Frau Gowitzki, geborene Hellmann, in der 1. Etage. Freunde von klein auf hatten sie sich in jungen Jahren ineinander verliebt und führten seit fünfzig Jahren eine glückliche Ehe. Beide waren Lehrer im Ruhestand und hatten Charlotte von Anfang an ins Herz geschlossen. Ihre Unterhaltungen führten sie im Treppenhaus, im Garten und wo immer man sich begegnete.

»Na, Kindchen, hat Ihr bunter Vogel sie wieder getadelt, weil die Tür nicht abgeschlossen war?«, fragte Herr Gowitzki mit breitem Grinsen. Seine Frau war damit beschäftigt, den Tisch für das Abendbrot zu decken. »Kommen Sie, jetzt wo die Hitze endlich weicht, ist es Zeit etwas zu essen. Wie ich Sie kenne, haben Sie das Essen beim Schreiben vergessen, habe ich recht?«

Charlotte lächelte und folgte der Einladung bereitwillig. Frau Gowitzki war mit ihrem gedeckten Tisch zufrieden und bat sie, Platz zu nehmen.

»Hier, nehmen Sie den extra Teller. Michael, hol bitte noch Glas und Besteck für Charlotte«, bat sie ihren Mann. »Setzen Sie sich, Kindchen, setzen Sie sich. Was macht das neue Buch? Ich bin schon so gespannt!«

»Ich komme gut voran.«

»Ich wette, der bunte Vogel hat Sie heute Nachmittag aus dem Konzept gebracht, hab ich recht?«, mischte sich Herr Gowitzki ins Gespräch, nachdem er Glas und Besteck für Charlotte zurechtgelegt hatte.

»Nicht mehr als sonst.«

»Sah wieder fabelhaft aus, die Kleine. Das muss man ihr lassen.«

Frau Gowitzki bedachte ihren Mann mit einem amüsierten Blick.

»Allerdings. Trotzdem schafft sie es immer dann aufzutauchen, wenn ich weder Zeit noch Nerven für sie habe.«

»Also immer«, stichelte Herr Gowitzki und fing sich dafür unter lautem Protest einen Seitenhieb von seiner Frau ein. Alle mussten lachen und konzentrierten sich darauf, ihre Teller und Gläser zu füllen. Schweigend genossen sie eine Weile die angenehme Abendluft und das Essen.

»Paul ist weg«, bemerkte Charlotte schließlich beiläufig.

»Das war zu erwarten«, erwiderte Herr Gowitzki wenig erstaunt. »Netter Kerl, ich hab ihn kennengelernt, als er noch ein Hosenscheißer war, damals hat mir sein Vater juristische Hilfestellung geleistet, guter Mann, der Alte. Und der Sohn war ein reizender Bursche. Frech wie Oscar, aber nicht verkehrt, der Kleine.«

»Das wusste ich gar nicht.«

»Ist auch nicht wichtig. Jedenfalls ist er in Ordnung, der Junge. Bietet mir immer noch seine Hilfe an, seitdem er die Kanzlei seines Vaters übernommen hat. Und wenn der den bunten Vogel heiratet, stelle ich mich auf den Kopf und schlage mit den Ohren Schaum.«

Charlotte musste lächeln. Paul Wichert war allseits beliebt, das stellte sie immer wieder fest. Ein liebenswerter Macho, dachte sie und genoss den kühlen Wein.

»Aber nun erzählen Sie mir, was machen die Leichen?«, fuhr Herr Gowitzki fort. »Das Thema interessiert mich viel mehr!«

Kapitel 2

Paul Wichert lag unter dem Schatten eines Schirms und genoss die Aussicht. Die Bucht, die sich vor seinem Auge erstreckte, löste wie immer das gleiche Gefühl bei ihm aus: Ruhe und Gelassenheit. Die Sonne strahlte, vom Strand zu Füßen des Hotels, das etwas erhöht auf einer Klippe stand, drangen Stimmen, Lachen und das Rauschen der Wellen. Möwen kreisten über den Dächern und dem Meer, ihr Kreischen mischte sich unter die perfekte Hintergrundmusik für einen faulen Spätnachmittag am Pool. Paul Wichert räkelte sich genüsslich.

Oh Mann, dachte er, wie hab ich mich nur in so einen Schlamassel hineinmanövriert, fragte er sich zum hundertsten Mal, ohne darauf eine Antwort zu finden. Wie konnte ich nur so fahrlässig sein? Er streckte sich erneut und atmete tief ein. Sein Augenmerk fiel auf eine auffallend attraktive brünette Erscheinung, die bestens ausstaffiert war. Mann, Mann, Mann, dachte Paul, was für ein absolutes Prachtstück!

Das Prachtstück begegnete seinem Blick mit einer unausgesprochenen, offenen Einladung und machte sich daran, genüsslich Sonnencreme auf ihrem üppigen Dekolletee zu verteilen. Paul schloss die Augen, der Anblick war zu viel für seine angespannten Nerven. Als er wieder hinsah, streckte sie sich genüsslich und ausgiebig auf ihrer Liege aus, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.

Oh Mann, dachte Paul, das fehlt mir gerade noch. Ich hab bereits mehr Ärger als mir lieb ist. Seine Gedanken schweiften zu Sandra. Prompt meldete sich sein schlechtes Gewissen.

Die Nacht der Verlobung kam ihm in den Sinn. Eine Verlobung, die eigentlich keine war, dachte er und ärgerte sich erneut. Ein perfektes Date, an dem Sandra wie so oft umwerfend ausgesehen und nicht einmal am Abend gezickt hatte. Eine Meisterleistung an sich. Der Sex, der folgte, war wie immer sensationell gewesen. Und genau das hatte sie, wie so oft, geschickt genutzt, um ihren Willen durchzusetzen.

Paul hatte glücklich und erschöpft im Bett gelegen, als er sie schnurren hörte: »Wirst du eigentlich irgendwann einmal heiraten?« Ein zärtlicher Kuss und Liebkosungen folgten, bis Paul fast am Einschlafen war. »Ich melde mich freiwillig«, hatte sie gehaucht.

Und genau da war es passiert. Paul, fast schon im Halbschlaf, hatte erwidert: »Wenn ich nicht dich heirate, wen dann?«

Für Sandra stand ab diesem Zeitpunkt fest: Paul und sie waren verlobt.

Der Gedanke daran bereitete ihm auch in diesem Moment am Pool körperliche Schmerzen, genau wie bereits im ersten Moment, nachdem er diesen Satz ausgesprochen – oder besser – gemurmelt hatte. Danach war er wieder hellwach gewesen.

Sein zaghafter Versuch, sich aus diesem Missgeschick herauszureden, war durch unerträgliches Zickentheater im Keim erstickt worden. Paul hatte sich schließlich entschieden, die Sache ruhen zu lassen und war in der Hoffnung eingeschlafen, Sandra würde verstehen, dass das Ganze ein pures Missverständnis gewesen war. Fehlanzeige.

Du Vollidiot, schimpfte er sich auch jetzt wieder. Du absoluter Vollidiot! In diesem Moment traf eine SMS auf seinem Smartphone ein. Als er den Namen des Absenders las, drückte er die Nachricht weg. Bisher hatte noch niemand es geschafft, ihn dermaßen in die Enge zu treiben, dass er die Flucht ergriffen hatte. Niemand, außer Sandra.

Als er bemerkte, dass die weibliche Augenweide ihn immer noch im Visier hatte, schnappte er sich kurzerhand sein Handtuch und ging auf direktem Weg in sein Zimmer. Die Lage wird hier definitiv zu heiß, dachte er. Zeit für eine kalte Dusche!

Am Abend stand Paul auf dem Balkon seines Hotelzimmers und genoß den Sonnenuntergang, der die Bucht in zarte Rottöne tauchte. Die Dusche und ein kräftiger Drink hatten ihre Wirkung getan. Stimmen drangen von der Terrassenbar zu ihm hoch, er betrachtete gedankenverloren die unterschiedlichen Hotelgäste, die den Tag dort ausklingen ließen. Als sein Smartphone summte, verdrehte er die Augen. Verdammt noch mal, dachte er, ich will meine Ruhe! Ich muss klar denken können! Doch der Anrufer war eine willkommene Überraschung.

»Harry, du alter Schwede, was gibts?«

»Wollte sehen, wie es dir geht. Und falls du ein schlechtes Gewissen hast, vergiss es! Die Zicke hat es nicht anders verdient.«

Paul lächelte in sich hinein. Er ging zur Minibar, stellte das Gespräch auf laut und begann, sich einen weiteren Gin Tonic zu mixen. Einen doppelten, entschied er. Sicher ist sicher.

»Ich hab dich auf Lautsprecher gestellt«, informierter er Harry. »Zeit für einen weiteren Drink.«

»Bravo, mein Junge. Besser könnte ich es auch nicht machen. Wie ist die Lage?«

»Außer einer Flut von Nachrichten, E-Mails, Anrufen – alles entspannt.«

»Dachte ich mir. Knick auf keinen Fall ein, hörst du?«

Paul begutachtete seine Kreation, kostete, nickte zufrieden und schnappte sich sein Smartphone. Auf der Terrasse angekommen ließ er sich genüßlich im Korbsessel nieder und blickte in den blutroten Himmel.

»Habe ich nicht vor«, gab er schließlich zurück.

»Ganz ehrlich, mein Junge, ich kenne dich, seit wir laufen können und noch nie hat dich jemand so in der Zange gehabt wie diese Zicke. Ich mach mir Sorgen. Auch wenn der Engel, der meine Frau ist, mir sagt, du schaffst das schon. Lass dich nicht verarschen. Sie ist es nicht wert.«

Paul nahm einen weiteren tiefen Schluck und schwieg. Eine Freundschaft wie die ihre hielt längere Schweigemomente spielend aus.

»Ich will einen Weg finden, um ehrenhaft aus der Sache herauszukommen«, sagte er schließlich.

»Dafür hast du die falsche Frau am Hacken, mein Junge. Tut mir leid. Die kämpft mit härteren Bandagen als du. Da hilft nur eins: knock-out.«

Paul seufzte. Er wusste, Harry hatte recht. Und das machte das Ganze nicht einfacher.

»Wie geht es dem alten Herrn«, fragte Harry schließlich. »Hast du ihn schon besucht?«

»Mehrfach. Die Situation ist unverändert. Ich fahre morgen noch einmal zu ihm.«

»Hm. Verstehe. Wann bist du zurück?«

»Am Wochenende. Die Arbeit häuft sich.«

»Gut. Na dann, genieß die letzten Tage und vergiss Konstanzes Geburtstagswochenende nicht. Sonst bist du ein toter Mann. Du weißt, meine Frau macht kurzen Prozess.«

»Ich freu mich schon drauf. Und richte Konstanze aus: Sie ist unvergesslich. Wie sie ausgerechnet einen Typen wie dich heiraten konnte, ist mir bis heute unbegreiflich.«

»Ganz deiner Meinung. Also dann, pass auf dich auf!«

»Mach ich.«

Paul saß schweigend, bis die Dunkelheit ihren Einzug hielt, lauschte dem Rauschen des Meeres und leerte sein Glas. Die Vorstellung an das Wochenende auf dem Gestüt in Gesellschaft seiner Freunde gab ihm Auftrieb. Schließlich entschied er sich, in die Altstadt zu fahren. Tapas im La Boveda waren jetzt genau das, was er brauchte.

Maurice stand auf dem Balkon und war sicher, sich nicht getäuscht zu haben. Die Stimme, die er in der Dunkelheit gehört hatte, war die Paul Wicherts. Kein Zweifel. Sieh einer an, dachte er, allein auf Malle. Und wo war seine Verlobte? Er lächelte hämisch. Wusste ich’s doch. Die Sache wackelte. Zeit, mir bei Walter einen Vorsprung zu verschaffen und ihn wissen zu lassen, wo sich der offensichtlich Abtrünnige befand. Als treuer Mitarbeiter konnte er mit dieser kostbaren Information nur punkten. Zufrieden lächelte er und zog sich entspannt in sein Zimmer zurück.

»Und, was meinst du?«, fragte Konstanze.

»Abwarten, noch ist das Ganze nicht durch.«

»Du musst ihn selbst entscheiden lassen, es ist sein Leben.«

»Ich weiß, aber kampflos überlasse ich dieser Kuh nicht das Feld.«

Konstanze deckte den Tisch in der gemütlichen Wohnküche. Verführerischer Essensduft lag in der Luft. Harry betrachtete dankbar seine Frau. Er wünschte seinem besten Freund nichts anderes, als das gleiche Glück, das er erfahren hatte. Sie sah auf und erwiderte seinen liebevollen Blick.

»Er ist ein großer Junge, er schafft das schon.«

»Genau das ist sein Problem. Er ist ein großer Junge.«

Kapitel 3

Das Nirwana in der Kneesebeckstraße brummte vor Geschäftigkeit. Auch die im Übermaß vorhandenen Buddha-Statuen konnten das hektische Treiben nicht in eine Oase des Friedens verwandeln. Das Geräusch der Föhne und das Geschnatter der Frisöre und Kundinnen ließ die Bedeutung der Namensgebung eines der angesagtesten Salons der Stadt vergessen.

Das sah Walter Frank völlig anders. Er war überzeugt davon, dass seine treuen Kunden genau das bei ihm fanden: Glückseligkeit auf Erden. Nichts rüttelte an dieser felsenfesten Überzeugung. Das machte ihn zu einem wichtigen Spieler der Berliner Promi-Szene.

In diesen Tempel der Selbstverliebtheit stolzierte Sandra Meise erhobenen Hauptes und achtete sorgfältig darauf, dass jeder ihr Eintreten bemerkte.

»Schätzchen!«, erklang der Freudenschrei ihres Busenfreundes und hallte durch den Raum. »Mein Engel, mein Goldstück!«

Köpfe drehten sich, manche mehr, manche weniger dezent, andere verfolgten das Spektakel gekonnt durch die übergroßen Spiegel, während sie vorgaben, vertieft in die Seiten der Gala oder der Bunten zu sein. Nicht wenige der Mitarbeiter rollten unmerklich die Augen und seufzten kaum hörbar. Sandra Meise im Salon hieß im Regelfall Stress, den sie nicht brauchten. Den brachte Walter auch ohne sie mühelos ins Spiel.

»Walter, mein Schatz, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen.«

»Bussi, mein Engel, Bussi.« Gekonnt fuhr er Sandra durch die Haare und brauchte nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen. »Du brauchst dringend eine Haarkur. Aber wie so oft hast du Glück, Herr Dreyfuss und ich sind soweit fertig.« Gnädig lächelte er seinen Kunden an, der Sandras Eintreten wohlwollend verfolgt hatte.

Sandra bedachte den Mann mit einem zuckersüßen Lächeln. Ja, schau nur hin, mein Süßer, dachte sie. So eine Klassefrau bekommst du nicht alle Tage zu sehen. Und dann ab nach Hause zu Mutti, du bist leider zu alt für mich. Schade eigentlich, scheinst ja alles andere als unvermögend zu sein.

Walter geleitete Herrn Dreyfuss galant zur Kasse und übergab ihn fürsorglich in die Hände der Empfangsdame, deren Lächeln genauso zuckersüß wie Sandras war. Herr Dreyfuss warf einen letzten Blick in ihre Richtung und schenkte dann der Mitarbeiterin höflich seine Aufmerksamkeit.

Walter erteilte indessen Anweisungen. »Serge, Frau Meise bitte zu meinem Tisch, danke.«

»Herr Frank, das geht nicht«, versuchte der neue Mitarbeiter ihm zaghaft klarzumachen. »Ihr nächster Termin wird jeden Moment eintreffen!«

»Na, dann zeigen Sie mal, ob es sich lohnt, Sie im Team zu haben. Wenn Sie kein Profi sind, lernen Sie es entweder schnell oder suchen Sie sich eine neue Stelle.«

Ohne ein weiteres Wort ließ er den jungen Mann stehen und winkte eine eingespielte Mitarbeiterin herbei.

»Cheyenne, du sorgst dafür, dass mit Frau Effenberg alles glatt läuft. Und schaff mir diesen Jungen vom Hals, ich kann so nicht arbeiten!«

Cheyenne nickte wortlos und schob den in Ungnade Gefallenen mühelos vor sich her.

»So, mein Engel, jetzt bringen wir dich erst einmal in Form. Lotte, bring uns was zu trinken.« Konzentriert begutachtete er Sandras Haare, die perfekt aussahen. Außer für Walter.

»Ich wollte eigentlich schon vor ein paar Tagen kommen, aber am Ende musste ich doch noch ins Hotel und wie immer alles retten. Eine entsetzliche Woche!«

»Wie grauenhaft! So, jetzt erzähl mir alles! Du siehst nicht gut aus, mein Engel. Muss ich mir Sorgen machen?«

»Paul ist weg.«

»Nein!«

»Schon seit über einer Woche.«

»Und ich erfahre das erst jetzt? Lotte, wo bleiben die Getränke, ich muss dringend etwas trinken, das ist ja nicht auszuhalten! Lotte!«

»Bin schon da«, gab Lotte im gleichen Moment gelassen zurück und reichte den beiden Champagner in eisgekühlten Gläsern.

»Du bist die Beste! Chin-chin, mein Engel! Hach, auf den Schreck brauch ich dringend etwas zur Beruhigung.« Theatralisch fächerte er sich mit seiner freien Hand Luft zu, so, als müsse er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.

»Ich weiß nicht mehr weiter, Walter, so eine Nummer hat er noch nie gebracht.«

Walter saß noch immer und wedelte sich verzweifelt Luft zu, während er ab und an gekonnt am Champagner nippte. Die rosa Farbe des Getränks passte perfekt zu den feinen rosa Streifen seines Seidenhemds und hob dessen Grundfarbe Türkis perfekt hervor. »Grauenvoll«, brachte er zwischendurch zustande, »grauenvoll!«

Sandra nahm ebenfalls einen Schluck Champagner und genoss es, Walters volle Aufmerksamkeit für sich zu haben.

»Also stimmt es, was Maurice mir heute Morgen erzählt hat«, flüsterte Walter schließlich und zupfte den Kragen seines Seidenhemds zurecht.

»Wovon redest du?«

Walter seufzte hörbar und lehnte sich vor, so dass nur Sandra hören konnte, was er sagte. »Maurice kam heute Morgen aus Mallorca zurück. Er hat am Abend im Hotel eine Unterhaltung mitgehört und er ist sich sicher«, hier legte er eine theatralische Pause ein und sah sich vorsichtig um, »dass es sich bei einer der beiden Stimmen um Paul handelte.«

Sandra wurde kreidebleich und nahm einen großzügigen Schluck Champagner. Walter ließ sie nicht aus den Augen und lächelte gequält.

»Komm Schätzchen, lass dich fallen in die Arme des Buddha. Zeit für eine Haarkur!«

Stunden später sahen Sandras goldfarbene Haare noch perfekter aus als sonst, doch ein leichter Schwips brachte ihren Missmut an die Oberfläche und legte einen Schatten über ihr schönes Gesicht, das nun nicht mehr strahlte. Auch ihr cremefarbenes Kleid, das Walter schmeichelnd als einen Hauch von Nichts beschrieben hatte, verlor in diesem Augenblick seine zauberhafte Wirkung auf mögliche Bewunderer.

»Mein Engel«, beschwichtigte sie Walter, »wir finden eine Lösung, glaube mir! Noch ist nicht aller Tage Abend.«

Sandra wollte etwas sagen, kämpfte aber mit einem Schluckauf. Sie kaute immer noch an der Nachricht, dass Paul auf Mallorca war. Wo er doch wusste, wie sehr sie es liebte, dort zu sein. Sie kochte allmählich vor Wut. So eine Demütigung, wie konnte er ihr das nur antun?

»Hier, spül deinen Ärger runter«, sagte Walter entschieden und reichte ihr ein weiteres Glas Champagner. »Ich habe dir immer versucht zu erklären, dass du dir möglicherweise an Paul Wichert die Zähne ausbeißt. Du erinnerst dich?«

Sandra nickte verdrossen und schwieg. Wie ein trotziges Kind saß sie und starrte auf ihre Fingernägel. Ab und an brachte der Schluckauf sie ins Wanken.

»Von dem Tag an, als wir uns das erste Mal gesehen haben, wusste ich, du bist zu Höherem berufen. Du bist das Licht, ein Star!« Überschwänglich streckte er die Hände in die Luft und kippte dabei etwas Champagner aus. Lotte war sofort zur Stelle, um das Missgeschick zu beseitigen. Sie erntete ein dankbares Lächeln ihres Chefs.

»Aber ich will ihn!«

Walter seufzte. »Ich weiß, mein Engel. Und wir finden eine Lösung, glaube mir. So leicht kommt uns der Bursche nicht davon! Chin-chin!«

Sandra lächelte schwach und stieß mit ihrem Freund an. Sie wusste, auf Walter war Verlass. Wenn nicht auf ihn, auf wen dann?

Am darauffolgenden Tag schmerzte Sandras Kopf höllisch. Nicht, dass man ihr das ansah. Ihre perfekte Erscheinung stand der überaus eleganten, sehr kühl gehaltenen Ausstattung des Rezeptionsbereichs in nichts nach. Lächelnd verabschiedete sie zwei wichtige Gäste, die ihren Aufenthalt überschwänglich lobten.

Als sie sich umdrehte und sich kurz zurückziehen wollte, um eine Kopfschmerztablette zu nehmen, kam ihr Vorgesetzter ihr entgegen, der gerade sein Gespräch mit dem Hoteldirektor beendet hatte und ihr per Handzeichen zu verstehen gab, dass er sie sprechen wollte.

»Ah, Frau Meise! Gut, dass ich Sie treffe. Kommen Sie, lassen Sie uns kurz einen Kaffee im Romanischen Café nehmen.«

Du hast mir gerade noch gefehlt, dachte Sandra und nickte dem Direktor lächelnd zu, der den Gruß erwiderte. Gehorsam folgte sie ihrem Vorgesetzten und ließ den banalen Small Talk über sich ergehen.

Die weißen Ledersessel der Einrichtung blendeten sie und verstärkten die Kopfschmerzen. Tapfer lächelte Sandra und ließ sich nichts davon anmerken. Nachdem der Kaffee serviert worden war, kam ihr Gegenüber zum Punkt.

»Sie leisten hervorragende Arbeit, Frau Meise. Wir sind sehr zufrieden.«

»Danke, das freut mich zu hören.«

»Die arabische Delegation war begeistert«, fuhr er fort, »und die Zahlen stimmen uns zufrieden, auch wenn noch Spielraum nach oben besteht.« Gemächlich nippte er an seinem Kaffee und stellte dann die Tasse ab.

»Auch das ist eine positive Nachricht«, erwiderte Sandra geschmeidig und brachte ein vollendetes Lächeln zustande.

»Umso mehr erstaunt es mich, wenn uns zu Ohren kommt, dass Sie diese Woche gleich zwei Mal während der Arbeitszeit nicht auffindbar waren. Das passt weder zu Ihrer Leistung noch zum perfekten Image einer hoch geschätzten leitenden Mitarbeiterin.«

Sandra schluckte schwer und überspielte den Schlag, indem sie einen großen Schluck Kaffee nahm. Ihre Schläfen hämmerten, sie glaubte, ihr Kopf drohe zu platzen.

»Nun«, begann sie, kam aber nicht weit.

»Ich will das Thema nicht hochspielen, Frau Meise, aber ich denke, Sie sind intelligent genug, den Hinweis ernst zu nehmen. Wie pflegen unser Image im Waldorf Astoria wie Sie wissen, und wir schätzen Ihre Arbeit und Ihr erfolgreiches Bestreben, uns weit nach vorne zu bringen. Das steht außer Frage. Aber Sie sollten niemandem eine Angriffsfläche bieten. Besonders Ihrem Team gegenüber dürfen Sie sich niemals diese Art von Blöße geben, ich hoffe, wir verstehen uns?«

Sandra nickte und leerte ihren Kaffee. »Selbstverständlich. Sie können sich auf mich verlassen.«

»Davon gehe ich aus. Ich sehe diesen Vorfall auf Grund Ihrer Leistungen und Ihrer vorbildlichen Karriere bei Hilton als Ausnahme und habe das entsprechend kommuniziert. Ich habe eine weitere Besprechung im Anschluss. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.« Mit diesen Worten erhob er sich, lächelte galant und ließ Sandra allein.

Sandra sah ihm nach, rieb sich die Schläfen und schloss kurz die Augen. Als sie hörte, wie die Bedienung sie fragte, ob alles in Ordnung sei, erhob sie sich, strich den perfekt sitzenden Rock glatt, und bejahte die Frage mit einem freundlichen Nicken. Schäumend vor Wut kehrte sie an ihren Arbeitsplatz zurück.

Das Petrocelli in der Kneesebeckstraße brummte am Samstagmorgen vor Geschäftigkeit. Jeder, der darauf wert legte, gesehen zu werden, hatte sich an diesem regnerischen Tag hier eingefunden. Das bestätigten die in zweiter Reihe geparkten Edelkarossen, die sich wenig um die eifrigen Mitarbeiter des Ordnungsamtes scherten. Der Duft von frischem Kaffee lag in der Luft und Stimmengewirr füllte den Raum.

Sandra hatte sich entschieden, das dominierende Weiß der Inneneinrichtung mit einer übergroßen Sonnenbrille abzuschwächen und ihren angeschlagenen Nerven etwas Ruhe zu gönnen. Die mündliche Abmahnung saß ihr noch in den Knochen. Die perfekt sitzende Jeans, der cremefarbene Seidenpullover, der dezente Schmuck und die eleganten High Heels machten sie zu einem außerordentlichen Blickfang.

»Meine Schöne!«, erklang Walters Jubelruf, »du bist Balsam für meine wunden Augen!«

Mit hocherhobenen Händen schritt er auf sie zu, begrüßte sie überschwänglich mit einem Meer von Küssen und setzte sich erst, nachdem er Sandra ein letztes Mal ausgiebig bewundert hatte.

»Walter, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen!«

Walter drückte liebevoll ihre Hand und schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln. »Wie heißt es so schön? Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es auch nicht das Ende. Oscar Wild, der Held meiner Jugend und mein Lebensretter!«

Sandra lächelte dankbar und spielte mit ihrer Kaffeetasse. Graziös nahm Walter den Latte Macchiato entgegen und lehnte sich zurück.

»Ich kann leider nicht lange bleiben, mein Engel, wir haben heute Ausnahmezustand.« Sein vielsagender Blick erläuterte das Unausgesprochene. Walter Franks Diskrektion war ein wichtiger Teil seines Erfolgs.

»Verstehe. Paul hat sich gemeldet.«

»Ach, ja?« Walter saß plötzlich wieder kerzengrade. »Und? Spann mich nicht auf die Folter!«

Sandra schob ihr goldenes iPhone über den Tisch, damit ihr Freund die Nachricht lesen konnte:

Ich melde mich, sobald ich kann. Paul.

Mit einem lauten Schnaufen lehnte sich Walter zurück und nahm einen kräftigen Schluck. »Sehr gesprächig«, befand er schließlich.

Sandra verzog das Gesicht und war froh, dass die Sonnenbrille ihre übernächtigten Augen verdeckte. »Kann man so sagen.«

»Ich gebe dir jetzt folgenden Rat, mein Engel: mach dich rar, lass ihn auf dich zukommen, alles andere lässt dich bedürftig aussehen. Das hast du nicht nötig.«

»Vielleicht hast du recht. Ich muss mich auf meinen Job konzentrieren, die Abmahnung letzte Woche ist glimpflich verlaufen, aber ich brauche keinen Nachschlag.«

»Sehr vernünftig. Weißt du denn, wem du diese Rüge verdankst?«

»Ich glaube schon. Und er sollte sich besser warm anziehen.«

»Richtig so. Quetsch ihm gehörig die Eier, er hat es verdient.«

Sandra lächelte, der Gedanke gab ihr Auftrieb. Zaghaft begann sie, den Frühstücksteller in Angriff zu nehmen. Walter tätschelte aufmunternd ihre Hand.

»So ist es gut, meine Schöne! Jetzt stärkst du dich erst einmal und dann ist es Zeit für etwas Seelenbalsam: Shoppen! Schätzchen, ich muss los, Bussi!«

Nach einer überschwänglichen Verabschiedung blieb Sandra noch etwas sitzen und schaute hinaus in den trüben Nieselregen. Die bewundernden Blicke der männlichen Besucher ignorierte sie. Walter hat recht, überlegte sie. Zeit, sich rarzumachen. Die Nachricht, die sie Paul als Antwort hatte schicken wollen, löschte sie und verstaute ihr iPhone sorgfältig in ihrer Designerhandtasche.

Das Budapester Schuhe (ist eine Eigenname!) erfreute sich wie so oft an regnerischen Samstagen großer Nachfrage. Was half besser an einem so trüben Tag als ein Paar neue Schuhe? Sandra nahm die Angelegenheit ernst und saß auf einem Sofa, umzingelt von einer Auswahl an Schuhen und ihrem Lieblingsverkäufer, der sich alle Zeit der Welt für sie nahm. Ihre Laune stieg mit jedem weiteren Paar, das sie anprobierte.

»Die Wahl wird schwer heute, sie sind alle perfekt.«

Verträumt betrachtete sie die Modelle von Jimmy Choo, Christian Dior und Dolce & Gabbana, die ihr sogar einen Seufzer entlockten.

»Ich bringe dir erst einmal einen Kaffee, nimm dir Zeit«, bemerkte der Verkäufer.

Dankbar nahm Sandra den Vorschlag an und lehnte sich zurück. Zufrieden stellte sie fest, dass ihr Aussehen das aller anwesenden Frauen mühelos schlug. Die pikierten Blicke der weiblichen Kundschaft bestätigten das. Und ein Blick nach draußen zeigte, dass sie sich mit ihrem Einkauf Zeit lassen konnte. Es regnete mittlerweile in Strömen. Freudig nahm sie den Kaffee entgegen, den der Verkäufer ihr reichte.

»Danke, du siehst erholt aus«, bemerkte sie beiläufig.

»Bin ich! Die Woche auf Mallorca hat mir gut getan, das Wetter war perfekt! Durch Zufall saß ich im Flieger direkt neben deinem Verlobten. Er ist ja so charmant, ein überaus angenehmer Gesprächspartner. Ich nehme an, du hattest im Hotel zu viel Arbeit, um mitzufliegen?«

Die Bemerkung versetzte Sandra einen vehementen Stich, den sie mit einem bezaubernden Lächeln überspielte. »In der Hauptsaison ist an Urlaub nicht zu denken!«, zirpte sie und nippte an ihrem Espresso. Es ist schon erstaunlich, dachte sie, wie jeder in der Stadt weiß, wo mein Verlobter ist, außer mir.

»Das meinte Paul auch. Deine Abwesenheit wurde spürbar vermisst, wenn dich das tröstet.«

»So soll es sein.« Sandra lächelte erhaben und betrachtete die Schuhe erneut. Sie hatte sich entschieden: Christian Dior trug den Sieg davon. »Ich nehme diese.«

»Ausgezeichnete Wahl! Damit siehst du unwiderstehlich aus. Die perfekte Symbiose von sexy und elegant!«

Er machte sich daran, die Schuhe zu verstauen, und begleitete Sandra galant zur Kasse, nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte. Fürsorglich geleitete er sie nach geleisteter Zahlung zur Tür und hielt sie auf.

»Danke, du warst wie immer perfekt.«

»Stets zu Diensten, meine Liebe. Und das meine ich in deinem Fall auch so. Viel Spaß beim Wiedersehen, ihr Turteltauben!«

Sandra lächelte, spannte den Schirm auf und trat erhobenen Hauptes auf den Kudamm. Den werde ich haben, schwor sie sich. Den werde ich haben!

Kapitel 4

Der Schlachtensee lag in der Stille der Morgenstunden. Vereinzelt drehten Jogger ihre Runden, die Erde war nass von den Gewittern der vergangenen Tage. Charlotte atmete tief ein, sie liebte den Duft von Regen, der in der Luft lag. Er erfüllte sie mit einem beflügelnden Gefühl der Ruhe. Sie dehnte ihre verspannten Schultern und erwog für einen Augenblick, es den eisernen Rentnern mit ihren bunt gestreiften Handtüchern und Plastikbadeschlappen gleichzutun und in dem kühlen Nass des Sees zu baden. Er strahlte einen unglaublichen Frieden aus. Die sich schnell sammelnden Wolken ließen sie die Idee verwerfen.

Erneut atmete sie tief ein, zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Arbeit der letzten Tage. Sie hatte wie eine Besessene geschrieben. Ihr Protagonist hatte es mit einem Berg voller Leichen zu tun und hatte immer noch keine wirkliche Spur. Charlotte lächelte in sich hinein und dachte zurück an die Zeit, als sie sich entschieden hatte, die erfolgreiche Hotelkarriere an den Nagel zu hängen und ihr Glück als Autorin zu versuchen.