Papa ruft an - Bastian Bielendorfer - E-Book
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Papa ruft an E-Book

Bastian Bielendorfer

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Beschreibung

Wenn die Floppy-Disks nicht in den CD-Spieler passen wollen und weder die Nachbarschaft noch Apples Siri jemals wieder mit Vater sprechen möchten, dann muss Bastian dran glauben. Nachdem das Lehrerkind bereits seine Mutter fit gemacht hat fürs Weppzwonull, ist nun Vater dran – und der zahlt es dem Sohn mit ungebetenen Ratschlägen zurück. Denn auch jenseits der Dreißig gelingt es Bastian kaum, die Familienbande zu entwaffnen – vor allem, weil Vater Bielendorfer auch noch Schützenhilfe am Rotstift bekommen hat: Neffe Ludger ist zwar erst zwölf, er hält seinen Babysitter Basti aber so auf Trab, dass man am Ende nicht mehr weiß, wer hier eigentlich auf wen aufpasst …

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Für Mama und Papa,ihr seid für immer mein Zuhause.

ISBN 978-3-492-97565-0

© Piper Verlag GmbH, München 2017

Covergestaltung: Mina Entertainment GmbH, N. Bielendorfer

Covermotiv: © Guido Engels (Fotos)

Datenkonvertierung: Eberl & Kœsel Studio GmbH

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Inhalt

Wenn der Vater mit dem Sohne ...

Der Aufzug

Papa wird alt

Seiber Seel

Ein Name wie ein Urteil

Ludger I

Der Heizpilz

Die Reinigungsdame

Das Familiengeheimnis

Ludger II

Die Inselbegabung

Otto süss-sauer

Der Messias zu Pferde

Mein schlimmstes Urlaubserlebnis: Der Reiterhof

Die Rückrufaktion

Vater, der Survivalexperte

Ludger III

Das Schampong

Der Apple fällt nicht weit vom Stamm

Papa, der Kosmopolit

Ludger IV

Mein schlimmstes Urlaubserlebnis: Der Zelturlaub

Ludger V

Der Scart-Club

Traumata frei Haus

Mein schlimmstes Urlaubserlebnis: Antalya ist nicht New York

Der beste Stein aller Zeiten

Ivan, der Brauser

Mein schlimmstes Urlaubserlebnis: Quallen unter sich

Rache ist Word Art

Hochgebockt

Wenn der Sohne mit dem Vater ...

Danksagung 

Wenn der Vater mit dem Sohne ...

Die Sonne scheint über Gelsenkirchen. Ein Paradoxon, würde der Dichter sagen.

»Schön«, sagt dagegen Vater, als er den Kopf aus dem Fenster streckt und zufrieden unseren Vorgarten betrachtet.

Mein Mops Otto und ich sind bei meinen Eltern zu Gast und liegen noch müde auf der Gästecouch. Der Hund und ich haben einen ähnlichen Biorhythmus: Wir schlafen mehr, als wir wach sind, und wenn wir wach sind, wünschen wir uns zu schlafen.

»Sohn, steh auf, die Hunde müssen auch mal raus«, sagt Vater und steht mit Maja an der Leine vor uns.

Otto lehnt diese kühne Behauptung klar ab und rollt sich auf dem Sofa zusammen. Anders als Maja, der neue Hund im Hause Bielendorfer senior, der freudig mit dem Schwanz wedelt. Meine Eltern haben Maja aus dem Tierasyl geholt, nachdem sie auf einer polnischen Müllkippe aufgewachsen ist, sich von Abfall ernährt hat und schließlich von Tierschützern gerettet wurde. Ein ziemlich großer, toller Hund mit wachen Augen und einem freundlichen Gesicht, der mich oft scheinbar verwundert über sein Schicksal ansieht, wenn er bei Mutter auf dem warmen Sofa sitzt, mit homöopathischen Globuli gefüttert wird und sich täglich sein Essen aus vier verschiedenen Sorten Leberpasteten aussuchen darf.

»Oh, Papa, es ist doch noch viel zu früh«, quake ich und schirme meine Augenschlitze gegen das einfallende Tageslicht ab.

»Papperlapapp! Wir haben bereits die dritte Stunde!«, sagt Vater, der den Tag immer noch in Schulstunden einteilt. Ein bisschen wie ein ehemaliger Weltkriegskapitän, der beim Mittagessen immer »Nun haben wir Zwölfnullhundert« brüllt.

Wenige Minuten später stehen wir auf dem Hof vor unserer Garage. Fünfzig Quadratmeter deutsches Ordnungsparadies. Ein halb beglatzter Nachbar kniet vor unserem Gartentor und kratzt akribisch das Unkraut aus den Pflasterritzen. Das Leben kann ohne solche Aufgaben auch verdammt lang werden.

»Hallo, Walter!«, grüßt mein Vater und winkt. Der Mann richtet sich kurz auf und mustert mich. Er hat mich wohl zuletzt als Kind bewusst wahrgenommen und ist entsprechend erschrocken, einen Feingeist gefangen im Körper eines adipösen Wikingers vorzufinden.

»Hat der Gallenreiter schon den neuen Streuplan aufgehängt?«, fragt Vater. Der Mann verneint.

»Dann muss ich wohl einen Brief schreiben, wir haben ja schon September, da kann es bald glatt werden.«

Im Nachbarschaftskrieg benutzt man Leuchtspurmunition in Form von Briefen, damit man weiß, woher der Angriff stammt. Norbert Gallenreiter ist der direkte Nachbar meiner Eltern, Intimfeind und anscheinend nachlässig, was die Winterstreupläne angeht. Könnte allerdings auch daran liegen, dass es September ist und wir in kurzen Hosen auf dem Hof stehen.

Großherzoglich nickt mein Vater dem Unkrautkriecher zu und wir gehen die Straße meiner Kindheit entlang, an die ein kleiner Wald grenzt.

»Hast du schon eine Rede für deine Hochzeit geschrieben, Sohn?«, fragt Vater, während Maja in den Rosenbüschen des verhassten Gallenreiters schnüffelt.

»Na ja ... noch nicht wirklich«, antworte ich kleinlaut. Ich bin Westfale, öffentliche Liebesbekundungen fallen mir genetisch bedingt eher schwer. Wir können traditionell gut schweigen und sitzen. Jeder hat seine Stärken.

»Dir wird schon was einfallen. Sei froh, dass du so eine tolle Frau bekommen hast«, sagt Vater und zieht Maja ein paar Zentimeter zurück in die Rosenbüsche. »Schön hier machen, Kleine«, sagt er und tätschelt Majas Kopf.

»Papa! Die kann doch nicht da hinmachen!«, insistiere ich.

»Und wie die kann ... da kommt es schon«, sagt Vater mit geradezu kindlicher Freude, weil der Hund gerade seinem Intimfeind Gallenreiter auf den Rasen gekackt hat.

»Und jetzt?«, frage ich.

»Jetzt laufen wir!«, sagt Vater und erhöht sein Schritttempo.

Wer den Streuplan nicht früh genug aufhängt, der wird zugeschissen.

Wir kommen am Ende der kleinen Spielstraße an. Ich bin mehr außer Atem als Vater. Wahrscheinlich hat er Majas Guerilla-Kacken schon so oft durchgeführt, dass er Kondition aufgebaut hat.

»Sohn, man darf sich im Leben nicht von anderen reinpfuschen lassen, da muss man zurückschlagen.«

»Papa, es ist nur ein Streuplan.«

»Heute ist es ein Streuplan, morgen die ganze Welt. Man muss seinen Weg gehen!«, sagt Vater und richtet sich dabei stolz auf.

»So, jetzt durch den Wald?«, frage ich. Otto neben mir japst, wir sind für solchen Frühsport nicht gemacht.

»Nee, Maja will linksherum, siehst du?«, sagt er und lässt sich seinen Arm fast auskugeln von der Zugkraft des Straßenhundneuzugangs.

»WIEBITTE? Der Hund geht ja wohl da lang, wo DU hin willst!«

»Das hatten wir schon, das klappt nicht«, erwidert mein Vater, der mir eben noch eine beeindruckende Brandrede auf die Freiheit gehalten hat.

»Aber es ist doch ein Hund!«

»Trotzdem, ich kann sie ja nicht zwingen«, sagt Vater.

Otto schaut mich irritiert an, so viel Mitbestimmungsrecht verwirrt ihn. Normalerweise geht er dort lang, wo ich langgehe. Das Konzept hat sich bewährt. Bevor er auch noch eine Revolte vom Zaun bricht, lenke ich ein und akzeptiere, dass Vaters Verständnis von »Du musst deinen Weg gehen« eher elastisch ist.

»Gut, dann da lang«, sage ich.

Wir laufen an einer alten Kohlehalde vorbei.

»Lässt du Maja eigentlich auch mal frei laufen?«

»Deine Mutter möchte das nicht. Sie hat Angst, dass Maja abhaut.«

»Ach Papa, der Hund ist doch total auf euch geprägt, die haut doch nicht ab! Das wäre ja bekloppt, wer würde denn freiwillig euren Robinson Club für Vierbeiner verlassen, den ihr gratis anbietet?«

»Meinst du?«

»Ja klar, schau mal, wenn ich Otto die Leine abnehme, ist er viel entspannter.« Ich löse Otto vom Halsband, und er springt vergnügt durch die Pfützen, die sich entlang des alten Zechenwegs gebildet haben.

»Na ja ... man kann es mal versuchen«, sagt Vater und löst Maja von der Leine.

Sie schaut ihn an, schaut mich an – und donnert dann mit Vollgas in das angrenzende Unterholz, in dem sie mit einem lauten »Schlömp« verschwindet.

»Scheiße«, sagt Vater.

»Scheiße«, sage ich.

Der Hund ist weg, wir laufen den Zechenweg entlang und brüllen: »Maaajaaa ... Maaajaaa.«

Otto schaut uns dabei irritiert zu.

Ohne Maja nach Hause zurückzukehren ist keine Option. Lieber werfen wir uns gemeinschaftlich vor den nächsten Bus, das wäre sicherlich die schmerzfreiere Version von dem, was Mutter uns antut, wenn sie erfährt, dass wir den Hund verloren haben.

Plötzlich taucht Maja aus dem Unterholz wieder auf. Sie schaut uns unschuldig an.

»Meine Güte, Maja!«, seufzt mein Vater voller Erleichterung, gerade noch dem heimischen Würgegriff entkommen zu sein.

Plötzlich sehe ich, dass Maja etwas in ihrem Maul trägt. Ihre gespreizten Lefzen sehen fast so aus, als würde sie uns anlächeln.

»Eine Ratte!«, brülle ich erschrocken, als ich erkenne, was da schlaff und pelzig in Majas Mund hängt. »Ist die tot?«

Vater starrt seinen Hund ebenso erschrocken an wie ich, selbst Otto weiß nicht, was er dazu sagen soll, er würde niemals etwas jagen und fressen. Wenn die Futterdose auf die Idee käme, sich zu wehren, würde er wohl lieber den Hungertod sterben.

»Ich denke, die hat dem Fährmann Charon bereits die Münze gegeben«, sagt Vater reichlich pathetisch. Ob Ratten wirklich den Styx überqueren müssen, halte ich für sehr fraglich.

»Auuuus, Maja! Auuuus!«, zieht Vater seine Vokale lang, geht dabei in die Knie und breitet seine Arme beschwichtigend aus, was ein bisschen wie ein russischer Volkstanz aussieht.

Maja macht tatsächlich Platz und mustert mich und meinen Vater irritiert. Dann öffnet sie den Schlund und schluckt die komplette Ratte in einem Haps herunter wie ein behaarter Tyrannosaurus Rex.

»Scheiße«, sagt Vater.

»Scheiße«, ergänze ich.

»Was machen wir denn jetzt?«, frage ich ihn, und er erwidert ziemlich schnell: »Jetzt laufen wir!«

Als wären wir in einer Zeitschleife gefangen, beginnt er wieder zu rennen, wuchtet dabei aber diesmal Maja auf den Arm. Ich packe Otto ebenfalls. Wir sehen wahrscheinlich aus wie zwei geisteskranke Hundekidnapper, wie wir da mit den Hunden unter dem Arm in die Spielstraße zu unserem Haus einbiegen.

»Wir müssen sofort zum Tierarzt«, sagt Vater und setzt Maja auf den Rücksitz des Autos, das zum Glück außerhalb von Mutters Sichtweite geparkt ist. »Wenn deine Mutter das rauskriegt, sind wir einen Kopf kürzer!«

»WIR?«, frage ich, bis mir wieder einfällt, dass ich meinen Vater ja ermutigt hatte, Maja laufen zu lassen.

»Wir müssen uns beeilen, vielleicht kann der die da noch rausholen. Man kann ja gar nicht wissen, was für Krankheiten so ein Viech in sich trägt.«

Wir rasen zum Tierarzt. Als wir dort aufschlagen, steht gerade eine Oma mit einer Kiste an der Rezeption.

»Hansi ist irgendwie nicht in Ordnung«, sagt sie, während man aus der Kiste nur ein lautes und deutliches »Arschloch! Du Arschloch« hört.

Entweder hat die Frau einen kranken Papagei oder einen sehr kleinen und vulgären Enkel in der Kiste.

Vater und ich stürmen die Praxis wie die GSG 9, wobei wir uns vom Überfallkommando dadurch unterscheiden, dass wir keine Maschinengewehre tragen, sondern Mischlingshündin Maja, die recht verdutzt auf die anderen wartenden Herrchen und Frauen herabblickt.

»Es ist ein Notfall!«, ruft Vater und rennt an der Rezeption vorbei direkt ins Zimmer des Arztes, der sich gerade über ein Meerschweinchen beugt.

»Ich operiere!«, beschwert er sich.

»Egal, was es kostet, helfen Sie uns«, brüllt Vater.

Hier wird heute große Theatralik geboten – ungewöhnlich für einen Mann, der meine Geburt der Legende nach mit den Worten »Gute Sache« kommentiert hat.

Der Arzt sieht genervt von den winzigen Hoden seines kleinen Patienten auf, die er gerade mit einer Klemme fixiert. »Was ist denn?«

»Der Hund hat eine Ratte verschluckt! EINERATTE!«

»Und ich soll Ihnen jetzt helfen?«

»Ja!«, brüllt Vater. »Was sollen wir denn jetzt machen?«

»Reichen Sie ihm halt eine Serviette«, sagt der Arzt und besinnt sich wieder darauf, das arme Meerschweinchen zu kastrieren.

»Was?«, erwidern Vater und ich fast zeitgleich.

»Es gibt kaum eine bessere Mahlzeit für den Hund als so eine Ratte. Haut, Knochen, Innereien, da ist alles drin, was der Hund braucht«, sagt der Mann seelenruhig und vollendet den finalen Schnitt, der aus Meerschweinchenbulle Meerschweinchenbully macht.

»Und wir können nichts tun?«, schiebt Vater unsicher hinterher, vielleicht haben wir den Mann ja falsch verstanden.

»Doch, Sie können 52,50 Euro für die Beratung dalassen, so viel kostet der Besuch meiner Sprechstunde«, antwortet der Tierarzt und verweist uns mit einem ernsten Blick des Raumes.

Als Vater und ich zu Hause ankommen, schaut uns Mutter fragend an.

»Wo wart ihr denn so lange?«, will sie verständlicherweise wissen, der Blick auf die Uhr verrät, dass wir fast drei Stunden weg waren. Wenigstens ist das Rudel inzwischen wieder komplett: Otto und die Rattenfresserin trotten hinter uns ins Wohnzimmer.

»Ach, wir sind mal eine andere Route gegangen«, lüge ich nicht gerade gekonnt. In der Zeit wäre man in etwa einmal nach Bochum und zurückgelatscht.

»Ja ... wirklich schön ... am See«, ergänzt Vater.

Manchmal sollte man lieber die Klappe halten.

»Welcher See denn?«, fragt Mutter sofort misstrauisch, denn wir wohnen in Gelsenkirchen, nicht an der Mecklenburgischen Seenplatte.

Plötzlich hören wir ein polterndes Husten aus der Ecke, Maja hinter uns klingt, als hätte sie ihr Lebtag in einer Eisenerzmine gearbeitet.

»Ist alles gut mit Majalein?«, fragt Mutter, inzwischen höchst misstrauisch.

»Klar, alles super!«, sage ich, beuge mich zum Hund runter, hebe den hervorgewürgten Rattenschwanz auf, verberge ihn hinter meinem Rücken und schiebe lächelnd ein »Alles wunderbar« hinterher.

Der Aufzug

Was für ein ätzender Tag. Dauerregen und Stau  in der Innenstadt, der aus einem Kilometer eine gefühlte Marathondistanz macht. Auf den einzigen drei Metern freier Strecke bin ich auch noch geblitzt worden. Und ich muss schon seit dem Losfahren aufs Klo. Dazu hat Otto heute seine dollen fünf Minuten – seit genau drei Stunden am Stück. Endlich zu Hause angelangt, versuche ich, ihn in den Aufzug zu bugsieren, er aber zieht an der Leine und bleibt vor der Tür des Aufzugs sitzen, ich stehe hingegen bereits drin. Kurz bevor unser Mops von den schließenden Türen geköpft wird, hämmere ich auf den Notausschalter des Aufzugs und löse damit offensichtlich einen Kurzschluss aus. Plötzlich ist es dunkel. Otto kratzt von draußen an der Aufzugstür, ihm geht es zumindest schon mal gut. Ich drücke die Notruftaste. Einmal, fünfmal ... doch es tut sich gar nichts. Der Kurzschluss hat wohl auch den Notruf lahmgelegt, geniales System. Da klingelt auch noch mein Handy.

»Na, Spatzilein, alles gut bei diöööö?«

»Geht so, Mama. Es passt gerade nicht so gut.«

»Robert, hörst du, wir stören schon wieder!«

»Mama ... es ist gerad ...«

»Eine Mutter stört NIE, Bastian ... ich hab’s ihm gesagt, Robert.«

»Mama ...«

»Da ruf ich mal an, und schon stört es wieder! Denk mal dran, wer dich zur Welt gebracht hat!«

»Mama!«

»Das ist richtig, Sohn!«

»Ich stecke im Aufzug fest.«

»Wie?«

»Wie wie? Ich stecke im Aufzug, und der Hund sitzt draußen vor der Tür!«

»Das trifft sich gut, gib mir den Hund mal.«

»Geht nicht, hab doch gerade gesagt, dass der vor der geschlossenen Fahrstuhltür sitzt.«

»Der Hund sitzt vor der Tür?«

»Sag ich doch.«

»Und er ist eingeschlossen?«

»Hä?«

»Ich übersetze nur für deinen Vater.«

Ich komme mir vor, als würde ich mit meinem Echo sprechen.

»Stell doch auf laut.«

»Geht nicht, ist kaputt.«

Kaputt heißt, dass Mutter vergessen hat, welcher Knopf der richtige ist.

»Können wir vielleicht später telefonieren? Ich muss jetzt hier mal den Notdienst rufen.«

»Notdienst? Warum das denn?«

»WEIL ICH IM AUFZUG FESTSITZE!«

»Drück doch die Notruftaste.«

»Das habe ich getan, mittlerweile zehn Mal, aber da passiert nix.«

»So was passiert auch nur dir, Bastian.«

»Was ist das denn für ein bescheuerter Vorwurf? Ich hab mir das doch nicht ausgesucht!«

Seit ich klein war, höre ich dieses »Das passiert auch nur dir« ständig von meinen Eltern. Als hätte ich ein Patent auf unvorhersehbare Notsituationen. Als ich mir mal ein Bein brach, sagten sie, obwohl es statistisch kompletter Blödsinn ist: »Das passiert auch nur dir!« Als ich mal einen kompletten Urlaub lang Magen-Darm-Grippe hatte, hieß es: »Das passiert auch nur dir!« Und als meine erste Freundin nach der Trennung lesbisch wurde, hieß es das auch. Im letzten Fall hatten sie wahrscheinlich leider sogar recht.

»Ach ja, weißt du eigentlich, was heute ist?«

»Keine Ahnung? Weltaufzugstag?«

»Ottos Geburtstag! Der 22. 9. ist Ottos Geburtstag.«

»Ach, wirklich?«

Ich glaube, es gibt direkt nach dem Namenstag von Tante Renate kaum einen Festtag, der für mich weniger Bedeutung hat.

»Natürlich, Otto ist Jungfrau, das merkt man gleich.«

»Mutter, bitte. Sollen Sternzeichen jetzt auch noch für Hunde gelten?«

»Man nennt es nicht umsonst Tierkreiszeichen, Bastian.«

»Da kommt das sicher nicht her, Mama.«

»Du verstehst ja auch keine Ironie, Bastian. Hast du das Paket denn schon bekommen?«

»Was denn für ein Paket?«

»Mein Gott, für Ottos Geburtstag!«

»Mama, Ottos Geburtstag ist uns relativ egal.«

»Tja, das sieht dir ähnlich.«

»Ihr habt doch um MEINEN Geburtstag auch nie Aufhebens gemacht, ihr habt immer nur gesagt, dass geboren werden keine Leistung ist.«

»Aber hier geht es doch um den Hund, nicht um dich!«

Unglaublich, wie meine Eltern Prioritäten setzen. Vor der Tür höre ich die liebenswerte Oma, die unter mir wohnt, Frau Schürhuf, sie ist offensichtlich gerade vom Einkaufen zurückgekommen und will in den Aufzug steigen, vor dem aber nur ein verdutzter Otto sitzt.

»Huhu, ist da wer?«

»Ja, ich, Bielendorfer.«

»Wer?«

»BIELENDORFER ... aus dem vierten Stock ... ich sitze im Aufzug fest.«

»Aha. Ist das Ihr Hund?«

Überall Schnellmerker um mich herum. Mutter am Telefon, Frau Schürhuf vorm Aufzug – ich komm mir vor wie beim Demenztreff im Altersheim.

»Ja, das ist Otto. Den kennen Sie doch!«

»Gehört der hierhin?«

»Nein, natürlich nicht, der steht nur noch draußen.«

»Der ARME!«, echot meine Nachbarin meiner Mutter nach, die immer noch im Telefon etwas von Tierkreiszeichen redet.

Und warum sagen eigentlich alle »der Arme«? Ich sitze doch in diesem dunklen, blöden Aufzug fest!

»Ich nehm den mal mit, bis sich das mit Ihnen geklärt hat, ja?«

»Jaja, machen Sie mal.«

Was heißt denn hier geklärt hat? Ich bin doch hier nicht beim Tropenmedizinier oder bei der Musterung. Ich sitze im Aufzug fest, unverschuldet!

»Da müsste vor dem Aufzug ein Schild mit der Notfallnummer sein. Können Sie mal gucken?«

»Oh, da muss ich meine Brille holen.«

Ich will noch »Neeeein« brüllen, aber da höre ich schon, wie Frau Schürhuf mit ihren Omapumps in den dritten Stock stiefelt. Bis sie vom Erdgeschoss dahin und wieder zurückgetrippelt ist, verglüht die Sonne. Wenigstens nimmt sie Otto mit, der war bisher der Einzige, der sich hier aufrichtige Sorgen um mich gemacht hat.

»Was ist denn jetzt, Sohn? Kannst du Otto mal das Telefon hinhalten?«

»Ich sitze im Aufzug fest!«

»Ja, er sitzt im Aufzug fest, Robert«, spielt meine Mutter wieder Stille Post im Hintergrund.

»Das passiert auch nur dem!«, antwortet mein Vater nur.

Langsam wünsche ich mir, dass der blöde Aufzug einfach abstürzen und mich in die Tiefe reißen möge. Obwohl »Tiefe« wohl ein ziemlich übertriebener Begriff für das unter mir liegende Kellergeschoss ist. Wahrscheinlich würde ich nur eineinhalb Meter absacken, mir dabei ein Bein brechen, und meine Eltern könnten dann behaupten: »Das passiert auch nur dir, Bastian.«

»Jetzt reg dich doch nicht so auf. Das Wichtigste ist, immer ruhig bleiben, Sohn!«

»Mama, es ist dunkel.«

»Warum denn dunkel?«

»Der STROM ist aus, verdammt noch mal!«

»Ruhig bleiben, Sohn.«

»Es ist dunkel, meine greise Nachbarin stakst gerade drei Stockwerke hoch, stranguliert auf dem Weg wahrscheinlich den Hund, und ich muss schon seit ich eingestiegen bin aufs Klo.«

»Warum stranguliert die denn den Hund, der hat doch Geburtstag!«

»Das war doch nur so dahergeredet. Ich muss aufs Klo, Mama.«

»Jetzt muss der Junge auch noch aufs Klo«, informiert meine Mutter meinen Vater, der wahrscheinlich gerade mit der Tageszeitung am Küchentisch sitzt.

»Das passiert auch nur dem!«, ist seine lapidare Antwort.

Ich bin kurz davor, komplett auszurasten. Und mich einzunässen.

»Hallooo? Sind Sie noch da?«, höre ich Frau Schürhuf vor der Tür rufen. Sie hat es wahrhaftig in der Rekordzeit von zwei Basti-Wutanfällen wieder ins Erdgeschoss geschafft. Ihre Frage ist natürlich kompletter Blödsinn. Wo soll ich denn schon hingegangen sein?

»Ja, klar bin ich noch da. Steht da an der Tür irgendwo eine Telefonnummer?«

»Ich glaube schon, können Sie mitschreiben?«

»Nein, es ist dunkel, und ich habe keinen Stift.«

»Aha ...«

»Ich kann mir das merken, lesen Sie bitte einfach vor.«

»Null, eins, sieben, sieben ... noch mal die Sieben ...«

»Zwei oder drei Mal die Sieben?«

Auf die Idee, Mutter einfach abzuwürgen und die Nummer direkt ins Handy einzugeben, komme ich nicht mal, wahrscheinlich weil in meiner Kabine mittlerweile Sauerstoffmangel herrscht.

»Nix zwei oder drei ... die SIEBEN!«, ruft Frau Schürhuf mit ihrer stottrigen Omastimme.

Ich ahne, wie sie mit auf die Nase geschobener Lesebrille und ihrem Finger über das kleine Messingschild an der Aufzugstür fährt. Wahrscheinlich wäre es einfacher, wenn mir ein Schimpanse die Nummer mit Morsezeichen durchklopfen würde.

»Nein, wie oft die Sieben, zwei oder drei Mal?«

»Was ist denn bei euch los?«, fragt meine Mutter am Telefon. Ich ignoriere sie komplett.

»Die Sieben drei Mal ... hören Sie?«

»Ja!«

»Dann die Neun ... hören Sie?«

»JA! Lesen Sie einfach die bescheuerte Nummer vor!«

»Wie bitte, Sie müssen hier gar nicht ungehalten werden.«

»Ich hab keine Zeit.«

»Was ist denn mit Ihnen? Haben Sie Luftnot?«

»ICH MUSS KACKEN!«, brülle ich und bin selbst überrascht, wie es aus mir herausbricht. Langsam falle ich auf das Niveau eines Steinzeitmenschen zurück.

Frau Schürhuf hingegen tut so, als hätte sie meinen Ausbruch nicht mitbekommen, und liest einfach weiter vor. Mutter fragt währenddessen übers Handy, ob ich gerade wirklich derartige »Vulgaritäten« von mir gegeben hätte.

Plötzlich poltert es draußen, offensichtlich ist das Publikum meines kleinen Unglücks gerade noch um einen Protagonisten erweitert worden.

»Ich habe hier ein Paket für Otto Bielendorfer«, höre ich den DHL-Mann dumpf durch die Tür sagen.

»Der steckt im Aufzug fest!«, hilft Frau Schürhuf.

»Stimmt nicht, das ist der Hund«, brülle ich und merke erst dann, wie unglaublich bescheuert das klingt.«

»Der Hund?«, sagt der DHL-Mann angemessen verunsichert.

Das darf alles nicht wahr sein. Ich sitze im Aufzug fest, Mutter nörgelt mir ins Ohr, meine greise Nachbarin kann keine Telefonnummer vorlesen, der DHL-Mann will ein Paket für den Hund zustellen, und ich defäkiere mich gleich selbst.

»Ist das Paket für Otto gerade gekommen? Ich hab’s an ihn geschickt, lustig, oder?«, giggelt Mama am anderen Ende des Telefons.

»Mama, ich muss jetzt mal auflegen, ich melde mich später wieder!«

»Alles Guhuute«, ruft Mutter in die Dunkelheit meiner Aufzugskabine.

»Lieber Herr Postbote, ich stecke hier im Aufzug. Könnten Sie bitte den Notdienst rufen? Die Nummer steht am Aufzug«, flöte ich so freundlich, wie es mir nur möglich ist, durch die Tür.

»Geht nicht, ist Diensthandy«, sagt der Mann stumpf wie ein Hinkelstein.

»Dann geben Sie mir doch die Nummer durch ... BITTE!«

»Ich muss das Paket zustellen. Sind Sie Otto Bielendorfer?«

»Ja, bin ich!«

»Stimmt gar nicht, das ist der Hund!«, schaltet sich Frau Schürhuf ein. Jetzt fällt mir die alte Schachtel auch noch in den Rücken.

»Ich muss doch nur beim Notdienst anrufen, bitte sagen Sie mir doch die Nummer durch!«

»Okay!«, ruft der DHL-Mann. Endlich jemand, der halbwegs zurechnungsfähig ist.

»Hören Sie? Null, eins, sieben, sieben, sieben.«

Ich tippe die Nummer in mein Handy, die Rettung ist so nah. Da wird das Aufblinken der Telefonnummer plötzlich von einem Anruf unterbrochen. Nadjas Gesicht strahlt mir vom Display entgegen.

»Hallo, hör mal, kannst du nachher Mozzar...«