Paper Princess - Erin Watt - E-Book
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Erin Watt

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Beschreibung

Sie sind reich, sie sind mächtig und verdammt heiß! Kannst Du ihnen widerstehen?Ellas Leben war bisher alles andere als leicht, und als ihre Mutter stirbt, muss sie sich auch noch ganz alleine durchschlagen. Bis ein Fremder auftaucht und behauptet, ihr Vormund zu sein: der Milliardär Callum Royal. Aus ihrem ärmlichen Leben kommt Ella in eine Welt voller Luxus. Doch bald merkt sie, dass mit dieser Familie etwas nicht stimmt. Callums fünf Söhne – einer schöner als der andere – verheimlichen etwas und behandeln Ella wie einen Eindringling. Und ausgerechnet der attraktivste von allen, Reed Royal, ist besonders gemein zu ihr. Trotzdem fühlt sie sich zu ihm hingezogen, denn es knistert gewaltig zwischen ihnen. Und Ella ist klar: Wenn sie ihre Zeit bei den Royals überleben will, muss sie ihre eigenen Regeln aufstellen …»Leidenschaftlich, sexy und voller Gefühl.« ―Buch VersumDie Paper-Reihe - New Adult mit SuchtfaktorElla Harpers Leben verändert sich schlagartig, als der Multimillionär Callum Royal behauptet, ihr Vormund zu sein. Aus ihrem ärmlichen Leben kommt Ella in eine Welt voller Luxus. Die Familie mit den fünf attraktiven Brüdern hat einige Geheimnisse zu verbergen ...

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Seitenzahl: 456

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Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Lene Kubis

ISBN 978-3-492-97647-3Februar 2017© Erin Watt 2016Die englische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Paper Princess« bei EverAfter Romance.Deutschsprachige Ausgabe:© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2017Covergestaltung: FAVORITBUERO, München nach einem Entwurf von Meljean BrookCovermotiv: Pear Tree, LLCDatenkonvertierung: psb, BerlinSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

»Ella, der Direktor möchte dich in seinem Büro sprechen«, verkündet Miss Weir mir, noch ehe ich das Klassenzimmer betreten habe. Aber der Matheunterricht beginnt doch gleich!

Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. »Ich bin heute gar nicht zu spät!«

Es ist eine Minute vor neun, und meine Uhr geht auf die Sekunde genau. Wahrscheinlich ist sie das Kostbarste, was ich besitze. Meine Mom hat gesagt, dass mein Dad sie mir sozusagen vererbt hat. Eine Armbanduhr, ein bisschen Sperma. Mehr gab es da nicht zu holen.

»Darum geht’s nicht. Nicht dieses Mal.« Sie sieht mich ungewöhnlich liebevoll an, und auf einmal wird mir ganz schlecht vor Sorge. Eigentlich ist Miss Weir eine richtig harte Nuss, und genau das schätze ich an ihr. Sie will einfach nur Mathematik unterrichten und nicht irgendwelchen Mist über Nächstenliebe oder so. Wenn die mich so mitleidig ansieht, muss das, was mich beim Direktor erwartet, richtig, richtig übel sein.

»Na schön.« Als hätte ich irgendeine Wahl! Ich nicke und mache mich auf den Weg.

»Ich schicke dir die Hausaufgaben zu!«, ruft sie mir nach. Anscheinend denkt sie, dass ich nicht zum Unterricht zurückkomme. Aber eigentlich kann der Besuch beim Direx auch nicht schlimmer werden als das, was ich schon hinter mir habe.

Ehe ich mich für die elfte Klasse an der George-Washington-Highschool eingeschrieben habe, habe ich bereits alles verloren, was mir wichtig war. Selbst wenn Mr Thompson herausgefunden hat, dass ich theoretisch gar nicht im Einzugsgebiet der Highschool lebe, kann ich immer noch flunkern, um Zeit zu schinden. Und falls ich dann die Schule wechseln muss – so what? Ist doch halb so wild.

»Na, wie geht’s, wie steht’s, Darlene?«

Die grauhaarige Schulsekretärin sieht kaum von ihrem People-Magazin auf. »Setz dich doch, Ella. Mr Thompson ist gleich bei dir.«

Jepp, Darlene und ich duzen uns. Ich bin erst einen Monat an der G.-W.-High und habe schon viel zu viel Zeit hier im Direktorat verplempert, weil ich immer wieder zu spät gekommen bin. Aber so was kann passieren, wenn man jede Nacht bis drei Uhr morgens ackern muss.

Ich verrenke mir den Hals, um durch die offenen Vorhänge in Mr Thompsons Büro zu linsen. Irgendwer sitzt auf dem Besucherstuhl, aber ich kann nur einen ausgeprägten Kiefer und dunkelbraunes Haar erkennen. Das exakte Gegenteil von mir. Ich bin so blond und blauäugig, wie man nur sein kann. Das habe ich, laut meiner Mom, meinem Dad zu verdanken, dem großzügigen Samenspender.

Thompsons Gast erinnert mich an die Businessleute von außerhalb, die meiner Mom eine Menge Kohle dafür gezahlt haben, einen Abend lang so zu tun, als wäre sie ihre Freundin. Manche Kerle stehen darauf tatsächlich mehr als auf richtigen Sex. Das weiß ich natürlich alles nur von meiner Mom. So weit ist es mit mir zum Glück noch nicht gekommen, und ich hoffe auch, dass mir das erspart bleibt. Deswegen brauche ich dringend meinen Highschool-Abschluss. Dann kann ich aufs College, meinen Abschluss machen und hinterher ein … stinknormales Leben führen.

Andere Kids träumen davon, eine Weltreise zu machen, einen schnellen Flitzer zu kaufen oder ein großes Haus zu haben. Und ich? Ich hätte gern eine eigene Wohnung. Einen Kühlschrank voller Essen, einen geregelten, gut bezahlten Job – am liebsten einen, der in etwa so spannend wie die Buchhaltung eines Bleistiftproduzenten ist.

Die zwei Männer reden und reden. Eine Viertelstunde ist bereits verstrichen, und sie kommen immer noch nicht zum Punkt.

»Hey, Darlene? Ich verpasse gerade meinen Matheunterricht. Ist es okay, wenn ich später noch mal wiederkomme, wenn Mr Thompson Zeit für mich hat?«

Ich versuche, das so nett wie möglich zu sagen. Aber wenn man jahrelang keine echten Erwachsenen um sich hatte – meine etwas flatterhafte, wundervolle Mom kann man nicht richtig mitzählen –, dann ist es wirklich schwer, Erwachsenen gegenüber die nötige Unterwürfigkeit rüberzubringen. Die erwarten sie nämlich von jemandem, der noch nicht mal Alkohol trinken darf. Streng genommen.

»Nein, Ella, Mr Thompson kommt gleich.«

Tatsächlich öffnet sich in diesem Moment die Tür, und der Direktor stolziert heraus. Mr Thompson ist vielleicht einen Meter fünfzig groß und sieht aus, als hätte er gerade erst seinen Highschool-Abschluss gemacht. Irgendwie schafft er es dennoch, ein gewisses Verantwortungsbewusstsein auszustrahlen.

Er winkt mich zu sich. »Miss Harper, kommen Sie doch rein.«

Aber Don Juan sitzt noch in seinem Zimmer!

»Sie haben doch schon Besuch.« Mann, die Sache sieht ziemlich verdächtig aus, und mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich mich schleunigst verkrümeln sollte! Aber wenn ich jetzt abhaue, riskiere ich, dass der Plan scheitert, den ich die letzten Monate über so sorgfältig ausgetüftelt habe.

Thompson dreht sich um und sieht zu Don Juan, der sich gerade erhebt und mir mit seiner riesigen Pranke zuwinkt.

»Sicher, wegen ihm bist du ja auch hier!«

Widerwillig schlüpfe ich an Mr Thompson vorbei und bleibe kurz hinter der Tür stehen. Der Direx zieht die Vorhänge zu und schließt die Tür. Jetzt bin ich wirklich nervös!

»Setzen Sie sich, Miss Harper.«

Pah, das könnte ihnen so passen! Ich verschränke die Arme und bleibe stehen.

Mr Thompson lässt sich seufzend auf einen Stuhl sinken. Er weiß, wann es keinen Sinn hat, mit mir zu diskutieren. Paradoxerweise macht mich das noch unruhiger, weil ich befürchte, dass er mich erst mal schonen will. Vielleicht, weil mir noch Schlimmeres bevorsteht.

Er greift nach einem Blatt Papier auf seinem Schreibtisch. »Ella Harper, das ist Callum Royal.« Er macht eine bedeutungsvolle Kunstpause.

Unterdessen starrt Royal mich an, als hätte er noch nie zuvor ein Mädchen gesehen. Mir fällt auf, dass durch meine verschränkten Arme meine Brüste zusammengedrückt werden. Schnell lasse ich die Arme wieder sinken, sodass sie unbeholfen an mir herabbaumeln.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr Royal.« Es ist bestimmt jedem hier im Raum klar, dass ich das ganz und gar nicht so meine. Der Klang meiner Stimme reißt ihn glücklicherweise aus seiner Hypnose. Er macht einen riesigen Schritt nach vorn, und ehe ich’s mich versehe, hat er meine Hand schon zwischen seine Pranken genommen.

»Gütiger Himmel. Du siehst aus wie er.« Er flüstert so leise, dass nur ich ihn hören kann. Dann schüttelt er meine Hand, als fiele ihm plötzlich wieder ein, wo er ist. »Bitte, nenn mich doch Callum.«

Irgendwie klingt seine Stimme komisch. So als hätte er Mühe, auch nur einen geraden Satz rauszukriegen. Ich ziehe meine Hand weg, was gar nicht so einfach ist, weil der Kerl mich einfach nicht loslassen will. Erst als Mr Thompson sich laut räuspert, gibt er mich frei.

»Was soll das hier werden?«, frage ich. Mein Ton ist ein bisschen patzig, aber das scheint hier niemanden zu kümmern.

Mr Thompson fährt sich nervös mit der Hand durchs Haar.

»Ich weiß nicht, wie ich es am besten sagen soll, also rede ich nicht lang um den heißen Brei herum: Mr Royal hat mir gesagt, dass Ihre Eltern beide von uns gegangen sind und er jetzt Ihr Vormund ist.«

Kurz schwanke ich. Nur eine Millisekunde, ehe der Schock sich in Empörung verwandelt.

»Bullshit!« Das Schimpfwort ist raus, ehe ich mich selbst bremsen kann. »Meine Mutter hat mich doch zum Unterricht angemeldet! Ihre Unterschrift steht auf den Anmeldeformularen.«

Mein Herz rast wie ein Presslufthammer, weil ich die Unterschrift selbst gefälscht habe. Anders ging’s leider nicht, wenn ich die Kontrolle über mein Leben behalten wollte – eigentlich bin ich ja sowieso schon die Erwachsene in der Familie gewesen, seit ich fünfzehn war.

Man muss Mr Thompson zugutehalten, dass er mir die Fälschung nicht vorwirft. »Die Dokumente besagen, dass Mr Royal Ihr rechtmäßiger Vormund ist.«

»Ach ja? Na, er lügt aber. Ich habe diesen Typen noch nie gesehen, und wenn Sie mich jetzt mit ihm mitgehen lassen, stehen bestimmt die Cops demnächst hier auf der Matte. Weil ein Mädchen der G.-W.-High miesen Menschenhändlern zum Opfer gefallen ist.«

»Du hast recht, wir kennen uns noch nicht«, wirft Royal ein. »Das ändert aber nicht das Geringste an der Tatsache.«

»Lassen Sie mal sehen.« Ich springe zu Mr Thompsons Schreibtisch und reiße ihm die Dokumente aus der Hand. Eilig überfliege ich sie, ohne wirklich etwas aufzunehmen. Ein paar Worte wie Vormund oder verschieden und Erbe springen mir ins Auge, aber das ist mir völlig schnuppe. Mr Royal ist ein Fremder. Basta.

»Wenn Ihre Mutter mal hier vorbeischauen würde, könnten wir vielleicht alles in Ruhe klären«, schlägt Mr Thompson beschwichtigend vor.

»Ja, Ella. Wenn du deine Mutter nächstes Mal mitbringst, dann ziehe ich meinen Anspruch natürlich zurück.«

Auch wenn Royal sich bemüht, sanft wie ein Lämmchen zu klingen, ist seine Stimme doch hart wie Stahl. Er weiß Bescheid.

Ich wende mich wieder an den Direx, weil ich mit ihm leichteres Spiel habe.

»Diesen Wisch hier hätte sogar ich im Computerraum fälschen können. Würde nicht mal Photoshop dafür brauchen.« Ich knalle den Papierstapel vor ihm auf den Tisch. Offenbar beginnt er ein wenig zu zweifeln, und das sollte ich ausnutzen. »Ich muss zurück zum Unterricht. Das Halbjahr hat doch gerade erst begonnen, und ich will nichts verpassen.«

Er leckt sich unentschlossen die Lippen, und ich starre so überzeugend wie möglich auf ihn hinunter. Ich habe keinen Dad. Und ich habe ganz bestimmt keinen Vormund. Wenn dem so wäre – wo war er dann mein Leben lang? Wieso ist er uns nicht zu Hilfe gekommen, als meine Mutter versucht hat, irgendwie genug für uns beide zu verdienen, mit dem Krebs gekämpft und im Hospizbett bitterlich geweint hat, weil sie mich nicht allein zurücklassen wollte? Wo, bitte schön, war er da?!

Thompson seufzt. »Na schön, Ella. Dann geh zurück zum Unterricht. Mr Royal und ich haben sowieso noch einiges zu besprechen.«

»Diese Dokumente hier sind echt«, schaltet sich Royal wieder ein. »Mr Thompson, Sie kennen mich und meine Familie. Ich wäre hier doch nicht aufgetaucht, wenn es nicht wahr wäre! Wieso sollte ich das tun?«

»Es gibt eine Menge Perverslinge auf dieser Welt«, zische ich giftig. »Und die lassen sich auch irgendwelche Märchen einfallen, um an ihr Ziel zu kommen.«

»So, Ella, das reicht jetzt.« Mr Thompson klingt langsam etwas ungeduldig. »Mr Royal, diese Nachricht kommt für jeden von uns überraschend. Sobald wir Ellas Mutter kontaktiert haben, klärt sich bestimmt alles.«

Royal passt die Verzögerung überhaupt nicht in den Kram. Er wiederholt seine abgedroschenen Argumente und betont noch mal, wie furchtbar wichtig er ist und dass ein Royal niemals lügen würde. Ich erwarte schon fast, dass er uns gleich mit George Washington und der alten Geschichte vom Kirschbaum kommt. Als die zwei die Diskussion fortsetzen, schlüpfe ich aus dem Zimmer.

»Bin noch schnell auf der Toilette, Darlene!«, schwindle ich. »Danach gehe ich gleich wieder in den Unterricht.«

»Lass dir Zeit«, meint Darlene leichthin. »Ich gebe deiner Lehrerin Bescheid.«

Aber ich gehe nicht auf die Toilette. Und ich gehe auch nicht zurück in den Unterricht. Stattdessen flitze ich zur Bushaltestelle und fahre mit der Linie G bis zur Endstation. Von dort aus brauche ich zu Fuß noch mal eine halbe Stunde bis zu meiner Wohnung, die ich für lumpige fünfhundert Dollar im Monat gemietet habe. Es gibt ein Schlafzimmer, ein schmuddeliges Bad und eine Wohnküche, die nach Schimmel riecht. Aber die Bude ist relativ günstig, und die Vermieterin akzeptiert Bargeld und hat auch keine Hintergrundrecherchen angestellt, ehe sie mir die Wohnung vermietet hat.

Ich habe keine Ahnung, wer dieser Callum Royal sein soll, aber sein Erscheinen in Kirkwood ist überflüssig wie ein Pickel. Diese Dokumente waren nicht gefälscht. Sie waren echt. Aber ich werde mein Leben auf keinen Fall in die Hände eines Fremden legen, der einfach so aus dem Nichts auftaucht.

Mein Leben gehört mir. Ich lebe, wie ich will, und habe die Kontrolle darüber.

Ich kippe meine Schulbücher aus dem Rucksack und fülle ihn mit Kleidung, Kosmetikartikeln und meinen letzten Ersparnissen: tausend Dollar. Mist. Ich muss dringend an Kohle kommen, um aus der Stadt verschwinden zu können. Ich bin so was von pleite. Es hat mich ja schon zwei Tausender gekostet, um hierherzuziehen – die Bustickets, die erste und zweite Monatsmiete und die Kaution haben einiges an Geld gefressen. Es ist verdammt ärgerlich, dass ich eine Miete quasi umsonst bezahlt habe, aber ich muss nun mal dringend weg. Hier kann ich nicht bleiben.

Wieder haue ich ab. Wie gut ich das kenne. Meine Mom und ich waren auch ständig auf der Flucht. Vor ihren Liebhabern, ihren perversen Chefs, dem Sozialamt, vor der Armut. Erst im Hospiz sind wir eine längere Zeit am Stück geblieben, und das nur, weil sie im Sterben lag. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Universum mich dazu verdammt hat, unglücklich zu sein.

Ich sitze auf der Bettkante und versuche, vor Frust, Zorn und, okay, ich gebe es zu: Angst, nicht laut loszuheulen. Ich gönne mir fünf Minuten Selbstmitleid, dann greife ich zum Telefon. Scheiß aufs Universum.

»Hey, George. Ich habe über dein Angebot nachgedacht, im Daddy G’s zu arbeiten. Ich würd’s gern annehmen.«

Ich habe eine Weile im Miss Candy’s gearbeitet, einer Table-Dance-Bar, in der ich an der Stange getanzt und mich bis auf meinen G-String und Nippel-Pasties ausgezogen habe. Man verdient nicht übel, aber auch nicht richtig viel. George hat die letzten Wochen über auf mich eingeredet, um mich davon zu überzeugen, im Daddy G’s, einem richtigen Striplokal, aufzutreten. Ich habe mich nie darauf eingelassen, weil ich keine Notwendigkeit dafür gesehen habe. Jetzt schon.

Glücklicherweise habe ich den tollen Körper meiner Mutter geerbt. Lange Beine. Wespentaille. Mein Busen ist nicht riesig, aber George sagt immer, dass ihm meine spitzen kleinen Brüste gefallen, weil sie so jugendlich wirken. Tja, von wegen wirken. Aber auf meinem Ausweis steht nun mal, dass ich vierunddreißig bin und nicht Ella, sondern Margaret Harper heiße. So wie meine tote Mutter. Ganz schön gruselig, wenn man genauer drüber nachdenkt.

Mit siebzehn hat man nicht die größte Auswahl an Teilzeitjobs, von denen man noch dazu die Miete bezahlen kann. Schon gar nicht im legalen Bereich. Man kann Drogen verticken. Anschaffen gehen. Strippen. Ich habe mich für Letzteres entschieden.

»Ey, Mädchen, das sind ja super Neuigkeiten!«, johlt George. »Heute Abend ist eine richtig große Show, und du könntest die dritte Tänzerin sein. Du kannst eine katholische Schulmädchen-Uniform anziehen, darauf fahren die Kerle total ab.«

»Wie viel gibt es?«

»Wovon?«

»Kohle, George. Wie viel Kohle.«

»Fünfhundert plus Trinkgeld. Wenn du noch ein paar private Lapdances machst, kriegst du dafür jeweils hundert.«

Shit. Ich könnte in nur einer Nacht richtig Asche machen. Ich schiebe all meine Angst und mein Unbehagen beiseite. Nein, jetzt ist nicht der richtige Moment für moralische Bedenken.

»Mache ich. Buch so viele Auftritte wie möglich für mich.«

Das Daddy G’s ist ein richtiges Drecksloch, aber es ist immer noch um einiges netter als viele andere Clubs hier in der Stadt. Auch wenn das irgendwie so klingt wie: Hier, nimm dir doch ein Stück von diesem vergammelten Hühnchen! Es ist nicht ganz so grün und schimmelig wie der Rest! Na ja. Geld ist Geld.

Ich hatte noch den ganzen Tag an Callum Royals Auftritt in der Schule zu knabbern. Wenn ich einen Laptop inklusive Internetzugang hätte, hätte ich ihn längst gegoogelt. Leider ist mein alter Computer kaputt, und ich habe nicht genug Geld für einen Ersatz. Ich wollte mich dafür auch nicht in die Bibliothek setzen. Klingt vielleicht bescheuert, aber irgendwie hatte ich Angst, Royal auf der Straße in die Arme zu laufen.

Wer ist er nur? Und wieso hält er sich für meinen Vormund? Mom hat ihn mir gegenüber nicht ein einziges Mal erwähnt. Einen Moment lang habe ich mich tatsächlich gefragt, ob er mein Vater sein könnte. Aber in den Unterlagen stand, dass der ebenfalls tot ist. Und solange meine Mom mich in dieser Hinsicht nicht angelogen hat, hieß er auch nicht Callum, sondern Steve.

Steve. Irgendwie kam mir das immer vor wie ein Fantasiename:

Erzähl mir von meinem Daddy, Mom!

Ähm, dein Daddy, ähm … hieß Steve!

Aber ich will auch nicht davon ausgehen, dass meine Mom mich angelogen hat. Wir waren schließlich immer ehrlich zueinander.

Ich verdränge den Gedanken an Callum Royal, so gut ich kann, weil ich das bei meinem ersten Auftritt im Daddy G’s wirklich nicht gebrauchen kann. Hier sitzen auch so schon genug Säcke mittleren Alters herum.

Der Club ist wirklich gesteckt voll. Scheinbar ist die Katholische-Schulmädchen-Nacht hier eine richtig große Nummer. Alle Tische und Sitznischen im Hauptsaal sind besetzt, aber die VIP-Lounge im ersten Stock ist noch vollkommen verlassen. Eigentlich ist das nicht weiter überraschend. In Kirkwood, diesem kleinen Tennessee-Kaff vor Knoxville, gibt es nun mal nicht viele VIPs. Es ist eine Arbeiterstadt, und die Einwohner gehören eher der Unterschicht an. Wenn du mehr als vierzigtausend Dollar im Jahr verdienst, dann giltst du schon als gemachter Mann. Genau deswegen wohne ich hier. Die Miete ist niedrig, und die staatliche Schule ist auch ganz okay.

Die Umkleide liegt im hinteren Teil des Clubs, und als ich sie betrete, herrscht schon großer Trubel. Halb nackte Frauen sehen mich an, ein paar nicken mir zu, ein paar lächeln, ehe sie sich wieder aufs Schminken oder ihre Strapse konzentrieren.

Eine kommt auf mich zu.

»Cinderella?«, fragt sie.

Ich nicke. Diesen Shownamen habe ich im Miss Candy’s benutzt, weil er mir damals passend erschien.

»Ich bin Rose. George hat mich gebeten, dich heute Abend einzuarbeiten.«

In jedem Club gibt es eine Mutterhenne – eine ältere Frau, der klar ist, dass sie den Kampf gegen Zeit und Schwerkraft verloren hat, und die sich auf andere Weise nützlich macht. Im Miss Candy’s war das Tina, eine alternde Blondine, die mich vom ersten Moment an unter ihre Fittiche genommen hat. Hier ist es die alternde rothaarige Rose, die diesen Part übernimmt und mich jetzt zu der Kleiderstange mit den Kostümen führt.

Als ich nach der Schulmädchenuniform greifen will, winkt sie ab. »Die ist für später. Nimm mal das hier.«

Ehe ich’s mich versehe, hat sie mich auch schon in ein schwarzes Lack-Korsett und ein schwarzes Spitzenhöschen gesteckt.

»Darin soll ich tanzen?« Das Korsett ist so fest geschnürt, dass ich kaum atmen kann. Und wie soll ich das selbst aufbekommen?

»Mach dir nicht zu viele Gedanken«, rät sie mir. »Wackel einfach mit deinem Hintern und rutsch an Mr VIPs Stange auf und ab, und alles ist bestens.«

Ich sehe sie verblüfft an. »Ich dachte, ich gehe jetzt raus auf die Bühne.«

»Oh, hat George es dir nicht gesagt? Du bist für einen Private-Dance in der VIP-Lounge gebucht.«

Was? Das ist doch mein erster Abend hier! Im Miss Candy’s hat man immer erst ein paarmal auf der Bühne getanzt, ehe man privat gebucht werden konnte.

»Scheint ein Stammkunde aus deinem ehemaligen Club zu sein«, vermutet Rose, die bemerkt hat, wie verwirrt ich bin. »Richie Rich ist hier hereinstolziert, als gehörte ihm der Club! Er hat George fünf Hunderter in die Hand gedrückt und ihm gesagt, dass er dich rüberschicken soll.« Sie zwinkert mir zu. »Wenn du es geschickt anstellst, kannst du bestimmt noch ein paar Scheinchen mehr rausschlagen.«

Und weg ist sie, springt zu einer anderen Tänzerin, während ich vollkommen bedröppelt dastehe und mich frage, ob das alles ein riesiger Fehler war.

Ich tue gern so, als wäre ich eine richtig toughe Nuss, und bis zu einem gewissen Punkt stimmt das ja auch. Ich bin arm und hungrig. Ich wurde von einer Stripperin großgezogen. Ich weiß, wie man jemandem eine verpasst, wenn es nötig ist. Aber ich bin trotzdem erst siebzehn! Manchmal kommt es mir so vor, als wäre ich ein bisschen zu jung für das Leben, das ich führe. Dann sehe ich mich um und denke: Ich gehöre hier nicht her.

Dennoch bin ich hier. Ich bin hier, ich bin ziemlich im Arsch, und wenn ich das normale Leben führen will, nach dem ich mich so sehr sehne, dann muss ich jetzt raus und auf Mr VIPs Stange auf- und abrutschen, wie Rose es so nett formuliert hat.

Im Flur kommt mir George entgegen. Er ist ein stämmiger Typ mit Vollbart und warmen Augen. »Hat Rose dir von dem Kunden erzählt? Er wartet schon auf dich.«

Ich nicke und versuche, den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. »Ich muss doch nichts Besonderes machen, oder? Nur einen ganz gewöhnlichen Lapdance.«

Er gluckst. »Mach, was immer du willst, aber wenn der Kerl dich anfasst, dann wird ihn unser guter alter Bruno windelweich schlagen.«

Ich bin sehr erleichtert, dass die Regel des Nicht-Anfassens auch hier gilt. Für schleimige Typen zu tanzen, ist sehr viel angenehmer, wenn klar ist, dass sie dich nicht antatschen dürfen.

»Das wird schon, Mädchen.« Er tätschelt meinen Arm. »Und falls er dich fragen sollte, dann bist du vierundzwanzig, okay? Hier arbeitet niemand über dreißig.«

Und unter zwanzig?, hätte ich ihn fast gefragt. Aber ich presse die Lippen zusammen. Eigentlich muss ihm klar sein, dass ich in Bezug auf mein Alter mächtig geschummelt habe. Das macht hier garantiert jede Zweite. Und es kann ja sein, dass mein Leben bis jetzt hart war, aber ich sehe nun mal niemals aus wie vierunddreißig. Mit ein bisschen Make-up gehe ich vielleicht als einundzwanzig durch – gerade so.

George verschwindet in der Umkleide, und ich hole noch mal tief Luft, ehe ich den Flur hinuntergehe.

Im Hauptsaal empfängt mich schon die sexy Musik mit dem stampfenden Bass. Die Tänzerin auf der Bühne hat gerade ihre Bluse aufgeknöpft, und als die Kerle ihren durchsichtigen BH sehen, drehen sie völlig durch. Dollarscheine regnen auf die Bühne hinab, und genau darauf konzentriere ich mich jetzt. Auf das Geld. Scheiß auf den Rest.

Trotzdem macht mich der Gedanke daran, die G.-W.-High und all die Lehrer, denen ihr Job wirklich am Herzen zu liegen scheint, zu verlassen, richtig fertig. Aber ich werde schon eine andere Schule in einer anderen Stadt finden. Eine Stadt, in der Callum Royal mich nicht …

Ich bleibe abrupt stehen und wirble herum.

Zu spät. Callum kommt bereits quer durch die VIP-Lounge auf mich zu und packt mich mit festem Griff am Oberarm.

»Ella«, sagt er leise.

»Lassen Sie mich los!« Ich versuche, so gleichgültig wie möglich zu klingen, zittere aber heftig, als ich versuche, ihn abzuschütteln.

Er lässt mich nicht los, bis eine andere Gestalt in schwarzem Anzug und mit breiten Schultern aus dem Schatten hervortritt. »Hier wird niemand angefasst«, sagt der Security-Mann streng.

Royal lässt meinen Arm los, als bestünde er aus glühender Lava. Er sieht Bruno finster an und wendet sich dann wieder an mich, wobei er versucht, nicht in meinen Ausschnitt zu gucken. »Wir sollten uns mal unterhalten.« Sein Whiskeyatem wirft mich fast um.

»Ich habe Ihnen nichts zu sagen«, erwidere ich kühl. »Ich kenne Sie gar nicht.«

»Ich bin immerhin dein Vormund!«

»Nein. Sie sind einfach irgendein Fremder, der mich davon abhält, meinen Job zu machen.« Jetzt klinge ich wunderbar herablassend.

Er öffnet kurz den Mund und schließt ihn dann wieder. »Okay. Dann ab an die Arbeit.«

Was?!

Er lässt sich auf die Couch plumpsen und lehnt sich zurück.

»Dann biete mir mal was für mein Geld.«

Mein Herz rast. Auf keinen Fall! Ich werde für diesen Mann nicht tanzen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie mein neuer Chef die Lounge betritt und mich erwartungsvoll ansieht.

Ich versuche, so selbstbewusst wie möglich auf Royal zuzuschlendern.

»Schön. Ganz wie Sie wollen!«

Kurz spüre ich einen dicken Kloß im Hals, aber hier wird nicht geheult. Das habe ich zum letzten Mal am Sterbebett meiner Mutter getan, und ich habe nicht vor, es jetzt zu wiederholen.

Callum Royal sieht mich seltsam gequält an, als meine Hüften im Takt der Musik zu kreisen beginnen, fast wie von allein. Ich habe schon immer gern getanzt. Als ich noch jünger war, hat meine Mom ihre letzten Ersparnisse zusammengekratzt, um Ballett- und Jazzunterricht für mich zu finanzieren, drei Jahre lang. Als das Geld alle war, hat sie mich selbst unterrichtet. Sie hat sich Videos angesehen oder heimlich Tanzkurse im Sportverein besucht, ehe sie sie rausgeworfen haben, um dann zu Hause ihr Wissen an mich weiterzugeben.

Ich bin ziemlich gut darin, aber ganz sicher nicht so naiv zu denken, dass ich eine große Tanzkarriere hinlegen werde. Ich strebe eher was Vernünftiges an, Jura oder Wirtschaft oder so. Irgendwas, womit sich ordentlich Geld verdienen lässt. Das mit dem Tanzen ist reine Träumerei.

Ich tanze immer weiter und höre plötzlich, wie Royal aufstöhnt. Allerdings nicht so, wie die anderen Männer es tun. Sondern traurig.

»Er würde sich gerade im Grabe umdrehen«, meint er mit rauer Stimme.

Ich ignoriere ihn. Tue so, als wäre er nicht da.

»Das ist nicht richtig«, sagt er gepresst.

Ich werfe mein Haar zurück und will mich gerade daranmachen, mein Korsett aufzuschnüren, weil ich spüre, wie Bruno mich beobachtet. Für einen zehnminütigen Tanz gibt es hundert Kröten, und zwei habe ich schon herumbekommen, ohne mich auszuziehen. Noch acht Minuten. Das kriege ich hin.

Royal allerdings nicht. Er packt mich am Arm und ruft: »Nein! Steve hätte das nicht gewollt!«

Ich habe nicht mal Zeit zu verstehen, was er da gesagt hat, weil er mich da schon über seine Schulter geworfen hat, als wäre ich eine Spielzeugpuppe.

»Aus dem Weg!«, ruft er, als Bruno auf ihn zukommt. »Dieses Mädchen hier ist gerade mal siebzehn! Sie ist minderjährig, und ich bin ihr Vormund. Glauben Sie mir, wenn Sie noch einen Schritt näher kommen, hetze ich jeden Cop in Kirkwood auf Sie. Und die sorgen dafür, dass Sie und all die anderen Perversen hier im Kittchen landen, weil Sie Minderjährige strippen lassen.«

Bruno mag zwar so aussehen, aber er ist nicht bescheuert. Tatsächlich macht er Callum Royal Platz.

Ich bin da weniger kooperativ. Stattdessen prügle ich auf Royals Rücken ein und zerre an seinem teuren Designeranzug. »Lassen Sie mich runter!«, brülle ich.

Macht er aber nicht. Niemand hält ihn auf, als er auf den Ausgang zustürmt. Die Männer im Publikum sind viel zu beschäftigt damit, die Tänzerin anzugaffen und zu johlen. Ich sehe, wie George zu Bruno tritt und der ihm wütend etwas erklärt, aber dann sind sie auch schon weg, und ich spüre die kühle Abendluft. Obwohl wir draußen sind, denkt Callum Royal nicht daran, mich abzusetzen. Er rennt über den Parkplatz, dessen Teeroberfläche rissig ist. Ich sehe seine schicken Schuhe im Licht der Laterne glänzen, dann höre ich das Klirren eines Schlüsselbundes und ein lautes Piepen. Und schon befinde ich mich auf einem lederbezogenen Autositz, während eine Tür mit einem lauten Rumms zugeworfen wird. Der Motor wird gestartet.

O mein Gott. Dieser Typ entführt mich!

MEIN RUCKSACK!

Da sind mein Geld und meine Uhr drin! Der Rücksitz des Ungeheuers, das Callum Royal Auto nennt, ist luxuriöser als alles, was mein Hintern je berührt hat. Zu schade, dass mir gerade die Muße fehlt, die Fahrt zu genießen. Ich rüttle am Türgriff, aber die Tür ist verriegelt.

Ich linse zum Fahrer. Wahrscheinlich ist es sinnlos, aber einen Versuch ist es wert. Also packe ich den Fahrer, dessen Nacken so breit ist wie mein Oberschenkel, an der Schulter. »Hey! Drehen Sie um! Ich muss zurück!«

Er zuckt nicht mal zusammen. Ist der Kerl ein Roboter? Ich rüttle noch ein paarmal an seiner Schulter, aber ich befürchte, dass ihn nur ein Messer an seinem Hals zum Leben erwecken würde – und vielleicht nicht einmal das. Anscheinend macht er rein gar nichts, solange Royal es ihm nicht befiehlt.

Callum sitzt wie versteinert auf dem Beifahrersitz, und ich vermute stark, dass ich das Auto nur mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis verlassen darf. Testweise fummle ich am Fenster herum, aber natürlich lässt es sich nicht öffnen.

»Kindersicherung, oder was?«, murmele ich, obwohl ich die Antwort schon kenne.

Er nickt kaum merklich. »Unter anderem, ja. Suchst du etwa den?«

Mit diesen Worten landet mein Rucksack auf meinem Schoß. Ich will lieber gar nicht wissen, ob er mein Bargeld oder meinen Pass an sich genommen hat. Dann wäre ich ihm tatsächlich komplett ausgeliefert, aber das will ich ihm nicht auf die Nase binden, bis ich seine Beweggründe verstanden habe.

»Sehen Sie, Mister. Ich weiß nicht, worum es geht, aber Sie haben offensichtlich ordentlich Asche. Da draußen gibt es ’ne Menge Nutten, die alles tun, was Sie wollen, und wegen denen Sie auch keinen Ärger mit dem Gesetz bekommen – bei mir allerdings schon. Lassen Sie mich doch an der nächsten Ausfahrt raus, und ich verspreche Ihnen, dass Sie nie wieder von mir hören werden. Ich gehe nicht zu den Cops, okay? Ich werde George einfach sagen, dass Sie ein alter Stammkunde sind und wir jetzt alles geklärt haben.«

»Ich bin nicht auf der Suche nach einer Prostituierten. Ich bin nur wegen dir hier.« Nach dieser geheimnisvollen Aussage schlüpft Royal aus seinem Mantel und reicht ihn mir.

Ich wäre gern ein bisschen dreister, aber irgendwie fühle ich mich doch ganz schön unwohl. Ich meine, immerhin sitze ich hier in einem superschicken Auto mit dem Mann, vor dem ich im Korsett herumgehüpft bin. Gerade würde ich alles für ein richtig schönes Omakleid geben. Widerwillig schlüpfe ich in den Mantel und versuche zu ignorieren, wie sehr die verdammte Korsage kneift.

»Ich habe Ihnen nichts zu bieten.« Die paar Kröten, die ich bei mir trage, sind garantiert nur Peanuts für diesen Kerl. Allein von dem Wert dieses Autos könnte man das ganze Daddy G’s ohne Weiteres kaufen!

Royal zieht die Augenbrauen nach oben. Jetzt, wo er nur noch ein Hemd trägt, kann ich seine Armbanduhr sehen, die … genauso aussieht wie meine. Er folgt meinem Blick.

»Du hast die schon mal gesehen.« Nein, das ist keine Frage. Er streckt mir sein Handgelenk entgegen. Die Uhr hat ein schlichtes Lederarmband, silberne Aufzugkronen und ein Achtzehn-Karat-Goldgehäuse. Die Ziffern und Zeiger leuchten im Dunklen.

»Hab ich noch nie gesehen«, erwidere ich mit trockenem Mund.

»Wirklich? Das ist eine Oris. Handgefertigt, aus der Schweiz. Habe ich geschenkt bekommen, als ich das BUD/S-Training bei der Navy abgeschlossen habe. Mein bester Freund Steve O’Halloran hat genau dieselbe bekommen, als er seinen Abschluss gemacht hat. Auf der Rückseite ist etwas eingraviert …«

Non sibi sed patriae.

Ich habe den Satz nachgeschlagen, als ich neun war und meine Mutter mir die Geschichte von meinem Vater erzählt hat.

Sorry, Kleine, aber ich habe mit einem Matrosen geschlafen. Er hat mir nichts als seinen Vornamen und diese Uhr hinterlassen.

Und mich!, habe ich sie erinnert. Sie hat mir mein Haar zerzaust und gesagt, dass ich das Beste bin, was ihr je passiert ist. Wieder versetzt mir ihre Abwesenheit einen Stich.

»Das bedeutet: ›Nicht für einen selbst, sondern fürs Vaterland‹. Steve hat seine Uhr vor achtzehn Jahren verloren. Er hat sich nie eine neue besorgt.« Royal schnaubt leise. »Damit hat er auch immer sein Zuspätkommen entschuldigt.«

Ich lehne mich nach vorn, begierig darauf, mehr von meinem Vater zu erfahren. Außerdem wüsste ich zu gern, was dieses BUD/S bedeuten soll und woher die Männer sich kennen. Dann verpasse ich mir eine mentale Ohrfeige und lehne mich wieder zurück.

»Nette Geschichte, Kumpel. Aber was hat das mit mir zu tun?« Ich spähe zu dem Goliath-Fahrer und hebe die Stimme. »Sie sollten beide nicht vergessen, dass Sie mich gerade kidnappen. Schätze mal, dass das in allen fünfzig Staaten als Schwerverbrechen gilt.«

»Da hast du recht. Aber da ich nun mal dein Vormund bin und du in illegale Handlungen verstrickt warst, habe ich das Recht dazu, dich da rauszuholen.«

Ich zwinge mich zu einem gekünstelten Lachen. »Ich weiß ja nicht, was Sie denken, aber ich bin vierunddreißig.« Ich krame in meinem Rucksack nach meinem Pass und stoße dabei auch auf die Armbanduhr, die exakt so aussieht wie die von Callum.

»Sehen Sie? Margaret Harper. Vierunddreißig.«

Er greift nach dem Pass. »Aha, interessant. Eins dreiundsiebzig groß. Neunundfünfzig Kilo.« Er wirft mir einen Blick zu. »Hätte eher auf fünfundvierzig getippt, aber vielleicht hast du ja auf der Flucht eine Menge Gewicht verloren.«

Auf der Flucht? Woher zum Teufel weiß er das?

Er schnaubt, als könnte er meine Gedanken lesen. »Ich habe fünf Söhne! Glaub mir, es gibt keinen Trick, den ich nicht kenne. Die haben alles ausprobiert … Und wenn vor mir ein Teenager steht, dann merke ich das sofort. Selbst wenn sie sich zwei Tonnen Make-up aufs Gesicht geklatscht hat.«

Ich sehe ihn mit steinerner Miene an. Wer auch immer dieser Mann ist: Er wird nichts von mir bekommen.

»Dein Vater ist Steven O’Halloran. Das heißt, war.«

Ich sehe aus dem Fenster, damit er mein schmerzverzerrtes Gesicht nicht sehen kann. Natürlich ist mein Vater tot. Natürlich.

Ich habe einen dicken Kloß im Hals und merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen. Aber nur Babys heulen, verdammt. Nur Waschlappen. Wegen eines Vaters flennen, den ich nie kennengelernt habe? Schwachsinn.

Neben dem Rauschen des Verkehrs höre ich plötzlich ein Klirren und dann, wie Likör in ein Glas gegossen wird.

»Dein Vater und ich waren beste Freunde. Wir sind zusammen aufgewachsen und aufs selbe College gegangen. Dann haben wir beschlossen, der Navy beizutreten. Wir sind dann irgendwann zu den SEALS gewechselt, aber unsere Väter wollten früh in den Ruhestand gehen. Also sind wir heimgekehrt, um das Familienunternehmen zu leiten. Falls du dich gefragt hast, was genau wir machen: Wir bauen Flugzeuge.«

Was auch sonst?, denke ich bitter.

Es scheint ihn nicht weiter zu wundern, dass ich so wortkarg bin.

»Vor fünf Monaten ist Steve beim Segelfliegen verunglückt. Aber ehe er aufgebrochen ist, hatte er wohl so eine Art Vorahnung.« Royal schüttelt den Kopf. »Er hat mir einen Brief gegeben und gesagt, dass das vielleicht das wichtigste Schriftstück ist, das er besitzt. Außerdem meinte er noch, dass wir es zusammen durchgehen würden, wenn er wieder zurück ist. Aber eine Woche später ist seine Frau von dem Trip zurückgekehrt und hat mich über seinen Tod informiert. Ich habe den Brief dann erst mal zur Seite gelegt, weil … es Probleme wegen des Tods und Steves Witwe gab.«

Hm? Eigentlich stirbt man doch, und das war’s, oder? Außerdem hat er Witwe so verächtlich ausgesprochen, als könnte er nicht besonders viel mit der Frau anfangen.

»Der Brief ist mir erst ein paar Monate später wieder eingefallen. Willst du wissen, was drinsteht?«

Was für eine dämliche Frage. Natürlich will ich das! Diese Genugtuung gönne ich ihm aber nicht. Ich drücke meine Wange an die Autoscheibe.

Ein paar Wohnblocks sausen am Fenster vorbei, ehe Royal schließlich nachgibt.

»Der Brief war von deiner Mutter.«

»Was?!«

Er sieht nicht so aus, als würde ihn meine Reaktion befriedigen – er wirkt eher müde. Man sieht ihm an, dass der Tod meines Vaters ihn sehr mitgenommen hat. Zum ersten Mal begreife ich, dass dieser Mann seinen besten Freund verloren hat und jetzt von der überraschenden Tatsache, Vormund einer Siebzehnjährigen zu sein, völlig überfordert ist.

Ehe er noch etwas sagen kann, bleibt das Auto stehen. Ich sehe aus dem Fenster und stelle fest, dass wir auf dem Land sind. Vor uns liegt ein lang gezogenes, einstöckiges Gebäude mit Metallfassade und ein Turm. Neben dem Gebäude steht ein großes weißes Flugzeug mit der Aufschrift Atlantic Aviation. Uff, solche Teile hatte ich nicht erwartet, als Royal meinte, er baue Flugzeuge!

»Gehört das Ihnen?«, keuche ich.

»Ja, aber wir steigen hier nicht extra aus.«

Ich ziehe meine Hand von dem schweren silbernen Türgriff zurück.

»Was meinen Sie?«

In der Zwischenzeit habe ich mich halbwegs von dem Schock erholt, gekidnappt zu werden und von meinem verstorbenen Samenspender und einem geheimnisvollen Brief zu erfahren. Ich gaffe mit offenem Mund hinaus auf das, was ich für die Landebahn halte. Am hinteren Teil des Flugzeugs wird eine Klappe hinuntergelassen, und sobald die Rampe den Boden berührt, fährt Goliath sie einfach hinauf und mitten in den Bauch des Flugzeugs hinein.

Ich sehe durch die hintere Windschutzscheibe, während die Klappe sich mit einem lauten Rumpeln schließt. Sobald die Türen des Flugzeugs ebenfalls geschlossen sind, öffnen die Wagentüren sich mit einem leisen Klicken. Und schon bin ich frei. Na ja, nicht so richtig.

»Nach dir.« Callum deutet auf die Tür, die Goliath mir aufhält.

Ich halte den Mantel fest an mich gedrückt und versuche, mich zu sammeln.

»Ich muss mich umziehen.« Ich bin dankbar, dass meine Stimme halbwegs normal klingt. Über die Jahre hinweg bin ich so oft in hochpeinliche Situationen geraten, dass ich gelernt habe, dass eine saftige Beleidigung die beste Verteidigung ist. Gerade habe ich leider schlechte Karten. Ich will einfach nicht, dass irgendjemand mich in diesem Outfit sieht. Weder Goliath noch sonstiges Flugpersonal.

Das hier ist mein erster Flug. Sonst habe ich mich immer in Bussen oder irgendwelchen Trucks mit mürrischen Fahrern fortbewegt. Was für ein Riesenteil dieser Flieger ist! Immerhin ist er groß genug, um ganz gemütlich mit dem Auto hineinzufahren. Es muss hier doch irgendwo die Möglichkeit geben, sich umzuziehen?

Callums Blick wird weich, und er nickt Goliath zu.

»Wir warten oben.« Er deutet aufs andere Ende des garagenartigen Raums. »Da hinten ist die Treppe. Komm hoch, wenn du fertig bist.«

Sobald ich allein bin, reiße ich mir die Stripklamotten vom Leib und schlüpfe in meine gemütlichste Unterwäsche, eine Baggyjeans, ein Tanktop und ein Flanellhemd, das ich normalerweise offen trage, heute aber bis unters Kinn zuknöpfe. Ich sehe wie ein Volltrottel aus, aber immerhin ist jetzt mein ganzer Körper bedeckt.

Dann stopfe ich meine Stripausrüstung in die Tasche und überprüfe, ob mein Geld noch da ist. Ist es glücklicherweise, zusammen mit Steves Armbanduhr. Irgendwie fühlt sich mein Handgelenk ohne die Uhr so nackt an, und weil er sowieso Bescheid weiß, kann ich sie genauso gut tragen. Sofort fühle ich mich besser – stärker. Jetzt kann ich mich allem stellen, was Callum von mir will.

Ich werfe den Rucksack über die Schulter, und während ich auf die Tür zusteuere, entwerfe ich einen Plan. Ich brauche Geld. Callum hat welches. Ich brauche ein neues Dach über dem Kopf, und zwar schnell. Falls er mir genug Geld gibt, fliege ich einfach weg und fange noch mal ganz von vorn an. Ich weiß schließlich, wie das geht!

Alles wird gut.

Alles wird gut! Das sage ich mir selbst immer wieder, so lange, bis ich es wirklich glaube …

Callum wartet bereits oben an der Treppe auf mich. Er stellt mich dem Fahrer vor. »Ella Harper, das ist Durand Sahadi. Durand, das ist Stevens Tochter Ella.«

»Freut mich, dich kennenzulernen.« Durand hat eine lächerlich tiefe Stimme, ein bisschen so wie Batman. »Mein Beileid.«

Er neigt den Kopf, und das finde ich so verdammt nett, dass ich gar nicht anders kann, als ihm die Hand zu schütteln. »Danke.«

»Danke, Durand«, wendet Callum sich an den Fahrer. »Komm, Ella. Setzen wir uns. Ich will endlich heim. Bis Bayview dauert der Flug eine Stunde.«

»Eine Stunde? Und dafür haben Sie das Flugzeug kommen lassen?!«

»Die Fahrt hätte sonst sechs Stunden gedauert. Das ist viel zu lang! Immerhin hat es schon neun Wochen und eine ganze Armee von Detektiven gebraucht, um dich aufzuspüren.«

Da mir ja doch nichts anderes übrig bleibt, folge ich Callum zu einer Sitzgruppe mit cremefarbenen Lederbezügen. Dazwischen steht ein schicker Tisch aus dunklem Holz mit Silberintarsien. Er macht es sich bequem und bedeutet mir dann, mich ebenfalls zu setzen. Ein Glas und eine Flasche stehen schon bereit, als wüsste das Team an Bord genau, wie der Herr es am liebsten hat. Besonders, wenn es um ein wichtiges Gespräch geht.

Auf der anderen Seite des schmalen Gangs neben Callum befinden sich weitere bequeme Sessel und ein Sofa. Ob ich wohl als Stewardess für ihn arbeiten dürfte? Hier drin ist es ja noch schöner als in seinem Auto. In diesem Flieger lässt es sich eine Weile aushalten, keine Frage!

Ich setze mich und stelle den Rucksack zwischen meine Beine.

»Schöne Uhr«, meint er trocken.

»Danke. Hab ich von meiner Mutter. Sie hat gesagt, dass das das Einzige neben seinem Namen ist, was von ihm geblieben ist. Na, und mich gibt es natürlich auch noch.« Bringt ja nichts, es weiter abzustreiten. Wenn er schon all die Detektive losgeschickt hat und die mich wirklich in Kirkwood ausfindig gemacht haben, weiß er über mich und meine Mom wahrscheinlich besser Bescheid als ich selbst! Von meinem Dad hat er jedenfalls eine Menge Ahnung. Und ich will zu gern mehr erfahren. »Wo ist der Brief?«

»Zu Hause. Ich gebe ihn dir, wenn wir angekommen sind.« Er greift nach einer Ledermappe und zieht ein Bündel Geldscheine heraus – die Art, die man aus Filmen kennt. Mit Banderole und so.

»Ich möchte dir einen Deal vorschlagen, Ella.«

Wahrscheinlich sind meine Augen gerade so groß wie Turmuhren, aber ich kann leider nichts dagegen tun. Ich habe nun mal noch nie so viel Kohle auf einmal gesehen.

Er schiebt das Bündel über die glänzende dunkle Holzfläche zu mir. Ist das hier ein Fernsehquiz oder irgendeine seltsame Reality-Show? Ich richte mich gerade auf. O nein, für dumm lasse ich mich nicht verkaufen!

»Lassen Sie mal hören«, sage ich und verschränke meine Arme, während ich Callum aus zusammengekniffenen Augen ansehe.

»Ich vermute mal, dass du strippst, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen und deinen Highschool-Abschluss machen zu können. Darum gehe ich davon aus, dass du aufs College willst, mit dem Strippen aufhören und lieber irgendetwas anderes werden willst. Vielleicht Buchhalterin, vielleicht aber auch Ärztin oder Anwältin. Dieses Geld ist eine Art … Vertrauensvorschuss.« Er klopft auf die Scheine. »Das hier sind zehntausend Dollar. Jeden Monat, den du bei mir bleibst, bekommst du ein neues Bündel – mit derselben Summe. Wenn du bis zum Highschool-Abschluss bei mir bleibst, bekommst du noch mal zweihunderttausend als Bonus. Damit kannst du deine College-Ausbildung finanzieren, deine Unterkunft, Kleidung und dein Essen. Und wenn du einen Abschluss machst, bekommst du noch mal einen Bonus.«

»Und wo ist der Haken?« Es juckt mich in den Fingern, mir das Geld einfach zu schnappen, irgendwo einen Fallschirm zu finden und dann den Klauen Callum Royals zu entfliehen, ehe er auch nur Aktienmarkt sagen kann.

Stattdessen bleibe ich sitzen und warte ab, was für kranke Forderungen er für dieses Geld stellt. Hauptsache, ich weiß, wo meine Grenzen liegen …

»Na, der Deal ist, dass du nicht mehr gegen mich ankämpfst. Du versuchst nicht mehr davonzurennen und erkennst meine Rolle als dein Vormund an. Du lebst in meinem Haus, und meine Söhne sind wie Brüder für dich. Wenn du diese Bedingungen erfüllst, kannst du das Leben führen, von dem du immer geträumt hast.« Er schweigt. »Das Leben, das Steve sich für dich gewünscht hätte.«

»Und was genau muss ich für Sie tun?« Ich muss alles vorher ganz genau abklären!

Callum reißt die Augen auf und wird ein wenig grün im Gesicht.

»Nichts, um Gottes willen! Du bist sehr hübsch, Ella, aber du bist noch ein junges Mädchen, und ich bin ein zweiundvierzigjähriger Mann mit fünf Söhnen! Keine Sorge, ich habe eine hübsche Freundin, bei der keine Wünsche offenbleiben!«

Uff. Sofort halte ich die Hand hoch. »Keine Details, bitte!«

Callum lacht erleichtert auf, ehe er wieder einen ernsteren Ton anschlägt. »Ich weiß, dass ich deine Eltern nicht ersetzen kann. Aber ich bin für dich da, so gut ich kann. Du magst deine Familie verloren haben, aber du bist nicht allein, Ella. Du bist jetzt eine Royal.«

Bei der Landung ist es viel zu dunkel, um etwas zu erkennen, obwohl ich meine Nase neugierig ans Fenster presse. Aber ich kann nur die blinkenden Lichter an der Landebahn ausmachen, und sobald wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, lässt Callum mir keine Zeit, mich genauer umzusehen. Natürlich benutzen wir nicht das Auto, mit dem wir ins Flugzeug gefahren sind. Nein, bei dem muss es sich um einen reinen Reisewagen handeln, denn Durand führt uns jetzt zu einem windschnittigen, schwarzen Sedan. Die Scheiben sind getönt, sodass ich immer noch keine Chance habe, draußen etwas zu erkennen. Als Callum aber die Scheibe herunterlässt, kann ich es riechen – Salz. Wir sind am Ozean.

Also müssen wir uns an der Küste befinden. Vielleicht in North oder South Carolina? Sechs Stunden Fahrt von Kirkwood könnte bedeuten, dass wir jetzt irgendwo am Atlantik sind. Würde auch Sinn machen, wenn man an den Namen von Callums Flugunternehmen denkt. Ist aber auch egal. Wichtig ist nur das Geldbündel in meinem Rucksack. Zehn Riesen, Menschenskinder! Ich kann’s echt nicht fassen. Und das jeden Monat. Und noch mehr Asche, wenn ich den Abschluss mache. Irgendeinen Haken muss es doch geben. Klar, Callum hat mir versichert, dass er keine Gegenleistung erwartet, aber ich bin nun mal nicht auf den Kopf gefallen. Irgendeinen Haken gibt es immer, und früher oder später wird sich schon herausstellen, was für einer. Na, wenn ich noch mal abhauen muss, dann habe ich immerhin zehntausend Dollar in der Tasche.

Und bis dahin spiele ich mit. Mache einen auf brave Pflegetochter.

Und seine Söhne … Mist, die hatte ich fast vergessen. Fünf, hat er gesagt? Na, wie schlimm können die verwöhnten Früchtchen schon sein? Da kenne ich wirklich Schlimmeres. Moms Gangsterliebhaber zum Beispiel. Leo, der versucht hat, mich zu begrapschen, als ich zwölf war. Und mir beigebracht hat, wie man eine ordentliche Faust macht, nachdem ich ihn in den Bauch geboxt und mir dabei beinahe die Hand gebrochen habe. Wir haben herzlich gelacht und wurden dicke Freunde. Seine Selbstverteidigungstipps waren beim nächsten Freund meiner Mutter dann auch total nützlich. Der war genauso touchy. Tja, meine Mutter hatte wirklich ein super Händchen bei der Partnerwahl!

Aber ich versuche, sie dafür nicht zu verurteilen. Sie hat sich durchgeschlagen, so gut sie konnte, und ich wusste immer, dass sie mich sehr liebt.

Nach einer halbstündigen Fahrt verlangsamt Durand das Tempo vor einem großen Tor. Zwischen uns und dem Fahrer gibt es eine Trennscheibe, aber dennoch höre ich ein Piepen und dann ein mechanisches Surren, ehe wir weiterfahren, langsamer dieses Mal. Schließlich halten wir an, und die Verriegelung des Autos öffnet sich.

»Wir sind zu Hause«, sagt Callum leise.

Ich würde ihn da gern korrigieren – mein Zuhause ist es nun wirklich nicht –, aber ich schlucke den beißenden Kommentar hinunter.

Durand öffnet mir die Tür und streckt mir die Hand entgegen. Als ich aussteige, merke ich, dass meine Knie zittern wie Wackelpudding. Vor einer riesigen Garage parken noch drei andere Wagen – zwei schwarze Geländewagen und ein kirschroter Pick-up, der irgendwie fehl am Platze wirkt.

Callum folgt meinem Blick.

»Früher waren das mal drei Range Rover, aber Easton hat seinen für den Pick-up verkauft. Schätze mal, er wollte mehr Platz haben, wenn er mit seinen Dates rummacht.«

Er klingt nicht vorwurfsvoll, eher bedauernd. Wahrscheinlich ist Easton einer seiner Söhne. Und da schwingt noch etwas anderes in seiner Stimme mit … Hilflosigkeit vielleicht? Ich kenne den Typen erst seit ein paar Stunden und kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass er jemals irgendetwas nicht im Griff haben könnte. Sofort schrillen meine Alarmglocken erneut.

»Die ersten Tage über müssen dich die Jungs mit in die Schule nehmen. Bis du dein eigenes Auto hast.« Seine Augen verengen sich. »Wenn du einen Führerschein unter deinem richtigen Namen haben solltest, auf dem du noch nicht vierunddreißig bist.«

Ich nicke grummelnd.

»Gut.«

Erst jetzt wird mir klar, was er da gerade gesagt hat. »Sie wollen mir ein Auto kaufen?«

»Ähm, ja. Das erleichtert die Dinge sehr. Sag mal, kannst du vielleicht aufhören, mich zu siezen?«

»Kann ich versuchen!«

»Also, die Sache ist die: Meine Söhne sind Fremden gegenüber nicht sonderlich … aufgeschlossen. Aber du musst nun mal zur Schule, also …« Er zuckt mit den Schultern. »Es wäre einfach unkomplizierter.«

Mann, langsam werde ich immer misstrauischer. Irgendwas ist hier doch faul! An diesem Mann. An seinen Söhnen. Vielleicht hätte ich mich in Kirkwood mehr darum bemühen sollen, aus seinem Auto zu entkommen. Vielleicht hätte ich …

Als mein Blick auf das Haus fällt, bricht mein Gedankenstrom sofort ab.

Das ist kein Haus, das ist ein Palast. Der Palast der Royals.

Das kann doch nicht wahr sein! Das Gebäude hat nur zwei Stockwerke, ist aber so lang gestreckt, dass ich Mühe habe, bis an dessen Ende zu sehen. Und überall sind Fenster! Vielleicht hatte der Architekt ja eine Allergie gegen Wände oder panische Angst vor Vampiren?

»Du …« Meine Stimme überschlägt sich, und auch das ›Du‹ kommt mir noch etwas schwer über die Lippen. »Du wohnst hier?«

»Wir leben hier«, korrigiert er mich. »Das ist jetzt auch dein Zuhause, Ella.«

Nein, das wird es nie sein. Ich gehöre nicht in so eine Luxusvilla, sondern in eine Bruchbude. Da fühle ich mich wohl, weil es immerhin eine ehrliche Art von Unterkunft ist und nicht alles nur Fassade. Bei einer Bruchbude weiß man, woran man ist.

Denn dieses Haus hier ist doch nichts als eine Illusion. Klar, es glänzt und ist hübsch anzusehen, aber dieser Traum, den Callum mir da unterjubeln möchte, ist genauso vergänglich wie Papier. Nichts glänzt ewig.

Drinnen sieht es genauso extravagant aus wie draußen. Das Foyer, das endlos groß wirkt, ist mit weißen, gold- und grau geäderten Fliesen verkleidet. Es sieht ein bisschen aus wie in einer Bank. Überhaupt ist der Raum so hoch, dass ich am liebsten ausprobieren würde, ob es ein Echo gibt.

An beiden Seiten der Halle führen Treppen nach oben, die sich an einer Art Galerie treffen, von der aus man die ganze Eingangshalle überblicken kann. An dem Kronleuchter über mir befinden sich mindestens hundert Lichter und so viele Kristalle, dass von mir nur ein Haufen Staub übrig bliebe, wenn er auf mich hinunterstürzen würde. Würde wunderbar in ein Hotel passen.

Wohin ich auch sehe: Wohlstand, nichts als Wohlstand.

Und dennoch sieht Callum mich die ganze Zeit über so unsicher an, als könnte er meine Gedanken lesen und wüsste, dass ich kurz davor bin, durchzudrehen und einfach abzuhauen, weil ich hier nun mal nicht hergehöre!

»Ich weiß, dass du eine andere Umgebung gewöhnt bist«, meint er. »Aber du wirst dich bestimmt dran gewöhnen. Es wird dir hier gefallen, das verspreche ich dir.«

Sofort versteife ich mich. »Machen Sie bitte nicht solche Versprechungen, Mr Royal. Nicht mir gegenüber.«

Sofort lässt er die Mundwinkel hängen. »Wolltest du mich nicht duzen? Außerdem will ich dir gegenüber jedes Versprechen halten, das ich mache, Ella. So wie ich das bei deinem Vater getan habe.«

Irgendwie rührt mich diese Aussage. »Du … ähm … mochtest meinen Vater echt gern, oder?«

»Er war mein bester Freund«, erwidert Callum schlicht. »Ich hätte mein Leben in seine Hände gelegt, wenn es hätte sein müssen.«

Muss schön sein, so jemanden zu haben. Die einzige Person, der ich je so vertraut habe, ist tot. Auf einmal vermisse ich meine Mom so sehr, dass es mir die Kehle zuschnürt.

»Ähm …« Ich bemühe mich um einen leichtherzigen Tonfall, obwohl ich kurz davor bin loszuheulen. »Hast du einen Butler oder so? Eine Haushälterin? Wer kümmert sich denn um alles?«

»Ich habe Angestellte. Du musst nicht den Boden schrubben, um dir den Unterhalt zu verdienen.« Sein Grinsen verschwindet, als er in meine finstere Miene blickt.

»Wo ist mein Brief?«

»Schau mal«, meint Callum besänftigend. »Es ist schon spät, und heute war ganz schön viel los. Wollen wir nicht morgen darüber reden? Gerade wünsche ich dir einfach nur, dass du dich so richtig ausschläfst.« Er sieht mich wissend an. »Ich habe den Eindruck, dass du schon lang nicht mehr so richtig tief und fest geschlafen hast.«

Da hat er recht. Ich hole tief Luft. »Wo ist mein Zimmer?«

»Ich bringe dich rauf …« Als er über uns Schritte hört, bleibt er stehen. Ich sehe, dass seine Augen zufrieden aufblitzen.

»Da sind sie ja. Gideon ist auf dem College, aber ich habe die anderen gebeten, runtergekommen, um dich zu begrüßen. Sie machen nicht immer, was ich …«

Und sie tun es anscheinend auch jetzt nicht. Nein, die jungen Royals pfeifen darauf, was er von ihnen will. Und ich genauso! Als die vier dunkelhaarigen Gestalten oben an der Brüstung erscheinen, würdigen sie mich keines Blickes.

Kurz klappt mir der Kiefer runter, aber ich fange mich schnell und wappne mich gegen die angriffslustige Stimmung, die mir von der Galerie aus entgegenschlägt. Ich will auf keinen Fall zeigen, wie beeindruckt ich bin, aber ich bin ganz schön verunsichert, verdammt noch mal. Richtig eingeschüchtert.

So hatte ich mir die Royal-Jungs nicht vorgestellt! Das sind keine verzogenen Muttersöhnchen in schicken Klamotten. Viel eher sehen sie wie furchterregende Schlägertypen aus, die mich wie ein Stöckchen zerbrechen könnten, wenn sie wollten.

Sie sind alle genauso groß wie Callum, locker einen Meter achtzig und unterschiedlich muskulös. Die zwei rechts sind ein wenig schmaler, während die beiden linker Hand extrem breitschultrig sind und ordentlich Bizeps haben. Das müssen Sportler sein. So sieht man nicht aus, wenn man nicht hart trainiert.

Jetzt bin ich doch ganz schön nervös, weil niemand ein Wort sagt. Nicht die Söhne und Callum genauso wenig. Selbst aus der Entfernung kann ich sehen, dass alle dieselbe Augenfarbe wie ihr Vater haben. Leuchtend blau und stechend – und alle starren Callum an.

»Jungs«, sagt er schließlich. »Kommt und lernt unseren Gast kennen.« Er schüttelt den Kopf, als wiese er sich selbst zurecht. »Unser neuestes Familienmitglied, meine ich.«

Stille.

Mann, ist das gruselig.

Der Typ in der Mitte grinst kaum merklich. Wie zum Hohn stützt er sich auf dem Geländer ab und schweigt weiter hartnäckig.

»Reed.« Callums fordernde Stimme hallt im Foyer. »Easton. Sawyer. Sebastian. Kommt runter. Sofort.«

Sie rühren sich nicht von der Stelle, und mir fällt auf, dass die zwei Söhne rechts Zwillinge sein müssen. Sie sehen nicht nur ziemlich identisch aus, sondern haben die Arme auch auf exakt dieselbe Weise vor der Brust verschränkt. Einer sieht zu dem Bruder ganz links hinüber.

Ende der Leseprobe