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Franziska Steinhauer

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Über dem Park des Fürsten Pückler liegt entspannte Festatmosphäre. Im regen Treiben bewegen sich Hilde und Traute, deren Männer sich in der „Goldenen Ananas“ hinter ihrem Bier verschanzt haben. Als Hilde sich leicht gegen ihre Freundin lehnt und diese sich zu ihr umdreht, sinkt Hilde massiv blutend zu Boden. Traute versucht sie zu retten, Zeugen rufen um Hilfe, Sanitäter werden benachrichtigt. Niemand hat den Angriff bemerkt. Einzig ein blutverschmiertes Messer bleibt auf dem Rasen zurück.

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Franziska Steinhauer

Parkgeflüster

Nachtigalls 16. Fall

Zum Buch

Schuldfessel Traute überredet ihre Freundin Hilde zum Besuch des jährlich stattfindenden Festes im Park des Fürsten Pückler. Während die Gatten dem Trubel schnell ausweichen und sich im Gartenlokal zum Bier niederlassen, streifen die Freundinnen über das Gelände, stöbern an verschiedenen Ständen, gucken Leute, tuscheln miteinander. Plötzlich sinkt Hilde stark blutend zu Boden, Traute ruft um Hilfe, versucht erfolglos mit ihrem Schal die Blutung zu stoppen. Schnell wird klar, dass der Angreifer ungesehen entkommen konnte. Nur die Waffe bleibt auf dem Boden zurück. Nach der Befragung durch Peter Nachtigall wird Traute klar, dass sie nichts über Hilde weiß. Diese hat nie Urlaubsfotos geteilt, nur vage über Vergangenes berichtet, während sie selbst viel über sich selbst preisgegeben hat. Traute erkennt irritiert, dass ihre beste Freundin, die sie seit Ewigkeiten kennt, stets eine Fremde geblieben ist. Hauptkommissar Nachtigall taucht tief ein in eine Geschichte um verlorene Unschuld und Angst.

Franziska Steinhauer lebt seit über 30 Jahren in Cottbus. Bei ihrem Pädagogikstudium legte sie den Schwerpunkt auf Psychologie sowie Philosophie. Ihr breites Wissen im Bereich der Kriminaltechnik erwarb sie im Rahmen eines Master-Studiums in Forensic Sciences and Engineering. Diese Kenntnisse ermöglichen es der Autorin den Lesern tiefe Einblicke in pathologisches Denken und Agieren zu gewähren. Mit besonderem Geschick werden mörderisches Handeln, Lokalkolorit und Kritik an aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft. Franziska Steinhauers Romane zeichnen sich durch gut recherchierte Details und eine besonders lebendige Darstellung der Figuren aus. Ihre Begeisterung für das Schreiben gibt sie als Dozentin an der BTU Cottbus weiter.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © imohn / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-7452-1

1

Es holperte diskret.

Kaum merklich.

Auf dieser Strecke nun wirklich nichts Besonderes.

Dachte ich. Nein, wusste ich. Schließlich fuhr ich hier nicht zum ersten Mal.

Eher routinemäßig, wohl ein Rest verinnerlichter Fahrschulwarnungen, warf ich einen Blick zurück.

Flirrende heiße Luft, keine klaren Konturen.

Und dennoch …

Da war irgendetwas.

Vollbremsung!

Zum Glück war ich allein auf dieser gottverdammten Piste.

Mit weichen Knien stieg ich aus.

Näherte mich unsicher dem »Schatten«.

Ein weggeworfener Kleidersack?, schlug mein Hirn vor, Müll von einem Lastwagen?

Doch als ich erkannte, was dort wirklich lag, gaben meine Beine unter mir nach.

Die letzten »Schritte« kroch ich auf allen vieren.

Wie hatte das nur passieren können?

Es war nicht wegzudiskutieren. Bei dem dunklen Haufen handelte es sich nicht um einen weggeworfenen Kleidersack.

Zauberei hätte helfen können – einer von uns wäre auf diesem Wege einfach von hier verschwunden – aber leider beherrschte ich Magie nicht.

Und für medizinisches Eingreifen war es zu spät.

Ohne Zweifel, eindeutig.

Selbst für einen Laien wie mich konnte es bei einem Körper, dessen Einzelteile sich über die gesamte Fahrbahnbreite verteilten, kein Vertun geben.

Quietschende Bremsen.

Schon der dritte Mensch innerhalb weniger Minuten in dieser gottverlassenen Ödnis.

Offensichtlich Rushhour.

Ab sofort waren mir alle Entscheidungen abgenommen. Mein eigenes Leben – vollkommen zum Stillstand gekommen.

2

»Ausgerechnet die beiden? Muss das wirklich sein?«, fragte Julius in Mitleid heischendem Ton.

»Stell dich nicht so an! Sie sind allein wie wir. Und im Zweifel soll Hilde nach Auffassung ihres Mannes ganz ohne Begleitung hingehen. Das macht doch keinen Spaß. Wie ich sie kenne, verzichtet sie dann lieber. Ihr Mann, der ist manchmal so träge, der will nämlich nicht mit, meint, es gäbe wohl kein langweiligeres Fest. Sie versucht am Nachmittag noch einmal, ihn zu überreden.«

»Aha! Wie stehen denn die Erfolgschancen?«

Trautchen warf ihrem Mann einen verachtungsvollen Blick zu. Er schrumpfte sichtbar in seinem Ohrensessel. Nestelte mit seinen Wurstfingern an der Strickjacke mit dem dicken Zopfmuster herum, als sei ihm kalt, fuhr mit ihnen über den spärlichen Rest von weißen Haaren, die sich vorsichtshalber fest an die Kopfhaut pressten, sah aus, als wolle er in den Spalt zwischen den Polstern rutschen.

Er begann, leicht zu beben.

Was unter diesem Blick als Reaktion bei ihm durchaus öfter einsetzte.

Trautchen, klein, rundlich, faltig und inzwischen nicht mehr grauhaarig, sondern rest-weiß, wies mit ihrem ausgestreckten Finger auf ihren deutlich überernährten, fast glatzköpfigen Mann und zischte böse: »Wenn du dich weder mit ihr noch mit ihm unterhalten möchtest, dann musst du das ja nicht. Es gibt so viel zu sehen! Und in der Regel triffst du an den entlegensten Orten irgendjemanden, den du kennst! Wie damals bei dem Kameltrip in Ägypten. Plötzlich stellte sich der Typ auf dem anderen Vieh als ehemaliger Arbeitskollege vor, und ihr habt den Rest des Tages über Vergangenes gequatscht. Mich hattest du total vergessen. Ich bin also sicher, du wirst auf deine Kosten kommen«, behauptete die Gattin, deren Ton und Körpersprache signalisierten, für sie sei das Thema beendet und sie dulde im Übrigen keinen Widerspruch.

»Ich mag die beiden nicht!«, versuchte Julius einen letzten, zugegeben schwachen Vorstoß.

»Ach! Und das soll jetzt wohl ein Argument sein? Wenn man älter wird, dünnt sich das Angebot an sozialen Kontakten merklich aus. Vielleicht solltest du nicht ganz so wählerisch sein«, gab Trautchen schnippisch zurück.

»Das habe ich oft genug von dir zu hören bekommen! Aber tatsächlich komme ich mit mir gut aus – deshalb brauche ich weder ›Zerstreuung‹ noch Fremdkontakte. Ich bin mir sehr sympathisch, es gibt nie Streit oder Diskussionen mit mir. Ich und ich – wir verstehen uns perfekt!«

Das verschlug der Gattin für einen kurzen Moment die Sprache.

Nach einer Pause flüsterte sie rau: »Dann bist du in diesem Punkt wohl der Einzige. Pass mal gut auf, dass du nicht völlig unerwartet auch noch die Wohnung nur mit dir teilen musst! Narzissten sterben oft einsam, nur in Begleitung von sich selbst.«

Trautchen drehte auf dem Absatz um und stapfte zornig durch den Flur ins Bad. Verriegelte die Tür hinter sich und beschloss, diesen Tag ganz der Pflege ihres Egos und des dazugehörigen Körpers zu widmen. Das Radio würde Julius’ Versuche, die Wogen zu glätten, übertönen und vielleicht bei ihm den einen oder anderen Denkprozess anstoßen.

Während sie sich entkleidete, dabei ihren Körper kritisch im Spiegel betrachtete, gestand sie sich widerwillig ein, dass sie auf gar keinen Fall ohne ihren grantigen Partner alt werden wollte. Vorausgesetzt, dass das mit dem Altwerden ihr überhaupt je passieren würde.

Bis der letzte Lebensabschnitt wirklich käme, wäre noch viel Zeit.

»Auf der anderen Seite«, verriet sie ihrem Spiegelbild, das durch den Dampf des einlaufenden Badewassers gemildert wurde, »vielleicht habe ich auch nur Angst vor Einsamkeit – aber egal. Wir sollten uns nicht endgültig entzweien. Wenn ich mich nüchtern betrachte … naja, einen Neuen werde ich wohl nicht so schnell wie früher finden. Und auf noch eine anstrengende Aneinandergewöhnungsphase, womöglich eine, die sich über mehrere Jahre erstreckt, habe ich wirklich keine Lust mehr.«

Entschlossen löste sie die Türverriegelung.

Stieg in die Wanne mit dem duftenden Schaum, schloss die Augen, lauschte auf Schritte …

3

»Mord!«, verkündete der Fahrer des zweiten Wagens an der Unfallstelle. »So wie das hier aussieht – das ›passiert‹ immer nur mit Absicht – und typischerweise von jemandem, der sich als Tourist ausgibt! Hattet ihr Streit? Hast sicher gedacht, das klärst du endgültig, interessiert hier niemanden?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Gib dir keine Mühe. Wir kennen das. Leugnen ist zwecklos. Die Ermittler habe ich informiert, die sind sicher schon auf dem Weg. So eine schnurgerade Straße, keine Hügel, keine Kurven, kein Verkehr, keine Einschränkung der Sicht. Also bleibt glasklar: Absicht. Demnach eben Mord. Du landest im Gefängnis, wir fackeln da nicht lange. Ist dir doch bewusst, oder? Dir kann keiner mehr helfen«, prognostizierte der Fahrer, nachdem er den Ort des Geschehens begutachtet hatte. »So etwas erlauben wir nicht. Den Einheimischen nicht und schon gar nicht den Touristen!«

Ich nahm das Gerede nicht ernst.

Ja, dies war kein Rechtsstaat nach unserem Vorbild, aber Unfall blieb eben Unfall. Dramatisch, ohne Frage, aber es fehlte jede Tötungsabsicht. Natürlich war ich nervös, wer wäre das an meiner Stelle nicht gewesen? Die Uniformierten nahmen mich mit, mein Auto schleppte ein Dienstleister ab – aber Unfall blieb Unfall, blieb Unfall, blieb Unfall, blieb …

»Wir haben keinerlei Bremsspuren vor dem Ort des Aufpralls gefunden. Sie haben den jungen Mann mit hoher Geschwindigkeit rücksichtslos und ohne Skrupel überfahren. Er hatte nicht die geringste Chance«, stellte Stunden später ein uniformierter Ermittler in schneidend-militärischem Ton einleitend fest.

»Nein, ich habe ihn nicht rücksichtslos überfahren. Ich habe ihn nicht gesehen. Es rumpelte, und im Rückspiegel habe ich entdeckt, dass auf der Straße etwas liegt. Ich ging nachsehen. Hören Sie, ich kannte den Mann sicher überhaupt nicht. Welchen Grund sollte ich haben, ihn überfahren zu wollen?« Logik wird helfen, dachte ich.

»Die Hintergründe dieser Tat decken wir schon auf, seien Sie unbesorgt, wir finden immer raus, was passiert ist. Sie behaupten also, das Opfer nicht zu kennen?«

Er legte die Unterarme beinahe entspannt auf dem Tisch ab, lenkte meinen Blick so auf die Uhr an seinem Handgelenk. Golden. Er hoffte, ich würde assoziativ mit der Uhr eine Auszeichnung verbinden. Ließ mich wissen, dass er der Beste war.

Ich nickte. »Ich hatte in den drei Tagen, die ich hier verbracht habe, nicht mit besonders vielen Menschen Kontakt.«

»Er war Kellner.«

Ich wartete. Zuckte dann mit den Schultern. Was sollte ich auch dazu sagen?

»In Ihrem Hotel. Dem Hotel, in dem Sie jeden Morgen mit einer Frau gemeinsam gefrühstückt haben. Sogar in einem gemeinsamen Zimmer haben Sie mit Ihrer Begleiterin übernachtet – wir fragen uns: Wo ist diese Frau nun? Bestimmt saß sie doch neben Ihnen im Auto.«

Übelkeit. Ein schlechter Geschmack im Mundraum.

Kellner in meinem Hotel?

Und wie war er dann so schnell auf diese Straße im Nirgendwo gelangt? Mit einem Fahrrad?

Mein Herz stolperte. Mir blieb für Sekundenbruchteile die Luft weg.

Mein Gegenüber musterte mich interessiert.

Strich wie beiläufig mit der rechten Hand über die Streifen am Ärmel seiner Uniform, es wirkte wie stolzes Streicheln.

Er suchte einen Schuldigen.

»Ich möchte meinen Botschafter sprechen«, forderte ich entschieden. »Ich verstehe nicht alles, was Sie sagen. Deshalb ist ein Dolmetscher notwendig, um eine sichere Kommunikation zwischen uns möglich zu machen. Und ich brauche einen Anwalt. Sonst finden sich in Ihren Akten Aussagen, die aufgrund von Missverständnissen zustande gekommen sind.«

»Aber wir sprechen Englisch. Sie beherrschen es, ich auch. Wie also sollten wir uns missverstehen? Ich sehe auch nicht, wozu Sie einen Anwalt brauchen könnten. Ist doch alles eindeutig. Wo ist die Frau?«

Ein Spiel auf Zeit? Warum interessierte ihn die Frau?

»Kellner in meinem Hotel – mag ja sein. Gäste merken sich nicht unbedingt die Gesichter des Personals, sie sehen den Kellner nicht als Person. Abgesehen davon … von seinem Gesicht«, ich brauchte einen tiefen Atemzug, »… also, ich will sagen: Er war auf keinen Fall mehr zu erkennen.«

»Seine – Philipps – Kollegen erzählten uns, er habe lange mit Ihnen gesprochen. Der junge Mann war sehr sportlich, und Sie haben sich mit ihm in der Lobby über Funktionskleidung und klimaangepasstes Outfit ausgetauscht. Natürlich erkannten Sie ihn ohne Schwierigkeiten, trug er doch eines Ihrer T-Shirts!« Seine kleinen scharfen Augen fixierten mich kalt.

»Ach! Dann hatte einer der Bediensteten des Hotels mein T-Shirt an sich genommen. Ich hatte eines am Pool vergessen, als ich es holen wollte, war es verschwunden. Darüber habe ich mir nicht wirklich Gedanken gemacht. War ja mein Fehler.«

»Den Kollegen hatte Philipp erzählt, es sei ein Geschenk von Ihnen gewesen. Er habe das Shirt am Abend zu Ihrem Zimmer gebracht, und Sie schlugen vor, er solle es ruhig behalten, wenn er es tragen wolle. Er hatte sich sehr gefreut und stolz das Shirt seinen Kollegen gezeigt.« Der Blick des Ermittlers streifte mein Gesicht vorwurfsvoll. »Jetzt erzählen mir einige seiner Kollegen aber, sie seien sicher, Philipp habe sterben müssen, weil Sie eifersüchtig waren. Er hatte sich wohl sehr angeregt mit Ihrer Begleitung unterhalten. Man sagt mir, Sie seien sehr verärgert gewesen. Hm. Sie merken schon, dass das nicht zueinander passt?«

Diesmal schien der kalte Blick wie eine mit spitzen Nägeln gespickte Walze, die langsam über meinen Körper glitt. So ein Gerät hatte ich vor Jahren im Foltermuseum gesehen. Mein gesamter Körper brannte wie an 1.000 Einstichen, und ich spürte, warm und klebrig-feucht, Blut auf meiner Haut.

Idiot, schalt ich mich, du bist ja völlig hysterisch.

»Ich verlange, meinen Botschafter zu sprechen, und benötige einen Übersetzer und einen Anwalt! Vielleicht war der Mann schon tot, als ich über ihn fuhr. Normalerweise verteilt sich ein Körper nicht auf diese Weise. Ich verlange eine Obduktion und eine Sicherung aller Spuren«, presste ich hervor, ärgerte mich sofort über dieses Zeichen der Schwäche unter meinen entschlossenen Worten.

Er grinste. Breit und hochzufrieden.

Natürlich wusste er nun, was ich empfand, und weidete sich ausgiebig an meiner aufsteigenden Panik. Das Hemd klebte an meiner Haut, ich roch nach Schweiß.

In seiner Nase stank ich klar nach Schuld.

Na prima. Vegetative Reaktionen waren schwer beherrschbar. Ich war mir ausgeliefert.

»Ich fordere ein Gespräch mit meinem Botschafter und einen von der Botschaft autorisierten Anwalt«, insistierte ich.

Der Uniformierte lehnte sich zurück. »Nun, sehen Sie, ich bin sicher, Ihr Botschafter hat in den kommenden Wochen sehr viele Termine wahrzunehmen. Vielleicht kann er gar nicht kommen. Oder möchte keinen überführten Mörder besuchen, der sein Schicksal verdient hat. Aber Ihre Begleiterin wird sich ja sicher um Sie sorgen, von Ihrem Verbrechen erfahren und sich in der Botschaft melden. Meinen Sie nicht?« Er lachte wie über einen guten Witz, sein immenser Bauch schwappte dabei rhythmisch auf und ab.

Was sollte ich darauf antworten?

Passend gewesen wäre: Hoffentlich tut sie das nicht – aber das kam natürlich nicht in Betracht. Blieb mir nur, auf ihren klaren Verstand zu vertrauen. Sie würde erkennen, dass es nur logisch war, davon auszugehen, dass man ihr dort »von Staats wegen« auflauerte.

Konzentriert versuchte ich, meine Atmung in einen normalen Rhythmus zu zwingen. Er sollte glauben, ich hätte wieder alles im Griff, sei nicht im Mindesten besorgt. Weder um mich noch um die Frau.

»Vielleicht will diese Frau das Land verlassen. Wir warten überall auf sie.«

»Sie kennt mich nicht – und ich sie nicht. Es war eine zufällige Begegnung. Siri nennt sie sich. Mir war klar, dass das nie und nimmer ihr wahrer Name war, ich nahm sie dennoch mit. Ihre Familie hatte sie mit einem brutalen Mann verheiratet. Sie wollte nur weit weg von ihm. Sie wird sich sicher nicht um mich kümmern, für sie bin nur eine weitere männliche Enttäuschung.«

»Und Sie nehmen sie mit ins Hotel? In Ihr Zimmer? Eine vollkommen Unbekannte. Nein, das ist eine frei erfundene Geschichte, Sie wollen mich auf eine falsche Fährte locken. Man erzählt uns nämlich, Sie seien sehr vertraut miteinander gewesen.«

Er erhob sich, rückte seine Schirmmütze gerade. »Wir erlauben nicht, dass Fremde hier unsere jungen Männer töten, um unseren Frauen die Flucht vor ehelichen Pflichten zu ermöglichen und sie womöglich ins Ausland zu entführen. Sicher nicht. Wir finden heraus, wer Ihre Begleitung war, welche Fantasiegeschichte sie Ihnen erzählt haben mag – und warum Sie glaubten, sie müssten einen freundlichen jungen Kellner überfahren. Nun, jetzt suchen wir erst mal einen Platz für einen Verbrecher wie Sie.«

»Es war ein Unfall!«

Ein Unfall! Tragisch, tödlich – aber eben kein Mord!

Egal, was man mir hier andichten wollte.

Die Botschaft würde sich um mich kümmern, und in weniger als einer Woche könnte ich nach Hause zurückfliegen.

Dachte ich tatsächlich.

Wirklich völlig naiv.

4

»Ach, sieh mal!« Conny schob Peter Nachtigall beim Frühstück die Zeitung über den Tisch zu. »Es ist Parkfest. Am Wochenende. Wollen wir uns das ansehen?«, fragte sie mit unverhohlener Vorfreude.

Nachtigall schmunzelte.

»Der Garten ist fertig gestaltet. Ich sehe nicht, wo wir noch Platz für den einen oder anderen Neuzugang hätten.«

»Ach, darum geht es doch gar nicht!«, protestierte Conny lachend. »Aber es macht viel Spaß, sich den ganzen Trubel anzusehen. Die vielen weißen Zelte, die Leute, die kostümiert zum Fest kommen, die exotischen Pflanzen, das Kunsthandwerk. Manchmal ist auch jemand dort, der Zierfische für den Gartenteich anbietet. Bunte, silbrige, verfressene … Ach! Ich denke, es ist genau die richtige Mischung aus Entspannung und Entdeckung. Meinst du nicht auch?«

»Ja, wir können das fürs Wochenende planen. Vielleicht kommt Jule mit Familie mit. Für die Kinder wäre es sicher auch ein tolles Erlebnis.«

»Jule kann nicht kommen. Ohne von dem Fest zu wissen, habe ich schon vor ein paar Tagen nachgefragt, ob sie dieses Wochenende Zeit hätten. Die Kinder sind zu einem Geburtstag bei Freunden eingeladen. So kurzfristig ist das nicht mehr abzusagen. Die beiden haben sogar ein Lied gelernt, das mit den anderen Gästen gemeinsam als Ständchen vorgetragen werden soll. Da dürfen ihre beiden nicht fehlen.«

Conny beobachtete, wie sich die Miene ihres Mannes veränderte.

»Sei nicht enttäuscht. Wir sind zu knapp dran mit dem Fest.«

»Mit zwei kleinen Kindern ist man nicht mehr so flexibel. Wir beide sind eher für spontane Dinge zu haben?«, murrte der Gatte.

»Oh, so kann man das wirklich nicht formulieren. Mit einem Kriminalhauptkommissar verheiratet zu sein, kann sich gern als Terminkiller erweisen. Aber natürlich hast du recht, es hält uns flexibel.«

»Wir gehen hin. Im Augenblick scheint es ruhig zu sein. Wir sitzen über alten Fällen. Und der Park unseres Fürsten ist immer einen Ausflug wert. Im Schloss sind weitere Zimmer restauriert worden, die sehen wir uns auch gleich an. Die Bilder, die schon veröffentlicht wurden, haben Appetit gemacht. Tolle Farben, prächtige Gestaltung. Nix mit weißer Raufaser und schwedischen Kiefermöbeln!« Seine gute Laune war zurück.

»Prima. Ich freue mich schon. Hauptsache, das Wetter spielt mit.«

Conny goss Kaffee nach. »Beschlossene Sache also!«

5

»Jetzt doch? Alle vier zum Parkfest?« Hilde legte so wenig Begeisterung in diese beiden Fragesätze, dass Trautchen schwante, es könne ein schwieriges Gespräch werden, hier war eine gehörige Portion Überzeugungsarbeit nötig.

»Ja!«, hielt sie tapfer dagegen. »Wäre für uns alle eine schöne Abwechslung. Ich habe mich schon erkundigt: Man freut sich besonders über muntere, verkleidete Besucher und plant ein Foto-Shooting mit all den Menschen in Roben und Ausgehanzug. Stell dir vor: Vielleicht kommen wir sogar in die Lausitzer Rundschau!« Trautchen klatschte in ihrer Vorfreude laut in die Hände. »Das wäre doch mal was: wir beide in der Zeitung!«

Hilde blieb zurückhaltend. »Verkleiden mag ja lustig sein. Tatsächlich kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das zum letzten Mal gemacht habe. Da muss ich noch sehr jung gewesen sein. Aber ehrlich – in die Zeitung möchte ich nicht. Traute, du weißt doch, dass ich an so etwas eher nicht interessiert bin.«

»Ach was! In unserem Alter kann man sich Kamerascheu nicht mehr leisten. Wann, wenn nicht jetzt? Unsere Männer stecken wir auch in schickes historisches Outfit, dann schlendern wir alle gemeinsam durch den Park und übers Ausstellungsgelände ums Gewächshaus hinter der Goldenen Ananas. Wir bewegen uns majestätisch! Das kriegen wir so was von easy hin, glaub mir!«

Hilde warf ihrem Mann, der in seinem Sessel eingeschlafen war, einen nachdenklichen Blick zu. »Meinst du? Vielleicht müssen wir vorher noch etwas üben. Und denkst du, für seine Größe gibt es was im Verleih?«

»Klar, ganz sicher ist Bernds Größe vorrätig, und für Julius finde ich auch etwas.« Trautchens Stimme klang sehr überzeugt. Vielleicht, überlegte Hilde, hatte sie das sogar im Vorfeld schon abgeklärt.»Für unsere gibt es gar keine Probleme. Mach dir darüber keine Gedanken. Ich kümmere mich darum, lasse für uns eine kleine Auswahl reservieren. Dann können wir in Ruhe probieren. Allein das wird lustig! Ich bringe eine Flasche Sekt mit, dann wird es ein Gute-Laune-Event!«

Hildes Widerstand bröckelte sichtbar.

»Ist ja noch einige Zeit hin. Blitzdiät?«, kicherte sie, und Traute fiel erleichtert ein.

»Darauf müssen wir anstoßen«, beschloss Hilde, verschwand in der Küche, kehrte mit einer Flasche zurück und schenkte großzügig Champagner in zwei Gläser. »Wenn wir schon so etwas Verrücktes wie Verkleiden und im Park Rumstolzieren vorhaben, dann stoßen wir mit was Besonderem an!«

Sie prosteten sich zu.

Traute zeigte auf das Etikett. »Veuve Clicquot? Du bist nicht ganz bei Trost. Wenn ausgerechnet jetzt dein Gatte …«

»Prost!« Hilde stieß unbeirrt mit ihrem Sektkelch gegen den in der Hand der Freundin. Sie wies mit dem Glas auf den Schläfer. »Wenn er nun aufwachte, würde er uns dieses prickelnde Vergnügen von Herzen gönnen.«

Traute blieb skeptisch. »Ich habe schon mal was zum Durchgucken mitgebracht«, verkündete sie nach dem dritten Schluck. Aus ihrer geräumigen Tasche zerrte sie einen Bildband ans Licht. »Sieh mal, so wunderbare Garderoben hat man zu Pücklers Zeit getragen! Wir finden sicher etwas, das zu unseren Figuren passt. Schau, das hier wäre doch was für dich.«

Hilde war nicht ganz so zuversichtlich. »Um Himmels willen, Trautchen! So ein tiefes Dekolleté kann ich doch in meinem Alter nicht mehr tragen. An mir sieht das aus, als käme da eine verkleidete Mumie. Ich glaube, das will niemand sehen.«

Die Freundin schüttelte den Kopf. »Quatsch! Mit einem Seidenschal verbergen wir gekonnt Gefältel und Geknitter, mit einer Stola das Viel zu Viel an meinen Hüften und Oberschenkeln. Dein fehlender Knackarsch steckt hinter der gemütlichen Stoffansammlung über dem Steiß oder unter einem Reifrock. Die Schneider damals haben schon gewusst, worauf es ankommt. Dazu ein neckisches Schirmchen, um kokett die erbarmungslosen Sonnenstrahlen aus dem Gesicht zu halten. Niemand sieht dann mehr die tiefen Falten und Krähenfüße. Du liebe Güte, Hilde – wir haben gelebt. Das können wir nicht verbergen – und das sollten wir auch nicht wollen!«

Trautes Begeisterung ließ den letzten Widerstand der Freundin schmelzen.

Mit guter Laune, Kichern und Gelächter blätterten sich die beiden unternehmungslustigen Damen durch den Bildband. Warfen immer wieder mal einen misstrauischen Blick auf den Schlafenden im Sessel gegenüber.

»Sollte wirklich jemand von der Zeitung ein Foto machen wollen, hältst du einfach eine kleine Maske vor die Augenpartie. Das war früher schon schick und kaschiert jede Menge, selbst die Form und die Farbe der Augen sind nicht mehr zu erkennen. Hast du noch einen Schluck für mich?«, fragte Trautchen dann, hob ihr leeres Glas leicht an und zwinkerte. »Fahrtüchtig bin ich eh schon nicht mehr.«

6

»Da fall ick jlatt vom Glauben ab! Ick schlag lang hin!«

Die Stimme aus dem Hintergrund war nicht laut, aber dennoch deutlich zu hören. Deutsch! Berliner Einschlag.

Die anderen traten einen halben Schritt zur Seite, wodurch sich so etwas wie eine Gasse bildete. Ich erkannte undeutlich einen Schemen am Ende in der Ecke.

»Du jerechter Strohsack. Wie biss’n du hier reingeraten?«

Die Frage galt offensichtlich mir, denn als ich mich in alle Richtungen umwandte, wurde klar, dass die verschwitzten Körper auch von mir abgerückt waren.

»Ein Autounfall!« Mehr gab es dazu aus meiner Sicht nicht zu sagen.

»Ei, ei, ei. Autounfall? Wat sagt man dazu? Dir ist schon bewusst, dass du hier einen längeren Aufenthalt einplanen musst? Wer krumm und unflätig Holz spalten will, dem springen die Spreißenins Gesicht. Aber in deinem Fall … na ja. Man hat dich zu uns geworfen.« Der Schemen kam langsam durch die Gasse auf mich zu. Als ich eine Bewegung andeutete, die offensichtlich als feindlich missverstanden wurde, traten die beiden muskulösen Männer, die nächst zu mir standen, in den Weg und drohten mir gestisch Konsequenzen an, die ich mir lieber nicht würde vorstellen wollen – ich ließ sofort von dem Bestreben ab, dem anderen entgegenzugehen. »Tut mir leid, ich habe nicht darauf gedrungen.«

»Ruhig Blut bitte!«, hörte ich und dann viele Worte, die ich nicht verstand und die wohl an die Männer gerichtet waren. »Je mehr sich einer entschuldigt, je verdächtiger er sich macht.«

Die beiden vor mir verschränkten ihre Arme unter den ausgeprägten Brustmuskeln, ließen die Bizepse im Oberarm sichtbar an- und abschwellen. Mir war nicht klar, wen sie eigentlich damit zu beeindrucken versuchten. Wahrscheinlich war es altersgerechtes Imponiergehabe.

Vor mir Hänfling konnten sie nun wirklich keine Angst haben.

Barfuß, nur in der Anzughose, die ohne den haltgebenden Gürtel ständig rutschte, mit der schmalen Brust, die ohne Hemd noch mickriger wirkte – nein, hier, wo nur körperliche Präsenz zählte, waren meine kognitiven Fähigkeiten nicht gefragt.

Es dauerte.

Doch unerwartet traten die beiden Wachposten wieder in die Reihe zurück, und ich stand einem gebeugten, weißhaarigen Mann gegenüber. Mehr war im diffusen Licht nicht zu erkennen.

Er klopfte mir – was ich zunächst für einen Begrüßungsritus hielt – mit beiden Handflächen auf die Schultern, was besonders seltsam anmutete, musste er sich doch dazu auf die Zehenspitzen schwingen und die Arme weit nach oben recken.

Während des freundlichen Klopfens meinte er: »Na, patent siehst du aus!«

Der Alte machte ein Zeichen in die Runde.

Die jungen Männer entspannten sich zusehends.

»Weißt du, manchmal schicken sie uns einen widerlichen Maulwurf rein. Einer hatte gar mal ein kleines Abhörgerät unter der Haut an der Schulter. Und wenn einer neu zu uns kommt, glauben die Männer, er habe zwei Zungen in seinem Maul. Wir glauben, man ist besorgt, fürchtet, dass wir eine Revolte anzetteln könnten. Lächerlich. Man würde uns kommentarlos erschießen und unsere Leichen verscharren – oder verbrennen. Das stinkt allerdings ziemlich und lockt Neugierige an. Verscharren ist für sie besser, und uns erreicht die Erkenntnis, wenn es eh schon zu spät ist. Reagieren ist dann ein Traum von gestern.«

»Ihr wartet auf eure Verfahren?«

Der kleine Alte wandte sich um, übersetzte offensichtlich meine Worte.

Lautes Gelächter brach aus.

Frustrierend. Jedenfalls für mich.

»Was genau ist dir passiert?«

Ich erzählte die ganze Geschichte.

Gut – nicht ganz die ganze, aber doch die wichtigsten Details, und fügte deutlich an: »Es war ein Unfall. Dafür kann man mich doch nicht verurteilen oder im Gefängnis ›verschwinden‹ lassen!«

Mein Gesprächspartner zog mich am Oberarm etwas zur Seite. »›Das beste Mittel gegen den Zorn ist die Zeit‹, hat meine Mutter immer gesagt. Und Zeit wirst du hier ausreichend haben, das prophezeie ich dir.« Das Zur-Seite-Ziehen ging allerdings nur, wenn die Masse der Leiber uns genug Raum bot. Sie taten mehr als nur das, bildeten sogar eine Art schützenden Halbkreis.

Meine Angst vor den Männern war einer Grundvorsicht gewichen. Ich erlaubte mir, sie eingehender zu betrachten, entdeckte schreckliche Narben, große Wunden, offene Stellen und Geschwüre an allen denkbaren Stellen ihrer schweißfeuchten Leiber. Entweder wurden hier Rangkämpfe brutal ausgetragen oder … Meine Übelkeit kehrte zurück.

»Hör zu«, forderte der Alte eindringlich, »es ist besser, du findest dich schnell damit ab, sonst wird es unerträglich für dich und uns. Du bist hier nicht zu Hause! Hier gelten andere Regeln. Fremde verschwinden manchmal: aus Akten, Hotelbuchungen, Mietverträgen für Autos. Spurlos. Als seien sie nie hier gewesen. Das ist überhaupt nicht ungewöhnlich. Und gerade bei Fremden, für die sich niemand interessiert. Bisher hat keiner von der Botschaft Kontakt zu dir aufgenommen, oder? Weißt du, das bedeutet nur, dass man dort von dir und deiner Lage nichts weiß. Sie können hier mit dir tun und lassen, was ihnen beliebt.«

Offensichtlich hatte er doch nicht für jede Lebenslage einen Spruch parat.

»Sicher weiß man von mir! Und von dem Unfall.« Beharrungsvermögen hatte ich schon immer. »Es war ein tragischer Unfall! Ein anderer Fahrer war ja auch vor Ort. Wahrscheinlich kommt niemand, weil man glaubt, der Fall sei klar, und ich käme sofort frei. Spätestens morgen wird man mich rauslassen.«

»Mein Name ist Franz. Und deiner?«

Er sah mich lange ruhig an, wartete.

»Hans-Jürgen. Ich bleibe nur eine Nacht!«

Franz wiegte den Kopf bedächtig.

Dann sagte er: »Nein!«

Nur dieses eine Wort.

7

»Sie sind wirklich sicher?« Die Frauenärztin musterte die junge Frau kritisch.

Schlank, zickig, unnahbar, die Haare streng nach hinten zum Pferdeschwanz gezurrt, der Blick ohne jede emotionale Färbung, eiskalt … und es wäre ihr sicher noch viel mehr zu dieser Patientin eingefallen, hätte diese mit der Antwort etwa gezögert.

»Ja!«, kam prompt. Selbst dieses Wort knackte wie ein Eiswürfel, kurz nachdem er das Gefrierfach verlassen hatte.

»Es wird Ihnen vielleicht leidtun – das passiert in der Regel erst, wenn es zu spät ist. Deshalb sollten Sie gut überlegen, was Sie tun. Weiß der Vater von diesem Termin bei mir?«

»Nein«, klirrte es.

»Ich rate immer dazu, alles mit dem Partner vorher zu besprechen. Es ist auch sein Kind«, mahnte die Ärztin. »Oft haben junge Frauen Angst, der Situation nicht gewachsen zu sein. Aber meist lässt sich alles regeln, und die Probleme lösen sich in Luft auf.«

»Nein.«

»Weiß der Kindsvater von Ihrer Schwangerschaft?«

»Ja.«

»Die Untersuchung hat eine unauffällige Frühschwangerschaft ergeben. Es spricht nichts dafür, irgendwelche Probleme zu erwarten. Sie könnten das Kind sicher …«

»Nein.«

Die einsilbigen Antworten der jungen Frau gingen der Gynäkologin inzwischen gewaltig auf die Nerven. Wie sollte sie mit dieser Frau ein intimes Aufklärungsgespräch führen? Aussichtslos, räumte sie in Gedanken ein. Viele der jungen Frauen, die auf dieser Couch ihr gegenübersaßen, gaben sich verschlossen, zurückhaltend, versuchten unsicher, so wenig wie möglich von sich preiszugeben. Doch diese war vollkommen anders. Sehr entschlossen. Demonstrierte mit Körperhaltung, Auftreten und Kleidung Selbstbewusstsein und Streitbarkeit. Nichts an ihr war etwa weich oder wirkte, als sehne sie sich nach Zärtlichkeit. Dies war ein Gespräch über eine Dienstleistung, die sie erwartete.

»Wann?«

Die Ärztin warf einen Blick in den Terminkalender.

»Wie lang wissen Sie schon Bescheid?«

»Zwei Wochen.«

»Wie regelmäßig …«

»Pünktlich!«, fiel ihr die Frau ins Wort.

»Und …?«

»Vier Wochen.«

»Gut. Kommen Sie am 15., gleich morgens um 8 Uhr. Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie nicht direkt nach dem Eingriff nach Hause gehen können – oder etwa zur Arbeit. Holt Sie jemand ab, der dann bei Ihnen bleiben kann? Sie wissen ja um die Gefahr der Nachblutung nach dieser Maßnahme.«

»Nein.«

»Nein, denn Sie haben vergessen, worüber wir gesprochen haben, oder nein, es kann Sie niemand abholen?«

»Abholen.«

»Taxi? Wir können Ihnen eines rufen. Wenn dann zu Hause eine der besprochenen Komplikationen auftritt, kommen Sie sofort wieder her. Kann ein Nachbar Sie fahren?«

»Nein. Muss nicht.«

In der Gynäkologin keimte der Verdacht, dass dies nicht der erste Abbruch war, den diese Frau durchführen ließ.

»Bevor wir die Abtreibung vornehmen, müssen Sie unterschreiben, dass ich Sie vollständig aufgeklärt habe, wir alle sich ergebenden Risiken und möglichen Folgen besprochen haben. Und bevor Sie am 15. gehen, müssen Sie unterschreiben, dass Sie auf eigenen Wunsch sofort nach dem Eingriff nach Hause zurückkehren und die Folgen in eigener Verantwortung tragen.«

»Ja.«

Die seltsame Frau erhob sich von der Couch, nickte der Gynäkologin kurz zu, sagte: »Bis zum 15.«, und ging.

Schloss die Tür hinter sich leise. Sehr kontrolliert.

»Vielleicht doch Opfer einer Vergewaltigung – oder der Kindsvater entpuppte sich als Widerling. Darüber wollte Sie auch nicht mit mir sprechen.« Die Ärztin seufzte, zuckte mit den Schultern. »Mehr, als zu versuchen, die Hintergründe zu klären, kann ich auch nicht. Ich muss glauben, was man mir sagt. Und Spuren häuslicher Gewalt habe ich an ihrem Körper nicht entdecken können.«

Sie öffnete das Fenster weit.

Hoffte, eine kräftige Portion Wind würde die Atmosphäre im Raum reinigen.

8

»Ha! Unsere Frauen schleppen uns in den Park des Fürsten! Du liebe Zeit. Blumengesteckwettbewerb, Gärtnereien, die ihre hochgezüchteten Pflanzen an den Mann und die Frau bringen wollen. Kaum gesetzt, fängt das Gepflänz an zu mickern und geht dann fix ein. Und daneben noch jede Menge Schnickschnack für Garten, Rabatte und Balkon. Zeug, das wirklich niemand braucht.«

»Sei doch nicht immer so schrecklich negativ! Aber ja, bei uns ist die Diskussion wohl ganz ähnlich gelaufen. Wie bei euch.« Der andere zuckte mit den Schultern. »Sie kriegen immer, was sie wollen!« Bernd schmunzelte nachsichtig.

»Hoffentlich finden wir eine schattige Ecke mit gutem Bierausschank. Da ist doch direkt am Gelände ein Restaurant, oder? Mit zwei großen bronzenen Löwen davor, die die Mäuler aufreißen? Im Winter stecken die Spaziergänger denen gern Schneebälle zwischen die eindrucksvollen Zähne. Ist doch dort, oder?«

»Ja. Die Goldene Ananas. Und ja, es halten zwei stattliche Löwen davor Wache. Im Sommer stehen auf der Wiese hinter dem Lokal Tische, und man wird bedient. Bier gibt es da natürlich auch. Gut, selbstverständlich nicht nur Bier. Aber eben auch. Bloß mit dem Schatten könnte es ein Problem geben. Ausweichen wird schwierig.«