Parlamentsrecht - Philipp Austermann - E-Book

Parlamentsrecht E-Book

Philipp Austermann

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Beschreibung

Dieses neue Lehrbuch dient in erster Linie Ausbildungszwecken. Das Parlamentsrecht formt den Rechtsrahmen für die Abgeordneten, für die (Selbst-)Organisation und die Willensbildung im Deutschen Bundestag. Sein Gegenstand sind demnach u.a.: die Rechtsstellung der Abgeordneten, Fraktionen und Gruppen, die Selbstorganisation und die Organe des Parlaments, seine Handlungsformen und Funktionen wie Gesetzgebung, Regierungskontrolle und Budgetrecht. Zusammen mit dem Parteienrecht und dem Wahlrecht bildet das Parlamentsrecht die Demokratieverfassung des Grundgesetzes. Parlamentsrechtliche Fragen gewinnen in der politischen Praxis und im Rahmen von Verfahren vor dem BVerfG zunehmend an Bedeutung - wegen der parteipolitischen Diversifizierung und Tendenzen der Lockerung des Grundkonsenses über die Verfassungs- und Gesellschaftsordnung. Sie sind Bestandteil der staatsorganisationsrechtlichen Vorlesungen und Arbeitsgemeinschaften im Pflichtfach zu Beginn des Jurastudiums. Darüber hinaus ist das Parlamentsrecht in seiner Vertiefung Gegenstand verschiedener Schwerpunktbereiche zu Themen wie "Rechtsetzung und Rechtspolitik", "Gesetzgebung", "Rechtsetzungsrecht" oder "Parlamentsrecht". Die Autoren knüpfen in Stoffauswahl und Darstellungsmethode an diese Ausrichtung an. Ihre Erfahrungen als Hochschullehrer und Richter ebenso wie gewonnene Erkenntnisse aus der praktischen Befassung in der Verwaltung des Deutschen Bundestags, der Ausschussarbeit zu Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie aus dem Plenarsitzungsdienst fließen stets in die Darstellung mit ein. Fälle mit Lösungshinweisen, Beispiele, Grafiken sowie Aufbau- und Prüfungsschemata veranschaulichen den Lernstoff.

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Parlamentsrecht

Parlamentsrecht

 

Prof. Dr. Philipp AustermannProfessor an der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung, Brühl, vormals Regierungsdirektor in der Verwaltung des Deutschen Bundestages

 

Prof. Dr. Christian WaldhoffProfessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, Richter im Nebenamt am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg

1. Auflage

 

www.cfmueller.de

Impressum

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

 

ISBN 978-3-8114-8852-6

 

E-Mail: [email protected]

Telefon: +49 89 2183 7923Telefax: +49 89 2183 7620

 

www.cfmueller.de

 

© 2020 C.F. Müller GmbH, Waldhofer Straße 100, 69123 Heidelberg

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Vorwort

Vorwort

Der Deutsche Bundestag als Parlament ist das zentrale Staatsorgan in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Er ist zugleich das einzige direkt vom Staatsvolk gewählte Organ. Von ihm wird in zentraler Weise demokratische Legitimation vermittelt. Das Parlamentsrecht bietet den Rechtsrahmen für die Abgeordneten, für die (Selbst-)Organisation und für die organschaftliche Willensbildung im Deutschen Bundestag. Zusammen mit dem Parteienrecht und dem Wahlrecht bildet das Parlamentsrecht die Demokratieverfassung des Grundgesetzes: Ausgehend von der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung im vorstaatlichen Bereich und vermittelt über die Wahl zum Deutschen Bundestag setzt sich die politische Willensbildung im Parlament fort. Dort werden die politischen Entscheidungen getroffen und in Form von Wahlen und (Gesetzes-)Beschlüssen in Handlungs- und damit in Rechtsformen gegossen. Die Fraktionen erweisen sich als parlamentarische Fortsetzungen der politischen Parteien in staatsorganschaftlichem Gewand. In der politischen Praxis der Bundesrepublik nimmt die Bedeutung des Parlamentsrechts wegen der parteipolitischen Diversifizierung und wegen Tendenzen der Lockerung des Grundkonsenses über unsere Verfassungs- und Gesellschaftsordnung zu. Noch nie war das BVerfG mit so vielen parlamentsrechtlichen Streitigkeiten befasst, wie in den letzten Jahren.

Das vorliegende Buch dient in erster Linie Ausbildungszwecken. Parlamentsrechtliche Fragen sind Bestandteil der staatsorganisationsrechtlichen Vorlesungen und Arbeitsgemeinschaften am Beginn des Rechtsstudiums, die in allen Bundesländern zum Prüfungspflichtstoff in der Ersten Prüfung zählen. Darüber hinaus ist es in seiner Vertiefung Bestandteil verschiedener Schwerpunktbereiche. Stoffauswahl, Darstellungsmethode und Literaturauswahl knüpfen an diese Ausrichtung an. Beide Autoren konnten ihre Lehrerfahrung in dem Schwerpunktbereich „Rechtsetzung und Rechtspolitik“ und dort durch die Vorlesungen „Rechtsetzungsrecht“ sowie „Parlamentsrecht“ an der Humboldt-Universität zu Berlin einbringen. Philipp Austermann konnte zudem seine langjährige Erfahrung in der Verwaltung des Deutschen Bundestages, u.a. im Sekretariat des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie im Plenarsitzungsdienst nutzen. Nicht nur daraus erklärt sich die deutliche Einbeziehung von Parlamentspraxis in die Darstellung, soweit dies nötig und sinnvoll war. Christian Waldhoff hält regelmäßig die Vorlesung „Staatsrecht I (Staatsorganisationsrecht)“. In seiner richterlichen Tätigkeit war er mit parlamentsrechtlichen Streitigkeiten befasst. An wichtigen Stellen wird der Stoff durch Fälle angereichert. Aufbau- und Prüfungsschemata ergänzen das Bild. Auf die anderen staatsrechtlichen Werke in der Lehrbuchreihe der „Schwerpunkte“ wird nicht nur in den jeweiligen Fußnoten verwiesen; am Beginn jedes Abschnitts wird die Vernetzung durch Inbezugnahme der einschlägigen Kapitel gewährleistet (▸). Das gilt in erster Linie für ▸ Christoph Degenhart, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht, 35. Aufl. 2019, aber auch für die Lehrbücher von: ▸ Thorsten Kingreen/Ralf Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 35. Aufl. 2019, ▸ Christian Hillgruber/Christoph Goos, Verfassungsprozessrecht, 5. Aufl. 2020 sowie ▸ Henning Tappe/Rainer Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019.

Für die Erstellung des Sachregisters danken wir Frau stud.iur. Franka Vagts am Berliner Lehrstuhl herzlich.

Für Kritik und Anregungen sind wir stets dankbar ([email protected]; [email protected]).

Brühl und Berlin, im Mai 2020       Philipp Austermann       Christian Waldhoff

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

 Vorwort

 Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

 Abkürzungsverzeichnis

§ 1Einführung

 I.Parlament

 II.Parlamentarisches Regierungssystem

 III.Parlamentsrecht

 IV.Abgeordnetenrecht

 V.Parlamentsrecht als Teil der Demokratieverfassung des Grundgesetzes

§ 2Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts

 I.Vorparlamentarische Institutionen, insb. Ständeversammlungen

 II.Volksvertretungen in der konstitutionellen Monarchie

  1.Ausländische Vorbilder

  2.Deutscher Bund

  3.Revolution 1848 und das Paulskirchenparlament

  4.Norddeutscher Bund und Deutsches Kaiserreich

   a)Staatsorgane nach der Bismarck-Verfassung

   b)Reichstag

   c)Oktoberreform 1918

 III.Parlamentarische Demokratie

  1.Weimarer Republik

   a)Novemberrevolution

   b)Nationalversammlung und Weimarer Reichsverfassung

   c)Parlamentsrecht der Weimarer Republik

   d)Zurückdrängung des Reichstages ab 1930

   e)Selbstentmachtung durch das Ermächtigungsgesetz

  2.Bundesrepublik Deutschland

 IV.Scheinparlamente

  1.Reichstag unter nationalsozialistischer Herrschaft

  2.Volkskammer der DDR

 V.Parlamentarische Selbstdarstellung und Antiparlamentarismus

§ 3Rechtsquellen des Parlamentsrechts

 I.Verfassungsrecht

 II.Einfaches Gesetzesrecht

 III.Ausführungsbestimmungen

 IV.Formelles Geschäftsordnungsrecht (GO-BT)

  1.Verfassungsrechtliche Grundlage: Geschäftsordnungsautonomie

  2.Erlass der Geschäftsordnung

  3.Umfang des geschriebenen Geschäftsordnungsrechts

  4.Besonderheiten des Geschäftsordnungsrechts

  5.Verhältnis von Gesetz und Geschäftsordnung

  6.Formenwahlrecht?

  7.Auslegung der Geschäftsordnung

  8.Änderung der Geschäftsordnung

  9.Diskontinuitätsgrundsatz

  10.Auswirkungen eines Geschäftsordnungsverstoßes

  11.Verfassungsprozessuale Bedeutung der Geschäftsordnung

 V.Ungeschriebene Regeln

  1.Parlamentsgewohnheitsrecht

   a)Vorschlagsrecht für den Bundestagspräsidenten

   b)Unvereinbarkeitsregeln

   c)Abstimmungsreihenfolge

   d)Zwischenrufe in der parlamentarischen Debatte

   e)Weitere Regeln des Parlamentsgewohnheitsrechts

  2.Parlamentsbrauch (parlamentarische Übung)

   a)Interfraktionelle Vereinbarungen

    aa)Vereinbarungen mit Anknüpfungspunkt in der GO-BT

    bb)Vereinbarungen ohne Anknüpfungspunkt in der GO-BT

   b)Weitere parlamentarische Übungen

§ 4Mitglieder des Parlaments: Die Rechtsstellung der Abgeordneten

 I.Repräsentantenstellung und freies Mandat

  1.Vertreter des ganzen Volkes

  2.Grundsatz des freien Mandats, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG

 II.Formale Gleichbehandlung aller Abgeordneten

 III.Parlamentarische Mitwirkungsrechte

 IV.Indemnität

  1.Zweck

  2.Persönlicher und zeitlicher Schutzbereich

  3.Sachlicher Schutzbereich

  4.Räumlicher Schutzbereich

  5.Rechtsfolgen

 V.Immunität

  1.Zweck

  2.Anspruchsinhaber

  3.Schutzumfang

   a)Art. 46 Abs. 2 GG

   b)Art. 46 Abs. 3 GG

   c)Art. 46 Abs. 4 GG

  4.Genehmigungsbedürftige und genehmigungsfreie Sachverhalte

  5.Verfahren in Immunitätsangelegenheiten

  6.Rechtsschutz

 VI.Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot

  1.Zweck

  2.Zeugnisverweigerungsrecht

   a)Persönlicher Geltungsbereich

   b)Sachlicher und zeitlicher Geltungsbereich

   c)Subjektiv-öffentliches Recht des Abgeordneten

  3.Beschlagnahmeverbot

   a)Persönlicher, sachlicher und zeitlicher Geltungsbereich

   b)Subjektiv-öffentliches Recht des Abgeordneten

 VII.Behinderungsverbot

 VIII.Entschädigungsanspruch und Freifahrtanspruch

  1.Entschädigungsanspruch

  2.Freifahrtanspruch

  3.Regelung durch ein Bundesgesetz

 IX.Abgeordnetenpflichten

 X.Verhaltensregeln

§ 5Fraktionen, Gruppen und fraktionslose Abgeordnete

 I.Fraktionen

  1.Politische Bedeutung

  2.Rechtsstatus

  3.Begriff, Bildung und Auflösung

  4.Rechte und Pflichten der Fraktionen

   a)Rechte

    aa)Fraktionsautonomie

    bb)Mitwirkungsrechte

     (1)Quoren

     (2)Gleichbehandlungsgrundsatz

     (3)Spiegelbildlichkeitsgrundsatz

     (4)Fraktionsexklusive Rechte

    cc)Öffentlichkeitsarbeit

   b)Pflichten

  5.Organe und Verfahren (Binnenstruktur)

   a)Fraktionsgeschäftsordnung

   b)Mitgliedschaftsverhältnis – fraktionsinterne Bedeutung des freien Mandats

   c)Fraktionsversammlung

   d)Fraktionsvorstand, weitere Funktionsträger und Gremien

  6.Fraktionsfinanzierung

  7.Prozessrechtliche Fragen des Fraktionsrechts

 II.Gruppen

  1.Voraussetzungen der Anerkennung

  2.Rechte und Pflichten

 III.Fraktionslose Abgeordnete

  1.Tatsächliche Bedeutung, Gründe der Fraktionslosigkeit

  2.Rechte

§ 6Selbstorganisation und Organe des Parlaments

 I.Selbstorganisationsrecht als Teil der Parlamentsautonomie

 II.Bundestagspräsident

  1.Bestellung und Abwahl

  2.Funktionen und Befugnisse

   a)Nach außen gerichtete Funktionen und Befugnisse

   b)Nach innen gerichtete Funktionen und Befugnisse

   c)Insb.: Hausrecht und Polizeigewalt

   d)Insb.: Ordnungsgewalt im Plenum

    aa)Ordnungsmittel gegenüber Mitgliedern des Bundestages

    bb)Ordnungsmittel gegenüber Zutritts- und Redeprivilegierten

    cc)Ordnungsmittel gegenüber Zuhörern

   e)Vertretung des Bundestagspräsidenten

 III.Präsidium

 IV.Ältestenrat

  1.Verständigungsgremium

  2.Beschlussorgan

 V.Plenum

  1.Aufgaben und Befugnisse

  2.Verfahren

   a)Antragserfordernis

   b)Öffentlichkeitsgrundsatz

   c)Anwesenheitsrecht

   d)Aussprache (Debatte)

   e)Entscheidungsarten: Wahl und Beschluss

   f)Abstimmungsverfahren

   g)Mehrheitserfordernisse

  3.Ablauf einer Plenarsitzung

 VI.Ausschüsse und sonstige Gremien

  1.Arten von Ausschüssen

   a)Ständige Ausschüsse

   b)Sonderausschüsse, Untersuchungsausschüsse

   c)Hauptausschuss

  2.Einsetzung, Mitglieder, Vorsitz

   a)Einsetzung und Mitglieder

   b)Vorsitz

  3.Aufgaben

  4.Ablauf und interne Organisation der Ausschussarbeit

   a)Einladung, Tagesordnung

   b)Sitzungsleitung, Nichtöffentlichkeit, Zutritts-, Beratungs- und Stimmrecht

   c)Beschlussfähigkeit

   d)Öffentliche Anhörung

   e)Protokollierung

   f)Ausschussberatung einer überwiesenen Vorlage

   g)Aufgaben des Ausschusssekretariats

  5.Sonstige Gremien

 VII.Opposition als Untergliederung des Parlaments?

 VIII.Parlamentsverwaltung

  1.Aufgaben

  2.Informationsansprüche gegen das Parlament

§ 7Handlungsformen des Parlaments

 I.Parlamentsgesetz

 II.Beschluss

 III.Wahlen

§ 8Funktionen des Parlaments

§ 9Gesetzgebung durch das Parlament

 I.Entstehung eines Gesetzentwurfs

 II.Initiativrecht (Einbringungsverfahren)

  1.Bundesregierung

  2.Bundesrat

  3.Aus der „Mitte des Bundestages“

  4.Bundestag als Hauptorgan der Gesetzgebung

 III.Zuleitung

 IV.Gesetzesberatung und Gesetzesbeschluss im Bundestag (Hauptverfahren I)

  1.Erste Beratung im Plenum („1. Lesung“)

  2.Ausschussberatung(en)

  3.Zweite Beratung im Plenum („2. Lesung“)

  4.Dritte Beratung im Plenum („3. Lesung“)

  5.Verfassungsrechtliche Bedeutung von Verstößen gegen die GO-BT

 V.Mitwirkung des Bundesrates (Hauptverfahren II)

  1.Vermittlungsausschuss

  2.Abstimmung über einen Einspruch des Bundesrates

 VI.Ausfertigung und Verkündung (Abschlussverfahren)

§ 10Kontrolle der Regierung durch das Parlament

 I.Frage- und Informationsrecht (Interpellationsrecht)

 II.Zitierrecht

 III.Recht zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Enquêterecht)

  1.Untersuchungsgegenstand

   a)Bestimmheit

   b)Antezipationsverbot

   c)Kompetenz des Bundes und des Bundestages

   d)Änderung des Untersuchungsgegenstandes

  2.Einsetzung

  3.Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender und Mitglieder

  4.Untersuchungsverfahren

   a)Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit

   b)Beweiserhebung

    aa)Durch Akten

    bb)Durch Zeugenvernehmung

    cc)Durch die Befragung von Sachverständigen

  5.Gerichtliche Klärung von Streitfragen im Ausschuss

  6.Berichtspflicht

 IV.Recht zur Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle

 V.Recht zur Erhebung einer Subsidiaritätsklage als Kontrollinstrument?

 VI.Wehrbeauftragter

 VII.Parlamentarisches Kontrollgremium

§ 11Das Budgetrecht des Parlaments

 I.Kontrolle und Staatsleitung

 II.Parlamentarisches Budgetrecht als Endpunkt einer historischen Entwicklung

 III.Rechnungshof als Hilfsorgan im Rahmen der Budgetfunktion des Parlaments

§ 12Mitwirkung an der „Gesamtleitung“ des Staates

 I.Angelegenheiten der Europäischen Union

 II.Auslandseinsätze der Bundeswehr

§ 13Parlament in Sondersituationen

 I.Parlament im Notstand

 II.Gesetzgebungsnotstand

 III.Sonstige Krisensituationen

§ 14Parlamente und parlamentsähnliche Einrichtungen auf anderen Ebenen

 I.Landesparlamente

 II.Europäisches Parlament

 III.Zweite Kammern, insb. Bundesrat

 IV.Vermittlungsausschuss

 V.Bundesversammlung

 VI.Kommunale Vertretungskörperschaften als Parlamente?

 Stichwortverzeichnis

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Achterberg, Norbert, Parlamentsrecht, Tübingen 1984 (zit.: Achterberg)

Austermann, Philipp, Der Weimarer Reichstag. Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments, Wien 2020 (zit.: Austermann, Reichstag)

Austermann, Philipp/Schmahl, Stefanie (Hrsg.), Abgeordnetengesetz. Kommentar, Baden-Baden 2016 (zit.: Bearbeiter, in: AS)

Badura, Peter, Staatsrecht, 7. Aufl. München 2018 (zit.: Badura)

Beck Online Kommentar Grundgesetz, hrsg. von Volker Epping/Christian Hillgruber, 42. Edition 2020 (zit.: Bearbeiter, in: BeckOK-GG)

Benda, Ernst/Maihofer, Werner/Vogel, Hans Jochen (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. Berlin 1994 (zit.: Bearbeiter, in: HdbVerfR)

Braun, Werner/Jantsch, Monika/Klante, Elisabeth, Abgeordnetengesetz des Bundes – unter Einschluss des Europaabgeordnetengesetzes und der Abgeordnetengesetze der Länder, Berlin 2002 (zit.: Braun/Jantsch/Klante)

Degenhart, Christoph, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht, 35. Aufl. Heidelberg 2019 (zit.: Degenhart)

Denninger, Erhard/Hoffmann-Riem, Wolfgang/Schneider, Hans-Peter/Stein, Ekkehart (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Loseblattsammlung, 3. Aufl. Neuwied 2002 (zit.: Bearbeiter, in: AK)

Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3 Bde., 3. Aufl. Tübingen 2013 – 2018 (zit.: Bearbeiter, in: Dreier)

Friauf, Karl Heinrich/Höfling, Wolfram (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz. Loseblattsammlung, Stand des Gesamtwerks: Lfg. 4/2019 (zit.: Bearbeiter, in: BerlK)

Glauben, Paul J./Brocker, Lars, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern. Ein Handbuch, 3. Aufl. Köln 2016 (zit.: Bearbeiter, in: Glauben/Brocker)

Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. Heidelberg 1995 (zit.: Hesse)

Hillgruber, Christian/Goos, Christoph, Verfassungsprozessrecht, 5. Aufl. Heidelberg 2020 (zit.: Hillgruber/Goos)

Hömig, Dieter/Wolff, Heinrich Amadeus (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Handkommentar, 12. Aufl. Baden-Baden 2018 (zit.: Bearbeiter, in: Hömig/Wolff)

Ipsen, Jörn, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht, 31. Aufl. München 2019 (zit.: Ipsen)

Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 13 Bde., 3. Aufl. Heidelberg 2003 ff. (zit.: Bearbeiter, in: HStR Bd.)

Jarass, Hans D./Pieroth, Bodo, Grundgesetz. Kommentar, 15. Aufl. München 2018 (zit.: Bearbeiter, in: JP)

Kahl, Wolfgang/Waldhoff, Christian/Walter, Christian (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblattsammlung, Stand des Gesamtwerks: 203. Lfg. April 2020 (zit.: Bearbeiter, in: BK)

Kluth, Winfried/Krings, Günter (Hrsg.), Gesetzgebung. Rechtsetzung durch Parlamente und Verwaltungen sowie ihre gerichtliche Kontrolle, Heidelberg 2014 (zit.: Bearbeiter, in: Kluth/Krings)

von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Grundgesetz. Kommentar, 3 Bde., 7. Aufl. München 2018 (zit.: Bearbeiter, in: vMKS I)

Maunz, Theodor/Dürig, Günther, Grundgesetz. Kommentar, Loseblattsammlung, Stand des Gesamtwerks: 89. Aufl. Oktober 2019 (zit.: Bearbeiter, in: MD)

Maunz, Theodor/Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein Franz, Bethge, Herbert u.a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Kommentar, Loseblattsammlung, Stand des Gesamtwerks: 48. Lfg. 2016 (zit.: Bearbeiter, in: MSBKB)

Meinel, Florian, Selbstorganisation des parlamentarischen Regierungssystems, Tübingen 2019 (zit.: Meinel, Selbstorganisation)

Meinel, Florian, Vertrauensfrage. Zur Krise des heutigen Parlamentarismus, München 2019 (zit.: Meinel, Vertrauensfrage)

Morlok, Martin/Michael, Lothar, Staatsorganisationsrecht, 4. Aufl. Baden-Baden 2019 (zit.: Morlok/Michael)

von Münch, Ingo/Kunig, Philip (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 2 Bde., 6. Aufl. München 2012 (zit.: Bearbeiter, in: vMK I)

von Münch, Ingo/Mager, Ute, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht unter Berücksichtigung der europarechtlichen Bezüge, 8. Aufl. Stuttgart 2016 (zit.: von Münch/Mager)

Morlok, Martin/Schliesky, Utz/Wiefelspütz, Dieter (Hrsg.), Parlamentsrecht, Baden-Baden 2016 (zit.: Bearbeiter, in: MSW)

Peters, Butz, Untersuchungsausschussrecht, München 2012 (zit.: Peters)

Ritzel, Heinrich G./Bücker, Joseph/Schreiner, Hermann J./Winkelmann, Helmut, Handbuch für die parlamentarische Praxis. Mit Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Loseblattsammlung, Stand des Gesamtwerks: Januar 2019 (zit.: Ritzel/Bücker/Schreiner)

Roll, Hans-Achim, Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Kommentar, Baden-Baden 2001 (zit.: Roll)

Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2018 (zit.: Bearbeiter, in: Sachs)

Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Hofmann, Hans/Henneke, Günter (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 14. Aufl. 2017 (zit.: Bearbeiter, in: SBHH)

Schneider, Hans-Peter/Zeh, Wolfgang (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin 1989 (zit.: Bearbeiter, in: SZ)

Sodan, Helge (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 4. Aufl. München 2018 (zit.: Bearbeiter, in: Sodan)

Stern, Klaus, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 5 Bde., München 1980 ff. (zit.: Stern, StaatsR I)

Umbach, Dieter C./Clemens, Thomas (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2 Bde., Heidelberg 2002

Waldhoff, Christian/Gärditz, Klaus F. (Hrsg.), Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages. Kommentar, München 2015 (zit.: Bearbeiter, in: Waldhoff/Gärditz)

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

AbgG

Abgeordnetengesetz

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte

AS

Austermann/Schmahl (Hrsg.), Abgeordnetengesetz. Kommentar

BayVerfGH

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

BayVerfGHE

Enscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

BbgLVerfG

Brandenburgisches Landesverfassungsgericht

BbgVerf.

Verfassung des Landes Brandenburg

BDSG

Bundesdatenschutzgesetz

BeckOK-GG

Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz

BerlK

Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz

BerlVerfGH

Berliner Verfassungsgerichtshof

BFHE

amtliche Entscheidungssammlung des Bundesfinanzhofs

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BHO

Bundeshaushaltsordnung

BK

Bonner Kommentar zum Grundgesetz

BND

Bundesnachrichtendienst

BRAO

Bundesrechtsanwaltsordnung

BremVerf.

Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen

BRHG

Bundesrechnungshofgesetz

BT

(Deutscher) Bundestag

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BT-StenB.

Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGK

amtliche Entscheidungssammlung der Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfG(K)

Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BWahlG

Bundeswahlgesetz

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EP

Einzelplan (im Haushalt)

ESMFinG

ESM-Finanzierungsgesetz

EStG

Einkommensteuergesetz

EUAbgG

Gesetz über Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz)

EUAbgSt

EU-Abgeordnetenstatut

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EUZBBG

Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union

FG

Festgabe

FMStFG

Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz

FS

Festschrift

GG

Grundgesetz

GO-BT

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

GO-NRT

Geschäftsordnung des Norddeutschen Reichstages

GO-NV

Geschäftsordnung der Weimarer Nationalversammlung

GO-RT

Geschäftsordnung des Reichstages

GO-VermA

Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

HbgVerf.

Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

HdbVerfR

Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts

HStR

Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts

IntVG

Integrationsverantwortungsgesetz

JA

Juristische Arbeitsblätter

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

JP

Jarass/Pieroth, Grundgesetz. Kommentar

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

LVerfG M-V

Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern

MAD

Militärischer Abschirmdienst

MD

Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar

MdB

Mitglied des Deutschen Bundestages

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MSBKB

Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Bethge u.a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Kommentar

MSV

Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport

NWVerfGH

Nordrhein-Westfälischer Verfassungsgerichtshof

OWiG

Ordnungswidrigkeitengesetz

ParlBG

Parlamentsbeteiligungsgesetz

PGF

Parlamentarischer Geschäftsführer

PKrGr

Parlamentarisches Kontrollgremium

PKrGrG

Gesetz über das Parlamentarische Kontrollgremium

PUAG

Untersuchungsausschussgesetz

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RhPfVerf.

Verfassung für Rheinland-Pfalz

RiStBV

Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren

RiWG

Richterwahlgesetz

SachsAnhVerf.

Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt

SächsVBl.

Sächsische Verwaltungsblätter

SächsVerfGH

Sächsischer Verfassungsgerichtshof

SBHH

Schmidt-Bleibtreu/Henneke/Hofmann (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar

StabMechG

Stabilitätsmechanismusgesetz

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

StuW

Steuer und Wirtschaft

SZ

Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis

TOP

Tagesordnungspunkt

UZwG

(Bundes-)Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges

VG

Verwaltungsgericht

vMK

von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar

vMKS

von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz. Kommentar

VR

Verwaltungsrundschau

VR

Verhaltensrichtlinien des Deutschen Bundestages

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

WBeauftrG

Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deuschen Bundestages

WPrüfG

Wahlprüfungsgesetz

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZParl.

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Zeitschrift für Urheber und Medienrecht

§ 1 Einführung

§ 1Einführung

Inhaltsverzeichnis

I.Parlament

II.Parlamentarisches Regierungssystem

III.Parlamentsrecht

IV.Abgeordnetenrecht

V.Parlamentsrecht als Teil der Demokratieverfassung des Grundgesetzes

▸ Literatur:

Degenhart, Staatsrecht I, § 2; Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, §§ 13, 17, 18, 29.

1

Demokratie ist nach einem berühmten Ausspruch des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln in seiner „Gettysburg Address“ vom November 1863 „Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk“ („government of the people, by the people, for the people“). Die Anzahl der Einwohner und der tagtäglich dem Gemeinwesen sich stellenden Aufgaben machen es dem Volk aber unmöglich, alles unmittelbar selbst zu entscheiden. Selbst in Staaten, in denen wie in der Schweiz regelmäßig Volksabstimmungen stattfinden, beschränken sich die Plebiszite doch auf (grundlegende) Einzelfragen und sind in Form von Referenden mit parlamentarisch getroffenen Entscheidungen verzahnt. Auch ein vom Volk unmittelbar gewählter Präsident kann zum einen nicht alle Entscheidungen selbst treffen; zum anderen kann er in seiner Person nicht die verschiedenen politischen Strömungen im Volk abbilden. Daher setzt die Staatsform der Demokratie in einem modernen Gemeinwesen ein Parlament voraus: eine entscheidungsfähige Versammlung vom Volk gewählter Vertreter, welche die grundlegenden Entscheidungen im Wege der Gesetzgebung trifft, die Regierung kontrolliert und bestimmte Amtsträger wählt (wodurch letztlich jeder Amtsträger seine Stellung auf den über eine Legitimationskette vermittelten Volkswillen zurückführen kann). Die Gewichte zwischen dem Volk, dem Parlament und weiteren Staatsorganen wie dem Staatsoberhaupt (Präsident, König, Kollegialorgan) und der Regierung (ggf. noch einem Verfassungsgericht und einem föderalen Organ) kann verschieden ausgestaltet werden.

2

Derzeit lassen sich 40-45 von rund 190 Staaten als Demokratien bezeichnen, die westlich-freiheitlichen Maßstäben entsprechen. In ihnen ist das Volk über allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen tatsächlich an der Entscheidungsfindung beteiligt und stehen mindestens zwei Parteien in einem echten Wettbewerb zueinander. Zu den demokratischen Staaten gehören unter anderem die Mitgliedstaaten der EU, die Schweiz, Großbritannien, Norwegen, Island, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Israel, Japan und Südkorea. In anderen Staaten bestehen zwar größtenteils auch Parlamente. Deren zumeist sogar in einer Verfassung verbrieften Befugnisse sind aber denen in den Demokratien, die diesen Namen verdienen, nicht vergleichbar. Die Ausgestaltung reicht vom reinen Akklamationsorgan wie dem Chinesischen Volkskongress bis zu einer geringfügigen (und gefügigen) Mitwirkung an den Staatsgeschäften wie derzeit in Russland.

3

Die Demokratie, mit der das parlamentarische Regierungssystem untrennbar verbunden ist, ist aus Sicht der Bürger eine „außerordentlich anspruchsvolle Herrschaftsform“: Die Bürger werden nicht nur beherrscht, sondern sind auch Ausgangspunkt der Herrschaft und nehmen über Wahlen, Abstimmungen und ihre Beteiligung am öffentlichen Diskurs aktiv an dieser Herrschaft teil. Dies setzt ein generelles Verständnis der Belange des Gemeinwesens und „demokratische Grundkompetenzen“ voraus.[1]

§ 1 Einführung › II. Parlamentarisches Regierungssystem

II.Parlamentarisches Regierungssystem

6

Innerhalb der Staatsform der Demokratie sind drei Regierungssysteme denkbar: das Präsidialsystem, ein System mit kollegialer Staatsspitze und das parlamentarische System. Das Präsidialsystem ist beispielhaft – bei Unterschieden in der Gestaltung – in den USA und Frankreich ausgebildet. Das Kollegialsystem findet sich in der Schweiz. Parlamentarische Demokratien sind bspw. alle Staaten der EU, Großbritannien, Norwegen, Island, Israel, Kanada, Australien und Neuseeland.

7

Die präsidentielle Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass die Exekutive – insb. der vom Volk gewählte Präsident – nicht durch das Parlament abgesetzt werden darf.[5] Präsident/Exekutive und Parlament stehen einander gegenüber und sind nicht personell verschränkt: Regierungsamt und Parlamentsmandat sind in der Regel unvereinbar.[6] Die Gewaltenteilung ist strikt durchgeführt.

8

Das parlamentarische Regierungssystem wird häufig wie folgt definiert: Das Parlament bringt die Regierung hervor, kontrolliert sie und darf sie abberufen.[7] Nimmt man das deutsche Regierungssystem des Grundgesetzes als Maßstab, trifft diese Definition zu. Andere westliche Demokratien kennen ebenfalls ein machtvolles Parlament. Aber die Ernennung des Regierungschefs ist in diesen Staaten allein dem Staatsoberhaupt überlassen. Gleichwohl sind diese Staaten parlamentarische Demokratien. Beispiele sind Österreich und Italien.

9

Daher erscheint es sinnvoller, die Definition des parlamentarischen Regierungssystems enger zu fassen. Das parlamentarische Regierungssystem wird demnach dadurch bestimmt, dass das Parlament die Regierung stürzen kann. Nichts anderes meint die in manchen Verfassungen zu findende Formulierung, der Regierungschef oder die Regierung bedürften des „Vertrauens“ des Parlaments (z.B. Art. 53 S. 1 WRV) oder sie seien dem Parlament gegenüber „verantwortlich“. Vertrauen und Verantwortlichkeit bedeuten Abhängigkeit.

§ 1 Einführung › III. Parlamentsrecht

III.Parlamentsrecht

10

Der Topos „Parlamentsrecht“ kann als Oberbegriff das gesamte Recht des Parlaments, seiner Mitglieder und seines Zustandekommens durch Wahlen umfassen.[8] Man kann auch sagen: Parlamentsrecht sind die Rechtsnormen, die sich auf ein staatliches, aus gewählten Abgeordneten des Volkes bestehendes Gesetzgebungsorgan beziehen.[9] Oder, etwas enger: Das Parlamentsrecht besteht aus den Rechtssätzen, die das Parlament, seine Organisation und seine Tätigkeit betreffen.[10] In der Abgrenzung zum Abgeordneten- und Wahlrecht – also in einem noch engeren Sinne – lässt sich das Parlamentsrecht als Organisations- und Verfahrensrecht eines Parlaments und der Zusammenschlüsse seiner vom Volk unmittelbar gewählten Mitglieder (Fraktionen und Gruppen) beschreiben.

11

Somit gehören zum Parlamentsrecht (egal, ob man es weiter oder enger definiert) nicht:

die Normen der kommunalen Vertretungsorgane (Gemeinderat, Kreistag), da diese keine Parlamente sind (Rn. 641),

die Normen der kirchlichen Organe (wie z.B. Synoden der EKD), da diese keine Parlamente und nicht staatlich sind,

die Normen, die den Bundesrat betreffen[11], da dieser nicht aus vom Volk unmittelbar gewählten Mitgliedern, sondern aus Vertretern der Landesregierungen besteht und damit kein Parlament ist.

12

Das Parlamentsrecht gehört zum Staatsrecht, da es sich auf ein staatliches Organ bezieht, und zum materiellen Verfassungsrecht.[12] Soweit seine Regelungen unmittelbar in der Verfassung niedergelegt sind, gehört es (auch) zum formellen Verfassungsrecht. Es existiert jeweils ein Parlamentsrecht des Bundes, eines jeden Bundeslandes und der EU. In vorliegender Darstellung geht es im Wesentlichen um das Parlamentsrecht des Bundes. Das Landes- und das Unionsrecht werden nur einbezogen, sofern sie Besonderheiten aufweisen. In § 14 (Rn. 631 ff.) wird auf Parlamente oder parlamentsähnliche Institutionen im Überblick eingegangen.

§ 1 Einführung › IV. Abgeordnetenrecht

IV.Abgeordnetenrecht

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Das Abgeordnetenrecht bestimmt die Rechtsstellung (den Status) der Mitglieder eines Parlaments, also den Erwerb und Verlust eines Mandats sowie die Rechte und Pflichten aus dem Mandat. Es gehört zum Parlamentsrecht im weiteren Sinne. Auf Bundesebene sind Art. 38-48 GG, das Abgeordnetengesetz, §§ 45 ff. BWahlG, die Verhaltensregeln (als Anlage 1 zur GO-BT) sowie die zum Abgeordnetengesetz und zu den Verhaltensregeln ergangenen Ausführungsbestimmungen maßgeblich. In den 16 Bundesländern bestehen entsprechende Vorschriften im Landesverfassungsrecht, in den Landesabgeordneten- und Landeswahlgesetzen sowie in den Verhaltensregeln (die zum Teil im jeweiligen Landesabgeordnetengesetz und zum Teil in der jeweiligen Geschäftsordnung normiert sind). Art. 223 Abs. 2 AEUV legt fest, dass das Recht der Mitglieder des Europäischen Parlaments vom Parlament zu regeln ist. Die Details sind im EUAbgSt und den DB-EUAbgSt sowie in nationalen Gesetzen (z.B. dem EUAbgG) ausformuliert.

§ 1 Einführung › V. Parlamentsrecht als Teil der Demokratieverfassung des Grundgesetzes

V.Parlamentsrecht als Teil der Demokratieverfassung des Grundgesetzes

14

Das Parlamentsrecht einschließlich des Abgeordnetenrechts kann nicht isoliert vom Prozess demokratischer Willensbildung insges. verstanden werden. Es ist daher zum Recht der politischen Parteien und zum Wahlrecht in Beziehung zu setzen. Parteienrecht, Wahlrecht und Parlamentsrecht bilden die Rechtsregime, die dem politischen Prozess einen rechtlichen Rahmen bieten. Normativ wird das im Grundgesetz durch die Art. 20 Abs. 2, 21 und 38 ff. umschrieben. Ergänzt und konkretisiert werden diese Bestimmungen u.a. durch das Parteiengesetz, das Bundeswahlgesetz, das Abgeordnetengesetz und die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, die zwar nicht formell, jedoch der Sache nach Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde bilden. In Anlehnung an andere Begriffsbildungen zu „Subverfassungen“ unter dem Grundgesetz – Finanzverfassung, Medienverfassung, Umweltverfassung, Wehrverfassung, Außenverfassung usw – kann man bei diesem Dreiklang von „Demokratieverfassung“ sprechen.

15

Die politische Willensbildung vollzieht sich in der parlamentarischen Demokratie der Idee nach vom Volk zu den Staatsorganen, „von unten nach oben“, vom Legitimationssubjekt zum Parlament, aus der Gesellschaft heraus zu institutionalisierter Staatlichkeit.[13] Politische Willensbildung bedarf der Transformation in politische Entscheidungen.[14] „Demokratie erschöpft sich dann nicht in der Wahl, sondern gipfelt in ihr.“[15] Dieses Bild führte jedoch zu Missverständnissen, interpretierte man es als Einbahnstraße und die Wahl als Endpunkt. Politische Willensbildung ist in der parlamentarischen Demokratie stets ein Wechselwirkungsprozess, der mit einem Kreislaufmodell bildhaft besser umschrieben werden kann: Die Wahl ist darin nicht der Endpunkt, sondern eine zentrale, punktuelle Zwischenstation. Die parlamentarisch getroffenen Entscheidungen sind in den Bereich der öffentlichen Meinungsbildung rückzukoppeln.[16] Politikwissenschaftlich wird von Responsivität gesprochen.[17]

16

Zwei verfassungsrechtliche Grunddeterminanten überwölben diese Prozesse in der gesellschaftlichen Willensbildung, im Wahlakt, in der staatsorganschaftlichen Willensbildung wie auch die phasenübergreifenden Vorgänge: die demokratische Gleichheit und die prinzipielle Freiheit und Offenheit des politischen Prozesses. Gleichheit und Freiheit legen damit die Verfahrensbedingungen politischer Willensbildung des demokratischen Verfassungsstaates in wechselseitiger Bezogenheit aufeinander fest.[18]

17

Der Wahlvorgang koppelt gesellschaftliche und staatliche Willensbildung. Die politischen Parteien überwölben die Sphären von Volks- und Staatswillensbildung als Intermediäre und bilden insofern eine Art Klammer: „Von Herkunft zweifellos gesellschaftlich, haben sie als Ziel doch den Staat.“[19] In der parlamentarischen Willensbildung erscheinen die Parteien in der parlamentsorganisatorischen Form der Fraktionen transformiert. Neben anderen Mechanismen sorgen sie zwischen Wahlen für Responsivität, indem sie den Kontakt zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre in beide Richtungen hin aufrechterhalten. Die politischen Parteien lösen damit das Problem, dass die Verfassung einerseits Freiheit gewährleisten soll, andererseits demokratische Willensbildung organisieren muss.[20]

18

Abgesichert werden diese vorrechtlichen Voraussetzungen durch die Kommunikationsgrundrechte, d.h. die Meinungs-, die Presse-, die Film- und Rundfunk-, die Informations- (alles Art. 5 Abs. 1 GG), die Versammlungs- (Art. 8 GG) und die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), die in der Rechtsprechung des BVerfG ihr besonderes Gewicht gerade aus dieser (Teil-)Funktion erhalten.[21]

19

Wenn Volks- und Staatswillensbildungsprozess auch prinzipiell getrennt gedacht werden, ist die aus dem 19. Jh. bekannte hermetische bzw. kategoriale Trennung von Staat und Gesellschaft obsolet. Die Trennung ist freilich nicht zur Identität mutiert, sondern zu einer spezifischen Zuordnung.[22] Gerade die politischen Parteien verbinden diese Sphären.[23] Die prinzipiell vorgegebene Richtung der politischen Willensbildung sieht sich in der politischen Praxis Bedrohungen ausgesetzt. Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, zumindest in Wahlkampfzeiten, ist das augenfälligste Beispiel. Das BVerfG hat hier zu Recht restriktive Regeln entwickelt.[24]

20

Der demokratischen Willensbildung ist vor dem skizzierten Hintergrund eine eigentümliche Mischung aus Trennung und Verschränkung von gesellschaftlicher und staatsorganschaftlicher Sphäre eigen.[25] Freiheit und Gleichheit hängen hier innerlich zusammen, weil erst die Staatsfreiheit der politischen Willensbildung die Chancengleichheit der Teilnahme am politischen Prozess garantiert.[26] Ausbildung und Vorformung des politischen Willens, vorrangig in Form der öffentlichen Meinung, erfolgen in der gesellschaftlichen Sphäre.[27] Nicht nur der Wahlakt als solcher, sondern der gesamte Wahlvorgang einschließlich seiner Vorbereitung sind ebenfalls frei. Im staatsorganschaftlichen Bereich setzt sich die freiheitliche Komponente politischer Willensbildung im Grundsatz des freien Mandats aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG fort. Was im Vorfeld staatsorganschaftlichen Handelns grundrechtlich abgesichert war, erscheint hier als Statusrecht der Abgeordneten. Die grundrechtliche Vereinigungsfreiheit einschließlich der freien Parteibildung setzt sich im Parlament als das Recht der Abgeordneten zur Fraktionsbildung fort. Die freiheitsrechtliche Dimension des Art. 21 Abs. 1 GG mit ihren Komponenten der Gründungs- wie der Betätigungsfreiheit der polischen Parteien verbindet und überwölbt den gesellschaftlichen und den staatsorganschaftlichen Bereich. Die politischen Parteien sind durch die Forderung nach demokratischer Binnenstruktur (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) nahtlos in diesen politischen Prozess eingebunden, indem eine Grundhomogenität der Entscheidungsfindung in den beiden Sphären hergestellt ist.[28]

21

Demokratische Gleichheit als politische Gleichheit abstrahiert von anderen, etwa sozialen Gleichheitspostulaten. Sie knüpft an das Menschsein als solches an, reduziert die Gleichheit jedoch auf die Zugehörigen, in der Regel die Staatsangehörigen.[29] Innerhalb dieses Zuschnitts ist die demokratische Gleichheit streng formal.[30] Ähnlich wie die freiheitsrechtliche Komponente kann auch die gleichheitsrechtliche Dimension der politischen Willensbildung von ihrem gesellschaftlichen Ausgangspunkt über den Wahlakt bis in die staatsorganschaftliche Willensbildung beschrieben werden. In der Vorformung politischer Willensbildung besteht prinzipiell gleicher Zugang zu Informationen sowie – normativ – die gleiche Betätigungsmöglichkeit. Im Wahlrecht schlägt sich die demokratische Gleichheit einerseits in der Allgemeinheit der Wahl, andererseits in dem Erfordernis von absolut gleichem Zählwert und prinzipiell gleichem Erfolgswert der Stimme nieder. Der personale Bezugspunkt des Bürgers in der politischen Sphäre setzt sich – vermittelt durch die Gleichheit der Wahl – im gleichen Abgeordnetenstatus fort.[31]

Leitentscheidungen zu § 1:

BVerfGE 8, 104 (Volksbefragungen in Hamburg und Bremen); 20, 56 (Parteienfinanzierung); 44, 125 (Informationstätigkeit der Bundesregierung in Wahlkampfzeiten); 83, 37 (Kommunalwahlrecht für Ausländer); 85, 264 (Parteienfinanzierung); 89, 155 (Maastricht).

Literatur zu § 1:

Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: HStR II, § 25; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II, § 24; Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HStR III, § 34; Brenner, Das Prinzip Parlamentarismus, in: HStR III, § 44; Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, VVDStRL 16 (1958), 9; Huber/Mößle/Stock (Hrsg.), Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, 1995; Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl. 2019; Lepsius, Die erkenntnistheoretische Notwendigkeit des Parlamentarismus, in: Bertschi u.a. (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, 1999, S. 123; Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 46; Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979; Marschall, Parlamentarismus, 3. Aufl. 2018; Zeh, Parlamentarismus, 6. Aufl. 1997; Meinel, Vertrauensfrage. Zur Krise des heutigen Parlamentarismus, 2019; Meinel, Selbstorganisation des parlamentarischen Regierungssystems, 2019; Meyer, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, VVDStRL 33 (1975), S. 69; Möllers, Demokratie – Zumutung und Versprechen, 2008; Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 1985; Schneider, Das parlamentarische System, in: HdbVerfR, § 13; Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973.

Anmerkungen

[1]

Vgl. zum Ganzen Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2008; Thiele, Verlustdemokratie, 2. Aufl. 2018, S. 283.

[2]

Vgl. Marschall, Parlamentarismus, 3. Aufl. 2018, S. 19.

[3]

Vgl. Marschall, Parlamentarismus, 3. Aufl. 2018, S. 20.

[4]

Ebd.

[5]

Vgl. Marschall, Parlamentarismus, 3. Aufl. 2018, S. 53.

[6]

Vgl. ebd.

[7]

Vgl. etwa Zeh, Parlamentarismus, 6. Aufl. 1997, S. 78.

[8]

So etwa Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Erster Teil, 1915, S. 1; ähnlich Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 15; Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1995, S. 35.

[9]

Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 1.

[10]

Vgl. Pietzcker, in: SZ, § 10 Rn. 1; Klein, in: MD, Art. 40 Rn. 3; Cancik, in: MSW, § 9 Rn. 3.

[11]

Vgl. Cancik, in: MSW, § 9 Rn. 4.

[12]

Vgl. etwa Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1995, S. 35.

[13]

BVerfGE 44, 125 (138 ff.); zuvor bereits BVerfGE 20, 56 (99).

[14]

Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11 (19, 22 f.).

[15]

Grimm, in: HdbVerfR, § 14 Rn. 10.

[16]

BVerfGE 44, 125 (145 f.); 85, 264 (284); 89, 155 (185); Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (65); Stern, StaatsR I, S. 617; Grimm, in: HdbVerfR, § 14 Rn. 17; Shirvani, Parteienrecht, 2010, S. 246 ff.

[17]

Ursprünge v.a. in der amerikanischen Repräsentationstheorie, vgl. etwa Pennock, American Political Science Rev. 46 (1952), 790; Pitkin, Representation, 1967, S. 232 ff.; Dahl, Polyarchy, 1971; für die deutsche Diskussion etwa Uppendahl, ZParl. 1981, 123; Patzelt, Abgeordnete und Repräsentation, 1993, S. 43 f. und öfter.

[18]

Vgl. etwa Schmitt, Verfassungslehre, 1. Aufl. 1928, S. 224 ff.; Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (61); Stern, StaatsR I, S. 613 f.

[19]

Grimm, in: HdbVerfR, § 14 Rn. 18; vgl. auch BVerfGE 91, 276 (284).

[20]

Grimm, in: HdbVerfR, § 14 Rn. 18 ff., 24 ff.

[21]

Zum Zusammenhang näher Schmitt Glaeser, in: HStR II, § 38 Rn. 11 ff., 28 ff.; Schneider, in: FG BVerfG II, 2001, S. 627 (631).

[22]

Näher Schmitt Glaeser, in: HStR III § 38 Rn. 1 ff., 33 ff.

[23]

Vgl. Stolleis, VVDStRL 44 (1986), 7 (11); Klein, in: MD, Art. 21 Rn. 154 und öfter.

[24]

BVerfGE 44, 125 (138 ff.).

[25]

Stolleis, VVDStRL 44 (1986), 7 (11).

[26]

Vgl. jeweils auf politische Parteien bezogen Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11 (36).

[27]

Vgl. etwa auch Hesse, S. 150 ff., 159 ff.; Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie) Rn. 76.

[28]

Frühe Herausstellung der Bezogenheit auf und Integration in die Demokratiekonzeption des Grundgesetzes am Bsp. der Parteien bei Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11 (17 und passim).

[29]

Insges. Schönberger, Unionsbürger, 2005.

[30]

BVerfGE 8, 51 (68 f.) [1958]; Volkmann, Grundzüge einer Verfassungslehre der Bundesrepublik Deutschland, 2013, S. 243.

[31]

BVerfGE 102, 224 (238) [2000] im Zusammenhang mit sog. Funktionszulagen: „Die Gleichheit aller Staatsbürger in der freien Ausübung ihres Wahlrechts findet im Parlament ihren Ausdruck in dem freien Mandat.“; in Verbindung mit dem Repräsentationsprinzip Böckenförde, in: HStR II, § 24 Rn. 45.

§ 2 Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts

§ 2Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts

Inhaltsverzeichnis

I.Vorparlamentarische Institutionen, insb. Ständeversammlungen

II.Volksvertretungen in der konstitutionellen Monarchie

III.Parlamentarische Demokratie

IV.Scheinparlamente

V.Parlamentarische Selbstdarstellung und Antiparlamentarismus

22

Um das heutige Parlamentsrecht besser zu verstehen, ist es wichtig, die Anfänge und Entwicklungslinien zu kennen.

Die Parlamentsgeschichte beginnt nicht im antiken Athen (5. Jh. v. Chr). Athen (oder Griechenland) wird zwar oftmals als „Wiege der Demokratie“ bezeichnet. Ein Parlament als eine aus gewählten Abgeordneten bestehende Vertretungskörperschaft existierte aber nicht. Die Volksversammlung wurde nicht gewählt, sondern setzte sich aus den gerade anwesenden Männern zusammen. Sie mussten das athenische Bürgerrecht besitzen. Teilnahmeberechtigt waren daher nur ca. 30.000 Männer von etwa 300.000 Einwohnern. Frauen, Auswärtige und Sklaven besaßen das Bürgerrecht nicht. Athen ist also nicht die Wiege des Parlamentarismus und nur eingeschränkt ein Vorbild für die heutige demokratische Ordnung.

23

Die Leitidee des Parlaments als Verständigungsort der Volksvertreter ist, historisch gesehen, jung. Sie ist ein Ergebnis der Verfassungsrevolutionen in den Vereinigten Staaten (seit 1776) und in Frankreich (seit 1789). Erst seit der vollen Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts im 20. Jh. besteht das parlamentarische System mit allgemeinem Wahlrecht, das alle Staatsbürger und damit einen Großteil der Einwohnerschaft erfasst. „Mutterland des Parlamentarismus“ ist England (ab 1707: Großbritannien), das als erstes den Weg zur Parlamentssouveränität beschritt und viele wichtige Strukturelemente des modernen Parlamentarismus hervorbrachte – wie politische Parteien sowie den Schutz parlamentarischer Minderheiten und der Opposition –[1], allerdings kaum als Vorbild für Kontinentaleuropa wirksam werden konnte.[2]

24

Die Entwicklung verlief bis heute in den verschiedenen Staaten im Detail unterschiedlich. Jedes Parlament hat seine eigene Geschichte. Bestimmte historische Grundlinien sind aber allen gemeinsam.

Man kann drei (grobe) Phasen der Parlamentsgeschichte unterscheiden[3]:

1.

Vorparlamentarische Institutionen, insb. Ständeversammlungen (13. bis ausgehendes 18. Jh.),

2.

Volksvertretungen in der konstitutionellen Monarchie des „langen“ 19. Jh. mit einem Dualismus von Monarch und Parlament (teilweise bis 1918),

3.

Parlamentarische Demokratie mit allgemeinem Wahlrecht („Massendemokratie“).

Als eine 4. Phase lässt sich der supranationale Parlamentarismus auf EU-Ebene ansehen. Das Europäische Parlament hat seit seiner Gründung im Jahr 1952 deutlich an Kompetenzen gewonnen, zuletzt durch den Vertrag von Lissabon. Seit dem Jahr 1979 werden seine Mitglieder alle fünf Jahre in allgemeinen, unmittelbaren, freien und geheimen (aber nicht gleichen) Wahlen bestimmt (Art. 14 Abs. 3 EUV). Jeder Mitgliedstaat entsendet ein bestimmtes Abgeordnetenkontingent. Wer zu diesem Kontingent gehört, wird in jedem Staat aufgrund des nationalen Wahlrechts ermittelt.

25

Die parlamentarischen Versammlungen der NATO, der OSZE und des Europarates sind reine Diskussionsforen ohne Rechtssetzungskompetenz für die Bürger der Mitgliedstaaten. Ihre Mitglieder werden zudem nicht vom Volk gewählt, sondern von den Parlamenten der Mitgliedstaaten entsandt.

§ 2 Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts › I. Vorparlamentarische Institutionen, insb. Ständeversammlungen

I.Vorparlamentarische Institutionen, insb. Ständeversammlungen

26

Vorläufer parlamentarischer Institutionen gab es in Europa seit dem frühen 13. Jh. Der Ausgangspunkt ist die Beratung mittelalterlicher Herrscher durch ihre Lehnsträger/Vasallen; entsprechende Gremien gehen zum Teil ins frühe Mittelalter zurück (angelsächsischer witenagemot, isländischer althingi, fränkischer Hoftag). Aus diesen Gremien erwuchsen Ständeversammlungen, ein spezifisch europäisches Phänomen[4]. Der Monarch berief sie, um Rat und tatkräftige Hilfe zu erhalten, vor allem in großer Not und mit dem Ziel, Steuern zu bewilligen oder Heere auszurüsten. Zunächst wurden die Großen des Reiches (Klerus und hoher Adel), später dann auch der niedere Adel (Ritter) und Städte beteiligt. Die Mitbestimmung der Stände war der Preis für ihre Hilfe. Keine der Ständeversammlungen besaß aber ein voll ausgebildetes Gesetzgebungsrecht. Aus dem römischen Recht war der Grundsatz „quod omnes tangit, ab omnibus approbetur“ („was alle angeht, soll von allen beschlossen werden“) überliefert. Vor allem Steuern konnten ohne Zustimmung der Stände regelmäßig nicht erhoben werden.

27

Die Entwicklung verlief in den Staaten unterschiedlich. In manchen Ländern wie Polen-Litauen kam es zur Adelsrepublik mit einem schwachen König. In Frankreich, Spanien, Dänemark und einigen deutschen Territorien wurden die Stände im Zeitalter des Absolutismus an den Rand gedrängt oder ganz beseitigt. In England wurde die Macht des Königs schon früh – nämlich in der Mitte und zum Ende des 17. Jh. („Glorious Revolution“, Bill of Rights 1689) und schließlich dann zum Ende des 18. Jh. – beschnitten. „[A]us einem ‚Gespräch‘ wurde eine mächtige ‚Institution‘, die im Laufe der Zeit den ursprünglich dominanten ‚Gesprächsteilnehmer‘, den König, entmachtete und aus dem politischen Prozess verdrängte“.[5]

28

Kirchliche Vorbilder und Einflüsse sind unverkennbar. Sie zeigen sich z.B. bei der Organisation der Ständeversammlungen. Die fortschrittlichen Wahl- und Beratungstechniken der Orden, Synoden und Konzilien[6] sowie das Mehrheitsprinzip[7] konnten sich teilweise durchsetzen.

29

Die deutsche Entwicklung sei etwas näher betrachtet: Deutschland war lange ein Sprach- und Kulturraum, aber kein Staat. Das Heilige Römische Reich („Altes Reich“) war ein juristisch schwer zu fassender „Flickenteppich“ aus über 250 Territorien. Anders als in Spanien, Frankreich und England vollzog sich die Ausbildung des modernen Staates auf territorialer Ebene, nicht auf der Ebene des Alten Reiches. Aus dem mittelalterlichen, unregelmäßig stattfindenden „Hoftag“ entwickelte sich nach 1470 der Reichstag als Versammlung der Reichsstände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Reichsstände waren die bereits erwähnten über 250 reichsunmittelbaren Territorien. Sie besaßen Sitz und Stimme im Reichstag. Ihr Einverständnis war unter anderem bei der Steuerbewilligung, der Erklärung von Krieg und Frieden sowie Bündnisverträgen erforderlich. Die Reichsstände waren sehr mächtig, da eine Zentralgewalt weitgehend fehlte. Die Reichstage unterschieden sich von modernen Parlamenten in elementarer Weise: Die Teilnahmeberechtigten der Reichstage waren nicht von irgendjemandem, gar von ihren Untertanen beauftragt. Sie beanspruchten vielmehr als Herrschaftsträger von sich aus Mitspracherechte und zwar entweder als Personen (so die Kurfürsten und Fürsten) oder als Korporationen (so die Städte oder Klöster). Der Reichstag verhandelte über Interessen der Stände und nicht über die Interessen des Volkes. Außerdem waren der Kaiser und seine Berater als Frühform einer „Regierung“ nicht – wie heutige Regierungen – von der Ständeversammlung abhängig. Der Kaiser wurde vielmehr von den sieben[8] Kurfürsten auf Lebenszeit gewählt. Ferner tagte der Reichstag nicht – wie moderne Parlamente – ständig. Teilweise fanden jahrzehntelang keine Reichstage statt, etwa während des Dreißigjährigen Krieges. Erst seit 1663 tagte der Reichstag „immerwährend“ als Gesandtenversammlung in Regensburg. Die Gesandten besaßen auch nicht – wie heutige Abgeordnete – ein freies Mandat. Sie unterlagen den Vorgaben des Reichsstandes, für den sie auftraten (imperatives Mandat). Manche Gesandten vertraten auch mehrere Reichsstände, da sich gerade die kleineren Stände einen eigenen ständigen Vertreter nicht leisten konnten. Ein weiterer Unterschied zum modernen Parlament: Die Beschlüsse wurden nicht „nach Köpfen“ in einer einheitlichen Versammlung gefasst, sondern getrennt in drei Kollegien (Kurfürsten – Reichsfürsten – Reichsstädte). Das Reichsfürstenkollegium war weiter unterteilt in Kurien. Ein Beschluss des Reichstages („Reichsschluss“) kam zustande, wenn alle drei Kollegien übereinstimmten und der Kaiser den Beschluss ratifizierte. Innerhalb der Kollegien wurde mit Mehrheit entschieden. Die vom Kaiser ratifizierten Beschlüsse wurden seit 1497 in einem „Reichsabschied“ zusammengefasst.

30

Auf der Ebene einzelner Reichsstände, d.h. der Territorien (wie Bayern, Brandenburg) existierten Landtage als Versammlung der Landstände, also bestimmter bevorzugter Gruppen von Angehörigen eines Territoriums (ähnlich den Reichsständen), und nicht etwa der Bevölkerung. Ihre Kompetenzen, z.B. bei der Steuerbewilligung, ähnelten denen der Reichsstände. Die Ständeversammlungen waren zumeist ebenfalls im Dreikuriensystem organisiert. Das Bewilligungsrecht sorgte immer wieder für Auseinandersetzungen, z.B. im 17. Jh. zwischen dem brandenburgischen „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm und den Ständen seiner Territorien. Viele deutsche Landesfürsten versuchten – wie etwa auch die französischen Könige – den Einfluss der Stände zu beschränken oder ganz auszuschließen und somit gänzlich absolut zu herrschen.

§ 2 Geschichte der Parlamente und des Parlamentsrechts › II. Volksvertretungen in der konstitutionellen Monarchie

II.Volksvertretungen in der konstitutionellen Monarchie

1.Ausländische Vorbilder

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Mit der Französischen Revolution erfolgte in Frankreich ein schlagartiger Übergang[9] von der (bis dahin über 175 Jahre ausgeschalteten) Ständeversammlung der absoluten Monarchie zur Volksvertretung einer konstitutionellen Monarchie und dann einer Republik. Der Dritte Stand der Generalstände erklärte sich unter Einladung der Vertreter der beiden anderen Stände Adel und Geistlichkeit zur verfassunggebenden Nationalversammlung (17. Juni 1789). Er beanspruchte die Rolle der nationalen Gesamtrepräsentation. Eine Abstimmung sollte künftig nach Köpfen, nicht nach Ständen erfolgen. In den Worten des einflussreichen Abbé Emmanuel Joseph Sieyès: „par têtes et non par ordres“. Unter Napoleon Bonaparte, der ab 1799 Erster Konsul der Republik und ab 1804 als Napoleon I. „Kaiser der Franzosen“ war, kam es zu einem verfassungsrechtlichen „roll-back“. Die republikanischen Institutionen bestanden auf dem Papier fort. Die wahre Macht aber lag beim Kaiser. Nach dessen (erster) Absetzung im Jahr 1814 wurde die monarchische Macht „restauriert“. Der Bourbone Ludwig XVIII. wurde als König eingesetzt. Die frühere absolute Herrschaft des Hauses Bourbon war jedoch Vergangenheit. Der neue Monarch gab dem Land im Jahr 1814 eine Verfassung, die „Charte constitutionnelle“ (sog. Restaurationsverfassung). In der Julimonarchie ab 1830 bildete sich schrittweise ein parlamentarisches Regierungssystem heraus. Die Charte constitutionelle war ein wichtiges Vorbild für ganz Kontinentaleuropa. In der zweiten Verfassungswelle ab 1830 wurde dann die Belgische Verfassung von 1831 zum einflussreichen Vorbild. An beiden Verfassungen orientierten sich auch deutsche Staaten.

2.Deutscher Bund

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Als Ergebnis des Wiener Kongresses (1814/15), der nach Napoleons (erstem) Thronverlust zusammentrat, entstand durch die Deutsche Bundesakte (DBA) im Jahr 1815 der Deutsche Bund aus 41 souveränen deutschen Staaten mit dem Bundestag als Gesandtenkongress (Art. 4 DBA). Der Bundestag knüpfte äußerlich an den Reichstag des Alten Reiches an. Für die Entwicklung des Parlamentarismus war Art. 13 DBA (konkretisiert durch Art. 57 ff. der Wiener Schlussakte von 1820) bedeutsam: „In allen Staaten sollen landständische Verfassungen stattfinden.“ Begriff und Reichweite der „landständischen Verfassung“ waren umstritten. Unbestritten war, dass der Monarch bzw. das Patriziat in den Stadtstaaten sich künftig durch eine Verfassung binden sollte und diese Verfassung auch eine mindestens beratende Versammlung vorzusehen hatte. Dieses System der durch eine Verfassung gebundenen Monarchie wird als Konstitutionalismus bezeichnet. Die ersten Verfassungen erließen („gaben“) die Monarchen der süddeutschen Staaten Nassau, Baden, Bayern, Württemberg und des Großherzogtums Hessen in den Jahren 1814-24 (süddeutscher Frühkonstitutionalismus). In einer zweiten, nach der Julirevolution in Frankreich im Jahr 1830 einsetzenden „Welle“ erließen dann weitere, in der Mitte und im Norden des Deutschen Bundes herrschende Monarchen Verfassungen (mitteldeutscher Konstitutionalismus). Beispiele sind Kurhessen, das Königreich Sachsen und das Königreich Hannover (1833). Bis 1848 besaßen die meisten der 39 Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes eine Verfassung. Eine gewichtige Ausnahme stellten Preußen und Österreich sowie einige norddeutsche Staaten dar. Preußen erhielt 1848 eine oktroyierte Verfassung. Sie wurde 1850 modifiziert und war bis 1918 in Kraft. Das (aus zwei Teilen bestehende) Großherzogtum Mecklenburg hatte bis 1918 sogar nur eine landständische Ordnung von 1755 auf frühneuzeitlichem Stand. In der Regel war das Staats- und Verfassungsrecht in den süd- und mitteldeutschen Staaten fortschrittlicher als in den übrigen deutschen Staaten. Als das fortschrittlichste Staatsgrundgesetz vor 1848 gilt die kurhessische Verfassung vom 5. Januar 1831.[10] In der zweiten Hälfte des 19. Jh. war die Preußische Verfassung von 1850 maßgebend.

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In den meisten Staaten des Deutschen Bundes wurden – mit Ausnahme der größten Staaten Preußen und Österreich sowie einiger kleinerer Staaten – bis 1848 sog. Kammern als Vorstufe der Volksvertretung eingerichtet. In der Regel bestanden zwei Kammern. Die erste Kammer setzte sich aus „geborenen“ bzw. ernannten Mitgliedern des Adels, des Klerus, der Universitäten, ggf. der Städte zusammen (Privilegiertenkammer). Die zweite Kammer bestand aus gewählten Mitgliedern (Wahlkammer). Das aktive und das passive Wahlrecht waren statt an hergebrachte Standesrechte an das Vermögen gekoppelt (Zensuswahlrecht). Üblicherweise regelten die Verfassungen, dass der Monarch in sich alle Staatsgewalt vereinte, sich aber bei deren Ausübung an die Kammer(n) band (sog. monarchisches Prinzip). Insb. für das Zustandekommen von Gesetzen und für die Verabschiedung des Staatshaushalts mussten Monarch und Kammern zusammenwirken. Anders als in den westlichen Verfassungsstaaten, v.a. in den USA wurde durch die Verfassungen die Staatsgewalt nicht konstituiert, sondern bloß modifiziert (sog. herrschaftsmodifizierendes im Gegensatz zum herrschaftskonstituierenden Verfassungsmodell[11]). Ein parlamentarisches Regierungssystem existierte nicht, da die Regierung weiterhin allein vom Monarchen abhing.

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Die Kammern wurden – im Rückgriff auf die Ständeversammlungen – als „Landstände“, „Stände“ oder „Landtage“ bezeichnet. Sie wurden durch den Monarchen einberufen und aufgelöst. Der Kammerpräsident und seine Stellvertreter wurden in der Regel durch den Monarchen ernannt. Die Versammlung hatte allenfalls das Recht zur Präsentation eines Kandidaten. Das Geschäftsordnungsrecht regelten Verfassungsvorschriften oder Edikte, die vom Monarchen gesetzt oder jedenfalls beeinflusst wurden. Ansätze zur Geschäftsordnungsautonomie, freilich mit fortbestehendem Einfluss des Monarchen, gab es allein in Baden und Württemberg. Die Kompetenzen der Kammern waren beschränkt.[12] Vor 1848 besaßen sie das Gesetzesinitiativrecht in der Regel nicht (mit Ausnahmen nur in sehr kleinen Staaten). Sie hatten allenfalls die Möglichkeit einer „Gesetzespetition“, also eines Gesetzgebungswunsches. Die Gesetzgebung war regelmäßig dem Monarchen und den Kammern gemeinsam zugewiesen. Der Monarch besaß dadurch ein absolutes Vetorecht. Er galt als der eigentliche Gesetzgeber.

Beispiel:

Preußische Gesetze wurden etwa mit den Worten eingeleitet: „Wir, Wilhelm (…), König von… [geben folgendes Gesetz]…“).

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Eine Rechtsgrundlage in Gesetzesform war in der Regel allein für Eingriffe in Freiheit und Eigentum nötig, d.h. der Inhalt der Regelung bestimmte darüber, ob ein Gesetz und damit, ob die Zustimmung der Kammern notwendig waren. Nur vereinzelt, z.B. in Baden und Hessen-Darmstadt, wurde den Abgeordneten Immunität garantiert. Sie sollte die Kammern vor unsachlichem Einfluss der monarchischen Exekutive auf die Zusammensetzung und die Arbeitsfähigkeit schützen. Die Kammern hatten teilweise zunächst nur ein eingeschränktes Budgetrecht und durften den Haushalt in manchen Staaten lediglich mitberaten. Das Interpellationsrecht, also das Recht, Anfragen an die Regierung zu stellen, stand den meisten Kammern zu. Vertreter der Landesregierung waren nicht in allen Staaten zu den Beratungen der Kammern zugelassen; zum Teil wurde zwischen Parlament und Regierung nur schriftlich korrespondiert.[13] In den Parlamenten entstanden die Vorläufer von Parlamentsverwaltungen („Bureaus“). Ihre Mitarbeiter wurden von der monarchischen Exekutive gestellt.

Einige Zweite Kammern – namentlich die in Baden, Bayern, Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel, Hannover, Sachsen und Württemberg – nahmen eine Vorreiterrolle in der Entwicklung des Parlamentsrechts im Vormärz (1830-1848) ein.[14]

3.Revolution 1848 und das Paulskirchenparlament

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Als Folge der Revolution im März 1848 wurde die Frankfurter Nationalversammlung in einer allgemeinen, wenn auch auf Männer beschränkten, Wahl gewählt. Sie trat in der Paulskirche zusammen. Ihre Aufgabe und Herausforderung lag darin, eine freiheitliche demokratische Verfassung zu schaffen – für einen noch nicht bestehenden einheitlichen Nationalstaat, bei mit der Zeit stärker werdendem Widerstand der Fürsten. Die Versammlung verabschiedete nach immerhin 230 Sitzungen zwar einen Entwurf für eine Reichsverfassung (28. März 1849, „Paulskirchenverfassung“). Die Verfassung trat aber insgesamt nicht in Kraft. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. weigerte sich, die ihm angetragene Kaiserkrone anzunehmen. Die Paulskirchenversammlung wurde aufgelöst. Die Revolution scheiterte. Sie war jedoch für die zukünftige Entwicklung einflussreich. Die Paulskirchenverfassung stellte eine Art „Ideenmotor“ dar: Die nicht in Kraft getretene Reichsverfassung prägte die Preußische Verfassung vom 31. Januar 1850 und die nachfolgende Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867, aus der die Reichsverfassung vom 16. April 1871 hervorging. Spuren der Paulskirchenverfassung finden sich noch in der Weimarer Reichsverfassung (vom 11. August 1919) und im Grundgesetz (vom 23. Mai 1949). Das von der Paulskirche erlassene sog. Frankfurter Reichswahlgesetz vom 12. April 1849[15] prägte das Wahlrecht der Einzelstaaten, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches. Die Arbeit der Paulskirchenversammlung und die parallelen Reformvorstöße in den Einzelstaaten waren damit eine entscheidende Wegmarke für die Entwicklung des Parlamentsrechts.[16] Sie bedeuteten einen parlamentsrechtlichen Quantensprung[17]. Die Geschäftsordnung der Paulskirchenversammlung, die Robert von Mohl ausgearbeitet hatte,[18] beeinflusste die bereits erwähnte Preußische Verfassung und die Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. Juni 1862. Letztere prägte die Regularien der nachfolgenden Parlamente. Sie wurde zur provisorischen Geschäftsordnung des Reichstages des Norddeutschen Bundes (1867-71). Dessen Geschäftsordnung vom 12. Juni 1868 enthielt nur einige Änderungen (wie die Gesetzesberatung in drei „Lesungen“). Sie wurde ab 1871 zur Geschäftsordnung des Deutschen Reichstags. Bis 1918 änderte das Parlament sie nur in sehr geringem Maße.[19] Manche ihrer Regelungen sind noch in der GO-BT erkennbar – was erst heute angesichts der Tatsache als Problem thematisiert wird, dass es sich seinerzeit nicht um parlamentarische Regierungssysteme handelte.[20]

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Schließlich war die Frankfurter Nationalversammlung prägend für die Herausbildung parlamentarischer Organisation, parlamentarischer Verfahren und parlamentarischer Verhaltensweisen. Zwar kannte die Nationalversammlung noch keine Parteien. Politische Parteien bildeten sich erst ab den 1860er Jahren. In der Versammlung entstanden aber Fraktionen. Fraktionsähnliche Gruppierungen hatte es schon in den süd- und mitteldeutschen Landtagen in den Zeiten des Vormärzes gegeben.[21] Die Abgeordneten waren als Persönlichkeiten in das Parlament gewählt worden. Es zeigte sich rasch, dass es politischer Zusammenschlüsse bedurfte, damit die Nationalversammlung geordnet arbeiten konnte. Erste Grundlage der Gruppierungen waren Übereinstimmungen in den grundsätzlichen Fragen der zu schaffenden Reichsverfassung sowie in Fragen der Weltanschauung und Konfession.[22] Bald stimmten sich die Gruppierungen auch in nachrangigeren Fragen ab. Die Vereinigungen wurden „Fraktion“, „Clubb“ oder „Partey“ genannt. Ihre Namen erhielten sie nach den Frankfurter Kaffeehäusern, Hotels und Lokalen, in denen ihre Versammlungen stattfanden („Deutscher Hof“, „Café Milani“, „Donnersberg“, „Casino“ etc.). Die Abgeordneten der Paulskirche sammelten erste Erfahrungen mit einer abgestimmten Vorgehensweise der jeweiligen Gruppierungen sowie der Kompromiss- und der Mehrheitsfindung.

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Auch im Preußischen Landtag und anderen einzelstaatlichen Parlamenten sowie im Reichstag der Kaiserzeit existierten feste Fraktionen, ebenfalls ohne in der jeweiligen Geschäftsordnung erwähnt zu werden. Für die Geschichte der Fraktionen ist es typisch, dass ihre tatsächliche Rolle stets stärker war, als man es nach dem geschriebenen Recht hätte vermuten können.[23]

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Bis zur Jahrhundertwende entwickelte sich das deutsche Parlamentsrecht in Richtung der Maßstäbe, welche die Paulskirchenversammlung gesetzt hatte. Ab 1867 bestanden im Norddeutschen Bund, ab 1871 auf Reichsebene und spätestens um 1900 in den großen sowie den meisten mittleren und kleinen Bundesstaaten inhaltlich im Wesentlichen dieselben parlamentsrechtlichen Regelungen wie in der Paulskirchenversammlung. Ausnahmen bildeten Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Anhalt und Sachsen-Weimar-Eisenach. Die aus der Paulskirchenverfassung in die Verfassung oder in die Geschäftsordnung übernommenen Regelungen der Paulskirche waren die Geschäftsordnungsautonomie, die freie Wahl des Präsidenten und seiner Stellvertreter, die autonome Wahl- und Mandatsprüfung durch das Parlament, das Gesetzesinitiativrecht und der Immunitätsschutz.

4.Norddeutscher Bund und Deutsches Kaiserreich

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Nach dem Deutschen Krieg zwischen Preußen und Österreich 1866 fanden sich alle 22 Staaten nördlich des Mains 1867 zur Gründung des Norddeutschen Bundes zusammen. Preußen war die Führungsmacht innerhalb des nunmehrigen Bundesstaates. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) traten auch die süddeutschen Staaten dem Bund bei. Er wurde zum Deutschen Reich. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 wurde mit nur leichten Änderungen zur Reichsverfassung vom 16. April 1871[24]. Beide Verfassungen sahen drei zentrale Staatsorgane vor: das „Präsidium des Bundes“ (Art. 11 RV, d.h. den Kaiser), den Bundesrat und den Reichstag.

a)Staatsorgane nach der Bismarck-Verfassung

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Der Kaiser war personenidentisch mit dem preußischen König (Art. 11 RV) und verdankte sein Amt der Erbfolge (Art. 53 PrVerf). Ein Verfassungsorgan namens „Reichsregierung“ gab es nicht. Vielmehr wurde die Regierungsgewalt – unbeschadet der Befugnisse des Bundesrates und des Reichstages – vom Kaiser und vom Reichskanzler ausgeübt. Der Kaiser ernannte den Reichskanzler (Art. 15 Abs. 1 RV). Der Reichstag oder der Bundesrat waren nicht zu beteiligen. Somit hing der Reichskanzler allein vom kaiserlichen Vertrauen ab. Der Reichskanzler war der einzige Reichsminister.[25] Ihm unterstanden die Staatssekretäre als Leiter der Reichsämter. Sie bildeten mit ihm die sog. Reichsleitung. Im Gegensatz zum parlamentarischen Regierungssystem blieb es also bei einer (spät)konstitutionellen[26] Monarchie. Der Reichskanzler war (mit zeitweiliger Ausnahmen) in Personalunion preußischer Ministerpräsident.

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Das Reich war ein Bundesstaat (Art. 1 RV). Der Bundesrat wurde von Bismarck als höchstes Reichsorgan konzipiert.[27] Er setzte sich zusammen aus Vertretern der 25 Mitgliedstaaten des Deutschen Reiches mit nach der Größe abgestufter Stimmenzahl (Art. 6 RV). Er war – ähnlich dem Bundestag des Deutschen Bundes – die Versammlung der Vertreter der „Bundesfürsten“. Der Bundesrat besaß eine Fülle an Kompetenzen. Er wirkte u.a. an der Reichsgesetzgebung (Art. 7) und beim Beschluss über eine Reichstagsauflösung mit (Art. 24 S. 2 RV). Den Vorsitz im Bundesrat führte der Reichskanzler (Art. 15 S. 1 RV). Der Bundesrat und die Reichsleitung waren vom Parlament organisatorisch und personell streng getrennt: Die Mitgliedschaft im Bundesrat war mit der Mitgliedschaft im Reichstag unvereinbar (Art. 9 S. 2 RV). Aber die Bundesratsmitglieder hatten das Recht, im Reichstag zu erscheinen und jederzeit gehört zu werden (Art. 9 S. 1 RV). Der Bundesrat erreichte in der politischen Praxis nicht die Bedeutung, die intendiert war und die ihm die Verfassung zuschrieb.[28] Tonangebend waren der Kaiser und sein Reichskanzler. Der Reichstag erlangte erst in der Spätphase des Kaiserreichs steigende Bedeutung.

b)Reichstag

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Der Reichstag war das erste gesamtdeutsche Parlament nach der Paulskirchenversammlung. Die Wahlen hatten allgemein, direkt und geheim zu erfolgen (Art. 20 Abs. 1 RV). Vorbild für das Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes (sog. Bundeswahlgesetz) vom 31. Mai 1869[29], das um das Reglement zur Ausführung des Wahlgesetzes vom 28. Mai 1870[30] ergänzt wurde und bis 1918 galt, war das Frankfurter Reichswahlgesetz von 1849. Hinsichtlich der Allgemeinheit der Wahl bestand – im Vergleich zu heute – eine gewichtige Einschränkung: Das Wahlrecht stand nur Männern ab dem vollendeten („zurückgelegten“) 25. Lebensjahr zu (§§ 1, 4 des Bundeswahlgesetzes). Die Gleichheit der Wahl wurde in der Verfassung und im Wahlgesetz nicht erwähnt. Sie bestand nur hinsichtlich des Zählwerts, keineswegs aber hinsichtlich des Erfolgswerts: In jedem Wahlkreis errang der Bewerber mit den meisten Stimmen das Mandat (Ein-Mann-Wahlkreise).

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Wegen des Zuschnitts und der ungleichen Bevölkerungszahl in den Wahlkreisen benötigten die Parteien äußerst unterschiedliche durchschnittliche Stimmenmengen pro Reichstagsmandat. So genügten im Jahr 1871 den Konservativen durchschnittlich 9.600 und den Nationalliberalen 9.300 Stimmen; die SPD benötigte im Schnitt hingegen 62.000 Stimmen. Im Jahr 1907 benötigten die Konservativen pro Mandat 17.700, das Zentrum 20.800 und die SPD 75.800 Stimmen.[31] Eine Wahlrechtsreform vom 24.8.1918[32] beseitigte gröbere Ungleichheiten. Die Mitgliederzahl des Reichstages wurde von 397 auf 441 angehoben. Die neuen Sitze wurden bis dahin verhältnismäßig zu schwach vertretenen Orten mit hoher Bevölkerungsdichte und damit vor allem den größten Städten und einigen Industriebezirken, zugeteilt. Die größten Städte, z.B. Berlin, Frankfurt a.M., München und Hamburg, bildeten jeweils einen Wahlkreis (§ 2 des Gesetzes). In weiteren großen Städten, z.B. Köln und Düsseldorf, wurden Wahlkreise zusammengelegt (§ 3 des Gesetzes). Die Abgeordneten dieser Wahlkreise waren nach dem Verhältniswahlrecht (und nicht mehr nach dem Mehrheitswahlrecht) zu wählen (§§ 4-6 des Gesetzes). Bedeutung konnte diese Reform nicht mehr gewinnen.

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Im Gegensatz zum Reichstagswahlrecht waren die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus, der Zweiten Kammer des preußischen Parlaments, nicht unmittelbar und nicht geheim. Die Abgeordneten wurden durch Wahlmänner gewählt. Die Wahl der Wahlmänner durch das Wahlvolk und die Wahl der Abgeordneten durch die Wahlmänner erfolgten öffentlich und mündlich. Eine eklatante Ungleichheit ergab sich aus der Abstufung des Stimmengewichts nach der Höhe der gezahlten direkten Steuern (Dreiklassenwahlrecht). Das anachronistische Wahlrecht, das auf einer Verordnung vom 30. Mai 1849 beruhte, blieb bis zur Revolution im November 1918 in Kraft.

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Der Reichstag besaß folgende Kompetenzen: Er wirkte an der Gesetzgebung mit (Art. 5 RV) und hatte ein Gesetzesinitiativrecht (Art. 23 RV). In der Praxis wurde die Initiative allerdings in der Regel der Reichsleitung (der Bürokratie, den „Fachleuten“ – im Gegensatz zum Abgeordneten als „Parteipolitiker“) überlassen. Denn Regieren galt personell wie sachlich als gesteigerte Form des überparteilichen Verwaltens.[33] Der Reichstag verabschiedete den Reichshaushalt in Form eines Gesetzes (Art. 69 RV). Er genehmigte auswärtige Verträge, welche Gegenstände der Reichsgesetzgebung betrafen (Art. 11 Abs. 3 RV). Das Parlament hatte keinen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung und politische Gesamtrichtung der Reichsleitung. Die parlamentsrechtlichen Artikel