Partner auf Leben und Tod - Shirley Michaela Seul - E-Book
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Shirley Michaela Seul

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Beschreibung

Bei der Jagd nach Verbrechern ist ein Hund oft wertvoller als Polizisten. Polizeihunde wittern Spuren von Vermissten, vereiteln Sprengstoffattentate und halten Gewalttäter in Schach. Tag für Tag riskieren sie buchstäblich ihr Fell, um Straftäter zu stellen und an der Seite ihres Polizeihundeführers für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Elmar Heer und seine Schäferhündin Carina sind Partner auf Leben und Tod: Gemeinsam haben sie die gefährlichsten Situationen erlebt und viele Verbrecher überführt. Authentisch und mitreißend erzählt Elmar Heer von ihren spektakulärsten Fällen.

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Elmar Heer / Shirley Michaela Seul

Partner auf Leben und Tod

Mit dem Polizeihund im Einsatz

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Für Gundo, Bux und [...]»Beißt der?« [...]Einbrecher dünsten ausVon Lassie zu GundoHelden sehen anders ausHunderouletteGundo erklimmt die EigernordwandSitz! Platz! Hier!Auf Leben und TodAus!Hunde, die bellen, beißen auchFreilaufHunde- und SchweineohrenWiener WürstchenStreife auf sechs BeinenGundo dribbeltLockvogel LeberkäsGundos EffektePrüfungsangstUnterordnungFährteSchutzdienstWir sind Polizeihund!Igel mit TurnschuhenDrogenkarriereKaffee und SockenFrühdienst mit GundoGundos FachhochschulreifeMann mit HundFrau mit HundSpürnase contra KoksnaseGundo und GabbanaDer letzte AtemzugMann ohne HundElf Monate und ein Tag: International Police Task ForceDer Tote in den BrombeerenDie DrogenlieferungDer Hund auf dem GebetsteppichAuftragskillerStaffel im TiefflugMission possibleDer TraumhundDas TraumteamBuxi und die FrauenDie Polizei und die FrauenNachtschicht mit BuxiElmar und die FrauenRangfolgeBiss in letzter SekundeNebenjobs eines HundeführersVerwaistTod ohne ZeugenDer unbedeutende Sachwert am BahngleisSicherstellung eines KampfhundesCarina und der Beginn einer wunderbaren FreundschaftSchwere Zeiten für Frau KatzeBuxi tanzt WalzerDas Ende einer wunderbaren FreundschaftCarinas Tage der ArbeitVom Gifti zum StoffiCarina auf der CouchLeckere VersuchungDie Bombe in der SchuleHäftling auf der FluchtRestrisiko und SambaDer Papst und das Alibi

Für Gundo, Bux und Carina

»Beißt der?«

 

Diese Frage wurde mir im Laufe meiner über zwanzigjährigen Arbeit als Polizeihundeführer am häufigsten gestellt. Ich wundere mich immer wieder darüber. Genauso gut könnte man einen Zahnarzt fragen, ob sein Bohrer bohrt. Oder einen Jockey, ob sein Pferd rennt.

Ja, ein Polizeihund beißt. Er darf, soll und muss das sogar, wenn es eine Situation erfordert. Ob dies der Fall ist, entscheidet nicht ausschließlich sein Führer, sondern manchmal auch der Hund alleine. So kann er das Leben seines Partners – meines – retten.

 

Und vielleicht auch Ihres.

[home]

Einbrecher dünsten aus

Hier spricht die Polizei! Kommen Sie raus, oder ich setze den Hund ein!«

Carina und ich starrten durch die aufgebrochene Tür in eine Fabrikhalle. Der kühle Ostwind trieb den feinen Regen wie Nadeln in mein Gesicht. Eine kleine Dampfwolke stand vor Carinas Schnauze. Trotz des hellen Lichts der Taschenlampe konnte ich im Inneren der Halle nichts erkennen. Carina wahrscheinlich auch nicht, obwohl Hunde im Dunkeln besser sehen als Menschen. Doch darauf kam es jetzt nicht an. Carina würde den Einbrecher riechen. Einbrecher dünsten aus. Die Kollegen von der Streife hatten eine offen stehende Tür und einen pendelnden Lichtschein in der Fabrikhalle entdeckt und das Gebäude umstellt. Niemand war herausgekommen, kein Laut drang nach außen. Carinas Ohren waren gespitzt. Hörte sie etwas? Wenn da einer drin war, sie würde ihn finden.

Ich wiederholte meine Ankündigung noch einmal, um Carina zu signalisieren: Jetzt geht es gleich los.

»Hier spricht die Polizei! Kommen Sie raus, oder ich setze den Hund ein!«

Dieser Satz gehört zu Carinas Lieblingssätzen und wird nicht mal übertroffen von »Fein Essen fertig!«. Ich spürte, wie sie in vorfreudiger Anspannung zitterte. Sie wartete bebend darauf, dass ich das Halsband losließ und sie in die Halle stürmen durfte, um den Täter zu stellen.

»Ich komme!«, hörte ich da eine ängstliche Stimme aus der Dunkelheit. »Bitte halten Sie den Hund fest.«

Er sagte »bitte«. Seine Angst musste groß sein. Ungeduldig bellte Carina. Die Entwicklung des Falles behagte ihr nicht so wie mir. Carina wollte den Lumpen fangen, wie es in unserem Jargon heißt, doch blöderweise kam der Lump von selbst raus. Ein circa zwanzigjähriger Mann mit weit aufgerissenen Augen und erhobenen Händen. Einer meiner beiden Kollegen von der Streife nahm ihn in Empfang.

»Sie sind vorläufig festgenommen. Sie wissen ja, warum.«

Der andere Kollege verabschiedete sich von mir. »Das wär’s dann, Elmar. Danke für die Unterstützung.«

»Gern geschehen. Ruhige Nacht noch.«

Die Schutzpolizisten durchsuchten den Mann nach Waffen und Diebesgut, dann halfen sie ihm beim Einsteigen in ihren grün-silbernen BMW. Früher waren alle Streifenwagen grün-weiß. Die Hundestaffel, zu der Carina und ich gehören, ist noch immer mit einigen sehr alten Autos unterwegs. Mir macht das nichts aus, und Carina als Deutsche Schäferhündin ist immun gegen Statussymbole. Sie fährt auch Audi oder Opel oder VW. Hauptsache, es geht zu einem Einsatz. Carina liebt Einsätze.

 

Die Uhr am Armaturenbrett meines Dienstwagens zeigte kurz nach Mitternacht. Meine Schicht hatte um 20 Uhr begonnen und war bislang ruhig verlaufen. Ein bisschen Schreibtischarbeit, einige Objekte kontrolliert, die des besonderen Schutzes bedurften, wie Wohnsitze von Politikern und ein paar der beliebtesten Gemäuer von Graffiti-Künstlern, die obligatorische Fußstreife durch einen U-Bahnhof, um den Fahrgästen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und eventuellen Tätern eines der Unsicherheit. Außerdem eine Schlägerei, die sich schon aufgelöst hatte, bevor Carina sie auflösen konnte. Und jetzt der Einbrecher, der für Carinas Geschmack viel zu früh aufgegeben hatte. Ein richtiges Erfolgserlebnis fehlte ihr heute noch. Zum Beispiel einen Vermissten vor dem Erfrieren retten, einen Sprengsatz finden oder eine alte Dame, die den Weg nach Hause vergessen hat, einen flüchtigen Handtaschenräuber stellen. Für mich ist auch ein ruhiger Dienst ein guter Dienst. Carina liebt es turbulent.

 

»Und wie war’s?«, fragte mein Kollege Hartmut in unserer Dienststelle am östlichen Stadtrand von Nürnberg. Nachts sind wir häufig nur zu zweit in unserem Abschnitt.

»Pech für Carina, Glück für den Einbrecher«, antwortete ich.

Hartmut grinste. »Das habe ich am Funk mitbekommen. Ich frag mich, was der da klauen wollte, da gibt’s doch nichts?«

»Vielleicht die Kaffeekasse.«

»Apropos«, sagte Hartmut. »Ich hab frischen gemacht. Die Nacht ist ja noch lang für uns. Und ich muss gleich weg. Die Autobahnpolizei hat einen Wagen angehalten, der eine Rauschgiftsuche wert wäre. Die haben gesagt, den Stoff riechen sie selbst ohne Hund.«

 

Fünf Minuten später war ich allein. Ganz allein. Carina saß im grün-weißen Opel Kombi vor der Tür. Hunde haben zwar kein Hausverbot in ihrer Dienststelle, aber in der Regel bleiben sie draußen, weil sich nur wenige Hunde gut vertragen und es zu Raufereien kommen könnte. Polizeihunde sind sehr dominant. Ein im Wesen eher unterwürfiger oder ängstlicher Hund würde die hohen Anforderungen, die an einen Polizeihund gestellt werden, nicht erfüllen. Deshalb durchlaufen die Hunde, die eine Polizistenlaufbahn einschlagen, eine fundierte Ausbildung. Manchmal stellt sich erst nach Monaten heraus, ob ein Hund für den Polizeidienst geeignet ist – oder an seinen Züchter zurückgegeben wird.

 

Carina hatte sich bestimmt längst zusammengerollt und schlief. Mein Dienst dauerte noch bis sechs Uhr morgens. Ich beneidete sie. Das Auto ist wesentlich bequemer als mein Bürostuhl und gemütlicher sowieso. Die Wände in unserer Dienststelle sind kahl bis auf eine vier Quadratmeter große Landkarte unseres Zuständigkeitsbereiches: Nürnberg und Umgebung.

Die zentrale Diensthundestaffel Mittelfranken besteht aus rund fünfzig Hunden und Hundeführern. Es gibt Rauschgift-, Sprengstoff-, Leichenspürhunde, Personensuchhunde, einen Banknotenspürhund. Sie alle stehen mehr als ihren Mann: Ein Hund ist so gut wie mindestens fünf Polizeibeamte – so rechnen Einsatzplaner. Natürlich kann der Hund vieles nicht, doch er kann auch einiges mehr als ein Polizeibeamter. Es kommt auf den Einsatz an.

Viele Leute haben größeren Respekt vor Polizeihunden als vor Polizisten. Hunde sind die besseren Schnüffler und die schnelleren Läufer. Sie wittern einen Angriff vor seiner Ausführung und alle Arten von Drogen. Rauschgifthunde entdecken sie in den geheimsten Verstecken, ob im Reserverad oder eingepackt in Kaffeepulver – lange nicht raffiniert genug für die vierbeinigen Kollegen. Die darauf geschulten Mantrailer finden Personen: Es genügen einige wenige Hautschuppen, die jeder Mensch ständig verliert, um die Spur eines Flüchtenden sogar durch eine belebte Fußgängerzone zu verfolgen. Andere sind darauf spezialisiert, vergrabene Leichen zu finden, eine Blutspur und Körperflüssigkeiten jeglicher Art, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind, aber sehr oft wichtig für die Aufklärung von Verbrechen. Ein Sprengstoffspürhund riecht auf den ersten Schnaufer, ob in einem Koffer am Bahnhof alte Socken oder neue Sprengstoffsätze deponiert sind. Bei Letzterem berührt er den Koffer nicht. Er setzt sich davor und starrt ihn an. Damit zeigt er seinem Hundeführer, dass er Sprengstoff gefunden hat. So rettet der Hund nicht nur das Leben seiner zweibeinigen Kollegen, sondern auch das der Mitbürgerinnen und Mitbürger.

 

Carina ist mein dritter Polizeihund und mein erster Sprengstoffspürhund. An ihre beiden Vorgänger Gundo und Buxi, ausgebildete Rauschgifthunde, denke ich mit Freude und Wehmut zurück. Wir haben so viel miteinander erlebt … und ein Hundeleben ist kurz, viel zu kurz. Deshalb muss man die Zeit nutzen: »Carina, bring das Stöckchen!«

[home]

Von Lassie zu Gundo

Zur Polizei wollte ich schon immer. Mit achtzehn Jahren bewarb ich mich dort. Sonst nirgendwo. Gerade so, als würde die Polizei nur auf mich warten. Nun, das hat sie nicht getan, aber ich bestand die Aufnahmeprüfung. Nach drei Jahren Ausbildung in Eichstätt, München und Nürnberg, wo ich anschließend elf Jahre lang als Streifenbeamter bei der Polizeiinspektion Süd eingesetzt war, erfüllte sich mein großer Traum: die Hundestaffel. Von Anfang an war das mein Ziel gewesen. Ein Ziel, das zwischendurch in die Ferne gerückt war, denn ich wohnte im vierten Stock in einer Zweizimmerwohnung in Nürnberg. Bevorzugt wurden Bewerber, die in einem Haus mit Garten und Platz für einen Zwinger lebten. Als Single fand ich ein Haus zu groß für mich allein. Doch als ich später mit meiner damaligen Frau und ihren zwei Kindern ein Haus mit Garten in Winkelhaid bei Nürnberg mietete, stand einer Bewerbung bei der Hundestaffel nichts mehr im Weg.

»Ein Hund macht eine Familie komplett«, freute sich meine Frau – und noch mehr freuten sich die Kinder.

Ich schränkte ein: »Das wird kein Schoßhund, das wird ein Diensthund sein. Der geht mit mir zur Arbeit.«

Dass das eine das andere nicht ausschließt, wusste ich damals noch nicht.

 

In meiner Familie gab es immer Collies zum Spielen und Kuscheln – sie gehörten einfach dazu und mussten außer »Sitz« und »Platz« nichts können. Der erste hieß – natürlich – Lassie, es folgten Beauty und Ingo. Auch meinen zwei Jahre älteren Bruder Armin prägte diese Hundevergangenheit: Er lebt heute als Tierarzt bei Hamburg.

 

1990, im Alter von 32 Jahren, stieg ich bei der Hundestaffel ein. Meine bisherige Erfahrung und mein ganzes Wissen nutzten mir bei der Ausbildung eines Diensthundes nichts. Es kam nicht darauf an zu wissen, wie man eine Einbruchserie aufklärt, davonrasende Autofahrer zum Anhalten zwingt, einen Verkehrsunfall aufnimmt oder einen Ehestreit schlichtet. Jetzt ging es darum, sich nicht nur auf die eigene Spürnase zu verlassen, sondern auf die seines Hundes.

Mit einem meiner Ausbilder fuhr ich zu einem Schäferhund-Züchter, um einen Hund für mich auszusuchen. Kurt lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen stattlichen Rüden.

»Schau dir mal den an. Der gefällt mir. Was meinst du?«

»Hm«, machte ich. Keine Ahnung, was ich meinte. Woran würde ich denn merken, ob das der richtige Hund für mich wäre? Hauptsache, er war mir sympathisch!

»Er heißt Donner«, meldete sich der Züchter beflissen.

»Komischer Name«, meinte Kurt, und ich pflichtete ihm im Stillen bei. Aber war das ein Kriterium?

Die lange, warme Donnerzunge schleckte über meinen Handrücken. Ein brauner, neugieriger Blick traf mich.

»Ja«, sagte ich zu Kurt. »Der gefällt mir.«

»Dann schau ich ihn mir mal genauer an«, erwiderte Kurt und zog sich einen dickgepolsterten Ärmel über den linken Arm, um eine erste Ankaufsüberprüfung durchzuführen. Kurt provozierte Donner, ihn in den Ärmel zu beißen. Donner schaute ihn freundlich an. Und dann mich.

»Hm«, machte Kurt.

»Mit dem hier wurde noch nie gearbeitet«, schaltete sich der Züchter ein. »Der hat keine Ahnung, was Sie von ihm wollen.«

Dann passen wir ja gut zusammen, schoss es mir durch den Kopf.

»Er ist neun Monate alt«, ergänzte der Züchter.

»Schöner Kerl«, dachte Kurt laut. »Gefällt mir irgendwie.«

Die Gründe, warum ihm der Hund gefiel, blieben mir rätselhaft. Sein sanfter Blick war es wahrscheinlich nicht.

»Also wir nehmen den mal zur Probe mit.« Kurt wandte sich an mich. »Okay?«

Ich nickte.

 

Bei der Fahrt zurück zu unserer Dienststelle klärte Kurt mich darüber auf, dass Hunde prinzipiell auf Probe gekauft werden, mit einer Bewährungszeit von vier Wochen bis zu sechs Monaten – je nach Alter und Veranlagung des Hundes. »Denn du steckst ja nicht drin in dem Hund. Du weißt nicht, wie der sich entwickelt. Vielleicht hat er ein Supertalent zum Fährtensuchen, und dann traut er sich nicht an der Mülltonne vorbei, die ausnahmsweise zwanzig Zentimeter neben ihrem angestammten Platz steht. Oder du hast einen total selbstbewussten Rüden, der panisch wird, sobald er sich auf glattem Boden bewegen soll. Angst vor glänzenden Böden ist unter Hunden weit verbreitet. Wie gesagt, zum jetzigen Zeitpunkt ist noch alles offen.«

»Klar«, nickte ich.

Donner zog bei mir zu Hause ein. Ich nannte ihn Doni, weil das freundlicher klang und besser zu diesem Spitzbuben passte. Doch nach Spitzbub sah Doni leider nur aus. Ihm fehlte »der Biss«, wie sich zu meiner großen Enttäuschung herausstellen sollte.

Helden sehen anders aus

Ich war beim Fernsehen auf der Couch eingeschlafen. Es war schon halb drei Uhr morgens, als ich aufwachte. Doni saß hechelnd vor dem Sofa und signalisierte mir, dass es nun aber allerhöchste Zeit sei, noch mal rauszugehen. Ein Stück hinter unserem Haus begegneten mir zwei junge Männer. Ich grüßte sie. Sie grüßten mich. Doni begrüßte einige Mäuse auf der Wiese, die sicher nicht so begeistert von diesem nächtlichen Zusammentreffen waren wie er. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass einer der beiden Männer nun in einem Auto saß, der andere stand daneben. Schlagartig begriff ich: Die beiden knackten das Auto!

Ich muss die Polizei rufen!, war mein erster Gedanke. Aber die war ja schon da, ich bin die Polizei! Also rief ich Doni an meine Seite, leinte ihn an und folgte dem Duo in eine Querstraße. Einer der beiden Männer trug ein Autoradio in der Hand.

»Bleibt mal stehen!«, rief ich.

Sie liefen weiter, als wären sie nicht gemeint. Auch sie waren offensichtlich wenig begeistert von diesem nächtlichen Zusammentreffen. Doni und ich erhöhten unser Tempo und schlossen auf, bis wir unmittelbar hinter ihnen waren.

»Ich habe Sie beobachtet. Sie haben da vorne das Auto geknackt. Ich bin Polizeibeamter. Sie sind vorläufig festgenommen.«

Die beiden reagierten anders als erhofft. Der eine gab Fersengeld, der andere griff blitzschnell an seinen Rücken und drückte mir eine Waffe in den Bauch. Ich wich zurück. »Hey, mach keinen Scheiß! Was soll das?«

Seit zwölf Jahren war ich Polizist. Aber so was war mir noch nicht passiert. Und dann sagte ich auch noch genau das Gleiche, was die im Fernsehen immer sagen. Unglaublich! Ohne zu überlegen, griff ich von oben nach der Pistole und drückte sie weg, wobei ich darauf achtete, den Schlitten ein Stück nach hinten zu schieben, um den Abzug zu blockieren. Die darauffolgende Rangelei gewann ich. Es gelang mir, meinen Gegner zu entwaffnen. Kurz darauf tauchte ein Streifenwagen auf, der von einem Nachbarn verständigt worden war. Erst mit dieser Verstärkung im Rücken fiel mir auf, dass hier jemand fehlte – Doni. Ich fand ihn schließlich eingerollt auf der Fußmatte vor unserer Haustür. Schlafend.

 

Das war nicht der einzige, wenn auch ausschlaggebende Grund, warum die Polizei beschloss, auf seine Arbeit zu verzichten und Doni zum Züchter zurückzugeben. Doni hatte sich zu oft als untauglich für den Dienst erwiesen. Ich brachte es nicht über mich, ihn ganz wegzugeben. Dafür hing mein Herz schon zu fest an ihm. Es gelang mir, meine Mutter zu überreden, ihn zu übernehmen, als ich ihn dem Züchter abgekauft hatte. So konnte ich Doni wenigstens ab und zu besuchen – im Hundeparadies auf Erden!

Hunderoulette

»Und jetzt?«, fragte ich Kurt.

»Suchen wir einen neuen Hund«, erklärte er, und wir fuhren zu einem Privatmann, der keine Zeit für seinen zweijährigen Schäferhund Eick hatte. Dieser Rüde hatte bereits die Schutzhundeprüfung 1 und 2 im Hundesportbereich bestanden. Diese Prüfung wird überwiegend in Schäferhundvereinen abgelegt und war damals der Polizeihundeprüfung in vielen Punkten ähnlich. Heute ist unsere Ausbildung eher praxisorientiert. Folglich hatte Eick von Hundeausbildung wesentlich mehr Ahnung als ich. Doch lärmende Menschenmassen machten ihm Angst, obwohl er sonst außerordentlich mutig war und einzelnen Personen auch entschlossen entgegentrat und sie in ihre Schranken wies. Da ein Polizeihund häufig mit Menschenmassen konfrontiert wird, musste ich ihn trotz seiner vielen guten Fähigkeiten zu seinem Vorbesitzer zurückbringen. Das Hundeparadies bei meiner Mutter war leider schon besetzt.

 

»Ich frage mich, ob ich wirklich die richtige Wahl getroffen habe«, sagte ich zu meinem Bruder Armin. »Zwei Hunde, zweimal Vertrauen aufbauen, zweimal enttäuscht – wenn ich mir vorstelle, dass das jetzt so weitergeht …«

»Aller guten Dinge sind drei«, tröstete mich mein großer Bruder, der sich in seinen Diagnosen Hunde betreffend praktisch nie täuschte.

Hund drei hieß Astor. Er verfügte über alle Eigenschaften, die von einem potenziellen Diensthund erwartet werden: Unbefangenheit, Bewegungssicherheit, einen ausgeprägten Spieltrieb und die gehörige Portion Mut, die nötig ist, um im Fall des Falles nicht den Schwanz einzuziehen. Hinzu kam, dass er mit seinem umgänglichen Wesen auch meinen Vorstellungen eines Familienhundes entsprach, der ein tougher Polizeihund im Idealfall zusätzlich sein kann. Astor war stets aufmerksam, dankbar für die geringste Zuwendung und ließ keine Chance zum ausgiebigen Schmusen ungenutzt. Er verstand und lernte schnell, es war eine Freude, mit ihm zu arbeiten. Als Kurt mir mitteilte, dass aus seiner Sicht keine Bedenken gegen einen endgültigen Ankauf bestünden, wäre ich ihm beinahe um den Hals gefallen. Zwar stand noch die tierärztliche Untersuchung aus, aber das wäre doch gelacht, wenn dieser Prachtkerl daran scheitern würde!

 

»Ich rate von einem Kauf ab«, kreuzte der Veterinär am letzten Tag von Astors Probezeit auf dem Formular an, das über unsere weitere Zukunft entschied. Blutwerte, Urin- und Kotprobe waren in bester Ordnung, doch das Röntgenbild zeigte eine leichte Fehlstellung der Hüfte, einen zu kleinen Spalt zwischen Oberschenkelkopf und Hüftgelenkpfanne. Diagnose: Verdacht auf Hüftgelenksdysplasie. Astor und ich mussten uns trennen.

Die Hüftgelenksdysplasie ist eine Fehlentwicklung dieses Gelenks, die wie die Ellbogendysplasie weitgehend genetisch bedingt und somit vererbbar ist. Vor allem größere Hunde sind betroffen. Da sie erstmals beim Deutschen Schäferhund festgestellt wurde, wird sie manchmal als Schäferhundkrankheit bezeichnet, obwohl sie bei anderen großen Rassen ebenfalls vorkommt. Während man sie jungen Hunden wie Astor selten ansieht, zeigt sie ihre Auswirkungen je nach Ausprägung im fortschreitenden Alter immer deutlicher. Ein erkrankter Hund vermeidet dann plötzlich Sprünge und hat zunehmend Schwierigkeiten beim Aufstehen. Zuletzt kann er unter so großen Schmerzen leiden, dass er bei bloßer Berührung im Hüftbereich aufjault. Medikamente bekämpfen die Auswirkungen, nicht jedoch die Ursache. Lediglich das Einsetzen eines künstlichen Gelenks kann dann noch helfen – eine teure Operation, die sich nur wenige Hundehalter leisten können und/oder wollen. Der Staat gehört nicht dazu.

»Warum werden die Hunde denn nicht vorher untersucht«, fragte meine Mutter, der es sehr leidtat, dass sie nicht alle meine ausgemusterten Partner aufnehmen konnte.

»Das kann ich dir leider nicht beantworten«, erwiderte ich. »Nur manchmal werden sie das.«

 

»Sperren Sie ihn einfach in den Freilauf neben dem Haus«, bat mich Astors Züchterin am Telefon. »Ich komme heute Nacht erst später heim.« Ihre Stimme klang wenig begeistert, eher eine Spur beleidigt. Als wäre der zu kleine Spalt in Astors Hüfte meine Schuld.

Es nieselte, als ich vor dem Bauernhof parkte, der sich schemenhaft in der Dunkelheit abzeichnete. Die schwache Beleuchtung in der Einfahrt zeigte mir, dass die Tür zu dem großen Freilauf wie vereinbart offen stand. Astor hechelte aufgeregt. Hier kannte er sich aus. Mit einem Kloß im Hals führte ich ihn in das mannshoch eingezäunte Grundstück und ließ ihn von der Leine. Konzentriert widmete er sich all den Gerüchen im Gras und schnupperte aufmerksam daran herum. Erst als das Schloss der Tür einschnappte, bemerkte er, dass ich nicht mehr hinter ihm stand. Mit einem Ruck stoppte sein Wedeln, die Rute sank Richtung Boden. Er warf sich herum und lief mir nach, versuchte winselnd und bellend, über den Zaun zu springen. Wild kratzte er mit beiden Pfoten am Gatter. Gehörten wir denn nicht zusammen? Ich ging in die Hocke und steckte meine Hand durch den Maschendraht. Noch einmal streichelte ich ihm über den Kopf. Er schien sich zu beruhigen und leckte mir mit seiner warmen, weichen Zunge über die Hand.

»Ich komm bald wieder«, log ich. Dann richtete ich mich auf, lief zum Auto, startete den Motor und fuhr vom Hof.

Weit kam ich nicht, nach wenigen hundert Metern musste ich anhalten. Meine Augen brannten, ich konnte die Straße kaum mehr erkennen. Verdammt, warum tat ich mir das an? Wie ging das, einen Hund als Sache zu behandeln? Fehlte mir dazu die Coolness? Wie war das mit meiner Eignung als Hundeführer? Sah ich das Ganze zu emotional? Es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte. Zum nächsten Hund werde ich so lange innere Distanz wahren, bis entschieden ist, dass wir tatsächlich zusammenbleiben, schwor ich mir. Eine Röntgenaufnahme sollte mir nicht noch einmal das Herz brechen!

 

Mein nächster Hund hieß Disco. Ein Held auf dem Abrichteplatz, wo er alle Aufgaben perfekt meisterte, ein Hase daheim, der vor allem Angst hatte, was er nicht kannte. Ob Mixer, Leute mit Hüten, Kinder, Frauen mit Plastiktüten, überhaupt Plastiktüten im Wind! Wie schrecklich! Ja, es war schrecklich. Auch von Disco musste ich mich trennen.

 

Mittlerweile war ich seit fast einem Jahr auf der Suche nach »meinem Hund«. Gab es den überhaupt? Manchmal glaubte ich nicht mehr daran. Doch dann fand ich ihn doch noch, auf dem Gelände eines Züchters in Neumarkt. Der drückte mir die Leine mit einem elfmonatigen Schäferhundrüden in die Hand. Kurt, in voller Schutzmontur, mimte einen flüchtenden Einbrecher und rannte an uns vorbei. Gundo, der schon einige Unterrichtseinheiten genossen hatte, zeigte Engagement, riss mir die Leine aus der Hand und griff an.

»Prima«, strahlte Kurt. »Ich glaub, das ist der richtige für dich, Elmar.«

»Das glaube ich auch«, erwiderte ich mit neuer Zuversicht. Denn auch Kurt hatte sich schon einige Male getäuscht. Doch bei diesem hier, da spürte ich was. So was hatte ich bei den anderen Hunden nicht gespürt. Das lag nicht an dem Einsatz des Hundes, sondern an etwas anderem. Bis heute weiß ich nicht so genau, was es war. Doch es bestätigte sich in den nächsten zehn Jahren, Tag für Tag, Nacht für Nacht.

[home]

Gundo erklimmt die Eigernordwand

Natürlich gelang es mir nicht, zu Gundo Distanz zu wahren, wie ich es mir vorgenommen hatte. Denn, mal ehrlich, Gundo war der schönste Hund der Welt! Welcher Hundebesitzer ist schon objektiv, wenn es um seinen Schützling geht? Dass seine Zähne vielleicht etwas schief standen und er seine Zehen beinahe wie ein Emu abspreizte, störte mich nicht. Und zum Glück auch nicht die Polizei. Schließlich wurden angehende Bundeswehrsoldaten bei der Musterung ebenso wenig zurückgestellt, weil sie Plattfüße hatten. Auf die Hüfte kam es an, auf die Hüfte!

 

Als ich meinen potenziellen Streifenpartner nach wochenlangem, intensivem Training zur Ankaufsuntersuchung zum Tierarzt brachte, fühlte sich mein Magen an, als hätte ich flüssigen Beton getrunken. Im Wartezimmer, Gundo wurde geröntgt, hielt ich es nicht auf meinem Platz aus, sondern lief unruhig hin und her. Eine ältere Dame mit einem blinden Zwergpudel beobachtete mich eine Weile mitleidig.

»Was hat er denn, Ihr Hund?«, fragte sie schließlich.

»Nichts«, gab ich meiner größten Hoffnung Ausdruck.

»Nichts?«, wiederholte die Frau.

Ich war nicht in der Stimmung, mich zu unterhalten. »Er wird nur geröntgt.«

»Aber wenn er nichts hat, warum wird er dann durchleuchtet?«

»Eben um festzustellen, dass er nichts hat.« Ich lief weiter, auf und ab, auf und ab. Endlich öffnete sich die Tür zum Sprechzimmer. »Es tut mir leid«, sagte der Tierarzt zu mir. Mein Herz rutschte in die Hose.

»Wir mussten einen anderen Hund vorziehen, ein Notfall. Deshalb hat es etwas gedauert. Kommen Sie bitte mit?«

Nervös folgte ich ihm. An einer beleuchteten Milchglaswand hingen mehrere Röntgenbilder. Auf mich machten sie einen bedrohlichen Eindruck, und ich bemühte mich vergebens, etwas zu erkennen.

»Das ist also die Hüfte Ihres Hundes.« Der Doktor zeigte mit seinem Kugelschreiber auf eines der Fotos. »Sehen Sie?« Ich sah nichts und ich sagte nichts. Der Beton schien mittlerweile meine Kehle erreicht zu haben und dort hart zu werden.

»Eine solche Hüfte habe ich schon lange nicht mehr gesehen«, sagte der Arzt, und mir schwante das Schlimmste.

»Also, wenn die Polizei diesen Hund nicht nimmt, dann nehme ich ihn. Dieses Becken ist perfekt. Besser geht’s nicht!« Es dauerte eine Weile, bis ich begriff. Gundo hatte bestanden! Gundo würde bei mir bleiben! Gundo und ich waren ein Team!

»Danke!«, rief ich begeistert, als hätte der Veterinär die Hüfte selbst zusammengebaut. Er erwiderte ebenso begeistert etwas, in dem Begriffe wie Acetabulum, Femurkopf und Norberg-Winkel vorkamen. Von mir aus hätte es auch die Eigernordwand sein können.

»Wo ist er?«, fragte ich und spürte, mit welcher Kraft all die unterdrückten Gefühle für meinen vierbeinigen Freund nun herausdrängten. Die Gefühle, die ich aus Angst vor einem weiteren Abschied nicht hatte zulassen wollen. Dass meine Frau und ihre beiden Töchter meine Euphorie nicht teilten, ernüchterte mich etwas. Im Überschwang der Emotionen hatte ich völlig vergessen, dass sie selbst sich im Gegensatz zu mir sehr wohl an ihren Vorsatz gehalten hatten, sich nicht schon wieder an einen Hund zu gewöhnen, der einem dann doch weggenommen würde.

Ihre Distanz zu Gundo verschwand nie mehr ganz, und das machte mich oft traurig, weil ich unsere Erfolgserlebnisse nicht teilen konnte. Meine Familie akzeptierte Gundo zwar, doch ein wirklich herzliches Verhältnis stellte sich nicht ein. Zudem war meine damalige Frau eifersüchtig auf Gundo. In ihren Augen schenkte ich ihm zu viel Aufmerksamkeit. Sicher, ich verbrachte mehr Zeit mit meinem Hund als mit ihr, doch mit diesem Kollegen verdiente ich auch unseren Lebensunterhalt. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich sogar noch mehr Zeit mit Gundo verbracht. Doch meine Frau bestand darauf, ihn nachts im Zwinger zu halten. Für mich war es immer ein trauriger Moment, wenn ich die Zwingertür hinter ihm schloss, und den teilten wir miteinander wie so vieles andere, ich konnte es deutlich in seinem Blick lesen. Wie gern wäre er bei seinem Rudel geblieben.

Sitz! Platz! Hier!

Die Sonne versteckte sich noch hinter dem Horizont und färbte den Himmel im Osten rosa. Unser erster offizieller Ausbildungstag nach der Probezeit versprach schönstes Wetter. Dicke Tautropfen auf der jungen Saat glitzerten im zarten Morgenlicht dieses Montags im März 1991. Fast jeder Diensthund, der später in eine spezielle Richtung geschult wird, durchläuft eine Ausbildung, die den Schutzdienst, die Nasenarbeit und die Unterordnung umfasst. Damit begannen wir nun, Gundo und ich, und zwar in unserer »Schule«, dem Abrichteplatz.

 

Hundeplätze und Kleingartenkolonien haben häufig etwas gemeinsam: Viele befinden sich unter Hochspannungsleitungen, besonders, wenn die Schneisen durch dichtbewachsene Waldgebiete getrieben wurden. Mit viel technischem und finanziellem Aufwand sorgen die Energiekonzerne dafür, dass die kilometerlangen Trassen baumfrei bleiben, um eine Erdung der gespannten Kabel zu verhindern. So entstand die paradox erscheinende Symbiose zwischen organisierten Tier- oder Pflanzenfreunden und den Stromgiganten. Schrebergarten- und Hundesportvereine pachten kostengünstig weitläufiges Gelände, das außer zum Elektrizitätstransport zu nichts zu gebrauchen ist, und kümmern sich im Gegenzug darum, dass kein Gewächs zu hoch in den Himmel schießt.

 

Auch der Schäferhundverein am Stadtrand von Nürnberg, dessen Abrichteplatz in der Größe eines halben Fußballfeldes wir vormittags nutzen durften, lag in einer solchen Schneise. Im Sonnenlicht warfen die Leitungen wie mit dem Lineal gezogene Schattenlinien auf den Platz und dienten als Landeplatz für Krähen, die das Treiben unter ihnen neugierig beäugten. Gundo und ich lernten hier das von Kurt oft und gern zitierte »A und O«: Folgsamkeit, im Fachjargon die Unterordnung des Hundes genannt. Unterordnung ist nicht gleichbedeutend mit Unterwürfigkeit, sondern drückt aus, dass der Hund die Überordnung seines Menschen akzeptiert, ihn als Rudelführer anerkennt und das tut, was ihm beigebracht wurde. Der Mensch wiederum muss lernen, wie er Rudelführer wird und bleibt und mit welchem Verhalten er diese Unterordnung einfordert und den Hund motiviert.

Missverständnisse zwischen Mensch und Hund gibt es, seit sich beide vor 30000 Jahren entschlossen haben, zusammenzuleben. Musste der Hund erst lernen, dass Lächeln nichts mit Zähnefletschen zu tun hat, bedurfte es einige Erfahrung, bis der Homo sapiens erkannte, dass angelegte Ohren im Gegensatz zum Pferd beim Canis lupus nicht zwangsläufig einen bevorstehenden Angriff signalisierten. Wer sich die Zeit nimmt, im Tierpark ein Wolfsrudel oder überhaupt Hunde im Umgang miteinander zu beobachten, kann eine Menge über die Vierbeiner lernen. Nicht nur einzelne Signale, das ganze Verhalten des Tieres spielt eine Rolle, um seine Absichten zu deuten. So wedelt ein Hund beispielsweise nicht ausschließlich aus Freude mit dem Schwanz, dies kann völlig unterschiedliche Ursachen haben: Aufregung, Verlegenheit, Unsicherheit oder auch Unterwürfigkeit. Der italienische Wissenschaftler Giorgio Vallortigara hat unlängst herausgefunden, dass Hunde mit der Richtung, in der sie mit dem Schwanz wedeln, zeigen, was sie empfinden. Mehr nach links bedeutet, dass sie lieber das Weite suchen würden, nach rechts, dass eine nähere Bekanntschaft willkommen wäre. Dies habe, so der Verhaltensforscher, damit zu tun, welche Gehirnhälfte gerade aktiver sei, die aktuelle Situation zu verarbeiten. Eine interessante Erkenntnis! Es ist mir allerdings in der Praxis noch nie gelungen, sie anzuwenden, da Hunde in der Regel ständig in Bewegung sind und die Wedelrichtung deshalb kaum zu erkennen ist. Jedenfalls war bisher keine meiner Hirnhälften dazu in der Lage.

 

Gundo hatte während seiner Ausbildung viel Grund zum Wedeln, auch wenn der Stoff zu Beginn recht öde erschien. In unseren ersten Tagen und Wochen beschäftigten wir uns vor allem mit »Sitz«, »Platz« und »Hier«, »Steh«, »Fuß« im Gehen, im Laufen, Winkel und schnelle Wendungen, Vorauslaufen und Hindernisse überwinden, »Steh« aus dem Gehen, »Platz« aus dem Laufen.

Alle Kommandos werden ohne Druck über Belohnung gelernt. Der eine Hund lernt schneller, der andere langsamer; so wie auch jeder Mensch unterschiedlich ist, andere Vorlieben und Abneigungen hat. Sicher gibt es Rassen, denen das Lernen prinzipiell leichterfällt – Schäferhunde gehören dazu. Doch es ist nicht gesagt, dass alle Schäferhunde über dieselbe Intelligenz verfügen. Und schon gar nicht über dieselben Vorlieben. Es gibt Hunde, die baden gern, andere empfinden bereits nasse Pfoten als Zumutung. Igitt! Woran liegt es? An den Genen oder an der frühen Welpenzeit? Fakt ist, dass nur derjenige, der seinen Hund wirklich gut kennt, ihn auch bestmöglich fördern und fordern kann, um wiederum das Beste aus ihm herauszuholen. Es steckt unglaublich viel Bestes in unseren vierbeinigen Kollegen!

 

Manche Hunde wollen immer alles richtig machen und fühlen sich wohl, wenn sie Klassenbeste sind. Andere haben einen regelrechten Sturschädel und machen gern immer erst mal das Gegenteil des Gewünschten. Es gibt welche, die können sich sehr gut konzentrieren, andere sind leicht abzulenken – und das alles trifft ebenso auf die Hundeführer zu. Konsequentes Führen heißt das Zauberwort. Ich muss zugeben, dass ich in dieser Disziplin nicht zum Weltmeister geboren bin. Hin und wieder lasse ich mich von einem Hundeblick erweichen. Diese Erfahrung speichert der kluge Hund besonders schnell.

Auf Leben und Tod

Gundo hatte mich schon nach wenigen Tagen voll und ganz als seinen Rudelführer akzeptiert. Im nächsten Ausbildungsschritt ging es darum, dass er mich auch beschützte, denn wir würden voraussichtlich viele gefährliche Situationen gemeinsam meistern, wie zum Beispiel tätliche Angriffe. Ein Wesenszug eines Polizeihundes ist der ausgeprägte Schutztrieb. Wer mein Herrchen angreift, greift auch mich an. Das kommt natürlich nicht täglich vor, doch man sollte damit rechnen, dass es im Lauf eines Hundelebens passieren kann. Und dann darf der Hund sich nicht hinter seinem Rudelführer verstecken. Der Hundeführer muss sich hinter dem Hund verstecken können. Der Hund beschützt seinen Rudelführer mit allem, was er hat … in letzter Konsequenz mit seinem Leben. Der Hundeführer hingegen darf seinen Hund nur eingeschränkt beschützen, er darf seine Dienstwaffe nicht benutzen, wenn ein Täter »nur« auf den Hund schießt. Wer auf einen Hund schießt, begeht keinen Mord, sondern Sachbeschädigung.

An diese schlimmste aller Situationen dachte ich zu Beginn unserer Ausbildung natürlich nicht. Zuerst einmal war ich einfach gespannt, was auf mich zukommen würde. Vermisste Kinder und alte Leute wollte ich finden. Erfolgreich sein im Team mit Gundo. Ich und mein Hund. Mein Hund und ich. Ich träumte von guten Taten. Geschichten über solche hörte ich in der Ausbildung viele. Aber eben auch andere, traurige, die mir vor Augen hielten, dass der Dienst als Hundeführer nicht ungefährlicher war als der Dienst als Streifenpolizist, wie ich ihn fast ein Dutzend Jahre absolviert hatte.

 

Nach einem Einbruch in einem Supermarkt hatten Streifenkollegen das Gebäude umstellt. Der Täter befand sich noch im Geschäft, alle Fluchtwege waren überwacht. Zwei Hundeführer und einer ihrer Hunde betraten das Gebäude, um den Täter aufzuspüren, was einem der Hunde schnell gelang. Als er an dem Täter hochsprang, rammte dieser ihm ein Messer in die Brust. Das Letzte, was der Hundeführer von seinem treuen Gefährten hörte, war sein herzzerreißendes Jaulen.

 

Ein anderer Hund hatte mehr Glück und überlebte eine Messerattacke. Nach einem heftigen Familienstreit hatte sich ein älterer Mann ins Schlafzimmer zurückgezogen – bewaffnet mit einem langen Küchenmesser. Dort wartete er auf die Polizei, die seine Frau gerufen hatte. Die Kollegen versuchten, den Mann zu beruhigen. Doch er war völlig durchgedreht, nicht mehr ansprechbar, stand bewegungslos hinter dem ehelichen Bett, das Messer in der Hand. Eine Annäherung war lebensgefährlich. Als selbst der Versuch, ihn mit Pfefferspray zum Aufgeben zu bewegen, erfolglos blieb, wurde ein Hund eingesetzt. Doch der hatte gelernt, dass er einen sich ruhig verhaltenden Menschen nicht beißen darf. Also sprang er ihn nur an und bellte. Die Klinge traf den Hund in der Achsel. Sie drang tief ein und verletzte die Schlagader. Als der Hundeführer seinen Partner zurückrief, lief diesem das Blut in Strömen das Bein hinab. Ein Hund »ist schnell leer«, heißt es. Es sah nicht gut aus für ihn. Aber auf der Straße wartete der Notarzt – eigentlich auf den Mann. Die Vorschriften außer Acht lassend, versorgte er den vierbeinigen Polizisten und rettete ihm das Leben.

 

Heute lernt ein Polizeihund, auch auf Kommando zuzupacken. Selbst wenn sich der Kontrahent verhält wie eine Schaufensterpuppe. Übrigens: Das Kommando lautet in aller Regel nicht »Fass!«. Hier sind der Phantasie des Hundeführers keine Grenzen gesetzt. Hört ein Gewalttäter beispielsweise das Wort »Kiss«, muss das nicht bedeuten, dass der Hund beabsichtigt, ihn niederzuschmusen.

 

Manchmal habe ich ein ungutes Gefühl, wenn ich meinen Hund in eine schwer abzuschätzende Situation schicken muss. Was erwartete ihn in der Dunkelheit? Ein vor Angst zitternder Dieb oder ein skrupelloser Gewalttäter mit einer Waffe, gegen die auch ein Hund nichts ausrichten kann? Je besser der Hund ausgebildet ist, je erfahrener er ist, desto geringer ist die Gefahr. Völlig ausschließen kann man sie nicht. Um sie zu minimieren, ist fortwährendes Training so wichtig. Es wird während der gesamten Zeit eines Polizeihundelebens aufrechterhalten. Immer wieder wird der Hund trainiert, seine Fähigkeiten werden überprüft und möglichst weiter verbessert. Das ist seine beste Lebensversicherung. Und meine.

Ob das Risiko, den Hund einzusetzen, Erfolg verspricht, entscheidet der Hundeführer. Keiner von uns würde seinen Hund »opfern«, solange es andere Möglichkeiten gibt, die Situation zu bereinigen. Einmal verweigerte ich mich der Anordnung eines Einsatzleiters, meinen Hund in eine Wohnung zu schicken, in der sich ein Mann mit einem Gewehr verbarrikadiert hatte: »Du lässt jetzt deinen Hund da rein. Sollte der Kerl ihn erschießen, rufen wir das Sondereinsatzkommando.« Ich verschweige an dieser Stelle, was ich in diesem Moment von dem Kollegen dachte. Ich antwortete:

»Nein, wir rufen das SEK sofort, für solche Situationen ist es schließlich da. Da drin sitzt jemand mit einer Waffe im Anschlag. Um zu testen, ob er schießt, dafür ist mir mein Hund zu schade.«

»Ich werde mich über dich beschweren«, drohte der Einsatzleiter. Ich nahm meinen Hund an die Leine und ging. Das SEK nahm den Täter kurz darauf fest. Die Beschwerde kam nie.

So wie überall gibt es auch unter Polizisten Hundefreunde, Hundefeinde und solche, denen Hunde egal sind. Das ist den Hunden im Übrigen auch egal. Sie tun ihren Job. Meistens hervorragend.

 

Manchmal liegt eine Gefahr für den Hundeführer darin, dass er und sein Hund auf sich allein gestellt sind. Wenn nur irgend möglich, verzichten viele Kollegen von der Streife lieber darauf, Hundeführer und Hund zu begleiten – könnte es doch zu einer Verwechslung kommen: Der Hund könnte einen Polizisten für den gesuchten Einbrecher halten. Hunde erkennen ihre zweibeinigen Kollegen eben nicht an der Uniform, wie mancherorts behauptet wird. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Kollege, der sich in der Gegenwart eines Hundes unwohl fühlt, auch keinen souveränen Eindruck macht, er strahlt eher die Unsicherheit eines Täters aus – und darauf reagiert der Hund, der nun ganz genau weiß, was er zu tun hat. Kiss!

Aus!