Pause - Ulrich Hoffmann - E-Book

Pause E-Book

Ulrich Hoffmann

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  • Herausgeber: Mosaik
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Stress macht krank. Digitalisierung und Verdichtung treiben uns immer mehr an. Die gute Nachricht: Um dem zu entfliehen, müssen wir nicht komplett aussteigen. Experten sagen, uns fehlen vor allem die kleinen Regenerationspausen im Alltag. Aber was können Sie und ich jetzt sofort tun, um mal kurz abzuschalten? Wie bringen wir die Willenskraft auf, nicht mehr abends im Bett noch Facebook zu checken – und vor allem: Was machen wir stattdessen? Dies ist ein Buch über die fast vergessene Kulturtechnik der Pause. Ein Leitfaden für alle, die ihren Verstand und ihre Seele nicht verlieren oder wenigstens zurückerobern wollen.

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Seitenzahl: 161

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ULRICH HOFFMANN

PAUSE

Wie wir uns die Herrschaft über unsere Zeit und unser Leben zurückholen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe November 2019

© 2019 Mosaik Verlag in der

Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München

Redaktion: Dr. Christine Laudahn

Satz: Anja Laukemper

Druck und Bindung: Pustet, Regensburg

Printed in Germany

CH ∙ Herstellung: CB

ISBN 978-3-641-24299-2V001www.mosaik-verlag.de

INHALT

VORWORT

12 INSPIRATIONEN FÜR EIN LEBEN MIT WENIGER STRESS UND HEKTIK

1 ABSCHALTEN

Wann Sie Ihr Handy unbedingt ausmachen sollten, warum das so wichtig ist und wie Sie es schaffen

2 ANLASSEN

Wie Sie den ständigen Info-Strom in die richtige Bahn lenken

3 RAUSGEHEN

Wie viel Zeit unter freiem Himmel Sie brauchen

4 DRINBLEIBEN

Wie Sie konzentriert an einer Sache arbeiten und im Flow bleiben

5 OFFENHEIT

Wie Sie die Welt um sich herum wieder wahrnehmen und genießen können

6 ABGRENZUNG

Wann Sie welche Grenzen ziehen sollten – und wie Sie damit durchkommen

7 ECHTZEIT

Warum sich das Leben nicht immer weiter beschleunigen lässt und wie Sie sich Slow-Inseln schaffen

8 NICHTSTUN

Was Sie alles nie wieder tun sollten, wie Sie das hinkriegen und was Sie davon haben

9 SPIELEN

Wie Sie ein Hobby oder eine Freizeitbeschäftigung finden, bei der Sie volltanken können

10 ARBEITEN

Wie Sie bewusst Ihren Job gestalten, damit er nicht im Burn-out endet

11 ALLEIN

Warum Sie Zeit ganz für sich brauchen und wie Sie lernen, diese sogar zu genießen

12 GEMEINSAM

Warum persönliche Treffen mit guten Freunden oder Zeit mit der Familie so wichtig sind, um die Batterien wieder aufzuladen (und wie Sie diese gestalten müssen, damit es funktioniert)

NACHWORT

LESETIPPS AUS MEINEM BÜCHERREGAL

VORWORT

Warum fallen Pausen uns so schwer? Weil wir an Zeitmangel leiden. Alles andere ist zumindest theoretisch unbegrenzt verfügbar: Liebe, Essen, Geld. Nur unsere Zeit ist endlich. Damit wird sie automatisch unser kostbarstes Gut. Also müssen wir sie nutzen und sollten sie nicht verschwenden.

Und wann haben wir Zeit erkennbar genutzt? Wenn wir produktiv waren. Je erschöpfter wir sind, desto besser hätten wir folglich unsere Zeit genutzt.

Genauer betrachtet scheint das jedoch ein Trugschluss zu sein. Ja, wir sollen glauben, dass unser Beitrag zum Bruttosozialprodukt der heilige Gral unseres Seins ist. Aber stimmt das? Es hängt zumindest davon ab, was Ihnen wichtig ist. Ihr Haus, Ihr Auto, Ihr Boot? Dann ist entsprechender Einsatz unabdingbar. Oft rechnet sich dieser Weg aber langfristig wohl doch nicht. Sondern führt zu Frust, Burn-out, Herzinfarkt. Wer früher stirbt, ist länger tot: Das realisieren immer mehr Menschen.

Wenn Sie später einmal auf Ihr Leben zurückblicken, was wird Ihnen dann wichtig gewesen sein? Die Zahl der Überstunden? Lob vom Chef? Ihr Gesamtvermögen? Vermutlich doch eher: Momente des Glücks und der Verbundenheit, Schönheit und Genuss. Klar: Vieles davon kann man sich nur leisten, wenn’s im Job läuft. Und Arbeit ist ohnehin ein wichtiger Quell des Lebenssinns.

Dieses Buch ist keineswegs ein Lob der Faulheit. Ich habe nichts gegen Leistung, Ehrgeiz, Einsatz. »Pause« handelt von jenen Momenten, die uns zwischendurch erden. Zeiten der Ruhe. Der Erholung. Der Einkehr und Konzentration. Sie müssen nicht lang sein. Sie müssen nur stattfinden.

Pausen und Einsatz schließen einander nicht aus, sondern bedingen sich. Ich behaupte: Wer Pausen macht, hat dadurch nicht weniger, sondern mehr Zeit. Denn Zeit ist subjektiv.

»Zeitmangel« ist ein Widerspruch in sich. Jeder von uns hat genau gleich viele Stunden pro Tag zur Verfügung. Niemandem »mangelt« es an Zeit. Wir stopfen sie nur so voll, dass es uns krank macht. Es »mangelt« uns an qualitativ hochwertiger Zeit, in der wir die Dinge tun, die uns wichtig sind.

Wir nutzen die uns zur Verfügung stehende Zeit nicht auf die richtige Weise.

Mein Ziel bestand darin, ein Buch zu schreiben, dass Ihre Einstellung zum Thema Pause revolutioniert. Und dessen Lektüre bei jeder Leserin und jedem Leser zu mindestens einer substanziellen Verhaltensänderung führt. Handfeste, leicht umsetzbare Anregungen dafür finden Sie in jedem Kapitel.

»MACH MAL PAUSE«

Vor 20 Jahren wurde ich für die Entwicklungsredaktion eines Magazins angeheuert, das den einfallsreichen Namen »Mach mal Pause« tragen sollte. Darin standen Rätsel und belanglose Meldungen. Ein Heft, dessen Erfolgspotenzial damals gigantisch schien. Vom Internet hatten die meisten noch nicht mal gehört, überall saßen Menschen bei der Arbeit und langweilten sich. Sie wollten beschäftigt werden.

»Mach mal Pause« regte nicht wirklich dazu an, Pausen zu machen. Sondern es füllte die zwangsläufig im Arbeitsalltag eintretenden Pausen. Damals gab es noch reichlich solche Jobs: Man musste anwesend sein, aber hatte nur die Hälfte der Zeit etwas zu tun – und wurde auch entsprechend mies bezahlt.

Als ich meine Karriere als Journalist begann, hatte ich bereits den Niedergang der Schriftsetzer miterleben dürfen. Während ich meine ersten Praktika absolvierte, wurden unbefristet angestellte Männer mittleren Alters in fensterlose Einzelbüros abgeschoben, bis sie freiwillig in Frührente gingen oder an Alkoholvergiftung starben. Sie wurden ersetzt durch Computer, mit deren Hilfe Zeitungsseiten doppelt und dreimal so schnell erstellt werden konnten.

Seit der Erfindung der Dampfmaschine und kurz danach der Fertigung am Fließband befürchten Skeptiker den Untergang des Abendlandes. Und es sieht so aus, als hätte unsere Generation gute Chancen, das nun endlich zu erleben. Stress wird von der WHO inzwischen als eines der größten Gesundheitsprobleme der Welt angesehen. Durch Digitalisierung und Verdichtung der Arbeit wird beruflicher Stress wohl immer weiter zunehmen. Fast jeden plagt die Angst, bald nicht mehr mithalten zu können. Und privater Stress … Wann haben Sie das letzte Mal jemandem in die Augen geschaut? Oder in Ruhe ein Buch gelesen?

Mit TV, Essen, Alkohol und Sport lenken wir uns ab von diesem Unwohlsein über das eigene Leben. Wir wissen, allein wir selbst sind verantwortlich für unsere Lebenszufriedenheit. Im Job sollen wir perfekt funktionieren, selbstbewusst und ohne Angst, bis die von uns trainierten Maschinen uns ersetzen, und nebenbei sollen wir auch noch unseren Körper und Charakter mithilfe von Ratgebern und Apps selbstoptimieren.

Wir versuchen, alles unter einen Hut zu bringen: Kinder und Karriere, Freunde und Familie, Witz und Wissen, Genuss und Gesundheit, Offenheit und Entschlossenheit, Engagement und innere Ruhe. Doch das schafft keiner! Denn wir könnten ja schließlich alles haben, alles machen, deswegen müssen wir uns ständig entscheiden, und schon das allein macht todmüde.

PAUSEN ERMÖGLICHEN DIE VIELGERÜHMTE WORK-LIFE-BALANCE

Aktuell erscheinen pessimistische Sorgenbücher über Stressbelastung, Burn-out-Prävention, Künstliche Intelligenz und die bevorstehende Entwicklung von Menschheit und Arbeitswelt im Viertelstundentakt. Die entsprechenden Forschungsdaten liegen vor und sind unbestritten.

Doch Pause zu machen ist gar nicht so einfach. Alle wollen die ganze Zeit etwas von uns. Und wenn nicht, dann schauen wir mal kurz aufs Handy, bis wieder jemand was von uns will. Wirklich Pause zu machen ist nicht das Gegenteil von arbeiten. Es kommt nicht nur darauf an, was wir nicht tun. Es kommt auch darauf an, was wir in der Pausenzeit tun.

Wie bringen wir die Willenskraft auf, nicht mehr abends im Bett noch Facebook zu checken oder Serien zu »suchten«? Und vor allem: Was machen wir dann stattdessen?

Dies ist ein Buch über die fast vergessene Kulturtechnik der Pause. Ein Ratgeber für alle, die ihren Verstand und ihre Seele nicht verlieren oder wenigstens zurückerobern wollen. In 12 Abschnitten werden Sie erfahren, welche Verhaltensweisen Ihnen nützen und wie Sie die neue Gewohnheit erfolgreich beginnen. Denn Sie sollen nicht Ihr ganzes Leben umkrempeln, sondern durch kleine, aber grundlegende Veränderungen einen möglichst großen Erholungseffekt erzeugen.

Schon der 1994 verstorbene Psychoanalytiker Erik Erickson stellte fest, dass der Schlüssel zu einem als gut empfundenen Leben darin besteht, »ausreichend Zeit für Arbeit, Liebe und Spiel« zu haben. Das ist heute nur noch selten der Fall.

»Pausen sind die Bandscheiben des Alltags«, sagt Stress-Expertin Carola Kleinschmidt, »sie verbinden unsere Aufgaben flexibel miteinander und verhindern Überlastung.« Daher finden Sie zu Beginn sowie am Ende jedes Abschnitts konkrete Handlungsmöglichkeiten, die wenig Zeit kosten und viel bringen. Suchen Sie sich heraus, was gerade gut in Ihr Leben passt. Gehen Sie flexibel, offen, freundlich und spielerisch vor.

Die Vorstellung, (mehr) Pausen machen zu müssen, empfinden viele Menschen als zusätzlichen Stressfaktor. Woher soll die Zeit dafür kommen!? Dabei sind Pausen keine Alternative zu unserem aktuellen Alltag, sondern eine Ergänzung. Das Salz in der Suppe. Sie machen mit wenig Aufwand viel mehr aus dem Leben! »Pause« ist daher das Buch für alle, die sich nicht mehr leben lassen, sondern wieder zu sich kommen wollen.

DIE KUNST DES AUSRUHENS IST EIN TEIL DER KUNST DES ARBEITENS.

JOHN STEINBECK

12 INSPIRATIONEN FÜR EIN LEBEN MIT WENIGER STRESS UND HEKTIK

ABSCHALTEN

Wann Sie Ihr Handy unbedingt ausmachen sollten, warum das so wichtig ist und wie Sie es schaffen

AUFGABE 1

Bitte löschen Sie eine App von Ihrem Handy. Es kann gern eine sein, die Sie sehr lange nicht mehr oder noch nie benutzt haben.

ie ging es Ihnen mit der Übung vor diesem Kapitel? Die meisten von uns empfinden einen Moment der Sorge, dass die App unwiederbringlich verloren sei und in einem wichtigen Moment nicht zur Verfügung stünde. Dabei können wir sie jederzeit neu laden – und bisher hat sie uns ja auch nicht gefehlt.

Das Smartphone ist eine sensationelle Erfindung, es kann Leben und Job stark vereinfachen. Das muss ich Ihnen nicht erklären, dass wissen Sie selbst.

Was »eigentlich« auch jeder weiß: Zu viel Smartphone ist schlecht für uns. »Eigentlich« heißt hier, dass jede und jeder es weiß – aber kaum jemand entsprechend handelt.

Wie lange nutzen wir im Durchschnitt jeden Tag Smartphone und Tablet? Chats, Katzenvideos und das Nachschlagen von Öffnungszeiten eingeschlossen? Was schätzen Sie? In den USA sind es über vier Stunden! Tendenz seit Jahren steigend.

Sehr wahrscheinlich starren auch wir hier in Europa über vier Stunden täglich auf die kleinen Bildschirme und konsumieren irgendetwas. Nachrichtenfetzen, Chats, Videos. Das sind 120 Stunden im Monat.

Klar, die Durchschnittszahl ist hoch, weil jeder Teenager gefühlt 48 Stunden pro Tag am Handy ist. Doch selbst wenn wir davon ausgehen, dass Sie und ich weit unter dem Durchschnitt liegen, schaffen wir bestimmt immer noch zwei Stunden am Tag und somit 60 Stunden im Monat. Oder eine Stunde am Tag und immer noch satte 30 Stunden im Monat.

Und dabei ist das Schlimmste noch nicht mal die schiere Menge, sondern deren Stückelung. Wir arbeiten unsere Smartphonezeit ja nicht en bloc ab, sondern sie zerreißt uns nach Belieben die Tage. Arbeit, Freizeit, Ruhephasen, ganz egal, ein Ping und wir greifen nach dem kleinen Glücksspender. Denn vielleicht schickt uns jemand eine Liebesbotschaft, vielleicht hat irgendwer unser Urlaubsfoto geliked, vielleicht, vielleicht …

Experten warnen schon lange davor, dass der steigende Smartphone-Konsum unsere Konzentrationsfähigkeit senkt. Jeder kennt das von sich selbst: Stehen wir in der Kassenschlange, wird die Fernsehsendung oder das Gespräch langweilig, haben wir auf der Arbeit keine mitreißende Idee … dann ziehen wir das Handy raus und gucken, ob wir eine neue Nachricht erhalten haben. Schon dieses winzige bisschen Frust halten die meisten von uns nicht mehr aus. Sondern wir verscheuchen das unangenehme Gefühl durch Smartphone-Nutzung.

ERST IM LEERLAUF ENTWICKELN WIR UNSERE PERSÖNLICHKEIT

So weit, so gut. Aber: Warum funktioniert das eigentlich? Wieso erscheint es uns so verlockend, auf das Smartphone zu schauen? Was ist daran angenehmer, als in der Wirklichkeit zu bleiben? Und wenn es tatsächlich angenehmer ist, das Smartphone zu zücken, als sich in der U-Bahn oder Kassenschlange zu langweilen, was ist dann so schlecht daran? Wo man bei der Gelegenheit doch vielleicht sogar noch produktiv sein kann: E-Mails löschen, Nachrichten beantworten, News lesen. Das muss man dann alles später am Tag nicht mehr machen, und man hat mehr Zeit für Sport und Kinder oder kann früher ins Bett gehen …

Gleich gemerkt, oder? Irgendwo ist da der Wurm drin! Aber wo? Um das zu verstehen, müssen wir uns die Funktionsweise von Smartphone und Apps klarmachen. Niemand steht in der Supermarktschlange und ruft 45 Sekunden lang eine Freundin an. Und wir telefonieren auch nicht auf der Bahnfahrt von Hamburg nach Kassel zwei Stunden mit einem Kollegen. (Naja, manche Leute tun das. Leider. Aber das ist ein anderes Thema.) Alle Informationen, die wir auf dem Smartphone konsumieren oder senden, sind knapp und kurz. Häppchen an Häppchen an Häppchen an Häppchen. Sie rutschen in jede noch so kleine Lücke.

Was fehlt uns dadurch? Im Leerlauf, wenn wir nichts Besonderes tun, kann unser Hirn verarbeiten, was den ganzen Tag lang so passiert. Und herausfinden, was wichtig war und was nicht. Auf diese Weise entwickelt sich unsere Persönlichkeit immer weiter. Diese sogenannte »Selbstwerdung« wird von Psychologen als »Individuation« bezeichnet und ist leider recht störungsanfällig. Deshalb fühlen wir uns unter Dauerstress auch uns selbst so fremd – weil wir uns tatsächlich fremd werden.

Wer sich diese Zeit nicht erlaubt, bleibt menschlich einfach stecken. Das ist frustrierend für die Betroffenen ebenso wie für die Umwelt. Dieser Mechanismus ist einer der Gründe dafür, dass es immer mehr Menschen, die klug, gebildet und gut vernetzt sind, so schwerfällt, belastbare persönliche Beziehungen einzugehen. Weil die ganz einfach nicht frustfrei zu haben sind.

Ein weiterer Grund ist die mangelnde Übung. Die Betroffenen können virtuelle oder weitgehend virtuelle Beziehungen sehr gut pflegen und moderieren. Denn in diesen verschriftlichten Häppchen-Kommunikationen gelten recht einfache Regeln. Es ist viel leichter, erst zu denken und dann zu schreiben, als erst zu denken und dann zu reden.

Jugendliche geben in Befragungen bereits zu Protokoll, dass ihnen Chats lieber sind als Gespräche. Denn dann kann man an Formulierungen feilen, bis sie dem Ideal-Ich möglichst nahekommen.

POSITIVE SELBSTDARSTELLUNG VERSUS NEGATIVE EIGENSICHT

Überhaupt zeichnet sich die Cyberwelt durch eine außerordentliche Strahlkraft aus. In sozialen Netzwerken, auf Blogs und in Chats stellen wir uns natürlich weitgehend positiv dar. Wir fotografieren tolles Essen, tolle Sonnenuntergänge, tolle Urlaube. Der langweilige oder gar unerfreuliche Alltag muss draußen bleiben. Allerhöchstens als Rant, als übertriebene Wutrede, darf Frust auftauchen.

Selbstkritik ist durchaus möglich, dann aber als bewusste, anerkennenswerte Auseinandersetzung. Die daher positiv zu bewerten ist. So zerfällt das Leben in berichtenswerte Extreme. Gut. Böse. Alles andere ist unwichtig.

Schwerer noch wiegt, dass unweigerlich der Eindruck entsteht, als würde das Leben aller anderen nur aus großartigen Erlebnissen bestehen. Wir schwächeln im Vergleich dazu massiv.

Dafür ist es übrigens ganz egal, dass jedem von uns klar ist, wie das Spiel funktioniert. Es »funktioniert« trotzdem.

Wer zu viele Pornos guckt, ist nach einer Weile von Partnerinnen oder Partnern im echten Leben enttäuscht, weil sie mit der Fiktion einfach nicht mithalten können. Sie sind nicht so gut gebaut, nicht so schnell erregt, nicht so leicht zu befriedigen.

Auf dieselbe Weise verschiebt übermäßiger Konsum sozialer Medien unseren Maßstab für das eigene Leben. Wir vergleichen uns nicht mehr mit den zehn oder zwanzig Leuten, denen wir im Alltag zufällig begegnen. Sondern mit dem Besten von zweihundert, dreihundert oder fünfhundert Online-»Freunden«. Irgendeiner von denen hat immer ein schöneres Mittagessen, einen bunteren Drink oder einen tolleren Sonnenuntergang vor sich als wir.

Erhalten wir für unsere eigenen Meldungen positives Feedback, freut sich dasselbe Hirnareal wie bei Drogen oder Alkohol. Das High mag nicht so intensiv sein, aber es ist viel leichter zu haben.

Ja, die meisten Status-Updates und Nachrichten sind unwichtig. Das wissen wir. Und trotzdem schauen wir immer wieder nach.

Warum?

Weil soziale Medien nach dem System von Glücksspielautomaten aufgebaut sind. Stellen Sie sich mal vor, Sie werfen Ihre Münze in den Automaten, es kommen drei Kirschen, und unten klimpert ein Haufen Geld heraus. Das ist toll. Dagegen können Sie gar nichts tun. Das ist so, als wenn Ihr Steinzeit-Vorfahre einen Busch voll mit saftigen, süßen Blaubeeren findet.

Gewinnen fühlt sich gut an. So sind wir einfach verdrahtet. Und je zufälliger der Gewinn eintritt, desto berauschender empfinden wir das Glücksgefühl. In dieser Hinsicht sind wir den Ratten ähnlich. Lässt man die auf Hebel drücken, die nach einem vorhersehbaren Muster Futter spenden, ist das nicht sonderlich spannend, und nach einer Weile verlieren die Tiere das Interesse und drücken nur noch, wenn sie hungrig sind. Kommt das Futter jedoch nach dem Zufallsprinzip, dann können die Tiere gar nicht mehr aufhören auf den Hebel zu drücken. Egal, ob sie hungrig sind oder nicht. Ratten finden die Möglichkeit, mal etwas zu »gewinnen« und mal nicht, viel spannender als die Sicherheit eines berechenbar funktionierenden Futterspenders.

Damit sind wir zurück beim Smartphone. Sie können nicht wissen, ob die nächste Nachricht erfreulich oder unterhaltsam ist (ein Gewinn), langweilig oder sogar blöd. Aber gerade das macht sie so unwiderstehlich. Und ganz egal, wie der Inhalt der nächsten Nachricht ausfällt, die übernächste besitzt wieder den Reiz des Unbekannten. Und die danach und die danach und die danach …

GLÜCKSKICK-SÜCHTIG WIE RATTEN

Dazu kommt, dass die Algorithmen vieler Apps immer besser darin werden, zu erkennen, welche Art von Nachricht Sie heute gerade besonders attraktiv finden werden. Sind Sie schlecht drauf, gut gelaunt oder nachdenklich? Die App merkt’s präziser, als Sie es selbst hätten sagen können, und zeigt Ihnen genau die Art Meldung an, die Sie sehen »wollen«. Und dann noch eine und noch eine und noch eine.

Dass wir das toll finden, klingt verrückt, doch auch in dieser Hinsicht ähneln wir den Ratten. Pflanzt man denen eine Sonde ins Hirn, über die ihr Belohnungszentrum stimuliert werden kann, drücken sie nach wenigen Minuten Lernzeit alle paar Sekunden einen Hebel, der diesen Impuls auslöst. Stundenlang, über die Erschöpfungsgrenze hinaus, sie ignorieren sogar Futter. Einige Ratten brachen schließlich zusammen, weil sie vor lauter »Glück« weder fraßen noch tranken. Kommt Ihnen das bekannt vor? Mir auch.

Je länger Sie nun im jeweiligen Kanal verweilen, desto besser für den jeweiligen Anbieter. Denn je länger Sie bleiben, desto mehr Anzeigen und Produktinfos sehen Sie. Oder desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie Ihr Abo nicht kündigen. Dabei ist es ganz egal, ob Sie von Videoclip zu Videoclip hopsen, die Fotoalben von mehr oder weniger bekannten Personen durchschauen, Serien angucken oder Nachrichten lesen.

Auf all diesen Kanälen gibt es wunderbare Inhalte. Tolle Fotos, kluge und witzige Videos, und ich freue mich auch, regelmäßig am Alltag von Bekannten auf der anderen Seite der Welt teilhaben zu können.

Der Stress entsteht eher durch die ständige Erreichbarkeit. Wenn alle voneinander erwarten, innerhalb von Minuten auf Nachrichten zu reagieren, ist das anstrengend. Und zwar andauernd, denn es könnte ja jederzeit eine neue Nachricht eingehen, auf die wir dann bitte schnellstmöglich reagieren müssen. Das eigene Verhalten zu verändern, sich von solchen Verlockungen und Ansprüchen freizumachen, kann durchaus schwierig sein, vor allem, wenn die Forderung von Vorgesetzten kommt. Wir werden im Verlauf des Buches auf die Problematik der ständigen oder übermäßigen Erreichbarkeit noch einige Male zurückkommen. Jetzt am Anfang soll es erst mal darum gehen, mögliche berufliche Anforderungen nicht noch freiwillig um privaten Stress zu erhöhen.

Fallen Ihre Freundinnen oder Freunde wirklich ins Koma, wenn Sie nicht innerhalb einer halben Stunde deren neueste Statusmeldung kommentieren oder wenigstens »liken«? Und verlangt wirklich jede Textnachricht eine ebenso durchdachte wie zügige Antwort?

KEIN SMARTPHONE AUF DEM NACHTTISCH

Das Schlimmste, darin sind sich Experten einig und Sie haben es bestimmt auch schon gehört, ist es, das Smartphone auf dem Nachttisch zu deponieren. Selbst wenn Sie den Bildschirm mit den neuen Nachtfarben dimmen, und sogar, wenn Sie den »nicht stören«-Modus einschalten.

WARUM?