Pepsi Buddha - Klaus Sebastian - E-Book

Pepsi Buddha E-Book

Klaus Sebastian

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Beschreibung

Von einem Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen, irrt der Held der Geschichte durch das aufblühende Vietnam der 90er Jahre. Als er in Saigon die Ermordung eines Mannes beobachtet, wird er aus seiner Lethargie aufgeschreckt. Zusammen mit dem Mädchen Loan sucht er nach den Hintermännern und gerät bald ins Visier der vietnamesischen Mafia.

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Seitenzahl: 233

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Klaus Sebastian

Pepsi Buddha

Dschen / Das Erschüttern, der Donner

Das Erschüttern kommt mit Gefahr.

Hunderttausendfach verlierst Du deine Schätze

und musst auf die neun Hügel steigen.

I GING

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © Klaus Sebastian 2001

Cover-Fotos: pixabay/NguyenCongDuc

2. Auflage 2020

Vorwort

Mitte der neunziger Jahre reiste ich zum ersten Mal durch das aufblühende Vietnam. Ein Freund hatte die Rundreise für mich organisiert. Ich erwartete eigentlich einen Bus oder Minibus mit ein paar Touristen, doch zu meiner Überraschung empfing mich am Flughafen in Ho Chi Minh City ein höflicher Tour-Guide, der mich während der folgenden Tage exklusiv begleiten sollte.

Eine Limousine mit Fahrer brachte mich zum Hotel Rex - und später zu den Orten, die der Leser in diesem Buch kennenlernen wird. Damals sah man in Vietnam kaum Autos auf den Straßen, geschweige denn große Limousinen. Die meisten Einwohner bewegten sich auf klapprigen Motorrollern fort oder ließen sich noch in Cyclos (Fahrradrikschas) durch die Stadt radeln. Überall wo wir hinkamen, wurde mein seltenes, blank geputztes Beförderungsmittel also mit großer Neugier bestaunt. Welche prominente Persönlichkeit mochte wohl darin sitzen?

Na ja, es handelte sich nur um einen Kunstkritiker und Schriftsteller auf der Suche nach Inspiration.

„Bonjour Monsieur!“

Es war keine Seltenheit, dass ich junge und ältere Menschen traf, die noch französisch sprachen. Baguettes und Croissants wurden ohnehin an allen Straßenecken verkauft. Und das ist bis heute so geblieben.

Die exotischen Städte, Landschaften, Speisen und Menschen brachten mich bald auf die Idee, meine Erlebnisse nicht nur in Tagebuchform niederzuschreiben. Vielmehr erkannte ich im Bilderreichtum Vietnams eine exzellente Kulisse, oder besser: eine lebendige Grundierung für eine spannende Kriminalgeschichte.

So entstand also die Idee zu diesem Buch.

Nach der Bedeutung des Titels wurde ich häufig gefragt: Jeder mag bei PEPSI BUDDHA eine eigene Bedeutung herauslesen. Das Nebeneinander von „Buddha“ - hier nicht religiös, sondern nur als Symbolfigur Asiens verstanden - und dem typisch westlichen Markennamen „Pepsi“ deutet allerdings schon auf die Begegnung zweier Kulturen hin, die in der Story auf unterschiedlichen Ebenen zum Ausdruck kommt. Der aus Deutschland einreisende Michael (während der Korrektur fiel mir auf, wie selten ich seinen Namen erwähne) und die Vietnamesin Loan bilden dieses Aufeinandertreffen auf der persönlichen Ebene ab.

Apropos Speisen: Ich liebe Thailand und die thailändische Küche.

Doch die vietnamesische Kochkunst, so wie ich sie vor 25 Jahren erlebt habe, mit ihrer raffinierten Melange aus asiatischen und französischen Zubereitungsarten (den Begriff Fusionsküche kannte man seinerzeit nur in den USA), beeindruckte mich und löste fast bei jedem Dinner eine vorher nie gekannte Geschmacksexplosion zwischen Zunge und Gaumen aus. Ich erinnere mich daran, dass ich meine Mahlzeiten stets etwas einsam und allein an einem separaten Tisch einnahm. Mein Reiseführer und der Fahrer mussten leider an einem anderen Platz essen, das war wohl Vorschrift.

Die Story ist natürlich frei erfunden; doch die Handlungsorte wurden allesamt während der Reise besichtigt und auf ihre Krimi-Tauglichkeit überprüft.

Ein renommierter Verlag hat das Manuskript damals geprüft, und der freundliche Lektor war durchaus interessiert. Allerdings konnte der Verlag sich nicht entscheiden, ob man es als Reiseabenteuer oder Krimi veröffentlichen sollte.

Es passte anscheinend nicht in die vorhandenen Genre-Schubladen.

So erschien das Original-Buch 2001 bei Books on Demand. Das Publizieren im Selbstverlag steckte da noch in den Kinderschuhen. Setzfehler, Schreibfehler, merkwürdige Zeilentrennungen konnte mein Schriftsetzer leider nicht vermeiden.

Da ich den Text damals noch auf einer alten Schreibmaschine verfasst hatte, existierte natürlich auch keine Datei. Aus diesem Grund musste ich das Manuskript für die aktuelle Neuauflage noch einmal komplett abschreiben, redigieren, korrigieren und in manchen Passagen ein wenig auffrischen.

Kleine Kuriosität am Rande: Unter dem Titel „Endstation Drogen“ erschien der Roman auch in Thailand, das muss 2001 oder 2002 gewesen sein. Peter, der Herausgeber der Südostasien-Zeitung, ließ das Buch in Pattaya drucken und vertrieb es dann zusammen mit der Zeitung. Die Story gefiel ihm, nur der Titel Pepsi Buddha erschien ihm etwas suspekt, da man in Thailand mit der Verwendung von Buddhas Namen vorsichtig sein müsse. So schlug er „Endstation Drogen“ vor und ließ ein alternatives Titelfoto entwerfen. Ein attraktives, asiatisches Mädchen musste auf das Cover!

„Ich kenne meine Leserschaft hier in Thailand“, versicherte er mir.

Mir sollte das recht sein - und bald freute es mich, dass mein deutschsprachiger Roman in Bangkok, Pattaya, Chiang Mai, Koh Samui, Phuket und sogar auf der Insel Koh Chang erhältlich war.

Ho-Chi-Minh-City ist die größte Stadt und das wirtschaftliche Zentrum Vietnams. Unter ihrem alten Namen Saigon, der auch heute noch parallel zu Ho-Chi-Minh-Cityverwendet wird, war sie bis zum April 1975 Hauptstadt der Republik Vietnam.

1

„Postkarten, Mister. Kaufen Sie Postkarten! Schauen Sie!“

Die kleine Nervensäge klebte an mir fest wie Kaugummi. Erst gestern hatte ich ihr ein Heftchen mit Ansichtskarten abgekauft, doch das schien sie nicht im geringsten zu entmutigen. Ob sie überhaupt darüber nachdachte, was diese steinreichen Touristen hinterher mit den bunten Karten anstellten? Auf jeden Fall schien sie zu wissen, dass die Langnasen am Ende immer weich wurden - man musste nur lange genug herumquengeln.

„Aber ich habe doch gestern schon Postkarten gekauft!“

„Ja, aber die hier sind anders. Schauen Sie! Nordvietnam, die Berge.“

„Ich habe nicht so viele Freunde. Wem soll ich die denn schicken?“

„Ja, für ihre Freunde, gut Mister.“

Anscheinend verstand sie meinen Akzent nicht.

„Morgen kaufe ich bestimmt.“

„Warum nicht jetzt, Mister? Ich hatte heute so ein mieses Geschäft.“

Das glaubte ich ihr sogar. Nicht nur ihr Kleid und die Plastiksandalen, auch ihr Gesicht, die Haare, die nackten Arme und Beine, alles war von oben bis unten mit dunklem Staub bedeckt. Mittlerweile hielt ihr kleines braunes Händchen meinen rechten Unterarm umklammert. Sie versuchte, ihrem frechen Gesicht einen flehenden Ausdruck zu verleihen. Mit den borstigen, kurz geschorenen Haaren, den spöttischen Augen, der runden Stupsnase unterschied sie sich kaum von den überall herumlungernden Straßenjungen, die lautstark „Hello Mister!“ brüllten, rauchten und ungeniert in die ausgetrockneten Bassins der Brunnen pinkelten.

„Hör zu, wir sehen uns heute Abend. Vor der Oper. Okay?“

„Is' gut, Mister.“

Jetzt stand ihr breiter Mund weit offen vor Erstaunen. Doch gleich kehrte das Misstrauen zurück.

„Schwörst du, dass du kommst?“

„Okay, ich schwöre.“

Ich erhob die rechte Hand und vollendete die Eidesgeste mit einem lässigen Abschiedswinken. Einen Augenblick lang blieb sie stehen und schaute mir nach. Dann machte sie blitzschnell kehrt und als sie mit rudernden Armen in ihr Revier zurückhüpfte, bauschte sich der luftige, rosafarbene Stoff ihres Sommerkleids wie ein kleines schmutziges Segel im Wind.

* * *

„Wir könnten Suppe essen gehen, ist nicht teuer!“

Hong zog eine Augenbraue in die Höhe, blickte mit skeptischem Blick zu mir auf.

Wir saßen auf den Stufen des Opernhauses von Ho Chi Minh City. Rechts von uns ragte das erleuchtete Continental Hotel in den schwarzen Himmel, vor uns zirkulierten die Motorräder durch den Kreisverkehr wie ein wild gewordener Hornissenschwarm.

„Habt ihr wirklich Hunger?“

Blöde Frage.

Man hatte mich vor den Bettelkindern in Vietnam gewarnt. Gefährlich seien sie, wie Piranhas, die genervten Touristen Dong, Deutschmark und Dollars entrissen.

Jetzt waren fünf große Augenpaare auf mein blasses Gesicht gerichtet. Offene Münder, pechschwarze Haare. Der Kleinsten fielen die Locken bis auf die Wimpern. Sie trug eine Art Nachthemd und verzog die Lippen zum Schmollmund. Nur der Schuhputzerjunge versuchte den Unbeteiligten zu spielen. Er nahm die Tücher und Bürsten aus seinem aufgeklappten hölzernen Arbeitskasten heraus und sortierte sie gleich anschließend wieder ein.

Sie schienen tatsächlich hungrig zu sein, und ich überlegte, warum man der naheliegenden Wahrheit so oft misstraut.

Doch Hong reagierte nicht beleidigt auf meine skeptische Nachfrage.

„Ja, ja - komm, wir gehen!“

Sie ergriff die Hand des Jungen und legte ihr winziges Händchen in meine Linke. Im Laufschritt überquerten wir den Platz, belächelt und bestaunt, ein Rattenfänger und ein halber Kindergarten.

Fünf kleine, schmutzige Mäuse, die ihre Beute in Sicherheit bringen, dachte ich.

Gleich gegenüber klebte die Garküche am Rand eines ausgetrockneten Brunnens. Die Bande nahm auf den roten Plastikhockern Platz, ein wenig feierlich und zögernd wie artige Schulkinder. Ich zählte ein halbes Dutzend rußgeschwärzter Kessel, in denen es brodelte und dampfte. Die Wirtin der Imbissbude wischte sich die Hände an einem Tuch ab, setzte ein komplizenhaftes Grinsen auf und wandte sich vietnamesisch sprechend an die Kinder.

Vermutlich fragte sie: Na, habt ihr wieder einen Dummen gefunden?

Dann auf Englisch: „Hühnersuppe?“

„Ja, fünf mal“, antwortete Hong. „Was willst du denn essen?“ fragte sie.

„Danke, ich hab schon im Hotel gegessen. Bestell mir nur ein Tiger Beer!“

Etwas verlegen, fast so, als sei es ihnen peinlich, grinsten alle in meine Richtung. Doch Sekunden später schwatzten sie schon wieder fröhlich drauflos, fünf Gören, die fröhlich mit den nackten Beinen zappelten und sich wie kleine Prinzen auf ihre warme Mahlzeit freuten. Vor Vergnügen über den gelungenen Streich bekamen sie ganz rote Bäckchen.

„Kriegen wir auch noch ein Eis?“

„Meinetwegen.“

Hong übersetzte für die anderen Kinder. Als die Kleine im Nachthemd begriffen hatte, dass es auch noch Nachtisch geben würde, rieb sie sich die Hände und warf mir einen verzückten Blick zu.

Während die Mahlzeit serviert wurde, beobachtete ich ein Mädchen im pinkfarbenen Ledermini, das ein paar Schritte weiter seine Maschine aufgebockt hatte. Träge schlurfte es zu seinen Freundinnen herüber, setzte sich auf einen Plastikhocker, kicherte, steckte sich eine Zigarette an und bestellte dann etwas Essbares.

„Was hast du heute Abend noch vor?“ fragte Hong.

„Keine Ahnung. Vielleicht lasse ich mich mit dem Cyclo herumfahren. Hab noch nicht viel gesehen von der Stadt.“

Hong schielte zum Nebentisch hinüber.

„Lass dich bloß nicht mit einer von denen ein. Das bringt nur Ärger.“

Ihre altklugen Ratschläge amüsierten mich, doch ich verkniff mir das Grinsen.

„Wieso, was ist denn mit denen?“

Sie verdrehte die Augen in gespielter Empörung gen Himmel und suchte anscheinend nach den passenden Worten, um mich aufzuklären.

„Die wollen nur dein Geld. Das sind keine guten Mädchen, lass die Finger davon!“

„Mach dir keine Sorgen, ich passe schon auf“, erwiderte ich mit geheuchelter Ernsthaftigkeit.

Sie beugte sich wieder über ihren Suppenteller und angelte sich ein Stück Huhn aus der Brühe.

Umtost vom Lärm, inmitten der Abgase fühlte ich mich mit einem Mal vom Zauber dieses Augenblicks wie betäubt. Unauffällig beobachtete ich die Kinder, wie sie sich unter den bunten Kerzen der Lichterkette satt aßen. Ich versuchte, mir ihre unschuldigen Seelen vorzustellen, wachsweich und verletzlich, und ich überlegte, bei welcher Gelegenheit meine eigene innere Erstarrung eingesetzt hatte. Immerhin stimmte es mich fast wehmütig, dass ich gleich von meinen kleinen Schutzengeln Abschied nehmen musste. Dadrinnen schien es also noch eine verwundbare Stelle zu geben.

Ich hatte mir vorgenommen, in eine Fahrradrikscha zu steigen und die Straße zum Fluss hinunterzufahren, den süßen Gerüchen und dem fauligen Duft der Verwesung entgegen, in die Quartiere mit den Hütten und Garagen, in denen es billige Liebe und falsche Versprechungen gab, wo man für ein Lächeln bezahlte, das nichts zu bedeuten hatte. Jedenfalls malte ich mir all das aus. Ich war sicher, dass ich nichts Bestimmtes im Sinn hatte. Ich ließ mich treiben oder lief dem Zufall hinterher, als wollte ich dem Schicksal eine gerechte Chance geben. Manchmal glaubte ich, dass mich nur noch die Ungewissheit faszinierte. War sie nicht das einzig Erregende?

Wenn mein Herz dabei auf Touren kam - umso besser! Ich verspürte keine Angst, obwohl ich ehrlich gesagt sehr schlecht vorbereitet war. Was wusste ich denn schon von diesem Land? Vom Krieg in Vietnam, vom Elend und vom Wiederaufbau? Ich hatte ein paar Hollywood-Filme über den Krieg gesehen, doch das war lange her, und auch der Krieg war irgendwann vor über zwanzig Jahren zu Ende gegangen.

An den mit Tellerminen gespickten Reisfeldern würde ich vorüberfahren, ahnungslos und nach innen gekehrt, kaum besser als der dümmste Tourist. Einer von den Typen, die sich in den Wurzeln ihrer eigenen Geschichte verfangen hatten. Keine alltägliche Geschichte, das stimmte schon, aber weiß Gott auch nichts, worauf ich stolz sein konnte. Ich war kein Selbstmordtyp, ich wollte mein Leben behalten. Aber wie sollte ich die Person auslöschen, deren Rolle ich in der Vergangenheit so selbstverständlich gespielt hatte.

„Such dir eine andere Bühne!“ hatte mir ein Freund geraten.

Und nun? Hier stand ich also, auf der fremden Bühne - aber ich kannte meine Rolle nicht.

2

„Fahr mich einfach nur herum!“

Der Cyclofahrer stieg hinter mir auf den Sattel und trat lautlos in die Pedalen.

„Was möchten Sie heute Abend machen, Monsieur?“ fragte er. „Wollen Sie Mädchen?“

„Nur was trinken.“

Er ließ nicht locker. „Ich weiß aber, wo Sie beides kriegen können.“

Im Prinzip war es mir egal, wo er mich hinfuhr. Ich wollte was trinken, um müde zu werden. Besonders am Abend fiel es mir schwer, allein zu sein. Vielleicht würde das Nachdenken aufhören, wenn irgendein Mädchen neben mir saß.

Der Kerl bog hinter dem schneeweißen Opernhaus links ab und fuhr in gemächlichem Tempo an mehreren hell erleuchteten Bars vorbei. Auf der Schotterstraße ruckte und zockelte die Fahrradrikscha, und wenn sie durch eines der zahllosen Schlaglöcher holperte, konnte man sich blaue Flecken an den metallischen Haltestangen holen. Trotzdem machte mir die Fahrt Spaß. Während ich so ruppig durch die Gegend kutschiert wurde, kam ich mir vor wie ein Säugling im Kinderwagen: abhängig und behütet zugleich.

Auch in der Nacht war es heiß, und nach einer Weile hing ich nur noch wie ein nasser Lappen auf der schmalen Sitzbank des Cyclo. Die rote Honda, die so unerbittlich neben uns herknatterte, fiel mir deshalb erst auf, als wir an der nächsten Kreuzung anhalten mussten. Zuerst hielt ich sie für eine Halluzination. Also kniff ich die Augen fest zusammen und schaute noch mal genauer hin. Die beiden Mädchen waren ganz real. Sie trugen ketchupfarbene Lackminis und minzgrüne Oberteile, die sich an den richtigen Stellen spitz ausbeulten. Vermutlich hatten sie ihre kleinen Brüste in zwei von diesen granatenförmigen BHs gepresst.

„Hello, please stop!“ rief jetzt die Fahrerin.

Ihre Stimme klang piepsig und rau, wie Minnie Maus, die heimlich Kette raucht.

„Soll ich weiterfahren?“ fragte mein Chauffeur.

Die Frage erwies sich als überflüssig, denn im selben Moment stand die glitzernde Honda schon quer vor unserer Fahrtrichtung.

„Sie können gleich eine mitnehmen“, flüsterte er. „Aber ich warne sie: Das sind Butterflies. Fliegen von einer Blüte zur nächsten. Verstehen Sie? Vier oder fünf Kunden pro Nacht sind keine Seltenheit.“

„Okay, welche willst du?“ fragte die Kleine auf der Rückbank und zog ihren Minirock noch ein Stück nach oben. Ich sah einen weißen Slip mit roten Herzchen aufblitzen.

„Ich steh nicht so auf Butterflies“, antwortete ich mit einem altklugen Lächeln. Gleichzeitig war ich froh, dass die Sitzbank des Cyclo so schmal war. Ich räkelte mich auf dem Kunststoffsitz und versuchte, mich noch etwas breiter zu machen. Alles besetzt! Doch so schnell ließ sie sich nicht abwimmeln.

„Ich bin kein Butterfly!“ juchzte die mit dem Herzchenslip, und im selben Augenblick wirbelte ihr schlankes Bein in einem hohen Bogen über die Rückbank der Honda. Ein kleiner Hüpfer und sie saß auf meinem Schoß - von wegen besetzt! Völlig verdattert fing ich an, meine Hände zu sortieren, denn plötzlich hatte ich einen kleinen, drallen Po zwischen den Fingern, und das in Lack gewickelte Ding bewegte sich auch noch. Es rotierte geradezu, und da meine empfindlicheren Stellen betroffen waren, geriet ich ein wenig in Panik.

„Bin kein Butterfly“, wiederholte sie jetzt. „Bin Helicopter!“

Sie kicherte und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ihre lange pechschwarze Mähne streifte meine Brust.

„Ich schätze, der Monsieur hat schon was anderes vor“, bemerkte der Cyclofahrer trocken. Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber ich beschloss, mich nicht einzumischen. Die Kleine blickte mich fragend an, ich zuckte die Schultern, worauf sie die Stirn kraus zog und dem Fahrer einige Worte in vietnamesischer Sprache an den Kopf warf. Danach sprang sie abrupt von meinen Oberschenkeln herunter, stieg auf die Honda und gab ihrer Freundin ein Zeichen. Blitzend und blinkend verschwand der Raumgleiter in der Nacht. Ich sah die erhobenen Häupter der Mädchen und verfolgte das orangefarbene Rücklicht des Mopeds mit meinem verwirrten Blick, bis es hinter einer Staubfahne erlosch.

„Danke für die Rettung“, sagte ich.

„Keine Ursache“, murmelte der Fahrer.

Wortlos ging die Fahrt weiter. Hinter der nächsten Ecke schütteten hohe Bogenlampen ihr fahles Licht über uns aus. Musikfetzen hingen in der schwülen Luft, Jazz und Hardrock. Irgendwo johlten ein paar besoffene Touristen. Hörte sich fast so an, als wollten sie sich gegenseitig an die Gurgel. In Saigon wimmelte es in diesen Tagen von Franzosen, die die Überreste ihrer kolonialen Vergangenheit in Augenschein nahmen.

„Diese Bars sind nicht gut“, meinte der Fahrer.

An der folgenden Kreuzung bog er abrupt nach rechts in eine Straße, die nahezu unbeleuchtet war. Nur mit Mühe konnte ich auf beiden Seiten eine Reihe von niedrigen Schuppen erkennen, deren schwarze Silhouetten sich vage vor dem bewölkten Himmel abzeichneten.

In kleinen Gruppen saßen Menschen am Straßenrand, lauernde Schatten, wie auf unterbelichteten Fotos. Seltsam. Auch diese Versammlung kam mir nicht sonderlich bedrohlich vor. Wahrscheinlich langweilten sie sich nur, tratschten herum, versanken in Gleichgültigkeit und warteten darauf, dass etwas passierte, wie überall auf der Welt, wo es noch keine Fernsehgeräte gab.

Im Schritttempo zockelten wir weiter.

Aus einem der garagenähnlichen Gebäude drang ein gelblicher Lichtstrahl und beleuchtete eine Schar von Mädchen, die auf den knorrigen Wurzeln eines Baums herumlungerten.

„Hello Mister, stop, stop!“

Die Kleine war flink wie ein wildes Tier in die Höhe geschnellt und hatte uns mit ausgebreiteten Armen den Weg verstellt. Der Fahrer ließ die Pedalen schleifen, bremste und wechselte einige Worte mit der jungen Frau. Ich erkannte, dass sie ein weißes Kleid mit dunkelgrünen Punkten trug. Sie sah aus wie ein Schulmädchen.

„Hier können Sie was trinken“, schlug der Fahrer vor.

Ohne große Umstände schnappte die Kleine nach meiner Hand und zog mich ins Innere der Garage. Der Raum war niedrig und fast leer. Eine ältere Frau schleppte zwei Stühle heran, ein Tisch und eine Stellwand aus Plastik wurden zurechtgeschoben, und zwei Minuten später saß das Mädchen auf meinen Oberschenkeln.

„Schönes Separee“, sagte ich.

„Parlez vous francais?“

„Un peu. Lass uns lieber Englisch reden!“

„Du willst was trinken?“

„Ein Bier. Tiger Bier. Du kannst dir auch was bestellen.“

„Und der Fahrer auch? Er wird draußen warten.“

„Meinetwegen.“

Sie besorgte Cola, Bier, Erdnüsse und Kaugummis und hüpfte zurück auf meinen Schoß.

„Wo kommst du her?“

„Deutschland. Und du?“

Sie kicherte. „Vietnam. Mein Name ist Loan.“

„Ich bin Michael. Cheers!“

Wir prosteten uns zu.

„Was machst du in Vietnam?“ fragte sie.

Wie sollte ich ihr in zwei Sätzen erklären, was ich selbst nicht so genau wusste? Sie half mir auf die Sprünge.

„Holiday oder Business?“

So einfach war das.

„Tourist, holiday.“

Damit schien sie zufrieden zu sein und lehnte ihren Kopf an meine Brust.

„Bist du verheiratet?“ fuhr sie fort.

„Nein, nein. Ich hatte eine Freundin, aber das ist schon ziemlich lange vorbei.“

„Ooh.“

Sie warf mir einen Blick zu, der echtes Mitleid ausdrückte. Dann kam sie auf den Punkt.

„Wenn du willst, können wir später in ein Hotel gehen. Die stellen keine Fragen.“

„Ich denke in Ho Chi Minh City ist das jetzt verboten?“

„Wo wohnst du denn?“ fragte sie.

„Im Rex.“

„Ja, ja, das ist staatlich, dort ist es verboten, ein Mädchen mitzubringen. Aber es gibt andere, kein Problem.“

Ich nahm einen Schluck aus der Flasche. Verlockende Aussichten. Die Kleine war in der Tat recht niedlich. Sie wirkte so unprofessionell, auf eine angenehme Art. Doch im Augenblick wusste ich noch nicht so genau, was ich wollte. Die stickige Atmosphäre in diesem Verschlag, das Rasseln des Ventilators machten mich müde, und seit ein paar Wochen genoss ich die Momente, in denen so gut wie nichts passierte. Manchmal fühlte ich mich wie gelähmt, wie einer, der die Dinge nur noch von außen betrachtet, und ich war auf dem besten Weg, mich an diesen Zustand zu gewöhnen. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wann ich mich zum letzten Mal so richtig lebendig gefühlt hatte, doch hier drinnen fehlte mir die Konzentration.

Nebenan plärrte ein Radio. Frauenstimmen. Dann ein Krachen wie von einer Tür, die mit großer Wucht gegen eine Rückwand geschlagen wird. Polternde Schritte und eine raue Bass-Stimme, die alle anderen Geräusche übertönte.

Die Kleine schien meine Unsicherheit bemerkt zu haben.

„Keine Sorge! Das ist Polizei.“

„Wie bitte? Und was ist, wenn der Polizist nach nebenan kommt und uns hier entdeckt?“

Mein Herzschlag hatte sich rapide beschleunigt. Verdammt noch mal, wenn Prostitution in dieser Stadt verboten war, und falls das hier so eine Art Puff sein sollte - dann musste ich mich doch auf einiges gefasst machen, wenn im Nebenraum ein wild gewordener Bulle herumpolterte.

„Der kommt nicht hier rein. Will nur Provision kassieren, sonst nichts.“

Sie legte ihre dünnen Arme um meinen Hals, berührte meine Wange mit ihrer Nase und schnaufte die Luft ein.

„Riechst gut“, bemerkte sie.

„Das heißt, der Kerl kassiert sozusagen Schweigegeld?“ fragte ich.

Das Thema fing an mich zu interessieren.

„Ja, ist korrupt. Polizei verdient hier nicht so viel. Kassiert schwarz und berichtet nicht über Mädchen und Freier.“

Nebenan war es ruhiger geworden. Jetzt konnte ich zwei Männerstimmen unterscheiden, ein paar undeutliche auf- und abschwellende Vokale, die sich mit der Schnulze aus dem Radio vermischten.

„Wird gleich wieder gehen“, flüsterte Loan und verpasste mir noch einen Nasenkuss. Doch im selben Moment ging gar nichts mehr. Stattdessen explodierte das gleichmäßige Rauschen der Ventilatoren und das Murmeln der Stimmen zusammen mit der Melodie aus dem Lautsprecher in einem ohrenzerfetzenden Knall. Gleich darauf hing ein Echo in der Luft wie nach dem Durchbrechen der Schallmauer, und dann hörte man nichts mehr - von den süßlich balzenden Schlagerstimmen mal abgesehen.

„Herrgott nochmal, was war das?“

Endlich schien auch die Kleine ihre Fassung zu verlieren. Ihre Augen waren weit aufgerissen, die Augenbrauen formten zwei fragende, diagonal stehende Linien. Während ich noch überlegte, ob ihre dünnen Beine vor Angst oder Ungeduld zitterten, sprang sie von meinem Schoß herunter und öffnete die Verbindungstür. Vorsichtig spähte sie in den Nebenraum. Mittlerweile lief mir der Schweiß in Rinnsalen über die Stirn. Ich suchte nach einem Taschentuch, vergeblich, wischte mein Gesicht unbeholfen am Ärmel des T-Shirts trocken. Als ich danach wieder zu der geheimnisvollen Tür blickte, war das Mädchen verschwunden. Was nun? In Deckung bleiben oder abhauen?

Ich sprang auf, öffnete die Holztür, die auf die Straße führte und peilte die Lage. Das Cyclo parkte gleich gegenüber. Der Fahrer war vermutlich in einer Menschenmenge untergetaucht, die sich lärmend, neugierig und sensationsgeil vor dem Nebenhaus zusammengerottet hatte. Es war etwas passiert, zweifellos, jetzt waren sie hellwach.

Wenn ich mich in der Dunkelheit davon geschlichen hätte, wäre es wohl niemandem aufgefallen. Doch ich verspürte plötzlich so eine bohrende Neugier, ein Bedürfnis, das mich dazu trieb, mir Klarheit zu verschaffen. Wahrscheinlich war ich nicht viel besser als der Mob da draußen. Geräuschlos näherte ich mich der Seitentür, zog an dem Drehknopf bis sie sich einen Spalt breit öffnete. Danach dauerte es einen Moment - die Personen in dem schwach erleuchteten Raum waren erst nach und nach zu identifizieren.

Loan stand vor einem Waschbecken und ließ Wasser über einen Lappen laufen. Zwei Frauen verharrten mit entsetzten Gesichtern an der Rückwand. Die eine rang die Hände, die andere ließ die Gelenke ihrer Finger knacken und fuhr sich dann mit einer hektischen Geste durch das zerzauste Haar.

Ein mittelgroßer Mann lag leblos auf dem Rücken, ziemlich genau in der Mitte des Zimmers. Obwohl er keine Uniform trug, nur ein Hemd, dunkelbraune Hosen und schwarze Straßenschuhe, war ich mir sicher, dass es sich um den Polizisten handeln musste. Zwischen seinen weit aufgerissenen Lidern wölbten sich die Augäpfel wie glibbriges Muschelfleisch. Seine rechte Hand lag noch immer verkrampft über der linken Brustseite, vermutlich an der Stelle, wo die Kugel eingedrungen war. Dunkles, rostbraunes Blut war über die Fingerknöchel gesickert und hatte den Stoff des grauen Hemds verfärbt. Neben dem Toten kniete ein hagerer Vietnamese. Offenbar hatte er den Schuss abgefeuert. Eine kleine Waffe, die wie eine Spielzeugpistole aussah, lag gleich neben dem Opfer auf dem Boden.

Der Hagere zischte einige Sätze in vietnamesischer Sprache durch die Zähne, kehlige Laute, Anweisungen oder Befehle, denn gleich darauf kam Bewegung in die Gruppe der Frauen. Loan ließ den feuchten Lappen in das Waschbecken fallen, hastete zum Haupteingang und schob einen hölzernen Riegel vor. Die beiden Frauen gaben sich zwei, drei Handzeichen wie Taubstumme, dann ergriff die Ältere den Arm meiner Gespielin und drehte ihn mit einem entschlossenen Ruck nach hinten. Loan stieß einen halb unterdrückten Schrei aus, und während sie sich nach vorn beugte, entdeckte sie mein Gesicht in dem Spalt zwischen Tür und Rahmen.

„Hau ab, bevor es zu spät ist!“ kreischte sie.

Damit hatte sie auch den Chef des Ladens auf mich aufmerksam gemacht, der immer noch neben der Leiche kniete. Zu diesem Zeitpunkt war mein Gehirn noch verzweifelt bemüht, die wahrgenommenen Puzzlesteinchen zu einem sinnvollen Gesamtbild zu ordnen, jedenfalls reagierte ich völlig unlogisch. Anstatt mein Heil in der Flucht zu suchen, stolperte ich wie ein Betrunkener ins Zimmer, hob die Pistole auf und fuchtelte mit dem Ding vor der Nase der Frau herum, die vor Schreck den Arm des Mädchens freigab. Dann packte ich die Kleine am Handgelenk und spurtete mit ihr zurück in das Nebenzimmer. Ich verschloss die Verbindungstür von innen, war mit drei großen Schritten am Ausgang und verließ die düstere Garage Hand in Hand mit dem Mädchen, das sich willenlos wie eine lebensgroße Puppe neben mir herbewegte.

Der Mob stand noch immer geifernd und gestikulierend vor dem Haupteingang. Die Menge hatte kapiert, dass sie ausgeschlossen war und brachte ihre Ungeduld durch ein heiseres Gebrüll und mit erhobenen Fäusten zum Ausdruck. Kein Mensch schien auf den Nebeneingang zu achten.

Ich steckte die Pistole in die Hosentasche, tätschelte die Hand des Mädchens wie zur Beruhigung und führte Loan dann zu dem Cyclo hinüber. Nachdem ich das Dreirad in die Gegenrichtung bugsiert hatte, half ich ihr beim Einsteigen und sprang anschließend selbst in den Sattel. Instinktiv machte ich einen Buckel, um weniger aufzufallen. Ich trat mit aller Kraft in die Pedalen, und zwei Minuten später hatten wir uns in den tosenden Verkehr der Hauptstraße eingereiht. Obwohl wir von Mopeds und Fahrrädern umzingelt waren, empfand ich genau in diesem Moment ein unerklärliches Gefühl der Freiheit - ich verspürte beinahe Lust, einen Juchzer der Erleichterung auszustoßen. Doch zum Nachdenken oder Jubilieren blieb mir wirklich keine Zeit, denn die neugierigen oder amüsierten Blicke einiger Passanten erinnerten mich daran, dass ein Tourist, der eine Rikscha steuert, nicht unbedingt ins gewohnte Straßenbild passte.

An der nächsten Straßenecke bremste ich ab, ließ das Gefährt stehen und lief mit der Kleinen im Schlepptau zu Fuß weiter.

„Lass mich endlich los! Was soll das? Wo willst du denn hin?“

„Sag mal, hast du eigentlich nicht kapiert, was die mit dir vorhatten?“

Ich blieb stehen und wischte mir den Schweiß mit dem Handrücken ab. Loan stand vor mir, mit hängenden Armen, das Gesicht eine ergreifende Mischung aus Angst und Trotz.

„Die wollten dir doch den Mord in die Schuhe schieben.“

Blankes Entsetzen zwischen Augenbrauen, Mund und Kinn.

„Aber wieso?“

„Wieso, wieso! Besser, du kommst hinter Gitter als dein Boss, verstehst du das nicht? Wer waren denn die beiden Frauen in dem Zimmer?“

„Seine Frau und die Schwester von Mister Dung, also vom Boss.“

„Na also. Drei Aussagen gegen eine. Glaubst du mir immer noch nicht? Wir hatten Glück, dass sie meine Anwesenheit in all der Aufregung vergessen hatten.“

Loan blickte zu Boden und zupfte mechanisch an ihrer Seidenbluse.

„Was sollen wir jetzt machen?“ fragte sie leise.

„Wir sollten erst mal untertauchen und abwarten. Wer weiß, womöglich werden sie mir auch noch was anhängen wollen. Wenn du willst, kannst du mit in mein Hotel kommen.“

„Du bist zwar klug, aber du hast keine Ahnung von den Verhältnissen hier bei uns. Ich hab dir doch schon erklärt, dass ich nicht mit dir in dieses staatliche Hotel gehen kann. Außerdem wäre das nun wirklich zu auffällig.“

Damit hatte sie wohl recht. Sie kaute am Nagel ihres kleinen Fingers und runzelte die Stirn.

„Ich werde in der Hauptpost auf dich warten. Dort sind viele Menschen, da falle ich nicht weiter auf.“

„Okay. Und ich gehe ins Hotel, packe ein paar Sachen ein und treffe dich in einer Stunde an der Post. Hast du ein Moped?“

„Nein. Aber ich könnte mir eins leihen.“

„Gut. Mach das! Je beweglicher wir sind, desto besser.“

Sie zögerte, warf mir einen zweifelnden Blick zu.

„Sollten wir nicht doch besser zur Polizei gehen?“ fragte sie.