Schatten über Burma - Klaus Sebastian - E-Book

Schatten über Burma E-Book

Klaus Sebastian

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Beschreibung

Warum sollte sich der ominöse "Nowhere Man", ein skrupelloser Pornoproduzent, auf dessen Webseite auch Fotos von Minderjährigen gehandelt werden, ausgerechnet in Burma verstecken? Der Düsseldorfer Detektiv Max ist zunächst skeptisch. Dennoch nimmt er den Auftrag an und macht sich auf die Reise. Die Suche nach dem Phantom führt ihn von Pattaya nach Rangun und schließlich in ein Wasserkloster auf dem Inle-See - mitten hinein in das unbekannte Herz von Burma. Ein junges Mädchen wird dort vermisst. Ist sie ein weiteres Opfer des Internet-Gangsters? Der Autor Klaus Sebastian nimmt den Leser mit in ein exotisches südostasiatisches Land. Seine Helden werden auf ihrer Odyssee durch Burma (Myanmar) nicht nur von den allgegenwärtigen, unsichtbaren Spitzeln begleitet, sie begegnen auch einer schönen Einheimischen, die sich auf ihre Seite schlägt. Schatten über Burma ist eine gelungene Mischung aus Abenteuerroman, Krimi und Road-Movie.

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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Klaus Sebastian

Schatten über Burma

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Nachwort

Impressum neobooks

Kapitel 1

Klaus Sebastian

SCHATTEN ÜBER BURMA

Roman

Wie wundervoll sind diese Wesen,

die, was nicht deutbar, dennoch deuten,

was nie geschrieben wurde, lesen,

Verworrenes beherrschend binden

und Wege noch im Ewig-Dunkeln finden.

Hugo von Hofmannsthal

Myanmar

"Mimi, Mimi." Due-Due hatte ihre Sonnenblumen längst vergessen. Die lagen gebündelt und gut versteckt in der Abstellkammer, zwischen den bauchigen Wassergefäßen und dem verwühlten Katzenbett. Das hatte Zeit bis später. Ängstlich folgte ihr Blick dem kleinen schwarz-weißen Kätzchen, das jämmerlich schreiend auf dem Geländer herumtapste, mindestens drei Meter über dem Wasser.

"Mimi, Mimi. Warte, ich helfe dir!" Due-Due pirschte sich vorsichtig an die von Wind und Regen zerfressene Brüstung heran, geräuschlos, damit das Katzenjunge sich nicht erschreckte. Vor sechs Tagen hatte die Klosterkatze ihre Jungen zur Welt gebracht, unter dem Podest, auf dem die goldenen Buddhas thronten. Seitdem war Due-Due täglich nach der Gartenarbeit hergekommen, um die Kätzchen zu beobachten. Sie vertäute ihr kleines Boot jedesmal an der Rückseite des Gebäudes, denn außerhalb der Öffnungszeiten war es nicht erlaubt, sich hier herumzutreiben.

Früh am Morgen war die Besuchszeit. Dann strömten Heerscharen von Touristen in knatternden Langbooten herbei, stiegen mit ungelenken Bewegungen über die Schwelle des geheimnisvollen Wasserklosters, bauten ihre Stative auf und knipsten alles, was ihnen exotisch oder malerisch vorkam. Doch jetzt, kurz nach der Mittagsstunde, gab es keine Besucher. Der spiegelglatte See funkelte wie eine Silberplatte unter der glühenden Sonne. Die Mönche schliefen auf ihren geflochtenen Matten, und Stille lag über dem Wasser.

Behutsam streckte Due-Due beide Arme aus. Dann, mit einem beherzten Griff, packte sie das Nackenfell des Kätzchens, drückte das zitternde Tier fest an ihre Brust. "Dummes Ding", flüsterte sie.

Sie war beinahe auf der Mitte der Plattform angekommen, da bemerkte sie, dass sie nicht allein war. Ein Mönch und ein Tourist saßen in der kleinen Abstellkammer hinter einer der Donation - Vitrinen. Durch das Glas der mit fremdländischen Geldscheinen beklebten Box sah Due-Due, dass die beiden sich nun erhoben und heftig gestikulierend die mit vergoldeten Säulen geschmückte Halle durchquerten. Das Mädchen erkannte die Gelegenheit, setzte das Kätzchen auf dem Boden ab und spurtete zu der Kammer hinüber. Die Sonnenblumen lagen noch unberührt in der Ecke. Sie ergriff die langen Stengel, wollte sich davonschleichen, doch sie wurde von etwas abgelenkt, das die beiden Männer auf dem gläsernen Deckel der Donation-Box ausgebreitet hatten. Ihre Neugier siegte und sie nahm eines der Fotos in die Hand, warf einen Blick darauf und hielt den Atem an. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Es war fremd, unanständig, und sie konnte sich nicht vorstellen, was diese Bilder darstellen sollten. Nackte Kinder posierten darauf, so jung wie sie selbst, oder jünger, mit frech hinter dem Kopf verschränkten Armen. Auf einem anderen Farbfoto erkannte sie einen großen Unterleib und den Po eines Kindes. Die beiden ungleichen Körper berührten sich. Der Kopf des Kindes war aber vom Bildrand überschnitten. Due-Due wusste nicht, welche Übung die beiden Nackten dort vollzogen. Sie ließ das Bild fallen - es brannte in ihrer Hand so heiß wie Feuer, und plötzlich vermochte sie die verzwickte Situation nicht mehr zu überblicken. Voller Panik ergriff sie das Blumenbündel und rannte zum Ausgang. Dass sie den großen, bulligen Mann erst im letzten Augenblick wahrnahm, lag vermutlich daran, dass ihre natürlichen Instinkte noch vollständig vom Schock absorbiert wurden, den diese merkwürdigen Fotos ausgelöst hatten. Der Mann füllte den Rahmen der Tür aus und er hielt seine Arme ausgebreitet, so als hätte er auf sie gewartet. Hinter ihm stand der Mönch in seiner rostfarbenen Kutte. Sein Gesicht war zu einer Fratze des Erstaunens verzogen. Auch er breitete seine Arme aus, und Due-Due ahnte, dass sie in der Klemme saß.

Kapitel 2

Düsseldorf, Rheinhafen

Andre Blumfeld deutete auf den Bildschirm seines Computers. "Hier ist die Seite." Ich las die Headline "MONKEEPAGE", darunter eine ausschweifende Erklärung in englischer Sprache.

#Diese Seite wendet sich an alle, die die unschuldige Schönheit junger Mädchen zu schätzen wissen. Warum sollte, was von Gott gegeben ist, unanständig oder pervers sein? Wir zeigen diese verborgenen Schönheiten, wie Gott sie schuf - für ihre persönliche Fotosammlung. Pornografie ist auf dieser Seite ausdrücklich nicht erwünscht.#

"Hört sich fast an wie der Jargon von einer Sekte - ich meine: "Gott gegeben"...".

"Womöglich gibt es diese pädophile Sekte sogar. Zumindest im Internet haben sie ihre mehr oder weniger geheimen Treffpunkte," erklärte Blumfeld.

"Und auf dieser "Monkeepage" gibt es wirklich keine pornografischen Fotos?"

Blumfeld klickte mit der Maus und wartete, bis sich die nächste Seite aufgebaut hatte.

"Ach, Unsinn. Jede Menge Dreckszeug gibt es da. Dieses Gefasel soll eine Art von freiwilliger Selbstkontrolle vortäuschen und die Sittenhüter davon abhalten, den Inhalt dieses "Affenbuches" genauer unter die Lupe zu nehmen. Ach..." - er schloss die Seite und beendete seine Internetsitzung - "es kotzt mich an, wirklich. Ich gebe Ihnen die Adresse von dieser Seite und wenn sie mögen, schauen Sie sich den Dreck später einmal an."

Er stand auf, begann in seinem Büro herumzuspazieren, zündete sich eine dünne Zigarre an, inhalierte und redete dann weiter. "Wie ich schon gesagt habe: der Betreiber dieser Seite hat einen kleinen Privatkrieg mit mir angefangen. Wenn mein Bruder davon erfährt, läuft er Amok. Das ist meine größte Sorge."

In Sekundenschnelle rekapitulierte ich, was ich von den Brüdern Blumfeld wusste. Andre und Lutz hatten das Möbelimperium ihres Vaters vor circa 15 Jahren übernommen. Ihre Kaufhäuser und Designläden waren in jeder deutschen Großstadt präsent. Mit ihren Familien lebten sie zurückgezogen. Ihr Privatleben gab wenig Stoff für Tratsch oder Skandale her. Nur hin und wieder, wenn sie mit ihren Ehefrauen an einer Party oder einer Wohltätigkeitsgala teilnahmen, gab es ein Foto in der Klatschspalte. Das hatte sich brutal geändert, als die zehnjährige Tochter von Lutz Blumfeld vor ungefähr zwei Jahren gekidnappt worden war. Die Tragödie der Entführung ließ die Auflagen der Boulevardblätter und Illustrierten in fabelhafte Höhen steigen. Die Erfolgsgeschichte der Familie wurde bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt. Reporter lauerten den Freundinnen der kleinen Vanessa am Schultor auf. Man spekulierte über Lösegeldforderungen in Millionenhöhe. Der Spuk endete nach 15 Tagen mit der Geldübergabe an einem unbekannten Ort. Die Presse behauptete, die Entführer hätten mit einer Reihe von Fotos Druck ausgeübt. Fotos, auf denen das Mädchen unbekleidet, mit Handschellen an ein Bett gefesselt, zu sehen war. Entsetzt, entnervt hatte Lutz Blumfeld nachgegeben und gezahlt. Ein paar Stunden später war Vanessa an einer Landstraße bei Dormagen aufgegriffen worden, vor Kälte zitternd, verwirrt, aber körperlich unversehrt.

Wenn ich mich recht erinnerte, waren die Entführer nur vier Wochen später in eine Falle der Polizei getappt. Das Lösegeld hatte man freilich bis heute nicht gefunden.

"Damals schien die Sache erledigt," fuhr Andre Blumfeld fort. "Vanessa wird zwar immer noch von einem Psychologen betreut, doch sie hat das Ganze gut verkraftet und zeigt keine auffälligen Verhaltensweisen. Doch dann tauchten diese Fotos von ihr im Internet auf." Er blickte aus dem Fenster, fixierte einen Punkt an der Kaimauer des Düsseldorfer Hafens. "Vorher waren wir so erleichtert, wir hatten die Abzüge, die Negative. Lutz hat alles sofort verbrannt. Doch offensichtlich haben diese Verbrecher ein paar von den Abzügen verkauft oder selbst ins Internet gestellt. Das wissen wir bis heute nicht."

Ich stand nun ebenfalls auf und ging zu dem merkwürdig schrägen Fenster des Gehry-Baus hinüber.

"Und Sie befürchten, dass das nicht zu stoppen ist, hab ich Recht?"

"Natürlich. Jeder x-Beliebige kann sich so ein Foto runterladen und selbst wieder ins Netz stellen. Doch ich hatte die Hoffnung, dass das Interesse mit der Zeit nachließe. Mein Gott," - er schlug mit der flachen Hand gegen den Fensterrahmen - "es gibt Milliarden Fotos im Internet, warum sollte nicht irgendwann Gras über die Sache wachsen?"

Das Telefon läutete. Er ging hinüber zum Schreibtisch, nahm den Hörer ab, meldete sich. Dann, nach ein paar Sekunden: "Ja, sagen Sie meinem Bruder, ich komme in zehn Minuten rüber." Er legte auf, fixierte mich mit seinen wässrig blauen Augen, sprachlos, als hätte er den Faden verloren.

"Und dann fanden Sie das Foto von Vanessa auf dieser MONKEEPAGE?"

"Ja richtig. Vor ungefähr drei Wochen. Und da bin ich ausgerastet, habe einen Riesenfehler gemacht."

Er lehnte sich an die Kante des Schreibtischs, stützte sich mit beiden Händen ab.

"Ich hätte überhaupt nicht reagieren sollen auf diesen Dreck, doch ich war.....ich war so wütend, ich war außer mir vor Wut und habe diesem Mistkerl auf seiner Webpage den Krieg erklärt."

"In so einem Chatroom, oder wie?" fragte ich.

Er begann wieder, im Zimmer hin und herzuwandern. "Auf einem Teil dieser Seite können die Besucher wie in einem Gästebuch ihre Kommentare absondern. Hunde, die ihren Urin abschlagen...." Blumfeld griff sich in das kurz geschnittene Haar, verwühlte es, strich es wieder glatt. "Die meisten tauschen dort Internet-Adressen von ähnlichen Drecksseiten aus. Ein pädophiler Flohmarkt mit Tipps und Geheimcodes."

"Und da haben Sie sich eingeklinkt?"

"Ja. Das war mein Fehler."

WENN DU NOCH EINMAL FOTOS VON VANESSA B. AUF DEINER SEITE ZEIGST; WERDE ICH DIR DIE HÖLLE HEISS MACHEN, ICH KRIEG DICH, ICH LIEFERE DICH AUS, DU WIRST KEINE RUHIGE MINUTE MEHR HABEN, DU PÄDOPHILES AFFENSCHWEIN....!!!!

"Wie hat er reagiert?"

Blumfeld seufzte. "Er hat das widerliche Bild mit den Handschellen sofort auf Seite 1 gesetzt."

NIEMAND WIRD MONKEE FANGEN. DAS INTERNET IST UNENDLICH. WIR WERDEN UNSERE FEINDE DEMÜTIGEN!!!

"Ich habe dann noch einmal reagiert und gedroht, doch es ist offensichtlich sinnlos. Er fühlt sich zu sicher. Können Sie verstehen, dass ich ihn zur Strecke bringen will?"

Er schaute mich fast flehentlich an. Ich wusste, dass diese Aufgabe kaum zu lösen sein würde. Viel Hoffnung konnte ich ihm wahrlich nicht machen.

"Bitte missverstehen Sie mich nicht", fuhr er fort. "Ein Feldzug gegen diesen Kinderporno-Dreck ist ziemlich aussichtslos, das weiß ich. Aber meine schlimmste Befürchtung ist, dass mein Bruder von diesen Fotos im Internet erfährt. Das darf nie geschehen - er würde wahnsinnig, durchdrehen. Jetzt, wo das Kind und die Familie dieses traumatische Drama ziemlich gut verarbeitet haben." Er schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk. "Ich muss noch rüber ins Büro meines Bruders. Was glauben Sie? Wollen Sie mir helfen, diesen Monkee aufzuspüren?"

Ich versuchte, seinem Blick nicht auszuweichen.

"Geben Sie mir vier, fünf Tage Zeit. Ich werde diese Seite und die Fotos einmal genauer unter die Lupe nehmen. Viel Hoffnung habe ich nicht, aber ich will es wenigstens versuchen."

Er ergriff meine Hand mit beiden Händen, drückte kräftig zu, ein säuerliches Lächeln auf dem Gesicht. "Also bitte, versuchen Sie es. Und....alles muss diskret ablaufen."

Ich marschierte raus, nahm den Fahrstuhl, trat ins Freie und spazierte noch etwas über die Wiese neben dem Fernsehturm. Hunde tollten herum, Liebespaare gingen Hand in Hand, wattige Kumuluswolken schwebten bewegungslos wie weiße Ballons am Himmel. Die Menschen genossen die milden Temperaturen dieses perfekten Juni-Nachmittags. Das silberne Gebäude, das ich soeben verlassen hatte, war das niedrigste in dem schwankenden Trio der Gehry-Bauten. Seine Fassaden sahen aus, als hätte man sie in knisterndes Stanniolpapier eingeschlagen. Die Sonne blitzte an den Rundungen, verstärkte mit ein paar grellen Reflexen die Bewegung im Faltenwurf der Außenwände.

Mit schweren Flügelschlägen hob ein verirrter Reiher von der Wasseroberfläche ab. Kleine Yachten dümpelten im olivgrünen Rheinwasser. Ein friedliches Bild.

Wenn man allerdings zu lange auf dieses wankende Häusertrio starrte, konnte man leicht den Glauben an die Schwerkraft und die Ordnung der Dinge verlieren.

Allmählich nahm die silberne Fassade eine rotgoldene Farbe an. Ob sie irgendwann Rost ansetzen würde? Verfallen würde? Meine Gedanken schweiften ab.

Diese Häuser blieben stumm. Reine Zeitverschwendung, länger hier herumzulungern. Ich fuhr zurück in meine Bude.

Kapitel 3

Thailand

Milde 32 Grad in Bangkok. Durch den Zoll hinaus in die klimatisierte Ankunftshalle. Rechts oder links? Auf gut Glück schob ich mein Wägelchen mit dem Koffer nach rechts. Ganz am Ende der Halle standen sie hinter der Sperre: Reiseführer, illegale Taxifahrer, Hotelboys. Fast alle hielten Tafeln mit Namen hoch. Wie auf einer Demo. Ich studierte den Schilderwald, fand meinen Namen, sogar richtig geschrieben. Bravo, gute Organisation. Ein freundlicher Thai lächelte mir entgegen, spindeldürr, schlechte Zähne. Schnappte sich meinen Koffer. "Willkommen in Bangkok."

"Danke. Wo ist der Käptn?" - "Oh, Käptn hat kleines Problem, konnte nicht weg aus Pattaya. Wir fahren gleich hin." Verdammt, schlechte Organisation.

"Wie weit ist das denn?"

"Nicht weit, dauert nur zwei oder drei Stunden. Minibus wartet schon."

Wir fuhren per Rolltreppe ins Untergeschoss. Eine dunkle Garagenhöhle, stickig, feucht. Der Geruch von Kerosin und Abgasen schnürte mir die Kehle zu. Ein zweiter Thai übernahm meinen Koffer, hielt mir die Wagentür auf. Das Innere des Autos vollgepumpt mit eiskalter Luft. Abfahrt.

Von der Rückbank aus starrte ich wie gelähmt durchs Seitenfenster. Hinter einem graubraunen Klong drängten sich schmierige Hütten aus Wellblech, Holzbrettern und Eternit bis dicht ans Wasser heran.

Hier hausten offensichtlich die Ärmsten der Armen. Halbnackte Kinder plantschten fröhlich in der trüben Brühe. Nach 30 Minuten verschwanden die Baracken. Brachland, hypermoderne Fabrikhallen mit Glas- und Alu-Fassaden, Autowerkstätten, eine Universität, dann eine kleine Stadt an einer Straßenkreuzung, Hügel mit Palmen, Wasserbüffel. Der Fahrer fuhr zügig, routiniert. Vermutlich kannte er die Strecke auswendig.

Nach zweieinhalb Stunden bog er rechts ab. Der Begleiter klärte mich auf, dass wir nun gleich in Pattaya ankommen würden.

Müde schleppte ich mich in mein Hotelzimmer. Zog die Vorhänge auf. Es dämmerte bereits, 17.45 Uhr Ortszeit. Schräg gegenüber das grüne Neon-Kreuz auf dem Dach des PATTAYA-MEMORIAL-HOSPITAL. Dahinter ein malvenfarbener Aquarellhimmel. Die Sonne verzieht sich, löst sich am Horizont im graublauen Dunst auf. Lärm dringt von der Straße ins Zimmer. Eine Art Dampframme meißelt Löcher ins Trommelfell. Touristenbusse lassen ihre Motoren laufen, verpesten die Luft, bis in alle Ewigkeit.

In einer halben Stunde will der Käptn mich abholen. Duschen, frische Klamotten anziehen.

*************************

Wir saßen in einer Nische des Malibu. Auf der kleinen Show-Bühne versuchte sich ein schmächtiger Thai als Elvis-Kopie.

"You are nothing but a Hounddog....."

Er bewegte die Lippen zum Playback und ließ die Hüften kreisen.

"Wirkt ziemlich echt, was?" meinte der Käptn. "Sie können übrigens Olli zu mir sagen. Das sagen hier alle."

Er grabschte sich eine Hand voll Erdnüsse und ließ sie in seinem Mund verschwinden.

Dass er sich ausgerechnet das Malibu als Lokal für unser erstes Treffen ausgesucht hatte, fand ich ziemlich verwunderlich. Der Lärm von der Hauptstraße vermischte sich mit den Bässen der Musikanlage, und man musste beinahe brüllen, um sich verständlich zu machen.

"Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl", fragte er jetzt. "Bevor wir mit dem Geschäftlichen beginnen, sollten wir uns erst etwas kennenlernen, dachte ich. Hoffe, es ist Ihnen recht."

"Klar, kein Problem."

"Nachher schauen wir noch im Mau-Mau vorbei. Vielleicht ist es besser, wenn Sie dann morgen früh in mein Haus kommen. Da haben wir mehr Ruhe."

"Gute Idee." Ich nahm einen Schluck aus der kleinen Singha-Bier-Flasche. Auf der Bühne erschien eine thailändische Tina Turner mit perfekt einstudierter Mimik.

"Ist übrigens ein Ladyboy", bemerkte Olli. Als sie mit "Simply the best" fertig war, zahlte der Käptn unser Bier und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter.

"Weiter geht's. So ein Nachtleben werden Sie in den nächsten Wochen wohl nicht mehr erleben", meinte er dann.

"Pattaya, das ist wie Pop-Art." Olli hielt Ausschau nach einer Lücke in dem Strom aus knatternden, hupenden Mopeds, Autos, Reisebussen. Als wir die Straße endlich überquert hatten, deutete er auf das knallrote Flugzeug, das die Architekten des "Royal Garden Plaza" in einem abenteuerlichen Winkel an der Außenwand befestigt hatten. Es sah aus, als wäre die Maschine nach einem Sturzflug in die Wand des Einkaufszentrums gekracht.

"Das meine ich", fuhr der Käptn fort. "Pure Pop-Art. Vulgär, spektakulär, durchgeknallt. Und das trifft auf ganz Pattaya zu, nicht nur auf dieses Schrott-Kunstwerk."

Ich betrachtete das diagonal in den Himmel ragende Heck der Maschine, halb verwundert, dass Olli sich auch mit moderner Kunst auskannte. "Und wozu soll das gut sein?" fragte ich. "Kunst am Bau?"

"Nein. Das ist Reklame, ein riesiges Hinweisschild für das Ripley's Museum. Eine Art Kuriositätenschau mitten im Einkaufstempel. Anscheinend das einzige Museum, das den Geschmack der Thais trifft. Mit richtiger Kunst locken sie hier keinen Hund hinterm Ofen hervor. Immer nur Sanook, Sanook - Spaß muss sein. Vom Nachdenken bekommt der Durchschnitts -Thai angeblich Kopfschmerzen."

Insgeheim ärgerte mich sein pauschales Urteil, doch ich hielt mich vorläufig zurück. Wir passierten die neue Kläranlage, groß wie ein Kriegsbunker und stinkend wie ein Silo voller Pisse und faulem Fisch, liefen an einem Hühnerstall mit johlenden Barladies vorbei - "Hello welcome, sexy man!!" - und erreichten schließlich die relativ ruhige Fußgängerzone von South-Pattaya. Vor den maroden Fassaden der Häuser hingen die bunten Leuchtreklamen wie gehisste Segel und erzeugten die Illusion eines aufregenden, mondänen Nachtlebens.

Typen mit Waranen und kleinen Affen auf der Schulter lungerten herum, boten Polaroid-Schnappschüsse an. Ein dickbäuchiger Tourist mit einem LEO-Bier-T-Shirt ließ sich eine Boa um den Hals wickeln.

"Dekadent", zischte der Käptn. Dann hellte sein Blick sich auf. "Gucken Sie mal die da!" Eine Thai mit dürren Beinen, einem knalleng sitzenden Minirock, der kaum ihren Po bedeckte, und orangerot gefärbten Haaren stiefelte an uns vorbei. "Die war echt", meinte er. "Kein Ladyboy."

"Und deshalb gefällt es Ihnen in Pattaya?" stichelte ich.

"Ach was", brummte er. "Nein, bei aller Dekadenz, trotz des Lärms und der tumben Reisegruppen, die wie die Heuschrecken täglich über dieses Nest herfallen - besser als in Bangkok ist es hier allemal. Man hat das Meer vor der Tür. Das heißt, so schlimm kann die Luftverpestung also nie werden. Und hier ist alles in Reichweite: Reisebüros, Internet-Shops, die ganze Logistik. Abgesehen von den Fischrestaurants, den Steakhäusern, den Einkaufszentren oder Massagesalons. Es ist easy. Und billig. Da..." Er bog nun in eine Seitenstraße zur linken, vom Meer abgewandten Seite, "da vorne müssen wir hin."

Nachdem ich in einer der butterweichen Lederbänke versunken war, die sich in einem engen Kreis um die Arena der Tanzfläche schmiegten, dauerte es eine Weile, bis ich die Optik und Akustik des Ladens im Griff hatte. Die halbnackten Go-Go-Girls, es mussten vierzehn oder fünfzehn sein, hatten Nummern auf ihren Slips und hielten sich an blitzenden Stangen fest. Ihre gelangweilten Gesichter nahmen kaum Notiz von dem überwiegend männlichen Publikum.

Der Käptn hatte sich neben mir in die Polster fallen lassen, zwei Singha Bier geordert und nun schien er sich wohl zu fühlen. Da die Musik brüllend laut war, konnte ich mir einen Kommentar zu diesem Amüsierschuppen vorerst ersparen. Ich grinste vielsagend und prostete ihm mit der Flasche zu. Daraufhin machte er eine Bewegung mit dem Arm, als wollte er mir den Ellbogen in die Rippen stoßen. "Das ist nur Kinderkram", brüllte er. "Aber, gucken Sie mal nach oben!"

Ich folgte seinem Blick zur Decke und hielt für einen Moment den Atem an. Dort oben tanzten noch mehr Mädchen. Sie trugen karierte grüne Miniröckchen und darunter trugen sie gar nichts. Das war unschwer zu erkennen, denn die Decke zwischen Bar und Obergeschoss bestand aus einer stabilen, wunderbar durchsichtigen Glasscheibe. "Die lassen sich immer was Neues einfallen", gröhlte der Käptn.