Perfect Score - Lisa C. Franklin - E-Book

Perfect Score E-Book

Lisa C. Franklin

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Beschreibung

Eine Leidenschaft, zwei paar Schlittschuh  Vor Sechs Jahren war Ian Clark, der beste Freund und Eishockey Kamerad ihres Bruders, der erste Junge, in den sich Lainy verliebte. Die gemeinsamen Trainingsstunden auf dem Eis brachten die Luft zwischen den beiden zum Knistern. Doch dann verschwand er von einem auf den anderen Tag und ließ Lainy am Boden zerstört zurück. Jetzt ist er plötzlich wieder in der Stadt.   Seit Ian denken kann, ist er in Lainy verliebt, sie ist seine große Liebe. Doch vor sechs Jahren war er gezwungen, sie zu verlassen, damit sie nicht von seiner Vergangenheit überrannt wird. Als er zurückkommt, muss er feststellen, dass sein Versuch Lainy zu beschützen, fehlgeschlagen ist. Ian setzt alles daran, sich zu entschuldigen, doch zwischen ihnen steht so manche unausgesprochene Wahrheit. Ist ihre Liebe immer noch stark genug, dass sie gemeinsam die Vergangenheit überwinden können?

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Perfect Score

Die Autorin

Lisa C. Franklin wurde 1992 geboren und lebt mit ihrem Mann und ihren unendlich vielen Büchern auf einem Bauernhof im schönen Baden-Württemberg. Seit ihrer Jugend träumt sie davon, ihre eigenen Bücher in den Händen halten zu können. Ihr Herz schlägt dabei vor allem für Liebesromane. Was zunächst nur ein Traum war, entfaltete sich nach einem Road Trip quer durch die schottischen Highlands zu einer wahren Schreibleidenschaft. Dieser Schreibwahn hält bis heute an.

Das Buch

Vor Sechs Jahren war Ian Clark, der beste Freund und Eishockey Kamerad ihres Bruders, der erste Junge, in den sich Lainy verliebte. Die gemeinsamen Trainingsstunden auf dem Eis brachten die Luft zwischen den beiden zum Knistern. Doch dann verschwand er von einem auf den anderen Tag und ließ Lainy am Boden zerstört zurück. Jetzt ist er plötzlich wieder in der Stadt.

Seit Ian denken kann, ist er in Lainy verliebt, sie ist seine große Liebe. Doch vor sechs Jahren war er gezwungen, sie zu verlassen, damit sie nicht von seiner Vergangenheit überrannt wird. Als er zurückkommt, muss er feststellen, dass sein Versuch Lainy zu beschützen, fehlgeschlagen ist. Ian setzt alles daran, sich zu entschuldigen, doch zwischen ihnen steht so manche unausgesprochene Wahrheit.

Ist ihre Liebe immer noch stark genug, dass sie gemeinsam die Vergangenheit überwinden können?

Lisa C. Franklin

Perfect Score

Für immer du

Love Story

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinMai 2020 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-577-7

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Falling into you

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Widmung

Für Ralf, meine große Liebe

Kapitel 1

Elaine

Heute

Mit einem dumpfen Gefühl im Magen schritt ich langsam den mit hohen Fichten eingesäumten und unter einer sachten Schneeschicht verborgenen Schotterweg entlang. Der kühle Oktoberwind ließ die Äste über meinem Kopf leise rascheln, während der gefrorene Boden unter meinen Sohlen mit jedem meiner Schritte knirschte.

Ich sollte nicht hier sein.

Nicht zum ersten Mal in den vergangenen zwanzig Minuten, in denen ich mir die Füße vertreten hatte, keimte in mir dieser Gedankengang auf.

Seit Jahren war ich nicht mehr an diesem Ort gewesen, hatte keinen Fuß mehr auf diesen Grund und Boden gesetzt. Nicht weil das hier ein Friedhof war und wir hier geliebte Menschen beisetzten. Nein, dieser Ort war der Anfang einer Geschichte - meiner Geschichte. Einer Geschichte voller Schmerz, die ich in den letzten sechs Jahren versucht hatte, aus meinem Kopf zu streichen. Eine Geschichte, die ich am liebsten vergessen wollte.

Und doch war ich jetzt hier. Dort, wo alles begann.

Bisher hatte ich es gemieden, auf den kleinen verschneiten Hügel mit der hölzernen Bank rechts von mir zu sehen. Doch früher oder später würde ich der Versuchung nicht mehr widerstehen können und nachgeben. Vermutlich eher früher als später.

Ein kühler Windzug ließ mich frösteln. Mit zittrigen Händen zog ich meinen Mantel enger und schob mir die warme Wollmütze tiefer über die Ohren.

Auch wenn es grausam klingen mochte, aber der heutige eisige Tag passte zu dem Menschen, der hier in wenigen Minuten seine letzte Ruhe finden würde. Ein Mann, den ich zu Lebtagen als grausames Ungeheuer bezeichnet hatte.

Existierten Himmel und Hölle, gab es Gut und Böse, dann würde ich für meine Gedanken nach meinem Tod in Letzterem schmoren.

Ja, es war grausam, wie ich in dieser Hinsicht empfand. Und ich schämte mich für die Gefühle, die ich hatte, konnte sie aber nicht ablegen.

Tief einatmend blieb ich stehen. Meine Beine fühlten sich längst taub an. Ob vor Kälte oder der aufziehenden Vermutung, einen Fehler zu begehen, konnte ich nicht sagen. Ich war aus freien Stücken hierhergekommen. Niemand hatte mich dazu gedrängt, im Gegenteil. Mein Bruder hatte mir davon abgeraten, genauso wie meine beste Freundin Allie.

Mein Blick schweifte von links nach rechts. Der Weg vor mir teilte sich. Zwei Wege, die nicht unterschiedlicher über mein Leben hätten entscheiden können.

Links führte mich der Weg zurück nach Hause. In meine kleine Zweizimmerwohnung, wo ich mich den restlichen Tag mit belanglosen Kleinigkeiten von der Tatsache hätte ablenken können, dass er wieder in der Stadt war.

Fiel meine Entscheidung auf rechts, dann … ja dann hätte ich ihm gegenübergestanden.

Nach sechs Jahren. Sechs verdammt langen Jahren.

Ich hatte also die Wahl. Es war eine Entscheidung, ein einziger Moment. Ein Atemzug. Und doch zwei Wege, mein Schicksal in die Hand zu nehmen.

Ich hatte mich noch immer nicht entschieden, da hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Langsam fuhr ich herum und entdeckte Allie den Weg entlangschreiten und auf mich zukommen.

»Du bist hier.« Sie lächelte schwach und umarmte mich. Die fürsorgliche Wärme, die sie stets umgab, hüllte mich sofort ein.

»Hey«, brachte ich leise hervor.

»Wie geht es dir?« Sie schob mich ein kleines Stückchen von sich, um mich betrachten zu können. »Du siehst blass aus. Hast du heute schon was gegessen?«

»Wer bekommt an einem Tag wie heute schon etwas runter?« Ich umging eine Antwort und rieb mir nervös die kalten Hände. Tatsächlich hatte ich nämlich keinen Bissen zu mir genommen.

»Wir müssen das nicht tun«, sagte sie und sah mich dabei beschwörend an. »Niemand wird dir das verübeln, Lainy. Auch Ian nicht.«

Ian.

Gott, wie oft hatte ich in den letzten Tagen diesen Namen leise vor mich hin geflüstert. Immer und immer wieder. Wie eine Spruchformel, die ich glaubte, schon längst vergessen zu haben. Aber seit Clays Offenbarung letzte Woche, war dieser Name so präsent in meinen Gedanken wie nie zuvor.

Es war ein Sonntag wie jeder andere. Wir saßen beim Essen bei unseren Eltern, als Clay die Bombe platzen ließ. Mein Bruder schilderte in ruhigem sachlichem Ton, dass Ian sich nach sechs Jahren überraschend bei ihm gemeldet hatte. Erst vor wenigen Jahren hatten wir durch die Medien erfahren, dass Ian in Toronto lebte und dort einen Job als Trainer bei einer nicht ganz unbekannten Eishockeymannschaft angetreten hatte.

Kontakt hatte er nicht mit uns aufgenommen. Bis vor einer Woche der Anruf kam.

Ian berichtete, dass sein Vater, Coach Clark, nach kurzer und schwerer Krankheit mit nur sechsundvierzig Jahren in seiner Anwesenheit eingeschlafen sei.

Einundzwanzigtausendsiebenhundertsiebenundvierzig Meilen von mir entfernt.

Aber das war längst nicht alles. Randal Clark sollte hier in unserem beschaulichen kleinen Städtchen Oakwich beigesetzt werden.

Ich war wie betäubt. Nach allem, was Ian mir damals angetan hat, war er zurück? Nach all den Jahren?

Meine Eltern, die Ian und seinen Vater von früher kannten, waren bestürzt über Clays Neuigkeiten. Sie stellten Fragen, sprachen ihr Beileid aus und versicherten, Ian einen Präsentkorb zu übergeben, sobald er in der Stadt war.

Ich hingegen sagte kein Wort. Nicht ein einziges. Stattdessen stocherte ich in meinem Essen herum, um meine Gefühle weitestgehend unter Verschluss zu halten.

Seitdem herrschte in mir ein Ausnahmezustand. Irgendwann schaltete ich auf Autopilot um und mein Körper funktionierte einfach. Wenn mich jemand fragen würde, was ich in der letzten Woche alles getrieben hatte, könnte ich keine Antwort geben. Nicht mal eine Sache würde mir einfallen.

Tja, und jetzt stand ich hier, umgeben von grauen Steinen, auf denen sich Namen befanden, die alle eine Geschichte trugen – eine Geschichte, die meiner vielleicht ähnelte.

»Ich tue das nicht für Ian, sondern für mich Allie. Um endgültig mit meiner Vergangenheit abschließen zu können.«

Sie sah mich einen Moment lang schweigend an, dann nickte sie verstehend. Dieser Schlussstrich war existentiell für mich.

In den vergangenen sechs Jahren hatte ich gelernt, nach vorne zu sehen. Mir ein neues Standbein aufzubauen. Ich hatte gelernt, mit dem Verlust umzugehen. Lachen zu können, ohne im nächsten Moment in Tränen auszubrechen oder mich schlecht zu fühlen. Ich hatte mich neu kennengelernt.

Die ganze Zeit über war Allie an meiner Seite. Sie war meine Stütze in der dunkelsten Zeit meines Lebens.

»Okay, dann lass uns gehen«, sagte sie und griff nach meiner kalten Hand. Ihre war warm. Voller Leben.

Mit jedem Schritt, den wir hinter uns ließen, näherten wir uns weiter der grauen steinernen Kapelle mit dem riesigen Kreuz über der Tür. Die Glocken im Turm begannen laut zu läuten, die schweren hölzernen Flügeltüren öffneten sich langsam.

Allen vorweg lief mit gesenktem Kopf unser Pastor, während hinter ihm sechs junge Männer einen Sarg aus dunklem, glänzendem Mahagoniholz auf ihren Schultern trugen. Jeder Einzelne von ihnen war ein ehemaliges Mitglied aus Ians früherer Eishockeymannschaft. Anstatt Blumen, wie es üblich war, zierte den Sarg ein Banner. Darauf ein in Gelb gehaltener Bär mit der Inschrift Oakwicher Hockey Academy, die der Coach jahrzehntelang trainiert hatte.

Unmittelbar hinter dem Sarg entdeckte ich meinen Bruder. Wie es sich für einen Royal Canadian Mounted Police Officer gehörte, trug er seine Paradeuniform. Den traditionellen roten Waffenrock, dunkelblaue Breeches, Reitstiefel und den nicht zu übersehenden breitkrempigen Hut. Als sich unsere Blicke trafen, hoben sich seine Brauen überrascht.

Selbst aus dieser Distanz konnte ich erkennen, dass er nicht mit meiner Anwesenheit gerechnet hatte. Sofort bildeten sich Sorgenfalten auf seiner Stirn.

Stumm schüttelte ich den Kopf und gab ihm zu verstehen, dass ich okay war. Es dauerte einen Moment, dann nickte Clay mir kaum merklich zu und tippte sich dabei mit dem Finger an den Rand seiner Kopfbedeckung. Nur zögerlich setzte er seinen Weg fort.

Als ich meine Augen weiter über die wenigen Menschen gleiten ließ, die hinter meinem Bruder gingen, hielt ich den Atem an und versteifte mich. Eine kalte Gänsehaut lief mir den Rücken hinunter, während mir ein unsichtbares Band den Brustkorb zuschnürte. Allie streichelte mir sacht mit ihrem Daumen über den Handrücken.

Ian. Er war wirklich hier.

Ganz in Schwarz gekleidet. Von den Schuhen bis zum Kragen. Er sah verändert aus. Aus dem Jungen, dem ich einst mein Herz geschenkt hatte, war ein Mann geworden. Ein eingefallener, müde wirkender Mann. Die weichen Linien seines jungenhaften Gesichts waren gewichen und machten nun einem leichten Bartschatten Platz. Seine dunkelblonden Haare waren kürzer. Seine Schultern noch ein Stück breiter. Selbst die Farbe seiner Iris schien mit einem Schleier überzogen. Kurzum, die Krankheit seines Vaters hatte unübersehbar auch bei ihm Spuren hinterlassen. Aber hinter all der Trauer sah ich ihn. Er war es. Ganz sicher.

Sein Erscheinungsbild setzte mir zu. Niemals, wirklich niemals hatte ich damit gerechnet, ihn wieder zu sehen. Nicht hier und … nicht so.

»Willst du ihnen folgen?«, fragte Allie leise. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass wir stehen geblieben waren.

»Ich … ich denke schon«, brachte ich rau hervor. »Würdest du mich begleiten?«

»Aber natürlich.« Sie drückte meine Hand und wir setzten uns langsam in Bewegung. Mit ausreichend Abstand folgten wir der Trauergruppe über den Friedhof.

»Der Coach wird bei seiner Frau beigesetzt«, nahm Allie nach einer Weile das Gespräch auf. »Anscheinend war es sein letzter Wunsch.«

»Woher weißt du das?«

»Grandpa hat es mir erzählt, als ich ihn vorgestern von seinem Bingoabend im Gemeindezentrum abgeholt habe. Du kennst ja die üblichen Verdächtigen, die immer in Plauderstimmung sind.« Sie zuckte mit den Schultern. »Und … na ja, Coach Clark war bei vielen Leuten ein angesehener Mann in dieser Stadt.«

Und wie er das war, dachte ich zähneknirschend und spürte, wie die Wut in mir zu brodeln begann. Allie fing meinen Blick auf. »Sie sind unwissend, Lainy«, hängte sie an. »Sie wissen nicht, wie er wirklich war. Kaum einer weiß das.«

Ich schon, dachte ich und sog scharf die Luft ein. Hass brodelte in mir, den ich zu unterdrücken versuchte.

»Du brauchst dich für deine Gefühle nicht zu schämen. Unterdrück sie nicht.«

»Sie sind hässlich!«

»Und werden nur noch hässlicher, wenn du sie totschweigst. Bau nicht wieder die Mauer auf, um dich dahinter zu verstecken. Bitte tu das nicht.« Allie packte mich an den Schultern, als wollte sie mich wachrütteln.

Ich war mir durchaus im Klaren, dass Coach Clark Teil meiner Vergangenheit und nicht meiner Zukunft war, aber es war so verdammt schwer.

»Danke, dass du hier bist«, hauchte ich in die kühle Luft, um mich meinen Gefühlen zu entziehen.

»Ich würde dich das niemals alleine durchstehen lassen. Niemals!«, sagte sie mit einer solchen Überzeugung in der Stimme, dass mir ganz warm wurde.

Allie war wahrhaft der liebevollste und herzensbeste Mensch, dem ich je begegnet war. Neben ihrer Arbeit als Lehrerin investierte sie den Großteil ihrer Freizeit in soziale Projekte. Organisierte Kinderfeste, richtete Tanzabende für die Gemeinde aus oder überraschte die Bewohner des Seniorenheims mit Kuchen. Mit ihrem großzügigen Herz und ihrem sozialen Engagement war sie ein Segen für die Menschheit. In letzter Zeit jedoch wurde sie stark in der Schule eingespannt und ich bekam sie kaum zu sehen. Umso bedeutsamer war ihre jetzige Anwesenheit.

Unsere Beine setzten sich wieder in Bewegung, bis wir im Schatten einer Fichte stehen blieben. »Wir sind da.« Allie deutete mit dem Kinn auf die Trauergesellschaft, die sich vor einer tiefen Aushebung zusammengefunden hatte. Die meisten der Gesichter kannte ich aus der Stadt. Nur wenige waren mir neu.

Ich vermutete, dass sie aus Ians neuem Leben stammten oder weit entfernte Verwandte der Familie Clark waren. Denn nach allem, was mir Ian damals erzählt hatte, brach der Kontakt zu seiner Familie mütterlicherseits nach dem Tod seiner Mom ab.

Ich trat einen Schritt vor, doch Allie hielt mich zurück.

»Ich warte hier, Lainy«, sagte sie leise und ließ meine Hand los. »Wenn du mich brauchst, bin ich hier.« Sie wich einen Schritt zurück.

»Danke«, formte ich lautlos mit meinen Lippen und wandte mich schließlich um.

Mit klopfendem Herzen trat ich näher und suchte mir am äußersten Rand einen Platz, wo ich den Worten des Pastors lauschte. Seine letzten Worte für Randal Clark waren geprägt vom Verlust seiner Frau, von seiner erfolgreichen Karriere und davon, was für ein liebevoller Vater er doch in all der Zeit für seinen Sohn war. Bei letzteren Worten begann meine Kehle wie Feuer zu brennen und ich hatte Mühe meine Atmung ruhig zu halten.

Pastor Pierson hatte ja keine Ahnung!

Mit einem leisen Amen beendete er seine Rede und der Sarg wurde langsam in die Erde hinabgelassen. Ian war der Erste, der sich eine weiße Rose nahm und seinem Vater die letzte Ehre erwies. Danach folgte mein Bruder und auch die restlichen Anwesenden traten vor, flüsterten letzte Worte oder warfen einfach nur stumm ihre Rose in die Tiefe, um anschließend Ian ihr Beileid auszusprechen.

Die ganze Zeit über hielt ich mich im Hintergrund. Lange haderte ich mit mir, ob ich Coach Clark ebenfalls die letzte Ehre erweisen sollte. Doch schlussendlich fühlte es sich nicht richtig an. Zumindest im Moment nicht.

Und wer weiß, vielleicht hegte ich irgendwann einmal das Bedürfnis, mich hierherzustellen und meinen Seelenfrieden mit ihm zu machen.

Aber dafür war ich noch nicht bereit. Ich wusste zu viel über diesen Mann und seine verborgenen Taten. Ich konnte nicht wie alle anderen an den Sarg treten und ihm vergeben. Nicht jetzt und nicht heute.

Als sich die Menge um mich herum lichtete, trat ich als Letzte auf Ian zu. Bisher hatte er mich nicht entdeckt. Und ich hatte keine Ahnung, wie er meine Anwesenheit auffassen würde.

Wie würde er reagieren? Würde er mich anbrüllen? Mich beschimpfen? Oder würde unsere erste Begegnung ruhig verlaufen?

Immerhin war er es, der ohne ein Wort aus meinem Leben verschwunden war. Er war derjenige, der Reue zeigen sollte. Nicht ich.

Mein Herz pochte, als ich die letzten Schritte auf ihn zuging. Den Kopf gesenkt, die Hände vor seinem Körper gefaltet. Ein Häufchen Elend.

Gerne hätte ich ihn in die Arme genommen und ihn fest an mich gedrückt, aber das stand mir nicht zu. Wir lebten zwei unterschiedliche Leben und die vergangenen Jahre hatten einen tiefen Krater zwischen uns gerissen. Einen Krater aus Schmerz und Wut.

Heftig hämmerte mein Herz gegen meine Brust. Das Bedürfnis kehrtzumachen überkam mich.

Das hier ist eine ganz dumme Idee!

Eine ganz, ganz dumme!

Noch ehe ich den inneren Kampf mit mir weiterführen konnte, riss mich seine warme tiefe Stimme ins Hier und Jetzt zurück: »Elaine.«

Ich schreckte zusammen. Die Art, wie er meinen Namen aussprach, versetzte mich sechs Jahre zurück.

»Ian«, hauchte ich. Meine Lippen begannen zu zittern. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, und gleichzeitig war es, als sei es erst gestern gewesen, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten.

»Du … bist hier?« Er trat einen Schritt auf mich zu, als könnte er nicht glauben, dass ich wirklich vor ihm stand.

Aber ja, ich war hier. Wir waren hier. Zusammen. Nach all den Jahren. Am Grab seines Vaters.

»Woher wusstest du das …« Er brach ab und betrachtete mich fragend. Eingehend.

Unter seinem intensiven Blick wandte ich mich leicht zu meinem Bruder, der ein paar Meter von uns entfernt stand und uns still beobachtete. Ian folgte meiner Bewegung. Als er die richtigen Schlüsse zog, nickte er stumm und schob die Hände in seine Manteltaschen.

Ich nutzte die Gelegenheit, um ihn von Nahem zu betrachteten. Tatsächlich war sein Gesicht eingefallen. Sein Kinn wirkte kantiger als zuvor und um seine Augen herum hatten sich leichte Kerben gebildet, die, wenn er lächelte, sicher mehr zum Vorschein kommen würden. Ich versuchte, in den wenigen Sekunden, die wir hatten, mir jedes noch so kleine Detail von ihm einzuprägen.

»Es ist … so lange her«, sagte er leise. »Wie geht es dir?«

Ich schluckte schwer. »Gut. Mir geht es gut«, antwortete ich viel zu schnell und überspielte meine Gefühle. Der Kloß in meinem Hals wurde größer.

Sechs Jahre, Ian.

Sechs Jahre!

Ich biss mir auf die Lippe. »Das mit deinem Vater tut mir leid. Ich kann nur hoffen, dass er keine Schmerzen leiden musste.«

Ian senkte schmerzerfüllt seine Lider. Seine dunklen Wimpern waren immer noch so lang wie früher. Als er mich wieder ansah, schluckte er schwer und presste die Lippen aufeinander.

Sechs Jahre. Sechs verdammt beschissene Jahre und kein Wort des Abschieds! Kein einziges!

»Leb wohl, Ian«, sagte ich mit tonloser Stimme und wandte mich um.

Das war´s. Das war unser Ende. Ein sauberer Schnitt. Ohne Kanten. So, wie ich es mir seit Jahren wünschte.

Kapitel 2

Ian

Sie ist es. Sie ist es wirklich. Und sie ist hier. Wahrhaftig und echt. Nach all den Jahren.

Die Hoffnung, dass wir uns jemals wiedersehen würden, hatte ich bereits vor einiger Zeit aufgegeben. Und das zurecht. Ohne ein Wort oder eine Erklärung war ich damals verschwunden. Aus ihrem Leben. Aus … unserem Leben. Einem Leben, das wir Seite an Seite erklimmen wollten. Einem Leben, dem ich ein so abruptes Ende gesetzt hatte.

Leb wohl, Ian.

Verdammt. Ihre Worte brannten sich wie ein Lauffeuer durch meinen Körper. Ihre Stimme zu hören und sie zu sehen hatte ein altbekanntes Gefühl in mir geweckt. Ein Gefühl, das ich mir in den letzten sechs Jahren verboten hatte zu fühlen. Es ähnelte einem warmen Ziehen und brachte mein Herz gewaltig zum Stolpern. Ich hatte versucht, sie zu vergessen. Aus meinem Kopf, aus meinem Herzen zu streichen. Und es war mir auch gelungen bis jetzt. Ich hatte nicht erwartet, nach all den Jahren noch so auf sie zu reagieren. Noch dazu so stark. Das hier war kein Lebwohl. Nicht für mich. Es war vielmehr … eine zweite Chance. Eine Chance uns auszusprechen.

Als könnte sie sich jeden Moment in Luft auflösen, verfolgte ich jeden ihrer Schritte. Sie war nicht mehr das freche, lebenslustige Mädchen von früher. Ich glaubte, einen Schmerz in ihr entdeckt zu haben, den ich kaum ertragen konnte. Ein Schmerz, der früher nicht dort gewesen war.

»Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass sie hierherkommen würde.« Clay war leise neben mich getreten.

»Seit wann ist sie wieder hier?«

Er zögerte. »Sie … sie ist nie fortgegangen.«

Damit hatte er mich kalt erwischt. Abrupt wandte ich mich zu ihm um. »Sie war hier? In Oakwich? Die ganze Zeit über?«

Clay antwortete nicht.

»Aber was ist mit dem Qualifikationslauf? Ihrem großen Auftritt? Mit dem Sieg standen ihr so viele Türen offen …?«

»Lainy hat ihren Lauf nicht zu Ende geführt, Ian.«

Nicht zu Ende geführt? Was bedeutete das?

Wir hatten Monate lang hart dafür trainiert. Lainy hatte den Sprung drauf. Sie hatte ihn beherrscht. Wieso also hätte sie ihren Lauf nicht beenden sollen?

»Ich verstehe nicht ganz …«

»Ian«, Clay atmete tief ein. »Es ist damals viel passiert. Jetzt ist wahrlich nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen.«

»Aber …«

»Akzeptier es einfach!«

Ich zuckte zurück. Es akzeptieren? Wie sollte das denn gehen? Es musste einen Grund geben, wieso sie damals so gehandelt hatte. Sie wollte gewinnen. Mehr als alles andere.

Clays Stimme nach zu urteilen, war für ihn das Thema erledigt. Eindringlich studierte ich den Gesichtsausdruck meines ehemaligen besten Freundes.

Dads und meine fluchtartige Abreise aus Oakwich hatte nicht nur einen Bruch in Lainys und meiner Beziehung hinterlassen. Auch die Freundschaft zu Clay war daran zerbrochen. Waren wir früher eine Einheit auf dem Eis kämpfte nun jeder für sich.

Mit meinem Fortgang brach auch unser Kontakt ab. Ich hatte ihm nie gesagt, was sich zwischen Lainy und mir entwickelt hatte. Ich hielt es vor ihm geheim. Was mit der Zeit ziemlich belastend wurde. Denn er war mein bester Freund, und ihm die ganze Zeit über etwas vorzuspielen, regte mein schlechtes Gewissen an. Ausgerechnet ich verliebte mich in seine kleine Schwester!

Mir meine Gefühle für Lainy einzugestehen, war auch für mich nicht leicht. Immerhin hatte ich es mir nicht ausgesucht mich Hals über Kopf in sie zu verlieben und dennoch war es passiert. Und für nichts auf der Welt wollte ich diese Zeit mit ihr missen. Sie zählte zu dem Schönsten in meinem bisherigen Leben.

Lainy jetzt wiederzusehen, brachte alte Gefühle in mir hervor. Gefühle, die ich bis dato geglaubt hatte überwunden zu haben. Zumal ich dachte, dass sie nicht mehr in Oakwich lebte und ein Zusammentreffen ausgeschlossen war.

Ich hatte sie geliebt. Richtig geliebt. So sehr ein Mann eine Frau lieben konnte.

Natürlich gab es in den letzten sechs Jahren Frauen in meinem Leben. Ich bin ein Mann und kein Mönch. Sex fühlte sich mit der geeigneten Person einfach viel zu paradiesisch an, als dass ich hätte darauf verzichten können. Aber keine davon, ich schwöre, wirklich keine Einzige löste in mir die Gefühle aus, die Lainy zu ihrer Zeit ausgelöst hatte.

Sie jetzt wahrhaftig vor mir zu sehen und nicht berühren zu dürfen, weil sie nicht länger mir gehörte, war wie ein Faustschlag in die Magengrube. Aber ich hatte es verdient. Ich hatte mein Leben hier in Oakwich aufgegeben, als ich die Stadt verlassen hatte. Und jetzt, nach meiner Rückkehr glich es einem Scherbenhaufen, den ich nach und nach wieder zusammensetzen musste. Doch bevor ich das tat, musste ich abwägen, welche Splitter mich überhaupt noch in ihrem Leben haben wollten, damit sich das Puzzeln lohnte.

Mit dem heutigen Tag erwies ich Dads letztem Wunsch alle Ehre. Ich war zurück nach Oakwich gekehrt. So, wie ich es ihm auf seinem Sterbebett versprechen musste.

Dad wollte seine letzte Ruhe neben Mom finden. An dem Ort, an dem er mit ihr die schönste und gleichzeitig die schlimmste Zeit seines Lebens verbracht hatte.

Ich sah wieder zu Lainy. Mit jedem Schritt, den sie tat, brachte sie eine Distanz zwischen uns, die mir mehr und mehr die Brust zuschnürte.

Ich beobachtete, wie sie im Schatten eines Baumes stehen blieb. Es war Allie, die einen Arm um sie legte und sie zum Ausgang geleitete. So wie sie sich an sie schmiegte, musste es sie viel Kraft und Überwindung gekostet haben, am heutigen Tag hierherzukommen.

Ich kannte die Meinung, die Lainy von Dad hatte. Ja, es gab sogar eine Zeit, da hasste ich ihn genauso abgrundtief. Eine Zeit, in der ich mir gewünscht hatte, er wäre an Moms Stelle bei dem Autounfall gestorben.

Nach all den Jahren war ich mir sicher, dass sich Lainys Meinung, im Gegensatz zu meiner, nicht geändert hatte.

Wie auch? Lainy hatte ja keine Ahnung, wie unser letztes Jahr nach Dads Diagnose verlaufen war.

»Komm.« Clay griff meine Schulter und zwang mich ihn anzusehen. »Ethan und die Jungs warten sicher schon auf uns. Lass uns gehen.«

Die Rodeo Bar war für einen kalten Samstagnachmittag im Oktober verhältnismäßig leer. Allein das Läuten der Türe genügte, um Erinnerungen in mir wachzurütteln. Warme stickige Luft und der Geruch nach Bier, Zigaretten und fettigem Essen fühlten sich an wie eine Reise in die Vergangenheit. Auch hier hatte sich seit damals kaum etwas verändert, stellte ich fest.

Im Eingangsbereich befand sich immer noch der Tresen. Er war groß und offen. Über der Reihe der alkoholischen Flaschen an der Wand war ein riesiges eingestaubtes Geweih angebracht und die Barbesucher platzierten ihre Hintern noch immer auf den gleichen abgenutzten und durchgesessenen alten Stühlen.

Direkt in der Mitte der Bar war ein Boxring mit einer Weichbodenmatte errichtet. Mittig der Matte war ein »Bulle« drapiert, der an den Rodeoabenden zu besiegen war. Die Gäste konnten sich bequem an einen der Tische mit Stühlen darum herum setzen und ganz nebenbei dem Spektakel zusehen.

Clay lotste mich zielstrebig in den hinteren Teil der Bar. Als wir uns zwischen den ersten Tischen hindurchgeschoben hatten, kam mir ein bekanntes, seit Jahren nicht mehr gesehenes Gesicht entgegen.

»Ian.« Wie in alten Zeiten nahm er mich freundschaftlich in den Arm.

Unsere Mütter waren früher gute Freundinnen gewesen, daher kannten wir uns von Windeltagen an. Ethans Dad starb drei Jahre vor seinem Highschoolabschluss. Anstatt zu studieren, wie es die Meisten getan hätten, schmiss er die Schule, übernahm die Farm seines Vaters und lebte seither das klassische Cowboyleben, wie es in Büchern steht.

Ethan war wohl außerdem der Einzige meiner ehemaligen Freunde, der nichts für Eishockey übrighatte. Ich glaubte sogar, dass er noch nie in seinem Leben auf Kufen stand.

»Schön dich zu sehen«, sagte er und löste sich dabei von mir. »Auch wenn ich mir andere Umstände für unser Zusammenkommen gewünscht hätte.«

»Ich mir auch«, gab ich mit trockenem Mund von mir und schluckte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, hinunter. »Clay hat mir das mit deiner Mom erzählt. Wie geht es Molly?«

Clay hatte mir auf der Fahrt hierher gesteckt, dass Molly, Ethans Mom, an Demenz erkrankt und nun auf Ethans Hilfe im Alltag angewiesen war. Ethans neues Leben, die Farm gewinnbringend zu führen und sich gleichzeitig um seine Mom zu kümmern, belastete ihn immer stärker und hatte schon lange Einfluss auf seine berufliche Arbeit genommen. Lange Schichten bis spät in die Nacht, wenig Schlaf und die ständige Sorge um seine Mom kennzeichneten ihn deutlich. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn vertieften sich automatisch, als ich Mollys Namen in den Mund nahm.

Viel zu gut konnte ich nachvollziehen, wie Ethan sich fühlen musste: die Hilflosigkeit, die Angst und die Wut nichts an der Situation ausrichten zu können.

Ethan warf Clay, der den Kopf gesenkt hatte, einen kurzen Seitenblick zu. Dann sah er wieder zu mir. »Ich halte mich an jeder winzigen Eigenschaft fest, die sie noch nicht verlernt hat.«

»Falls du Hilfe brauchst, egal um welche Arbeit es sich auch handelt, sag mir Bescheid«, bot ich ihm ehrlich an. Er sollte wissen, dass er auf mich zählen konnte.

Ethan schob seine Hände in die Hosentaschen. »Ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen, aber von Toronto bis nach Oakwich ist es nicht gerade ein Katzensprung Ian. Da werde ich dich nicht wegen einem entlaufenen Rind anrufen.«

»Wer sagt denn, dass ich gleich wieder nach Toronto gehen werde?«

»Gehst du nicht?«, fragte Clay überrascht.

»Ich habe es zumindest nicht gleich wieder vor, nein.«

Nicht nachdem ich erfahren hatte, das Lainy in der Stadt war, aber diesen Grund behielt ich für mich.

Ehe Clay mir eine weitere Frage stellen konnte und ich Stellung dazu nehmen musste, fragte ich an Ethan gerichtet: »Sind die anderen schon da?«

»Sie warten hinten.«

»Dann sollten wir sie nicht länger warten lassen.«

Ethan nickte, wandte sich um und setzte sich in Bewegung. Ich tat es ihm gleich, spürte aber die ganze Zeit Clays eindringlichen Blick in meinem Rücken, der Antworten von mir haben wollte.

Wir stoppten an einem runden Tisch, der vom Blick der restlichen Gäste geschützt lag. Als mich die Jungs kommen sahen, alles bekannte Gesichter, stand einer nach dem anderen auf und klopfte mir teilnahmsvoll auf die Schulter. Lennon Malone, Oliver White, Alex Bennet, Eric Bentley, Phil Daski. Meine engsten Freunde von früher waren alle da.

Einen Teil von ihnen hatte ich bereits bei der Beisetzung angetroffen, andere wie Ethan, Malone oder White sah ich in diesem Moment nach Jahren das erste Mal wieder.

Dad und ich hatten nie über sein Begräbnis gesprochen. Während bei Mom damals halb Oakwich anwesend war, alles Leute wohlbemerkt, die sie liebten, sie zu schätzen wussten und ehrlich um sie trauerten, fühlte sich ein großes Begräbnis bei ihm falsch an.

Dads Bekanntenkreis war seit unserem Umzug nach Toronto stetig gewachsen. Als angesehener Coach lernte er viele neue und auch einflussreiche Personen aus der Eishockey League kennen. Aber keiner, wirklich keiner davon scherte sich mehr um ihn, als er seine Arbeit als Coach nicht mehr fortführen konnte. Diesen Leuten ging es einzig und allein um ihren Profit und darum, wie viel Geld ihnen Dad mit dem Trainieren ihrer Spieler einbrachte.

Aus diesem Grund hatte ich mich entschieden Dads Begräbnis mit ein paar Flaschen Bier und einigen Jungs aus unserer Vergangenheit in der Rodeo Bar zu gedenken.

»Lennon Malone.« Ich reichte meinem ehemaligen Teamplayer die Hand. Tatsächlich waren er und ich die Einzigen aus dem Team, die sich in all den Jahren einen Namen in der Eishockey League gemacht hatten. Vor etwa vier Jahren wurde er von einem Talentscout entdeckt und schaffte es schließlich bis in die National Hockey League.

Malone war schon immer verdammt ehrgeizig und noch dazu einer der stärksten Verteidiger, die ich kannte. Nahezu jede Mannschaft fürchtete sich vor seinen scharfen, unvorhergesehenen Schüssen. Einzig und allein sein Ruf als Frauenheld überschattete seinen Ruhm in letzter Zeit.

»Tut mir echt leid, Mann!«, sagte er und drückte fest meine Hand. »Ich wusste nicht, dass es so schlimm um ihn steht.«

Der spürbare Schmerz, der mir seit Dads Tod in der Brust lag, pulsierte in meinem Körper wieder. Ich glaube, das hat niemand.

Vor etwa sechs Monaten entdeckten Ärzte bei meinem Vater während einer Routineuntersuchung Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium. Der Krebs hatte bereits Metastasen gebildet, welche die lokalen Lymphknoten und das Skelett befallen hatten. Das Einzige, was die Ärzte uns versprachen, waren ein paar schmerzfreie Monate. Mehr nicht.

Für einen geschäftigen Mann, wie Dad einer war, der bis dato jeden Tag in der Eishalle verbracht und seine Mannschaft trainiert hatte, glich diese Diagnose einem Faustschlag ins Gesicht. Doch trotz seines massiven körperlichen Abbaus hielt ihn nichts zurück, morgens aufzustehen, zur Arbeit zu fahren und seine Mannschaft zu wichtigen Auswärtsspielen zu begleiten. Ich glaube, dass ihm trotz der ärztlichen Hinweise bis zuletzt nicht klar war, dass er nie wieder gesund werden würde.

Dieses Niveau hielt er geschlagene vier Monate lang durch. Bis er einen Zusammenbruch erlitt, zum Pflegefall wurde und die Ärzte mir dringend ans Herz legten, einen Psychologen einzuschalten. Das war der Punkt, an dem ich realisierte, wie ernst es tatsächlich um meinen Vater stand. Wie krank er wirklich war.

»Seine Chancen auf Heilung waren von Anfang an ziemlich schlecht. Keiner wusste, wie lange er durchhalten wird«, sagte ich betroffen in die Runde, da auch der Rest der Jungs unserem Gespräch folgte.

Lennons Lider senkten sich auf halbmast. »Ich habe den Coach vor ein paar Monaten das letzte Mal bei einem unserer Spiele gesehen. Wir haben ein paar Worte miteinander gewechselt. Hätte ich gewusst, dass -« Lennon stockte.

Ich schüttelte den Kopf. Diesmal war ich derjenige, der ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter legte. »Glaub mir, er hätte nicht gewollt, dass du ihn bemitleidest. Eher hätte er dich aus dem Spiel schmeißen lassen und dir die Lizenz entzogen, wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verloren hättest.«

Mit meiner Aussage schaffte ich es, dass einer seiner Mundwinkel in die Höhe zuckte. »Wahrscheinlich hätte er das wirklich«, stimmte er mir zu. »Wutentbrannt, mit feuchter Aussprache und knallrotem Kopf.«

Das lockte auch mir ein sachtes Schmunzeln ins Gesicht. Ja, so war Dad. Willensstark, zielbewusst und nicht selten ein riesiges Arschloch. Ein Arschloch, das ich lange Zeit wie die Pest höchstpersönlich gehasst hatte.

Gott, wenn ich mich zurückerinnerte, durchlebten wir bei jeder unserer Trainingseinheiten Höllenqualen. Vor allem dann, wenn Dad mit unserer Leistung nicht zufrieden war. Sprichwörtlich haben wir Blut und Wasser geschwitzt, um seinen Ansprüchen zu genügen. Meist ohne wirklichen Erfolg.

»So wie damals, als er Clay und Rosalie gemeinsam in der Besenkammer erwischt hat«, warf Alex in die Runde und nickte anerkennend zu meinem Freund. »Das gesamte Team hat für deine drei Minuten den Kopf hinhalten müssen. Bis heute stehst du tief in unserer Schuld.«

»Fünf. Es waren mindestens fünf!«, korrigierte Clay, ehe er bei der Erinnerung stöhnend das Gesicht verzog. »Ich dachte wirklich jetzt ist es mit meinen Nachkommen vorbei und er reißt mir eigenhändig die Eier ab.« Er fasste sich schützend an den Schritt, während die anderen leise lachten.

»Ein Hoch auf deine schnelle Reaktionsfähigkeit, der du zu verdanken hast, dass du dir noch die Hose hochziehen konntest«, sagte Oliver, dessen Schultern bebten. »Ian, wie hast du das nur all die Jahre ausgehalten? Dein Dad hat dir sicherlich jedes Mädchen vergrault, dem du auch nur einen unschuldigen Blick zugeworfen hast, oder?«

Das Lachen verstummte und mehrere neugierige Augenpaare richteten sich auf mich. Nervös sah ich in die Runde. Clay starrte wie gebannt auf einen Punkt an der Wand hinter mir. Sein Körper wirkte angespannt, seine Miene gab jedoch nichts von seinen Gedanken preis.

»Ich …«, begann ich und suchte nach einer zündenden Idee, die Aufmerksamkeit von mir weg zu lenken. Von diesem Thema weg zu lenken. Die Sache zwischen Lainy und mir sollte geheim bleiben und ich würde weiß Gott nicht heute davon zu erzählen beginnen. Schon gar nicht in dieser Runde.

Als weitere Sekunden vergingen, ohne dass ich etwas sagte, fing ich mir Ethans fragenden Blick ein. Er zog die Brauen zusammen und musterte mich aufmerksam.

»Also ich …«, begann ich erneut, verstummte allerdings gleich wieder. Herrgott nochmal. Sag doch was. Irgendwas. Reiß dich zusammen und schüttle dir eine glaubhafte Geschichte aus dem Ärmel!

Während ich weiter versuchte, eine Antwort im Kopf zusammenzuspinnen, durchbrach ein Räuspern die Stille.

»Natürlich hat Ian Mädchen abgeschleppt«, hörte ich Ethan für mich sagen. Er trat einen Schritt vor und sah mich dabei an. »Er war nur so schlau und hat sich dabei nicht erwischen lassen. Nicht wahr?«

Ich blinzelte. Perplex und dankbar zugleich. »Äh … ja. Ja, so war es wohl.«

Alex schien zu überlegen. »Dass du damals Clays kleiner Schwester helfen durftest, ist für mich immer noch ein Rätsel.«

Bei der Erwähnung dieses Themas hielt ich die Luft an. Unbemerkt schielte ich zu Clay, der immer noch seinen Blick starr auf die Wand gerichtet hielt.

Auffallend stark zuckte sein Kiefermuskel, als läge ihm etwas auf der Zunge, das ihm jedoch nicht über die Lippen gehen wollte.

»Wie geht es Lainy eigentlich?«, fragte Lennon an Clay gerichtet. »Seit ich aus Oakwich weggezogen bin, habe ich sie nicht mehr gesehen.«

Immer noch hielt Clay es nicht für wichtig genug, mich anzusehen.»Gut«, sagte er nur. »Lainy geht es gut.«

Kapitel 3

Ian

Anderthalb Stunden und zwei Runden Bier später hatte ich mein Sakko über die Stuhllehne gehängt, die Ärmel meines Hemds hochgeschlagen und folgte aufmerksam einer Unterhaltung über … Na?

Richtig! Eishockey.

Aber egal. Ich war dankbar für jede Minute, in der meine Gedanken nicht zu Dad oder gar zu Lainy abdrifteten. Seit unserer Begegnung auf dem Friedhof erwischte ich mich nämlich viel zu oft dabei, wie ich genau das tat.

Lainy war hier. Hier in Oakwich. Die ganze Zeit über. Mein Verstand wollte das immer noch nicht recht glauben. Viel zu viele Fragen schwirrten in meinem Kopf. Neben die Fragen, warum sie Oakwich nie verlassen hatund weswegen sie ihren Lauf nicht zu Ende geführt hatte, gesellten sich nun solche, die mich noch viel weniger angingen.

Hatte sie all die Jahre hin und wieder an mich gedacht? Lebte sie allein? War sie mit jemandem zusammen?

Bei Letzterem zog etwas an meinen Eingeweiden und hinterließ dort einen dumpfen Schmerz. Was, wenn es tatsächlich so war? Was, wenn all das auf sie zutraf?

»Ian, was hältst du denn von ihm?«

Aus den Gedanken gerissen blinzelte ich mehrmals irritiert und sah Daski, der mir eine Frage gestellt hatte, an. »Was?«

»Was du von Viktor Anderson hältst?« Während er auf eine Antwort von mir wartete, trank er einen Schluck aus seiner Flasche.

»Er ist ein ausgezeichneter Spieler. Wird es wohl noch weit bringen.«

Daski verschluckte sich und klopfte sich hustend auf den Brustkorb. »Ohh nein! Du bitte nicht auch noch!«, warf er mir anklagend an den Kopf, als er sich wieder unter Kontrolle hatte.

Ich zuckte lässig mit den Schultern. »Er ist gut.«

Daski stellte seine Bierflasche zurück auf den Tisch und schüttelte mit gequälter Mine den Kopf. »Dieser Mann ist gerade ein viraler Hype. Mehr nicht. Es gibt zig andere Spieler, die besser sind als er.«

»Aber keiner von denen hat sein Aussehen geerbt«, merkte Bentley an und kassierte mit dieser Aussage einen finsteren Blick von unserem ehemaligen Mitspieler.

»Ian hat Recht. Er sieht nicht nur gut aus, sondern hat auch noch echt was auf dem Kasten. Er ist ein ernstzunehmender Gegner. Mit diesem Typen werde ich noch viel Spaß haben.« Lennon grinste wie ein Honigkuchenpferd.

»Verdammt, der Kerl trägt einen Helm! Sein poliertes Gesicht juckt das Eis nicht die Bohne. Im Gegenteil. Ein richtiger Zweikampf mit Malone und seine Karriere als glänzende Weihnachtskugel hat ein Ende.«

»Wenn du da mal nicht seine Fähigkeiten unterschätzt, Daski«, sagte ich und trank einen Schluck von meinem Bier.

»Ich unterschätze gar nichts.« Er wandte sich an Malone. »Tu mir den Gefallen und zeig diesem Viktor, wer von euch beiden den Schläger fester in der Hand hält. Mach ihn fertig und das am besten schon in der ersten Sekunde.«

»Das ist doch Bullshit!«, mischte sich plötzlich Ethan ein. Gespräche, die von Eishockey handelten, verfolgte er in der Regel schweigend. Umso erstaunter war ich, dass er jetzt etwas zu sagen hatte und es offensichtlich loswerden wollte.

»Ihr habt vergessen, dass das letzte Drittel eines Spiels das Wichtigste ist«, fuhr er fort. »Alles, was davor passiert, ist Zeitvertreib. Lass den Kerl zappeln, treib ihn von einem Eck ins nächste, ohne dabei selbst aus der Puste zu kommen. Irgendwann wird er einen Fehler machen und dann ZACK«, er klatschte mit der Faust auf den Tisch, »knöpfst du ihn dir vor.«

Ich starrte Ethan an.

»Was denn?« Er zuckte mit den Schultern. »Nur weil ich selbst nicht spiele, heißt das noch lange nicht, dass ich mich nicht dafür interessiere. Ich war immerhin mal auf einem eurer Spiele.«

»Wobei du eingeschlafen bist«, zog ich ihn auf.

»Ich hatte eine echt anstrengende Nacht hinter mir. Ihr könnt froh sein, dass ich überhaupt gekommen bin!«

»Und wie wir das sind.« Malone schmunzelte und rieb sich den Hals.

»Haben wir das Spiel nicht gewonnen?«, erinnerte ich mich fragend zurück.

»Es war ein Spiel auf Zeit«, meinte Oliver, der damals für uns im Tor stand. »Ich dachte wirklich, der Coach bringt uns um, wenn wir es nicht schaffen, das Ruder noch herumzureißen und den letzten Punkt für uns zu holen. Dieser Mann konnte einem echt Angst machen.«

»Er hätte auf jeden Fall dafür gesorgt, dass wir einen Kopf kürzer sind«, versicherte ihm Alex und deutete dann auf mich. »Du kannst dich glücklich schätzen, dass du ihn nur auf dem Eis ertragen musstest und nicht auch noch zu Hause, so wie Clark.« Mein ehemaliger Teamkollege hob leidvoll seine Bierflasche in meine Richtung.

Ohne Vorwarnung zog sich bei seinen Worten die Schlinge in meinem Magen enger. Während all die anderen Jungs eine unbeschwerte Kindheit und Jugend durchleben durften, war meine Zukunft genauestens durchgeplant. Als Sohn des Trainers konnte ich mir keinen Fehler leisten. Und wenn es doch so war dann … ich schluckte. Ein eisiger Schauer schlich sich bei der Erinnerung mein Rückgrat hinunter.

Gefühle und Bilder tauchten in meinem Gedächtnis auf. Bilder, die ich in den letzten sechs Jahren erfolgreich verdrängt hatte und höchstens in meinen allerschlimmsten Albträumen zuließ. Gefühle, die mir den Boden unter den Füßen wegrissen und mich im freien Fall ins Nichts stürzen ließen.

Er hatte sich geändert. In den letzten Monaten vor seinem Tod war Dad nicht mehr der Mann von früher gewesen.Auch wenn ich nie eine Entschuldigung oder ein Danke von ihm zu hören bekommen hatte, spürte ich, dass ihm unser schlechtes Verhältnis der vergangenen Jahre zu schaffen machte. Jeder andere mochte vielleicht von Karma sprechen, aber ich wagte nicht einmal dieses Wort in den Mund zu nehmen.

Rückblickend war das letzte Jahr unser bestes gewesen. Ich hatte ihm nie verziehen, ich hatte nur gelernt, damit zu leben.

Nachdem wir Oakwich verlassen hatten, hatte es Monate gedauert, bis ich wieder ein Wort mit ihm gesprochen hatte.

Der Verlust, das, was er mich gezwungen hatte zurückzulassen, war zu bedeutungsvoll für mich, als dass ich es hätte von einem Tag auf den anderen hinter mir lassen können. Ich musste meinen Koffer packen und in den nächstbesten Flieger nach Toronto steigen. Gott, wie hatte ich ihn dafür gehasst. Wie hatte ich mich dafür gehasst! Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich musste Lainy beschützen.

In den nachfolgenden Jahren konnte ich es kaum erwarten, meinen einundzwanzigsten Geburtstag zu feiern, um endlich von ihm loszukommen. Dieses Mal hatte ich freiwillig meinen Koffer gepackt und war gegangen.

Ich hatte versucht, etwas aus meinem Leben zu machen. Mit meinem Abschluss in der Tasche schaffte ich es, mir ein eigenes Standbein als Co-Trainer aufzubauen. Ich führte ein verhältnismäßig ruhiges Leben und der Kontakt zu meinem Vater brach ab. Jahrelang herrschte zwischen uns beiden Funkstille, bis mich Dad vor einem Jahr aufgesucht hatte, um mir seine Diagnose mitzuteilen.

»Es … war nicht immer einfach mit ihm«, brachte ich über die Lippen und rieb dabei fahrig mit den Fingerspitzen über das Glas meiner kühlen Bierflasche. »Wir hatten unsere Schwierigkeiten, unsere Probleme, aber im letzten Jahr ist es ihm durchaus gelungen, sich zusammenzureißen. Er hat mir zugehört. Er …«, ich schluckte, »er hat sich verändert. Zum Positiven.«

Ich ließ meine Worte einen Moment sacken, dann sah ich in die Runde. Alle beobachteten mich. Alle, bis auf Clay. Seine Gesichtszüge hatten sich verdüstert und seine Schultern waren zum Zerbersten angespannt. Er hockte mit zusammengepressten Lippen mir gegenüber und wich meinen Blicken seit der Erwähnung meines Vaters gekonnt aus.

»Lasst uns anstoßen«, durchbrach Ethan meinen emotionalen Höhenflug. Er winkte der kleinen rothaarigen Bedienung zu, die sofort getänzelt kam, sich tief über ihn beugte und ihm eine erstklassige Aussicht auf ihr weit geschnittenes Dekolleté ermöglichte. Ethan flüsterte ihr etwas ins Ohr und schenkte ihr ein smartes Grinsen, woraufhin sie mit erröteten Wangen nickte und zurück zur Bar ging. Kaum eine Minute später kam sie mit einem Tablett in der Hand zurück und stellte jedem von uns ein bis zum Rand gefülltes Schnapsglas vor die Nase.

Noch bevor ich einen Toast auf Dad aussprechen konnte, knarzten Stuhlbeine über den abgetragenen Linoleumboden und Clay erhob sich. Schwungvoll streckte er sein Glas in die Höhe, sodass es überschwappte und der Inhalt über den Rand auf den Boden und seine Hand tropfte.

Unbeirrt von der Sauerei schaute er von einem zum anderen, bis er schließlich bei mir verharrte. Es war das erste Mal seit Stunden, dass er mich ansah und langsam tat sich das Gefühl in mir auf, dass es einen Grund dafür gab, warum er meinem Blick stets ausgewichen war und Distanz eingenommen hatte.

In seinen Augen spiegelte sich blanke Verachtung wider. Eindeutig. Dieser Eindruck bestärkte sich nur noch, als die ersten Worte über seine Lippen glitten, sodass keiner in der Runde es auch nur wagte, einen Atemzug zu tätigen.

»Auf den Coach. Unseren ehrgeizigsten Trainer, Ians liebenden Vater und das größte aller Arschlöcher, das mir je begegnet ist!«

Gelähmt von Clays Worten hielten die anderen in ihren Bewegungen inne. Lennon, Alex und Phil starrten Clay mit offenen Mündern an, während Oliver schwer schluckte und Eric den Griff um sein Schnapsglas festigte. Einzig Ethan wagte es, zwischen uns beiden hin und her zu sehen.

Clay stürzte sein Glas mit nur einem kräftigen Schluck hinunter, schnappte sich seinen Mantel von der Stuhllehne und verließ mit schnellen Schritten die Bar.

Zur Salzsäule erstarrt, starrte ich einige Sekunden auf die Stelle, an der er gerade eben noch gestanden hatte. Was zur Hölle sollte der Scheiß?

Die Wut über die Bedeutung seiner Worte sickerte langsam zu mir hindurch. Packte mich. Endlich setzten sich meine Beine in Bewegung und ich rannte ihm hinter.

»Ian nicht!« Ich ignorierte Ethans Ruf. Er war ebenfalls aufgestanden und folgte mir. Ich schaffte es nicht einmal bis zur Bar, da hatte er mich auch schon an der Schulter gepackt. Mit einer schnellen Bewegung wirbelte ich zu ihm herum und hob in einer wilden Geste die Hand. Er sollte jetzt besser nicht versuchen, mich abzufangen. Geschweige denn, mir auszureden, Clay nicht zu folgen. Sofort nahm er seine Hand von mir und ging auf Abstand.

»Ian, vielleicht solltest du …«, begann er dennoch, aber ich schnitt ihm das Wort ab.

»Er hat meinen toten Vater ein Arschloch genannt, Ethan. Sicher, er war kein einfacher Mensch, aber … scheiße, er hat es am Tag seiner Beisetzung getan! Vor der halben Mannschaft. Was ich sollte, ist ihm hinterherzugehen und ihn zur Rede zu stellen!«

Ich musste auf der Stelle wissen, was Clay dazu trieb, derart schändlich über meinen Dad herzuziehen. Zumal ich doch alles getan hatte, um seine Schwester vor ihm zu beschützen.

Ethan ließ die Schultern sacken und musterte mich beunruhigt. »Okay, wie du meinst«, sagte er halbherzig. »Ich schicke die Jungs nach Hause.«

Ich nickte knapp, machte auf dem Absatz kehrt und bahnte mir einen Weg durch das Gedränge der jetzt volleren Bar nach draußen. Mehrmals musste ich mich entschuldigen, bis ich es endlich schaffte und die Tür erreichte.

Draußen schlug mir sofort die Kälte des Abends wie eine Wand entgegen. Ich spähte die Straße entlang, ehe ich Clay etwa fünfzig Meter bergaufwärts ausmachte. Sofort nahm ich Tempo auf und hastete ihm hinterher. Ich hatte Mühe, mit meinen Schuhen nicht auf den vereisten Stellen unter der dünnen Schneeschicht auszurutschen.

»Clay, bleib stehen!«

Keine Reaktion von ihm. Er lief einfach weiter. »Scheiße, warte gefälligst!«

Er peilte seinen Wagen auf der anderen Straßenseite an. Es war bereits dunkel und hatte leicht zu schneien begonnen. Zarte Flocken verfingen sich in meinen Haaren und blieben auf der Straße liegen.

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich nach deiner Ansage jetzt einfach so gehen lasse?«

Endlich zeigten meine Worte eine Wirkung. Seine Schritte wurden langsamer, bis er mit dem Rücken im Schein einer Straßenlampe zum Stehen kam und ich ihn einholte.

»Clay!« Diesmal musste ich nicht rufen. »Was war das? Was sollte das gerade eben in der Bar?«

»Geh wieder rein, Ian!«

»Nicht bevor wir das geklärt haben!«

Schnaubend fuhr er zu mir herum und trat drohend einen Schritt auf mich zu. »Du hast keine Ahnung! Du hast verdammt nochmal keine Ahnung, Ian!«

Was zur Hölle …? Ich hob die Schultern. »Natürlich habe ich die nicht. Woher denn auch? Ich bin seit Jahren das erste Mal hier und das auch nur, weil mein Dad tot ist. Ich fühle mich wie ein beschissener Außenseiter.«

»Mir kommen gleich die Tränen.«

»Clay …«

»Verschon mich mit deiner Vater-Sohn-Geschichte! Du tust ja gerade so, als sei dieser Mann ein Heiliger gewesen.« Verwerflich verzog er das Gesicht.

»Ein Heiliger? Willst du mich verarschen? Wir wissen beide, dass er das nicht war.«

»Wieso sprichst du dann so von ihm? Du hast ihn da drinnen vor den Jungs angepriesen, als sei er ein toller Mensch gewesen, den man gerne haben muss!«

»Was? Das habe ich nicht getan!«, rechtfertigte ich mich.

»Sag doch wenigsten einmal die Wahrheit, Ian.«

»Ich sage die Wahrheit«, zischend sog ich die Luft ein. Jetzt wurde auch ich ungehaltener. »Er war kein guter Mensch, aber er war mein Vater, Clay.«

»Gut, dass du mich daran erinnerst!«, spöttisch lachte er auf. »Dann hast du ja sicherlich nicht vergessen, was er dir all die Jahre angetan hat. Wie er dich behandelt und grün und blau geschlagen hat, dass du ohne Sonnenbrille nicht das Haus verlassen konntest. Du hast Höllenqualen gelitten, Ian. Hast du das alles vergessen?«

»Natürlich habe ich das nicht … ich …«

»Ich hab mich zwischen dich und deinen ach so tollen Daddy geworfen, weil er dich sonst zu Tode geprügelt hätte. Ich habe meine Eltern für dich belogen. Hast du eigentlich die leiseste Ahnung, wie es sich anfühlt, seinen besten Freund leiden zu sehen?«

Ein harter Kloß aus Schmerz sammelte sich in meiner Brust. Wurde bei jedem seiner Worte größer. Um ihm nicht zu zeigen, wie es in mir aussah, ballte ich die Hände zu Fäusten.

»Dad hat sich im letzten Jahr geändert, Clay. Er war nicht mehr derselbe.«

Clay schnaubte auf. Dann schüttelte er den Kopf und sah mich durch schmale Augen an. »Niemand, nicht einmal der Coach ändert sich, Ian. Einmal ein manipulierendes herzloses Arschloch, immer ein Arschloch. Die Gleichung ist ganz einfach.«

Ich presste die Zähne zusammen. »Früher war er das ja, da gebe ich dir sogar recht, aber am Ende war er ein Anderer.«

»Hör endlich auf, dir was vorzumachen, Ian. Der Mann lag im Sterben, wenn überhaupt war das allein der Grund für seinen Sinneswandel. Denk doch mal nach. Was ist mit den Jahren davor? Hat er sich da von seiner besten Seite gezeigt? Dich mit Liebe überschüttet?«

Nein, das hatte er nicht.

»Merkst du was?«

»Du … ich versteh das nicht. Wenn du ihn so abgrundtief gehasst hast, warum hast du mir dann überhaupt angeboten, bei seiner Beisetzung behilflich zu sein? Warum hast du neben mir gestanden, als sein Leichnam in die Erde gelassen wurde? Warum, Clay?«

Clays Gesichtszüge wurden steinhart. Hätte ich nicht so viel Zeit mit ihm als Jugendlicher verbracht, wäre ich vielleicht zurückgeschreckt. Aber ich kannte ihn. Er war kein aggressiver Mensch. Er hasste körperliche Gewalt, so wie ich es tat.

Er kam einen Schritt näher. »Ich wollte dabei sein.« Seine Stimme klang rau. Untermalt von einem Hauch abgrundtiefem Hass schob er den Kiefer vor. »Ich wollte dabei sein und es mit eigenen Augen sehen, wie dieser Mann unter die Erde kommt. Das ist der Grund.«

Wie in Zeitlupe wich mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Seine Worte hätten mich nicht mehr schocken können. Ich fuhr zurück und starrte ihn an.

Ich starrte und starrte und starrte.

Und je länger sich diese unsagbar kalte Stille zwischen uns ausbreitete, desto klarer wurde mir, dass er jedes seiner Worte ernst meinte. Jedes. Einzelne. Wort.

»Ich verstehe nicht …«, brachte ich die Worte mit brüchiger Stimme hervor.

»Du läufst blind durch die Gegend, Ian. Wach endlich auf und sieh der Tatsache ins Gesicht, dass dein Vater dir eine Lüge nach der anderen aufgetischt hat. Und das bis zu seinem Ende!«

»Nein, du irrst dich.«

»Ich soll mich irren?! Ernsthaft?« Seine Lippen wurden schmal vor aufkeimender Wut. »Wenn du mir sowieso nicht glaubst, warum bist du dann noch hier? Was interessiert es dich, was ich über dich oder deinen Vater denke, wenn du doch irgendwo in Toronto hocken kannst, wo dir unser Leben am Arsch vorbeigeht und du dich um nichts scheren musst?«

»Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.«

»Ganz genau. Du hast keine Ahnung. Und das ist allein dein Verdienst!«

An Clays verschlossener Haltung merkte ich, dass dieses Gespräch völlig aus dem Ruder gelaufen war. Seine Worte, die er mir an den Kopf warf, waren getränkt von bitterlicher Enttäuschung und brodelnder Wut, die sich allein gegen mich richtete.

»Was hat er getan Clay? Wovon weiß ich nichts?«, fragte ich, weil ich nicht länger gegen ihn ankämpfen wollte. Bestand etwa die schreckliche Möglichkeit, dass ich trotz meines Fortgangs Lainy nicht hatte vor meinem Vater beschützen können? War es möglich, dass alles umsonst gewesen war?

»Clay!« Ich wollte endlich Klarheit, dieses ständige um den heißen Brei herumreden, brachte mich langsam um den Verstand.

Clay straffte die Schultern. Seine Stimme war schneidend wie ein Messer, als er mir endlich antwortete. »Du hast dich genauso verhalten wie er!«, brüllte er mit erhobenem Zeigefinger.

Ich zuckte zusammen. Ich hatte mich wie mein Vater verhalten? Ich? Wann zur Hölle sollte ich das getan haben?

»Du bist gegangen. Du hast sie im Stich gelassen!«

Ich konnte ihn nur anstarren. Die ablehnenden Gefühle, die ich noch vor wenigen Sekunden verspürt hatte, verpufften schlagartig. Stattdessen trat ein abscheuliches Gefühl von Selbstanklage an ihre Stelle. Denn ich hatte nicht mit seiner Enttäuschung gerechnet, die wie ein kalter Atemzug in seiner Stimme mitschwang.

»Was? Von wem sprichst du?«

Er wusste nichts von Lainy und mir. Er konnte nichts von uns wissen. Oder?

Clay sah mich lange an. Zu lange. Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte, aber mir war klar, dass er mir nicht mehr verraten würde. Ich konnte also nur hoffen, dass meine schlimmste Befürchtung nicht eingetreten war.

Mit meiner Selbstbeherrschung kämpfend, um ihm die Antwort nicht aus dem Leib zu schütteln, ballte ich die Hände zu Fäusten und trat einen Schritt auf ihn zu. »Wird es ab jetzt immer so sein? Zwischen uns?«

Clays Gesicht zeigte keine Regung. »Geh wieder rein, Ian, und trauere um deinen Daddy, das kannst du ja so gut. Wir sind fertig miteinander!« Er spuckte die Worte aus, als seien sie Abschaum. Dann wandte er sich um und lief zu seinem Wagen. Ich ging ihm nicht nach. Nicht noch einmal. Seine Worte waren klar und deutlich. Er war fertig mit mir.

Noch lange nachdem die Rücklichter seines Wagens in der Dunkelheit verschwunden waren, stand ich da und starrte ins Leere.

Scheiße. Was zum Teufel hatte mein Vater getan?

Kapitel 4

Elaine

»Wie fühlst du dich?« Allie kam mit zwei frisch aufgebrühten Tassen Tee aus meiner kleinen Küche zurück. Dankend nahm ich ihr eine davon ab und ließ den Beutel ein paar Mal unachtsam auf und ab schwappen.

»Es geht schon«, gab ich murmelnd von mir und sah zu, wie mein Teewasser dampfend über meiner Tasse schwebte.

Ich spürte, wie das weiche Polster auf der Couch neben mir nachgab und sie mich eindringlich von der Seite musterte.

»Rede mit mir, Lainy. Seit wir den Friedhof verlassen haben, hast du kaum etwas gesagt.«

»Mir ist gerade nicht nach Reden zumute.« Dass ich mich elend fühlte, seit ich Ian wiedergesehen hatte, war nicht zu übersehen. Alles kam wieder hoch. Es fühlte sich an wie ein Schleudertrauma in die Vergangenheit, nur schlimmer. Alles schmerzte, ganz besonders mein Herz.

Allie rückte ihre Hornbrille gerade, während auf ihrer Stirn tiefe Sorgenfurchen erschienen. »Weißt du, es heißt nicht umsonst, dass man sich seine Sorgen von der Seele reden soll. Danach fühlt man sich besser. Befreiter. Und es lastet weniger auf deinen Schultern, weil ich ein Teil deiner Sorgen mittrage.«

Ich warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Ich dachte, du bist Musiklehrerin und keine Psychologin.«

»Wenn du lieber ein erstklassig komponiertes Stück hören willst, das dir hilft dein derzeitiges inneres Gefühlschaos zu bewältigen, ist das auch kein Problem für mich.« Sie hob ihren Hintern leicht an, um aus ihrer hinteren Hosentasche ihr Handy zu fischen und es zu entsperren.

Himmel, nein!

Allies Musikgeschmack war zum Teil so skurril und abgefahren, dass ich keins ihrer Lieblingslieder ertragen konnte. Schon recht nicht heute.

»Keine Musik.« Ich legte meine freie Hand auf ihr Handy, um sie zurückzuhalten. »Bitte.«

Sie sah mich einen Moment lang an, nickte jedoch verständnisvoll. Erst als sie ihr Handy zurück in ihre Tasche gleiten ließ, holte ich tief Luft. »Ich hätte nicht hingehen sollen«, wisperte ich leise. »Ich hatte gewusst, dass er da sein würde, dass sein Anblick, seine Anwesenheit zwangsläufig alte Erinnerungen in mir hervorrufen würde. Ich hatte mich darauf eingestellt. Wirklich.«

Was ich allerdings nicht gewusst hatte, war, dass es sich so anfühlte. Als ob eine Narbe nach Jahren aufriss und von Neuem zu bluten begann.

»Süße.« Allie legte ihre Hand auf meine. »Wir wussten beide, dass du nach diesem Wiedersehen ziemlich durcheinander sein würdest. Was damals passiert ist, hat dich aus der Bahn geworfen. Du warst monatelang ein Schatten deiner Selbst. Das haben wir alle am eigenen Leib gespürt. Ich will nicht, dass das wieder passiert. Du hast dich zurück ins Leben gekämpft und darauf solltest du stolz sein. Mach dir deswegen jetzt bitte keine Vorwürfe.« In ihren Augen flackerte Besorgnis auf.

Allie zählte zu den wenigen Personen, die wussten, wie schlecht es mir damals ging. Nicht nur äußerlich, nein, auch seelisch.

Während meines Krankenhausaufenthalts hatte sie mich täglich besucht und war mir nicht von der Seite gewichen. Trotz ihrer immer aufmunternden Worte, ich solle nach vorne schauen, musste sie mit ansehen, wie ich Stück für Stück an den Folgen meines gebrochenen Herzens und des Unfalls zerbrach.

Mich leiden zu sehen und nicht das Geringste tun zu können, um mir aus diesem Teufelskreis herauszuhelfen, hatte auch sie viele Tränen gekostet.

»Es ist nicht so, dass ich mir Vorwürfe mache. Ich wollte es ja. Ich wollte zu dieser Beerdigung, aber …« Ich stockte. Wie sollte ich meiner besten Freundin erklären, wie es sich anfühlte, nach all der Zeit den Mann wiederzusehen, der einem das Herz gebrochen und gedankenlos herausgerissen hatte?

Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, in all den Jahren nicht mehr an Ian gedacht zu haben. Er war nie ganz aus meinen Gedanken verschwunden, dafür war es zu bedeutend, was wir miteinander geteilt hatten. Nie werde ich das Kribbeln in mir vergessen, als wir uns das erste Mal geküsst haben, nie das Brennen seiner Hände auf meiner Haut, wenn er mich berührte, nie den Duft, den er versprühte, wenn er einen Raum betrat, nie … ihn.

»Ich dachte, dieser endgültige Schlussstrich war alles, worauf du seit Jahren gewartet hast?«

Ich schluckte das Gefühl von Verlust hinunter. Dorthin zurück, wo ich es all die Jahre versteckt gehalten hatte. »Ja, das war es auch.«

Allie streichelte meine Hand. »Es ist okay, wenn das Wiedersehen dich durcheinandergebracht hat. Das ist völlig normal. Er war dir wichtig. Deine erste große Liebe. Diese Gefühle vergisst man niemals.«

»Ich fühle überhaupt nichts, was ihn betrifft«, entgegnete ich hart, aber sowohl Allie als auch ich wussten, dass das eine Lüge war.

Ich hatte mich weiterentwickelt. Die Vergangenheit, Ian, all das hatte ich hinter mir gelassen. Zumindest war es das, was ich mir einredete. In Wirklichkeit jedoch hatte ich die Sache zwischen Ian und mir nie überwunden. Die Zeit hatte lediglich meine Gefühle für ihn verblassen lassen. All der Zorn, die Wut und die bittere Erkenntnis, dass er nicht mehr zu mir zurückkehren würde, wurden weniger. Verschwanden jedoch nie ganz. Und jetzt flammten sie wieder auf. Wie ein Feuer, das sich durchs Unterholz seinen Weg suchte.