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Anfang des 22. Jahrhunderts scheint für die Menschheit endlich eine Ruhepause anzubrechen. Die Erde und der Mond sind zurück im Solsystem, es gibt keine Konflikte mit feindlichen Mächten, und die Menschen arbeiten engagiert an der Zukunft ihres kleinen Sternenreichs. Aber dann wächst Mitte 2112 in der Hauptstadt der Erde eine gigantische Stele aus dem Boden. Sie spuckt einen geheimnisvollen Mann aus. Rätselhafte Hypersignale deuten auf eine mögliche neue Bedrohung für die Menschheit hin. Mit dem mächtigen Raumschiff SOL bricht Perry Rhodan zu den Magellanschen Wolken auf. Unterwegs geraten die Terraner in Bedrängnis. Als sie versuchen, Chronopuls-Wall zu überwinden, stranden sie in einer völlig fremden, sternenlosen Umgebung. Dort stoßen sie auf Posbis, die sich überraschend feindselig verhalten, und gelangen auf die seltsame WELT DER CENOTEN ..
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Band 301
Welt der Cenoten
Lucy Guth
Cover
Vorspann
1. In der Dunkelheit
2. Eiseskälte
3. Sammelfieber
4. Schüttelfrost
5. Unterversorgung
6. Im Fuchsbau
7. Nervosität
8. Angriff
9. Die Posbis kommen
10. Prisenkommando
11. Verdacht
12. Pläne
13. Cenoten
14. Ein gescheiterter Versuch
15. Das Kollegium
16. Zuckerwatte
17. Katzer und Mausbiber
18. Flucht
19. Technik und Tod
20. In die Tiefe
21. Ein Ort, unendlich weit entfernt
22. Psi
23. Todesschrei
24. Gesprengte Fesseln
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Anfang des 22. Jahrhunderts scheint für die Menschheit endlich eine Ruhepause anzubrechen. Die Erde und der Mond sind zurück im Solsystem, es gibt keine Konflikte mit feindlichen Mächten, und die Menschen arbeiten engagiert an der Zukunft ihres kleinen Sternenreichs.
Aber dann wächst Mitte 2112 in der Hauptstadt der Erde eine gigantische Stele aus dem Boden. Sie spuckt einen geheimnisvollen Mann aus. Rätselhafte Hypersignale deuten auf eine mögliche neue Bedrohung für die Menschheit hin. Mit dem mächtigen Raumschiff SOL bricht Perry Rhodan zu den Magellanschen Wolken auf.
Unterwegs geraten die Terraner in Bedrängnis. Als sie versuchen, Chronopuls-Wall zu überwinden, stranden sie in einer völlig fremden, sternenlosen Umgebung. Dort stoßen sie auf Posbis, die sich überraschend feindselig verhalten, und gelangen auf die seltsame WELT DER CENOTEN ...
1.
In der Dunkelheit
Leere, nichts als Leere.
Perry Rhodan hallten die Worte durch den Kopf, die Gucky gerade gesprochen hatte: »Wo sind die Sterne hin?«
Das war es, was die Außenkameras der SOL zeigten: unendliches, schwarzes Nichts.
Schwindel erfasste Rhodan, während er in die grenzenlose Finsternis zu stürzen schien. Es war ein unangenehmes Déjà-vu. Genauso war es gewesen, als er damals als Ceynach erwacht war, als ein Gehirn ohne Körper.
Das Gefühl wurde zudem dadurch verstärkt, dass auch in der Zentrale Dunkelheit herrschte. Die Beleuchtung war komplett ausgefallen. Nur einige Konsolenlichter und Bedienelemente leuchteten schwach. Im ersten Moment hatte er geglaubt, gar nicht mehr an Bord des Hantelraumschiffs zu sein.
Er musste sich an der Lehne des Sessels neben ihm festhalten, um nicht zu stürzen. Er atmete tief durch, bis sich sein rasender Herzschlag etwas beruhigte. Automatisch tasteten die Hände seinen Körper entlang. Erleichterung durchströmte ihn, als er seinen Leib spürte und den Stoff der Bordkombination unter den Fingerkuppen.
Ich bin noch da – und ich bin noch vollständig!
Obwohl dieser Gedanke tröstlich war und er sich gleichzeitig etwas albern dabei fühlte, blieben der Schwindel und die Beunruhigung. Denn wenn es nicht nur ihn persönlich betraf, waren das ganze Schiff und seine Besatzung in Gefahr.
Natürlich sind wir alle in Gefahr. Expeditionen in unbekanntes Raumgebiet sind immer ein Risiko. Aber es könnte ja auch mal einfach glattlaufen ...
Zunächst war es schließlich nur darum gegangen, den Zusammenhängen zwischen den seltsamen Hyperimpulsen aus dem Sternbild Dorado, dem Auftauchen des ominösen Fremden Peregrin in der Hauptstadt der Erde und dem Treiben der Posbis im Sektor Morgenrot auf den Grund zu gehen. Was war überhaupt gerade passiert? Hatten sie den von den Posbis errichteten Chronopuls-Wall durchstoßen? Hatte das etwas mit Peregrin zu tun, der kurz vorher zusammengebrochen war?
Peregrin – wo ist er überhaupt?
»Wo bleibt die Ortung, Miss Tanaka?«, vernahm Rhodan die Stimme von Chart Deccon. Nach wie vor blieb es in der Zentrale bis auf vereinzelt schimmernde Lichter stockfinster.
»Ausgefallen«, hörte er die zuständige Offizierin Mai Tai Tanaka antworten. »Mehr als die Außenkameras kann ich leider nicht bieten.«
»Und warum hocken wir immer noch im Dunkeln wie in einer Bärenhöhle, Mister Hayes?«
Statt des Technikkommandanten meldete sich der neue Chefingenieur Krak über das Bordkommunikationssystem. »Wir arbeiten daran. Mister Hayes steckt gerade in einem der Hauptgeneratoren, also im übertragenen Sinn. Wir haben Probleme mit den Fusionsmeilern. Sämtliche noch vorhandene Energie wird derzeit an anderer Stelle benötigt. Wir wissen nicht recht, was passiert ist.«
Das wissen wir alle nicht ...
»Dann finden Sie es heraus!«, rief Deccon aufgebracht. Der Kommandant der SOL konnte es nicht leiden, keine Kontrolle zu haben.
Vielleicht sind wir mit dem Chronopuls-Wall kollidiert, oder es kam zu weiteren Zeitphänomenen. Die Kontrolle haben wir schon lange verloren ...
Die SOL war nottransitiert, nachdem ein Tesserakt der Posbis aufgetaucht war, und offenbar irgendwo in einer sternenlosen Schwärze rematerialisiert. Bis vor wenigen Augenblicken hatte Rhodan sogar noch befürchtet, das Raumschiff würde in Fetzen gerissen werden. Insofern war der momentane Zustand eine Verbesserung, denn die Situation schien sich beruhigt zu haben.
»Mister Leyden, Mister Waringer, haben Sie irgendeine Ahnung, wo wir sind?«, fragte Rhodan. Die Stimme klang in seinen eigenen Ohren seltsam flach.
»Ich kann auch nur Vermutungen anstellen«, reagierte Eric Leyden prompt. »Ausgehend von der optischen Erfassung und dem, was wir vor unserer unfreiwilligen Reise beobachtet haben, können wir eigentlich nur in der Leere zwischen den Magellanschen Wolken und der Milchstraße sein. Also auf der anderen Seite des Chronopuls-Walls, mitten im Magellanschen Strom.«
Das waren keine guten Neuigkeiten. Der Magellansche Strom, wusste Rhodan, war eine Hochgeschwindigkeitswolke aus neutralem Wasserstoff, welche die beiden Zwerggalaxien der Magellanschen Wolken und die Milchstraße miteinander verband.
Wie aufs Stichwort gingen die Lichter in der Zentrale wieder an. Die Anwesenden atmeten hörbar auf.
»Ich bekomme erste Statusberichte herein«, verkündete die Kommunikations- und Ortungschefin Tanaka. »Wie es aussieht, gibt es keine Toten und nur wenige leicht Verletzte. Die technischen Schäden an der SOL halten sich ebenfalls in Grenzen, zumindest laut den bisherigen Meldungen der Schiffssektionen.«
»Das klingt doch schon mal positiv.« Rhodan hielt sich immer noch an der Lehne seines Sessels fest und sah sich in der Zentrale um.
Deccon war verschwitzt und machte einen aufgebrachten Eindruck, während er lautstark Befehle in alle Richtungen rief. Bei der Zentralebesatzung hatte es nur leichte Blessuren gegeben. So hatte sich zum Beispiel die Erste Offizierin Rebecca Montgomery eine blutende Wunde an der Schulter zugezogen. Chefwissenschaftler Geoffry Abel Waringer hielt sich den Kopf und hockte etwas benommen auf einer der Stufengalerien, die das Zentralerund umgaben.
Was erklärt, warum er vorhin Leyden das Wort überlassen hat.
Tanaka schien mit ihrer ersten Zusammenfassung recht zu behalten: Keiner war groß zu Schaden gekommen, zumindest gab es bislang keine entsprechenden Meldungen.
Dann aber fiel Rhodans Blick auf Thora. Seine Frau sah genauso mies aus, wie er sich fühlte. Sie war so bleich wie ein Laken – also noch blasser als gewohnt –, zitterte unkontrolliert am ganzen Körper und keuchte, als wäre sie gerade einen steilen Berg hinaufgerannt.
»Thora, was ist los?« Er machte einen Schritt auf die Arkonidin zu, doch erneut überkam ihn Schwindel, er musste stehen bleiben und sich festhalten.
»Perry!« Sofort war Gucky neben ihm. »Mach keinen Mist, Großer!«
»Hol Doktor Breiskoll«, stieß Rhodan hervor. »Thora braucht Hilfe!«
Gucky stieß ein mehrdeutiges Schnauben aus, verschwand jedoch, um einige Sekunden später zusammen mit dem Chefarzt wieder aufzutauchen.
Sam Breiskoll wollte direkt zu Rhodan eilen, doch er wies auf Thora, der es eindeutig schlechter ging als ihm. Leyden stand bereits bei Thora Rhodan da Zoltral; doch da er keine feste körperliche Gestalt hatte, konnte er ihr nicht besonders gut helfen. Stattdessen eilte Montgomery zu der Arkonidin, um sie zu stützen.
Gucky trat näher zu Rhodan. »Großer, wenn du denkst, dass Thora schlecht aussieht, solltest du mal in den Spiegel gucken!«
»Ich merke es auch, Kleiner. Ich glaube, ich sollte mich setzen.« Ächzend ließ sich Rhodan auf seinen Sessel sinken und beobachtete voller Sorge, was mit Thora geschah. Montgomery und Breiskoll halfen ihr gerade zurück auf ihren Platz – ohne diese leitenden Hände hätte Thora es nicht dorthin geschafft. Sie wollte etwas sagen, aber es gelang ihr nicht, sie brachte nur ein Krächzen zustande.
In der übrigen Zentrale bemühte man sich um Professionalität. Deccon erteilte seine Befehle, die prompt befolgt wurden. Trotzdem huschten immer wieder Blicke zu dem Bereich des amphitheaterähnlichen gestalteten Leitstands, in dem der Expeditionsleiter Rhodan und Thora behandelt wurden.
Rhodan suchte mit den Augen nach Peregrin. Der kräftig gebaute, haarlose Mann hatte eben noch auf dem Boden gelegen und alle Symptome eines epileptischen Anfalls gehabt. Nun saß er aufrecht auf einer der Treppenstufen, die zu den drei umlaufenden Rängen emporführten, und wirkte so, als erwache er aus einem Traum. Er war längst nicht mehr nackt, wie er in Terrania aufgetaucht war. Doch selbst in der einfachen Freizeitkombination, die man ihm gegeben hatte, wirkte er roh. Die hellen Flecken, die seinen Körper bedeckten und vor Kurzem noch seltsame Zuckerwattefäden hervorgebracht hatten, schienen durch den Stoff hindurchzuleuchten. Von dem Gespinst, das ihn wie ein Kokon umhüllt hatte, war nichts mehr zu sehen.
Statt Peregrin lag nun Ras Tschubai auf dem Boden, der sich eben noch um Peregrin gekümmert hatte. Der Teleporter war offenbar bewusstlos.
»Ras!«, krächzte Rhodan. »Peregrin, was ist geschehen?«
Der Fremde sah ihn nur an. Der Blick aus seinen schwarzen Augen war wie immer undeutbar.
Ein erschrockener Schrei ließ Rhodan herumfahren. Ein paar Meter weiter war John Marshall kollabiert. Markéta Klainerová vom SIS, der Sektion Innere Schiffssicherheit, hockte neben ihm. »Mister Marshall braucht medizinische Hilfe!«
Breiskoll reagierte sofort. »Ich brauche hier Verstärkung, dringend!«, rief er in sein Kommunikationsarmband, ehe er sich wieder Thora zuwandte. Der Medoroboter, der zuvor noch Peregrin versorgt hatte, widmete sich bereits Tschubai.
»Was ist los, Doktor Breiskoll?«, fragte Rhodan mit zusammengebissenen Zähnen. »Warum geht es uns so schlecht?«
»Das kann ich noch nicht sagen.« Der Chefarzt kontrollierte Thoras Vitalwerte. »Aber da offenbar nur Sie vier betroffen sind, liegt es nahe, dass es etwas mit Ihrer Unsterblichkeit zu tun hat.«
»Vielleicht zeigt auch diese Unsterblichkeit mittlerweile Aussetzer, so wie früher die alten Zellaktivatoren«, spekulierte Leyden. Er stellte sich hinter Breiskoll, um die Messergebnisse der Medoholos sehen zu können.
Wenn John und Ras etwas zustößt, ist es meine Schuld!, dachte Rhodan. Immerhin hatte er den Telepathen John Marshall und den Teleporter Ras Tschubai vor dem Aufbruch der SOL persönlich gebeten, ihn auf dieser Fernexpedition zu begleiten.
Kendra Valiz eilte durch den Zugangstunnel im Ringwall der Zentrale herein, eine weitere Ärztin, begleitet von ihrem Kollegen Timus Nonobe. Rhodan erkannte sie von früheren Begegnungen. Sie orientierten sich kurz, dann kam Valiz zu Rhodan und begann, ihn zu untersuchen. Nonobe hastete zu Marshall.
»Ich glaube nicht, dass es mit dem vergleichbar ist, was mit den alten Zellaktivatoren geschehen ist«, widersprach Breiskoll, während er Thora ein Medikament verabreichte. Was es auch war, es änderte nichts an Thoras Zustand, zumindest konnte Rhodan nichts davon erkennen. »Damals stotterten die Geräte unabhängig voneinander. Dass vier Unsterbliche gleichzeitig angeschlagen sind, muss einen anderen Grund haben.«
»Und es würde mich nicht wundern, wenn es mit dem Durchbrechen des Chronopuls-Walls zu tun hätte«, sagte Leyden.
»Was meinen Sie?«, fragte Rhodan.
»Nun, wir haben den Chronopuls-Wall bei der Nottransition durchbrochen. Ich habe die Daten überprüft: Das war nur möglich, weil der Wall eine lokale Lücke aufwies. Vielleicht hat eine von Mister Peregrins vorangegangenen Aktionen das zusätzlich begünstigt. Fakt ist: Wir sind nun auf der anderen Seite, im Magellanschen Strom.«
Leyden bemühte sich weiterhin, auf Breiskolls Diagnosegerät zu schauen. Es war ihm anzusehen, dass es ihn frustrierte, die Untersuchungen nicht selbst vornehmen zu können. Doch obwohl die Schiffsintelligenz SENECA ihm alle technischen Mittel zur Verfügung stellte, um seine komplexen hyperphysikalischen Forschungen und Analysen trotz seines körperlosen Zustands als holografische Projektion weiterbetreiben zu können, war das in dieser Situation undenkbar: Dies war der Zuständigkeitsbereich der Mediziner.
Dass Breiskoll dem Wissenschaftler etwas anderes zum Grübeln gab, war ein kluger Schachzug, dachte Rhodan. Denn so kam Leyden den Ärzten nicht in die Quere.
»Wir wissen nicht viel über die relative Unsterblichkeit der ehemaligen Aktivatorträger«, sagte Leyden nachdenklich. Er ließ ein Hologramm vor sich aufleuchten, in dem er diverse Diagramme und Daten herumschob. »Wir gehen jedoch davon aus, dass eine Quantenstabilisierung die Ursache dafür ist, dass ihr Leben auf unbegrenzte Zeit verlängert wird. Diese These stützt sich unter anderem auf die Messungen und Beobachtungen, die wir bisher machen konnten, sowie auf das, was Mister Bull von seinen Erlebnissen während der PAD-Seuche berichtet hat. Der rettende Impuls, der von den Sandrosen auf dem Mars ausging, hatte eine ähnliche Struktur, obwohl wir ihn natürlich nur unzureichend untersuchen konnten ...«
Peregrin stand auf und kam auf Rhodan zu. »Es tut mir leid, Mister Rhodan.«
»Haben Sie etwas hiermit zu tun?« Rhodan keuchte vor Anstrengung. Dunkle Flecken tanzten vor seinen Augen.
Peregrin schüttelte abwehrend den Kopf. »Nein! Ich weiß nicht, was gerade passiert.«
»Wir haben keine Zeit, um uns mit unserem Gast zu befassen«, beschied Deccon. Er machte keinen Hehl daraus, dass er Peregrin gegenüber misstrauisch war. Er winkte Markéta Klainerová und Jakub Tamchyna heran. »Bringen Sie Mister Peregrin zurück in sein Quartier!«
Er sprach es nicht aus, aber die beiden Sicherheitsleute verstanden so gut wie alle anderen Anwesenden: Und sorgen Sie dafür, dass er dortbleibt!
»Wir müssen Mister Marshall sofort in die Medostation schaffen«, rief Nonobe. »Seine Werte sacken immer mehr ab!«
»Das Gleiche gilt für Mister Tschubai«, ergänzte der Medoroboter.
Gucky zögerte nicht lange und teleportierte mit Marshall und Nonobe.
»Bitte bleiben Sie ruhig, Mister Rhodan«, bat Valiz, als Rhodan aufspringen wollte. »Sie können nichts tun, Mister Tschubai und Mister Marshall werden bestmöglich versorgt. Ich gebe Ihnen ein kreislaufstabilisierendes Mittel.«
Gucky tauchte wieder auf und brachte Tschubai weg.
»Alle ehemaligen Aktivatorträger kollabieren – das ist kein Zufall.« Nun schaltete sich Waringer doch in das Geschehen ein und schaffte es damit, Leyden von den Ärzten abzulenken. »Ich nehme an, dass die ... ich nenne sie mal Chronoverwirbelung, die wir nach unserem vorletzten Hypersprung und in einer Variante wohl auch bei der aktuellen Nottransition erlebt haben, einen direkten Einfluss auf die von meinem Kollegen erwähnte Quantenstabilisierung hatte.«
Leyden nickte eifrig. »Das ist eine faszinierende Erklärung. Angesichts der Heftigkeit des jüngsten Chronopuls-Phänomens sind die Auswirkungen auf die Unsterblichen aber geradezu harmlos.«
»Harmlos?« Gucky war zurückgekehrt und schüttelte empört den Kopf. »Das kann ja nur von dir kommen! Ein Eric Leyden ist über körperliche Gebrechen natürlich weit hinaus.«
Während die beiden Wissenschaftler debattierten, hatte Rhodan das Gefühl, jemand stopfe ihm immer mehr Watte in die Ohren. Gleichzeitig wurde ihm kälter. Er konzentrierte sich auf Thora, deren Lider zu flattern begannen. Sie stöhnte auf. Dann sackte sie auf ihrem Sessel zusammen – hätte Breiskoll sie nicht aufgefangen, wäre sie zu Boden gerutscht.
»Rasanter Abfall der Vitalfunktionen!« Für Rhodan klang Sam Breiskoll, als stünde der Chefmediziner in einer tiefen Höhle und brülle zu Rhodan herauf. »Gucky, bring uns umgehend auf die Medostation!«
Wie aus weiter Ferne hörte Rhodan die Stimme der Ärztin, die ihn noch immer behandelte. »Keine Sorge, Mister Rhodan«, sagte sie. »Meine Kollegen kümmern sich um Ihre Frau. Sie dürfen sich nicht aufregen, dazu gibt es keinen Grund.«
Rhodans Blickfeld verengte sich. Wie durch einen Tunnel sah er Gucky zu Thora und Breiskoll rennen und mit ihnen verschwinden.
»Mister Rhodan? Mister Rhodan, hören Sie mich?«
Dann wurde alles um ihn schwarz.
»Mister Rhodan? Mister ...«
2.
Eiseskälte
Kurz vor der Nottransition
Donna Stetson legte ihre Kleider ordentlich auf der Bank in der Umkleidekabine zusammen. In wenigen Minuten musste sie ihren Dienst antreten, und sie war spät dran. Dennoch: Die Schwimmrunden im Trainingsbad gehörten für sie zur täglichen Routine und halfen ihr, sich danach völlig auf ihre Aufgaben als SENECA-Interpreterin und Positronikpsychologin zu konzentrieren. Darauf konnte sie nicht verzichten.
Es hatte auf dem letzten Abschnitt der Reise von der Milchstraße zur Großen Magellanschen Wolke Zwischenfälle mit temporalen Anomalien an Bord der SOL gegeben. Auch SENECA war davon betroffen gewesen, aber diese Probleme hatten sie gelöst. Die allgemeine Lage blieb trotzdem angespannt. Viel Zeit hatte Stetson also nicht, um Stress abzubauen.
Sie ging zur Tür und warf einen Blick in die Halle. Auf vier der fünf Bahnen waren Schwimmer unterwegs, drei weitere Personen standen am Beckenrand.
Stetson verzog das Gesicht. Sie erkannte Sidonie Kirchner und ihre Scouts-Anwärter. Kirchner trainierte Raumpiloten und Technikspezialisten, die zu den Scouts der SOL stoßen wollten. Sie hatte einst auch Bjo Breiskoll ausgebildet, mit dem sich Stetson mittlerweile angefreundet hatte. Stetson hatte das Gefühl, dass Kirchner sie nicht leiden konnte. Sie war eine gute, wenngleich strenge Ausbilderin, was durch ihren harten Schweizer Akzent unterstrichen wurde; sie war jedoch immer fair.
Stetson hatte ganz vergessen, dass sie an zwei Tagen in der Woche um diese Zeit die Scouts-Anwärter im Schwimmbad antreffen würde. Das war kein Freizeitvergnügen, sondern gehörte zur straffen Ausbildung dieser besonderen Einsatzgruppe.
Na ja, immer noch besser als eine Schulklasse. Kinder planschten normalerweise ebenfalls mehrmals die Woche in dem Wasserbecken. Aber vor dem Aufbruch zu dieser Fernexpedition waren alle Familienangehörigen der rund viereinhalbtausend Besatzungsmitglieder der SOL, die zuvor teils ebenfalls auf dem riesigen Hantelraumschiff gelebt hatten, auf der Erde abgesetzt worden.
Unschlüssig blieb Stetson stehen. Ob sie zumindest zwei Bahnlängen schwimmen konnte? Gänzlich ohne dieses Sporttraining zur Arbeit zu gehen, kam ihr falsch, irgendwie schmutzig vor.
Sie wusste, dass sie Spleens hatte; sie konnte für gewöhnlich gut damit leben. Die Leute auf der SOL wussten das ebenfalls, und die meisten ließen sie in Ruhe. Ein paar harmlose Neckereien musste sie sich zuweilen gefallen lassen, aber das war in Ordnung.
An Tagen wie diesem machten ihre kleinen Ticks ihr jedoch selbst zu schaffen. Sie wusste genau, dass es besser wäre, sich wieder anzuziehen und in ihr Büro im Hauptrechenzentrum zu eilen. Sie benutzte dort einen silbernen SERT-Kopfbügel, um sich mit SENECA zu vernetzen und jene virtuelle Kommunikationssphäre zu betreten, die sie als Agora bezeichneten. Das war zwar auch von jedem anderen Ort der SOL aus möglich. Trotzdem hatte sie um den kleinen, separaten Arbeitsbereich gebeten, den sie wie ihre alte Wirkungsstätte auf der CREST II »Praxis« nannte. Das war ihr Reich, dort störte sie niemanden, und niemand störte sie.
Kurz entschlossen betrat sie die Schwimmhalle, legte ihr Handtuch auf einer Bank an der Wand ab und ging zum Becken. Sie nickte Kirchner kurz zu. Die Scout-Anwärter kannten Stetson ebenfalls, grüßten und winkten.
Mit einem kleinen Seufzer stieg sie ins Wasser. Nur zwei Bahnen, oder vier – auf jeden Fall eine gerade Zahl –, dann war alles in Ordnung und sie konnte mit der Arbeit beginnen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen ihrer derzeitigen Verspätung, aber nur kurz. Es nutzte niemandem etwas, wenn sie unkonzentriert war. Und sie ahnte: Würde sie ihre Routine nicht zumindest zum Teil erfüllen, würde sie den ganzen Tag darüber nachdenken.
Stetson schwamm zügig los und ignorierte die Scouts, denen Kirchner Motivationen und Scherze zurief. Das Leben auf der SOL hatte sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Als Donna Stetson anfangs auf dem riesigen Raumfahrzeug gelebt hatte, war sie morgens ganz allein im Schwimmbad gewesen. Später hatten nach und nach andere Besatzungsmitglieder die Halle entdeckt und sie auch in den frühen Tagesstunden aufgesucht. Irgendwann waren sogar ganze Familien dazugekommen, Eltern samt Kindern, wenngleich üblicherweise erst, wenn Stetson längst wieder weg gewesen war.
Manchmal vergaß Stetson fast, dass sie sich auf einem Sternenschiff befand, wenn sie durch die Habitate schlenderte, die wie Planetenoberflächen gestaltet waren. Auf der CREST II hatten die Besatzungsmitglieder zum Essen meist in einer Messe gegessen und in recht einfachen Quartieren gelebt. Auf der SOL hingegen konnte Stetson spontan entscheiden, ob sie Sushi essen wollte – der Fisch dafür wurde auf dem Habitatdeck vier gezüchtet – oder eher Hunger auf einen veganen Epsalburger hatte, dessen variantenreiche Pilzbasis auf dem Habitatdeck eins wuchs. Und ihr Apartment war sogar größer als das, das sie während ihrer Zeit in der Lunar Research Area bewohnt hatte. Sie war sich aber nicht ganz sicher, ob ihr das etwas spartanischere Raumschiffleben von früher nicht besser gefiel.
Nicht zuletzt hatte es damals nicht so viele Menschen an Bord gegeben. Sie kam mit Menschen klar, aber leider kamen viele Menschen immer noch nicht mit ihr klar. Immerhin war es besser als seinerzeit auf der dicht besiedelten Erde. Auf der SOL hatte sie nette Kollegen und Vorgesetzte. Und sie hatte sogar ein paar Freunde.
Stetson hatte das Ende der Bahn erreicht, stieß sich ab und schwamm zurück. Sie musste wieder an Bjo Breiskoll denken. Der junge Scout war eins der Besatzungsmitglieder, mit denen sie sich sehr gut verstand. Sie waren in vielem auf einer Wellenlänge, und er hatte genau wie sie ein paar Defizite im Bereich sozialer Interaktion. Deswegen schätzte sie diese Freundschaft besonders.
»Achtung, Nottransition!«, kam eine Durchsage aus den Akustikfeldern der Schwimmhalle. Der Alarmhinweis war fraglos auf dem ganzen Schiff zu hören.
Mist! Die Sache hatte sich wohl doch ernster entwickelt, als Stetson vermutet hatte. Die Transition erfolgte, der gewohnte Schmerz krallte sich kurz in ihr Gehirn – und dann war es plötzlich stockdunkel.
Erschrockene Rufe wurden laut.
»Ruhe bewahren!«, rief Sidonie Kirchner, unsichtbar in der Dunkelheit. »Kommen Sie aus dem Wasser!«
Stetsons Kommunikationsarmband signalisierte einen Anruf. Sie aktivierte die Audioverbindung, und die Stimme von Breckcrown Hayes erklang, dem Technokommandanten. »Miss Stetson, wo stecken Sie?«
»Ich bin im Trainingsbad des Habitatdecks zwei. Hier ist alles dunkel.«
»Wie überall auf der SOL. Wann können Sie in Ihrer Praxis sein?«
»Ich komme sofort.«
Sie beendete das Gespräch. Hayes war nicht direkt ihr Vorgesetzter – eigentlich war sie nur Chart Deccon und der Kommandospitze unterstellt. Es empfahl sich trotzdem, die Anweisungen des Technokommandanten zu befolgen, wenn man Ärger vermeiden wollte. Und irgendwas ging auf der SOL gerade gründlich schief.
Die Wassertemperatur sank schlagartig.
»SENECA«, sagte sie laut. Sie konnte von überall mit der Schiffspositronik reden – theoretisch konnte das jeder, nur bekam nicht jeder eine Antwort. »Was ist das Problem mit dem Wasser in der Schwimmhalle des Habitatdecks zwei?«
»Ein Energieabfall«, informierte die KI sie über Stetsons Multifunktionsarmband. »Ich kann leider nichts dagegen tun. Die noch verfügbare Energie wurde in lebenswichtige Systeme umgeleitet.«
»Aber hier sind Menschen im Wasser!«
»Meine Sensoren zeigen mir nichts an. Allerdings arbeiten sie seit der Transition und der Überwindung des Chronopuls-Walls fehlerhaft. Ich bemühe mich, die Energieversorgung wiederherzustellen. Das kann aber einen Moment dauern.«
Währenddessen sank die Temperatur immer weiter. Wenigstens aktivierte sich die Notbeleuchtung und spendete etwas Licht.
»Raus aus dem Wasser!«, schrie Stetson den Scouts und Kirchner zu. »Raus! Wir haben ein Problem!«
Die meisten hasteten ohnehin bereits auf den Beckenrand zu. Kirchner half ihren Leuten aufs Trockene. Stetson schwamm selbst ebenfalls in Richtung der Ausstiegsleiter, entdeckte dann jedoch, dass eine Frau noch mitten im Becken zappelte und offenbar von Panik übermannt wurde.
Denn sie strampelte nur auf der Stelle und schnappte nach Luft. »Krampf!«, keuchte sie. »Kalt ... Krampf!«
Wenn Fluchen zu Stetsons Angewohnheiten gehört hätte, hätte sie es nun getan. So aber warf sie sich nur im Wasser herum und kraulte eilig zu der Frau hinüber.
Das mittlerweile eisige Wasser war alles andere als angenehm. Stetson packte die Frau an den Armen und zog sie hinter sich her zum Beckenrand, wo Kirchner sie bereits erwartete und ihnen hinaushalf. Kaum hatten sie das Wasser verlassen, begann sich auf der Oberfläche eine dünne Eisschicht zu bilden.
»Was zum Teufel ist hier los, Miss Stetson?«, fragte Sidonie Kirchner.
Stetson wollte antworten. »Ich weiß es auch nicht, ich ...«
»Es tut mir leid, Donna, ich kann keine Energie zu dem Schwimmbad umleiten«, meldete sich SENECA in diesem Moment über die Akustikfelder der Halle zu Wort. »Interne Prozesse verhindern das – die Energie wird an anderer Stelle dringender gebraucht.«
»Das haben wir gemerkt.« Trotzdem sollte der Schutz menschlichen Lebens für die KI Priorität haben.
Donna Stetsons Atem verwandelte sich in kleine Wolken. Zusammen mit den Scouts beobachtete sie fassungslos, wie sich die Eisschicht im Wasserbecken in Windeseile schloss.