Perry Rhodan Neo 317: Wahrheitskrieger - Lucy Guth - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 317: Wahrheitskrieger Hörbuch

Lucy Guth

2,0

Beschreibung

Als Perry Rhodan von einer langen Reise zurückkehrt, stellt er fest: Das Solsystem ist von der Außenwelt abgeschottet. Nur mit größter Mühe kann er den Sperrschirm überwinden. Seit er von der Erde aufgebrochen ist, sind dort acht Jahrzehnte vergangen. Die meisten Menschen sind in dieser Zeit an der Aphilie erkrankt, empfinden also keine Emotionen wie Mitleid oder Freude mehr. Eine Diktatur der reinen Vernunft unterdrückt die wenigen Immunen. Rhodan entdeckt, dass die aphilische Regierung ein mysteriöses Geheimprogramm betreibt und vielen Menschen die Gehirne raubt. Nachdem er dies öffentlich gemacht hat, kommt es überall auf der Erde zu Revolten. Zudem stellt sich heraus, dass es ein Heilmittel gegen die Aphilie gibt. Dies könnte das Ende des Regimes bedeuten. An vielen Orten beginnt der Kampf der WAHRHEITSKRIEGER ...

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Zeit:5 Std. 45 min

Veröffentlichungsjahr: 2023

Sprecher:Hanno Dinger

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Band 317

Wahrheitskrieger

Lucy Guth

Marie Erikson

Cover

Vorspann

1. In der Klemme

2. Eltern

3. Neue Erkenntnisse

4. Gedankenkarussell

5. Chancen

6. Schwierige Missionen

7. Wahrheitskrieger

8. Die Karte

9. Geständnisse

10. Aufstand der Aphiliker

11. Das Attentat

12. Überlebt

13. Die Frau des Protektors

14. Mesh-Schnipsel

15. Eine Suche nach dem Licht

16. Noch mehr Fragen

17. Rückzug

18. Rauchgranaten

19. Die Geheimfrequenz

20. Konfrontation

21. Prioritäten

22. In These Stones Horizons Sing

23. In der Stele

Impressum

Als Perry Rhodan von einer langen Reise zurückkehrt, stellt er fest: Das Solsystem ist von der Außenwelt abgeschottet. Nur mit größter Mühe kann er den Sperrschirm überwinden.

Seit er von der Erde aufgebrochen ist, sind dort acht Jahrzehnte vergangen. Die meisten Menschen sind in dieser Zeit an der Aphilie erkrankt, empfinden also keine Emotionen wie Mitleid oder Freude mehr. Eine Diktatur der reinen Vernunft unterdrückt die wenigen Immunen.

Rhodan entdeckt, dass die aphilische Regierung ein mysteriöses Geheimprogramm betreibt und vielen Menschen die Gehirne raubt. Nachdem er dies öffentlich gemacht hat, kommt es überall auf der Erde zu Revolten.

Zudem stellt sich heraus, dass es ein Heilmittel gegen die Aphilie gibt. Dies könnte das Ende des Regimes bedeuten. An vielen Orten beginnt der Kampf der WAHRHEITSKRIEGER ...

1.

In der Klemme

Sie saßen in der Falle wie Ratten. Ein paar Thermostrahlen zischten über sie hinweg und brannten sich in die Fassaden der grauen Industriegebäude, die sich ringsum erhoben. Die Aufständischen gingen hinter Müllcontainern und Versorgungskästen in Deckung, obwohl ihnen das auf Dauer nichts nützen würde. Ihr Tod stand unmittelbar bevor.

Trevor Cassalle spähte zum offenen Ende der Sackgasse, in die er sich mit seinen Leuten gerettet hatte. Ironischerweise war ihr Ziel – das Hohe Amt für Frieden – auf der anderen Straßenseite bereits zu sehen. Doch in Anbetracht der zahlreichen Schlichter, die Stellung zwischen Cassalles kläglich zusammengeschrumpfter Truppe und dem Hohen Amt für Frieden bezogen hatten, hätte sich das Gebäude ebenso gut auf dem Mars befinden können. Es war in unerreichbare Ferne gerückt.

Er drehte sich um und betrachtete den kleinen Haufen Überlebender, die noch an seiner Seite standen, kaum mehr als zwei Dutzend Männer und Frauen: Soldaten und Zivilisten, Meuterer und Aufständische. Er sah ihnen die Panik an, die Angst vor dem Sterben. Aphiliker fühlten nur dann Furcht, wenn es um die Grundlage ihrer Existenz ging. Sie waren ihm gefolgt, weil sie ebenso wie er die Wahrheit erfahren wollten. Aber war es die Wahrheit wert, dafür zu sterben?

An sich war es ein ehrenwertes Ziel, das Rätsel um die körperlosen Gehirne zu lösen. Dass die Regierung etwas verbarg, war Cassalle klar geworden, als ihm ein paar seiner Leute von eigenen Beobachtungen auf dem Mars berichtet hatten. Die aphilischen Machthaber hatten zunächst geleugnet, dass es überhaupt so etwas wie Gehirnentnahmen gab, und dann von einem Einzelfall gesprochen.

Wer steckte hinter dem Programm? Welchem Zweck diente es? Wessen Gehirne wurden dafür benutzt? Diese Fragen trieben ihn noch immer um. Dass er sterben sollte, ohne Antworten darauf erhalten zu haben, war unbefriedigend.

»Mein Name ist Li Baihu – ich bin Kommandant dieser Einheit und will Ihnen eine letzte Chance einräumen«, drang eine dröhnende, akustikfeldverstärkte Stimme vom Eingang der Sackgasse herüber. Der chinesische General, der regionaltypisch zuerst seinen Familiennamen Li, dann den Vornamen Baihu nannte, hätte auch den Helmfunk nutzen können, um seinen ehemaligen Kollegen Cassalle zu kontaktieren. Aber Li Baihu wollte offensichtlich, dass ihn alle hörten. »Ergeben Sie sich, und nur Ihr Anführer Trevor Cassalle wird exekutiert. Wenn Sie aber weiter Widerstand leisten, werden wir alle Aufständischen auslöschen.«

Cassalle las in den Mienen seiner Leute, dass einige kurz davor standen, der Aufforderung zu folgen. Als Aphiliker gab es nicht viel, das mehr wert gewesen wäre als das eigene Leben.

»Hört mir zu!«, rief Cassalle so laut, dass ihn jeder in der Gasse hören konnte – ob seine Stimme auch bis ans offene Ende der Sackgasse drang, wusste er nicht, und es kümmerte ihn auch nicht. »Ihr könnt Li Baihu nicht trauen. Vielleicht sagt er die Wahrheit und lässt jene gehen, die sich nun ergeben. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Regierung es niemandem durchgehen lässt, Fragen zu stellen, so wie wir es getan haben. Man wird euch also so oder so töten.«

Alle murmelten zustimmend. Jeder wusste, dass dies das logische Handeln der Machthaber sein würde.

Cassalle fuhr fort: »Ich weiß, es sieht schlecht für uns aus. Der Gegner hat uns in die Enge getrieben. Aber wenn wir nicht kämpfen, haben wir schon verloren, weil die Schlichter uns rücksichtslos töten werden. Oder sie nehmen uns mit, und uns wird noch Schlimmeres zustoßen. Womöglich sind wir die Nächsten, deren Köpfe geöffnet werden.«

»Was ist Ihr Plan, Sir?«, fragte Lana Poulson, eine der Soldatinnen, die von Anfang an unter seinem Kommando gestanden hatten. Seit dem Moment, in dem ihr Kamerad Martinez von seinen Beobachtungen auf dem Mars erzählt hatte, hatte sie ebenso sehr auf Antworten gedrängt wie die anderen verbliebenen Aufständischen ringsum.

Cassalle wusste, dass er seine Leute nun wieder hinter sich hatte. Er brauchte nur noch einen Plan. Sich einfach in der Gasse zu verschanzen, wäre Selbstmord. Er blickte sich um, entdeckte in einem Metalltor das Einschussloch eines Thermostrahltreffers. Das Portal war bei ihrer kurzen Inspektion nach Eintreffen in der Sackgasse noch fest verschlossen gewesen. Die Energie des Thermostrahls hatte das Metall verflüssigt, sodass sich neu ein schmaler Zugang in das Gebäude gebildet hatte. Es schien ein Warendepot oder Lagerhaus zu sein.

2.

Eltern

Perry Rhodan ging an den Sicherheitsposten der Schweizergarde vorbei. Er grüßte die beiden Männer in den blau-gelb gestreiften Uniformen, sie nickten synchron zurück.

Mit Schwung öffnete er die Flügel des großen, weißen Portals zwischen ihnen und betrat den langen Korridor dahinter. Der aufwendig gemusterte Teppich auf dem Boden dämpfte zwar seine Schritte, war aber in der Mitte deutlich abgelaufen. Da solche unnötig hübschen Teppiche unter der Regierung der Aphiliker nicht mehr gefertigt wurden, hatte man sich in der Apostolischen Nuntiatur entschieden, den alten zu behalten, bis ... ja, bis. Ein kleines Symbol für eine mächtige Denkart. Das Prinzip Hoffnung.

Rhodan klopfte zaghaft an seine Zieltür. Seine Frau Thora Rhodan da Zoltral hatte sich etwas ausruhen müssen. Er wollte sie nicht erschrecken, indem er einfach ins Zimmer stürmte. Genauso wenig wollte er sie aber wecken, falls sie eingeschlafen war.

Wie er selbst hatte die Arkonidin emotional einiges zu verkraften. Thora war zudem mit einem potenziell tödlichen Erreger infiziert worden – von ihrem gemeinsamen Sohn Thomas.

Behutsam drückte er die Klinke und trat ein. Das Zimmer war hell erleuchtet, das Bett gemacht. Das Wappen der Vatikanstadt mit den Schlüsseln Petri unter der Tiara, das auf dem Kopfkissenbezug prangte, war von keiner Falte durchzogen.

Thora lehnte am Fensterrahmen, die Arme um sich geschlungen, als versuche sie, sich selbst Halt zu geben.

Rhodan ging zu ihr, umarmte sie von hinten und gab ihr einen Kuss auf den frei liegenden Hals. Sie hatte die Haare kurz geschnitten, damit sie sich als Novizin des Franziskanerordens hatte ausgeben können. Zuerst war Rhodan überrascht gewesen. So hatte er seine Frau noch nie gesehen. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. Die Frisur betonte Thoras schlanken Hals und die scharfe Kieferpartie, um die sie viele Frauen beneideten.

»Wie geht es dir?«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Körperlich gut.«

Rhodan wusste, dass das eine ausweichende Antwort war. Ja, Thomas Reginald Rhodan da Zoltral hatte seine Mutter mit den Amöbophagen der Gon-Mekara infiziert. Und die Biester hatten ihr so zugesetzt, dass sie in ein Koma gefallen war und die Positronik ihrer Montur ein bevorstehendes multiples Organversagen diagnostiziert hatte. Aber die Injektion des Gegenmittels hatte zu einer fast sofortigen Heilung geführt.

Keine Medikation gab es indes für die seelischen Wunden, die Thomas ihr zugefügt hatte. Bei ihr genauso wenig wie bei Perry Rhodan. Ein »Heilmittel« wäre nur die Aphilie, aber bevor er zu einem von diesen Gefühlslosen wurde, litt Rhodan lieber.

Thora lehnte den Kopf nach hinten, an seine Schulter. »Glaubst du, wir hätten etwas tun können, Perry? Wenn wir auf Terra gewesen wären, meine ich.«

Genau diese Frage hatte er sich in den zurückliegenden Nächten ebenfalls gestellt. Es war ein gefährliches Gedankenspiel, weil man die Antwort nie erfahren würde und somit zu keinem Ergebnis kommen konnte.

»Tom ist zu einem Aphiliker geworden. Das hätten wir sogar dann nicht verhindern können, wenn wir da gewesen wären.« Die Worte klangen plausibel, überzeugten ihn jedoch auch selbst nicht.

»Aber vielleicht hätten wir ihn stoppen können. Wir hätten mit Sicherheit gemerkt, was mit ihm vorgegangen wäre, und dann ...« Ihre Stimme brach.

Rhodan drückte sie an sich. »Auch wenn es wehtut, das als Vater zugeben zu müssen, aber ich bin mir da nicht so sicher. Tom konnte all die Jahrzehnte lang sogar Reg etwas vorspielen. Er hat seine Rolle als angeblicher Agent für die Organisation Guter Nachbar so überzeugend gemimt, dass nicht mal sein Patenonkel Verdacht schöpfte.«

»Wie hätte Reg das auch können? Wer hätte darauf kommen können, dass Tom als Aphiliker immer wieder durch den Sperrschirm flog, um sich jung zu halten?«

Rhodan fasste Thora sanft an die Schulter und drehte sie zu sich um, damit er ihr in die Augen sehen konnte. »Richtig. Wer hätte darauf kommen können? Wir? Auch wir hätten vermutet, dass Tom Jungbrunnen zu sich nimmt und ihn damit als Immunen eingeordnet, weil Aphiliker das Medikament nicht vertragen.«

»Ich weiß es nicht, Perry. Kann sein, dass wir es übersehen hätten. Aber ich hätte gern die Chance gehabt. Ich wäre so gern hier gewesen.«

Er schloss sie in die Arme. »Ich weiß. So geht es mir auch.«

Nicht nur die Aphilie, auch die Zeit hatte einen Keil in Familienbande und Freundschaften geschlagen. Reginald Bull, Rhodans engster Vertrauter, der Mann, dessen Name er seinem Sohn gegeben hatte, hatte Rhodan öffentlich der Lüge bezichtigt und überdies die Propaganda der Aphiliker unterstützt. Warum bloß? Wie hatte es nur so weit kommen können? In ihrer Abwesenheit hatte sich so vieles geändert. Und während es für Rhodan und seine Frau nur ein Ausflug gewesen war, waren auf Terra mehr als achtzig Jahre vergangen. Viele Jahrzehnte unter dem Einfluss von Menschen, die keine Gefühle, sondern nur Instinkte hatten. Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn er vor Ort gewesen wäre? Hätte er die Ereignisse beeinflussen, vielleicht sogar frühzeitig stoppen können?

Rhodan wusste es nicht, würde es nie wissen.

Wichtig war, dass er nun zurück war und endlich helfen konnte. Die Immunen glaubten an ihn als Retter. Und er würde alles tun, um sie nicht zu enttäuschen.

Thora Rhodan da Zoltral löste sich langsam aus seiner Umarmung. »Wollen wir in die Kommandozentrale gehen? Etwas Ablenkung wird mir guttun. Vielleicht gibt es Neuigkeiten.«

Was sich seine Frau eigentlich wünschte, war, dass es keine Neuigkeiten gab, wusste Rhodan. Er teilte diesen Wunsch, denn no news are good news. Seit die Organisation Guter Nachbar, die OGN, unter dem Verfolgungsdruck der Aphiliker von Bull aufgelöst worden war, befürchtete Mater Ironside, dass ihre Franziskaner das nächste Ziel sein könnten.

Aus diesem Grund hielt sich die Äbtissin Tag und Nacht in der Kommandozentrale auf. Vielleicht würde Thora die Ordensfrau überreden können, eine Pause zu machen, wenn solang die Arkonidin und ihr Mann den Wachdienst übernahmen. Nach einem etwas holprigen Start hatten sich die beiden Frauen wechselseitigen Respekt erarbeitet und vertrauten einander.

»Das ist eine gute Idee«, stimmte Rhodan zu.

3.

Neue Erkenntnisse

Trevor Cassalles Anhänger krochen nacheinander durch die Öffnung ins Innere der Halle. Der große Raum war weitestgehend leer, nur diverse Transportbehältnisse standen herum. Von schmalen Fenstern direkt unter der Decke sickerte schmutzig graues Licht herein.

»Deckung suchen. Eingänge bewachen!«, befahl Cassalle. Außer dem Portal, durch das sie gekommen waren, gab es noch zwei große Flügeltore auf der anderen Seite der Halle und querab eine kleine Eingangstür. Mithilfe ihrer Thermostrahler wollten sie die Metallpforten versiegeln. Doch bevor sie dazu kamen, stürmten bereits General Lis Männer dort herein.

Beim Kampf in den Straßen der irdischen Hauptstadt, als Cassalle mit der Wachdivision Terrania die Aufstände hatte niederschlagen sollen, hatte er anfangs noch darauf geachtet, dass seine Leute nicht allzu brutal vorgingen und vorwiegend Paralysatoren einsetzten. Immerhin waren ihre Widersacher da nur verängstigte Zivilisten gewesen. Nun aber ging es gegen Schlichter, kampferprobte Regierungssoldaten, und um das eigene Leben. Cassalle gab keine entsprechenden Befehle, stellte seine eigene Kombiwaffe jedoch auf Thermostrahlfunktion um.

Es gelang ihnen eine ganze Weile, ihre Position zu verteidigen. Die Türen waren Nadelöhre, und die Angreifer schafften es nicht hindurch, ohne sofort von Strahlerschüssen niedergestreckt zu werden. Das merkte auch der gegnerische Kommandant schnell. Deshalb gab Li Baihu den Versuch, auf diesem Weg einzudringen, alsbald auf. Durch die Pforten fielen hin und wieder zwar weiterhin Schüsse herein, doch das war kaum noch der Rede wert.

Stattdessen explodierten plötzlich die Fenster unter der Decke, als dort Schlichter in Kampfanzügen durchbrachen und sich an Seilen in die Halle herunterließen. Sie kamen von allen Seiten gleichzeitig und lösten ein wahres Inferno aus.

»Alle bei mir sammeln!«, brüllte Cassalle seinen Leuten über den Lärm hinweg zu.

Die Verteidiger scharten sich hinter einem massiven Stahlcontainer und wehrten sich, so gut sie konnten. Doch die Schlichter drangen immer weiter auf sie ein. Neben Cassalle fiel Poulson zu Boden, die weit aufgerissenen Augen zur Decke gerichtet, der Brustkorb eine verschmorte Wunde.

Ihm war klar, dass es vorbei war. Die Schlichter würden Cassalle und seine Handvoll verbliebenen Getreuen in wenigen Augenblicken vernichten.

Unvermittelt stellte die Gegenseite ihr Feuer ein.

Cassalle nahm misstrauisch seine Waffe herunter. Was geht da vor?

Eine Weile passierte gar nichts. Niemand wagte, sich zu rühren. Dann empfing Cassalle über Helmfunk eine Audiobotschaft. »Trevor Cassalle – hier spricht General Li Baihu. Da ist etwas, das Sie sich ansehen sollten. Ich schicke es Ihnen.«

Cassalles Multifunktionsarmband präsentierte ihm ein Holovideo. Das Bild ruckelte und machte den Eindruck, nicht gerade von einem Experten aufgenommen worden zu sein. Gezeigt wurde ein langer Stollen, in dessen Wänden sich auf mehreren Höhen regalartig unzählige Nischen hintereinanderreihten. In jeder ruhte ein sechseckiges, transparentes, mit einer Flüssigkeit gefülltes Behältnis. Es gab wohl Tausende davon – und in jedem einzelnen schwamm ein menschliches Gehirn.

»Das ist eine Aufzeichnung, die vor wenigen Minuten ins Mesh gestellt wurde«, erläuterte General Lis Stimme. »Sie stammt von einem Soldaten, der gerade zusammen mit einigen Kameraden in einer Pharmafabrik in den Arjai-Grotten von Nordchina diesen Fund gemacht hat. Es gibt noch weitere Holovids dieser Art.«

Cassalles Gedanken rasten. Das widersprach allem, was die Regierung über die Gehirnentnahme hatte verlauten lassen. Bislang hieß es zu den Bildern der körperlosen Gehirne vom Mars, dies sei eine nicht genehmigte Einzeltat gewesen. Und es habe nur Terroristen getroffen. Eine eiskalte Lüge, wie Cassalle nun vor Augen geführt wurde – und wie er bereits geahnt hatte. Er hob langsam die Hand, um seinen Leuten zu signalisieren, das Feuer vorerst einzustellen.

»Mister Cassalle, ich möchte bei Ihnen um Entschuldigung bitten.« Li Baihu trat mit gesenktem Gewehr aus seiner Deckung und sprach nun laut und ohne Helmfunk. »Die Regierung hat uns alle belogen. Es gibt diese Gehirnfunde, und das Ausmaß übertrifft die offiziell genannte Zahl um ein Vielfaches. Sie hatten recht. Ich will nun ebenfalls wissen, was es mit dieser Geschichte auf sich hat. Ich unterstelle mich und meine Leute Ihrem Kommando.«

Cassalle atmete tief durch und stand ebenfalls auf. Eine Sekunde lang fragte er sich, ob er auf einen Trick hereingefallen war und es sich um eine Falle handelte.

Dann kam Li mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Der kleine Chinese neigte den Kopf.

Cassalle tat es ihm gleich. »Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass die Wahrheit ans Licht kommt.«

Nach und nach erhoben sich auch die anderen Kämpfer, Schlichter ebenso wie Aufständische, aus ihrer Deckung und entspannten sich.

4.

Gedankenkarussell

Merde!

Roi Danton rekelte sich auf einem der Sessel in der hinteren Ecke der Kommandozentrale und zupfte an dem grünen Fell, das seinen Handrücken bedeckte.

Vor ihm herrschte rege Betriebsamkeit. Drei Novizen in Franziskanerkutten behielten die von überallher auf den Holos eintreffenden Nachrichten im Blick. Er wusste, dass es zwei Männer und eine Frau waren, aber von hinten waren sie mit ihren kurz geschorenen Haaren kaum zu unterscheiden. Zwischen ihnen stapfte Mater Ironside hin und her. Die groß gewachsene, wuchtige Äbtissin mit der sehr dunklen Haut hatte ihre Helfer angewiesen, sie über jede neue Entwicklung unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Ein weiterer Franziskaner saß etwas abseits und arbeitete hektisch an einem Positronikbedienfeld.

Danton bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber selbst wenn ihm einer kam, konnte er leider nicht gewiss sein, dass es sein eigener war.

Dass der Körper, den er seit geraumer Zeit bewohnte, der eines Yaanztroners war und nicht der, mit dem Danton geboren worden war: geschenkt. Dass sich die Welt seit seiner Jugend so drastisch verändert hatte: unvermeidlich. Dass sein Rufname nicht mehr Georges Jacques, sondern Roi war: eine eigene Entscheidung.

Aber verdammt noch mal, er war davon ausgegangen, dass wenigstens sein Gehirn und die darin gespeicherten Erinnerungen ihm gehörten. Zumindest jene, die er nicht freiwillig aufgegeben hatte.

Doch nach den neuesten Erkenntnissen konnte jede vermeintliche Erinnerung, jede seiner Überlegungen entweder auf ihn selbst zurückgehen – oder aber das Resultat der Fremdprogrammierung durch die Schwestern der Tiefe sein. Und er hatte keine Chance zu unterscheiden, was in welche Kategorie gehörte.

Er schloss die Augen und massierte sich die Nasenwurzel. Das war eine alte Gewohnheit aus seinem menschlichen Körper. Und damals hatte sie um einiges besser geklappt als bei seiner neuen Nase, die eher der eines Hunds ähnelte.

Um überhaupt wieder Respekt vor sich selbst empfinden zu können, wollte Danton etwas tun. Er wollte sich einbringen, helfen, irgendwie nützlich sein. Das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Vielleicht auf seine eigenen. Oder gerade nicht?

Von diesem Karussell bekam er Kopfschmerzen.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter.

Danton öffnete die Augen. Perry Rhodan zog einen Sessel heran und setzte sich neben ihn, während seine Frau Thora Rhodan da Zoltral zielstrebig auf Mater Ironside zuging.

»Wie geht es dir?«, fragte Rhodan.

»Gut!« Oder eher: erleichtert, dass Rhodan ihn nicht mied.

Immerhin war es Danton gewesen, der Rhodans Sohn als das Licht der Vernunft, das Oberhaupt der Aphiliker, entlarvt hatte. Das gab Danton natürlich nicht die Schuld daran, dass es so war, wie es war. Aber manchmal bahnte sich die Wut seltsame Wege. Erschieße nicht den Boten, war in seinem früheren Leben daher sowohl ein weiser als auch ein notwendiger Ratschlag gewesen.

»Ich weiß nicht mehr, ob ich ich bin.« Danton bemühte sich um ein Lächeln, vermutete aber, dass es genauso gekünstelt aussah, wie es sich anfühlte.

Rhodan nickte und schwieg. Danton war ihm dankbar dafür, dass er keine Plattitüden von sich gab à la »Das wird schon wieder« oder »Kopf hoch«.

Einen Moment lang sahen sie stumm dem Treiben an den Holos zu. Mater Ironside deutete auf Grafiken und ließ die Novizen verschiedene Nachrichten hervorheben, um Thora auf den aktuellen Stand zu bringen. Die Äbtissin wirkte erschöpft. Zwar war sie schon durch ihre Größe und Körperfülle eine imposante Erscheinung, aber die braune Ordenskluft wies diverse Flecken auf und hing schlapp von ihren Schultern. Außerdem hatten sich dunkle Ringe unter ihren Augen gebildet.

»Weißt du, wann sie das letzte Mal geschlafen hat?«, fragte Danton und nickte in Ironsides Richtung.

»Nicht genau, aber es ist ungesund lange her«, antwortete Rhodan mit gedämpfter Stimme. »Thora versucht, sie zu einer Pause zu überreden.«

»Wie geht es euch? Du und Thora, ihr müsst ...«

»Hast du etwas von deinen Leuten gehört?«, fiel Rhodan ihm ins Wort.

Danton verstand. Rhodan wollte nicht über seinen Sohn reden. Das Problem war aber, dass Danton auch nicht über das Thema »Regeneration« reden wollte. Andererseits: Vielleicht wusste Rhodan einen Rat, wie Danton sich nützlich machen könnte.

»Den jüngsten Meldungen zufolge wird meine Widerstandsgruppe Regeneration nicht stärker verfolgt, als es bisher der Fall war. Das ist beruhigend. Aber nach dem, was ich kürzlich öffentlich von mir gegeben habe ...« Danton registrierte ein Ziehen in der Magengegend. Als könne sich sein Körper nicht zwischen Bauchschmerzen und Schwindel entscheiden. Für eine Sekunde befürchtete er, er würde wieder in Trance fallen. Doch wenigstens das blieb ihm erspart.

»Die Öffentlichkeit hat von uns beiden im Moment wohl nicht die beste Meinung.« Rhodans Stimme hatte einen bitteren Unterton.

»Immerhin warst es in deinem Fall nicht du selbst, der die kompromittierende Falschmeldung verbreitet hat.«

»Du warst auch nicht du selbst. Du wurdest unter Drogen gesetzt!«

»Das Problem ist, dass ich überhaupt nicht mehr weiß, wann ich ich selbst bin, mon ami.« Und schon drehte sich Dantons Gedankenkarussell von Neuem.

»Du hast die Regeneration aufgebaut. Wenn man deine Vergangenheit berücksichtigt, warst das sehr deutlich du selbst.«

»Und nicht mal das ist mir geblieben.« Danton spürte Tränen in sich aufsteigen, die er schnell niederkämpfte. Er ballte seine Klauen zu Fäusten. Lieber wütend als traurig! »Ich habe mich öffentlich den Aphilikern unterworfen und mich als Gründer der Organisation Guter Nachbar bezeichnet! C'est terrible. Wie sollen mir meine eigenen Leute noch vertrauen?«

Rhodan nahm sich Zeit vor seiner Antwort. »Sie kennen dich. Sie wissen, dass du dich für die Immunen einsetzt. Sie werden bemerken, dass in der Nachricht etwas mit dir nicht stimmte.«

»Das wissen wir nicht sicher.«

»Hast du die Nachricht mal selbst gesehen?«

Danton schüttelte den Kopf.

Rhodan tippte auf sein Multifunktionsarmband. »Da ist es.«

Ein Holo erschien und zeigte Danton sein eigenes Gesicht. Allerdings waren seine großen, rotgoldenen Augen glasig und die Unterlippe seines breiten Munds hing schlapp herab, wie es bei älteren Leuten manchmal der Fall war. Fehlte nur noch, dass er sabberte.

Instinktiv hielt er sich die Ohren zu. Quelle honte! Doch sein Yaanztronergehör fing den Ton trotzdem ein.

»... Ich bin Agent einer feindlichen Spezies, welche die Menschheit vernichten will. In dieser Funktion und mit diesem Ziel habe ich die Organisation Guter Nachbar gegründet ...«

Rhodan stoppte die Aufzeichnung und sah Danton an. »Da hast du es!«

Danton nahm die Klauen von den Fledermausohren. »Pardon?«

»Also bitte! Wer je auch nur zwei Worte mit dir gewechselt hat, merkt sofort, dass etwas mit dir nicht stimmt. So würdest du nicht reden.«

Hoffnungsvoll richtete sich Danton auf und streckte die Brust raus. »Nein?«

Der Terraner lächelte. »Nein. Du lallst in der Aufzeichnung! Dabei nuschelst du sonst nicht mal! Deine Artikulation ist stets tadellos. Und es ist ja auch vollkommener Quatsch, dass du die Organisation Guter Nachbar gegründet haben willst.«

Danton merkte, wie es ihm etwas leichter ums Herz wurde. Vielleicht durchschauten seine Anhänger tatsächlich, dass es sich um keine freiwillig und bei Sinnen abgegebene Botschaft handelte.

»Es ist nur so«, wandte er ein, hörte das Krächzen in seiner Stimme und räusperte sich, »dass ich vier Gruppen damit beauftragt habe, die von dir kommentierten Aufzeichnungen von den Gehirnfunden auf dem Mars öffentlich zu machen. Und nur eine hat es getan. Ich kann mich also nicht mehr darauf verlassen, dass meine Anweisungen umgesetzt werden.«

»Aber diese eine Gruppe hat das Holovid öffentlich gemacht. Es ist durchgedrungen. Und hat die gewünschte Wirkung erzielt: Die Aphiliker sind mit sich selbst beschäftigt! Schlichter kämpfen gegen Schlichter. Und das hält sie davon ab, die Franziskaner zu verfolgen.«

Danton wusste, dass Rhodan ihm schmeicheln wollte. Aber so ganz unrichtig waren seine Worte nicht. Eigentlich war sogar viel Wahres daran ... Dennoch! Er wollte mehr tun. Aber was?

Der Novize in der Ecke sprang auf. »Ich hab's!« Er sah sich um, suchte Mater Ironside. »Wir können die Informationen der fliegenden Überwachungsroboter wieder mitverfolgen!«

Sichtlich zufrieden klopfte die Äbtissin ihm auf die Schulter. »Gut gemacht.«

Dem jungen Kerl mit der blassen Haut und den Sommersprossen war das Blut in die Wangen geschossen. »Danke. Das war nicht leicht. Ich hatte schon befürchtet, sie hätten unsere Hintertür gefunden und beseitigt. Aber die routinemäßigen Programmaktualisierungen der Aphiliker haben meinen Spionagealgorithmus nicht erwischt.«

Rhodan hob fragend eine Augenbraue.

»Er hat beim Hersteller der aphilischen Polizeiroboter gearbeitet«, raunte Danton ihm zu, »und währenddessen deren Positroniksystem manipuliert. Damals eher als Herausforderung aus Langweile. Aber nachdem er zu den Franziskanern kam, erwies sich das als außerordentlich nützlich.«

»Kannst du uns die aktuellen Aufnahmen eines Sicherheitsauges zeigen, das in der Nähe der schwarzen Riesenstele aktiv ist?«, bat Mater Ironside.

Der Franziskaner nickte, und wenige Sekunden später starrten alle Anwesenden auf einige große Hologramme an der Wand über ihren Köpfen. Aus der Vogelperspektive flog eins der Bilder auf den Monolithen aus Siliziumkarbid zu. Einschüchternd ragte die Spitze vier Kilometer in den Himmel.

Vielleicht wirkte die Stele auf Danton auch nur bedrohlich, weil Thomas Rhodan da Zoltral ihnen berichtet hatte, dass sie einen Bewusstseinssplitter von Catron beherbergte.

»Können wir die Sicherheitsaugen auch lenken?«, fragte Ironside.

Der blasse Novize schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Ich könnte da vielleicht was drehen, aber die Wahrscheinlichkeit wäre hoch, dass ich mit der Übernahme der Flugsteuerung einen Alarm auslösen würde.« Er lächelte entschuldigend. »Ich habe damals ein ziemlich gutes Sicherheitssystem in den Maschinen installiert. Das gehörte ja zu meinen Aufgaben.«

Rhodan war aufgestanden und ging zu den Holos. »Können wir die Bildaufzeichnungen verschiedener Überwachungsroboter sehen oder nur von diesem einen?«

»Jede, die Sie wollen.« Der Franziskaner klang wieder stolz.

Mehrere neue Hologramme präsentierten die Stele prompt aus allen möglichen Winkeln.

Danton gesellte sich an Rhodans Seite. Bei den unterschiedlichen Kamerafahrten wurde ihm schwindlig. Es war besser, sich auf nur eine der dreidimensionalen Luftaufnahmen zu konzentrieren. Sie zeigten ohnehin alle das Gleiche. Die Polizeiroboter umkreisten den schlanken, dunklen Turm in elliptischen Bahnen. Verfolgte man also einen der Flüge, konnte man sich einen vollständigen Eindruck der Situation verschaffen.

In einiger Entfernung schwebten Gleiter, die nicht autorisierte Flugobjekte aus dem Nahbereich des Monolithen fernhielten. Am Fuß der Stele war ein Kreis gezogen, in dem Scheinwerfer standen, die nachts Lichtkegel an die Siliziumkarbidsäule warfen. Um diese Bodenzone herum patrouillierten Schlichter in grauen Uniformen.

»Mist!«, sagte Thora. »Ich hatte gehofft, dass dieses Wachpersonal derzeit anderswo eingesetzt wird.«

»Ich auch.« Rhodan deutete auf eins der Holos in der rechten oberen Ecke. »Der Patrouillengang wiederholt sich so exakt, dass bereits ein kleiner Trampelpfad erkennbar ist. Außerdem scheint, diesem schwachen Flimmern nach zu schließen, ein Prallfeld um die Stele errichtet worden zu sein.«