Persische Briefe. Vom Geist der Gesetze - Charles-Louis Secondat Montesquieu - E-Book

Persische Briefe. Vom Geist der Gesetze E-Book

Charles-Louis Secondat Montesquieu

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Beschreibung

Der Baron de Montesquieu gilt als einer der einflussreichsten Köpfe der Geistesgeschichte. In den fiktiven »Persischen Briefen« durchleuchtet er die Sitten und Gebräuche seiner französischen Heimat und entfaltet darin seine geschichts- und staatsphilosophischen Themen, die die Epoche der Aufklärung maßgeblich prägen sollten. Viele Jahre später legt er mit dem »Geist der Gesetze« einen Schlüsseltext zur Staatstheorie vor, in dem er erstmals das Prinzip der Gewaltenteilung entwickelt. Dieser Band enthält eine Auswahl aus den beiden Hauptwerken des visionären Denkers.

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Seitenzahl: 234

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Persische Briefe

Religion

Brief 24. (Der erste aus Paris.) Rica an Ibben, Smyrna

Brief 29. Rica an Ibben, Smyrna

Brief 46. Usbek an Rhedi, Venedig

Brief 75. Usbek an Rhedi, Venedig

Brief 83. Usbek an Rhedi, Venedig

Brief 85. Usbek an Mirza, Isfahan

Brief 35. Usbek an Gemchid, seinen Vetter, Derwisch in dem erhabenen Kloster von Tauris

Brief 125. Rica an †††

Brief 57. Usbek an Rhedi, Venedig

Über die Frauen

Brief 34. Usbek an Ibben, Smyrna

Brief 38. Rica an Ibben, Smyrna

Brief 52. Rica an Usbek, in …

Brief 55. Rica an Ibben, Smyrna

Brief 99. Rica an Rhedi, Venedig

Brief 110. Rica an †††

Brief 86. Rica an †††

Brief 116. Usbek an Rhedi

Brief 62. Zelis an ihren Gatten Usbek, Paris

Literatur und Wissenschaft

Brief 133. Rica an †††

Brief 134. (Fortsetzung)

Brief 135. (Fortsetzung)

Brief 136. (Fortsetzung)

Brief 137. (Schluss)

Brief 108. Usbek an †††

Bücherschreiber

Brief 66. Rica an †††

Wissenschaft und Kunst

Brief 97. Usbek an Hassein, Derwisch des Berges Jaron

Brief 105. Rhedi an Usbek, Paris

Brief 106. (Antwort auf vorigen) Usbek an Rhedi, Venedig

Gelehrtendünkel

Brief 128. Rica an Usbek

Die Geschichte der Troglodyten

Brief 11–14

Brief 12. (Fortsetzung)

Brief 14. (Schluss)

Das Recht

Brief 94. Usbek an Rhedi, Venedig

Brief 95. Usbek an denselben (Fortsetzung)

Beschränktheit des Urteils

Brief 59. Rica an Usbek

Die Selbstmörder

Brief 76. Usbek an seinen Freund Ibben

Wahre Tugend

Brief 50. Rica an †††

Heer und Offiziersehre

Brief 89. Usbek an Ibben

Brief 90. (Fortsetzung)

Die Juden

Brief 69. Usbek an Ibben, Smyrna

Nationalcharakter der Franzosen

Brief 87. Rica an †††

Brief 82. Rica an Ibben, Smyrna

Brief 36. Usbek an Rhedi, Venedig

Erläuterungen zu den Persischen Briefen

Zu Brief 24 (Seite 10)

Zu Brief 85 (Seite 23)

Zu Brief 35 (Seite 26)

Zu Brief 135 (Seite 52)

Zu Brief 108 (Seite 59)

Zu Brief 36 und 128 (Seite 71 und 104)

Von dem Geist der Gesetze

Vorbemerkung zur Übersetzung

Einführung

Vorbemerkung des Verfassers

Buch 1

Von den Gesetzen im Allgemeinen

1. Die Gesetze in ihren Beziehungen zu den verschiedenen Wesen

3. Die positiven Gesetze

Aus Buch 2 und 3

Buch 4

Die Gesetze der Erziehung müssen den verschiedenen Triebfedern der verschiedenen Regierungsformen entsprechen

Aus Buch 5

Buch 6

Buch 7

Buch 8

Von der Verderbnis der Trieb­federn der drei Regierungsformen

Buch 9 und 10

Die Gesetze in ihren Beziehungen zu den Angriffs- und Verteidigungskräften

Über den Krieg

Buch 11

Von den Gesetzen, welche die politische Freiheit bilden, in ihrer Beziehung zur Verfassung

Buch 12

Von den Gesetzen, welche die politische Freiheit hinsichtlich des einzelnen Bürgers begründen

Buch 13

Von den Beziehungen, welche die Erhebung der Abgaben und die Größe der Staatseinkünfte zu der Freiheit haben

Buch 14

Die Gesetze in ihrer Beziehung zum Klima

Buch 16

Von den Beziehungen der Gesetze über häusliche Sklaverei zum Klima

Buch 17

Von den Beziehungen der politischen Sklaverei zum Klima

Buch 18

Die Gesetze in ihrer Beziehung zur Bodenbeschaffenheit des Landes

Buch 19

Die Gesetze in ihrer Beziehung zum Nationalcharakter

Buch 24

Die Gesetze in ihrer Beziehung zu der in jedem Land bestehenden Religion, sowohl ihren äußeren Kultformen als ihrem inneren Wesen nach

Buch 25

Die Gesetze in ihren Beziehungen zu den Einrichtungen der Religion eines jeden Landes und seiner äußeren Regierung

Guide

Table Of Contents

Montesquieu

Persische Briefe

Vom Geist der Gesetze

Mit Illustrationen von Franz Stassen

Herausgegeben von Erich Meyer

Anaconda

Der Text folgt der Ausgabe Montesquieu: Auswahl aus seinen Schriften. Hrsg. v. E. Meyer. Stuttgart: Greiner und Pfeiffer [1904]. Orthografie und Interpunktion wurden auf neue Rechtschreibung umgestellt.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2021 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Carpet design (w/c on Paper), English School (20th century) © Museum of Carpet / © The Carpet Museum Trust / Bridgeman Images

Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bad Honnef

Satz und Layout: www.paque.de

ISBN 978-3-641-28395-7V001

www.anacondaverlag.de

Persische Briefe

1721

Religion

Brief 24. (Der erste aus Paris.) Rica an Ibben, Smyrna

Wir sind seit einem Monat in Paris und sind in einer ununterbrochenen Unruhe gewesen. Was für Umstände, bis man eine Wohnung hat, bis man die Leute aufgefunden hat, denen man empfohlen ist, und bis man alles Notwendige beieinanderhat!

Paris ist so groß wie Isfahan, seine Häuser sind so hoch, als wenn lauter Sterngucker darin wohnten. Du kannst Dir vorstellen, dass eine Stadt, die so in die Luft hinaufgebaut ist, wo immer sechs oder sieben Häuser übereinanderstehen, außerordentlich stark bevölkert ist, und wenn sich alle Leute auf die Straße begeben, ein schönes Gewirr herrscht.

Vielleicht glaubst Du’s mir nicht: aber in dem Monat, den ich nun hier bin, habe ich noch niemand gehen sehen. Es gibt kein Volk auf der Welt, das seine Bewegungsorgane besser ausnützt als die Franzosen. Sie laufen, sie stiegen! Die langsamen Wagen des Orients, der gleichmäßige Schritt unserer Kamele würde sie in Krämpfe fallen lassen. Ich, der ich für solch langsames Tempo geschaffen bin und der ich oft zu Fuß gehe, ohne meine gewohnte Langsamkeit zu beschleunigen, werde manchmal rasend wie ein Christ. Es mag noch hingehen, dass man mich vom Kopf bis zu den Füßen vollspritzt, aber die Ellenbogenstöße, die ich mit zuverlässiger Regelmäßigkeit bekomme, kann ich den Parisern nicht verzeihen.

Der König von Frankreich ist der mächtigste Fürst von Europa. Er hat keine Goldminen wie sein Nachbar, der König von Spanien, aber seine Reichtümer sind größer, weil er sie aus der Eitelkeit seiner Untertanen zieht, die unerschöpflicher ist als Bergwerke. Man hat es erlebt, dass er Kriege unternahm, ohne andere Hilfsquellen zu besitzen als den Verkauf von Titeln, und durch eine Wunderwirkung der menschlichen Eitelkeit waren seine Truppen bezahlt, seine Festungen gerüstet, seine Flotten ausgestattet.

Übrigens ist der König ein großer Zauberer. Sogar über den Geist seiner Untertanen übt er seine Herrschaft und zwingt sie zu denken, wie er will. Wenn er nur eine Million in seinem Schatz, zwei aber nötig hat, braucht er ihnen nur zu sagen, dass ein Taler zwei wert sei, und sie glauben es. Wenn er einen schwierigen Krieg zu führen, aber kein Geld hat, braucht er ihnen nur vorzureden, dass Papier Geld sei, und sie sind alsbald davon überzeugt. Er vermag ihnen sogar einzureden, dass er sie von allen Übeln nur durch seine Berührung heilt, so groß ist seine Gewalt über ihre Seelen.

Was ich von diesem Fürsten sage, darf Dich nicht wundern. Es gibt einen zweiten Zauberer, der noch mächtiger ist als er, der über seine Seele dieselbe Macht ausübt wie er über die der anderen. Dieser Zauberer heißt der Papst: Bald redet er ihm vor, dass drei nur eins sei, dass das Brot, das man isst, kein Brot, und der Wein, den man trinkt, kein Wein sei, und tausend andere derartige Dinge.

Und um sie immer in Atem zu halten und sie die Gewöhnung des blinden Glaubens nicht verlieren zu lassen, gibt er ihnen, um sie in Übung zu halten, von Zeit zu Zeit gewisse neue Glaubensartikel. So schickte er ihnen vor zwei Jahren ein großes Schriftstück, das er Konstitution nannte, und wollte diesen Herrscher und seine Untertanen unter Androhung großer Strafen zwingen, alles, was darin enthalten war, zu glauben. Gegenüber dem Herrscher gelang ihm das. Dieser unterwarf sich und gab damit seinen Untertanen ein Beispiel. Aber einige von diesen empörten sich und sagten, sie wollten nichts von dem Inhalt dieser Schrift glauben. Die Frauen gaben den Anstoß zu dieser Empörung, die den Hof, das Reich und das ganze Land in zwei Lager teilt. Diese Konstitution verbietet den Frauen, ein Buch zu lesen, das nach Auffassung aller Christen ihnen vom Himmel herab gebracht worden, also genau gesprochen ihr Koran ist. Über diese ihrem Geschlecht zugefügte Kränkung waren die Frauen empört und erhoben sich gegen die Konstitution. Sie haben die Männer auf ihre Seite gebracht, die bei dieser Gelegenheit einmal kein Vorrecht vor ihnen haben wollten. Doch muss man zugestehen, dass dieser Mufti (der Papst) gar nicht so unrecht hat, und – beim großen Ali! – er muss das aus unseren Gesetzen entnommen haben. Denn da die Frauen ihrer Erschaffung nach eine Stufe unter uns stehen und unsere Propheten uns sagen, dass sie nicht ins Paradies kommen, was sollen sie da auch ein Buch lesen, das nur geschrieben ist, um den Weg nach dem Paradies zu zeigen?

Ich habe vom König ganz wunderbare Dinge erzählen hören, und ich zweifle nicht, dass Du schwanken wirst, sie zu glauben. Man sagt, dass, als er gegen seine Nachbarn Krieg führte, die sich alle gegen ihn verbündet hatten, in seinem Reich eine Einzahl unsichtbarer Feinde existierte, die ihn umgaben (die Jansenisten). Man fügt hinzu, dass er sie seit dreißig Jahren sucht und dass trotz des unermüdlichen Eifers einiger sein Vertrauen genießender Derwische (der Jesuiten) er noch nicht einen einzigen hat finden können. Sie leben mit ihm, sie sind an seinem Hof, in seiner Hauptstadt, in seinem Heer, in seinen Gerichtshöfen, und doch, sagt man, wird er den Kummer haben, sterben zu müssen, ohne sie entdeckt zu haben. Man möchte sagen, dass sie nur im Allgemeinen, nicht im Besonderen existieren, sie sind ein Körper, keine Glieder. Ohne Zweifel will der Himmel diesen Fürsten dafür strafen, dass er nicht maßvoll gegen seine von ihm besiegten Feinde gewesen ist; so gibt er ihm unsichtbare, deren Genie und Schicksal dem seinen überlegen ist.

Brief 29. Rica an Ibben, Smyrna

Der Papst ist das Haupt der Christenheit. Er ist ein altes Idol, das man aus Gewohnheit beweihräuchert. Früher war er selbst den Fürsten gefährlich, denn er setzte sie ebenso ab, wie unsere erhabenen Sultane die Könige von Irimetta und Georgien absetzen. Er nennt sich den Erben eines der ersten Christen, der Sankt Peter hieß, und es handelt sich allerdings um eine reiche Erbschaft, denn er hat unendliche Schätze und ein großes Land unter seiner Herrschaft.

Die Bischöfe sind ihm untergeordnete Autoritäten. Unter seiner Aufsicht haben sie zwei sehr verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Wenn sie versammelt sind, machen sie, wie er, Glaubenssätze. Wenn sie getrennt sind, haben sie kaum eine andere Aufgabe, als von der Erfüllung des Gesetzes Dispens zu erteilen. Denn Du musst wissen, dass die christliche Religion mit einer unendlichen Menge sehr schwer erfüllbarer Forderungen beladen ist, und da man gemeint hat, dass es weniger leicht ist, seine Pflichten zu erfüllen, als Bischöfe zu haben, die davon Dispens erteilen, hat man im Interesse des öffentlichen Nutzens diesen letzteren Ausweg ergriffen. Will man daher den Ramadan (den Fastenmonat) nicht innehalten, will man sich den Formalitäten der Eheschließung nicht unterwerfen, will man ein Gelübde brechen, will man unter Missachtung der gesetzlichen Einschränkungen heiraten, manchmal sogar wenn man seinen Eid brechen will, braucht man nur zum Papst oder zum Bischof zu gehen, der dann Dispens erteilt.

Die Bischöfe machen übrigens die Glaubensartikel nicht selbst. Es gibt eine Anzahl von Doktoren, meistens Derwische (d.h. Jesuiten), die unter sich tausend neue Fragen über die Religion aufstellen. Man lässt sie streiten, und der Krieg dauert so lange, bis ein Entscheid ihn beendet.

So kann ich Dir auch versichern, dass es nie ein Reich gegeben hat, wo so viel Bürgerkriege getobt haben wie in Christi Reich.

Die, welche irgendeine neue religiöse Auffassung ans Licht bringen, werden zuerst »Ketzer« genannt. Jede Ketzerei hat ihren besonderen Namen, der für ihre Anhänger gleichsam eine Art Parole bildet. Aber man ist nicht so ohne Weiteres Ketzer: Man braucht sich nur über den Streitpunkt zu einigen und denen, die die Anklage auf Ketzerei erheben, eine Definition zu geben, und was das auch für eine Definition ist, verständlich oder nicht, so macht sie ihren Mann weiß wie Schnee, und man darf dann hingehen und sich »orthodox« nennen.

Was ich Dir sage, stimmt für Frankreich und Deutschland. In Spanien, so habe ich sagen hören, gibt es gewisse Derwische (die Jesuiten), die keinen Spaß verstehen und die einen Menschen wie Stroh verbrennen. Wenn man in die Hände dieser Leute fällt – glücklich der, der immer zu Gott gebetet hat mit kleinen aufgereihten Holzperlen in der Hand, der zwei mit zwei Bändern zusammengeknüpfte Tuchstücke (d.h. ein Skapulier, wie die Mönche es trugen) bei sich getragen hat und der manchmal in einer Provinz gewesen ist, die man Galizien nennt (d.h. der eine Wallfahrt zu dem angeblichen Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela gemacht hat). Ohne das ist ein armer Teufel recht in Verlegenheit. Wenn er auch so aufrichtig schwören würde wie ein Heide, dass er rechtgläubig sei, würde man dennoch an seiner Vollwertigkeit zweifeln und ihn als Ketzer verbrennen.

Brief 46. Usbek an Rhedi, Venedig

Ich sehe hier Leute, die ohne Aufhören über die Religion disputieren. Aber es scheint, dass sie gleichzeitig darin wetteifern, wer in ihr am lässigsten zu sein vermöge.

Sie – diese Leute – sind nicht allein keine besseren Christen als die anderen, sie sind nicht einmal bessere Bürger, und das geht mir nahe. Denn in welcher Religion man auch leben mag, der Gehorsam gegen die Gesetze, die Liebe zu seinen Mitmenschen, die Liebe gegenüber seinen Verwandten machen immer die Grundlage jeglicher Religion aus.

Muss denn nicht tatsächlich eines jeden religiösen Menschen erste Pflicht sein, der Gottheit, die seine Religion gegründet hat, zu gefallen? Aber das sicherste Mittel, um das zu erreichen, besteht doch zweifellos darin, dass man die Bestimmungen der Gesellschaft und die Pflichten der Humanität erfüllt. Denn gleichviel in welcher Religion man lebt, man muss, sobald man eine gelten lässt, auch annehmen, dass Gott die Menschen liebt, da er eine Religion begründete, um sie glücklich zu machen; man muss ferner annehmen, dass, wenn er die Menschen liebt, man sicher ist, ihm zu gefallen, wenn man sie gleichfalls liebt, d.h. wenn man ihnen gegenüber alle Pflichten der Mildtätigkeit und Menschlichkeit erfüllt und die Gesetze nicht verletzt, unter denen sie leben.

Dadurch kann man Gott viel sicherer gefallen, als wenn man diese oder jene Zeremonie beobachtet. Denn die Zeremonien an sich haben keinen absoluten Wert. Sie sind gut nur insofern, als Gott sie angeordnet hat. Aber das ist eine schwierige Streitfrage, und man kann sich in ihr leicht irren, denn man muss die Zeremonien einer Religion unter denen von zweitausend auswählen.

Ein Mensch betete alle Tage zu Gott: »Herr, ich verstehe nichts von den Streitereien, die man unaufhörlich über dich erhebt. Ich möchte dir gern nach deinem Willen dienen, doch jeder, den ich befrage, verlangt, dass ich es nach seinem tun soll. Wenn ich bete, weiß ich nicht, in welcher Sprache ich es tun soll. Ich weiß auch nicht, welche Haltung ich annehmen soll: Der eine sagt, ich müsse stehend zu dir beten, der andere will, dass ich sitzen soll, der Dritte verlangt, dass ich knie. Das ist noch nicht alles. Manche behaupten, dass ich mich alle Morgen mit kaltem Wasser waschen soll; andere behaupten, dass du mich mit Abscheu ansehen wirst, wenn ich mir nicht ein bestimmtes Stückchen Fleisch abschneiden lasse. Neulich begegnete es mir, dass ich in einem Gasthaus ein Kaninchen verzehrte: Drei Männer, die sich in der Nähe befanden, jagten mir einen großen Schrecken ein. Sie behaupteten alle drei, dass ich dich schwer gekränkt hätte: der eine – ein Jude –, weil dies Tier unrein wäre; der andere – ein Türke –, weil es erstickt wäre; der dritte – ein Armenier –, weil es kein Fisch wäre. Ein Brahmane, der vorbeikam und den ich zum Richter nahm, sagte mir: ›Die andern haben unrecht. Denn ersichtlich hast du das Tier nicht selbst getötet!‹ – ›Doch!‹, erwiderte ich. ›Ach, dann hast du eine verabscheuenswürdige Tat begangen, die Gott dir nie vergeben wird‹, sagte er mit strengem Ausdruck zu mir. ›Was weißt du, ob nicht deines Vaters Seele in dies Tier übergegangen war?‹ Alle diese Dinge, Herr, bringen mich in unbeschreibliche Verlegenheit. Ich kann nicht den Kopf drehen, ohne in Gefahr zu geraten, dich zu kränken. Und doch möchte ich dir wohl gefallen und dazu das Leben brauchen, das ich von dir habe. Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber es scheint mir, dass das beste Mittel, um zu diesem Ziel zu gelangen, ist, als ein guter Bürger innerhalb der Gesellschaft zu leben, in die du mich durch meine Geburt versetzt, und als guter Vater in der Familie, die du mir gegeben hast!«

Brief 75. Usbek an Rhedi, Venedig

Ich muss Dir gestehen, ich habe bei den Christen nicht die lebhafte Überzeugung von der Richtigkeit ihrer Religion beobachtet, die sich bei den Muselmanen findet. Es ist ein weiter Weg bei ihnen von dem Bekenntnis zum Glauben, vom Glauben zur inneren Überzeugung, von der Überzeugung zur Ausübung. Die Religion ist ihnen weniger ein Gegenstand der Heiligung als ein Gegenstand des Wortstreites für jedermann. Die Hofgesellschaft, die Offiziere, sogar Frauen erheben sich gegen die Vertreter der Kirche und verlangen, dass sie ihnen beweisen sollen, was sie doch von vornherein entschlossen sind, nicht zu glauben. Nicht als ob sie sich aus überlegten Gründen entschieden oder die Mühe gegeben hätten, die Wahrheit oder die Irrigkeit der Religion zu prüfen, die sie verwerfen. Es sind Rebellen, die das Joch gedrückt hat und die es abgeschüttelt haben, ehe sie es recht kannten. Folglich sind sie auch in ihrem Unglauben nicht fester, als sie in ihrem Glauben waren. Sie leben in einem Hin und Her zwischen beiden. Einer von ihnen sagte neulich zu mir: »An die Unsterblichkeit der Seele glaube ich halbjahrweise. Meine Meinungen hängen ganz und gar von meinem körperlichen Befinden ab: Je nachdem ich mehr oder weniger stark animalische Bedürfnisse habe oder mein Magen mehr oder weniger gut verdaut oder die Luft, die ich atme, schwerer oder leichter ist, die Fleischarten, von denen ich mich nähre, leichter oder schwerer sind, je nachdem bin ich Spinozist, Sozianer, Katholik, gottlos oder fromm. Sitzt der Arzt an meinem Bett, hat mein Beichtiger leichte Arbeit. Ich weiß es zu verhindern, dass die Religion mir unbequem wird, solange ich mich gesund fühle. Aber ich gestatte ihr, mich zu trösten, wenn ich krank bin: Wenn ich von der einen Seite nichts mehr zu hoffen habe, gewinnt mich die Religion durch ihre Verheißungen. Es ist mir dann schon recht, mich ihr hinzugeben und in ihren Hoffnungen zu sterben.«

Schon vor langer Zeit ließen die christlichen Fürsten alle Sklaven ihrer Länder frei, weil, wie sie sagten, das Christentum alle Menschen gleichmacht. Allerdings war diese fromme Handlung für sie zugleich von großem materiellen Nutzen: Sie beugten dadurch die großen Herren, deren Macht sie das niedere Volk entzogen. Dann haben sie Eroberungen gemacht in Ländern, wo, wie sie einsahen, die Aufrechterhaltung der Sklaverei ihnen Nutzen versprach. Da gaben sie wieder Erlaubnis zum Sklavenhandel und vergaßen die Grundsätze ihrer Religion, die ihnen angeblich so am Herzen lagen. Was soll ich Dir sagen? Wahrheit heute, morgen Irrtum! Warum machen wir’s nicht wie die Christen? Wir Perser sind eigentlich recht töricht, Kolonien und Eroberungen unter glücklicheren Himmelsstrichen abzuweisen, weil dort das Wasser angeblich nicht rein genug ist, um uns darin nach den Vorschriften des Korans zu waschen.

Ich danke Gott dem Allmächtigen, der Ali, seinen großen Propheten, gesandt hat, dafür, dass ich mich zu einer Religion bekenne, die sich höher stellt als alle irdischen Interessen und rein ist wie der Himmel, von dem sie kam.

Brief 83. Usbek an Rhedi, Venedig

Wenn es einen Gott gibt, mein lieber Rhedi, dann muss er notwendigerweise gerecht sein. Denn wenn er das nicht wäre, würde er das schlechteste und unvollkommenste aller Wesen sein.

Die Gerechtigkeit ist ein auf Übereinkunft beruhendes Verhältnis, das wirklich zwischen zwei Dingen besteht. Dies Verhältnis ist immer dasselbe, von welchem Standpunkt aus man es auch betrachtet, von dem Gottes, dem eines Engels oder schließlich dem eines Menschen.

Allerdings sehen die Menschen diese Verknüpfung der Dinge nicht immer. Oft sogar, wenn sie sie sehen, kümmern sie sich nicht darum, und ihr eigener Vorteil ist immer das, was sie am deutlichsten sehen. Die Gerechtigkeit erhebt wohl ihre Stimme, aber es wird ihr schwer, sich in dem Lärm der Leidenschaften Gehör zu verschaffen.

Die Menschen können Ungerechtigkeiten begehen, weil sie ein Interesse daran haben, sie zu begehen, und ihre eigene Befriedigung der Beglückung anderer vorziehen. Stets handeln sie aus irgendeiner Rücksicht auf sich selbst: Um der Sache selbst willen allein ist niemand schlecht. Ein Grund, der sie bestimmt, muss vorhanden sein, und der liegt immer in irgendeinem selbstsüchtigen Interesse.

Dass aber Gott etwas Ungerechtes tut, ist nicht möglich. Vorausgesetzt, dass er das Gerechte erkennt, muss er es auch notwendigerweise tun. Denn da er für sich keine Bedürfnisse hat und sich selbst genügt, würde er das schlechteste aller Wesen sein, weil er es ohne eine materielle Rücksicht wäre.

Also, wenn es keinen Gott gäbe, müssten wir immer doch die Gerechtigkeit lieben, d.h. alle unsere Kräfte sammeln, um jenem Wesen zu gleichen, von dem wir eine so vornehme Vorstellung haben und das, wenn es existierte, notwendigerweise gerecht sein müsste. Frei von dem Joch der Religion, wie wir es sein würden, dürften wir es nicht von dem der Gerechtigkeit sein.

Das, lieber Rhedi, hat mich auf den Gedanken geführt, dass die Gerechtigkeit ewig ist und nicht von menschlichen Satzungen abhängt. Und wenn sie davon abhinge, wäre das eine entsetzliche Tatsache, die man sich gar nicht eingestehen dürfte.

Wir sind von Menschen umringt, die stärker sind als wir. Sie können uns auf tausend verschiedene Arten schaden. Dreimal von viermal können sie es ungestraft tun: Welche Beruhigung für uns, zu wissen, dass es im Herzen aller dieser Menschen ein Prinzip gibt, das zu unseren Gunsten eintritt und uns gegen ihre bösen Absichten deckt!

Ohne das müssten wir in einer unaufhörlichen Angst sein. Wir würden an unsern Mitmenschen vorbeigehen wie an wilden Tieren und wir würden uns nicht einen Augenblick unseres Besitzes sicher fühlen, noch unserer Ehre, noch unseres Lebens.

Alle diese Erwägungen bringen mich gegen jene Gelehrten auf, die Gott als ein Wesen hinstellen, das von seiner Macht einen tyrannischen Gebrauch macht; die ihn in einer Weise handeln lassen, in der wir selbst nicht handeln möchten aus Besorgnis, ihn zu kränken; die ihn mit all den Unvollkommenheiten belasten, die er in uns straft, und die ihn in ihren widerspruchsvollen Äußerungen bald als ein böses Wesen darstellen, bald als eins, das das Böse hasst und straft.

Welche Genugtuung für den sich einer Selbstprüfung unterziehenden Menschen, wenn er sein Herz von Gerechtigkeitsliebe erfüllt findet! Diese Freude, so ernst sie ist, muss überwältigend sein. Er sieht sich ebenso hoch über denen, die nicht so sind, wie er über Tigern und Bären steht. Ja, Rhedi, wenn ich gewiss wäre, stets dieser Gerechtigkeit zu folgen, die mir so deutlich vor Augen steht, würde ich mich für den Ersten aller Menschen halten.

Brief 85. Usbek an Mirza, Isfahan

Du weißt, Mirza, dass einige Minister von Cha-Soliman den Plan gefasst hatten, alle Armenier in Persien zu zwingen, entweder das Königreich zu verlassen oder Mohammedaner zu werden, indem sie meinten, dass unser Reich immer befleckt sein würde, solange es diese Ungläubigen in seinem Schoß behalten würde.

Es wäre um die Größe Persiens geschehen gewesen, wenn der blinde Fanatismus bei dieser Gelegenheit die Oberhand behalten hätte.

Man weiß nicht, warum die Sache misslang. Weder die, welche den Vorschlag gemacht hatten, noch ihre Gegner hatten Gelegenheit, seine Folgen kennenzulernen. Der Zufall besorgte die Geschäfte der Vernunft und der Politik und rettete das Reich vor einer Gefahr, die größer war als irgend der Verlust einer Schlacht oder die Einbuße zweier Städte.

Durch die Proskription der Armenier fürchtete man, an einem Tag alle Großkaufleute und fast alle Handwerker des Reiches zu vernichten. Ich bin sicher, dass der große Cha-Abas es vorgezogen hätte, sich beide Arme abzuschneiden, als solchen Erlass zu unterzeichnen. Er hätte gemeint, wenn er seine arbeitsamsten Untertanen dem Mogul und den andern indischen Königen zutriebe, diesen die Hälfte seines Reiches zu schenken.

Die Verfolgungen, denen unsere eifrigen Mohammedaner die Parsen ausgesetzt haben, zwangen sie, massenhaft nach Indien auszuwandern, und beraubten Persien dieses Volkes, das so eifrig im Ackerbau und allein imstande war, durch seinen Fleiß die Unfruchtbarkeit unseres Bodens auszugleichen.

Es blieb dem Fanatismus noch ein zweiter Vorstoß auszuführen, nämlich die Industrie zu vernichten, das beste Mittel, um das Reich völlig niederzuwerfen und mit ihm ebendieselbe Religion, der man zur Blüte und Macht verhelfen wollte.

Wenn man ohne vorgefasste Meinung an die Frage herantreten will, lieber Mirza, dann weiß ich nicht, ob es nicht ein Segen ist, wenn in einem Reich mehrere Religionen vorhanden sind.

Man macht die Beobachtung, dass die Anhänger geduldeter Religionen sich gewöhnlich ihrem Vaterland nützlicher erweisen als die Anhänger der herrschenden. Denn von den Ehrenstellen ausgeschlossen, können sie sich nur durch ihren Reichtum auszeichnen und sind somit darauf angewiesen, solchen durch emsige Arbeit zu erwerben und sich in den mühseligsten Erwerbszweigen zu betätigen.

Da übrigens alle Religionen ohne Unterschied sozial wertvolle Vorschriften enthalten, ist es gut, wenn sie eifrig gepflegt werden. Welch besseres Mittel gibt es nun aber, um diesen Eifer anzustacheln, als wenn die Vielheit der Religionen ihn zum Wetteifer wandelt?

Das sind Rivalen, die sich nichts nachsehen! Die Eifersucht bemächtigt sich jedes Einzelnen, jeder ist auf seiner Hut und scheut sich, Dinge zu tun, die seine Partei schädigen und sie der Verachtung oder unerbittlichen Verurteilung der Gegenpartei aussetzen könnten.

So hat man auch beobachtet, dass die Einführung einer neuen Sekte in einem Staat das sicherste Mittel ist, um alle Missbräuche der alten zu beheben.

Was will die Behauptung besagen, es sei nicht im Interesse eines Fürsten, mehrere Religionen in seinem Land zu dulden? Wenn sich alle Sekten der Welt darin sammelten, würde ihm das keinen Schaden tun, weil es keine gibt, die nicht den Gehorsam vorschreibt und nicht die Unterwürfigkeit predigt.

Ich gebe zu, dass die Geschichte voll ist von Religionskriegen. Aber man hüte sich zu glauben, dass die Vielheit der Religionen diese Kriege hervorgerufen habe! Das war vielmehr immer der Geist der Unduldsamkeit, von dem die sich für herrschend haltende erfüllt war. Das war jener Trieb des Proselytentums, den die Juden von den Ägyptern übernommen haben und der von ihnen wie eine Volkskrankheit auf die Mohammedaner und die Christen übergegangen ist. Das war endlich jener Schwindelgeist, dessen Umsichgreifen nur als eine gänzliche Verdunkelung der menschlichen Vernunft betrachtet werden kann.

Denn schließlich, wenn selbst in der Beunruhigung fremder Gewissen keine Unmenschlichkeit läge, wenn selbst keine der zu Tausend daraus hervorkeimenden schlechten Folgen einträte, eins kann niemand übersehen, wenn er anders bei gesundem Verstand ist: Wer mich zu einem Religionswechsel veranlassen will, tut es sicherlich nicht, weil er selbst einem solchen Versuch nachgeben würde. Er findet es also sonderbar, dass ich nicht etwas tun mag, was er selbst vielleicht für alle Königreiche der Erde nicht tun würde.

Brief 35. Usbek an Gemchid, seinen Vetter, Derwisch in dem erhabenen Kloster von Tauris