Petermanns Chaos - Eva Joachimsen - E-Book
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Eva Joachimsen

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Beschreibung

Ein heiterer Unterhaltungsroman Das Leben des pedantischen Buchhalters Wilhelm Petermann gerät aus den Fugen, als seine chaotische jüngere Schwester mit ihren drei kleinen Kindern, Hund und Katze in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung auftaucht. Lydia, das verwöhnte Nesthäkchen der Familie, ist vor Eheproblemen weggelaufen und bürdet Wilhelm ihren Nachwuchs auf, während sie sich auf die Suche nach einer neuen Bleibe macht. Der Single Wilhelm ist mit dem turbulenten Familienleben völlig überfordert. Natürlich leiden auch die anderen Mieter unter dem Lärm und der Unruhe im Haus und reagieren verärgert. Zum Glück bieten zwei Nachbarinnen ihre Hilfe an.

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Inhaltsverzeichnis

Petermanns Chaos

1. Unangemeldeter Besuch

2. Wilhelm wird gerettet

3. Wilhelm entwickelt hauswirtschaftliche Fähigkeiten

4. Wilhelm lernt Frau Hansen kennen

5. Nachbarschaftshilfe

6. Im Zoo

7. Es spitzt sich zu

8. Frau Beierlein spricht ein Machtwort

9. Lydia wird aktiv

10. Wilhelm mausert sich

11. Wilhelm macht Karriere

12. Ende gut, alles gut

13. Zur Autorin:

Petermanns Chaos

Eva Joachimsen

Impressum

Eva Joachimsen

c/o Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

2. Auflage

Copyright © 2017 Eva Joachimsen

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: TomJay - bookcover4everyone / www.tomjay.de Titelbild: © Photographee.eu - Fotolia.com

1. Unangemeldeter Besuch

Kalle Harms, der Chauffeur des Firmenbusses, wartete ungewohnt geduldig auf seinen letzten Fahrgast. Normalerweise fuhr er los, wenn die Kollegen nicht pünktlich waren. Die Vorwürfe am nächsten Tag prallten an ihm ab, wie Regentropfen an seiner gewachsten Windschutzscheibe. Schließlich musste er den Zeitplan einhalten, damit die anderen ihren Anschlusszug erreichten. Bei Wilhelm Petermann musste etwas Schwerwiegendes vorgefallen sein, denn es war das erste Mal, dass er sich in siebenundzwanzig Jahren verspätete.

„Nun starten Sie doch endlich“, knurrte Rother ungeduldig.

Harms sah im Rückspiegel, wie sich Rother vorbeugte, dabei spannte das Jackett, sodass der Knopf abzuspringen drohte.

„Ja, sonst verpassen wir unsere Bahn“, stimmte Dr. Bräuer ein.

„Wir haben noch ein paar Minuten Zeit“, beschwichtigte Harms. Er holte sein Fahrtenbuch hervor und machte Eintragungen. Seit achtundzwanzig Jahren fuhr er den Firmenbus bis zum Bahnhof. Die restliche Zeit machte er Botendienste. Die meisten Mitarbeiter behandelten Harms herablassend, schließlich war er in ihren Augen ein einfacher Arbeiter, deshalb fühlten sie sich berechtigt, ihm Anweisungen zu geben. So manche Kämpfe hatte er auszutragen gehabt, denn er unterstand ausschließlich dem Chef der Autoabteilung.

Petermann war nicht nur so pünktlich, dass angeblich nach ihm die Werksuhr gestellt wurde, sondern behandelte jeden, wirklich jeden, in der Firma korrekt und höflich. Natürlich war er stets akkurat mit Anzug und Krawatte gekleidet und seine gelichteten Haare lagen ordentlich gescheitelt in Reih und Glied.

„Können wir diesen Korinthenkacker nicht zurücklassen? Dann erlebt er wenigstens einmal in seinem Leben etwas Abenteuerliches“, schlug Finn, der Auszubildende, vor. Sein Gesicht strahlte bei diesem Gedanken.

Allgemeines Gelächter belohnte seinen Vorschlag. Petermanns Umständlichkeit reizte alle und sorgte für reichlich Spott, den er stoisch ertrug. Nur Kalle Harms, der Pförtner und die Putzfrau waren dankbar, dass er sie genauso freundlich behandelte, wie die anderen Mitarbeiter und mochten ihn daher. Manchmal unterhielt Waltraut Müller sich mit ihm. Niemand nahm sich ansonsten Zeit, ihr zuzuhören. Sein Schreibtisch war immer aufgeräumt und ließ sich problemlos abwischen. Auch lag sein Müll im Papierkorb und nicht daneben wie bei den jungen Leuten im ersten Stock, die zu faul waren, jedes Mal aufzustehen, wenn sie etwas wegwerfen wollten.

Endlich erschien Petermann, ein untersetzter Mann mittlerer Größe. Ruhig, höchstens einen Tick schneller als üblich, lief er über den Hof.

„Mann, geben Sie Gas, wir schaffen es noch, bevor er hier ist“, rief Finn. Doch Harms schien ihn nicht zu hören.

„Fünf Minuten zu spät“, hielt Rother Petermann vor.

„Vielen Dank, Herr Harms, ich hatte ein dringendes Telefonat, es tut mir sehr leid“, entschuldigte sich Petermann.

„Da gibt es nichts zu entschuldigen. Wir verpassen Ihretwegen die Bahn“, knurrte Dr. Bräuer.

Petermann setzte sich wie üblich auf seinen Stammplatz hinter Kalle Harms, schaute auf die Armbanduhr und wandte sich an Rother. „Es sind nur vier Minuten und fünfzehn Sekunden.“

„Was hätten Sie gemacht, wenn wir weg gewesen wären?“, fragte Finn mit einem breiten Grinsen.

„Dann hätte ich trampen müssen“, erwiderte Petermann ernsthaft.

„Ha, da habe ich also recht. Harms hat Ihnen das Abenteuer Ihres Lebens vermasselt.“ Finns Stimme überschlug sich vor Eifer.

„Herr Harms“, korrigierte Petermann. Anschließend beachtete er Finn nicht weiter, sondern faltete wie gewohnt die Zeitung auseinander. So vermied er es, in das Firmengetratsche hineingezogen zu werden. Obwohl er zu lesen versuchte, kehrten seine Gedanken zum Telefonat zurück.

Seine Schwester hatte überraschend angerufen. Aus der konfusen Erzählung entnahm er, dass sie sich von ihrem Mann getrennt hatte und sich vorübergehend, bis sie etwas Besseres gefunden hätte, bei ihm einquartieren wollte. Wie Lydia mit ihren drei Kindern in seine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung passen sollte, überstieg sein Vorstellungsvermögen. Sie würden sein ganzes Leben durcheinanderbringen. Lydia fragte ihn, typisch für sie, überhaupt nicht, ob er mit dem Überfall einverstanden wäre, sondern teilte ihm nur mit, dass sie am Bahnhof stände und ihn von der Firma abholen wolle. Erschrocken hatte sich Petermann gewehrt und vorgeschlagen, sie solle bei McDonalds essen und dann mit einer Taxe zur Wohnung fahren. Er würde ihr die Auslagen ersetzen. Mit Grausen dachte er an die kommenden Tage. Wie sollten die bloß werden, wenn die Woche schon so anfing? Aber er konnte doch nicht so ehrlos sein und seine kleine Schwester vor der Tür stehen lassen! Da er überhaupt keine Phantasie besaß, sah er keine andere Lösung des Problems.

Am Bahnhof stieg er aus und ging gedankenschwer den gewohnten Weg. Als er von der Goethe-Allee in die Schillerstraße bog, prallte er fast zurück. Bereits von weitem erkannte er seine Schwester. Sie stand vor einer Taxe und gestikulierte lebhaft. Laut schallte ihre Stimme zu ihm. Schrill schmerzte sie in seinem Ohr. Um Lydia herum lag Gepäck verstreut. Eine alte Dame mit Gehwagen musste auf die Straße ausweichen, weil sie auf dem Bürgersteig nicht mehr durchkam. Wilhelm überwand seinen Unmut und eilte tapfer hinzu.

Lydia balancierte auf hohen Absätzen zwischen dem Gepäck. Aber selbst ihr knapper Minirock und das enge, tief ausgeschnittene Top unter dem geöffneten Blazer bezirzte den Chauffeur nicht.„Also, bezahlen Sie mich nun oder soll ich die Polizei rufen?“, grollte der Fahrer, als Wilhelm in Hörweite war.

„Warten Sie bitte noch etwas, mein Bruder muss jeden Augenblick kommen“, versuchte Lydia, ihn zu vertrösten. Den fast zweijährigen Sascha hielt sie an der Hand. Der Junge weinte, sein Mund war weit aufgerissen, das Gesicht sah zerknautscht aus und die blonden Haare waren verstrubbelt. An der Hauswand schrie das Baby im Kinderwagen und davor stand der Hund und jaulte. Nur der vierjährige Nico sah zufrieden aus. Er hatte sich einen Ast genommen und malte auf die Heckklappe des Autos.

Als Lydia aufsah, entdeckte sie ihren Bruder. „Ach, da bist du ja endlich.“ Sie fiel ihm um den Hals und küsste ihn rechts und links auf die Wangen.

Mühsam befreite sich Wilhelm. „Ich habe gesagt, ich bin 17.14 Uhr zu Hause, schau auf die Uhr. Ich bin pünktlich.“ Dann trat er einen Schritt vor, nahm Nico den Ast weg und den Jungen an die Hand. „Wenn du nicht so ungeduldig gewesen und vorzeitig hergekommen wärst, wäre diese peinliche Situation nicht eingetreten“, wies Wilhelm seine Schwester zurecht.

Anschließend wandte er sich dem Taxifahrer zu. „Entschuldigen Sie bitte, was bekommen Sie?“

„Inzwischen achtzehn Euro fünfzig“, erwiderte der Chauffeur entnervt.

Mit einem besorgten Blick auf die Taschen und Koffer, den Kinderwagen mit seinem schreienden Inhalt, den bellenden Hund, den Nico inzwischen an der Leine hielt und das Katzenkörbchen zog Wilhelm einen Fünfzigeuroschein aus dem Portemonnaie. „Können Sie uns beim Hochtragen helfen?“, bat er.

„Bis wohin?“ Misstrauisch schaute der Fahrer die Fassade empor.

„Nur in den ersten Stock. Es würde dann so stimmen.“

„Aber Wilhelm ...“, fiel Lydia ein. Mit einer Handbewegung warf sie ihre langen, blonden Haare nach hinten.

„Sind Sie so freundlich?“ Er lächelte den Fahrer an.

„In Ordnung.“ Der Chauffeur grapschte nach dem Schein und verstaute ihn. Dann schnappte er sich zwei Koffer und lief los. Lydia drückte ihrem Bruder den Katzenkorb in die Hand.

„Ich wollte die Reisetaschen nehmen“, wandte er ein.

„Nein, zuerst die Katze und der Hund“, bestimmte Lydia.

Gehorsam eilte Wilhelm mit dem Katzenkorb, einer Reisetasche und seinem Aktenkoffer beladen zur Wohnung. Nico stolperte mit dem Hund an der Leine hinter ihm her. „Nicht so schnell, Onkel Willy“, japste er.

Auf dem Absatz begegnete Wilhelm dem Taxenfahrer, der die Koffer einfach mitten auf dem Treppenabsatz stehen gelassen hatte.

Wilhelm setzte die Tasche ab und suchte den Schlüssel. Doch bevor er das Schloss aufschließen konnte, musste er erst einmal Nico, der ihn erreicht hatte und vor der Tür wartete, wegschieben.

Inzwischen kam der Fahrer erneut, drängte den Hund mit dem Fuß zur Seite und ließ zwei Reisetaschen und die Windeltasche neben dem anderen Gepäck fallen.

„Den Kinderwagen schaffen Sie bestimmt alleine. Ich fahre dann.“ Bevor Wilhelm antworten konnte, verschwand er.

„Müssen Sie den Fluchtweg versperren, unerhört“, schimpfte Herr Koch aus dem dritten Stock. Er stand auf der letzten Stufe und konnte nicht weitergehen, weil der Podest vollgestellt war. Zwischen dem Gepäck stand Nico und hielt den Hund eisern fest, der herumwuselte und sich in der Leine verheddert hatte.

„Sie können doch nicht einfach alles hier abladen. Das ist eine Unverschämtheit“, giftete Herr Koch. Sein Gesicht färbte sich mehr und mehr. An der Schläfe trat eine Ader hervor.

Als Antwort bellte Hannibal aufgeregt und überschlug sich fast. In einer Hand hielt Wilhelm noch immer den Korb mit der fauchenden Katze, mit der anderen versuchte er verzweifelt den Schlüssel ins Schloss zu stecken. „Entschuldigen Sie bitte, ich räume sofort auf.“ Er versuchte, so souverän zu wirken, wie es mit einem an seinem Arm zerrenden kleinen Jungen ging. Natürlich dauerte es ziemlich lange, bis er die Tür geöffnet hatte.

Hastig schob er eine Tasche mit dem Fuß in den kleinen Flur. Dadurch verlor der Berg seinen Halt und rutschte ab. Wilhelm sprang vor und verhinderte im letzten Augenblick, dass ein unförmiger Beutel die Treppe hinunterstürzte. Allerdings fielen zwei Äpfel und einige Butterkekse heraus und mussten wieder eingesammelt werden. Endlich hatte er eine Schneise für den Nachbarn freigemacht.

„Und ich habe Sie bisher für rücksichtsvoll gehalten“, murmelte Herr Koch, als er vorbeiging.

Wilhelm verteilte das Gepäck in der Wohnung. Einen Teil brachte er gleich ins Schlafzimmer. Dabei stolperte er über die Hundeleine. Beim Versuch das Gleichgewicht mit ein paar Schritten zurück zu gewinnen, trat Wilhelm auf eine Reisetasche und fiel hin. Im Fallen schlug er mit dem Kopf gegen die Wohnungstür. Hannibal jaulte laut auf. Er selbst verbiss sich einen Fluch.

Nico kletterte über einen Koffer und den Katzenkorb zu ihm, Hannibal folgte und leckte ihm übers Gesicht.

Wilhelm schob den Hund, eine Straßengrabenmischung mit viel Terrier, entsetzt von sich.

„Nico, geh in die Küche“, befahl er.

Nachdem er das gesamte Gepäck im Flur und Schlafzimmer gestapelt hatte, eilte er wieder hinunter.

„Musstest du dem Kerl so viel Geld geben? Der hat mich vielleicht angemacht! Wir hätten die Sachen auch allein hochtragen können“, empfing Lydia ihn.

„Wolltest du hier noch länger stehen? Du hast dich bereits zum Schauspiel der Straße gemacht“, wies Wilhelm sie zurecht. Sein Kopf pochte. Er spürte, wie die Beule wuchs. Nur mit Mühe beherrschte er sich. Dabei geriet er höchst selten in Wut.

„Wieso?“, fragte Lydia ahnungslos.

Kaum merklich nickte Wilhelm nach links oben.

Lydia drehte sich um und schaute hoch. Im zweiten Stock des Nachbarhauses bewegte sich eine Gardine.

„Unsere alte Jungfer beobachtet alles genau.“

Spontan hob seine schreckliche Schwester den Arm, winkte und warf Kusshändchen. Dabei funkelten ihre blauen Augen und Lachfältchen verzauberten ihr Gesicht.

„Lydia, das reicht! Benimm dich nicht so provozierend.“

„Wer benimmt sich peinlich? Ich oder die Alte?“ Sie lachte ihren Bruder an. „Sei doch nicht ständig so spießig.“

„Was machen wir mit dem Kinderwagen? Im Hausflur ist kein Platz, oben bei mir in der Wohnung aber auch nicht“, wechselte Wilhelm das Thema.

Lydia krauste die Stirn.

„Anna-Lena muss darin schlafen. Wir bräuchten nur das Oberteil. Das Fahrgestell kann in den Keller.“

„Gut, dann tragen wir das Baby hoch, und ich hole den Schlüssel.“

Sie lösten die Sicherungen und jeder griff sich einen Gurt von der Tragetasche.

Als Wilhelm das Fahrgestell hinunter trug, überlegte er, ob er Hund und Katze nicht ebenfalls in dem Verschlag unterbringen könnte. Aber Lydia würde es nie zulassen, sie liebte ihre Tiere abgöttisch. Allein der Vorschlag hätte einen Wutanfall bei ihr ausgelöst und bestimmt sein Porzellan reduziert. Gerade jetzt würde er alle Teller und Tassen benötigen.

Schwer atmend stieg er die Treppe hoch. Erschöpft ließ er sich in den Lehnsessel fallen.

„Vorsicht, Cleo“, schrie Lydia entsetzt auf.

Doch die Katze hatte die Gefahr rechtzeitig erkannt und war über die Rückenlehne auf den Schrank geflüchtet. Dort hockte sie und fauchte Wilhelm an.

Sein Hinterkopf brannte. Langsam breiteten sich Kopfschmerzen aus. „Hättest du den Zoo nicht bei Horst lassen können?“, fragte er mürrisch.

„Diesem Unmenschen? Der kümmert sich überhaupt nicht um Hannibal und Cleo. Der würde sich freuen, wenn sie verhungerten.“

„Horst hat erheblich mehr Platz. Die Tiere haben es dort viel schöner“, stellte Wilhelm fest. Er schloss die Augen und tastete vorsichtig die Beule ab.

„Nein, das sind meine Lieblinge, die überlasse ich ihm nicht.“ Lydia funkelte ihn böse an.

„Hast du überhaupt kein Geld mit?“ Er öffnete die Augen wieder, erblickte auf der schwarzen Hose Tierhaare. Einzeln las er sie ab. Diese schwarz-braune Katze hatte so langes Fell, dass sie sich nicht mehr selbst pflegen konnte. In Wilhelms Augen wäre ihre beste Verwendung ein Pelzmantel gewesen. Aber als er es einmal im Scherz geäußert hatte, bekam Lydia einen entsetzlichen Wutanfall. Nur dem Eingreifen seines Schwagers verdankte er es, dass sie ihn nicht an Heiligabend mitten in der Nacht hinausgeworfen hatte.

„Nein, meine Scheckkarte liegt irgendwo in der Reisetasche. Mein restliches Geld habe ich für die Taxe zum Bahnhof, die Fahrkarte und die Hamburger ausgegeben. Zum Glück fahren die Kinder umsonst mit“, erklärte Lydia und schlug ihre langen, schlanken Beine übereinander.

„Ich finde es erstaunlich, dass du es mit den Kleinen, nebst Tierpark und und deinem halben Hausstand bis hierher geschafft hast.“

„Oh, das war gar nicht schwierig. Meine Taxe hielt genau vor der Bahnhofsmission und die Leutchen halfen mir in den Zug. Und in meinem Abteil war ein sympathischer junger Mann, der mir beim Aussteigen half und mir einen Kofferkuli besorgte.“

Lydia fand immer hilfsbereite Menschen, stellte Wilhelm erbost fest. „Dadurch hat er dann leider seine Bahn verpasst“, riet er.

„Nein, nein, er ist noch schnell in das letzte Abteil gesprungen, bevor sich die Türen schlossen.“

Wilhelm schüttelte fassungslos den Kopf. Wie sollte es jetzt bloß weitergehen? „Wie stellst du dir die Zukunft vor? Du kannst nicht hierbleiben, dafür ist die Wohnung zu klein.“

„Zurück gehe ich auf keinen Fall. Ich lasse mich scheiden. Ich hätte nie heiraten dürfen, das war ein großer Fehler“, ereiferte sich Lydia und ballte die Fäuste.

„Was ist denn passiert? Du hast mir am Telefon nur erzählt, wie gemein Horst ist, aber nicht, was los war.“ Wilhelm lehnte sich zurück und versuchte zu entspannen.

„Oh, er hatte versprochen, auf die Kinder aufzupassen, damit ich mit Sybille einen Wochenendausflug machen kann. Wir hatten am Freitag Klassentreffen und sie hatte mich eingeladen, weil es zu weit ist, um abends noch zurückzufahren. Am nächsten Tag wollten wir eine Ausstellung besuchen und im Solebad schwimmen und saunen. Monatelang habe ich mich darauf gefreut und dann verdirbt mir Horst alles. Am Freitagnachmittag geht er Tennis spielen, sodass ich zu spät wegkomme. Statt mit Sybille ein Weilchen zu klönen, mussten wir gleich zu dem Treffen fahren. Und dann musste Horst gestern in die USA fliegen, und wir konnten uns keinen schönen Tag machen, weil ich zurückmusste. Während Horst sich in New York amüsiert, soll ich daheim sitzen und die Kinder hüten“, sprudelte Lydia hervor.

„Was macht er als Anwalt in Amerika?“

„Oh, der ist zu einem Kunden geflogen. Eigentlich sollte sein Partner hin, aber der ist krank geworden.“ Lydia streifte die Schuhe ab und ließ sie mitten im Raum liegen.

„Aber dann ist Horst beruflich weg“, stellte Wilhelm klar.

„So wichtig ist es nicht. Wenn er erst heute geflogen wäre, hätte ich meine Freundin besuchen und ihn trotzdem begleiten können. Die Kinder freuen sich, wenn sie bei der Oma sind.“ Sie lockte die Katze vom Schrank herunter, nahm sie auf den Arm und schmiegte ihr Gesicht ins Fell. „Wenn er seine Mutter wenigsten gefragt hätte, ihm schlägt sie nie etwas ab. Aber mir hat sie gleich gesagt, das geht nicht, es wird ihr zu viel. Dabei sind das ihre einzigen Enkel.“

„Meinst du nicht, dass es ihr tatsächlich zu anstrengend ist? Immerhin ist sie schon Ende siebzig.“

„Oh, die ist fit wie ein Turnschuh. Ihr Garten sieht wie geleckt aus, den macht sie, bis auf die Hecke schneiden und Bäume fällen, ganz allein. Außerdem verreist sie laufend. Israel, Malta, Norwegen, da ist sie ganz rüstig, aber wenn sie mir einen Gefallen tun soll ...“, jammerte Lydia. Tränen traten in ihre Augen.

Wilhelm schaute weg. Lydias Tränen hatte er nie widerstehen können.

Nico probierte gerade die Knöpfe der Musikanlage aus.

„Nico, würdest du bitte die Geräte in Frieden lassen. Sascha, lass die Bücher im Regal“, befahl Wilhelm streng.

Vor Schreck suchten die Kinder bei ihrer Mutter Schutz.

Wilhelm drehte sich wieder zu Lydia. „Also ich finde, deine Kinder jetzt schon anstrengend, und ich bin dreißig Jahre jünger als deine Schwiegermutter.“

„Du bist auch nicht normal mit deinem Ordnungsfimmel. Entspanne dich und sieh es locker.“

„Weißt du, wie teuer die Anlage war? Das ist kein Kinderspielzeug und meine Bücher sind wertvolle Bände. Zum Glück stehen die kostbarsten hinter verschlossenen Türen“, stöhnte Wilhelm. Vorsichtshalber stand er auf, zog sämtliche Schlüssel ab und legte sie auf den Schrank.

„Sei nicht dauernd so materiell. Ein Kind ist viel wichtiger als deine dummen Bücher.“ Lydia schüttelte den Kopf.

„Deshalb zerreißt du die Familie. Wie soll es jetzt weitergehen?“ Wilhelm nahm den Pantoffel, warf und traf Hannibal, der vom Teppich losließ und jaulend unter das Sofa flüchtete.

„Die beiden Räume sind viel zu klein für fünf Personen plus Viehzeug. Vielleicht solltest du lieber ein Hotel nehmen“, schlug er vor.

„Dort fliegen wir in kürzester Zeit hinaus“, stellte Lydia ungerührt fest.

Wilhelm lachte. „Das befürchte ich auch, aber ich soll es aushalten!“

Cleo sprang von Lydias Schoß, stolzierte zum Sofa und wetzte dort die Krallen. Wilhelm zog das örtliche Telefonbuch aus dem Regal und warf es nach dem Kater. Leider traf er die Bodenvase, die krachend zerbrach. Fauchend kletterte Cleo die Gardine hoch, wobei er Ziehfäden auf dem teuren Stoff hinterließ.

Lydia brach in lautes Gelächter aus.

„Kannst du nicht wenigstens deine Tiere erziehen?“ Wilhelm stand auf, sammelte die Scherben ein und brachte sie zum Mülleimer in der Küche. Als er zurückkam, krabbelte Sascha auf dem Boden herum und steckte sich das Kabel der Stehlampe in den Mund. Nico pulte an der Tapete. Nur der Kater hing noch am Vorhang. Lydia kümmerte sich um nichts, deshalb sah sich Wilhelm gezwungen, Sascha das Kabel aus dem Mund zu ziehen und Nico einen Klaps auf die Finger zu geben. Von Cleo ließ er ab, aus Angst er könnte die Gardine ganz zerfetzen.

„Das ist alles kein Problem. Ich gehe mit den Kindern ins Schlafzimmer. Anna-Lena schläft im Kinderwagenoberteil, gleich morgen kaufe ich für sie ein Bettchen und die Jungen liegen auf Luftmatratzen.“ Als sie Wilhelms zweifelndes Gesicht sah, rief sie: „Hast du etwa keine Lumas? Na, dann schlafen sie eben auf Decken, bis ich alles Fehlende besorgt habe. Du behältst das Wohnzimmer für dich und pennst auf dem Sofa.“ Lydia organisierte gern. Leider war ihre Begeisterung größer als die Begabung und das Durchhaltevermögen, wie Wilhelm wusste. Mit Vorliebe ließ sie praktische Belange außer Acht.

„Das Sofa ist zu klein. Außerdem habe ich nicht genug Decken“, erwiderte Wilhelm.

„Stell dich nicht so an. Ein paar Tage wird es schon gehen. Die Tiere werden wohl mit dem Flur vorliebnehmen müssen.“ Lydia stand auf und inspizierte ihn. Anscheinend war sie mit dem Ergebnis zufrieden.

„Bleibst du länger?“, fragte Wilhelm schwach.

„Nur, bis ich eine Wohnung gefunden habe. Das kann nicht lange dauern, nach dem Frühstück mache ich mich auf die Suche“, antwortete Lydia optimistisch.

Wilhelm entdeckte zwei weitere Scherben unter dem Sessel, kniete sich davor und hob sie auf. In dem Augenblick sprang Cleo von oben auf seinen Rücken. Vor Schreck richtete er sich auf. Der Kater fuhr bei dem Versuch, sich festzuhalten, seine Krallen aus und zerkratzte ihn. Er biss die Zähne zusammen und tastete, so gut es ging, die Stelle ab. Schließlich ging er ins Bad und zog sein Hemd aus. Es hatte ein paar Löcher und war blutig. Deshalb drehte und wendete er sich vor dem Spiegel.

„Toller Schlangentanz! Die Kratzer sind nicht so schlimm, die heilen wieder. Lydia stand in der Tür und grinste.

„Hast du wenigstens etwas zum Desinfizieren?“ Da er nicht damit rechnete, wühlte er in seinem Schrank und fand sogar eine uralte Flasche Jod. Damit tupfte Lydia ihm den Rücken ab.

Nico erschien. „Ich habe Hunger!“ Er griff nach dem Arm seiner Mutter und zerrte daran. Dadurch verschüttete sie den Inhalt der Flasche. Wilhelm schrie auf. Das braune Zeug lief den Rücken hinunter auf die Hose und tropfte auf die Badematte. Bekümmert schaute er sich den Schaden an.

„Du hast doch gerade erst deinen Hamburger verdrückt.“ Lydia stellte die leere Flasche auf das Waschbecken.

„Der hat nicht geschmeckt.“ Nico war gnadenlos wie alle Kinder.

„Was bietest du uns an?“, fragte Lydia.

Wilhelm schüttelte den Kopf.

Sie drehte sich um und kontrollierte seinen Kühlschrank. „Auf Vorrat kaufst du wohl nie?“, bemerkte sie spitz.

Wilhelm zog sich ein frisches Hemd an, dann folgte er ihr in die Küche und holte den Staubsauger aus einem Schrank. „Ich lebe allein. Mit einer Invasion hatte ich nicht gerechnet. Wenn du dich rechtzeitig angekündigt hättest, könnten wir jetzt essen“, antwortete er resigniert.

„Ich besorge schnell etwas.“ Lydia lief zur Wohnungstür.

„Und die Kinder?“, rief Wilhelm hinterher. Aber sie antwortete ihm nicht. Krachend fiel die Tür ins Schloss.

2. Wilhelm wird gerettet

Geschockt ließ sich Wilhelm auf einen Küchenstuhl sinken. Typisch Lydia. Wie sollte er als Junggeselle seine Neffen beschäftigen? Er hatte weder Ahnung von Kindern, noch Spielzeug im Haus. Sonst sah er sie zu Weihnachten und den Geburtstagen. Da waren sie fast die ganze Zeit mit ihren Geschenken beschäftigt und halbwegs friedlich. Darüber war er immer recht froh, denn die übrige Zeit nervten sie mit Sonderwünschen oder Wutanfällen, wenn die Wünsche nicht sofort erfüllt wurden.

„Onkel, spielst du Fußball mit mir? Liest du vor?“ Und wenn der Onkel nicht auf der Stelle reagierte, schrien sie sich die Kehlen wund.

---ENDE DER LESEPROBE---