Schicksal, Liebe und was sonst noch gibt: 6 Romane in einem Band - Eva Joachimsen - E-Book

Schicksal, Liebe und was sonst noch gibt: 6 Romane in einem Band E-Book

Eva Joachimsen

0,0

Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane von Anna Martach: Wir brauchen endlich eine neue Mami Hilfe, unsere Eltern heiraten Mama soll wieder glücklich sein von Eva Joachimsen: Der Regentanz bringt die Liebe Tanzen macht auch Sportmuffeln Spaß Erfolg lässt sich nicht erzwingen Der Brief sah teuer aus, edles, geprägtes Büttenpapier, die Adresse mit einer wie gestochen wirkenden Handschrift geschrieben. Und er kam als Einschreiben mit Rückschein. Er war wirklich an sie, Sandra Hökers andressiert. Der Absender war eine Rechtsanwaltskanzlei aus der Nähe von Frankfurt, was der jungen Frau aber auch nichts sagte. Sie unterschrieb ein wenig verwirrt und ging ins Haus zurück. Die Kinder Jessica und Patrick waren in der Schule, Lars, ihr Mann, der als Oberarzt in der hiesigen Klinik arbeitete, hatte noch Dienst. Sandra legte die übrige Post auf den Küchentisch, hielt den weißen langen Brief aber nachdenklich in der Hand und starrte darauf. Schließlich entschloss sie sich, ihn zu öffnen. "Wir schreiben Sie an in der Testamentsvollstreckungssache Alois Hinterleitner und Sarah Bittermann", begann das Schreiben. Sandra hielt inne und vergewisserte sich noch einmal, dass der Brief wirklich an sie adressiert war. Sie schüttelte den Kopf, diese Namen sagten ihr nichts. Oder doch?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 550

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anna Martach, Eva Joachimsen

Schicksal, Liebe und was sonst noch gibt: 6 Romane in einem Band

UUID: f235d161-3583-467b-bbe5-a6b9af6ffb18
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Schicksal, Liebe und was sonst noch gibt: 6 Romane in einem Band

Copyright

Wir brauchen endlich eine neue Mami

​Hilfe, unsere Eltern heiraten

​Mama soll wieder glücklich sein

Der Regentanz bringt die Liebe

Tanzen macht auch Sportmuffeln Spaß!

Erfolg lässt sich nicht erzwingen

Schicksal, Liebe und was sonst noch gibt: 6 Romane in einem Band

Anna Martach, Eva Joachimsen

Dieser Band enthält folgende Romane

von Anna Martach:

Wir brauchen endlich eine neue Mami

Hilfe, unsere Eltern heiraten

Mama soll wieder glücklich sein

von Eva Joachimsen:

Der Regentanz bringt die Liebe

Tanzen macht auch Sportmuffeln Spaß

Erfolg lässt sich nicht erzwingen

Der Brief sah teuer aus, edles, geprägtes Büttenpapier, die Adresse mit einer wie gestochen wirkenden Handschrift geschrieben. Und er kam als Einschreiben mit Rückschein. Er war wirklich an sie, Sandra Hökers andressiert. Der Absender war eine Rechtsanwaltskanzlei aus der Nähe von Frankfurt, was der jungen Frau aber auch nichts sagte.

Sie unterschrieb ein wenig verwirrt und ging ins Haus zurück. Die Kinder Jessica und Patrick waren in der Schule, Lars, ihr Mann, der als Oberarzt in der hiesigen Klinik arbeitete, hatte noch Dienst.

Sandra legte die übrige Post auf den Küchentisch, hielt den weißen langen Brief aber nachdenklich in der Hand und starrte darauf. Schließlich entschloss sie sich, ihn zu öffnen.

„Wir schreiben Sie an in der Testamentsvollstreckungssache Alois Hinterleitner und Sarah Bittermann“, begann das Schreiben.

Sandra hielt inne und vergewisserte sich noch einmal, dass der Brief wirklich an sie adressiert war. Sie schüttelte den Kopf, diese Namen sagten ihr nichts. Oder doch?

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Facebook:

https://www.facebook.com/alfred.bekker.758/

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Wir brauchen endlich eine neue Mami

von Anna Martach

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Der Umfang dieses E-Book entspricht 102 Taschenbuchseiten.

Der alleinerziehende Daniel Kösters ist enttäuscht, da seine Kinder nun schon das vierte Kindermädchen innerhalb kurzer Zeit vergrault haben. Doch dann wird ihm Yvonne Behrens vermittelt, und bei ihr hat er gleich ein gutes Gefühl, dass sie mit den Kindern umgehen kann. Bald kommen sich auch die beiden Erwachsenen näher, allerdings ist da auch noch Daniels Exfrau …

1

„Genau zwei Komma sechs sieben Meter“, erklärte Nils stolz. Er hatte ein Maßband neben die lange weiße Schnur gelegt und peinlich genau abgemessen. Marie, seine Schwester, war neun Jahre alt und damit zwei Jahre jünger als ihr Bruder. Der lachte nun über das ganze Gesicht, als er Schritte draußen vor der Tür hörte. Marie strahlte die Frau an, die jetzt hereinkam.

„Was hast du da gemacht, Kind, wolltest du einen Bindfaden abmessen?“, fragte Tina Weber, das Kindermädchen. Sie war von den beiden ja schon einiges gewöhnt, aber dies hier schien ausgesprochen harmlos zu sein.

„Ja, so etwas ähnliches. Du sagst doch immer, wir sollten neugierig sein und Dinge erforschen. Na ja, und ich wollte immer schon mal wissen, wie lang die Zahnpasta in der Tube ist“, erklärte Marie voller Begeisterung und musste an sich halten, um nicht laut loszuprusten, als sie jetzt die Gesichtszüge der Erzieherin entgleisen sah. Dabei hatte Nils ihr eingeschärft, dass sie auf keinen Fall zu früh kichern durfte.

Tinas Gesicht in diesem Augenblick war allerdings durchaus sehenswert, es verzog sich auf unnachahmliche Weise.

Die beiden Kinder waren aber auch nur zu schrecklich, wie die junge Frau fand. Kein Tag verging, an dem die zwei nicht irgendeine Schandtat anrichteten. Senf in den Schuhen, zerrissene Strumpfhosen, Zucker und Salz vertauscht, die Kreativität der beiden schien unerschöpflich. Und es war beileibe nicht immer nur Nils, der solche Streiche ausheckte, auch die kleine Marie besaß eine blühende Fantasie, wenn es darum ging, ihr Kindermädchen, ihre Erzieherin, zu ärgern.

Dabei hatte Tina zu Anfang noch gedacht, alles was die Kinder brauchten, sei eine ausgewogene Mischung aus Liebe und Strenge. Die Eltern hatten sich getrennt, nach einigen sicher unschönen Szenen, und die Kinder hatten natürlich unter dem Zerwürfnis der Eltern gelitten. Doch das rechtfertigte ganz bestimmt nicht das schier unkontrollierbare Verhalten von Nils und Marie.

Zwei Meter siebenundsechzig Zahnpasta quer durch die Wohnung, über Teppich und Laminat – Tina war es, als wäre sie in einen Kübel mit kaltem Wasser gefallen. Da beaufsichtigte sie die beiden schon ständig, doch zu ihrer Arbeit gehörte es nun auch einmal, dass sie mittags das Essen kochte. Wenn sie in der Küche war, konnte sie nun einmal nicht ständig bei den Kindern sein. Doch man sollte annehmen, dass die zwei in einem Alter waren, wo sie sich doch auch mal eine halbe Stunde allein beschäftigen konnten.

Und nun das?

Tina beherrschte sich jetzt mühsam. „Gut, nachdem du nun weißt, wie lang so ein Strang ist, dann nimmst du jetzt ein paar Tücher und wischt die etwas mehr als zweieinhalb Meter Zahnpasta wieder weg. Nils darf dir helfen. Er kann ja nicht nur etwas abmessen, er kann dir auch zeigen, dass er etwas in Ordnung bringt.“

„Ich kann nicht putzen“, erklärte der Junge dreist. „Außerdem muss ich noch Hausaufgaben machen.“

„Ich auch“, verkündete Marie, die sich wieder einmal dem Beispiel ihres Bruders anschloss.

„Halt, halt, eure Hausaufgaben werden eben warten müssen. Das hier geht vor. Wenn die Zahnpasta erst eintrocknet, bekommt niemand sie mehr heraus aus dem Teppich.“

Die Kinder zogen eine Flunsch, und Tina wusste, es würde vermutlich in einem Chaos enden, wenn die beiden die Reinigung übernahmen. Und doch, sie konnte ihnen das doch nicht durchgehen lassen. Auf jeden Fall würde sie gleich mal mit dem Vater, Daniel Kösters, reden müssen. Er hatte es bestimmt nicht leicht, seit seine Frau ihn mit den Kindern hatte sitzen gelassen. Aber auch sie, als angestellte Erzieherin, konnte sich nicht alles bieten lassen.

Tina musste sich dann doch ein Lächeln verbeißen, als sie sah, mit welcher Ungeschicklichkeit die beiden daran gingen die Zahnpasta aufzuwischen. Aber dann kam auch schon die nächste Katastrophe.

„Papa kommt“, rief Marie plötzlich und warf ihren Lappen weg, Nils hielt es ebenso, und beide stürmten zur Haustür – ohne darauf zu achten, dass sie voll in die Zahnpasta traten und das weiße schmierige Zeug ohne Bedenken großzügig überall verteilten.

„Oh, nein!“, stöhnte die Erzieherin und sank zusammen wie ein Häuflein Elend.

Nach einer stürmischen lautstarken Begrüßung kam Daniel Kösters herein und starrte verwundert und gleichzeitig fasziniert auf das Chaos in der Wohnung.

„Was ist denn hier passiert?“, fragte er und schaute auf seine Kinder herab.

„Ach, weißt du, Papa, das war so ...“, begann Nils, aber Marie kicherte einfach drauflos.

„Wir haben die Zahnpasta abgemessen“, lachte sie.

Auch Daniel lachte kurz auf, als er aber sah, dass Tina das gar nicht lustig fand, wurde er gleich wieder ernst.

„Tut mir leid, ich glaube, die beiden haben mal wieder überschüssige Energien.“

Tina Weber blickte den sympathischen Mann mit den braunen Augen und der warmen Stimme an. „Ich habe solche Energien nicht, Herr Kösters. Und ich bin es jetzt leid. Immer wieder habe ich mich bemüht den Kindern Verständnis entgegenzubringen. Aber die zwei machen es mir schwer, auch nur ruhig zu bleiben. Und Erziehung besitzen sie offensichtlich gar keine. Machen Sie doch in Zukunft, was Sie wollen, ich habe genug. Ich gehe – auf der Stelle.“

„Aber Tina, bitte, man kann doch über alles reden“, bat er jetzt kleinlaut.

„Wir haben geredet. Jeden Tag, erinnern Sie sich? Und immer wieder haben Sie versprochen, den Kindern ins Gewissen zu reden. Es reicht, Herr Kösters, ich kann das nicht mehr.“

Mit betretenen Gesichtern und doch einer gewissen Befriedigung sahen Nils und Marie, wie Tina jetzt in ihr Zimmer rannte und im Eiltempo ihre Sachen packte. Daniel blickte seine Kinder streng an.

„Wie soll das jetzt weitergehen? Das ist nun schon die vierte Erzieherin in den letzten drei Monaten. Was soll ich nur mit euch tun?“, seufzte er.

„Papa, um die Tina ist es nicht schade. Die hat ja immer nur mit uns geschimpft“, erklärte Nils altklug, während seine Schwester ihren Vater treuherzig musterte. Er würde schon eine Lösung finden.

„Und wahrscheinlich hatte sie vollkommen recht damit. Geht jetzt und macht den Schmutz hier weg, ich versuche noch einmal mit ihr zu reden.“

„Nein, bitte nicht, Papa“, bat Marie und griff nach der Hand ihres Vaters. „Wir wollen die wirklich nicht.“

Er ging in die Knie. „Aber wir brauchen jemanden, mein Schatz, ich kann schließlich nicht jeden Tag bei euch zu Hause bleiben. Das geht mal für zwei oder drei Tage, aber ... nun, jemand muss ja auch das Geld verdienen.“

„Dann suchen wir uns morgen eine neue“, warf Nils ein.

Daniel seufzte. Was war nur los mit seinen Kindern, dass es niemand lange bei ihnen aushielt?

Tina kam jetzt aus ihrem Zimmer, einen Koffer in der Hand. „Sollte ich noch etwas vergessen haben ...“

„Schicke ich es Ihnen zu, ebenso den ausstehenden Lohn.“

Irgendwie hatte Tina doch noch erwartet, dass Daniel sie bitten würde zu bleiben, vielleicht mit einer Anhebung des Gehalts. Er konnte sich das mühelos leisten als erfolgreicher Geschäftsmann. Doch er reichte ihr nur die Hand.

„Ich wünsche Ihnen alles Gute.“

„Tschüss“, riefen die Kinder und schenkten der Frau weiter keine Beachtung mehr. Das schmerzte Tina besonders. Doch sie warf den Kopf in den Nacken und ging.

„Komm schnell“, sagte Nils leise und drückte seiner Schwester den Putzlappen in die Hand. Sie sorgten besser schnell dafür, dass die Schweinerei auf dem Boden verschwand. Daniel schüttelte den Kopf. Die Agentur, die ihm bisher die Erzieherinnen vermittelt hatte, würde nicht froh darüber sein, dass er schon wieder jemanden brauchte. Noch einmal seufzte er auf, dann half er den Kindern.

2

Die Ehe mit Sabrina war eigentlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, obwohl Daniel das lange Zeit nicht hatte wahrhaben wollen. Seine Frau hatte nie viel davon gehalten nur für die Familie da zu sein, und als die Kinder kamen, empfand sie die eher als Belästigung. Doch Daniel verdiente recht gut, und es war für die Frau angenehm, sich Wünsche erfüllen zu können, ohne auf das Geld achten zu müssen. Aber auf Dauer sagte ihr das auch nicht zu, sie wollte frei und unabhängig sein, immer öfter kam es zwischen den Eheleuten zum Streit, weil Sabrina die Kinder vernachlässigte. Und eines Tages hatte sie genug, sie verließ das Haus und reichte die Scheidung ein.

Daniel war großzügig. Eigentlich hätte seiner Frau nichts zugestanden, doch er zahlte ihr einen großzügigen Unterhalt, verlangte im Gegenzug nur, dass sie ihn und die Kinder in Ruhe ließ. Was Sabrina auch tat.

Jetzt stand Daniel nicht zum ersten Mal vor dem Problem eine Erzieherin für Nils und Marie zu finden, und das möglichst schnell. Er rief in seiner Firma an und sagte alle anstehenden Termine ab, das nächste Gespräch führte er dann mit der Agentur. Die Leiterin dort bekam einen leichten Anfall von Panik, als sie hörte, dass die Kinder schon wieder eine Frau vergrault hatten. Doch sie versprach jemanden vorbeizuschicken.

Kurz vor Mittag am nächsten Tag klingelte es, und eine junge sympathische Frau stand vor der Tür.

„Ich bin Yvonne Behrens, die Agentur schickt mich. Sie brauchen jemanden für Ihre Kinder?“ Ihr Lächeln war offen und warmherzig, das Gesicht schmal, die Augen dunkel, und die schulterlangen Haare hielt sie mit einer Spange fest.

„Kommen Sie herein“, bat Daniel und strahlte, um nur ja einen guten Eindruck zu machen.

„Ich habe gehört, Ihre Kinder sollen etwas schwierig sein?“, erkundigte sich Yvonne, und Daniel seufzte. Es hatte sich ja wohl schon herumgesprochen, dass seine beiden nicht gerade Engel waren.

„So sieht es aus. Eigentlich sind sie lieb und nett, aber ich fürchte, die zwei betrachten Kindermädchen, oder auch Erzieherinnen, wenn Ihnen dieser Ausdruck lieber ist, als eine Art persönlichen Feind.“

Yvonne lachte auf. „Dann muss man sie überzeugen, dass dem nicht so ist.“ Sie lächelte die beiden an, die jetzt ausgesprochen gesittet hereinkamen und die Frau höflich begrüßten. Doch Yvonne sah den Schalk in den Augen unter der Maske. Sie wurde taxiert, konnte aber noch nicht so recht eingeordnet werden. Also blieben die beiden noch recht still, bis auf ein zartes „Hallo“ sagten sie gar nichts.

Daniel verzog etwas das Gesicht, es war offensichtlich, dass er sich für seine Kinder schämte. Sein Blick verhieß denn auch, dass er sich dieses Benehmen nicht einfach würde bieten lassen.

„Hallo“, meinte dann aber auch Yvonne und musterte die zwei mit dem gleichen Blick, den auch sie benutzt hatten. Für Nils und Marie war das wie eine Kampfansage. Sie setzten sich und behielten die Frau aufmerksam im Auge, die sich jetzt allerdings voll und ganz auf ihren – hoffentlich – neuen Arbeitgeber konzentrierte.

„Ich habe meine Referenzen mitgebracht“, sagte sie und griff in ihre Handtasche, doch Daniel winkte ab.

„Es reicht mir als Referenz, wenn Sie mit den Kindern zurechtkommen. Das beste Zeugnis nutzt nichts, wenn die Kinder Sie ablehnen.“

„Das will ich nicht hoffen. Ich liebe Kinder, was aber nicht heißen muss, dass man ihnen alles durchgehen lassen sollte. Doch ich ziehe es vor, ein fröhliches Miteinander zu haben.“

„Das hört sich gut an, und Sie meinen es sicher auch ernst. Aber lassen Sie uns darüber noch einmal reden, wenn Sie zwei Wochen hier überstanden haben“, meinte Daniel mit einem trockenen Auflachen.

Sie lächelte ihn an. „Ich weiß nicht, wie meine Vorgängerinnen das gehalten haben, aber ich will gerne alles tun, damit wir gut miteinander auskommen.“ Sie musterte Daniel mit einem Blick, der deutlich machte, dass sie von diesem sympathischen Mann auch etwas Hilfe erwarten würde.

„Das geht aber nur“, meldete sich in diesem Augenblick Nils zu Wort, „wenn Sie unseren Vater nicht weiter so ansehen.“

Daniel schnappte nach Luft, doch Yvonne beherrschte sich.

„Dann will ich mich bemühen, das anders zu machen“, erklärte sie ernsthaft. „Aber vielleicht erzählst du mir erst mal, was ich denn hier falsch mache.“

Mit dieser Aufforderung hatte der Junge nicht gerechnet, er wollte nur provozieren. So schaute er jetzt plötzlich hilfesuchend auf seine Schwester.

„Na, das ist doch ganz einfach“, erklärte Marie. „Sie müssen doch auf uns aufpassen, und nicht auf Papa. Der muss doch zur Arbeit. Also müssen Sie uns anschauen.“

Das war vielleicht nicht ganz logisch, aber Yvonne ging trotzdem darauf ein. Sie machte von Anfang an nicht den Fehler die Kinder so zu behandeln, als würden sie ohnehin nichts verstehen.

„Da habt ihr natürlich vollkommen recht. Wir werden eine Menge Zeit miteinander verbringen, wenn euer Vater mit mir einverstanden ist, und ...“

„Und wir müssen nicht einverstanden sein?“, empörte sich Nils.

„Jetzt reicht es aber, junger Mann. Du bist reichlich vorlaut“, rügte Daniel. „Außerdem seid ihr nicht in der Lage, euch jemanden auszusuchen. Ihr müsst im Gegenteil schon froh sein, dass wir noch jemanden finden.“

„Wenn es aber doch wahr ist“, maulte der Junge. „Immer müsst ihr Erwachsenen alles entscheiden, und uns fragt keiner. Wo wir doch mit dieser Frau ...“

„Diese Frau heißt Yvonne Behrens, und du tust gut daran, dich schnell an diesen Namen zu gewöhnen. Ich werde es nicht dulden, dass ihr euch wieder dermaßen schlecht aufführt.“

„Bitte, lassen Sie mich das machen“, bat Yvonne und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Sie machen die zwei nur bockig, wenn Sie jetzt Anordnungen geben. – Hört mal zu. Ich will versuchen, euch zu erklären, warum ich hier bin. Für mich war es immer schon ein Traumberuf, mit Kindern zu arbeiten. Ich hatte in einer anderen Stadt eine gute Stelle und einen lieben Freund. Dann habe ich Mark verloren und möchte jetzt gerne woanders anfangen. Da denke ich, dass es vielleicht für uns alle gut wäre, wenn wir einen Versuch miteinander machen. Gebt mir eine Chance, so wie ich es mit euch auch mache. Kann sein, dass ich euch gar nicht mag, aber dann werde ich das sagen. Kann aber auch sein, dass wir prima klarkommen. Das werden wir aber nur wissen, wenn wir es ausprobieren.“

Die Kinder hatten mit großen Augen der langen Rede zugehört, jetzt schauten sie sich eine Weile an und hielten stumme Zwiesprache. Dann stand Marie auf und reichte der Frau großzügig die Hand.

„Einverstanden.“

Daniel räusperte sich. „Da ich hier ja offensichtlich nicht mehr gefragt werde, akzeptiere ich euer Abkommen natürlich“, erklärte er lächelnd und zufrieden.

„Verzeihen Sie, ich wollte nicht über Ihren Kopf hinweg entscheiden“, sagte Yvonne zerknirscht, doch er lachte.

„Um Himmels willen, Sie machen als Erste ganz den Eindruck, als sollten Sie mit den beiden fertigwerden. So zahm habe ich sie jedenfalls seit Langem nicht mehr gesehen. Und ich freue mich, dass Sie einen Versuch starten wollen. Willkommen in unserem Hause.“

Die junge Frau bedankte sich. Daniel konnte nicht wissen, wie sehr sie es sich gewünscht hatte, hier einen neuen Anfang zu machen. In der Agentur hatte sie ausdrücklich darum gebeten, ihr die schwierigste und schlimmste Aufgabe zu übertragen. Je mehr Arbeit sie hatte, umso weniger würde sie Zeit haben über die Vergangenheit nachzudenken.

3

Es machte Yvonne nichts aus, dass sie zum Frühstück auch Daniel mitversorgte. Als sie am ersten Morgen seine verzweifelten Bemühungen bemerkte, hatte sie ihm lachend das Geschirr aus der Hand genommen, den Tisch gedeckt und für eine freundliche Atmosphäre gesorgt. Er war erstaunt, dass es ihr mit wenigen Handgriffen gelang, alles so einfach auszuführen, dass es nicht chaotisch wirkte, sondern zum Essen einlud. Und schon am dritten Tag war es zu einer Gewohnheit geworden.

Yvonne bewohnte hier im Haus ein großzügig eingerichtetes Zimmer mit allen Annehmlichkeiten, ihre eigene kleine Wohnung besuchte sie nur selten. Doch aufgeben wollte sie ihr Zuhause nicht, niemand konnte vorhersagen, wie lange es dauern würde, dass sie diese Stellung auch hielt. Aber vorerst war es eine gute Lösung, und sie hätte es vom Arbeitsklima her sicher schlechter treffen können. Wenn da nur nicht die manchmal ausgesprochene Boshaftigkeit der Kinder gewesen wäre.

Dass die beiden einen Versuch mit ihr wagen wollten, hieß ja nicht gleich, dass sie sich neuerdings wie Engel benahmen; ganz in Gegenteil. Doch Yvonne hatte nicht einen Moment daran geglaubt, dass es einfach werden würde. So war sie am ersten Tag auch nicht sonderlich überrascht, als von ihren gesamten Schuhen jeweils einer fehlte. Sie lief also auf Strümpfen, und die Kinder kicherten hinter vorgehaltener Hand.

„Ach, ihr wundert euch?“, fragte sie freundlich. „Es ist viel gesünder für die Füße, wenn man barfuß läuft. Ihr solltet es auch einmal probieren. Aber auf Sand oder Gras ist es noch viel besser.“ Damit war dieser erste Streich ins Leere gelaufen. Doch es sollte nicht der letzte bleiben, auch dessen war Yvonne sich sicher.

Daniel fuhr beruhigt zur Arbeit, die Kinder gingen zur Schule, und die junge Frau machte sich erst einmal mit dem Haushalt vertraut. Es gab eine Putzfrau, die regelmäßig kam und auch manchmal das Essen kochte. Yvonne wollte sich hier keine Rechte anmaßen, die ihr nicht zustanden, fand es jedoch besser, wenn sie das Kochen komplett selbst übernahm.

Die Putzfrau, Helene, hatte im Grunde nichts dagegen. Sie war eine ältere gemütliche Frau mit einer schier unendlichen Geduld, die über die Streiche der Kinder meist hinwegsah. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb und sprachen sich über die Arbeitsteilung ab.

Die Kinderzimmer allerdings wirkten wie ein Schlachtfeld. Hier sollte Helene auch nichts tun, die beiden mussten dafür selbst die Verantwortung tragen. Yvonne würde dafür sorgen, dass sie es auch taten.

In den drei Tagen war es erst einmal ein vorsichtiges Abtasten, doch Daniel war jeden Abend froh, wenn er nach Hause kam und Yvonne immer noch vorfand. Sie beschwerte sich auch nicht, und ausgerechnet das machte ihn stutzig.

„Wenn Sie Probleme oder Beschwerden haben, dann können Sie ruhig mit mir darüber reden“, bot er an, doch sie winkte lachend ab.

„Ich würde mich in den Augen von Nils und Marie unmöglich machen, sollte ich versuchen mich bei Ihnen zu beschweren. Nein, selbst wenn wir kleine Kabbeleien hätten, so müssten wir das schon untereinander ausmachen.“

„Sie haben also den Stolz und Ehrgeiz mich außen vor zu lassen?“

„Wenn Sie es so ausdrücken wollen – ja. Aber ich möchte mich bei den beiden doch gut einführen und schlage daher vor, dass wir am Sonntag einen Ausflug machen.“

„Aber das ist doch Ihr freier Tag“, gab er zu bedenken.

„Schon richtig“, nickte Yvonne. „Aber ich kenne hier in der Stadt kaum jemanden, also würde ich ohnehin allein in meinem Zimmer sitzen. Ich meine – wenn Sie allerdings schon andere Pläne hatten – ich wollte jetzt nicht über Ihre Zeit verfügen. Und sicher möchten Sie auch selbst etwas von den Kindern haben. Mein Vorschlag war unüberlegt, entschuldigen Sie bitte.“

„Nein“, erklärte er und grinste.

„Ich verstehe nicht. Wenn ich Sie beleidigt haben sollte ...“

„Nein, nein, so war das nicht gemeint. Ich finde Ihren Vorschlag fantastisch. Das hätte ich mit den Kindern längst einmal machen sollen. Und wenn Sie mitkommen, würde mich das ganz besonders freuen.“

Eine flüchtige Röte zog über ihr Gesicht. „Sehr gern.“

„Gut, dann wäre das geklärt. Und wohin machen wir unseren Ausflug?“, fragte er dann ratlos.

„Haben Sie mit den beiden in letzter Zeit überhaupt schon mal etwas unternommen?“, erkundigte sich Yvonne mitleidig.

Er schüttelte verlegen den Kopf.

„Dann wird es höchste Zeit, dass wir gemeinsam in den Zoo gehen“, bestimmte sie.

Bei Nils und Marie löste diese Ankündigung ungläubiges Staunen aus.

„Wir alle – zusammen?“, fragten sie noch einmal nach, nur um sich zu vergewissern.

„Ja, aber nur, wenn ihr euch anständig benehmen könnt, Herrschaften. Höre ich von Yvonne ein Wort der Klage, ist das Ganze gestorben.“

„Halt, Moment mal, Herr Kösters, lassen Sie mich bitte eines klarstellen. Ich werde mich nicht bei Ihnen beklagen. Und ich finde es nicht richtig, einen Ausflug mit dem Wohlverhalten regelrecht zu erkaufen. Tun Sie es um Ihrer Kinder willen.“

Daniel wollte im ersten Moment auffahren. Was fiel dieser Person ein, ihn hier vor den eigenen Kindern abzukanzeln? Aber halt, hatte er nicht gerade ebenso gehandelt? Er verschluckte, was er hatte sagen wollen und lächelte gequält. „Vielleicht sollten wir alle noch mal überdenken, was wir sagen, bevor wir es sagen. Also, der Sonntag bleibt bestehen.“

„Und du hast nicht wieder dringende Geschäfte?“, fragte Marie skeptisch. Die Kinder hatten leider schon mehr als einmal erlebt, dass er im letzten Moment einen geschäftlichen Termin wahrgenommen hatte, manchmal wirklich vorgeschoben. Und so etwas hatten die beiden gespürt und trauten dem Braten noch nicht so recht.

Daniel zögerte einen Moment, fing dann aber einen Blick von Yvonne auf. „Keine Geschäfte“, versprach er und schaute seiner Tochter offen ins Gesicht.

4

Der Sonntag versprach bestes Wetter. Da Yvonne an diesem Tag eigentlich freihatte, genoss sie den Luxus, etwas länger im Bett zu bleiben. Später wollte sie dann aufstehen und sich in der Küche eine Kleinigkeit zu Essen machen – später, wenn Daniel und die Kinder fertig waren, und noch bevor es zum Ausflug ging.

Sie lag in die Kissen gekuschelt und dachte über diesen Mann nach. Er war sympathisch, oh ja, ganz bestimmt, und manchmal so seltsam unbeholfen. Dabei aber ungeheuer verletzlich, obwohl er als knallharter Geschäftsmann galt. Wie passte das zusammen? Außerdem schien er seine Kinder sehr lieb zu haben, doch irgendwie schaffte er es nicht, einen so guten Kontakt zu ihnen aufzubauen, dass ein inniges Verhältnis entstand. Nun, vielleicht hatte daran ja auch die Exfrau ein bisschen Schuld.

Yvonne schüttelte geistig den Kopf. Ihr war es vollkommen unverständlich, wie eine Mutter ihre Kinder verlassen konnte. Doch die Menschen waren nun einmal unterschiedlich, und vielleicht waren Nils und Marie beim Vater wirklich besser aufgehoben. Sie fand den Mann charmant und faszinierend, aber ganz bestimmt würde sie keinen zweiten Blick oder Gedanken an ihn verschwenden. Noch zu frisch war die offene Wunde, die Mark ihr geschlagen hatte. Sicher hatte sie das den Kindern gegenüber richtig ausgedrückt, sie hatte ihn verloren. An eine andere Frau. Eine Blondine, die ihm schöne Augen machte, keine eigene Meinung besaß und sich nur um seine Wünsche kümmerte.

Ach, was sollte es? Yvonne verscheuchte energisch jeden weiteren Gedanken an Mark. Er war es nicht wert, dass sie um diese Beziehung trauerte. Das Beste würde es sein, sich voll und ganz auf die Arbeit zu konzentrieren. Und da hatte sie an diesen beiden Rangen wirklich genug zu tun.

So weit war sie in ihren Überlegungen gekommen, als es heftig an der Tür klopfte. Gleich darauf steckten Nils und Marie die Köpfe herein.

„Kommst du aufstehen? Wir haben mit Papa das Frühstück gemacht, und du solltest dich verwöhnen lassen, sagt Papa.“

„Na, das nenne ich ja mal eine Überraschung“, rief Yvonne erstaunt. „Ich bin in fünf Minuten fertig.“

Der Tisch war liebevoll gedeckt, sogar Blumen hatte Daniel besorgt. Was machte es da schon, dass der Kaffee zu stark und die Eier viel zu hart waren? Yvonne gab drei Löffel Zucker in ihren Kaffee und freute sich auf den anregenden Geschmack. Doch kaum hatte sie den ersten Schluck im Mund, spuckte sie im hohen Bogen alles wieder aus.

„Was ist das?“, fragte sie und verzog das Gesicht.

Die Kinder taten vollkommen unschuldig. Auf Daniels Stirn zeigte sich eine bedrohliche Falte, als er jetzt einen Finger befeuchtete, in die Zuckerdose steckte und die weißen Krümel kostete.

„Salz“, grollte er.

„Och, Papa, es ist doch nur ein Spaß“, versuchte Nils zu beschwichtigen.

„Ein ziemlich schlechter. Schade eigentlich, dass Kinder keinen Kaffee trinken sollen, sonst müsstest du jetzt zur Strafe die Tasse von Yvonne austrinken.“

„Da stimme ich Ihnen zu“, erklärte sie, die sich mittlerweile eine neue Tasse eingeschenkt hatte. Vorsichtshalber probierte sie, ob im Salzstreuer jetzt nicht womöglich Zucker war, denn der hätte auf dem Ei nicht geschmeckt.

Schließlich aber fuhren sie doch noch zum Zoo. Wie eine komplette Familie schlenderten die vier von einem Gehege zum anderen, staunten und lachten und vergaßen für kurze Zeit alle Sorgen. Daniel und Yvonne gingen eng nebeneinander, während die Kinder hierhin und dorthin liefen.

„Ich will nicht indiskret sein, doch es würde mich interessieren, wie Sie Ihren Freund – Partner – verloren haben. Kann ich Ihnen vielleicht in irgendeiner Form helfen?“

Die junge Frau lachte bitter. „Ja, so konnte man meine Worte wirklich verstehen. Entschuldigen Sie, Herr Kösters, aber es war einfach so, dass wir uns getrennt haben. Er – er hatte eine andere.“

„Tut mir leid. Er muss ein ziemlicher Idiot sein, eine Frau wie Sie gehen zu lassen. Ich kenne den Mann nicht, aber ich habe Sie in diesen wenigen Tagen kennen und sehr schätzen gelernt. Also nehme ich mir das Recht zu urteilen.“

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber das macht es auch nicht leichter. Doch ich halte dieses Thema für abgeschlossen, nie wieder will ich etwas mit ihm zu tun haben.“

Er lächelte. „Das ist sicher die richtige Einstellung, Yvonne. Aber bitte, lassen Sie die steife Anrede. Wenn Sie Bedenken haben, weil ich Ihr Chef bin, dann nennen Sie mich doch wenigstens beim Vornamen.“

Sie blickte ihn schelmisch von der Seite her an. „Und Sie? Haben Sie keine Bedenken, dass das Ihrer Autorität schaden könnte?“

Daniel lachte laut und fröhlich auf, und bei diesem ungewöhnlichen Geräusch blickten die Kinder erstaunt herüber. Wann hatte ihr Vater das letzte Mal so herzhaft gelacht? Nun sahen sie aber auch, dass er nach der Hand von Yvonne griff und diese küsste.

„Der spinnt!“, stieß Nils erschüttert hervor. „Das kann er doch nicht machen.“

Dabei war der Handkuss ganz harmlos, doch für die Kinder kam er einer Katastrophe gleich. Marie überlegte nicht lange. Sie versuchte über die Absperrungen einer Voliere zu klettern, um ihre Hand dann ausgerechnet einem Kondor entgegenzustrecken. Yvonne sah diese Dummheit und lief rasch auf das Mädchen zu.

„Bist du denn noch zu retten?“, schimpfte sie und zog das Kind zurück. Marie sträubte sich und fing an zu schreien.

„Hilfe! Hilft mir denn keiner? Das ist meine böse Stiefmutter. Sie will mich verhauen. So helfen Sie mir doch.“

Die ersten Leute schauten erstaunt und peinlich berührt herüber. Yvonne versuchte der Situation die Schärfe zu nehmen, doch jetzt mischte sich auch Nils ein.

„Du darfst meiner Schwester nichts tun. Lass sie los!“

Ein gesunder Zorn erwachte in der jungen Frau. Sie hatte nicht vor, sich von diesen beiden auf der Nase herumtanzen zu lassen.

„Wenn du dich jetzt nicht anständig benimmst, dann gehst du heute ohne Essen ins Bett“, bestimmte sie also, indem sie auf das grausame Spiel der Kinder einging. Verblüfft hielt Marie inne, und auch Nils betrachtete sie mit plötzlich erwachendem Respekt. Er, wie auch Marie, hatten natürlich damit gerechnet, dass Yvonne jetzt wild protestierend diese Unterstellung abwehren würde. Doch die war von einem anderen Kaliber. Sie lächelte jetzt die neugierigen Passanten an.

„Tut mir leid, wenn diese schrecklichen Kinder Sie belästigen. Aber die beiden werden schon noch lernen, dass auch eine böse Stiefmutter auf Disziplin und Ordnung bestehen muss. Oder lassen Sie Ihren Kindern alles durchgehen?“ Dabei warf sie einige anzügliche Blicke auf zwei Ehepaare, deren Kinder sich nicht nur reichlich mit Eis und Matsche beschmiert hatten, sondern jetzt auch quengelten und wild an der Kleidung der Eltern zerrten.

Plötzlich hatten es alle ausgesprochen eilig, weiterzugehen, während Yvonne sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Nun war aber auch Daniel heran, und wieder einmal hatte sich eine steile Falte auf seiner Stirn gebildet.

„Was fällt euch ein?“, schnaubte er erbost. „Wie kommt ihr dazu, solche Geschichten in die Welt zu setzen? Jetzt steht Yvonne da, als würde sie euch misshandeln. Stiefmutter, ja? Wie im Märchen? So langsam komme ich zu der Ansicht, dass ihr eine so tolle Person wie Yvonne gar nicht verdient. Jede andere hätte – zu Recht – jetzt einen großen Aufstand gemacht.“ Er blickte die Frau dankbar an. „Sie haben ganz fantastisch reagiert. Viel besser, als diese Schlingel es verdienen. Und ich denke, dieser Ausflug hat jetzt ein ziemlich abruptes Ende gefunden.“

„O nein, bitte nicht.“ Sie legte ihm bittend eine Hand auf den Arm. „Ich glaube, dieser Ausflug tut uns allen trotzdem gut. Und die beiden werden schon noch lernen, dass sie bei mir auf Granit beißen, wenn sie glauben, mich auf so eine Art verschrecken zu können.“

Daniel schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht sicher, ob ich Sie und Ihre Beweggründe wirklich verstehe. Aber nun gut. Doch nur, wenn die zwei sich jetzt wirklich mustergültig benehmen.“

Mit gesenktem Kopf hatten die Kinder der Predigt zugehört, jetzt nickten sie eifrig. Eigentlich hatten sie sich diesen Tag nicht selbst verderben wollen, indem sie mit einem ihrer Streiche die gute Stimmung ihres Vaters störten. Aber Yvonne mit ihren ungewöhnlichen Methoden nötigte ihnen auf jeden Fall Respekt ab. In Zukunft würden sie wohl doch versuchen sie zu akzeptieren, was natürlich nicht hieß, dass sie nicht doch hin und wieder ...

Jetzt verlief der Rest des Tages ohne Störungen, und Daniel wunderte sich, wie brav Nils und Marie sein konnten. Insgeheim atmete er allerdings auch auf, denn zum einen war er der Meinung, dass die Kinder vermutlich keine bessere Erzieherin finden konnten als Yvonne. Zum anderen hatte er selbst sich in dieser kurzen Zeit an ihre ruhige, unaufdringliche und fröhliche Art gewöhnt. Es wäre ausgesprochen schade, würde auch sie wieder gehen, weil sie mit den beiden Rangen nicht zurechtkommen konnte.

Doch jetzt genoss er das Beisammensein mit seinen Kindern, das er in dieser Form wohl noch nicht erlebt hatte. Die zwei lachten fröhlich, machten ihn auf komische Tiere und Situationen aufmerksam und zeigten ihm in jeder Minute, wie sehr sie ihn doch liebten.

5

Wie im Flug war ein ganzer Monat vergangen, und Daniel konnte sich schon gar nicht mehr vorstellen, wie es einmal ohne Yvonne gewesen war. Sie sorgte vorbildlich für die Kinder und hatte auch kein Problem damit, ihn ab und an zu verwöhnen – auch wenn es nur Kleinigkeiten waren wie einen Knopf anzunähen oder seine verlegten Unterlagen aufzuspüren. Es war einfach nicht selbstverständlich, außer für Yvonne. Die Kinder hatten gelernt, dass sie jederzeit für einen Scherz zu haben war, dass sie aber auch unerbittlich und unnachgiebig sein konnte, wenn es um ihre Prinzipien ging. Die waren recht einfach, und doch so schwer. Hausaufgaben wurden sofort und ordentlich erledigt, die Zimmer wurden abends aufgeräumt, und anderen Menschen begegnete man mit Höflichkeit und Respekt. Das war wichtig, alles andere war dehnbar, auch die Zeit zum Spielen oder Fernsehen.

Erstaunlich schnell hatten Nils und Marie begriffen, dass sie eine gute Freundin in Yvonne haben konnten, wenn sie die Grundregeln beachteten. Und dann war es auch kein Problem, mal einen Streich anzubringen.

Alles hatte sich so gut eingespielt, dass Daniel schon begann aufzuatmen. Sollte sein Leben jetzt endlich in ruhigen Bahnen verlaufen, so dass er seine Energie voll und ganz auf seine Arbeit richten konnte? Er liebte seine Kinder, doch er sah es nicht als seinen Lebenszweck an, sich rund um die Uhr um sie zu kümmern. Allerdings hatte Yvonne auch ihm unmissverständlich klargemacht, dass es zu seinen Aufgaben gehörte, sich täglich ein bis zwei Stunden mit ihnen zu beschäftigen. Und seit die beiden so hervorragend betreut wurden, war das eine Pflicht, die ihm zu einer angenehmen Aufgabe erwachsen war.

Dieser idyllische Friede wurde jedoch gestört. Sabrina, die Mutter der Kinder und Exehefrau von Daniel, meldete sich unverhofft.

„Puh, endlich sind die zwei im Bett. Ich weiß wirklich nicht, Yvonne, wie Sie das Tag für Tag durchstehen. Ich bin abends geschafft, wenn die Kinder endlich schlafen gehen. Sie haben eine sehr anstrengende Arbeit, und eigentlich müssten Sie jetzt auch todmüde umfallen. Ich bewundere Ihre Energie und Ausdauer.“

„Ach, das kommt sicher daher, dass Sie mich gut bezahlen“, neckte sie fröhlich.

Daniel seufzte. „Himmel, ich habe einige Kunden, die mich auch sehr gut bezahlen. Deswegen gebe ich aber noch lange nicht so viel Energie und auch Liebe hinein wie Sie.“

„Das liegt vielleicht daran, dass Sie es mit Erwachsenen zu tun haben, bei denen Sie unwillkürlich erwarten, dass gerade im Geschäftsleben noch eine Gemeinheit, oder was auch immer, kommt. Ich habe es mit Kindern zu tun, die nicht von Natur aus böse sind. Streiche, ja sicher, etwas ganz normales, denn Kinder loten ihre Grenzen aus. Sie sind wissbegierig und stets bereit etwas Neues zu entdecken. Eine wunderbare Gabe, die sich mit zunehmendem Alter bei den meisten Menschen verliert.“

Er grinste schief. „Sie haben auch eine wunderbare Gabe. Sie drücken komplizierte Sachverhalte in einem Satz aus. Ganz einfach.“

„Das muss man tun, um es Kindern begreiflich zu machen. Das Komplizierte kommt später von allein.“

„Dann tun Sie mir bitte einen Gefallen, Yvonne, leisten Sie mir noch bei einem Glas Wein Gesellschaft und erklären Sie mir weiterhin schwierige Dinge in einfachen Worten.“

Die junge Frau zögerte. Es gehörte nicht zu ihren Gepflogenheiten, sich auf so enge private Kontakte einzulassen, die über das hinausgingen, was die Kinder direkt anbetraf. Außerdem fühlte sie sich zu diesem Mann hingezogen, ohne etwas dagegen tun zu können. Sie wollte nicht, dass es plötzlich zu einer unangenehmen Situation kam.

Aber wahrscheinlich wollte er jetzt nur freundlich sein. Und was war auch schon dabei? Yvonne nickte und ließ sich Daniel gegenüber auf dem Sofa nieder.

„Sie gehen nur selten aus, auch an Ihren freien Tagen“, bemerkte er und fuhr rasch fort. „Das soll jetzt nicht indiskret sein, Yvonne. Aber Sie leben sehr zurückgezogen.“

„Das gleiche könnte man auch von Ihnen sagen“, lächelte sie. „Wenn Sie nicht gerade geschäftlich unterwegs sind, haben Sie auch keine Verabredungen. Wäre es nicht besser für Sie und die Kinder, wenn Sie eine neue Frau und Mutter finden würden? – Auch das sollte jetzt nicht indiskret sein“, setzte sie leicht ironisch hinzu.

„Wissen Sie, wenn Sie meine Frau – meine Exfrau – kennen würden, dann könnten Sie wahrscheinlich verstehen, dass es für mich keinen zwingenden Grund gibt, warum ich mich beeilen sollte, eine neue Beziehung zu beginnen.“

„So schlimm?“, fragte sie voller Mitleid.

„Ich weiß nicht einmal, ob ich das schlimm nennen soll. Sehen Sie, wir passten einfach nicht zusammen. Sabrina ist eine Frau, die gern im Mittelpunkt steht, dabei aber möglichst allen Verpflichtungen aus dem Weg geht. Sie will die schönen Seiten des Lebens auskosten, aber keine Verantwortung tragen. Sie war mit zwei Kindern einfach überfordert. Sicher war es auch mein Fehler, dass ich das nicht früher erkannt habe. Ich hätte ihr das nicht antun dürfen.“

Yvonne war erstaunt, dass Daniel so viel Vertrauen in sie setzte, dass er so freimütig darüber berichtete. Bevor sie allerdings eine Antwort finden konnte, klingelte das Telefon.

„Um diese Zeit?“, wunderte sich Daniel und runzelte die Stirn. „Es wird doch nicht irgendwo eine Katastrophe passiert sein?“ Daniel leitete ein Ingenieurbüro, und seine Leute hatten Aufträge in der ganzen Welt auszuführen.

Yvonne sah, wie sich sein Gesicht gleich darauf verdüsterte, während er sehr schweigsam zuhörte. „Ja, sicher, kannst du herkommen.“ Dann legte er auf und starrte eine Weile nachdenklich ins Leere. „Das war Sabrina. Welch ein Zufall, dass wir gerade über sie gesprochen haben. Sie hat Probleme mit einem Mann und fühlt sich sehr unglücklich. Nun, wir sind nicht im Streit auseinandergegangen, und ich hatte ihr versprochen auch weiterhin für sie da zu sein. Sie kommt morgen für ein oder zwei Tage. Es wäre nett, wenn Sie die Kinder darauf vorbereiten.“ Seine Stimme war spröde geworden, und offensichtlich passte ihm die ganze Situation nicht.

„Gibt es etwas, worauf ich besonders achten soll, wenn Ihre Frau hier ist?“

Er lachte plötzlich bitter auf. „Um Himmels willen, Yvonne, Sie müssen auf gar nichts achten. Schließlich sind Sie allein für die Kinder hier. Bitte achten Sie nur darauf, dass die beiden Sabrina nicht allzu sehr – belästigen. Obwohl diese Gefahr auch recht gering ist. Nils und Marie haben eigentlich kein Verhältnis zu ihrer Mutter. Ebenso wenig wie Sabrina zu den Kindern. Schade eigentlich.“

Auch Yvonne fand das schade und etwas merkwürdig, schließlich ist normalerweise die Bindung einer Mutter an ihre Kinder recht stark. Auf jeden Fall war sie jetzt neugierig auf Sabrina.

6

„Waaas? Mama kommt hierher?“ Nils verzog das Gesicht, und auch Marie blickte nicht sehr begeistert drein.

„Also wirklich, ihr zwei, ich erwarte, dass ihr euch lieb und anständig benehmt“, erklärte Yvonne streng. „Das ist eure Mutter.“

„Ach, weißt du“, meinte der Junge in vertraulichem Tonfall, „eigentlich bist du schon mehr unsere Mutter als sie. Du bist immer da, wenn wir dich brauchen. Du passt auf uns auf und machst alles, was sonst eine Mutter tut.“ Er betrachtete sie plötzlich mit schief gelegtem Kopf, so als wäre ihm gerade eine großartige Idee gekommen. Dann stieß er Marie an. „Was meinst du? Wäre es nicht das Beste, wenn Yvonne unsere neue Mutter werden würde? Ich meine, sie kann Papa dann ja heiraten, der hat bestimmt nichts dagegen. Und dann muss er ihr auch kein Geld mehr bezahlen.“

Verblüfft hielt Yvonne inne, aber Marie war Feuer und Flamme für diesen Vorschlag.

„Halt, Moment mal, Herrschaften, so haben wir aber nicht gewettet“, bremste die Frau dann die Begeisterung der Kinder. „Das ist nicht so einfach, wie ihr euch das vorstellt. Erst mal ist es nämlich so, dass ein Mann und eine Frau sich sehr gern haben müssen. Und erst, wenn das alles klappt, dann stellt sich die Frage, ob das auch mit den Kindern gut gehen kann.“

„Quatsch“, erklärte Nils trocken. „Papa und du, ihr versteht euch doch sehr gut. Ihr streitet jedenfalls nicht dauernd. Und wir brauchen eine neue Mama. Dann ist es doch ganz einfach, dass ihr heiratet.“

„Nein, das ist es ganz und gar nicht“, widersprach Yvonne vehement. „Wenn ein Mann und eine Frau sich so gut verstehen, dass sie heiraten wollen, dann ist das etwas ganz anderes als zwischen eurem Vater und mir. Wir sind eine Art Freunde.“ Sie hielt inne. Wie kam sie überhaupt dazu, sich hier vor den Kindern zu rechtfertigen? Was veranlasste sie, ihre Gefühle zu verstecken und gleichzeitig zu verteidigen? Machte sie sich vielleicht gerade selbst etwas vor, weil sie in ihrem tiefsten Innern erkannt hatte, dass sie mehr für Daniel empfand als nur eine oberflächliche Freundschaft, die gerade ein wenig über das hinausging, was einen Chef und seine Angestellte verband?

Sie schüttelte unwillig den Kopf. Das alles war doch abwegig. Sie musste schleunigst dafür sorgen, dass die Kinder diese verrückte Idee nicht weiter verfolgten.

„Aber das ist immer noch eine gute Idee“, beharrte Nils und griff nach der Hand von Marie. „Wir werden Papa sagen, dass er dich ganz einfach heiraten soll. Und dann braucht unsere Mutter auch nicht mehr zu kommen, weil sie dann nicht mehr unsere Mutter ist.“

„Das werdet ihr auf gar keinen Fall tun, eure Mutter ist und bleibt eure Mutter. Diese Gedanken verschwinden jetzt ganz schnell wieder aus euren Köpfen, und ihr denkt lieber daran, dass ihr euch ordentlich zu benehmen habt.“

„Aber ich will Papa das trotzdem sagen“, beharrte Marie und strahlte Yvonne an. Noch bevor die ein weiteres Mal protestieren konnte, steckte Daniel den Kopf durch die Tür.

„Was möchtest du mir sagen, mein Engel?“, wollte er wissen. Augenscheinlich hatte er die letzten Worte noch gehört.

Marie lief auf ihren Vater zu und streckte ihm vertrauensvoll die Arme entgegen. „Du sollst die Yvonne heiraten – weil, dann haben wir eine neue Mama und brauchen die alte nicht mehr.“

Auch Daniel war für einen Moment verblüfft, dann aber lachte er etwas nervös auf. „Das ist nicht ganz so einfach, wie ihr euch das vorstellt“, wiederholte er fast wörtlich die Rede von Yvonne. „Aber ich verspreche, dass ich darüber nachdenken werde. Und nun wollen wir nicht mehr darüber reden. Ihr geht jetzt und begrüßt eure Mutter.“

„Aber wenn wir sie doch gar nicht mehr haben wollen und brauchen“, begehrte Nils auf.

„Schluss jetzt!“, bestimmte Yvonne, die flammend rot geworden war und dem Blick von Daniel auswich. „Ihr werdet tun, was euer Vater und ich gesagt haben. Sonst muss ich mit euch schimpfen.“ Was das bedeutete hatten die beiden mittlerweile gelernt. Dann nämlich sang und spielte Yvonne nicht mit ihnen, sprach auch nur das nötigste und lachte auch nicht mehr. Da war es schon besser, wenn sie taten, was gesagt war. Zumindest jetzt noch.

Folgsam gingen die beiden, um ihre Mutter zu begrüßen, die gerade angekommen war.

„Tut mir leid“, murmelte Yvonne jetzt. „Ich weiß gar nicht, wie die Kinder auf solche Ideen kommen.“

„Ich schon“, grinste Daniel. „Und ich muss sagen, meine beiden haben einen ausgesprochen guten Geschmack mit ihrer Wahl bewiesen.“

Mit einer solchen Bemerkung hatte sie nicht gerechnet, und erneut zog flammende Röte in ihr Gesicht, was Daniel mit einem weiteren Lächeln vermerkte.

Yvonne wartete noch ab, bevor auch sie in den anderen Raum hinüberging. So hatte die Familie Zeit ein wenig zueinander zu finden.

Mit einem freundlichen Lächeln betrat sie den Raum und bemerkte gleich als erstes die mürrischen Gesichter der beiden Kinder und die etwas aufgesetzte Höflichkeit von Daniel. So ganz verstand sie das nicht. Wenn er die Frau hier nicht haben wollte, warum hatte er dann zugelassen, dass sie überhaupt kam? Nur, weil er mal ein Versprechen abgegeben hatte? Dann nutzte Sabrina offensichtlich diese Tatsache schamlos aus.

Yvonne betrachtete die andere Frau genau, wenn auch nur kurz, um nicht den Anschein von unmäßiger Neugier zu erwecken.

Sabrina Kösters war eine reizvolle Frau, das konnte man nicht anders sagen. Kastanienbraunes Haar fiel schimmernd in sanften Wellen bis weit in den Rücken, wurde dort von einer teuren modischen Spange gehalten und betonte die schlanke Gestalt; das schmale Gesicht mit den vollen Lippen und blauen Augen war perfekt geschminkt, und die Kleidung stammte sicherlich aus einem der besten Geschäfte der Stadt. Doch der Blick, mit dem die Frau jetzt abweisend Yvonne musterte, war verächtlich und abwertend.

„Sie sind sicher die neue Erzieherin“, erklärte sie von oben herab, ohne die Hand zur Begrüßung auszustrecken. „Yvonne Behrens?“

„Guten Tag, Frau Kösters. Ich freue mich, die Mutter von Nils und Marie kennenzulernen.“ Yvonne ließ sich von der etwas arroganten Haltung nicht einschüchtern.

„Ja, ja, schon gut. Sie haben mich nun gesehen, ich denke, es reicht.“

„Aber Yvonne bleibt doch hier bei uns“, empörte sich Nils, der mit dem sicheren Gespür eines Kindes festgestellt hatte, dass die Worte seiner Mutter eine Verabschiedung bedeuteten.

Sabrina hob die Augenbrauen. „Ist es hier üblich, dass das Personal sich zur Familie gesellt?“

„Seit wann bist du so eingebildet?“, fragte Daniel jetzt ruhig. „Yvonne ist durch ihre Tätigkeit doch mehr als eine einfache Angestellte, und sie wird hier bei uns bleiben.“

„Na, meinetwegen. Es ist nicht meine Sache. Ich muss mir darüber keine Gedanken machen, schließlich habe ich meine eigenen Sorgen.“

„Wir können nach dem Frühstück darüber reden“, bot Daniel an.

„Nun, die Kinder könnten doch sicher mit ihrer Erzieherin in der Küche essen, dann ist sie ja bei der Familie.“

Auf der Stirn von Daniel zeigte sich jetzt die bekannte Falte. „Wir essen gemeinsam, und danach können wir reden“, wiederholte er sanft, und Sabrina fügte sich trotzig.

Yvonne war nicht sehr beeindruckt von dieser Frau. Sie hatte gedacht, dass die Mutter von Nils und Marie doch wenigstens etwas für ihre Kinder empfinden würde. Aber offensichtlich hatte Sabrina nur sich selbst und ihre eigenen Probleme im Kopf. Und die schienen sehr wichtig zu sein, jedenfalls dann, wenn man ihre Worte für bare Münze nahm. Doch Daniel hatte erwähnt, dass es um einen Mann ging. Da Sabrina nicht gerade den Eindruck machte, als würde sie Trauer tragen, konnte es dann doch wohl nicht so schlimm sein.

Yvonne war froh, dass Daniel darauf bestanden hatte, nach dem Frühstück mit seiner Exfrau zu reden, so würde sie selbst nichts damit zu tun haben.

Auffallend schnell waren Nils und Marie fertig, und ausnahmsweise begleitete Yvonne die beiden heute zur Schule, dann ging sie selbst noch ein wenig einkaufen. Auf diese Weise hatten Daniel und Sabrina ausreichend Zeit, um ihr Gespräch zu führen.

Plötzlich ertappte Yvonne sich dabei, dass sie vor einer sündhaft teuren Boutique stand und ein traumhaftes Kleid anstarrte. Verschiedene Blautöne flossen ineinander und bildeten ein faszinierendes Muster, ohne unruhig zu wirken. Ein Kleid für einen besonderen Anlass. Ein Kleid mit einem enormen Preis. Ein Kleid, das Yvonne einfach haben musste, auch wenn sie nicht wusste, wann und wozu sie es jemals tragen würde. Doch als Frau hatte es ihr einen Stich gegeben, mit welch lässiger Eleganz Sabrina ihre teure Garderobe getragen hatte. Und da sie selbst recht wenig Geld für sich persönlich ausgab, riss diese Ausgabe nicht einmal ein so großes Loch in ihre Ersparnisse. Ja, wozu sparte sie überhaupt ihr Geld, wenn sie es nicht ab und zu für solche extravaganten Dinge ausgab?

In bester Laune kehrte Yvonne heim, doch die erste, der sie begegnete, war nicht Helene beim täglichen Putzen sondern Sabrina. Die bemerkte den Aufdruck der Boutique auf der Tasche.

„Mein Mann muss Sie ja ausgesprochen gut bezahlen, wenn Sie es sich leisten können, dort einzukaufen“, bemerkte sie anzüglich.

„Ich rede nicht mit Außenstehenden über meinen Arbeitsvertrag und mein Gehalt“, erklärte Yvonne kühl.

„Halten Sie mich wirklich für eine Außenstehende? Immerhin bin ich die Mutter von Nils und Marie.“

„Das fällt Ihnen allerdings nur dann ein, wenn es Ihnen passt.“ Eigentlich hatte sie gar nicht so spitz werden wollen, doch etwas an Sabrina und ihrer ganzen Art reizte sie.

„Ich glaube, Sie werden gerade eine Spur zu unverschämt. Ich werde mit meinem Mann über Ihr unmögliches Benehmen reden. Es geht nicht an, dass eine kleine Angestellte sich herausnimmt mir Vorschriften oder Vorwürfe zu machen. – Aber das war es gar nicht, was ich wollte. Mein Mann ist wieder einmal geschäftlich unterwegs. Nun muss ich aber auch weg, und ich brauche für heute Abend noch eine Bluse aufgebügelt. Das werden Sie doch wohl noch können. Ach ja, und sagen Sie meinen Mann, wenn Sie ihn sehen, die Situation habe sich etwas geändert. Er versteht es dann schon.“

Yvonne glaubte gerade im falschen Film zu sein. War sie jetzt etwa die Zofe dieser Frau? Und musste sie sich derart abkanzeln lassen?

„Nein“, sagte also vollkommen ruhig.

Sabrina, die sich schon auf dem Weg zur Tür befand, drehte sich irritiert noch einmal um. „Was?“

„Ich will Herrn Kösters gerne etwas ausrichten. Aber ich bin nicht für Ihre Kleidung zuständig. Darum werden Sie sich schon selbst kümmern müssen. Einen schönen Tag noch.“

Dieses Mal war sie es, die einfach in ihr Zimmer ging und die andere Frau stehenließ. Doch dieser vermeintlich kleine Sieg war eigentlich nur lächerlich. Yvonne schüttelte über sich selbst den Kopf. Noch nie hatte sie sich jemand anderem gegenüber derart anzüglich benommen. Was war es nur, das sie an Sabrina derart reizte? Sie hängte das neue Kleid in den Schrank und strich sanft mit den Fingern über den irisierenden blauen Stoff, dann rief sie sich energisch zur Ordnung und bereitete alles für die Rückkehr der Kinder vor.

7

Es waren die zwei längsten Tage, die Yvonne und die Kinder je erlebt hatten. Obwohl Sabrina die meiste Zeit doch außer Haus war, schien ihre Anwesenheit allgegenwärtig und drückte auf die Stimmung. Nils und Marie hatten aber nicht vor, sich von ihrer Mutter bevormunden zu lassen. Sie nahm zu anderen Zeiten nicht einmal das regelmäßige Besuchsrecht wahr. Da konnte sie doch jetzt nicht herkommen und an allem herummäkeln, was sie taten. Die beiden sahen auch nicht ein, dass sie in puncto Lautstärke oder Toben Rücksicht nehmen sollten. Sobald Yvonne sie ermahnte, schlichen sie zwei Schritte auf Zehenspitzen, dann aber ging es wieder von vorne los.

Entgegen der Anordnungen von Yvonne, die darauf bestanden hatte, dass keine Streiche stattfanden und die Kinder sich stets artig verhielten, dachten Nils und Marie völlig anders darüber. Den beiden fiel es ungeheuer schwer, so zu tun als wäre alles normal, vor allem, dass sie sich mucksmäuschenstill verhalten sollten, wenn Sabrina anwesend war, gefiel ihnen überhaupt nicht.

Marie hatte schon am ersten Morgen geschnüffelt, als sie das Parfüm ihrer Mutter roch. Es war teuer, aber aufdringlich, und die Kinder mochten es überhaupt nicht, dass der Duft den ganzen Tag in allen Räumen hing.

Nils und seine Schwester schlichen sich in Sabrinas Zimmer. Marie rümpfte wieder die Nase, als der Junge jetzt den Verschluss des Flakons öffnete.

„Igitt, das stinkt widerlich“, erklärte sie, ging ins Bad und schüttete die Flüssigkeit aus.

„Die reißt uns den Kopf ab, wenn sie sieht, dass die Flasche leer ist“, prophezeite Nils.

Marie grinste ihn an. „Dann machen wir sie wieder voll.“

„Und womit?“

„Komm mit, in der Küche finden wir schon etwas.“

Triumphierend hielt das Mädchen eine Flasche mit Zitronensaft hoch, und Nils lachte glucksend. Der Flakon wurde zurückgestellt, und der Duft des Parfums war so intensiv, dass der Austausch zunächst gar nicht auffiel. Doch am nächsten Morgen kam natürlich das Donnerwetter.

Und das ging nicht über den Kindern nieder, sondern über Yvonne.

Daniel war noch zu Hause, und er wunderte sich nicht wenig darüber, dass Sabrina wie eine Furie in die Küche gestürmt kam.

„Ich weiß nicht, zu welchem Zweck Sie in diesem Hause sind, aber die Erziehung der Kinder ist es sicher nicht“, giftete sie Yvonne an, die gar nicht wusste, wie ihr geschah.

„Was ist denn los?“, fuhr Daniel dazwischen.

Sabrina funkelte ihn zornig an, dann hielt sie ihm den Flakon anklagend entgegen. „Deine Kinder haben unter der Aufsicht deiner Angestellten mein teures Parfüm ausgeschüttet und gegen ordinären Zitronensaft vertauscht. Stell dir das nur einmal vor. Ich stank gestern Abend auf der Party ganz widerlich nach Zitrone.“ Sie wurde fast hysterisch, während Yvonne und Daniel sich ein Lachen kaum verkneifen konnten.

„Ich schenke dir eine neue Flasche“, bot er großzügig an.

„Damit ist es ja wohl nicht getan“, fauchte sie. „Willst du diese beiden ungezogenen Rangen nicht bestrafen, und auch diese – diese Erzieherin?“

„Ich glaube, Sabrina, es reicht jetzt“, erklärte Daniel ruhig. „Du bist hierhergekommen, weil du nicht allein sein konntest. Aber ich denke, nun dürfte es dir besser gehen, und du kannst sicher in deine Wohnung zurückkehren. Dein Verhalten ist auch nicht gerade beispielhaft, und noch bestimme ich in diesem Hause, wenn wirklich eine Strafe ausgesprochen werden muss. Das Parfüm werde ich dir zustellen lassen.“ Er hatte endgültig genug und wollte nur, dass wieder Ruhe im Hause einkehrte.

„Du wirfst mich hinaus?“

„Ich bitte dich, in dein eigenes Leben zurückzukehren“, erwiderte er sanft, trügerisch sanft.

Yvonne und die Kinder wussten, dass Daniel kurz davor war zu explodieren – auf zivilisierte Weise natürlich, aber dennoch.

„Ich hatte eigentlich gedacht, du wolltest auch weiterhin mein Freund sein“, stieß sie bitter hervor.

Er hob die Augenbrauen. „Schließt das deiner Meinung nach ein, dass du uns alle wie deine Leibeigenen behandelst?“, fragte er ironisch.

„Du wirst unsachlich und übertreibst. Aber ich merke es, wenn ich irgendwo nicht mehr willkommen bin. Ich werde gehen.“

Unwillkürlich atmeten alle auf, ohne sich das wirklich anmerken zu lassen.

Sabrina rauschte aus dem Raum und begann ihre Sachen zu packen. Wenig später knallte die Haustür zu. Sabrina Kösters hatte ihre Familie ohne Gruß verlassen. Nils und Marie strahlten sich an. Es war kaum zu glauben, dass so enge verwandtschaftliche Beziehungen zwischen ihnen und der Frau bestehen sollten.

„Es tut mir leid, dass Sie derart angegriffen wurden, Yvonne. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sabrina so weit gehen würde.“ Daniel suchte nach Worten, um sich in angemessener Form zu entschuldigen, doch die winkte ab.

„Also wirklich, Daniel, Sie müssen sich nicht für das unmögliche Betragen anderer Leute entschuldigen.“

„Nun, es ist trotzdem in meinem Haus passiert. Ich biete Ihnen eine Wiedergutmachung. Gehen Sie mit mir aus? Ich habe eine Einladung ins Theater, möchte aber nicht allein dorthin gehen.“

Hatte er gewusst, dass Yvonne sich ein neues Kleid geleistet hatte, das nur auf einen solchen Anlass wartete? In diesem Fall zögerte Yvonne nicht lange, sie sagte zu, das Theater war ohnehin ihre Leidenschaft, der sie viel zu selten nachgehen konnte.

Nils und Marie grinsten sich an wie Verschwörer und kicherten hinter vorgehaltener Hand.

„Dann werde ich mal dafür sorgen, dass ein Babysitter auf euch aufpasst. Und es wird eine Menge Ärger geben, sollten wir Klagen hören“, wandte sich Daniel an seine Kinder. Die machten unschuldige Gesichter, hofften sie doch insgeheim noch immer darauf, dass Daniel und Yvonne sich näherkämen.

„Aber wie seid ihr nur auf die verrückte Idee gekommen das Parfüm gegen Zitronensaft auszutauschen?“, wunderte sich die junge Frau noch immer.

Marie hielt sich in gespieltem Entsetzen die Nase zu. „Ja, hast du denn nicht bemerkt, wie schrecklich das riecht?“

„Nun, das muss aber doch jeder selbst entscheiden. Wenn ich mir allerdings so vorstelle, dass eure Mutter mitten zwischen anderen Leuten feststellt, dass sie ausgesprochen frisch nach Zitrone duftet ...“

Eine wahre Salve aus Gelächter folgte diesen Worten.

8

„Sie sehen einfach wundervoll aus“, stellte Daniel fest und konnte seinen Blick kaum von der schönen Frau an seiner Seite lösen. Yvonne trug das neue Kleid, hatte ihre Haare in einer praktischen und doch eleganten Frisur aufgesteckt, und das alles gab ihr plötzlich das Gefühl ein anderer Mensch zu sein. Sie fühlte sich Sabrina nicht mehr unterlegen – was sie ja im Grunde auch gar nicht war, doch es zeigte sich wieder einmal, dass durch andere Kleidung ein völlig neues Selbstwertgefühl geschaffen wurde.

Daniel führte Yvonne ins Theater, wo sie ebenfalls viele bewundernde Blicke erntete, und der Mann an ihrer Seite blickte stolz umher. Das Theaterstück, eine Komödie, war gut inszeniert, und es schien ein rundum gelungener Abend.

„Lassen Sie uns noch etwas essen gehen“, bat Daniel, der das Beisammensein gerne noch weiter ausdehnen wollte.

Wenig später saßen die zwei in einem vornehmen Restaurant und beobachteten einfach mal die anderen Leute. Yvonne hatte nur wenig Erfahrung mit so exklusiven Restaurants, und sie genoss es einfach. Sie stellte aber auch für sich selbst fest, dass sie solche Ausflüge nicht oft brauchen würde. Das alles hier erschien ihr viel zu aufgesetzt, gekünstelt, nicht echt. Auch das Verhalten der anderen Besucher war nicht natürlich. An einem Tisch wurde mit Absicht viel zu laut gelacht, weil ein kleines Filmsternchen dasaß und hoffte, auf diese Weise jemanden auf sich aufmerksam machen zu können, an einem anderen Tisch stritten sich zwei Leute, deren Aussehen und Kleidung darauf schließen ließ, dass sie entschieden zu viel Geld hatten. Und an einem dritten Tisch bemühte sich eine junge Frau sehr auffällig um einen wesentlich älteren Mann. Das alles war nicht die Welt, in der Yvonne sich zu Hause fühlte. Doch sie fand es spannend, mal alles zu beobachten, auch wenn sie nicht einmal Lust verspürte dazugehören zu wollen.

Daniel beobachtete seinerseits die junge Frau, die ihm gegenübersaß, und er wunderte sich nicht wenig, dass sie mühelos in die Umgebung passte und doch so wirkte, als stände sie darüber. Dann las Yvonne die Speisekarte und runzelte die Stirn. Daniel beschimpfte sich selbst, nicht daran gedacht zu haben, sich vorher zu erkundigen, ob sie französisch sprach. Vielleicht war sie jetzt zu stolz, um ihn zu fragen, was die einzelnen Positionen bedeuteten.

Aber das war es nicht, wie der Mann gleich darauf feststellen konnte.

„Ist das nicht einfach lächerlich?“, flüsterte Yvonne wie eine Verschwörerin. „Da machen sich diese Leute hier eine Menge Mühe alles in eine andere Sprache zu übersetzen, und das nur, damit ein Schnitzel mit Beilagen teuer klingt.“

Unter diesem Gesichtspunkt hatte Daniel das Ganze noch nie betrachtet. Als er dann aber auch noch feststellte, dass am Nachbartisch ein Menü reklamiert wurde, weil die Qualität offensichtlich nicht in Ordnung war, grinste er Yvonne an.

„Ich komme mir ja gerade ein bisschen dumm vor. Aber was halten Sie davon, wenn wir das Lokal wechseln?“

„Eine ganze Menge“, kam die prompte Antwort. „Ich finde es zwar ausgesprochen lustig, hier die Leute zu beobachten, aber irgendwie habe ich das Gefühl, als könnte ich selbst besser kochen.“ Das kam im Tonfall der Überzeugung, und unwillkürlich musste Daniel lachen. Wahrscheinlich hatte sie sogar recht. Er dachte gerade daran, wie lecker das Essen war, das Yvonne tagtäglich für die Kinder auf den Tisch zauberte. Er half ihr galant in den Mantel und nahm ihren Arm, um sie hinauszubegleiten, das alles unter den missbilligenden Blicken des Oberkellners, als ein anderes Paar fast in sie beide hineinlief. Erstaunt blickte Daniel in das Gesicht von Sabrina, die automatisch die Frau an seiner Seite musterte.

„Bist du jetzt so tief gesunken, dass du mit einer kleinen Angestellten ausgehen musst?“, zischte sie Daniel zu.

Der Mann starrte sie ob dieser Worte wütend an. „Wenn diese kleine Angestellte mehr Charakter und Anstand besitzt als du, sehe ich darin kein Hindernis.“

„Nun, dann kann ich ja sicher bald zur Hochzeit gratulieren“, flötete sie zuckersüß. „Aber ich sage dir, mein Lieber, in dem Fall behältst du die Kinder nicht. Es ist unter meiner Würde, wenn meine Kinder sich mit einer solchen Person abgeben müssen.“

„Bedenke gut, was du sagst, Sabrina, ich könnte auf die Idee kommen, dich beim Wort zu nehmen“, gab er ruhig zurück. Dabei würde er niemals freiwillig seiner Exfrau die Kinder überlassen. Doch das konnte sie natürlich nicht wissen. So starrte sie ihn plötzlich erschreckt an, zog dann ihren Begleiter mit sich und beachtete die beiden nicht mehr.

„Ich glaube, ich habe Ihnen diesen Abend gründlich verdorben“, stellte Daniel zerknirscht fest.

Zu seiner Überraschung lachte Yvonne auf. „Nein, gar nicht. Sie können ja nichts dafür, dass Ihre Exfrau hier auftauchen musste. Und dass sie nicht viel von mir hält, war auch vorher schon bekannt. Eigentlich tut die Frau mir leid.“

„Wie bitte?“

„Ja, sie teilt die Menschen in zwei Klassen auf und bemüht sich selbst verzweifelt darum, in der – ihrer Meinung nach – besseren Klasse dabei zu sein. Da ich nach dieser Einteilung in die niedere Klasse gehöre, habe ich Grenzen überschritten, und Sie haben gegen eine gesellschaftliche Norm verstoßen. Das ist einfach unverzeihlich.“

Daniel blickte verblüfft, dann lachte er auch. „Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, aber ich glaube, an Ihren Worten ist etwas dran. – Aber, nun tun Sie mir bitte den Gefallen, vergessen Sie diesen unschönen Vorfall. Ich möchte gern, dass Sie diesen Abend in angenehmer Erinnerung behalten. Was also kann ich tun, dass Sie wieder fröhlich lachen und zufrieden sind?“

„Lassen Sie uns etwas ganz Verrücktes tun“, schlug Yvonne vor. „Gehen wir, so wie wir sind, in einen Schnellimbiss, ein Fast-Food-Restaurant.“

Er schüttelte ungläubig den Kopf. Das war wirklich verrückt. Aber warum eigentlich nicht?

Wenig später hielten sie ihr Essen mit den Händen und bissen herzhaft hinein. Mit viel Gelächter und purem Vergnügen redeten sie Unsinn, machten sich über wildfremde Leute lustig und benahmen sich wie zwei Teenager, die der strengen Aufsicht ihrer Eltern entkommen waren.

Viel später kehrten sie nach Hause zurück. Von einem nachtschwarzen Himmel leuchtete ein bleicher Vollmond, und die Luft war voller Romantik. Daniel zog Yvonne an sich und küsste sie, und sie ließ es geschehen, ohne sich dagegen zu wehren.

9

Die großen Ferien standen vor der Tür. In diesem Jahr würde es allerdings keine Urlaubsreise für Nils und Marie geben. Daniel konnte sich von seinen geschäftlichen Verpflichtungen nicht freimachen. Doch Yvonne hatte den beiden versprochen, dass sie Ausflüge in die Umgebung unternehmen würden. Schließlich gab es Freizeitparks, Museen, Freibäder und vieles mehr. Mit Erstaunen, aber auch mit Zustimmung hatten die Kinder registriert, dass Yvonne und Daniel sich neuerdings duzten. Das war doch sicher ein weiterer Schritt auf dem Weg dahin, dass die beiden sich immer mehr mochten. Vielleicht lag es dann doch nicht so weit weg, dass sie eine neue Mutter bekamen – und Daniel eine neue Frau. Und da Yvonne mit ihnen so gut klarkam, war es im Grunde auch egal, dass keine Urlaubsreise anstand, sie würden die Zeit schon fröhlich verbringen. Die Kinder hatten die Frau voll und ganz akzeptiert, zum ersten Mal in ihrem jungen Leben fühlten sie sich geborgen und sicher.

Eine lange Hitzeperiode setzte ein, und täglich suchten die drei das Freibad auf, doch nach rund zwei Wochen war auch das schrecklich langweilig geworden. Vor allem auch deswegen, weil das Freibad stets überfüllt war. Yvonne vermerkte regelrecht dankbar, dass sie nicht mehr täglich mit den Kindern dorthin gehen musste. Ihr lag es nicht besonders sich dauernd unter vielen Menschen aufzuhalten. Sie überredeten Daniel, mit ihnen zusammen einen Ausflug in einen Freizeitpark zu unternehmen. Hier war zwar auch damit zu rechnen, dass es viele Menschen gab, doch hier war auch eine Menge Abwechslung, und die Kinder waren ganz aufgeregt.

Auch die beiden Erwachsenen hatten ihren Spaß daran, mit der Wasserrutsche durch künstliche Berge zu fahren, in einer nachgebauten Westernstadt auf den Spuren der Goldgräber zu wandern und in einer chinesischen Geisterbahn sanfte Schauder des Grusels auf dem Rücken zu spüren. Sie waren wirklich eine kleine Familie geworden, und die Gefühle zwischen Daniel und Yvonne wuchsen langsam, aber beständig. Der einzige Punkt, an dem es Meinungsverschiedenheiten gab, war ausgerechnet Sabrina.

Daniel billigte das arrogante und überhebliche Auftreten seiner Exfrau auch nicht, doch er hatte sie einmal geliebt, und aus diesem Gefühl heraus war er noch immer bereit, ihr Freundschaftsdienste zu bieten und sie auch in Schutz zu nehmen. Yvonne dagegen fühlte sich von Sabrina verletzt und herabgesetzt, sie wollte jedes weitere Zusammentreffen mit dieser Frau nach Möglichkeit vermeiden. Sollte die jedoch auf die Idee kommen, ihre Kinder öfter sehen zu wollen, würde sich das wohl kaum vermeiden lassen. Früher oder später würde es auf jeden Fall zu einem erneuten Zusammentreffen kommen, und Yvonne war schon jetzt von einer unbestimmten Angst davor erfüllt. Dabei gab es eigentlich nichts, wovor die Frau sich fürchten musste. Sie war in jeder Hinsicht etwas besonders, wie Daniel nicht müde wurde ihr zu versichern.

Yvonne hatte jedoch einen Narren an Nils und Marie gefressen. Sie wollte um jeden Preis, dass die beiden wieder zu fröhlichen unbeschwerten Kindern wurden. So genoss sie auch die Freude und Begeisterung, mit der die beiden sich auf die Attraktionen stürzten, die hier im Park geboten wurden.

Das friedliche Bild wurde gestört, als das Handy von Daniel klingelte. Bloß kein Notruf aus der Firma, hoffte Yvonne, die es ungern sehen würde, dass dieser schöne Tag gestört wurde. Doch in ihren Augen war es fast noch schlimmer, als sie während des Gesprächs feststellen musste, dass es sich bei der Person am anderen Ende um Sabrina handelte.

Sie verzog das Gesicht. Sabrina sah in Daniel eine Art Notnagel, der immer dann einzuspringen hatte, wenn sie selbst nicht mehr weiterwusste oder sich selbst ganz furchtbar leid tat. Aber wahrscheinlich war sie unfähig sich zu ändern, und je eher Yvonne sie so akzeptierte, wie sie sich gab, umso besser.

Da Nils und Marie sich gerade in einer Ponykutsche befanden und von diesem Gespräch nichts bemerken konnten, hatte Yvonne anschließend die Gelegenheit ihren Unmut abzuschalten – zumindest solange, bis Daniel sie mit ernstem Gesicht anschaute. Er nahm sie in die Arme, und die junge Frau ahnte, dass jetzt Worte kamen, die ihr zu schaffen machen würden.

„Wie du schon festgestellt hast, war Sabrina am anderen Ende. Sie hat – sie ist ...“

Yvonne forschte im Gesicht des Mannes, den sie lieben gelernt hatte, obwohl sie eigentlich nie wieder ihr Herz hatte verschenken wollen.

„Was ist mit ihr?“, fragte sie spröde. „Hat sie sich gerade in den Finger geschnitten und erwartet jetzt, dass du sie tröstest und ein Pflaster auflegst?“

„Du urteilst sehr hart, meine Liebe, und ich kann es dir nicht einmal verdenken. Nun – sie hat sich wohl vorläufig von ihrem Partner getrennt und weiß jetzt nicht, wohin. – Versteh’ mich bitte, Yvonne, ich kann nicht anders, als sie aufzunehmen. Sie weiß nicht, wohin.“

Für Yvonne war es, als habe sie einen Schlag mitten ins Gesicht bekommen. „Du zahlst sehr großzügig für sie, wie du mal gesagt hast. Es dürfte doch wirklich kein Problem für sie sein, sich eine andere Wohnung oder ein Hotel zu suchen“, stellte sie also kühl fest.

„Das verstehst du vielleicht nicht richtig, Liebes. Sabrina ist eine Frau, die nicht allein sein kann.“