Pfarrer:in sein - Friederike Erichsen-Wendt - E-Book

Pfarrer:in sein E-Book

Friederike Erichsen-Wendt

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Beschreibung

Was ist eigentlich die Aufgabe von Pfarrer:innen? Wer "sind" Pfarrer:innen? Im Kontext einer pluralen und diversen Gesellschaft versteht sich nicht von selbst, wie das Profil des Pfarrberufs aussieht. Der Beruf ist im Umbruch. Niemand kann sagen: "Genau so ist es, Pfarrer:in zu sein." Das Buch informiert kurz und übersichtlich über pastoraltheologische Diskurse und liefert provokante Fokussierungen und Impulse zur Diskussion über zukunftsweisende Aufgaben. Was wird morgen wichtig sein? Was entspricht mir als Pfarrer:in? Was erwartet die Kirche? Die Autorinnen beschreiben die Situation des Pfarrberufs im Kontext von Kirche, Gesellschaft und Berufsperson. Sie liefern ein Update aktuell wirksamer Ansätze der Pastoraltheologie im 21. Jahrhundert und entwickeln Essentials für die Gestaltung des Pfarrberufs heute. Der Band regt zur Diskussion über das Selbstverständnis von Pfarrer:innen an.

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Friederike Erichsen-Wendt/Adelheid Ruck-Schröder

Pfarrer:in sein

 

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: © Thomas Hirsch-Hüffell

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99406-2

Inhalt

Vorwort der Herausgeber

Geleitwort

Vorwort der Autorinnen

1 Die gegenwärtige Situation des Pfarrberufs – Zahlen, Fakten, Beobachtungen

1.1 Gesellschaftliche Kontexte des Pfarrberufs

1.2 Personale Dimension des Pfarrberufs

1.3 Kirchliche Kontexte des Pfarrberufs

2 Praktisch-theologisches Update – Aufbrüche und neue Ansätze

2.1 Wiedererwachen des Interesses am Pfarrberuf

2.2 Zusammengehörigkeit von Pfarrbilddebatte und Kirchenreform

2.3 Plausibilisierung des Berufs im Blick auf die Gesellschaft

2.4 Profilierung des Pfarrberufs im Blick auf die Person

2.5 Modellierung des Pfarrberufs im Blick auf die Kirche

3 Essentials

3.1 Pfarrer:in sein in der Gesellschaft: erkundend und entäußernd

3.2 Pfarrer:in sein in der Gesellschaft: vernetzt und entnetzt

3.3 Pfarrer:in sein in Person: fromm und authentisch

3.4 Pfarrer:in sein in Person: assistierend leiten

3.5 Pfarrer:in sein in der Kirche: postparochial und professionell

3.6 Pfarrer:in sein in der Kirche: erprobend und experimental

4 Impulse

4.1 Gesellschaftlich

4.2 Personspezifisch

4.3 Kirchlich

5 Besondere Herausforderungen von struktureller Bedeutung

5.1 »Quereinstieg« in den Pfarrberuf

5.2 Wechsel einer Pfarrstelle

5.3 Interprofessionelle Teams

5.4 Kirchliche Orte

6 Der:Die Pfarrer:in. In einem Wort

7 Literatur

Register

Vorwort der Herausgeber

Die Reihe »Praktische Theologie konkret« will Pfarrer:innen sowie Mitarbeitende in Kirche und Gemeinde mit interessanten und innovativen Ansätzen in kirchlich-gemeindlichen Handlungsfeldern bekannt machen und konkrete Anregungen zu guter Alltagspraxis geben.

Die Bedingungen kirchlicher Arbeit haben sich in den letzten Jahren zum Teil erheblich verändert. Auf viele heutige Herausforderungen ist man in Studium und Vikariat nicht vorbereitet worden und in einer oft belastenden Arbeitssituation fehlt meist die Zeit zum Studium neuerer Veröffentlichungen. So sind interessante neuere Ansätze und Diskussionen in der Praktischen Theologie in der kirchlichen Praxis oft kaum bekannt.

Der Schwerpunkt der Reihe liegt nicht auf der Reflexion und Diskussion von Grundlagen und Konzepten, sondern auf konkreten Impulsen zur Gestaltung pastoraler Praxis:

–praktisch-theologisch auf dem neuesten Stand,

–mit Informationen zu wichtigen neueren Fragestellungen,

–Vergewisserung über bewährte »Basics«

–und einem deutlichen Akzent auf der Praxisorientierung.

Die einzelnen Bände sind von Fachleuten geschrieben, die praktisch-theologische Expertise mit gegenwärtiger Erfahrung von konkreter kirchlicher Praxis verbinden. Wir erhoffen uns von der Reihe einen hilfreichen Beitrag zu einem wirksamen Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis kirchlicher Arbeit.

Dortmund/Göttingen Hans-Martin Lübking und Bernd Schröder

Geleitwort

Die Debatte um den Pfarrberuf ist vielfältiger denn je. Das zeigt dieses Buch in aller Deutlichkeit. Ich hoffe, dass es von vielen, nicht nur Ordinierten, rezipiert wird.

Bei allen Aufgabenbeschreibungen des Pfarrberufs zieht sich das Verständnis eines leitenden und deutenden Berufs unter dem Vorzeichen der Theologie und des Gottvertrauens durch die Debatten. Pfarrer:innen sind Teil einer sich wandelnden Kirche und gleichzeitig mitverantwortlich für die Gestaltung und Moderation der Veränderungsprozesse. Pfarrer:innen geht es darum, kirchliches Reden, Handeln, Schweigen und Abwarten theologisch reflektiert in Bezug zu den Kontexten zu setzen, in denen evangelische Kirche in Deutschland lebt.

Die Frage nach der Zukunft der Parochie spielt hier eine zentrale Rolle. An vielen Orten lebt sie nicht mehr auf »althergebrachte« Weise. So steht in der »postparochialen« Zeit eine Metamorphose an. Eine zentrale Rolle – um den unglücklichen Begriff des Schlüsselberufs zu vermeiden – spielen in vielen Kontexten die Pfarrer:innen. Eingezwängt zwischen Ansprüchen zur Bewahrung des Vertrauten und der notwendigen Weiterentwicklung geraten sie häufig in Überforderungssituationen. Hier ist eine konzeptionelle Zusammenarbeit von Pfarrer:innen, Superintendent:innen, Kirchengemeinderäten und Synoden auf den verschiedenen Ebenen unverzichtbar. In diese Zusammenhänge passt die in manchen Kirchen bewährte, in anderen erst kürzlich neu entdeckte Arbeit in multiprofessionellen Teams. Interprofessionalität wird der neue Standard, der nicht aus Not, sondern aus ekklesiologischer Überzeugung anzustreben ist. Die Integration in ein Team unterschiedlicher Professionen entlastet Pfarrer:innen von dem Anspruch, die »eierlegende Wollmilchsau« sein zu müssen.

Bei aller Diversität und Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen in den Landeskirchen scheint es mir gemeinsame Chancen zu geben. Ich nenne beispielhaft:

Auf der Ebene der EKD wächst in der Gremienarbeit von Ausbildungs-, Personal- und Fortbildungsreferent:innen ein offener Austausch der landeskirchlichen Vertreter:innen – im Bewusstsein der Vielfalt. Diese Chance, voneinander zu lernen und sich miteinander zu verbünden, wird wahrgenommen, auch unter Einbeziehung derer, die Aus- und Fortbildung in der Praxis verantworten. Darüber hinaus ist es angesichts des verstärkten Landeskirchenwechsels in allen Phasen der Ausbildung und Berufsjahre wie auch der unterschwelligen Konkurrenzsituation der Landeskirchen durch den Pfarrer:innenmangel wichtig, gemeinsame Standards zu halten. Zur nötigen Orientierung für Pfarrer:innen tragen transparente Personalentwicklungsstrategien bei, die auf landeskirchlicher Ebene und nicht nur regional verankert sein müssen.

Vielfältig und individuell ist der Bildungsweg und die Arbeit jeder Pfarrperson; das schildert dieses Buch eindrücklich. Diese Diversität ist nicht nur eine Beobachtung, sie ist Ziel, denn keiner Kirche ist gedient, wenn sie z. B. nur Pfarrer:innen mit bildungsbürgerlichem Hintergrund hat. Das hat Folgen für die Konzepte der Nachwuchsgewinnung und der Studieneingangsphase, in der mehr Aufmerksamkeit für die Schnittstelle zwischen Schule und Universität sowie eine Orientierung im Fach Evangelische Theologie vonnöten ist. Viele kirchliche Verantwortliche mahnen sowohl Optionen für Quer- und Durchstiege an wie auch einen verstärkten Fokus auf eine theologische Sprachfähigkeit. Darum ist es gut, dass intensiv an einer Reform des Theologiestudiums gearbeitet wird. Auch die kirchliche Studierendenbegleitung ist wichtig für die Begegnung mit der Diversität kirchlichen Lebens, die Fragen nach dem eigenen Glauben und nach der eigenen zukünftigen Rolle in dieser Kirche.

An diese Anliegen knüpfen die Ausbildungsstätten für den Pfarrberuf an. Sie haben in den vergangenen Jahren ihre Konzepte teils erneuert, teils völlig neu aufgesetzt. Häufig ging dies mit einer Verkürzung der Ausbildungszeit einher, auch mit der überzeugenden Begründung, für mehr als den Start in den Beruf könne man angesichts der aktuellen und zu erwartenden Entwicklungen nicht ausbilden.

Diese Einsicht ruft die Notwendigkeit einer Fortbildung in allen Amtsjahren auf den Plan, nicht als Gängelung durch die Arbeitgeberin, sondern als Rückenstärkung für die Pfarrer:innen. Lebenslanges Lernen, ein regelmäßiges Befragen der eigenen Rolle und theologischen Einsichten sowie Auszeiten für eigene Spiritualität sind unverzichtbar.

Damit komme ich zu der Haltung, zu der dieses Buch ermutigt. Da wir aus einer Quelle leben, die wir nicht bewirtschaften, kann aus dem Gottvertrauen Toleranz erwachsen, die Vielfalt aushält. Dann ist die Rede von Chancen, die Veränderungen in sich bergen, mehr als ein pastorales Schönreden deprimierender Erfahrungen.

Auch wenn sich dieses Buch bewusst als zeitgebunden versteht, ist es doch mehr als eine Momentaufnahme; es bündelt die neuesten Entwicklungen und stößt weitere an. Ein großer Dank gilt daher Studienleiterin Dr. Friederike Erichsen-Wendt und Regionalbischöfin Dr. Adelheid Ruck-Schröder für ihre Analysen und Impulse!

Christiane de Vos

Oberkirchenrätin Dr. Christiane de Vos ist Referentin für Hochschulwesen und theologisch-kirchliche Ausbildung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Vorwort der Autorinnen

Zwei Pfarrerinnen schreiben über den Pfarrberuf. Jenseits dessen, was man von Pfarrer:innen »sieht«, skizzieren wir Einstellungen, Habitus und Forschungstrends. Wir spannen Felder auf, innerhalb derer sich die Berufsrollenträger:innen bewegen.

Unsere augenscheinlichste Gemeinsamkeit ist, dass wir für die Ausbildung zum Pfarrberuf verantwortlich sind oder waren. Damit denken wir viel über die formative Phase des Berufs nach und sind darüber in unseren Kirchen im Gespräch: Wie wird man eigentlich ein:e gute:r Pfarrer:in? Wir agieren damit auf der Schwelle von akademischer Theologie und kirchlichem Leben. Wir bilden Vikar:innen aus. Erst mit ihrer Generation, der um 1995 Geborenen, vollzieht sich der Wandel von der Lebens- zur Berufsförmigkeit des pastoralen Dienstes. Insofern rekonstruieren wir in diesem Buch eine Entwicklung, die wir bei den Jüngeren sehen und die unsere Kirchen im Ganzen gegenwärtig erst vollziehen. Inwiefern wir damit sogar schon auf einem Weg zu einer »neuen Beruflichkeit 4.0« sind, lässt sich derzeit kaum absehen, geschweige denn beschreiben.

Die Themen und Thesen dieses Buches haben wir gemeinsam entwickelt: Wir wussten voneinander, dass wir hinreichend oft unterschiedlicher Meinung sind und doch »irgendwie« das Gleiche wollen. Das hat uns interessiert. Unser Diskurs ist so präzise diffus wie der Pfarrberuf selbst. Trotzdem ziehen wir Linien: Die Situation, die wir gesellschaftlich, personspezifisch und kirchlich beschreiben, wird im pastoraltheologischen Update in einen theologischen Gesprächszusammenhang eingeordnet. An vielen Stellen ergeben sich daraus die »Essentials« des gegenwärtigen Pfarrberufs. Diese Liste ist unabgeschlossen: Wir nennen das, was wir als zentral ansehen und worin aus unserer Sicht ein ungefährer Common Sense der pastoraltheologischen Forschung zum Ausdruck kommt. Die Impulse, die wir bei aller Darstellung, die um Ausgewogenheit bemüht ist, von dort ausgehend setzen, sollen ein Gespräch anstoßen, das die Leser:innen mit sich und anderen fortführen mögen.

Dieses Buch ist in Cafés und Videokonferenzen, in einem Landeskirchenamt, in einem Pfarrhaus und am Telefon entstanden. Wir haben gemeinsam geschrieben und jede für sich. Mal hat eine aufgeschrieben, was sie von der anderen gehört hat, mal hat eine einen Vorschlag gemacht und die andere reagiert. Wir haben uns dabei ertappt, dass wir immer wieder von unserem Pfarrerin-Sein erzählt haben: von eigenen Erfahrungen im Gemeindepfarrdienst und im funktionalen Dienst. Davon, wie es – immer noch – ist, als Frau einen religiösen Beruf auszuüben. Wir haben unsere eigenen Grenzen ins Gespräch gesetzt und die Lust und Last, mit anderen zusammenzuarbeiten. Von der großen Freude und den Untiefen theologischer Arbeit. Wir haben einander von Lernprozessen und Erkundungen im Predigerseminar Loccum und im Evangelischen Studienseminar Hofgeismar erzählt. Wir haben uns Diversitätsthemen erschlossen, die nicht unsere eigenen sind. Wir beschreiben, was für den Pfarrberuf wesentlich ist und weshalb Elementares wichtig ist. Es geht ums Bauen (Auf-/Ab-/Rück-/Umbauen) und Reformieren. Reflexionen all dieser Themen haben sich in diesem Buch niedergeschlagen.

Uns prägen fast auf den Tag genau zehn Jahre Altersunterschied. Obwohl das nicht viel zu sein scheint, vertreten wir zwei verschiedene Berufsgenerationen. Uns ist daran bewusst geworden, wie stark und schnell sich der Pfarrberuf bereits in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat. Dieser Wandel, der sich in der Gesellschaft und in der Kirche als einem Teil dieser Gesellschaft und in der theologischen Großwetterlage vollzieht, prägt den Pfarrberuf als einer unhintergehbar kontextuellen Tätigkeit grundlegend. Wir gehören Landeskirchen unterschiedlicher Bekenntnisstände an und haben versucht zu verstehen, was Postkonfessionalität für den Pfarrberuf bedeutet.

Singst du? Wie geht der Tag los? Unser Gesprächsprozess hat erneut zutage gefördert, in welcher Weise auch die individuellen persönlichen Dispositionen in entlastender und herausfordernder Weise das jeweilige Verständnis und die Ausübung des Pfarrberufs prägen. Wir machen Anleihen bei soziologischen Theorien und pastoraltheologischen Entwürfen, um den Pfarrberuf zu verstehen.

Wir versuchen, alles so knapp und hinreichend komplex zu verschriftlichen, dass die Lektüre in den Pfarralltag passt. Den Gesamttext verantworten wir gemeinsam. Natürlich hätten wir es uns viel einfacher machen können – wir sind aber überzeugt, dass das Verständnis, Pfarrer:in zu sein, an Tiefe gewinnt, wenn gegensätzliche Positionen miteinander ins Gespräch kommen und ausgelotet werden.

Für dieses Buch gilt kein Vollständigkeitsparadigma. Lesen Sie es gern kreuz und quer – auch wenn wir das Buch mit einer inneren Logik ausgestattet haben, darf es Spaß machen, darin einfach nur zu blättern und an der einen oder anderen Stelle »hängenzubleiben«.

Wir wissen, dass unser Buch durch seine programmatischen Bezüge auf die Gegenwart auch ein zeitgeschichtliches Dokument ist. Es nimmt ernst, dass Pfarrer:innen beruflich Zeitgenoss:innen sind. Das Gleiche gilt deshalb auch für die Reflexion des Berufes.

Der Text fasst konzentriert zusammen, was Kolleg:innen aus unserer Sicht derzeit zum Staunen, Nachdenken, Einander-Erzählen und Streiten darüber, was der Pfarrberuf eigentlich ist, anstiften sollte. Es ist unser Wunsch, dass diese Momentaufnahme Impulse für das Nachdenken und Handeln von Pfarrer:innen setzt, sodass sie diesen Beruf auch zukünftig gut und fröhlich ausüben.

Wir danken den Kolleg:innen, die aus Anlass dieses Buches zu einzelnen Themen des Pfarrberufs ihre Sichtweise und ihr Expert:innenwissen mit uns teilten, vor allem aber den Vikar:innen in Hofgeismar und Loccum, ohne die wir den Pfarrberuf nicht so gut verstünden. Wir danken besonders Oberkirchenrätin Dr. Christiane de Vos, dass sie unser Buch durch ein Geleitwort bereichert. Pastorin Dr. Christina Ernst (Hannover) und Studienleiter Pastor Olaf Trenn (Berlin) danken wir für die Perspektiven, die sie eingespielt haben, sowie Pfarrer Dr. Georg Kuhaupt (Kirchhain) für die kritische Durchsicht des gesamten Manuskriptes. Darüber hinaus herzlichen Dank an Jana Harle vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die sorgfältige verlegerische Betreuung. Schließlich danken wir den Herausgebern, Prof. Dr. Hans Martin Lübking und Prof. Dr. Bernd Schröder, für die Anregung und das Vertrauen, uns mit diesem Thema für die Reihe »Praktische Theologie konkret« zu befassen.

Hofgeismar und Hildesheim, im Oktober 2021

Friederike Erichsen-Wendt

Adelheid Ruck-Schröder

1Die gegenwärtige Situation des Pfarrberufs – Zahlen, Fakten, Beobachtungen

Pfarrer:innen sollen immer da sein. Oder sie werden gar nicht mehr vermisst. Man vermutet, dass da irgendwie religiöse Dinge passieren. Anders und nicht anders. Pfarrer:innen helfen Schwachen. Sie finden Worte angesichts des Todes. Sie sind gastfrei. Überhaupt frei.

Wir schreiben dieses Buch inmitten einer Vielzahl von Deutungen des Pfarrberufs. Nicht selten wird er vor allem in der Perspektive von beruflicher Überforderung, eines dauernden »Zu-Viel« in den Blick genommen.

Nachmittags Erdbeertorte, abends Krisensitzung. Bewerbungsgespräche digital und 10 Euro an der Haustür. Milieuspezifische Nähe und standardisierte Berufsprofessionalität werden erwartet, oft gleichzeitig. Pfarrer:innen ermöglichen Transzendenzerfahrungen. Sie haben gelernt, Beheimatung in religiösen Formen zu inszenieren. Sie wenden sich den Unbehausten zu und nutzen die Chancen, die der Rückhalt der Institution ihnen bietet. Und dann ist da gelegentlich das Gefühl, von der Organisation alleingelassen zu sein. Pfarrer:innen werden an hohen Standards gemessen. Seh- und Erlebensgewohnheiten verändern sich.

Wenn es um Taufen, Trauungen und Beerdigungen geht, konkurrieren Pfarrer:innen mit Angeboten aus Hochglanzprospekten und suchmaschinenoptimierten Websites. Die religiösen Profis erleben entweder ein Zuviel oder ein Zuwenig an Kasualien – oder organisieren, wer auf Dutzenden Dorffriedhöfen den Rasen mäht. Gelegentlich sind sie das selbst.

Von all diesem Vielen machen wir uns auch in diesem Buch nicht frei. Wir schlagen aber Einordnungen vor, die hilfreich sein können, den (eigenen) Pfarrberuf zu verstehen. Das soll Lust machen, sein großes Gestaltungspotenzial auszuschöpfen.

Die Einordnung in eine Organisation, die einen Nutzen verspricht, stellt die Frage nach der Relevanz: Wozu braucht die Gesellschaft Kirche, die Kirche Pfarrer:innen? Andere singen das Lob auf die Irrelevanz. »Wollt ihr, dass ich jeden Sonntag in der fast leeren Kirche eine Predigt vorlese, oder was soll ich tun?«, fragt ein Pfarrer seine Gemeinde und Follower:innen auf Instagram. Die, die da antworten, haben gute Ideen, verstehen aber gar nicht, weshalb es gut ist, Mitglied in der Organisation Kirche zu sein. Auch dafür steht der:die Pfarrer:in: Er:Sie verkörpert eine Institution, der er:sie sich selbst oft nur teilweise zugehörig fühlt. Und im Kirchenvorstand wird überlegt, ob mit einem weiteren Kindergottesdienstangebot nicht auch der Sonntagsgottesdienst wieder attraktiver würde. Es gäbe doch jetzt Studien, die sagen, vor Ort könne man den Abwärtstrend der Kirche mit guter Arbeit noch brechen. Pfarrer:innen erleben sich als überfordert. Als unterfordert. Und zugleich üben sie einen Beruf aus, von dem statistisch erwiesen ist, dass er von überdurchschnittlicher Berufszufriedenheit geprägt ist.

Jede dieser konkreten Situationen löst bei der:dem Pfarrer:in individuelles Erleben und ganz eigene Lösungsstrategien aus. Sie basieren auf theologischer und hermeneutischer Einsicht sowie daraus geronnener Berufsroutine. Und zugleich finden sie nicht losgelöst von der allgemeinen Situation statt, in der der Beruf gegenwärtig zu stehen kommt. Den Beschreibungen dieser Situation wenden wir uns im Folgenden in gesellschaftlicher, kirchlicher und personspezifischer Weise zu. Wir möchten damit einen Denkanstoß bieten, die Situation noch einmal anders zu sehen, als es die unmittelbar konkrete Lage nahelegt. Das beginnt schon bei der Frage, ob es derzeit in Deutschland viele oder wenige Pfarrer:innen gibt, und führt zu Überlegungen, in welchem Sinne gängige Unterscheidungen wie etwa der Pfarrdienst »auf dem Lande« und »in der Stadt« gegenwärtig erkenntnisleitende Kraft haben.

Natürlich kann man sich fragen, ob gerade die gegenwärtige Situation mit ihren tiefgreifenden Veränderungen geeignet ist, eine pastoraltheologische Reflexion hervorzubringen. Sollte man nicht abwarten, bis alles wieder »ruhiger«, »normaler«, »geordneter« wird? Bis Krisen sich gelegt haben und Routinen sich (neu/wieder) gebildet haben? Wir sind der Überzeugung, dass es ein solches »Danach« und ein »neues Normal« nicht mehr geben wird. Wir werden weiterhin in einer Zeit leben und arbeiten, in der vieles gleichzeitig gültig ist. In der die Selbstverständlichkeiten des einen das Skandalon der anderen sind. In diesen Gemengelagen wirksam und wohlbehalten einen religiösen Beruf auszuüben, erfordert ein hohes Maß an Situationssensibilität, Konzeptionsfähigkeiten und Mut zum Handeln unter Unsicherheit. Dem dient dieses Buch.

Wir regen an, sich ein mehrperspektivisches, gelegentlich auch verunsicherndes Bild der momentanen Situation zu machen. Das ist unseres Erachtens eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein:e Pfarrer:in gebildet, souverän und in Freiheit als solche:r handelt (Kapitel 1). Praktisch-theologische Entwürfe des 21. Jahrhunderts zeigen Strategien eines Berufsbildes oder einer Berufsroutine, die motivierende und entlastende Funktion haben können. Wir bieten ausgewählte pastoraltheologische Konzeptionen als Denk- und Steuerungshilfen für die Beruflichkeit des Pfarrers:der Pfarrerin an und zeigen, wie Geistliche heute selbst berufsbildproduktiv sind (Kapitel 2). Aus diesen situativen und pastoraltheologischen Querschnitten ergeben sich Themen des Pfarrberufs (Kapitel 3) und Impulse für das praktische Handeln von Pfarrer:innen unter den beschriebenen Bedingungen (Kapitel 4). Aus unserer Sicht ist es nicht naheliegend, angesichts der Diversität der Welt, in der wir leben, »besondere Fälle« zu betrachten. Gleichwohl sind uns strukturelle Besonderheiten aufgefallen, die – mehr oder minder unmittelbar – auf den Pfarrberuf einwirken und denen wir deshalb ein weiteres Kapitel widmen (Kapitel 5). Schließlich kommen Pfarrer:innen selbst zu Wort: So, wie sie ihren Dienst in einem Wort beschreiben (Kapitel 6).

1.1 Gesellschaftliche Kontexte des Pfarrberufs

Pfarrberuf in aktuellen Zahlen und Fakten: 33.217 Pfarrer:innen gibt es in Deutschland. 20.134 von ihnen sind im aktiven Dienst tätig, das entspricht etwa 60 %. 38,8 % von ihnen sind Frauen. Aufgrund dieses empirischen Befundes kann man nicht mehr von einem genderspezifischen Beruf sprechen. 18.168 Pfarrpersonen arbeiten in vollzeitlichen Dienstaufträgen, das sind knapp 90 % (Evangelische Kirche in Deutschland 2020a, 7). Gegenüber anderen Professionsberufen, etwa Ärzt:innen und Jurist:innen, stellen Pfarrer:innen eine relativ kleine Berufsgruppe dar (etwa 10 %). Umso erstaunlicher ist es, wie gut ihre Berufstätigkeit empirisch erforscht ist. Die Größe der Zahl soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie das Ergebnis eines Abwärtstrends ist: Die Zahl der Theologiestudierenden nimmt seit den 1980er-Jahren kontinuierlich ab. Die Jahrgänge zwischen 1965 und 1985 sind zum einen vergleichs- weise geburtenschwach, zum anderen sind viele Kandidat:innen für das Pfarramt in dieser Zeit durch die fehlenden freien Pfarrstellen nicht in den Beruf hineingekommen. Viele Pfarrer:innen sind im Ruhestand oder bereits in einem höheren Dienstalter. Ihnen stehen wenige junge Kolleg:innen gegenüber. Voraussichtlich wird in zehn Jahren weniger als die Hälfte der jetzt tätigen Pfarrer:innen im Dienst sein.

Es gibt viele Pfarrer:innen

Alle Mitglieder eines Pfarrkonvents stehen auf. Zunächst setzen sich diejenigen, die in fünf Jahren nicht mehr im regulären Dienst sein werden, anschließend die, die in zehn Jahren im Ruhestand sein werden. Was bedeutet das, was Sie in dieser Situation erleben, für die Entwicklung kirchlichen Lebens in Ihrer Region?

Diese vergleichsweise wenigen Berufsanfänger:innen sind mit vielen Stimmen konfrontiert, die die Erfahrungen einer »großen« Kirche in sich tragen. Zugleich werden sie mit teilweise sehr hohen Erwartungen konfrontiert, wenn es darum geht, die Kirche mittels disruptiver Impulse zu gestalten. Diese statistische Beobachtung, gepaart mit der Einsicht in die personspezifischen Einflussfaktoren auf den Pfarrberuf, hat zu einer verstärkten Erforschung der pastoralen Berufsgenerationen geführt. Während für viele Ältere schwierige Einstellungsvoraussetzungen zu ihrer Geschichte mit der Kirche gehören, sind Jüngere daran gewöhnt, umworben zu sein und wählen zu können.

Alter

Der Pfarrberuf in Deutschland ist regional höchst unterschiedlich. Dass es überhaupt Regionen in Deutschland gibt, in denen ein parochiales Netz an Gemeindepfarrstellen derzeit noch plausibel erscheint, liegt daran, dass die vorhandenen Pfarrstellen geografisch ungleichmäßig verteilt sind: So ist das Pfarrstellennetz im Westen der Republik deutlich enger geknüpft als in Ostdeutschland.

Die Zahlen zum Pfarrberuf werden jährlich in einer Pfarrdienststatistik erhoben (zuletzt 2020 mit Zahlen von 2016, siehe Evangelische Kirche in Deutschland 2020a). In diesen Erhebungen wird die Anzahl der Berufsrollenträger:innen mit den Planstellen der Landeskirchen korreliert. Demnach gibt es 21.402 Planstellen, von denen 86,7 % besetzt oder versorgt sind, davon 14.634 Stellen als Gemeindepfarrstellen. Das übrige Drittel verteilt sich auf sonstige Dienste, von denen der Pfarrdienst in der Schule, vor allem die hauptamtliche Erteilung von Religionsunterricht, mit 1.778 Stellen den größten Posten ausmacht (Evangelische Kirche in Deutschland 2020a, 12). Auffällig ist hier, dass mehr als die Hälfte der Stellen in Teilzeit geführt werden. Die Bemessung der Gemeindepfarrstellen erfolgt in der EKD-Statistik durch Zuteilung von Kirchenmitgliedern. In allen Landeskirchen ist die Anzahl der ausgeschiedenen Pfarrer:innen (durch Ruhestand, vorzeitigen Ruhestand, Tod oder sonstige Gründe) höher als die Anzahl der neu übernommenen Theolog:innen. Zwei Drittel (67 %) erlangen den Zugang zu Ordination und Pfarrberuf unmittelbar im Anschluss an das Zweite Theologische Examen (Evangelische Kirche in Deutschland 2020a, 19).

895 Frauen und Männer befinden sich in der kirchlich verantworteten Ausbildung zum Pfarrberuf, dem Vikariat. Der Frauenanteil im Norden, Süden und Westen Deutschlands ist mit ca. 58 % erheblich höher ist als im Osten (50,6 %). 2.404 Menschen, die Theologie studieren, sind auf einer landeskirchlichen Liste der Studierenden geführt; der Anteil von Männern liegt bei etwa 40 % (Evangelische Kirche in Deutschland 2020a, 6). Die aktuellen Personalprojektionen lassen bereits jetzt erkennen, dass sich diese Situation in absehbarer Zeit deutlich verändern wird: In manchen Landeskirchen werden bis Anfang der 2030er-Jahre deutlich weniger Pfarrer:innen arbeiten als heute – und dennoch gibt es viele Pfarrer:innen.

Berufsprestige

Ansehen des Pfarrberufs: Mehrere Meinungsforschungsinstitute erheben das Ansehen von Berufen. Das ist wichtig, weil öffentlicher Kontakt in unserer Gesellschaft zuallermeist über die Berufsrolle entsteht. Wie viel Vertrauen dem:der Pfarrer:in entgegengebracht wird, ist vor allem auch deshalb von großer Bedeutung, weil Vertrauen selbst Gegenstand der pfarrberuflichen Kommunikation ist. Von 1991 bis 2018 ist das Vertrauen in die Kirchen von 40 % auf 28 % gesunken (fowid 2019).

Für den Erhebungszeitraum 1991–2018 kann das Institut für Demoskopie in Allensbach (fowid 2019) zeigen, dass ausschließlich kleinere und mittlere Unternehmen Höchstwerte erzielen: Große Institutionen erfahren eine Abwärtsbewegung, was das Prestige derjenigen angeht, deren Beruflichkeit mit der Institution verknüpft ist. Die Gesellschaft für Konsumforschung weist im Blick auf die fallenden Zahlen auf eine mögliche Korrelation mit den Mitgliederzahlen der großen Kirchen hin. Auffällig ist schließlich, dass die Zahl derjenigen, die den Kirchen ein »sehr hohes Vertrauen« entgegenbringen, über Jahrzehnte stabil bei 7–10 % liegt (fowid 2019).

Institutionenvertrauen

Der demoskopische Blick zeigt: Das Berufsprestige der Berufsrollenträger:innen ist deutlich wirksamer als das Institutionenvertrauen. Einer Kirche könnte vor allem dann systemisch Vertrauen entgegengebracht werden, wenn sie als »klein« oder »mittelgroß« wahrgenommen werden würde. Aber auch darin wird es explizit religiöses Traditionsgut perspektivisch immer schwerer haben, verstanden zu werden, weil dessen Trägergruppen gesamtgesellschaftlich bereits jetzt wegbrechen.

In welchen Situationen verheimlichen Sie gern Ihren Beruf? Weshalb ist das so?

Ehrenamtliche

Zugleich sind in den evangelischen Kirchen eine Vielzahl von Menschen durch neben- und ehrenamtliche Tätigkeiten aktiv eingebunden und engagiert. Neben einer großen Zahl von Menschen in bezahlten kirchlichen Anstellungsverhältnissen wirken gut 1,068 Millionen Menschen ehrenamtlich mit (Evangelische Kirche in Deutschland 2021, 22).

Vertrauensverlust

So unterschiedlich die Kontexte sind: In allen Bereichen geht es darum, Vertrauen nicht zu verspielen. Es ist die Basis religiöser Kommunikation und die Währung, mit der in menschlichen Gemeinschaften gehandelt wird. Darum gehören auch Faktoren, die das Vertrauen verspielen, zu den Fakten im Pfarrberuf (und anderen kirchlichen Berufen): In den letzten Jahren ist mehr und mehr ans Licht gekommen, wo in den Kirchen Macht unrechtmäßig ausgeübt und Vertrauen verspielt wurde. Es gibt in der evangelischen Kirche Fälle sexualisierter Gewalt. Die Reichweite dieses Themas geht über die Ebene der Fakten hinaus und wird die Reflexion der Berufsrolle weiter begleiten. Die Kirchenleitungen haben überwiegend rasch und umfassend strategisch reagiert: Die bisher bekannt gewordenen Fälle werden aufgearbeitet. Landeskirchliche Beauftragte sowie die Arbeit, die auf der Plattform »www.hinschauen-helfen-handeln.de« gebündelt ist, geben Pfarrer:innen Informationen an die Hand, um standardisiert geeignete Schutzkonzepte für Gemeinden und Einrichtungen zu erarbeiten.

Ost/West

Es bestehen weiterhin signifikant unterschiedliche Haltungen gegenüber Pfarrpersonen in Ost- und Westdeutschland. Studien betonen, dass der Unterschied in der Kirchenzugehörigkeit zwischen den westlichen und östlichen Bundesländern auffällig ist – 62 % im Westen gegenüber 37 % im Osten:

»Es ist ein Erbe der sozialistischen DDR, dass im Osten der Anteil an Konfessionslosen besonders hoch ist – obwohl das ostdeutsche Wittenberg als Wiege der Reformation gilt, deren 500. Jubiläum im Jahr 2017 begangen wurde« (GfK Verein 2018, 30).

Damit ist allerdings nicht mehr als der organisationale Rückhalt beschrieben: Oft verhält es sich gerade umgekehrt so, dass das Ansehen von Pfarrer:innen in kleinräumigen Regionen – Dörfern, Klein- und Mittelstädten – auch dann hoch ist, wenn es dort eher wenige Kirchenmitglieder gibt.

Kontextualität

Diese unterschiedliche Einschätzung ist auch prägend für das eigene Verständnis des Berufes: Pfarrer:innen tun ihren Dienst entweder in einem Kontext, der durch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland oder durch die der Deutschen Demokratischen Republik geprägt ist. Dezidierte Vergleichsstudien stehen aus. Der zeitgeschichtliche Kontext des jeweiligen Verantwortungsbereiches spielt bis in Mikrokontexte hinein eine wichtige Rolle und prägt die Ausübung des Pfarrberufes. Aus unserer Sicht liegen Unterschiede vor allem in der Grundhaltung der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung zu Staat und Demokratie sowie in der in Ostdeutschland deutlich weiter vorangeschrittenen Säkularisierung, aber auch in verschiedenen Entwicklungen der Theorie kirchlicher Berufe. Ebenso kann beobachtet werden, dass es unterschiedliche Kulturen in der Haltung zur Mitgliedschaftsentwicklung der Kirchen gibt:

»Für die Kirchen der ehemaligen DDR entwickelt sich die Erfahrung der Wende zu einer Lektion des minderheitlichen Im-Werden-Bleibens. […] Sie besteht bis heute darin, zu verstehen, dass minderheitlich werden gerade nicht bedeutet, mehrheitlich werden zu wollen. […] Kirchen sind als realpolitische Machtapparate traditionell mehrheitlich und damit […] konstantinisch verfasst« (Sagert 2021, 25 f.).

Arbeiten Sie probehalber (!) eine Woche lang so, als ob Sie frei von landeskirchenamtlichen Vorgaben Ihren Dienst ausüben könnten. Was ist anders und was bedeutet das?

Landeskirchen

Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit zwanzig Landeskirchen. Drei davon liegen ganz oder zum größten Teil in Ostdeutschland (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, Evangelische Landeskirche Anhalts), manche Kirchen liegen mehr oder weniger in beiden Landesteilen (Nordkirche, Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig). Mit Ausnahme der Reformierten Kirche handelt es sich um Territorialkirchen. Das System von Landeskirchen ist demzufolge in Westdeutschland deutlich kleinteiliger als im Osten: Der etwa doppelten Fläche steht ein Vierfaches an Anzahl der Landeskirchen gegenüber. Dies lässt darauf schließen, dass der Konzeptionalisierungs- und Steuerungsgrad in Westdeutschland größer ist. Die Landeskirchen sind signifikant unterschiedlich groß (von etwa 28.400 Mitgliedern in Anhalt bis 2,4 Millionen in Hannover; Evangelische Kirche in Deutschland 2021, 8). Dies hat Einfluss auf die Dienstwege und Entscheidungsprozesse in den Landeskirchen: Die Pfarrstelleninhaber:innen werden mehr oder weniger gesehen, es gibt mehr oder weniger Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung.

Die Wirkmächtigkeit der 40-jährigen getrennten Geschichte in Ost- und Westdeutschland wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt: Während zum Teil die mentalitätsbezogenen und zeitgeschichtlichen Unterschiede im Kontext als so gravierend angesehen werden, dass man von verschiedenen (Pfarr-)Diensten sprechen muss, halten andere die berufsbezogenen Differenzen im Ost-West-Vergleich gegenüber der jahrhundertelangen gemeinsamen Tradition nach über 30 Jahren Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten für überwunden. Faktische Unterschiede sind aber durchaus vorhanden und werden zum Beispiel an zwei Punkten sichtbar: Bislang ist es formal nur in ostdeutschen Landeskirchen möglich, dass Angehörige anderer kirchlicher Berufe eine Pfarrstelle »versehen«. Zu den Fakten des Pfarrdienstes gehört auch, dass im Osten Deutschlands 30 Jahre nach der Deutschen Einheit immer noch geringere Pfarrgehälter gezahlt werden.

Andere Kirchen und Religionsgemeinschaften: