Pferde sinnvoll lösen - Katharina Möller - E-Book

Pferde sinnvoll lösen E-Book

Katharina Möller

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Beschreibung

Losgelassenheit ist eine Grundvoraussetzung für gesunderhaltendes Reiten und sinnvolle Gymnastizierung. Doch gerade dieses wichtige Element geht im Alltag allzu häufig verloren. Dieses Buch erklärt, von was die Losgelassenheit in der Praxis abhängt und wie man sie erzielen, verbessern, erhalten und wiederherstellen kann. Hauptaugenmerk liegt auf praktischen Anleitungen für die lösende Arbeit, wobei unterschiedliche Reiter- und Pferdetypen mit ihren jeweiligen Vorlieben berücksichtigt. werden. Das Buch verfolgt einen klassischen Ansatz, ist dabei aber nicht auf eine bestimmte Reitweise festgelegt. Vielmehr soll eine Brücke von der Losgelassenheit in der deutschen Reitlehre zu der Vorstellung von der Leichtheit in der französischen/iberischen Reitweise geschlagen werden. Dabei wird die große Bedeutung unterstrichen, die die mentale Verfassung, die Zufriedenheit und die freiwillige Mitarbeit des Pferdes in dieser Hinsicht haben. Die zahlreichen Übungen erfährt der Leser, wie genau er diese nutzen kann und worauf bei der Hilfengebung und Kombination zu achten ist, damit sich die Losgelassenheit einstellt. Dabei lernt der Leser zu deuten, ob und wann er sich auf sondern helfen ihm auch ein besseres Gefühl dafür zu entwickeln, ob und inwieweit sein Pferd sich auf dem Weg zur Losgelassenheit befindet.

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Seitenzahl: 138

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Titelbild: Neddens Tierfoto

 

 

Autorin und Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.

 

 

IMPRESSUM

Copyright © 2014 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek

Gestaltung und Satz: www.ravenstein2.deFoto: Neddens Tierfoto, sofern nicht andersangegebenGrafiken: www.ravenstein2.de, sofern nicht andersangegebenLektorat der Originalausgabe: Maren Müller

Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services

Deutsche Nationalbibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

eISBN: 978-3-8404-6199-6

 

INHALT

Danksagung

 

Über die Losgelassenheit

Definitionen der inneren und äußeren Losgelassenheit

Wofür die Losgelassenheit so wichtig ist

Fütterung und Haltung pro Losgelassenheit

 

Mein Standardprogramm zu Beginn der Lösungsphase

Aufwärmen

Zwangloses Schreiten am hingegebenen Zügel

Sanft beginnen

 

Lösende Übungen für jedes Pferd-Reiter-Paar

Wenn Sie gern im Trab lösen

Wenn Sie lieber im Schritt lösen

Wenn sich Ihr Pferd gut im Galopp lösen lässt

 

Tipps aus der Praxis

Wehe, wenn sie losgelassen

Und wie war das nun mit der inneren Losgelassenheit?

Wann Sie die Sporen besser weglassen

Dehnungshaltung nicht als Selbstzweck!

Losgelassenheit in der Arbeitsphase und der Gesamtausbildung

Wie die Losgelassenheit mit dem Gleichgewicht zusammenhängt

 

Anhang

Über die Autorin und die im Buch gezeigten Pferde

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

DANKE

Von links nach rechts: Katharina Möller, Taranis aus der schützenden Hand, Astrid Wagner, Rebecca Schnelle.

Bei der Entstehung dieses Buches wurde ich wie gewohnt von einem großartigen Umfeld unterstützt: Ich möchte mich herzlich bei meinem Mann Eric, meiner Familie und meiner Schwiegerfamilie bedanken, die mir nicht nur immer wieder zusätzliche Zeit zum Schreiben verschafft haben, sondern durch ihren unermüdlichen Einsatz auf unserer gerade neu entstehenden Reitanlage erst dafür gesorgt haben, dass wir überhaupt den passenden Rahmen für losgelassenes Arbeiten mit den Pferden und eine schöne Kulisse für das Fotoshooting hatten! In diesem Zusammenhang danke ich allen beteiligten Pferden sowie ihren Besitzern, meiner Praktikantin Rebecca Schnelle und dem großartigen Team von Neddens Tierfotografie, das die tollen Bilder für dieses Buch gemacht hat.

Von meiner Lektorin Maren Müller wurde ich wie gewohnt hervorragend unterstützt und fühlte mich auch unter dem gewissen Zeitdruck, unter dem dieses Buch realisiert wurde, vom gesamten Cadmos-Team sehr nett betreut.

Für inhaltliche Ratschläge und Recherche danke ich Dorit Ewers von Pferde-gesunderhalten, Tabea Stickdorn von Iwest und Christian Reisenbüchler.

Weiterhin vielen Dank an unsere Sponsoren, deren Equipment wir nun schon eine ganze Weile lang nutzen dürfen: Sabro, Roeckl, Cavallo und allen voran der Firma Barefoot.

Vor allem aber danke ich von Herzen den verschiedenen Pferden, an die ich persönlich denken musste, als ich die Übungen beschrieben habe. Passenderweise habe ich mich in letzter Zeit auch ganz praktisch immer wieder mit dem (Wieder-)Erlangen von Zwanglosigkeit und darauf aufbauender Losgelassenheit beschäftigt und mich selbst dabei weiterentwickelt. Ich danke euch, dass ihr uns jeden Tag aufs Neue (er)tragt und uns zum Loslassen erzieht. Ich wünsche mir, in puncto „los! GELASSENHEIT!“ (wie meine Bekannte Ilona Kirsch das Wort auszusprechen pflegt) noch viele Jahre lang dazulernen zu dürfen.

 

 

Über die

LOSGELASSENHEIT

 

Über die Losgelassenheit des Pferdes haben zahlreiche Autoren schon seitenlang geschrieben. Wenn sie auch teilweise abweichend bezeichnet und manchmal unterschiedlich definiert wird, ist mir doch keine Reitlehre bekannt, in der die Losgelassenheit nicht ein zentrales Thema ist. Kundige Fachleute haben das biomechanische Funktionieren des Pferdekörpers bereits erschöpfend erläutert, feinsinnige Reiter ausführlich über die mit der Losgelassenheit verwandten Begriffe „Leichtigkeit“, „Gleichgewicht“ und „Durchlässigkeit“ philosophiert. Im Anhang finden Sie zahlreiche entsprechende Leseempfehlungen.

In der Praxis jedoch fehlt die viel zitierte Losgelassenheit dann leider häufig trotzdem! Mir begegnen bei meiner Arbeit als Reitlehrerin zahlreiche Menschen, die es zwar gut meinen mit der Losgelassenheit und teilweise sogar großes (angelesenes) Wissen darüber parat haben, denen jedoch noch das praktische Handwerkszeug fehlt, um sie tatsächlich zu erreichen. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es sein kann, die einmal gestörte Losgelassenheit mit seinem Pferd wiederzufinden. Ich schreibe dieses Buch, um Wege zur Losgelassenheit aufzuzeigen. Es soll Ihnen Handlungsanweisungen geben, wie genau die bekannten und auch einige heutzutage leider weniger bekannten lösenden Lektionen geritten werden müssen und wie es sich anfühlt, wenn Sie sich mit Ihrem Pferd auf dem Weg zur Losgelassenheit befinden. Bevor wir zu den praktischen Übungen kommen, lassen Sie uns zunächst die theoretischen Hintergründe und Zusammenhänge kurz zusammenfassen, die später für die Ausführung der Lektionen bedeutsam sind und die Ihnen das Rüstzeug geben, anschließend individuelle Lösungen für eigene Losgelassenheitsprobleme zu entwickeln.

 

Ein aufmerksamer, aber entspannter Gesichtsausdruck spricht für losgelassenes Arbeiten.

 

 

Definitionen der inneren und äußeren Losgelassenheit

In der deutschen Reitlehre (Richtlinien für Reiten und Fahren der FN) heißt es zusammenfassend: „Die Losgelassenheit ist gekennzeichnet durch regelmäßiges An- und Entspannen der Muskulatur, setzt Zwang-losigkeit voraus und beinhaltet innere Gelassenheit.“

Es wird also zwischen innerer und äußerer Losgelassenheit unterschieden, wobei beide eng ineinandergreifen und nicht getrennt betrachtet werden können.

Als innere Losgelassenheit wird die psychische Entspannung und gleichzeitige Konzentration des Pferdes auf die gemeinsame Bewegung mit dem Reiter bezeichnet. Es ist also angstfrei und unaufgeregt, und es ist mental mit dem Reiter befasst – nicht unbeteiligt!

Die äußere Losgelassenheit bezeichnet das rhythmische, abwechselnde An- und wieder Abspannen der Muskulatur (jedes Muskels und seines Gegenspielers), das mit taktmäßiger Bewegung einhergeht. Voraussetzung für die Losgelassenheit ist die Zwanglosigkeit. „Der körperliche und seelische Zustand, bei dem das Pferd seine Muskeltätigkeit nur so weit aktiviert, wie es unter Vermeidung von unnatürlichem Kräfteverbrauch für das Fortbewegen seiner eigenen Last (und eventuell der eines Reiters) bedarf (…). Zwanglosigkeit ist angeboren“ (Michael Strick). Ein zwangloses Pferd bewegt sich also in seinen natürlichen Gängen, als würde es auf der Wiese herumlaufen. Erstes Ziel im Prozess des Anreitens und auch bei der Korrektur von Pferden ist das (Wieder-)Erlangen dieser Zwanglosigkeit, bei der das Pferd seinen Reiter zunächst ganz passiv entspannt trägt. Daraus entwickelt sich unter Hinzufügen von Energie und durch systematische Arbeit am gemeinsamen Gleichgewicht die Losgelassenheit.

„Zwanglos geht das Pferd auch ohne noch auf den lang hingehaltenen Zügel getroffen zu sein, losgelassen aber erst dann, wenn es, infolge der treibenden Hilfen sich streckend, diesen aufgesucht hat“ (Waldemar Seunig). Wie wir in den praktischen Übungen sehen werden, führt die Verbesserung der Losgelassenheit also immer zur Verbesserung der Anlehnung: Es entsteht ein weicher, gleichmäßig leichter Kontakt zur Reiterhand, der vom Pferd ausgeht. Dass das Pferd die Anlehnung sucht, ist also ein Zeichen der Losgelassenheit. Weiterhin zeigt das losgelassene Pferd einen zufriedenen Gesichtsausdruck (keine halb geschlossenen Augen und „Sorgenfalten“), einen schwinder schweif des losgelassenen Pferdes pendelt entspannt in der trabbewegung mit. genden Rücken (der sich auf und ab bewegt), einen in der Bewegung pendelnden (nicht kreiselnden oder peitschenden) Schweif, erkennbares Muskelspiel (Oberhals- und Bauchmuskulatur spannen abwechselnd an und ab), ruhige Maultätigkeit bei leichter Kieferbewegung und eine leichte Schaumbildung (benetzte Lippen, keine weißen Schaumflocken), Abschnauben, Fallenlassen des Halses aus dem Widerrist heraus und – allem voran – unaufgeregte und doch konzentrierte Mitarbeit. Ein losgelassenes Pferd bemüht sich, den Wünschen des Reiters zu entsprechen, und kann mit feinen Hilfen zu einem Bewegungsspiel in Dialogform animiert werden.

 

 

Der Schweif des losgelassenen Pferdes pendelt entspannt in der Trabbewegung mit.

 

Ziel ist es, „das Pferd in größtmöglicher Leichtheit und Gehlust zu arbeiten, ohne sich dabei anzustrengen oder anzuspannen“ (Nuno Oliveira). Leichtheit findet Oliveira „in der Verwirklichung zweier nachfolgender Anforderungen: Aktivität der Hinterbeine, Geschmeidigkeit des Pferderückens, welcher solches erlaubt“. Diese ist durch Beweglichmachung zu erreichen und führt zu Schwungkraft.

 

Wofür die Losgelassen-heit so wichtig ist

Reiten ist Bewegung, und wie die gemeinsame Bewegung des Menschen mit seinem Pferd ausgeführt wird, ist allesentscheidend: Nur ein losgelassenes Pferd bleibt, trotz der unnatürlichen Nutzung als Reittier, langfristig gesund, weil es das Reitergewicht verschleißarm tragen kann. Nur ein losgelassenes Pferd fühlt sich bei seiner Tätigkeit als Reitpferd wohl, denn nur wenn es sich physiologisch richtig bewegen kann, befindet sich das Fluchttier Pferd mental in Sicherheit. Der Reiter fühlt sich ebenso nur auf einem losgelassenen Pferd richtig wohl, denn auch er erleidet körperlichen Schaden, wenn er auf einem dauerhaft verspannten Pferd herumgeschüttelt wird und das nervöse Tier ständig scheut. Nur ein losgelassenes Pferd lässt sich sicher lenken und wenden, ist trittsicher und insgesamt angenehm zu handhaben. Die Losgelassenheit ist also schon rein für den „Hausgebrauch“ eines Reitpferdes von großer Bedeutung und außerdem die Basis, auf der sich weiter spezialisierte oder gar intensive Nutzung (sei es nun die höhere Dressur, der lange Distanzritt oder die Schleppjagd über feste Hindernisse) entwickeln kann.

 

Losgelassene Pferde sind sichere Begleiter im Gelände.

 

Die Losgelassenheit ist untrennbar mit dem Takt verbunden, denn nur wenn das Pferd seine Muskulatur rhythmisch an- und abspannt, können sich auch seine Beine im Rhythmus bewegen. Sie hängt außerdem mit gleichmäßig leichter Anlehnung zusammen, denn nur ein losgelassenes Pferd schwingt an die Hand heran – nicht losgelassene Pferde werden allenfalls künstlich, das heißt fälschlicherweise, von der Hand in Form gezogen. Die Losgelassenheit ist Bedingung für den Schwung, denn nur über einen losgelassenen Rücken kann der Bewegungsimpuls vom Hinterbein auf die Gesamtbewegung übertragen werden, und sie ist ebenso Bedingung für die Geraderichtung, denn nur losgelassen arbeitende Muskulatur kann man gezielt dehnen und kräftigen, um die natürliche Schiefe auszugleichen. Die Losgelassenheit, und zwar explizit auch die innere Losgelassenheit, ist schließlich Merkmal und Teil der echten, klassischen Versammlung. Diese Zusammenhänge erweisen sich als verblüffend logisch, wenn man sich ein bisschen in die Materie einarbeitet, etwa mit der im Anhang empfohlenen Lektüre – es lohnt sich!

 

Mit zunehmender Losgelassenheit wird sich ebenfalls die Biegung verbessern.

 

Für unsere praktische Arbeit an der Losgelassenheit bedeuten all diese Verknüpfungen, dass die Losgelassenheit immer in Wechselwirkung mit allen anderen Ausbildungszielen steht: Das heißt einerseits, dass man sie nicht isoliert bearbeiten kann. Aufgabe des Ausbilders ist es vielmehr, den Gesamtzusammenhang im Blick zu behalten. Man kann das Thema Losgelassenheit nicht einfach „erlernen und abhaken“ und dann etwas Neues anfangen. Egal, was Sie mit Ihrem Pferd tun, die Losgelassenheit spielt immer eine Rolle, wobei sie eine Vielzahl von Abstufungen aufweist und kein absoluter Zustand ist. Der Grad der Losgelassenheit kann sich während einer Arbeitseinheit in Sekundenbruchteilen ändern: Eben ist man noch losgelassen schwingend, harmonisch ins Pferd versunken vor sich hingetrabt und hat sich rundum wohlgefühlt, aber dann wird das Pferd durch ein unerwartetes Geräusch abgelenkt oder man verliert durch einen versehentlichen Einwirkungsfehler oder verschiedenste andere Ursachen die Losgelassenheit doch wieder -und nun muss sie erneut hergestellt werden.

Andererseits bedeuten die Zusammenhänge aber auch, dass sich automatisch alle anderen „Themen“ Ihres Pferdes verbessern werden, wenn Sie bei den nun folgenden Übungen besonderes Augenmerk auf die Losgelassenheit legen – es lohnt sich also in vielerlei Hinsicht, die ganz einfachen Grundlagen immer weiter zu verbessern, um dabei sozusagen in ungeahnt losgelassene Sphären zu schwingen.

Klassisches Reiten beruht auf einem Bewegungsdialog zwischen Mensch und Pferd. Nur wenn der Reiter losgelassen sitzt, kann sich das Pferd losgelassen bewegen, denn es muss den Reiterkörper ja mitbewegen. Zum korrekten Sitzen kommt der Reiter aber nur, wenn das Pferd sich losgelassen bewegt, denn er ist nun mal über seine Mittelpositur mit dem Rücken des Pferdes verbunden. Auch hier begegnet uns wieder eine wechselseitige Abhängigkeit, die logisch ist, aber in der Praxis frustrierend sein kann: Hätte ich den perfekt ausbalancierten, optimal bemus-kelten, reibungslos funktionierenden Körper und träfe damit auf ein völlig unverdorbenes, perfekt vorbereitetes, optimal für das Tragen eines Reiters gebautes und bemuskeltes Pferd, dann wäre losgelassenes Reiten von Anfang an möglich; die Zusammenarbeit mit dem Pferd wäre immerzu harmonisch und dabei nicht mal anstrengend. Dieser Idealfall, von dem die deutsche Reitlehre in ihrer heutigen, verkürzten Fassung ausgeht, bleibt aber doch eher ein Wunschtraum! In der Realität haben allzu viele Menschen mit einem unausbalancierten Sitz, eigenen Haltungsschwierigkeiten durch einseitige Belastung und obendrein noch mit einem stressigen Alltag zu kämpfen. Kommt dazu ein Pferd, dessen klassische Grundausbildung noch gar nicht abgeschlossen ist oder das gar durch falsch verstandenen sportlichen Ehrgeiz, Geld- und Zeitdruck bereits falsch geritten wurde und somit eigentlich ein Korrekturpferd ist, dann befinden wir uns mitten im Thema dieses Buches: Wie kann man – trotz allem! – zu losgelassenem Reiten kommen? Es gibt sie nämlich, die Wege, auf denen man in den Kreislauf „verspanntes Pferd – verspannter Reiter“ eingreifen und etwas am gewohnten Bewegungsmuster ändern kann. Ändert man etwas an dem Wirkzusammenhang, wird das glücklicherweise auch positive Folgen haben: Das Pferd kann sich ein wenig leichter bewegen, der Reiter kommt ein wenig besser zum Sitzen, kann damit noch besser einwirken, woraufhin das Pferd sich noch leichter bewegen kann und so weiter. Dann dreht sich die Spirale immer weiter in Richtung losgelassenes, gesunderhaltendes, harmonisches Reiten. Und dieser Weg hat einen selbstbelohnenden Charakter, denn losgelassene Bewegung fühlt sich für alle Beteiligten einfach gut an!

In jedem Fall ist es immer, auch für den noch so erfahrenen Reiter, von großer Bedeutung, ständig am eigenen Sitz zu arbeiten. Investieren Sie so oft wie möglich in Sitzschulung ohne Zügel auf einem gut ausgebildeten Lehrpferd. Dabei geht es nicht um das steife Trainieren einer lehrbuchgerechten Haltung, sondern um Beweglichkeit, Koordination und Gleichgewicht auf dem sich dreidimensional bewegenden „Untergrund“, nämlich dem Pferd. Aber auch ohne direkten Pferdekontakt gibt es empfehlenswerte Ausgleichssportarten. Vereinfacht ausgedrückt kann der Körper nur dann ohne zu stören in der Pferdebewegung mitschwingen, wenn er ausbalanciert bemus-kelt ist, also jeder Muskel genauso stark ist wie sein Gegenspieler. Durch unser alltägliches Leben treten jedoch immer Dysbalan-cen auf: Wir sind verspannt, manche Muskeln sind verkürzt, andere verkümmert. Unsere Wahrnehmung des eigenen Körpers ist leider häufig eingeschränkt.

 

Regelmäßiges Üben des zügelunabhängigen Sitzens ist auch für fortgeschrittene Reiter wichtig.(Foto: Philipp Hetzler)

 

Ich persönlich kann zur gezielten Dehnung, Stärkung, Wahrnehmungsschulung und Entspannung gleichermaßen die Ausübung von Yoga empfehlen. Als „Vielreiterin“ und erwachsene „Yogaspäteinsteigerin“ finde ich es immer wieder verblüffend, wie viel Yoga mit der klassischen Reitkunst gemeinsam hat, und es hilft mir auf vielfältige Weise, besser zu sitzen, besser einzuwirken und somit besser zu reiten.

Fühlen Sie sich insgesamt schief und bewegungseingeschränkt, hilft vielleicht ein Termin beim Osteopathen. Haben Sie Schwierigkeiten mit der Körperwahrnehmung, ist möglicherweise die Alexandertechnik das Richtige für Sie.

 

 

Fütterung und Haltung pro Losgelassenheit

Die Losgelassenheit beginnt im Stall! Fütterung, Haltung und Management des Pferdebetriebes haben direkten und indirekten Einfluss auf die Losgelassenheit des Pferdes. Haben Sie es auch schon erlebt, dass die Reitstunde schon fast vorüber und Ihr Pferd schweißnass war, bis es „endlich losgelassen hat“ und so ging, dass an eine Arbeitsphase überhaupt zu denken war? In solchen Fällen stimmt an den allgemeinen Lebensumständen und/oder Arbeitsbedingungen des Pferdes etwas nicht. Suboptimale Fütte-rungs- und Haltungsbedingungen verlängern die Lösungsphase. Grobe Fütterungsfehler, fütterungsbedingte Erkrankungen sowie unpassende Ausrüstung können Losgelassenheit sogar gänzlich verhindern. Oftmals sind es aber vermeintlich kleine Änderungen, die sich auch im Pensionsstall umsetzen lassen, mit denen Sie Ihrem Pferd immens weiterhelfen können.

 

Freie Bewegung auf der Weide ist für Pferde unersetzbar.

 

 

VOLLER BAUCH STUDIERT NICHT GERN?

Das Sprichwort „Voller Bauch studiert nicht gern“ trifft in weiterem Sinn sicher auch auf Pferde zu: Direkt nach dem Verzehr einer größeren Menge Kraftfutter darf ein Pferd bekanntlich nicht geritten werden. Schlimmer und leider häufiger anzutreffen ist jedoch das gegenteilige Problem, das eines leeren Magens: Das Verdauungssystem von Pferden ist von Natur aus auf kontinuierliche, langsame Aufnahme großer Mengen an strukturreichem, energiearmem Futter ausgelegt. Pferde besitzen keine Gallenblase wie wir Menschen, sondern produzieren die für die Verdauung notwendige Magensäure durchgehend. Bekommt ein Pferd nun nicht genügend oder falsch verteiltes Raufutter und hat dadurch viele Stunden lang andauernde Fresspausen, greift die Magensäure die Magen- und Darmwand an, anstatt den natürlichen zellulosehaltigen Nahrungsbrei zu zersetzen. Schmerzhafte Magengeschwüre sind die Folge. Von einem Pferd mit einem über Stunden leeren Magen kann keine losgelassene Arbeit erwartet werden! Die Lösung des Problems liegt in der Fütterung von genügend qualitativ einwandfreiem Heu. Dr. Dorothee Meyer (Mikrobiologin und Tierärztin, Firma Iwest) sagt dazu: „Heu ist von ganz entscheidender Bedeutung für die Dickdarmflora und somit für die Darmgesundheit eines Pferdes. Darmgesundheit bedeutet hier nicht nur die Abwesenheit von Koliken oder Durchfall. Darmgesundheit bedeutet auch einen lockeren Rücken, was für Sie als Reiter interessant ist. Die Bauchmuskeln sind die Gegenspieler zur Rückenmuskulatur, das heißt, die Rückenmuskulatur kann sich nur dann entspannen, wenn sich die Bauchmuskulatur anspannen kann, und genau das geht nicht, wenn auch nur leichte Darmprobleme bestehen.“

 

Hochwertiges Heu muss in ausreichender Menge rund um die Uhr verteilt gefüttert werden, um übermäßig lange Fresspausen zu vermeiden.