Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Reisen sind in der heutigen Zeit nichts ungewöhnliches. Spätestens mit dem Einzug des digitalen Nomadentums, Work and Travel und des klassischen Backpackens in die Mitte der Gesellschaft, hat das Thema an Aktualität gewonnen. Dabei sind auch Reisen, die mehrere Monate oder gar Jahre andauern keine Seltenheit. Gleichzeitig muss die Frage danach gestellt werden, was jene Reisende hinaustreibt, was sie dazu veranlasst, sich von ihrem Umfeld zu lösen und gewohnte Strukturen aufzubrechen. Und das auch noch per Anhalter - einer Fortbewegungsform, die so gut wie ausgestorben scheint. Was also treibt Menschen an, um mit ausgestrecktem Daumen die Welt zu entdecken. Wie werden solche Reisen geplant und vorbereitet? Wie verhalten sich Langzeitreisende in ihrem Reisealltag und wie sieht dieser überhaupt aus? Welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen können anschließend aus den Erlebnissen gezogen werden? In dieser Forschungsarbeit wird zunächst der aktuelle Wissenstand zu den beiden Teilgebieten Langzeitreisen und Trampen dargestellt. Anschließend sollen Interviews mit Personen, die solche Reisen unternommen haben, Aufschluss über die genannten Fragen geben. Die Ergebnisse werden hierbei sowohl dargestellt als auch interpretiert.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Johann Boemer
Phänomen Langzeitreisen
Die Beweggründe und das Reiseverhalten langzeitreisender Tramper*innen
Johann Boemer
Phänomen Langzeitreisen
Die Beweggründe und das Reiseverhalten langzeitreisender Tramper*innen
Texte: © Copyright by Johann Boemer
Umschlaggestaltung: © Copyright by Johann Boemer
Verlag:
Johann Boemer
Tilsiter Weg 2
71111 Waldenbuch
Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: produktsicherheit@epubli.com
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Theoretischer Bezugsrahmen
2.1 Stand der Forschung zum Thema Langzeittrampen
2.2 Phänomen Langzeitreisen
2.2.1 Begriffserklärung Langzeitreisen und erste Abgrenzung
2.2.2 Geschichte der Langzeitreisen
2.2.3 Ausprägungen
2.2.4 Einflussfaktoren auf das Langzeitreisen
2.3 Trampen als Fortbewegungsform
2.3.1 Annäherung an den Begriff Trampen
2.3.2 Das Trampen im Wandel der Zeit
2.3.3 Wer trampt und weshalb wird getrampt?
2.3.4 Das Trampen als soziales Phänomen
2.3.5 Risiken des Trampens
2.3.6 Rechtliche Aspekte
2.3.7 Die Trampcommunity im Internet
2.4 Trampen als Reiseform
3 Zwischenfazit
4 Empirischer Teil
4.1 Methodische Vorüberlegungen und die Bedeutung qualitativer Forschung
4.2 Erhebungsmethode
4.2.1 Das Expert*inneninterview
4.2.2 Entwicklung des Leitfadens
4.2.3 Feldzugang und Auswahl der Interviewpartner*innen
4.2.4 Durchführung der Interviews
4.3Datenaufbereitung und Auswertungsverfahren
4.3.1 Transkription
4.3.2 Methode der Auswertung
5 Darstellung der Ergebnisse
5.1 Beweggründe
5.1.1 Lebenssituation vor der Reise
5.1.2 Inspirationsquellen
5.1.3 Gründe der Reiseentscheidung
5.1.4 Gründe für das Reisen per Anhalter
5.2 Planungsverhalten
5.2.1 Planungszeitraum und -intensität
5.2.2 Planung der Reisedauer
5.2.3 Wahl der Zielregion
5.2.4 Zweifel
5.3 Reiseverhalten
5.3.1 Trampalltag
5.3.2 Versorgung
5.3.3 Finanzielle Aspekte
5.3.4 Sicherheit und Risiken
5.3.5 Nutzung elektronischer Geräte
5.3.6 Veröffentlichung der Reise
5.4 Reiseerleben
6 Rückführung zur Theorie und Beantwortung der Forschungsfragen
7 Kritische Reflexion der Forschung
8 Resümee und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Übersicht der Expert*innen
Anhang 2: Informationsschreiben
Anhang 3: Einwilligungserklärung
Anhang 4: Interviewleitfaden
Anhang 5: Transkriptionsregeln
Anhang 6: Transkribierte Interviews
Anhang 7: Codierleitfaden
Abbildung 1: Verhältnis von Reisen und Tourismus
Abbildung 2: Einflussfaktoren auf das Reisen
„Nehmt mich bitte mit!“ (von Arx 2015)
„Nehmt mich bitte mit!“ (von Arx 2015) lautet der Titel des Buches der Schweizerin Katharina von Arx. In diesem berichtet sie über die Erlebnisse während ihrer Weltreise per Anhalter Mitte des 20. Jhd. Der Titel umreißt die Praxis des Trampens dabei in nur vier Worten.
Trampen – das klingt wie ein Relikt vergangener Zeiten. Es erinnert an die Hippiekultur der 1960er- und 1970er-Jahre. Zeiten, in denen es noch üblich gewesen sein muss, Trampende an den Straßenrändern zu sehen. Eine Fortbewegungsform, die heutzutage ausgestorben scheint. Doch es gibt sie noch, die Trampenden, die an der Straße stehen, den Daumen herausstrecken und auf ihr Glück warten. Dabei handelt es sich jedoch keinesfalls nur um Althippies, die eine Erinnerung am Leben erhalten. Einige von ihnen legen auf diese Weise über große Zeiträume weite Strecken zurück. Sie reisen so, wie es Katharina von Arx getan hat.
Von Reisen im Allgemeinen ist öfter zu hören und es scheint nichts Ungewöhnliches zu sein. Spätestens mit dem Einzug des digitalen Nomadentums, Work and Travel und des klassischen Backpackens in die Mitte der Gesellschaft, hat das Thema an Aktualität gewonnen. Gleichzeitig muss die Frage danach gestellt werden, was jene Reisende hinaustreibt, was sie dazu veranlasst, sich von ihrem Umfeld zu lösen und gewohnte Strukturen aufzubrechen. Ist die Aussage von Christopher McCandless im Film „Into The Wild“ vielleicht wahr: „Der Kern des menschlichen Wesens bildet sich aus neuen Erfahrungen“ (Penn 2007: 01:56:30-01:56:33)?
Ist es der lebenserhaltende, des menschlichen Wesens kernbildender Drang nach neuen Erfahrungen, dem manche Menschen mittels Reisen nachzugehen versuchen? Welche Rolle spielt dabei das Trampen? Welche Vorteile bietet es den Reisenden gegenüber anderen Fortbewegungsvarianten und wie wirkt sich die Entscheidung, per Anhalter reisen zu gehen, auf das Reiseverhalten aus? Wie finden die Reisenden während des Unterwegsseins zu dem, was sie suchen? Fragen, die zu Teilen auch im Buch von Katharina von Arx im Verborgenen bleiben.
In Bibliotheken ist Literatur, die das Trampen insbesondere vor dem geschichtlichen Kontext beschreibt, vorhanden. Weiterhin existieren einige Reiseberichte, jüngere und ältere, die von langzeitreisenden Tramper*innen veröffentlicht wurden. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist das Thema jedoch ein bisher unerforschtes Nebenmeer eines Ozeans, der sich ‚Tourismus‘ nennt. Die Aktualität des Themas sowie der Mangel an bisheriger Forschung verbunden mit den offenen Fragen begründen, weshalb Forschung zum Langzeitreisen per Anhalter notwendig ist.
Diese Arbeit verfolgt das Ziel, Erkenntnisse zur dargestellten Problemstellung zu gewinnen. Im Zentrum des Interesses befinden sich hierbei folgende Fragestellungen:
Die Forschungsfragen sollen sowohl durch einschlägige Literatur als auch anhand von Expert*inneninterviews mit langzeitreisenden Trampenden beantwortet werden. Einen Überblick über den Aufbau der Arbeit bietet das nachfolgende Unterkapitel.
Die vorliegende Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil soll durch die vorhandene Literatur an das Thema herangeführt werden. Der theoretische Bezugsrahmen soll hierbei als Verständnisgrundlage für die im zweiten Teil folgende qualitative Forschung dienen. Dieser wird aus Gründen der Transparenz durch die Erläuterung des methodischen Vorgehens eingeleitet. Anschließend werden die Ergebnisse der Expert*inneninterviews im fünften Kapitel präsentiert. Das sechste Kapitel verfolgt das Ziel, die Forschung kritisch zu hinterfragen. Abschließend sollen die Ergebnisse der Forschung mit dem theoretischen Bezugsrahmen verknüpft und die Forschungsfragen beantwortet werden. Außerdem wird es im Resümee einen Ausblick auf zukünftige Forschungsrichtungen der behandelten Thematik geben.
In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen dargestellt, auf welche sich die Forschungsfragen und die empirische Untersuchung beziehen. Ziel dabei ist, ein grundlegendes Verständnis für die Thematik und die weitere Diskussion zu vermitteln.
Die Datenlage zum Thema Langzeittrampen ist rar. Aus diesem Grund muss an das Thema über die angrenzenden Disziplinen herangeführt werden. Dafür eignet sich zunächst eine Unterteilung in die Teilthemenkomplexe ‚Langzeitreisen‘ und ‚Trampen‘. Diese werden in den folgenden Unterkapiteln getrennt voneinander betrachtet und anschließend in einem erneuten Versuch wieder zusammengeführt, um der darauffolgenden Forschung einen möglichst präzisen theoretischen Nährboden zu bieten.
Dennoch muss betont werden, dass es auch zu den beiden Einzelthemen nur begrenzt wissenschaftliche Veröffentlichungen gibt. Vor allem aus dem Blickwinkel der Geographie wurden die Themen bisher nur wenig beleuchtet. Auch wenn es einige wissenschaftliche Forschungsarbeiten in Bezug auf das Trampen und Langzeitreisen gibt, sind diese häufig entweder bereits recht alt oder das Hauptaugenmerk liegt auf sehr spezifischen Fragestellungen. Solche und ähnliche Forschungsarbeiten eignen sich daher nicht in optimaler Weise zur Darstellung und Hinleitung des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit, müssen aber aufgrund der sonst dünnen Datenlage hinzugezogen werden. Kagelmann (1993) vermutet, dass das Thema Trampen in der Forschung kaum zur Geltung kommt, da einerseits der Bereich des Trampens eine zu geringe Rolle für einen Einbezug in marktstrategische Überlegungen in der Tourismuswirtschaft spielt, andererseits die Forschungsmethoden beim Thema Trampen limitiert sind.
Es wird gleichwohl versucht, die beiden Teilthemen im theoretischen Bezugsrahmen möglichst übersichtlich anhand der vorhandenen Literatur darzustellen.
In diesem Kapitel soll auf verschiedene Aspekte eingegangen werden, die mit dem Begriff ‚Langzeitreisen‘ in Verbindung stehen. Zunächst soll der Begriff von anderen Reise- und Tourismusformen abgegrenzt werden. Anschließend wird er nach einer geschichtlichen Einordnung in seine Ausprägungen ausdifferenziert sowie die Einflussfaktoren erläutert.
Langzeitreisen können je nach Kontext unterschiedlich definiert und verstanden werden. Zudem beschränkt sich eine Definition des Begriffs nicht ausschließlich auf die Reisedauer, sondern bezieht auch andere Faktoren wie beispielsweise die Art des Reisens und die individuellen Ziele der Reisenden mit ein. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, näher auf den Terminus der Langzeitreise einzugehen und diesen zu erläutern. Dazu soll zunächst der Reisebegriff erläutert werden, denn die Begriffe ‚Reise‘ und ‚Tourismus‘ werden häufig synonym verwendet, obwohl die Wörter jeweils eigene Bedeutungen haben. Zwar überschneiden sich beide Begriffe, doch einerseits ist nicht jede Reise eine touristische Aktivität und nicht jede Form des Tourismus eine Reise (vgl. Abb. 1).
Im Gegensatz zum Tourismus, der stets als eine freiwillige Form der Freizeitgestaltung verstanden wird, schließt der Begriff ‚Reise‘ sowohl freiwillige als auch unfreiwillige Ortsveränderungen ein (vgl. UNWTO 2010). Dabei bezieht sich der Reisebegriff eher auf den Ortswechsel, das heißt auf die Bewegung im Raum, als auf ein räumliches Ziel an sich (vgl. Neumair et al. 2019). In der Folge kommt es dort zu Überschneidungen, wo der Aspekt der Freiwilligkeit und die Ortsveränderung als Ziel zusammenkommen.
Bei den Begriffen, welche in Abb. 1 in der Kategorie ‚Reisen‘ dargestellt werden, handelt es sich um Ortsveränderungen, die jedoch keinen freiwilligen Hintergrund haben. Demgegenüber stehen die unter ‚Tourismus‘ kategorisierten Bezeichnungen für klassische Formen des Tourismus, bei welcher eine bestimmte Destination vordergründliches Ziel ist. Die sich in der Überschneidung befindenden Reise- oder vielmehr Tourismusformen lassen sich zusammenfassend als ‚Erkundungsreisen‘ bezeichnen, wobei das Erkundungsziel je nach Typ der Reise verschieden sein kann (vgl. Laing & Frost 2014). Die möglichen Typen von Reisen werden im Unterkapitel 2.2.3 Ausprägungen näher beschrieben.
Es gibt keine festgelegte oder allgemein gültige Zeitspanne, ab der eine Reise eindeutig als Langzeitreise zu betrachten ist. Für diese Arbeit wird eine Reisedauer ab drei Monaten als ausreichend erachtet, um von einer Langzeitreise sprechen zu können. Zum einen ist dies damit begründet, dass eine dreimonatige Reise für gewöhnlich den Urlaubsanspruch einer in den Arbeitsalltag eingebundenen Person sprengt. Das bedeutet, dass der Alltag vor der Reise für diese aufgegeben werden muss. Zum anderen kann auf einer dreimonatigen Reise bereits ein Reisealltag etabliert werden, der im Forschungsteil dieser Arbeit von Relevanz ist.
Folgend wird lediglich knapp auf die Geschichte des Langzeitreisens aus europäischer Perspektive eingegangen, wobei einige prägnante Namen und Ausprägungen vor dem zeitlichen Kontext benannt werden.
Reisen sind in unterschiedlichsten Ausprägungen in allen Epochen und Kulturen beobachtbar. Damit gehört das Reisen zu den ältesten Handlungsfeldern der Menschheit (vgl. Bachleitner & Aschauer 2015). Auch wenn es insgesamt wenige Quellen gibt, sind seit der Antike Reisen überliefert, die längere Zeiträume umfassen. Viele Reisen der Antike und auch späterer Epochen verfolgten keinen oder zumindest nur in untergeordneter Rolle einen Selbstzweck. In der Regel handelte es sich um Handelsreisen, Pilgerfahrten oder Entdeckungsreisen (vgl. Freyer 2009). Auch wenn es sich um rinnsalähnliche Reiseströme gehandelt haben muss, sind bereits aus dem alten Ägypten seit 1500 v. Chr. reine Vergnügungsreisen überliefert (vgl. Hachtmann 2007). Im antiken Griechenland war es Herodot, der heute noch als der ‚Vater des Reisens‘ bezeichnet wird, und auch im antiken Rom begaben sich wohlhabende Bürger*innen auf Vergnügungs- und Badereisen (vgl. Wieland 2015, vgl. Bachleitner & Aschauer 2015). Im Mittelalter kam es zu einem Aufschwung der Pilgertradition und Kolumbus‘ Wiederentdeckung oder vielmehr Eroberung des amerikanischen Kontinents Ende des 15. Jhd., zog in den folgenden Jahrzehnten viele weitere Entdeckungs-, Eroberungs- und Kolonisierungsreisen nach sich (vgl. Bachleitner & Aschauer 2015, vgl. Wieland 2015).
Als Vorläufer des Backpackens kann die Grand Tour des 16. und 17. Jhd. bezeichnet werden, bei der junge Adlige verreisten, um (oft in Italien) den Abschluss adliger Erziehung zu vollziehen (vgl. Hachmann 2007). Im Fokus standen jedoch auch Abenteuer und Sightseeing (vgl. Adler 1985). Ebenso kann die Walz, die auch als ‚tramping‘ bezeichnet wird, als Wegbereiter des heutigen Backpackens gesehen werden (vgl. Cohen 2004). Dabei handelt es sich um das Herumreisen junger Handwerksleute zum Zweck der berufspraktischen Bildung (vgl. Adler 1985).
Die bisher erwähnten Reisen unter dem Motto ‚Reisen zum Vergnügen‘ konnten bis Anfang des 20. Jhd. fast nur von privilegierten Bevölkerungsgruppen durchgeführt werden. Dies änderte sich, als nach Ende des Ersten Weltkriegs und nach Auflösung der strikten Kontaktbeschränkungen im Zuge der Spanischen Grippe eine Reisewelle zu beobachten war. Es wird beschrieben, dass Europa von jungen Schwed*innen mit dem Fahrrad bereist wurde und Australien von jungen Autofahrer*innen (vgl. Christou 2022).
Nach seinem Einbruch durch die Große Depression und den Zweiten Weltkrieg blühte der Tourismus erneut auf. Das Aufkommen von Airlines sorgte für die einfache Überwindung großer Distanzen, die Auflockerung sozialer Strukturen für eine Reiseexplosion (vgl. Richards 2015). Im Zuge der Gegenkultur brachen viele Hippies zu Reisen über Land von Deutschland nach Süd- und Südostasien auf, wodurch der sogenannte Hippie-Trail geprägt wurde (vgl. Spreitzhofer 1995). Diese Reiseform der 1960er- und 1970er-Jahre wird von Cohen (1973) als das Phänomen des ‚drifter-tourism‘ beschrieben. Mit der Globalisierungsentwicklung der 1980er- und 1990er-Jahre, liberaleren Ein- und Ausreisebestimmungen vieler Länder, verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten und Infrastrukturen sowie mit der Digitalisierung, wurden und werden Langzeitreisen immer einfacher und komfortabler, was mit steigenden Reisendenzahlen einhergeht (vgl. Freyer 2009).
Die Ausprägungen von Langzeitreisen sind so vielfältig wie die Reisenden selbst und werden von den Reisemotivationen und -motiven stark beeinflusst. Es wäre aufgrund der Vielfalt kaum möglich, alle Ausprägungen in ihrer Gesamtheit darzustellen, weshalb sich hierfür eine Typisierung eignet. Laing und Frost (2014) zufolge können Erkundungsreisen in neun verschiedene Kategorien ausdifferenziert werden:
Als erstes seien drei verschiedene Formen der Expeditionsreisen innerhalb der Gruppe der Erkundungsreisen genannt. Dazu gehört neben der ‚offiziellen Expeditionsreise‘ die ‚inoffizielle Expeditionsreise‘ sowie die ‚kommerzialisierte Expeditionsreise‘. Da diese Reisetypen vor dem Hintergrund dieser Arbeit keine Rolle spielen, wird folgend nicht weiter auf sie eingegangen.
Zwei weitere Reisetypen haben die Herausforderung als Ziel. Dabei wird zum einen die ‚Eroberungsreise‘ genannt, bei der es um das Brechen eines allgemeinen Rekordes oder die Erstdurchführung einer spezifischen Route geht. Bei der ‚Reise der persönlichen Herausforderung‘ wird das herausfordernde Ziel individuell von der reisenden Person festgelegt und kann etwas sein, das bereits viele Menschen zuvor gemacht haben.
Eine andere Kategorie der Erkundungsreisen ist die ‚lebensverändernde Reise‘, welcher normalerweise ein einschneidendes Erlebnis oder ein Bruch im Leben der reisenden Person vorhergeht und die Reise der Rehabilitation und der Verarbeitung dienen soll.
Bei ‚Wiederbelebungs- oder Wiederholungsreisen‘ geht es darum, berühmte Reisen, wie die Südpolexpedition von Scott oder auch die Hippie-Trail-Route zu wiederholen, genauer gesagt nachzuahmen und in die Fußstapfen der Pioniere zu treten.
Die ‚skurril-humorvolle‘ Reise kann sich auf verschiedene Weisen äußern. Der humorvolle Aspekt kann sich auf die Wahl eines ungewöhnlichen Fortbewegungsmittels bis hin zum Parodieren der Ernsthaftigkeit anderer Reisender beziehen.
Liang und Frost (2014) zufolge gehört dabei zu der zahlenmäßig häufigsten Reise der Entdeckungsreisen, die der ‚unabhängigen Reisenden‘. Charakterisiert werden diese Individual- oder Alternativreisenden durch meistens nicht langfristig bestehende Pläne. Oftmals liegt dieser Reiseform keine eindeutige Struktur zugrunde und der Erkundungsfaktor bezieht sich auf selbstkonstruierte Erfahrungen und Routen. Dieser Reisestil kann sehr viele verschiedene Formen, wie z.B. Backpacking oder Vantourismus annehmen. Cohen (1973: 89) beschreibt in seiner Typisierung eine Reihung verschiedener Tourismusformen vom am meisten institutionalisierten und wenigsten individualisierten „organized mass-tourist“ über den „individual mass-tourist“ und „explorer“ bis hin zum gering institutionalisierten und hoch individualisierten „Drifter“. Der Drifter strebt demnach maximaler Einfachheit entgegen und stört sich dabei nicht an physischen Unbequemlichkeiten. Er spart an Ausgaben wo es nur geht, um möglichst lange unterwegs sein zu können und stellt dabei das Ideal in Bezug auf unabhängiges Reisen dar (vgl. Cohen 1972). Cohen (2004) merkt jedoch an, dass die wenigsten Backpackenden heutzutage im Stile des Drifters reisen. Cohens Drifter und ähnlich Reisende sind in der Kategorie des sanften Tourismus anzusiedeln. Hierbei stehen in der Regel das aktive Unterwegsein, Erlebnisse, spontane Entscheidungen und neue Erkenntnisse im Vordergrund (vgl. Schmude & Namberger 2010). Oftmals wohnen dieser Reiseform auch die Ideale des Slow-Tourism-Konzepts inne. Diese sind neben der Minimierung des ökologischen Fußabdrucks und einer antikonsumorientierten Haltung auch das Reisen mit Zeit (vgl. Fullagar et al. 2012).
Auf einer anderen Ebene, nämlich der des Reisens als Sinngeschehen, lassen sich drei weitere Formen des Reisens ausmachen (vgl. Köb 2005). Hierbei werden ‚Außenweltreisen‘, ‚Gegenweltreisen‘ und ‚Innenweltreisen‘ genannt. Diese definieren sich über die Persönlichkeit und die Art der Selbstveränderung der Reisenden und deren Verhältnis zwischen Innen- und Außenwelt. Dabei stehen sie in einem starken Zusammenhang mit der Reisemotivation. Der Erkundungsaspekt dieser Ausprägungen nimmt jeweils Bezug auf eine andere Dimension des Egos und der Umgebung:
Bei Außenweltreisen wird die Identität der reisenden Person durch einen nach außen gerichteten Blick und die Auseinandersetzung mit der Destination und deren Kulturmerkmalen definiert (vgl. Bachleitner & Aschauer 2015). Die reine Wahrnehmung der Umwelt steht dabei im Rahmen von Freizeitvergnügen, Naturerlebnissen, Wissenserlangung, Gesundheit, Geselligkeit etc. im Vordergrund. Die Beobachtungen und Erkenntnisse dienen in der Regel der Bestätigung von bereits Gewusstem oder Geglaubtem (vgl. Köb 2005).
Gegenweltreisende hingegen nehmen ihre Umgebung auf Reisen als Gegenwelt wahr und reflektieren „den Effekt der Erlebnisse auf die eigene Identität“ (Bachleitner & Aschauer 2015: 334). Sie stehen dabei stets in einem Austausch mit der Umwelt. Zentral ist hierbei das Verlassen eines als normal empfundenen Alltags durch das Sammeln von authentischen Erfahrungen, um dadurch die eigene Authentizität zu finden. Gegenweltreisende begeben sich oftmals in für sie kulturell und geographisch unbekannte Regionen, um den persönlichen Erlebensradius zu erweitern und zu vertiefen.
Bei Innenweltreisenden hingegen ist der Blick nach innen gerichtet. Die Suche nach Weisheit, einer reiferen Identität und die Selbst-Werdung durch Selbst-Analyse stehen im Fokus dieser Ausprägung (Köb 2005).
Tausende von E-Books und Hörbücher
Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.
Sie haben über uns geschrieben: