Phantome des Kalten Krieges - Gerhard Sälter - E-Book

Phantome des Kalten Krieges E-Book

Gerhard Sälter

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Beschreibung

Die Organisation Gehlen übernahm mit dem Personal aus Gestapo und anderen NS-Behörden einige ihrer Feindbilder. Neu formiert unter den Vorzeichen des Kalten Krieges, führte sie bis in die sechziger Jahre hinein ausgedehnte Ermittlungen gegen eine nicht existierende kommunistische Spionageorganisation: die neu erstandene »Rote Kapelle«. Tatsächlich ermittelte sie gegen Überlebende aus dem Widerstand, die aus den Lagern und Zuchthäusern der Nationalsozialisten oder dem Exil zurückgekehrt waren und es ernst meinten mit dem demokratischen Neuanfang. Den Männern, die sich aus verantwortlichen Positionen des NS-Regimes in den Gehlen-Dienst gerettet hatten, diente die Wiederbelebung des Gestapo-Mythos dazu, die NS-Gegner zu denunzieren, um sie vom öffentlichen Leben fernzuhalten und
die Furcht vor kommunistischer Unterwanderung zu schüren, um so ihr eigenes institutionelles Überleben abzusichern.
(Band 2 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)

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Gerhard Sälter

Phantome des Kalten Krieges

Veröffentlichungen der UnabhängigenHistorikerkommission zurErforschung der Geschichte desBundesnachrichtendienstes1945 – 1968

Herausgegeben von Jost Dülffer,Klaus-Dietmar Henke, WolfgangKrieger und Rolf-Dieter Müller

BAND 2

Gerhard Sälter

Phantome des KaltenKrieges

Die Organisation Gehlen unddie Wiederbelebungdes Gestapo-Feindbildes»Rote Kapelle«

Die Rechtschreibung in der Studie folgt den aktuellen Empfehlungender Dudenredaktion. Bei direkten Zitaten aus den Quellen wurdenoffensichtliche Druckfehler stillschweigend korrigiert, andereEigenheiten und Fehler aus den Originaldokumenten übernommen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, Oktober 2016

entspricht der 1. Druckauflage vom Oktober 2016

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Cover: Stephanie Raubach, Ch. Links Verlag

Lektorat: Hartmut Schönfuß, Berlin

eISBN 978-3-86284-361-9

Inhalt

 

Vorbemerkung

 

Einleitung

I.

Ein Apparat gegen »fünfte Kolonnen« und »Kryptokommunisten«

1.

Die Anfänge der Organisation Gehlen

2.

Gehlens Ambitionen und die Abwehr kommunistischer Subversion

3.

Ein »illegal political police apparatus«: Die Sicherheitsabteilung

4.

Das operative Pendant: Die Außenorganisation in Karlsruhe

5.

Erfahrungen in der Bekämpfung der Résistance: Oskar Reile

II.

Die Operation »Fadenkreuz« beginnt

1.

Ein Agentenring am Bodensee

2.

Die Rote Kapelle: Ein Gestapomythos

3.

Die Geheimdienste der Westmächte und ihre Informanten

4.

Ein Wiedergänger: Erste Analysen der Organisation Gehlen

III.

»Experten«, Diskurse und Erpressung

1.

Ein Experte für die Rote Kapelle: Heinrich Reiser

2.

Die Rekrutierung weiterer Mitarbeiter der Gestapo Paris

3.

Das Ermittlungsverfahren gegen Manfred Roeder

4.

Eine Medienkampagne

5.

Roeder, seine »geheimen« Dokumente und politische Erpressung

IV.

Die Konstruktion einer internationalen Spionageorganisation

1.

Eine weltweite Verschwörung gegen »den Westen«

2.

Ermittlungen, Spekulationen und Denunziationen

3.

Eine zweite Agentenzentrale im NWDR

4.

Neue Informanten: Ein Staatsanwalt und ein Sachbuchautor

5.

Fokussierung der Operation auf den Widerstand

6.

Finanzielle und personelle Planungen

V.

Männer mit Vergangenheit: Die leitenden Ermittler

1.

Geheime Feldpolizei und Gestapo: Albert und Moritz

2.

Der Schrecken des Artois: Erich Heidschuch

3.

Die Residentur Württemberg: Rohrscheidt, Grimm und Zander

4.

Ein NS-Aktivist und Stasi-Agent: Hans Sommer

5.

Der Gestapomann Carl Schütz

6.

Erfahrungen in der Judendeportation: Friedrich Busch

7.

Puchta, Beißwenger und V-Leute der Gestapo

VI.

Verdächtigungen und Ermittlungen

1.

Die Überlebenden aus dem Widerstand

2.

Die Familien Schulze-Boysen und Harnack

3.

»Bisher fehlt es an schlüssigen Beweisen«: Weitere Verdächtige

4.

Herbert Engelsing und das Institut für Demoskopie in Allensbach

5.

Der NWDR und die Funkverbindung nach Moskau

6.

Gegenspionage in der Praxis: Spekulation und Ressentiment

7.

Bezichtigungen, Dateien, Konsequenzen

VII.

Der konservative Widerstand

1.

Neben der roten eine »schwarze Kapelle«

2.

Josef Müller, Otto Lenz und andere

3.

Die Militäropposition und die Rote Drei

4.

Gehlen, die Rote Kapelle und der Widerstand: eine nützliche Obsession

VIII.

Ehrgeizige Pläne

1.

Das Verbindungsreferat unter Oxenius

2.

Neue Projekte: Ein systematisches Durchleuchten der westdeutschen Eliten

3.

»Fadenkreuz« wird Chefsache

4.

Renegaten gegen die Rote Kapelle

5.

Der Fall John und Pläne für erweiterte Kompetenzen im Inland

IX.

Ein langsames Ende: Die Rote Kapelle als Hobby und Obsession

1.

Eine Bestandsaufnahme im Jahr 1955

2.

Die Operation »Fadenkreuz« und Gehlens »Dossiers«

3.

Ein neuer Zeuge für alte Geschichten: Heinz Pannwitz

4.

Unveränderte Wahrnehmungen und weitere Nachforschungen

5.

Abschließende Bewertungen

 

Die Phantome der Vergangenheit und die Konstruktion einer Bedrohung

 

Anhang

 

Abkürzungen

 

Quellen und Literatur

 

Personenregister

 

Über den Autor

Vorbemerkung

Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968

Die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968 (UHK) wurde im Frühjahr 2011 berufen und sechs Jahre mit insgesamt 2,2 Millionen Euro aus Bundesmitteln finanziert. Die Kommission sowie ihre zeitweilig zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen zu allererst gedankt sei, hatten im Bundeskanzleramt und im Bundesnachrichtendienst freien Zugang zu allen derzeit noch klassifizierten und bisher bekannt gewordenen Akten des Untersuchungszeitraums. Nach vorbereitenden »Studien« (www.uhk-bnd.de) legt sie ihre Forschungsergebnisse nun in mehreren Monographien vor. Die UHK hatte sich verpflichtet, die Manuskripte durch eine Überprüfung seitens des BND auf heute noch relevante Sicherheitsbelange freigeben zu lassen. Dabei ist sie bei keiner historisch bedeutsamen Information einen unvertretbaren Kompromiss eingegangen.

Das Forschungsprojekt zur Geschichte des BND unterscheidet sich von ähnlichen Vorhaben insofern, als es sich nicht auf die Analyse der personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten zur NS-Zeit beschränkt, sondern eine breit gefächerte Geschichte des geheimen Nachrichtendienstes aus unterschiedlichen Perspektiven bietet. Eine Bedingung der Vereinbarung mit dem BND war es gewesen, dass die UHK den Rahmen und die Schwerpunkte ihrer Forschung selbst festlegt. Gleichwohl waren auf einigen Feldern Einschränkungen hinzunehmen, namentlich bei den Partnerbeziehungen und den Auslandsoperationen des Dienstes.

Die Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt, vertreten durch Herrn Ministerialdirigent Hans Vorbeck, war ausgezeichnet. Bei den BND-Präsidenten Ernst Uhrlau, der das Projekt durchsetzte, Gerhard Schindler, der es förderte, und Bruno Kahl, der die Erträge erntet, stieß die Arbeit der Kommission auf wachsendes Verständnis und Entgegenkommen. Der Kommission ist es eine besondere Genugtuung, dass sie den entscheidenden Anstoß dazu geben konnte, dass die Einsichtnahme in historisch wertvolle Unterlagen des deutschen Auslandsnachrichtendienstes für alle Interessierten inzwischen zu einer selbstverständlichen Gewohnheit geworden ist.

Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke (Sprecher),Wolfgang Krieger, Rolf-Dieter Müller

Einleitung

Die Chefs staatlicher Nachrichtendienste – mit einem Geheimbudget ausgestattet und oft in der Lage oder verpflichtet, nicht allzu legale Mittel anzuwenden – werden leicht zu Hinterzimmerpotentaten. Das ist schon in der Natur ihrer Aufgaben begründet. Solange sie und ihre Untergebenen keine Böcke schießen, die sich nicht mehr verbergen lassen, sind sie gegen jede öffentliche Kritik immun. Das Geheimhaltungs-Tamtam und der allgemeine Glaube daran, dass man informiert sein müsse, erwiesen sich immer wieder als schier unüberwindliche Bollwerke.

Eric Ambler1

Im Oktober 1954 schickte James H. Critchfield, Leiter des CIA-Stabs, der in Pullach die Aktivitäten der Organisation Gehlen zu lenken versuchte, eine alarmierende Nachricht an seine Vorgesetzten in Langley: Es gebe Hinweise, dass Hans Globke ein sowjetischer Spion sei, der für das Agentennetz »Rote Kapelle« arbeite. Diese Nachricht war so beunruhigend wie überraschend, insbesondere, nachdem der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Otto John in Ost-Berlin aufgetaucht und die Öffentlichkeit ohnehin alarmiert war. Globke, seit 1949 leitender Beamter im Bundeskanzleramt und seit Herbst 1953 in der Nachfolge von Otto Lenz als Staatssekretär Chef des Kanzleramts, war einer der engsten Vertrauten Konrad Adenauers.2 Einen besseren Platz für einen sowjetischen Spion und Einflussagenten gab es überhaupt nicht.

Der Hinweis auf Globke stammte vom Chef der Organisation Gehlen selbst, vom »Doktor« oder »Professor«, wie Reinhard Gehlen sich von seinen Mitarbeitern nennen ließ, bzw. von »Utility«, wie er bezeichnenderweise bei der CIA hieß. Globke hatte, als er 1949 im Bundeskanzleramt eingestellt werden wollte, Gehlen gebeten, für ihn bei den Amerikanern um Unterstützung zu werben. Globke, der in der Nachkriegszeit eher als Erfüllungsgehilfe der Nationalsozialisten berüchtigt als für eine Gegnerschaft bekannt war, hatte seine Bewerbung mit Bescheinigungen von Verfolgten und Angehörigen des Widerstands gepolstert. Critchfield glaubte, seine Vorgesetzten in den Staaten auf die seltsamen Zeitumstände der direkten Nachkriegszeit hinweisen zu müssen: »During that period, it will be recalled, the main criterion for holders of public offices under the occupation was an anti-Nazi record.« Critchfield hatte das Material seinerzeit in den richtigen »channel« geleitet und es dann vergessen. Gehlen jedoch mit seiner Neigung, Papier zu horten, behielt eine Kopie zurück und hatte sie nicht vergessen.

Im Juni 1954 machte er Critchfield – »to our surprise« – auf die Zeugnisse aufmerksam. Otto Lenz, Jakob Kaiser und Josef Müller (der »Ochsensepp« genannt) hatten Globke 1949 bescheinigt, er sei einer der Männer des 20. Juli gewesen. Herbert Engelsing und seine Frau Ingeborg hatten ihm attestiert, er habe sie vor drohender Verhaftung und vor Hausdurchsuchungen gewarnt, und sie wüssten von zahlreichen nächtlichen Sitzungen, dass Globke »one of the most clever participants of the 20 July revolt« gewesen sei. Seit 1949 hatte der Wind sich jedoch gedreht. Josef Müller war unterdessen in den Medien von einem Widerstandskämpfer zu einem »Kryptokommunisten« geworden, der vielleicht heimlich mit den Russen paktiere, und als Verräter galt er vielen ohnehin. Die Beziehung zu Engelsing war noch belastender, denn dieser wurde in den Akten der meisten westlichen Sicherheitsdienste mittlerweile als möglicher kommunistischer Agent der Roten Kapelle geführt. Ironischerweise hatten die Persilscheine Globke wenig genützt. Critchfield hatte in den Personalunterlagen des amerikanischen Hochkommissars gefunden, dass man seinen Widerstandsaktivitäten kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Deutsche und Amerikaner hätten sich allein mit der Frage beschäftigt, ob Globkes Position im Reichsinnenministerium und seine Autorschaft an den Kommentaren zu den Nürnberger Rassegesetzen ihn so stark belaste, das man ihn nicht einstellen könne. Das fand aber niemand.

Critchfield ergänzte, er wisse nicht, was man in Langley mit Gehlens Informationen anfangen solle, und er könne nicht beurteilen, was Gehlen damit anstellen werde. Die politische Brisanz des Falls Globke sei ihm und Gehlen natürlich bewusst. Auch stünde ihnen deutlich vor Augen, wie wichtig die enge Beziehung zwischen Globke und Gehlen, die sich nach Critchfields Ansicht in letzte Zeit erheblich abgekühlt habe, für die Organisation Gehlen sei, da Globke deren »anchorman« in der Bundesregierung sei. Er glaube nicht, dass Gehlen tatsächlich der Überzeugung sei, Globke sei »a witting servant of the Soviets«. Überdies konnte Critchfield außer der eidesstattlichen Erklärung von Engelsing keine Hinweise finden, dass Globke vor 1945 mit der Roten Kapelle in Verbindung gestanden hatte. Gehlen insistierte jedoch auf der Brisanz des Falles und erzwang, dass dieser in den USA zur Kenntnis genommen wurde. Critchfield schrieb, Gehlen habe darauf hingewiesen, Globke verkehre mit Kurt Behnke, Präsident des Bundesdisziplinarhofs, der wiederum zum Kreis um den CSU-Politiker Josef Müller gehöre und Kontakt zu Minister Jakob Kaiser wie zu Friedrich W. Heinz (für die CIA »Capote«) habe, die alle vier weit oben auf Gehlens Liste der politisch Unzuverlässigen standen. Gehlen habe zudem insistiert, dass er keine Garantie dafür übernehmen könne, dass Globke nicht seinen religiösen und politischen Überzeugungen folgen und versuchen werde, ein neutrales Deutschland durchzusetzen.3

Ob Gehlen von patriotischer Sorge motiviert war, von denunziatorischem Eifer getrieben oder seinen Patron im Kanzleramt daran erinnern wollte, dass sie eine Partnerschaft zu beiderseitigem Gewinn führten, mag hier dahingestellt bleiben. Gehlen schützte Globke vor öffentlichen Angriffen wegen seiner NS-Vergangenheit und hatte ihm wie seinem Kanzler als geheimer Nachrichtenbeschaffer gedient. Ihrer beider Verhältnis war kein rein hierarchisches, sondern schloss reziproke Aspekte ein.4 Gehlen wurde von dem früheren Abwehroffizier Hans-Ludwig von Lossow unterstützt, zu dieser Zeit Verwalter der innenpolitischen Verbindungen seines Chefs und im Fall Globke nach Critchfields Meinung der Stichwortgeber Gehlens.

Das erstaunliche Dokument ist nicht nur ein Lehrstück für die politische Relevanz von geheimem Aktenmaterial, es zeigt vor allem, welch große Bedeutung eine kaum in Erscheinung getretene Widerstandsorganisation gegen Hitler noch immer besaß. Gegen die Rote Kapelle, an deren Fortexistenz über 1945 hinaus viele westliche Geheimdienste zeitweilig glaubten und von deren Gefährlichkeit Gehlen bis zu seinem Tod überzeugt war, führten die Organisation Gehlen und der Bundesnachrichtendienst (BND) einen ausgedehnten Kreuzzug. Die Operation wurde zunächst unter dem Decknamen »Fadenkreuz« und seit 1957 unter »Wildgatter« geführt. In Pullach vermutete man, dass Teile dieser Organisation weiterbestünden, nun gegen »den Westen« arbeiteten und als fünfte Kolonne große Teile des öffentlichen Lebens und der Politik der Bundesrepublik unterwandert hätten. Damit operierte der Gehlen-Dienst gegen eine Spionageorganisation, die ausschließlich in ihrer Wahrnehmung bestand. Das angenommene Gefährdungspotenzial der Roten Kapelle begründete sich auf der teilweise vorsätzlichen Fehldeutung, es habe sich bei ihr um eine von Moskau gesteuerte Spionageorganisation gehandelt. Zweitens wurde behauptet, die Organisation habe bis 1945 von den deutschen Sicherheitsbehörden nicht vollständig zerschlagen werden können und bestehe zumindest in Teilen fort. Drittens glaubte man nicht, dass ihre Mitglieder durch die Ablehnung des Nationalsozialismus motiviert waren, sondern sah in ihnen bolschewistische Überzeugungstäter, die auch unter demokratischen Rahmenbedingungen weiter für Moskau arbeiten würden.

Die von den NS-Sicherheitsbehörden vor 1945 formulierten Annahmen über die kommunistische Ausrichtung und die Steuerung aus Moskau übernahm die Organisation Gehlen nach 1945 zusammen mit dem Personal dieser Behörden. Damit wird die Operation gegen die Rote Kapelle zu einem Lehrstück, an dem exemplarisch dargestellt werden kann, welche Konsequenzen die Übernahme von Funktionsträgern der nationalsozialistischen Repressionsapparate mit ihrer speziellen »Expertise« in die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik für deren politische Ausrichtung, ihren Wahrnehmungshorizont und ihr praktisches Funktionieren hatte, vielleicht sogar für ihre Effizienz. Die bizarre Jagd nach der Roten Kapelle bietet eine Möglichkeit, zu beschreiben, wie bestimmend der Einfluss dieser Funktionsträger auf den mentalen Horizont der Behörden sein konnte, in die sie integriert wurden. Es wird untersucht, wie stark geistige, mentale und personelle Kontinuitäten zwischen nationalsozialistischen Instanzen und Bundesbehörden Wirkungsmacht gegenüber dem Sicherheitsempfinden und damit dem politische Handeln der Entscheidungsträger der jungen Demokratie gewinnen konnten.

Die Operation gegen die Rote Kapelle eignet sich als Beispiel, weil die Organisation Gehlen und der BND einer Chimäre nachjagten, die von der Gestapo und der deutschen Abwehr geschaffen worden waren. Es wird zu zeigen sein, wie sich aus der Vermutung, es könnten Teile dieser Widerstandsbewegung der Repressionswelle entkommen sein, die Annahme entwickelte, sie seien gegen die Bundesrepublik aktiv. Es wird zu fragen sein, wieso der Widerstand gegen Hitler nach 1945 als eine Bedrohung wahrgenommen werden konnte, die den erheblichen Einsatz von Personal und Geldmitteln rechtfertigte, um ihm erneut das Handwerk zu legen. Schließlich wird darzulegen sein, wie aus den Netzwerken des Widerstands in der Nachkriegszeit das Phantom einer weltumspannenden Organisation von Agenten und fünften Kolonnen entstehen konnte, das nicht nur die Operation der Agentur in Pullach zu rechtfertigen schien, sondern die politische Szene in Bonn zeitweilig erheblich beunruhigte.5

Die Suche nach den überlebenden Teilen der Roten Kapelle gehört in eine Epoche, in der die nach dem »Zusammenbruch« 1945 beginnende Phase von Entnazifizierung und Reeducation endete, der Kalte Krieg begann und der Antikommunismus zu einer das politische Handeln beherrschenden Ideologie wurde. Mit der Gründung der Bundesrepublik wurde nicht nur das autoritäre Modell der Kanzlerdemokratie etabliert, mit dem Nationalsozialismus verbundene Mentalitäten, politische Ordnungsvorstellungen und Denkweisen kamen unter dem Vorzeichen des Antikommunismus wieder hervor und gewannen an Einfluss. Dies geschah weder unbemerkt noch unbestritten, sondern war mit Debatten um die Ordnung der Gesellschaft verbunden, die teils öffentlich, teils hinter den Kulissen ausgetragen wurden.6 Die Rote Kapelle wurde Gegenstand und politisches Vehikel der Diskurse, in denen während des langsamen Endes der Bevormundung durch die Alliierten Anfang der 1950er-Jahre das Bild der jüngst vergangenen Geschichte einer Revision unterzogen wurde. Ihr Zentrum bildete angesichts der Reaktivierung der erst wenige Jahre zuvor ins Abseits verbannten Funktionseliten die Frage, wie die Loyalität zum Nationalsozialismus – oder zu Deutschland, wie einige nun sagten – und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur künftig zu bewerten sein würden. Die aus dem Nationalsozialismus kommenden Eliten und Funktionsträger unternahmen eine Neuaushandlung dessen, welches Verhalten mit gesellschaftlicher Anerkennung zu honorieren und was zu ächten sei. Der von ihnen eingeleitete Diskurs veränderte die gesellschaftliche Wertschätzung der Remigranten und Widerstandskämpfer einerseits und der NS-Funktionsträger andererseits. Er bewirkte eine Umkehr in der öffentlichen Meinung in der Wahrnehmung des Nationalsozialismus und der aus dem »Zivilisationsbruch« (Dan Diner) zu ziehenden Konsequenzen.

Die drei westlichen Besatzungsmächte waren 1945 angetreten mit dem Programm einer vollständigen Ablösung der nationalsozialistischen Herrschaft und der Auflösung der mit ihr verbundenen Strukturen. Sie wollten in Deutschland einen Verfassungsstaat nach westlichem Vorbild etablieren. Hierfür wollten sie diejenigen vor Strafgerichte stellen, die sich am nationalsozialistischen Unrecht beteiligt hatten, die gesellschaftlichen Machtpositionen von Aktivisten säubern und die politische Kultur erneuern. Dieses umfassende Programm krankte daran, dass sich die drei Westalliierten – von der Sowjetunion gar nicht zu reden – untereinander nicht einig waren, wie das genau zu geschehen habe, dafür bis 1945 weder geeignetes Personal ausgewählt noch Apparate aufgebaut hatten und es mit konfligierenden politischen Zielen in Einklang bringen mussten, über die sie sich ebenfalls nicht einig waren.

Die Entnazifizierung als Instrument eines Elitenwechsels und einer Säuberung der staatlichen und gesellschaftlichen Schlüsselpositionen von nationalsozialistischen Aktivisten war ein heikles Unterfangen, weil es sich als politisches Ordnungsinstrument auf die ganze Gesellschaft richtete, aber in auf Individuen bezogenen Maßnahmen umgesetzt wurde, was justizförmige Verfahren hervorbrachte.7 Klaus-Dietmar Henke hat daran erinnert, dass die Abrechnung mit dem Faschismus in Deutschland den Regeln eines gesellschaftlichen Interessenkonflikts folgte, bei dem moralischer Anspruch und politische Praxis nicht in Kongruenz zu bringen waren.8 Die Besatzungsmächte überprüften eine große Zahl von Personen und schlossen einen erklecklichen Teil von ihnen von öffentlichen Ämtern aus bzw. entließen sie. Widersprüchliche Zielvorgaben, Verfahrensprobleme, die zunehmende Ablehnung in der deutschen Bevölkerung und Opportunitätserwägungen der Alliierten führten dazu, dass die Entnazifizierungsverfahren nicht zu einer Säuberung des öffentlichen Lebens führten, sondern als »Mitläuferfabrik« zu einer massenweisen Rehabilitierung und Exkulpierung der Funktionsträger des Dritten Reichs.9 Zwar waren die alliierten Säuberungsbemühungen kein vollständiger Misserfolg, da durch die Verfahren und die Internierung eine größere Gruppe von Funktionsträgern und Angehörigen der nationalsozialistischen Eliten wenigstens zeitweilig aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet und für mehrere Monate oder einige Jahre »tiefgestaffelten Repressionen« (Ulrich Herbert) ausgesetzt waren.10 Lutz Niethammer nannte sie jedoch eine »monströse Rehabilitierungskampagne«, die eine »weitgehende Kontinuität der Gesellschaftsordnung« ermöglicht habe, Henke sprach von einem »Strudel der Weißwäsche«, Herbert argumentierte, die ursprüngliche Intention habe sich im Ergebnis »in sein Gegenteil verkehrt«, und Hans Hesse nennt sie eine »vielschichtig konstruierte Entschuldungspraxis«.11 Gleichzeitig hatte sie in der Öffentlichkeit den Eindruck einer umfassenden und rigiden Säuberung hinterlassen, der später half, die Schlussstrich-Mentalität zu verankern.

Die Säuberung hatte von einer Strafverfolgung derjenigen begleitet werden sollen, die sich an den Unrechtshandlungen und Gewalttaten beteiligt hatten.12 Die Nürnberger Prozesse gegen die »Hauptschuldigen« und die Nachfolgeverfahren machten der weitgehend erschütterten Öffentlichkeit das Ausmaß nationalsozialistischen Unrechts deutlich.13 Bis 1949 wurden 4000 NS-Funktionsträger in weiteren Strafverfahren von alliierten Militärgerichten und etwa genauso viele von deutschen Gerichten verurteilt. Weitere 6000 Personen wurden von den Westmächten an Drittstaaten ausgeliefert, insbesondere an Polen.14 Die Strafverfahren in der Besatzungszeit wurden allerdings begleitet von einem anschwellenden Chor öffentlicher Kritik, die den Besatzungsmächten Rachsucht unterstellte und von »Siegerjustiz« sprach. Neben Exponenten des Dritten Reichs – bekannt sind Ernst Achenbach und Werner Best – und einigen Wehrmachtsgeneralen beteiligten sich führende Angehörige der beiden Großkirchen an der exkulpierenden Debatte und forderten die Freilassung vulgo Begnadigung der zunächst noch unisono als »Kriegsverbrecher« bezeichneten Täter unterschiedlichster Kategorie.15 Die Debatte über die »Kriegsverurteilten« und die »Siegerjustiz« wurde lautstark geführt, mussten die Betroffenen die Internierungs- und Urteilspraxis doch delegitimieren, um sich selbst vom Ruch des Unrechts zu befreien.

Mit der Gründung der Bundesrepublik im Oktober 1949 zeigten solche Interventionen Erfolge. Damit verbunden waren Forderungen nach einem Ende der Entnazifizierung, einer Beendigung der Strafverfolgung nationalsozialistischer Verbrecher und eine deutliche Veränderung in der Wahrnehmung der knapp fünf Jahre zuvor beendeten Diktatur. Die Besatzungsmächte und die sich in Bonn etablierende konservative Elite sahen sich unter wachsendem öffentlichen Druck. Adenauers Politik der alternativlosen Westbindung und der Remilitarisierung erforderte einen Ausgleich mit den mitgliederstarken und von ihren früheren Generälen dominierten Soldatenverbänden. Die neuen Eliten mussten sich mit den nationalsozialistischen Funktionären arrangieren, wenn sie in Bonn Staat machen wollten. Lutz Hachmeister spricht in diesem Zusammenhang von einer »durch die Ost-West-Konfliktlage« begünstigten Elitenkoalition zwischen der »genuin nationalsozialistischen Funktionselite mit den klerikal-konservativen Führungskräften der Adenauer-Administration«.16

Diese Koalition fand ihren Ausdruck u. a. darin, dass zu Beginn der 1950er-Jahre die meisten deutschen Politiker für eine Beendigung der Entnazifizierung und eine Begnadigung der Kriegsverbrecher eintraten.17 Sie konnte an ein grundlegendes und verbreitetes Unvermögen anknüpfen, die Niederlage mit der Geschichte des Dritten Reichs und der Unterstützung für seine Eliten in Zusammenhang zu bringen.18 Mit der Rehabilitierung der NS-Funktionsträger ging eine Relativierung ihrer Verbrechen einher, die zunehmend als irgendwie nicht vermeidbare Kollateralschäden im Kampf gegen den Bolschewismus hingestellt wurden. Unter solchen Auspizien setzten im Bundestag nach seiner Konstituierung 1949 Debatten über eine allgemeine Amnestie und die Begnadigung der von den Alliierten verurteilten Verbrecher ein, die begleitet waren von Forderungen nach einem Schlussstrich unter die leidige Entnazifizierung und die strafgerichtliche Ahndung. Solchen Forderungen folgte das im Dezember 1949 verabschiedete erste Straffreiheitsgesetz, das zahlreiche NSTäter straffrei stellte. Es enthielt zudem einen Paragrafen, der es abgetauchten Nationalsozialisten erlaubte, sich wieder zu ihrer Identität zu bekennen.19 In nicht direkter, aber doch mittelbarer Folge des Straffreiheitsgesetzes, ermutigt durch die öffentliche Debatte um die »Kriegsverurteilten« und gestützt durch die ungebrochene Personalkontinuität beim Justizpersonal, kam die strafrechtliche Ahndung von nationalsozialistischen Gewalttaten Anfang der 1950er-Jahre in der Bundesrepublik nahezu vollständig zum Erliegen.20

Mit ihrer Entnazifizierung war der Weg frei für die berufliche Rehabilitierung der kleinen und großen Funktionsträger des Dritten Reichs.21 Der bereits begonnene Rückstrom der seit 1945 entlassenen Beamten und Angestellten in den Staatsdienst schwoll erheblich an. Die Bundesregierung ließ im vorläufigen Bundespersonalgesetz die im Beamtengesetz von 1937 enthaltene Treuepflicht zum Führer auf den demokratischen Staat umschreiben und warf damit nicht nur die Vorstellungen der Alliierten hinsichtlich einer Reform des Beamtentums über den Haufen, sondern nahm sich selbst für die Wiedereinstellung der Beamten in die Pflicht.22 Die durch die Entnazifizierung »verdrängten« Beamten drangen lautstark auf Wiedereinstellung bzw. Fortzahlung ihrer Gehälter und Pensionen. Im Frühjahr 1951 entsprach die Regierung ihren Forderungen durch das 131er-Gesetz. Es begründete einen individuellen Anspruch auf Wiedereinstellung oder Unterhaltszahlungen für Beamte, die bei der Entnazifizierung nicht in die Kategorien I und II (hauptschuldig und belastet) eingereiht worden waren. Doch auch für diese gab es Aus- und Umwege, beispielsweise für Polizeibeamte, die glaubhaft machen konnten, sie seien »von Amts wegen« zur Gestapo versetzt worden.23 Das Gesetz habe, so Wengst, »zur personellen Kontinuität des deutschen Beamtentums« beigetragen.24 Die Integration der Belasteten ging mit dem Verzicht auf Sanktionen gegen die Schuldigen einher, die allzu schnell in eine neue Normalität des schnellen Vergessens abtauchen konnten.

Gleichzeitig begann die öffentliche Kampagne für die von alliierten oder deutschen Gerichten wegen schwerer Gewaltverbrechen verurteilten Häftlinge Erfolge zu zeitigen. Sie wurden nun unterschiedslos zumeist als »im Ausland verurteilte Kriegsgefangene«, »sogenannte Kriegsverbrecher« oder »Kriegsverurteilte« bezeichnet. Regierung, Verteidiger der Inhaftierten, Nationalisten und die propagandistisch eingedeckte öffentliche Meinung in Westdeutschland konnten mehrere alliierte Gnadenaktionen durchsetzen.25 Die Generäle, die öffentlich, unterstützt durch Kirchen und mit positiver Resonanz in der Presse, gegenüber der Bundesregierung für die »Ehre« und damit für die Anerkennung der Unschuld ihrer untergangenen Wehrmacht und für die Entlassung der in Landsberg inhaftierten NS-Verbrecher eintraten, fanden seit dem Beginn des Krieges in Korea zunehmend Gehör.26 Es war der Wunsch, die Wiederbewaffnung zu stützen, der den amerikanischen Hochkommissar John J. McCloy 1951 dazu bewegte, sich und Adenauer durch zahlreiche Begnadigungen verurteilter Kriegsverbrecher die Gunst der alten Eliten zu sichern.27 Thomas A. Schwartz bewertet dies als einen wesentlichen Umschwung in der Beurteilung der Vergangenheit: »Wie immer im einzelnen motiviert, trug McCloys Entscheidung letztlich doch dazu bei, dass das Programm zur Bestrafung der Kriegsverbrecher abbröckelte. Das begünstigte den allgemeinen Gedächtnisschwund im Hinblick auf die nationalsozialistischen Verbrechen, der in den 1950er-Jahren einsetzte. Das im Entstehen begriffene amerikanischdeutsche Bündnis gegen die Sowjetunion half mit, die hässliche Vergangenheit zu verdecken.«28 Claudia Fröhlich betont: »Während die Legitimität von Widerstand weitgehend negiert wurde, markierte die sich im Kalten Krieg verändernde Rolle Westdeutschlands, vom besiegten und besetzten Land zum politischen Verbündeten, den Beginn einer weitreichenden Rechtsprechung zugunsten der Täter sowie einer Exkulpation des nationalsozialistischen Unrechts durch die Rechtsprechung.«29

Gegen die gesellschaftliche Verankerung eines aus ihrer Mitwirkung im nationalsozialistischen Machtgefüge resultierenden moralischen Makels im kollektiven Gedächtnis wandten sich Diskurse, die von denjenigen getragen wurden, die seit 1949 wieder wichtige Ämter besetzten und ihre »Ehre« verteidigten. Ihnen musste daran gelegen sein, ihre Tätigkeit in den nationalsozialistischen Herrschafts- und Gewaltverhältnissen als den Normalfall darzustellen. Ihr Bestreben, ihre Tätigkeit zu verharmlosen oder zu rechtfertigen, unterlegten einige mit dem erfolgreichen Versuch, Angehörige des Widerstands öffentlich als Volksverräter zu diskreditieren. Der Widerstand gegen Hitlers Machtapparate wurde als zutiefst fragwürdig und letztlich gegen die »Volksgemeinschaft« gerichtet dargestellt, obwohl dieser Begriff zumeist vermieden wurde.30 Der Vorwurf des Verrats am Vaterlande wog dann besonders schwer, wenn er durch die Zusammenarbeit mit einem Feind bedingt war, von dem sich abzeichnete, dass er erneut der Feind sein würde: die Sowjetunion bzw. der Kommunismus.31 Die öffentliche Auseinandersetzung um die Rote Kapelle gehört zu einem Diskurs, den Funktionsträger und Opfer des Nationalsozialismus öffentlich um die politische Ordnung in Westdeutschland, ihre Position darin und um die Bewertung des Dritten Reichs führten.

In die Enge getrieben sahen sich Angehörige der Minderheit, die nicht müde wurden, auf die Schuld der Täter zu verweisen und an die Folgsamkeit der Massen zu erinnern. Dominik Rigoll hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Beharren auf kollektiv begangenem Unrecht und individueller Schuld nach 1949 vor allem von Kommunisten, einigen linken Sozialdemokraten und wenigen unverwüstlichen Linksliberalen ausging.32 Gegen sie richtete sich der Hass der alten Eliten umso mehr, als sie bis 1945 davon ausgehen konnten, dass sie diesen Feind weitgehend eliminiert hätten. Ihr handfestes Misstrauen erstreckte sich nicht nur auf die Kommunisten, sondern auch auf jene Gegner und Opfer der Nationalsozialisten, deren Zeugenschaft von denen gefürchtet wurde, die gerade dabei waren, sich wieder zu etablieren und sich von ihrer Vergangenheit wenigstens nominell zu distanzieren. Ihr Ressentiment wurde von den Kameraden mitgetragen, die in den bundesrepublikanischen Sicherheitsbehörden untergekommen waren.33

Die Debatte um die Bewertung individueller Haltungen während der Zeit des Nationalsozialismus wurde vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges und unter dem Eindruck der in Westeuropa und den USA virulent werdenden antikommunistischen Strömungen geführt. Der Antikommunismus der 1950er-Jahre sollte die Bevölkerungen für den Ost-West-Konflikt mobilisieren und in der Bundesrepublik Loyalitätsbindungen stärken.34 Er speiste sich aus verschiedenen Wahrnehmungen, geistigen Strömungen und Motiven und bot unterschiedlichen politischen Haltungen Anschlussmöglichkeiten. Zunächst einmal verfolgte die Sowjetunion seit Ende des Weltkriegs mit der Errichtung von abhängigen Satellitenstaaten im östlichen Europa eine expansive Strategie. Stalins Politik löste schon im letzten Kriegsjahr ein deutliches Unbehagen bei den Amerikanern aus.35 Die ersten Sorgen rief die kommunistische Machtübernahme in Polen 1945 hervor. Politiker in den USA verdächtigten Stalin 1946/47, die Kommunisten im Bürgerkrieg in Griechenland zu unterstützen, tatsächlich unterstützte er 1946 die kurdische Republik auf dem Territorium des Irans und 1948 übernahmen die Kommunisten im Februarputsch in Prag die Macht. Mit der Blockade Westberlins schließlich versuchte er die Westalliierten aus Berlin herauszudrängen. Das Abrücken von gegebenen Zusagen und die mit Stalins Bestreben, sich einen die Sowjetunion umgebenden Sicherheitsgürtel zu verschaffen, verbundene Expansion veränderte die westliche Sicht.36 Die Wahrnehmung der Bedrohung intensivierte sich mit der Politik der sowjetischen Besatzungsmacht in ihrer Besatzungszone und ihrem Verhalten gegenüber den Westmächten in Fragen der Regierung Deutschlands.37

Zudem trat im entstehenden Ostblock der Diktaturcharakter kommunistischer Herrschaft für westliche Beobachter klarer zutage als in der Sowjetunion der Zwischenkriegszeit, wobei entsprechende Wahrnehmungen nach dem eher unfreiwilligen Beitritt Stalins zur Anti-Hitler-Koalition durch die gemeinsamen Kriegsanstrengungen zeitweilig überdeckt worden waren. Nach 1945 hatte der Kommunismus seinen utopischen Glanz weitgehend verloren und in Osteuropa seinen emanzipativen Anspruch de facto aufgegeben.38

Angesichts der Perzeption der Sowjetunion als expansiv und ihrer Herrschaftspraxis als totalitär erschienen die kommunistischen Parteien und ihre Mitglieder im Westen, verstärkt durch die stalinistische Prägung der Parteiführungen und ihre Ausrichtung auf die Parteiführung in Moskau, immer weniger als eigenständige Akteure. Zwar versuchte die KPdSU, ihre Bruderparteien für die eigenen Ziele einzuspannen, und das ist ihr durchaus in einem gewissen Umfang gelungen. Jedoch greift die Vorstellung von den kommunistischen Parteien als reinen Handlangern Moskaus zu kurz, da es innerhalb dieser Parteien konfligierende Zielsetzungen gab und die allzu offensichtliche Anlehnung an Moskauer Vorstellungen ihre Mobilisierungsfähigkeit erheblich beeinträchtigte. Es waren gerade diese Ambivalenzen, welche die Vorstellung hervorbrachten, dass Kommunisten ihre Einflussnahme hauptsächlich verdeckt vortrugen. In der berühmt gewordenen Rede, mit der Winston Churchill 1946 im Fulton College sein Unbehagen formulierte, sprach er nicht nur vom Eisernen Vorhang, der sich zwischen Ost- und Westeuropa herniedersenke. Er betonte, dass dieser einseitig durchlässig sei für die ideologische Diversion des Kommunismus, welche im Westen aufgrund der Unterstützung durch fünfte Kolonnen Wirkung entfalten könne.39 Vor diesem Hintergrund wurde kommunistischer Politik auch in der Bundesrepublik ihre Legitimität grundsätzlich aberkannt, da sie nichts anderes sei als die Begünstigung des äußeren Feindes und eine Bedrohung der westlichen Zivilisation.40 Damit ging einher, dass kritische Stimmen, die auf der Belastung Deutschlands durch seine Vergangenheit beharrten, unter den Verdacht gestellt wurden, heimliche Agenten der Kommunisten und der Sowjetunion zu sein. Die Identifizierung von äußerem und innerem Feind verfehlte als diskursive Strategie der Marginalisierung ihre Wirkung nicht. Sie sollte den Kommunisten, die sich in Westeuropa nicht zwischen ihrem emanzipativem Anspruch und der Treue zu Moskau entscheiden konnten, und ihren »Fellow Travelers« den politischen Boden entziehen.

Die Wahrnehmung der westlichen Kommunisten als Agenten Moskaus erfuhr eine Verstärkung, als in den USA und Großbritannien nach dem Krieg ruchbar wurde, dass einzelne Parteimitglieder sich in den 1930er- und 1940er-Jahren von sowjetischen Geheimdiensten für Spionagetätigkeiten gegen ihre Länder hatten brauchen lassen. Zwar wurden die Beweise hierfür, weil sie aus der Entschlüsselung des Funkverkehrs der KP-Leitungen und der diplomatischen Vertretungen mit Moskau gewonnen worden waren, nur wenigen Menschen zugänglich gemacht, die Schuldvorwürfe aber im Zusammenhang mit mehreren spektakulären Strafprozessen propagandistisch verbreitet.41 Zwar professionalisierte sich die sowjetische Spionage seit Kriegsende und ihre Agenten wurden seltener unter den Parteimitgliedern des Ziellandes angeworben, aber die intensive Propaganda anlässlich der Prozesse gegen Alger Hiss und Klaus Fuchs, die 1950 wegen Verrats von geheimen Informationen über die amerikanische Atombombe verurteilt wurden, sowie beim Verschwinden des Physikers Bruno Pontecorvo 1950 aus den USA und von Guy Burgess und Donald Maclean 1951 aus Großbritannien, die alle in Moskau wieder auftauchten, hat wesentlich dazu beigetragen, die Angst vor Unterwanderung zu schüren.42

Im Diskurs über Spionage und Unterwanderung wurde die Identifizierung von äußerem und innerem Feind verifiziert, an den sich Befürchtungen und gelegentlich Hysterie in Form von moral panics anschließen konnten. Die propagierten Feindbilder waren jedoch weitgehend irrational und ihnen lagen deutlich überzogene Vorstellung zugrunde: »Dabei standen die perzipierte und die tatsächliche Gefährdung in keinerlei Verhältnis zueinander.«43 Die öffentliche Wahrnehmung wurde von propagandistischen Kampagnen geprägt, die eine hysterische Wachsamkeit erzeugten und Bedrohungsängste schürten.44Allerdings bedienen sich Strategien, die darauf abzielen, durch Angst zu mobilisieren, häufig solcher Übertreibungen.45 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass im Osten zu dieser Zeit ähnlich aufgeregte Wachsamkeitskampagnen stattfanden, bei denen Liberale, frühere Sozialdemokraten und angebliche Trotzkisten aufgespürt und als Agenten des Westens in Schauprozessen öffentlich vorgeführt wurden.46

Die Wahrnehmung sowjetischer Expansion und kommunistischer Herrschaftspraxis verband sich mit Infiltrationsängsten – und der als Spionage tatsächlich vorhandenen Bedrohung – mit älteren Geisteshaltungen und politischen Strömungen der Zwischenkriegszeit, auf deren Boden bereits die Diktaturen und autoritären Herrschaftsformen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesprossen und in Europa herangereift waren. Im Gefolge der russischen Revolution und den Verschiebungen im Staatengefüge Mitteleuropas, durch die sich die Revolutionsfurcht der bürgerlichen Eliten angesichts politischer Instabilität radikalisierte, war ein Antikommunismus entstanden, der sich gegen den emanzipativen Anspruch der sozialistischen Bewegung richtete. Er konnte an antimoderne und antiliberale Strömungen anknüpfen, die seit 1789 in Europa verbreitet waren. Diese heterogenen Stränge verbanden sich nach den Zweiten Weltkrieg zu einem modifizierbaren Amalgam: Die verschiedenen Elemente, aus denen es sich jeweils zusammensetzte, waren bei den politischen Akteuren unterschiedlich stark ausgeprägt.47

Für die USA sind das geistige Amalgam des Antikommunismus und seine Verwendung als politisches Instrument gut erforscht. Dort speiste sich der antikommunistische Diskurs, Regin Schmidt und Landon Storrs haben das mit guten Argumenten vertreten, bereits in den 1920er-Jahren wesentlich aus antiliberalen Strömungen, die sich gegen Sozialisten, Liberale und insbesondere Gewerkschafter jeder Couleur richteten. Seine Protagonisten suchten die entstehenden Gewerkschafts- und Bürgerrechtsbewegungen einzudämmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpften Konservative und Rechtsextreme daran an.48 Verstärkt seit 1947 verbreitete sich eine Beunruhigung über die kommunistische Bedrohung aus dem Inneren, die sich zu einer regelrechten Infiltrationshysterie auswuchs. Der einsetzenden Hexenjagd lag ein tief gehender Dissens der Konservativen, die jetzt an die Macht drängten und von denen die Kampagne getragen wurde, über die Ordnung der Gesellschaft zugrunde. Sie teilten und instrumentalisierten eine Auffassung von der Macht kommunistischer Verführung und von den wenig gefestigten Mitläufern, die solchen Einflüsterungen erlägen, wie sie bei Churchill zum Ausdruck kommt. Solche Vorstellungen wurden von den antikommunistischen Ausschüssen und Senator Joseph McCarthy in Umlauf gebracht.49 Motiviert und massentauglich wurde der militante Antikommunismus wohl auch durch verunsichernde gesellschaftliche Veränderungen in den USA.

Die nach dem Krieg erneuerte Kampagne richtete sich nicht nur gegen Kommunisten, von denen man glaubte, sie unterzögen andere einer Gehirnwäsche, sondern auch gegen Liberale, Feministinnen (und Feministen) und demokratische Sozialisten. Richard M. Fried urteilte: »Beset by Cold War anxieties, Americans developed an obsession with domestic communism that outran the actual threat and gnawed at the tissue of civil liberties.«50 Der Zeitgenosse Richard Hofstadter sprach, noch deutlicher, von einer »atmosphere of fervent malice and humorless imbecility stirred up by McCarthy’s barrage of accusations«.51 Einige der Betroffenen hatten zwar mit sozialistischen Ideen geliebäugelt und Einzelne konnten in den 1950er-Jahren als kommunistische Spione enttarnt werden, die meisten waren aber keine Kommunisten, wie Hofstadter betont:

The real function of the Great Inquisition of the 1950’s was not anything so simply rational as to turn up spies or prevent espionage (for which the police agencies presumably are adequate) or even to expose actual Communists, but to discharge resentments and frustrations, to punish, to satisfy enmities whose roots lay elsewhere than in the Communist issue itself. […] Had the Great Inquisition been directed only against Communists, it would have tried to be more precise and discriminating in its search for them: in fact its leading practitioners seemed to care little for the difference between a Communist and a unicorn. […] The inquisition were trying to give satisfaction against liberals, New Dealers, reformers, internationalists, intellectuals, and finally even against a Republican administration that failed to reverse liberal policies.52

Der militante Antikommunismus, der vorgeblich die amerikanischen Freiheiten gegen die kommunistische Subversion verteidigte, wurde instrumentalisiert, um als »Fellow Traveler« bezeichnete Menschen aus der Bürokratie und dem öffentlichen Leben zu entfernen und sie aus dem politischen Leben auszuschließen. Mit ihnen sollte ihre Gedankenwelt als »unamerikanisch« gebrandmarkt werden. Dabei wurde von der Technik Gebrauch gemacht, frühere Mitgliedschaften in der Kommunistischen Partei oder in sogenannten Front- oder Tarnorganisationen, zu denen jetzt zahlreiche liberale Gruppierungen und Friedenskreise gerechnet wurden, zu kriminalisieren. Verbindungen irgendwelcher Art zu Kommunisten oder solchen, die dafür galten, wurden gefährlich. Die Weigerung, gegenüber den Senatsausschüssen Freunde, Kollegen und Verwandte zu denunzieren, führte zu Gefängnisstrafen.53 Dabei bildete sich in den Vernehmungen der zahllosen Komitees und Überprüfungsausschüsse ein Muster heraus, das aus den Ketzerverfolgungen des Mittelalters und der Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit bekannt ist. Durch den Zwang, Mitverschworene zu benennen, um sich selbst vom Verdacht zu reinigen, entstanden regelrechte Denunziationsketten, die eine Ausweitung der Verfolgung bewirkten und den Anschein eines klandestinen Netzes von amerikafeindlichen und moskauhörigen Abtrünnigen verstärkte.54 Bloßer Kontakt konnte einen Verdacht begründen und angesichts der aufgeheizten Stimmung Schuld generieren (»guilty by association«). Erst Mitte der 1950er-Jahre – die Republikaner stellten mittlerweile den Präsidenten, weshalb sie diese Waffe gegen die Demokraten nicht mehr benötigten, und McCarthy hatte mit seinen Angriffen auf das Militär den Bogen überspannt – ist ein Abklingen der Kampagne zu verzeichnen.55

In Westdeutschland hatte die Auseinandersetzung um den Kommunismus einerseits noch Anklänge an den antibolschewistischen Impetus der Nationalsozialisten.56 Sie war andererseits geprägt durch die Erfahrung der Teilung.57 Berichte über die kommunistische Herrschaftspraxis in Ostdeutschland erreichten Westdeutschland direkt, was half, den überkommenen Anti-bolschewismus anschlussfähig zu machen und mit dem Antikommunismus amerikanischer Prägung zu verschmelzen. Um das geteilte Berlin wurde bis zum Mauerbau 1961 eine intensive – und vom Osten auch offensive – Auseinandersetzung geführt, bei der nicht immer deutlich war, wie sie ausgehen würde. Die SED, die in Ostdeutschland mit sowjetischer Hilfe eine Diktatur errichtet hatte, musste jedoch einsehen, dass ihr Einfluss in Westdeutschland gering blieb.58 Nachdem den Machthabern in der DDR, die bis zu deren Untergang unter einem Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Bundesrepublik litten und gleichzeitig ein übersteigertes Machtgefühl kultivierten, ihre mangelnde Mobilisierungsfähigkeit in Westdeutschland bewusst geworden war, begannen sie einen intensiven Propagandakrieg, in dem der Osten Bonn vorwarf, die NS-Eliten rehabilitiert zu haben und damit die alten Staatszwecke gleich mit, woraufhin der Westen konterte, die SED habe ein ebenso totalitäres Staatskonzept etabliert wie die Nationalsozialisten. In der Bundesrepublik gab es bis zu ihrem Verbot 1956 eine kommunistische Partei, die wegen der Teilung Deutschlands, des wachsenden Wohlstands in Westdeutschland und ihrer stalinistischen Ausrichtung schnell an Einfluss und Mobilisierungsfähigkeit einbüßte, deren Leitung aber grundsätzlich gewillt war, der Politik ihre Förderer in Ostberlin und Moskau zu folgen. Trotz des engen Schulterschlusses mit ihren östlichen Partnern und ihres gelegentlich verbalradikalen Auftretens ging von der KPD, die schnell an Mitgliedern, Wählerstimmen und politischem Einfluss verlor, jedoch keine ernste Bedrohung für die politische Ordnung der Bundesrepublik aus.59

Die Perzeption einer kommunistischen Bedrohung trug erheblich dazu bei, dass im Nachkriegsdeutschland ein regelrechter Sumpf aus mittleren, kleinen und kleinsten Nachrichtendiensten entstehen konnte, in dem alle möglichen Informationen an eine Vielzahl von Interessenten verkauft wurden.60 Das hat auch mit der unklaren politischen Situation zu tun. Niemand in Deutschland wusste so recht, wie es mit dem eigenen Land weitergehen würde, und niemand konnte vorhersehen, wie sich die Beziehungen zwischen den Alliierten entwickeln würden. Diese dagegen suchten nach Informationen, die es ihnen erlaubten, die Deutschen und die eigenen Bündnispartner besser einzuschätzen.61 Deshalb gab es viele Akteure auf der politischen Bühne, die an Insiderinformationen der anderen interessiert waren. Da gab es die Leiter der neuen bürgerlichen Parteien, die sich, anders als Sozialdemokraten und Kommunisten, ein Parteivolk erst noch suchen mussten. Da gab es diejenigen, die daran dachten, möglichst schnell ein Viertes Reich zu errichten, das dem Dritten möglichst ähnlich sein sollte. Da gab es die Besatzungsbehörden aller Ebenen, die sich einen Überblick verschaffen und eigene Interessen durchsetzen wollten. Auf der anderen Seite fanden sich reichlich Männer aus den deutschen Nachrichtendiensten, die, teils unter ihren richtigen Namen, teils unter Pseudonymen, entweder beschäftigungslos herumsaßen oder nach einer Blitzkarriere in den Sicherheitsbehörden des Dritten Reichs sich nun als Waldarbeiter verdingen mussten. Es gab eine erhebliche Nachfrage, auf die diese Leute reagierten, wenn sie mit Nachrichten handeln wollten. Die Organisation Gehlen war sicherlich die größte Organisation, die in dieser Situation entstand, hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung und ihrer Kompetenz hat sie sich zunächst aber nur wenig von den anderen unterschieden, die sich ebenfalls aus ehemaligen Abwehroffizieren, SD-Agenten, Gestapobeamten, Offizieren und sonstigen »Fachleuten« zusammensetzten.

Die Darstellung der Bestrebungen der Organisation Gehlen, die Rote Kapelle und ihre Mitglieder in der Nachkriegszeit zu identifizieren, beruht im Wesentlichen auf Material aus dem Archiv des BND. Dort haben sich Schriftdokumente über diesen Aspekt ihrer Tätigkeit in erheblichem Ausmaß erhalten, ausnahmsweise sogar in relativ geschlossener Überlieferung. Ergänzt wurden diese Quellen durch nach dem War Crimes Disclosure Act freigegebene Dokumente der CIA, die teilweise in den National Archives in Washington eingesehen und zu einem Teil von einer speziellen Internetseite der CIA heruntergeladen wurden, die dieser Dienst jüngst als Zugang zu ihren Dokumenten freigeschaltet hat und Kopien derselben Dokumente bietet, die in den Archiven lagern. Außerdem wurden in den National Archives Unterlagen des CIC gesichtet. Schließlich konnte die Quellengrundlage durch mittlerweile freigegebene Überlieferungen des britischen Security Service, auch MI 5 genannt, und MfS-Unterlagen vervollständigt werden.

Die Forschung zum Widerstand der Roten Kapelle war lange Zeit von der Diskussion der 1950er-Jahre geprägt. Mit Beginn des Kalten Krieges sei, so Johannes Tuchel, das Bild »der tatsächlichen Widerstandsaktivität« der Roten Kapelle »bis zur Unkenntlichkeit« verschwommen.62 Jürgen Danyel betont, dass ihre Wahrnehmung in der unmittelbaren Nachkriegszeit von derjenigen der nationalsozialistischen Verfolgungsinstanzen dominiert wurde.63 Die Deutung der Gestapo konnte überdauern, weil sie bei verantwortlichen Instanzen der jungen Bundesrepublik für glaubwürdiger gehalten wurde als die Darstellung der Verfolgten. Die Gestapoversion wurde von einer Gruppe von Autoren in den frühen 1950er-Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung durchgesetzt, die mehrheitlich ein persönliches Interesse an einem negativen Bild des Widerstands hatten, weil sie den nationalsozialistischen Verfolgungsinstanzen angehört hatten und sich reinwaschen wollten. Andere Autoren waren zweifelhafte Experten, die sich schnelles Geld durch Presseveröffentlichungen versprachen und Fachkenntnis beweisen wollten, um sich einen Platz in den entstehenden Sicherheitsbehörden zu sichern. Andere diffamierten den Widerstand in der Hoffnung, nationalsozialistisches Gedankengut wieder akzeptabel zu machen. Schließlich gab es einige, die angesichts der Geheimnisse – und der Geheimnistuerei – mit denen die Geheimdienste sich umgaben, und des Dunkels, in das viele Aspekte der jüngsten nationalsozialistischen Vergangenheit noch getaucht waren, den verbreiteten Legenden Glauben schenkten und sich dem Erregungspotenzial des durch die Medien geschaffenen Bildes nicht entziehen konnten.

Es war auch wenig dienlich, dass Angehörige dieser Widerstandsgruppen in der Sowjetunion und in der DDR mit einem gewissen zeitlichen Abstand zu Helden eines kommunistischen Widerstands verklärt und dabei wenig wahrheitsgetreu die enge Zusammenarbeit mit den sowjetischen »Freunden« betont wurde. In den 1950er-Jahren waren die Zusammenhänge noch realitätsnäher dargestellt worden.64 Seit Mitte der 1960er-Jahre wurde dieser Teil des Widerstands – unter tatkräftiger Mitwirkung des MfS – auch im Osten gleichermaßen und mit ähnlichen Akzenten seines historischen Kontextes entkleidet.65 Zu dieser Neuinterpretation haben einige der Akteure des Widerstands, die ihre politische Heimat zeitweilig im Osten fanden, selbst beigetragen. So fabulierte Greta Kuckhoff Anfang der 1970er-Jahre, dass die Entstehung des Widerstandszusammenhangs auf einen Auftrag der KPD zurückginge, eine Einheitsfront gegen den Faschismus zu schaffen. Zudem stellte sie eine enge Verbindung zu kommunistischen Kreisen heraus und passte sich dabei dem Politjargon der SED mehr als nötig an.66 Selbst Leopold Trepper, der von der Einheit aller gegen den Nationalsozialismus gerichteten Bewegungen überzeugt blieb, war nach neun Jahren Haft in der Lubjanka und antisemitischer Verfolgung in Polen noch Parteisoldat genug, um entsprechende Passagen in seine Anfang der 1970er-Jahre publizierte Autobiographie aufzunehmen. Allerdings hat er nicht behauptet, der deutsche Widerstand sei ein integraler Bestandteil seiner Organisation gewesen.67 So arbeiteten Ost und West unter dem Vorzeichen des Kalten Krieges nicht gemeinsam, aber parallel und mit ähnlichen ideologischen Scheuklappen versehen, an einem Bild, das mit der historischen Realität wenig zu tun hatte.68 Peter Steinbach hat dies »eine schwer zu erschütternde Gemeinsamkeit« genannt, die dem »Zerrbild dieser Gruppe« eine lange Lebensdauer beschert habe.69

Erst mit dem Ende des Kalten Krieges setzte das Bemühen ein, den als sowjetischen Agenten diffamierten Widerstandskämpfern, die als Werkzeuge Moskaus dargestellt wurden, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Peter Steinbach und Johannes Tuchel haben sich um eine fundierte Aufarbeitung bemüht, wobei sie von Verwandten der hingerichteten Oppositionellen unterstützt wurden. Hier sind vor allem Hans Coppi, Stefan Roloff und der DDRHistoriker Heinrich Scheel zu nennen, der wegen seiner Widerstandshaltung selbst Zuchthaus und das KZ im emsländischen Moor durchleben musste. In den letzten Jahren sind zahlreiche Biografien zu einzelnen Akteuren vorgelegt worden. Eine fundierte Gesamtdarstellung steht jedoch nach wie vor aus.70 Im Umfeld der Gedenkstätte Deutscher Widerstand sind allerdings zwei Sammelbände entstanden, die erste Schneisen schlugen.71 Hans Coppi hat einen instruktiven Überblick zur Quellenlage und zum Forschungsstand vorgelegt.72 Hans Mommsen schließlich hat deutlich gemacht, dass die Spionagetätigkeit und die Steuerung durch Moskau Mythen waren.73

Zu den sowjetischen Spionagenetzen in Westeuropa muss immer noch auf die Autobiografien der Akteure zurückgegriffen werden.74 Für Frankreich liegt das kolportagehafte Buch von Gilles Perrault vor, der umfangreich in Zeitungsarchiven recherchiert und überlebende Zeitzeugen befragt hat, diesen jedoch zu sehr folgt und die eigene Recherche stark inszeniert. Auch Perrault fiel auf die kursierenden Geschichten von aus Berlin funkenden sowjetischen Agenten herein, was nicht verwunderlich ist, weil zu seinen Gewährsleuten Männer wie Wilhelm F. Flicke und Harry Piepe gehören, die aus dem Herumerzählen dieser Geschichte symbolisches und finanzielles Kapital schlugen. Selbst die Gestapomitarbeiter Heinrich Reiser und Heinz Pannwitz, von denen Perrault wusste, dass sie an Folterungen verantwortlich beteiligt gewesen waren, hofiert er als Zeitzeugen.75 Unentwirrbar stehen bei ihm Legende, Lüge und Nachricht nebeneinander. Schließlich gibt es noch die kurze Darstellung bei Coppi.76 Zudem liegt jetzt die auf breiter Quellenbasis gearbeitete Darstellung von Guillaume Bourgeois vor, der sich darauf konzentriert, die Darstellung von Trepper zu widerlegen und dessen Rolle neu zu justieren.77

Hinsichtlich der Operationen westlicher Nachrichtendienste gegen die Rote Kapelle in der Nachkriegszeit betritt diese Studie weitgehend Neuland. Sie werden gelegentlich bereits in den genannten Studien zum Widerstand in Deutschland erwähnt. Norman Goda hat in einem kurzen Kapitel die Tätigkeit amerikanischer Geheimdienste in diesem Bereich beschrieben, Constantin Goschler und Michael Wala die Aktivitäten des Bundesamts für Verfassungsschutz. Kürzlich haben Jean-Marc Berlière und Franck Liaigre ein Buch vorgelegt, in dem sie die Situation im Nachkriegsfrankreich beleuchten.78

Zur formalen Gestaltung des Textes sei gesagt, dass Quellenzitate unverändert übernommen wurden, nur eine vorsichtige Anpassung an die neue Rechtschreibung wurde vorgenommen. Die Angewohnheit von Autoren des BND, Namen in Versalien zu schreiben, wurde wegen der besseren Lesbarkeit nicht übernommen. Die Bezeichnung der Diensteinheiten der Organisation Gehlen und des BND, die auch im internen Schriftverkehr mit Kryptonymen getarnt waren, wurde so weit als möglich aufgelöst und die Schreibweise der Tarnbezeichnungen vereinheitlicht.

Das Buch ist entstanden im Zusammenhang mit der Unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des BND und verdankt allen Kollegen aus diesem Projekt sehr viel. Das gilt in besonderem Maß für die Berliner Arbeitsgruppe, ohne deren Unterstützung und ohne den intensiven Austausch es so nicht hätte geschrieben werden können. Ronny Heidenreich hat mich auf den Sessler-Komplex und andere wesentliche Aspekte hingewiesen, er und Thomas Wolf haben mich in großem Umfang von ihrer Quellen- und Sachkenntnis profitieren lassen, wofür ich den Berliner Kollegen großen Dank schulde.

1 Eric Ambler: Das Interkom-Komplott, Zürich 1970, S. 46–47.

2 Zu Globke siehe Jürgen Bevers: Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Politik, Berlin 2009; Erik Lommatzsch: Hans Globke (1898–1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers, Frankfurt 2009.

3 Critchfield (COB Pullach) an Chief EE, 29. 9. 1954, CIA–ERR, Globke. Zur Überprüfung Globkes durch die CIA siehe Bevers, Mann hinter Adenauer, S. 113.

4 Zur Instrumentalisierung Gehlens und seines Dienstes siehe Klaus-Dietmar Henke: Der Auslandsnachrichtendienst in der Innenpolitik: Umrisse; in: Die Geschichte der Organisation Gehlen und des BND 1945–1968: Umrisse und Einblicke. Dokumentation der Tagung am 2. Dezember 2013, hg. von der UHK, Marburg 2014 (UHK/BND, Studien 2), S. 90–98. Der Autor arbeitet an einer Studie zur Symbiose zwischen Globke und Gehlen.

5 Mit den Worten Günther Nollaus lautet die Frage: »Wie kam es, dass der Gehlensche BND immer wieder Nachrichten produzierte, die geeignet waren, den Antikommunismus anzuheizen?« Günther Nollau: Das Amt. 50 Jahre Zeuge der Geschichte, München 1978, S. 198.

6 Siehe Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 32012; Lutz Hachmeister: Die Rolle des SD-Personals in der Nachkriegszeit; in: Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS, hg. von Michael Wildt, Hamburg 2003, S. 347–369; Dominik Rigoll: Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013; siehe auch Axel Schildt: Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit der Nachkriegszeit; in: Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, hg. von Wilfried Loth und Bernd-A. Rusinek, Frankfurt 1998, S. 19–54; Robert G. Moeller: Remembering the War in a Nation of Victims: West German Pasts in the 1950s; in: The Miracle Years. A Cultural History of West Germany, 1949–1968, hg. von Hanna Schissler, Princeton 2000, S. 83–109. Siehe die prägnante Formulierung bei Ulrich Herbert: Liberalisierung als Lernprozess; in: Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, hg. von Ulrich Herbert, Göttingen 2002, S. 7–49, hier S. 16–17. Siehe die instruktive Passage bei Josef Foschepoth: Staatsschutz und Grundrechte in der Adenauerzeit; in: Geheimschutz transparent? Verschlussachen in staatlichen Archiven, hg. von Jens Niederhut und Uwe Zuber, Essen 2010, S. 27–58, hier S. 34–40.

7 Clemens Vollnhals (Hg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949, München 1991, S. 8.

8 Klaus-Dietmar Henke: Die Trennung vom Nationalsozialismus. Selbstzerstörung, politische Säuberung, Entnazifizierung, Strafverfolgung; in: Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, hg. von Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller, München 1991, S. 21–83, hier S. 21–23. Ähnlich Cornelia Rauh-Kühne: Wer spät kam, den belohnte das Leben: Entnazifizierung im Kalten Krieg; in: Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990. Ein Handbuch, Bd. 1, hg. von Detlef Junker et al., Stuttgart 2001, S. 113–123.

9 Lutz Niethammer: Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung, Frankfurt 1972, die zweite Auflage erschien 1982 unter dem Titel »Die Mitläuferfabrik«; Vollnhals, Entnazifizierung, S. 8–42; Henke, Trennung, S. 35–49. Zur britischen Zone insbesondere Heiner Wember: Umerziehung im Lager. Internierung und Bestrafung von Nationalsozialisten in der britischen Besatzungszone Deutschlands 1948–1953, Düsseldorf 1988, zu den Spruchgerichtsverfahren, einer Besonderheit der britischen Zone, ibid., S. 276–357, und Sebastian Römer: Mitglieder verbrecherischer Organisationen nach 1945. Die Ahndung des Organisationsverbrechens in der britischen Zone durch die Spruchgerichte, Frankfurt 2005; zum Sonderfall Württemberg-Hohenzollern Klaus-Dietmar Henke: Politische Säuberung unter französischer Besatzung. Die Entnazifizierung in Württemberg-Hohenzollern, Stuttgart 1981.

10 Henke, Trennung, S. 32–34; Ulrich Herbert: NS-Eliten in der Bundesrepublik; in: Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, hg. von Wilfried Loth und Bernd-A. Rusinek, Frankfurt 1998, S. 93–115, hier S. 99–100.

11 Niethammer, Entnazifizierung, S. 654; Henke, Politische Säuberung, S. 195; Vollnhals, Entnazifizierung, S. 55–64; Henke, Trennung, S. 34–36, 47–54; Herbert, NS-Eliten, S. 102; Hans Hesse: Konstruktionen der Unschuld. Die Entnazifizierung am Beispiel von Bremen und Bremerhaven, 1945–1953, Bremen 2005, S. 482.

12 Tom Bower: Blind Eye to Murder. Britain, America and the Purging of Nazi Germany – A Pledge Betrayed, London 21995.

13 Henke, Trennung, S. 69–74; Annette Weinke: Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949–1969 oder: eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn 2002, S. 24–47; Henke, ibid., S. 74–75, gibt an, dass von 150 000 in den alliierten Verzeichnissen gelisteten Verdächtigen 50–60 000 verurteilt worden sind.

14 Herbert, NS-Eliten, S. 100; siehe die Zahlen bei Frei, Vergangenheitspolitik, S. 100.

15 Frei, Vergangenheitspolitik, S. 133–163; Weinke, Verfolgung, S. 50–62. Zu Achenbach siehe Bernhard Brunner: Der Frankreich-Komplex. Die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2004, S. 43–44, 197–202, 280–282; zu Best Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 1996.

16 Hachmeister, Rolle des SD-Personals, S. 368. Ob der Kalte Krieg solche Konstellationen begünstigte oder durch sie nicht wesentlich erst seine Ausprägung erhielt, mag in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. Zum Bündnis zwischen den alten (nationalsozialistischen) und neuen (konservativ-bürgerlichen) Eliten jetzt Rigoll, Staatsschutz, S. 14–176, 461–465.

17 Thomas A. Schwartz: Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher. John McCloy und die Häftlinge von Landsberg, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 28 (1990) 3, S. 375–414, hier S. 382, 394–396.

18 Josef Foschepoth: Zur deutschen Reaktion auf Niederlage und Besatzung; in: Westdeutschland 1945–1955. Unterwerfung, Kontrolle, Integration, hg. von Ludolf Herbst, München 1986, S. 151–165.

19 Frei, Vergangenheitspolitik, S. 25–69; Claudia Moisel: Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher. Politik und Praxis der Strafverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2004, S. 128–147; siehe BGBl. I, 1949, S. 37–38. 1954 folgte ein zweites Amnestiegesetz, das seit 1952 vorbereitet worden war; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 101–131, insbesondere S. 126; in diesem Gesetz wurde auch die Frist für die unter falscher Identität lebenden Illegalen für die Bereinigung ihres Zivilstands bis Ende 1954 verlängert.

20 Schildt, Umgang, S. 34–44. Frei, Vergangenheitspolitik, S. 100, schreibt, Anfang der 1950er-Jahre habe die Anstrengungen zur Strafverfolgung in der Bundesrepublik »auffallend rasch und drastisch« nachgelassen. Zu personellen Kontinuitäten in der Justiz siehe Hubert Rottleuthner: Karrieren und Kontinuitäten deutscher Justizjuristen vor und nach 1945, Berlin 2010; Rigoll, Staatsschutz, S. 14–15, 22–26.

21 Henke, Trennung, S. 53–54; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 87–88; Hermann-Josef Rupieper: Die Wurzeln der westdeutschen Nachkriegsdemokratie. Der amerikanische Beitrag 1945–1952, Opladen 1993, S. 49–54.

22 Rigoll, Staatsschutz, S. 49–51, 64–65, 67–68; siehe Udo Wengst: Beamtentum zwischen Reform und Tradition. Beamtengesetzgebung in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1948–1953, Düsseldorf 1988, S. 21–34, 49–58, 108–139, 303; Rupieper, Wurzeln, S. 175–199. Adenauer und mehrere CDU-Abgeordnete hatten gegenüber der Hohen Kommission mehrfach darauf hingewiesen, dass das Beamtengesetz von 1937 eigentlich nicht nationalsozialistisch sei und nur »einiger nazistischer Verputz abzuräumen« sei; Wengst, Beamtentum, S. 133, 135.

23 Wengst, Beamtentum, S. 58–65, 152–162, 171–222; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 69–83; Frank Liebert: »Die Dinge müssen zur Ruhe kommen«. Politische »Säuberung« in der niedersächsischen Polizei 1945–1951; in: Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ost- und Westdeutschland 1945–1969, hg. von Gerhard Fürmetz, Herbert Reinke und Klaus Weinhauer, Hamburg 2000, S. 71–103, hier S. 96–97; Annette Weinke: Demokratisierung durch Institutionen? Der personelle Aufbau der Bundesbehörden nach 1949 und die »Organisation Gehlen«, Beitrag zur Tagung: Ethik der Nachrichtendienste in der Demokratie, Bad Boll, 28. – 30. 10. 2011.

24 Wengst, Beamtentum, S. 309. Wengst, ibid., S. 314, wertet die auf Integration der alten Eliten abgestellte Beamtengesetzgebung der frühen Bundesrepublik »insoweit als Erfolg […], als es ihr gelungen ist, die Loyalität dieser Personengruppe zum neuen Staat zu gewinnen und ihre Mitarbeit zu sichern«.

25 Schildt, Umgang, S. 34–44; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 234–306, zur im Rahmen der Vorbereitung des Generalvertrags in den Jahren 1951 und 1952 stattfindenden Diskussionen und Verhandlungen um die in Landsberg, Spandau, Werl und Wittich sowie im Ausland einsitzenden verurteilten Verbrecher.

26 Frei, Vergangenheitspolitik, S. 76–78, 194–233.

27 Schwartz, Begnadigung, S. 394.

28 Ibid., S. 377; siehe auch Frank M. Buscher: The U. S. War Crimes Trial Program in Germany, 1946–1955, New York 1989; Gotthard Jasper: Wiedergutmachung und Westintegration. Die halbherzige justizielle Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der frühen Bundesrepublik; in: Westdeutschland 1945–1955, hg. von Ludolf Herbst, München 1986, S. 183–203.

29 Claudia Fröhlich: »Wider die Tabuisierung des Ungehorsams«. Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Frankfurt 2005, S. 55. Siehe Joachim Perels: Der Umgang mit Tätern und Widerstandskämpfern nach 1945, Kritische Justiz 30 (1997), S. 357–374, hier S. 360: »Mit Beginn der 1950-Jahre geraten die Positionen der Nachkriegsperiode – die Ahndung von Staatsverbrechen und die Anerkennung der Legitimität des Widerstands – ins Wanken.«

30 Siehe Norbert Frei: Erinnerungskampf. Zur Legitimationsproblematik des 20. Juli 1944 im Nachkriegsdeutschland; in: Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Christian Jansen, Berlin 1995, S. 493–504; Jan Eckel: Intellektuelle Transformationen im Spiegel der Widerstandsdeutungen; in: Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, hg. von Ulrich Herbert, Göttingen 2002, S. 140–178.

31 Es ist dieser sich langsam im öffentlichen Raum Anerkennung verschaffende Umschwung, der beispielsweise dazu führte, das Erscheinen eines Romans wie Der Überläufer von Siegfried Lenz, der eine andere Geschichtsdeutung nahegelegt hätte, zu verhindern. Der affirmative Bezug auf die Volksgemeinschaft zeigt sich, wenn der Lektor Otto Görner, früher Mitglied der SS, an Lenz schrieb, der Roman sei mit dem »Odium der handgreiflichen Treulosigkeit gegen die Heimat« behaftet und sein Protagonist offenbare »ein mangelndes Verantwortungsgefühl für das Schicksal der Gemeinschaft«, weshalb der Roman nicht publiziert werden könne. Volker Weidermann, Spiegel 9/2016 vom 27.2., S. 116–119; siehe Friedmar Apel, FAZ, 3. 3. 2016.

32 Rigoll, Staatsschutz, S. 14–27. »Die Funktion des regierungsamtlichen Antikommunismus bestand aber wesentlich darin, das außerhalb des stalinistischen Herrschaftsmodells angesiedelte Denken in Kategorien gesellschaftlicher und staatlicher Diskontinuität gegenüber dem Dritten Reich, das amerikanische Deutschlandplaner, Gruppen des politischen Widerstands, linke Christdemokraten und die Sozialdemokratie entwickelt hatten, zu blockieren.« Perels, Umgang, S. 360.

33 Rigoll, Staatsschutz, S. 176, spricht in Bezug auf die Sicherheitsbehörden von »Zusammenhang zwischen personeller Restauration und innerer Sicherheitspolitik«.

34 Wentker spricht von einem »schichten- und parteienübergreifendem Bindemittel«; Hermann Wentker: Antikommunismus in der frühen Bonner Republik. Dimensionen eines zentralen Elements politischer Kultur im Ost-West-Konflikt; in: »Geistige Gefahr und Immunisierung der Gesellschaft«. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, hg. von Stefan Creuzberger und Dierk Hoffmann, München 2014, S. 355–369, hier S. 356.

35 Bernd Stöver: Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische »Liberation Policy« im Kalten Krieg 1947–1991, Köln 2002, S. 51–54.

36 Mark Kramer: Stalin, Soviet Policy, and the Establishment of a Communist Bloc in Eastern Europe, 1941–1949; in: Imposing, Maintaining, and Tearing Open the Iron Curtain The Cold War and East-Central Europe, 1945–1989, hg. von Mark Kramer und Vit Smetana, Lanham (Maryland) 2014, S. 3–37; und am Beispiel der US-Regierung Michael F. Hopkins: The United States and Eastern Europe, 1943–1948, ibid., S. 39–54.

37 Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945–1955, Bonn 51991; Jan Foitzik: Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945–1949. Struktur und Funktion, Berlin 1999; Klaus-Dietmar Henke: Die Trennung vom Westen. Der Zusammenbruch der Anti-Hitler-Allianz und die Weichenstellung für die kommunistische Diktaturdurchsetzung in Ostdeutschland; in: Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945–1952, hg. von Rainer Behring und Mike Schmeitzner, Köln 2003, S. 413–458; Ruud Van Dijk: Den Frieden gewinnen: Die USA, Westdeutschland und die Ambivalenzen der doppelten Eindämmung 1945–1950; in: Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990. Ein Handbuch, Bd. 1, hg. von Detlef Junker et al., Stuttgart 2001, S. 132–142; Thomas Großbölting und Hans-Ulrich Thamer (Hg.): Die Errichtung der Diktatur. Transformationsprozesse in der Sowjetischen Besatzungszone und in der frühen DDR, Münster 2003; William Stivers: Was Sovietization Inevitable? U.S. Intelligence Perceptions of Internal Developments in the Soviet Zone of Occupation in Germany, Journal of Intelligence History, 5 (2005) 1, S. 45–70; Hans-Peter Schwarz: The division of Germany, 1945–1949; in: The Cambrigde History of the Cold War, hg. von Melvyn P. Leffler und Odd Arne Westad, Cambridge 2010, Bd. 1, S. 133–153. Zur amerikanischen Wahrnehmung der sowjetischen Deutschlandpolitik siehe Walter Imle: Zwischen Vorbehalt und Erfordernis. Eine historische Studie zur Entstehung des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes nach 1945, München 1984, S. 72–79; William Stivers: Amerikanische Sichten auf die Sowjetisierung Ostdeutschlands, 1945–1949; in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit in der SBZ/DDR (1945–1953), hg. von Michael Lemke, Köln 1999, S. 275–304.

38 Für die Haltung der US-Regierung gegenüber der Sowjetunion seit 1917 noch immer von Interesse ist Hans-Jürgen Schröder: Von der Anerkennung zum Kalten Krieg. Die USA und die Sowjetunion 1933–1947; in: Der Westen und die Sowjetunion: Einstellungen und Politik gegenüber der UdSSR in Europa und in den USA seit 1917, hg. von Gottfried Niedhart, Paderborn 1983, S. 177–204.

39 Siehe Philipp Sarasin: Die Grenze des »Abendlandes« als Diskursmuster im Kalten Krieg; in: Das Imaginäre des Kalten Krieges. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Ost-West-Konfliktes in Europa, hg. von David Eugster und Sibylle Marti, Essen 2015, S. 19–43, hier S. 25–26.

40 »Bereits in der frühen Phase der Bundesrepublik setzte eine starke antikommunistische Politisierung des Staates von oben ein. […] Die KPD galt als Ableger der SED und ›fünfte Kolonne Moskaus‹.« Foschepoth, Staatsschutz, S. 36. Patrick Major formuliert, ein blinder Fleck des Antikommunismus sei seine »inability« gewesen, »to differentiate between an external and an internal threat«. Patrick Major: The Death of the KPD. Communism and Anti-Communism in West Germany, 1945–1956, Oxford 1997, S. 299.

41 John E. Haynes und Harvey Klehr: Venona. Decoding Soviet Espionage in America, New Haven 1999.

42 Wolfgang Krieger: Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur CIA, München 22010, S. 278–282.

43 Stefan Creuzberger: Kampf gegen den inneren Feind. Das gesamtdeutsche Ministerium und der staatlich gelenkte Antikommunismus in der Bundesrepublik Deutschland; in: »Geistige Gefahr« und »Immunisierung der Gesellschaft«. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, hg. von Stefan Creuzberger und Dierk Hoffmann, München 2014, S. 87–109, hier S. 94. Major, Death of the KPD, S. 298, formuliert in Bezug auf Deutschland, dass »the alarmism evinced by Whitehall and Washington seems misdirected and indeed misleading. A revival of pro-fascist sentiment was far more evident«.

44 Owen Lattimore, den McCarthy als sowjetischen Hauptagenten denunziert hatte, beschrieb das Phänomen: »McCarthyismus behauptet beständig, emotional und in drohender Haltung, dass eine unabhängig denkende Person gefährlich und mit einem bösen Zweck denkt.« Zitiert nach Thomas Mergel: »The Enemy in Our Midst«. Antikommunismus und Amerikanismus in der Ära McCarthy, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003) 3, S. 237–258, hier S. 242. Schon das BfV dankte seine Gründung vor allem der Furcht vor kommunistischer Unterwanderung; Imle, Vorbehalt, insbesondere S. 98–109. Zum Phänomen kollektiver Angst im Kontext von »moral panics« während des Kalten Krieges siehe Bernd Greiner: Antikommunismus, Angst und Kalter Krieg. Eine erneute Annäherung; in: »Geistige Gefahr« und »Immunisierung der Gesellschaft«. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, hg. von Stefan Creuzberger und Dierk Hoffmann, München 2014, S. 29–41.

45 Siehe Gerhard Sälter: Gerüchte als subversives Medium: Das Gespenst der öffentlichen Meinung und die Pariser Polizei am Anfang des 18. Jahrhunderts, Werkstatt Geschichte Nr. 15 (1996), S. 11–19.

46 Hermann Weber: Schauprozeßvorbereitungen in der DDR; in: Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936–1953, hg. von Hermann Weber und Ulrich Mählert, Paderborn 22001, S. 459–486. Zu den Schauprozessen in der DDR zuletzt Gerhard Sälter: Interne Schauprozesse. Über exemplarisches Strafen und seine politische Instrumentalisierung in der Strafjustiz der DDR in den fünfziger Jahren; in: Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus. Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert, hg. von Karl Härter et al., Frankfurt 2012, S. 321–351.

47 Siehe Andreas Wirsching: Antikommunismus als Querschnittsphänomen politischer Kultur, 1917–1945; in: »Geistige Gefahr« und »Immunisierung der Gesellschaft«. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, hg. von Stefan Creuzberger und Dierk Hoffmann, München 2014, S. 15–28.

48 Regin Schmidt: Red Scare: FBI and the Origins of Anticommunism in the United States, 1919–1943, Kopenhagen 2000; Landon R.Y. Storrs: The Second Red Scare and the Unmaking of the New Deal Left, Princeton 2013. Wie sich mit dieser Form von Antikommunismus Geschäfte machen ließen, beschreibt Jim Thompson (Recoil, 1953).

49 Stöver, Befreiung, S. 76–79.

50 Richard M. Fried: Nightmare in Red. The McCarthy Era in Perspective, Oxford 1990, S. 3.

51 Richard Hofstadter: Anti-Intellectualism in American Life, New York 1963, S. 3.

52 Hofstadter, Anti-Intellectualism, S. 41.

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