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Abgeschoben nach Rügen in eine Edelresidenz für reiche Pensionäre muss sich Thom Hansen in der Krise seines Lebens den knallharten Angriffen eines russischen Auftragskillers erwehren. Der Vater seiner Schwiegertochter will nach Thoms Tod über seine Tochter an den Inhalt seines Bankschließfaches kommen. Gleichzeitig trifft Thom nach 45 Jahren eine Freundin aus der Studienzeit wieder, die einige Überraschungen für ihn bereit hält.
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Seitenzahl: 554
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Kapitel 1: Ausgemustert
Kapitel 2: Der Rücktritt
Kapitel 3: Familienbande
Kapitel 4: Olaf
Kapitel 5: Das Spiel beginnt
Kapitel 6: Schatten der Vergangenheit
Kapitel 7: Fakten schaffen
Kapitel 8: Juri
Kapitel 9: Entscheidungen
Kapitel 10: Im Visier
Kapitel 11: Profis und Amateure
Kapitel 12: Enthüllungen
Kapitel 13: Trügerische Ruhe
Kapitel 14: Jagdszenen
Kapitel 15: Demaskierung
Kapitel 16: Gewinner und Verlierer
Letzte Tage haben ihre eigenen Gesetze. Sie bewegen sich mit winzigen zähen Schritten auf ein Ereignis oder Ziel zu, das geplant und somit vorhersehbar ist. Trennung, Pensionierung, wichtige Vertragsabschlüsse, Heirat oder Scheidung sind festgelegt und kommen unausweichlich näher.
Thom wollte an seinem letzten Tag in Hamburg noch einmal durch die Räume seiner alten Firma gehen. Ein ganzes Leben lang hatte er sie erfolgreich durch Dick und Dünn gesteuert. Er wollte Abschied nehmen, sentimental sein und Trennungsschmerz fühlen. Erinnerungen mitnehmen.
Das Unternehmen und seine alte Villa an der Elbe gehörten seit einigen Tagen seinem Sohn. Die Notarverträge waren verhandelt und unterschrieben. Alles ging ganz schnell und geschäftsmäßig, unwirklich, atemlos, fast wie in einem Traum. Ein Vorgang, der in Familienbetrieben am Ende eines Lebenszyklus ganz normal ist und im Einzelfall trotzdem schmerzt. Man trennt sich von etwas, das einem über Jahrzehnte ans Herz gewachsen und Mittelpunkt des eigenen Lebens war. Abgeschoben wechselt man in die Bedeutungslosigkeit, Worte haben kein Gewicht mehr.
Thoms Sohn Alfred war ihm beim Treffen in der Kanzlei noch nie so fremd erschienen. Er hatte dessen Blick gesucht, aber schon bei der Begrüßung hielt dieser die Augen gesenkt und schüttelte mit rotem Kopf stumm seine Hand. Nach der Unterzeichnung war ihm zwar die Erleichterung anzusehen, aber immer noch wich Alfred seinem Blick aus. Er hatte ein schlechtes Gewissen.
Den Abschiedsbesuch in seiner alten Firma hatte Thom auf den frühen Samstagabend vor seiner Fahrt nach Rügen gelegt. Normalerweise befand sich außer dem Hausmeister, der ab und zu einen Kontrollgang machte, niemand in der Firmenzentrale. Er würde nicht gestört werden.
Thom Hansen hatte sich von Olaf Wern, seinem langjährigen Fahrer, auf den kleinen Parkplatz hinter dem riesigen alten Lagerhaus fahren lassen. Das Autokennzeichen am Stellplatz Nr. 1 vor dem Haupteingang war unmittelbar nach der Vertragsunterzeichnung durch den Hausmeister entfernt worden. Stattdessen befand sich jetzt das Kennzeichen des Wagens seines Sohnes dort. Doppelt so groß und doppelt so wichtig wie sein altes. Schnell Fakten schaffen, Schlussstriche ziehen, sichtbar für Jedermann. Unumkehrbar.
Den Generalschlüssel für alle Eingänge hatte Thom wortlos seinem Sohn Alfred in die Hand gedrückt, als sie die Kanzlei von Rechtsanwalt Wiedmann nach der Unterzeichnung der Verträge verließen. Seine Schwiegertochter Vanessa hatte Alfred dringend darum gebeten.
Den Schlüssel für den Nebeneingang würde er beim Verlassen in den Briefkasten werfen.
Nachdenklich ging er auf das alte, geschichtsträchtige Gebäude mit den wuchtigen Backsteinwänden zu. Bis zu seiner schweren Beschädigung durch Luftangriffe im 2. Weltkrieg diente es erst als Lager für Waren aus Übersee und dann im Krieg, als Lager für kriegswichtige Materialien.
Erst Ende der 50er Jahre war das Gebäude von Thoms Vater mit staatlicher Förderung im alten Stil des 19. Jahrhunderts wiederaufgebaut worden. Heute war es Sitz eines erfolgreichen und leistungsfähigen Handelsunternehmens mit internationalen Geschäftsverbindungen. Fast 100 Mitarbeiter verdienten hier in Hamburg und in den Überseebüros ihren Lebensunterhalt.
Das Licht der tiefstehenden Sonne überzog die alten Ziegel mit einem warmen Rot und wärmte auf dem kurzen Weg zum Hintereingang seinen breiten Rücken. Der Eingang bestand aus einem riesigen und massiven Holztor, durch das bis Mitte der 30er Jahre Pferdefuhrwerke einfahren konnten, um Waren vom Hafen zu bringen oder von hier abzuholen. Es stand, wie auch das gesamte Gebäude, unter Denkmalschutz. Neben dem Tor befand sich eine nüchterne Hintertür aus Panzerglas.
Thom schloss die Glastür mit seinem Schlüssel auf und durchquerte einen schmucklosen Vorraum mit der kleinen Hausmeisterloge. Dann stieg er einige Steinstufen hinauf. Durch eine weitere Tür gelangte er in den langen Flur der Firmenverwaltung. Am Ende des Ganges befand sich seit mehr als 40 Jahren sein Büro, von dem aus er die Geschicke der Firma leitete. Es hatte nach dem Tod seiner Frau hier mehr Zeit verbracht, als in seinem Haus an der Elbe.
Der Geruch nach Holz und Gewürzen begrüßte ihn. Tief sog Thom die Luft durch die Nase ein und schloss kurz die Augen, damit sie sich an das Dämmerlicht gewöhnten. Zum letzten Mal. Morgen würde er Hamburg und damit sein altes Leben hinter sich lassen. So wie es aussah, würde er den Rest seines Lebens auf Rügen, genauer in Sellin, verbringen. Die Wahl des Ortes hatte er seiner klugen Schwiegertochter Vanessa zu verdanken.
Der Flur mit den Türen zu den einzelnen Büros war mit unbehandeltem Edelholz vertäfelt. Er liebte die Wärme der Farbe und oft strichen seine Fingerspitzen über die Maserung der massiven Oberfläche, wenn er zu seinem Büro ging. Das Gebäude lebte, hatte eine Seele und wurde nach Jahren seiner Arbeit eins mit ihm. Bis heute.
Thom betrat sein Büro stets durch eine schmale, fensterlose Tür, die zu einem geräumigen Hinterzimmer führte, das nur spärlich eingerichtet war. Ein Garderobenständer stand rechts von der Tür, eine Schlafcouch, darüber ein kleiner Wandschrank und ein Tisch mit Kaffeemaschine standen an der gegenüberliegenden Wand. Rechts davon war eine mobile Trennwand mit einer Schiebetür für Toilette, Handwaschbecken und eine Duschkabine. Wenn es spät geworden war, konnte er hier schlafen, Wäsche wechseln und sich morgens frisch machen.
Als er die Tür zu seinem Büro öffnete, sie war nicht verschlossen, sondern nur angelehnt, schaute er in den großen Arbeits- und Konferenzraum. Zuerst begriff er nicht, was er sah. Dann erstarrte er. Er registrierte nicht den großen mit warmen Sonnenlicht durchfluteten Raum, in dem ein langer Konferenztisch und Besuchersessel standen. Das riesige Ölportrait seines Vaters auf der gegenüberliegenden Wand, auf das er beim Eintreten immer zuerst schaute, trat völlig in den Hintergrund und verschwamm vor seinen Augen. Sein Blick wurde durch das Geschehen an seinem mächtigen schwarzen Schreibtisch aus Ebenholz gefesselt.
Thom stand regungslos im Türrahmen. Bewegungsunfähig. Sprachlos. Körperlos. Er starrte in den Raum, unfähig zu begreifen, was sich vor seinen Augen abspielte.
Langsam ergoss sich eiskaltes Wasser über Thoms Kopf und Kälte breitet sich in seinem Körper aus. Er spürte weder seine Beine noch seinen Atem. Er hielt die Luft an und wartete darauf, dass sein Herz stehen blieb. Fühlte sich so Sterben an? Hinter seinem alten Schreibtisch saß sein Sohn Alfred mit dem Rücken zu ihm in dem schwarzen Chefsessel. Neben der Tastatur seines PCs lag der geöffnete notarielle Vertrag, plus handschriftliche Notizen daneben.
Thom konnte nur Alfreds Hinterkopf sehen, seinen Arm und seine Hand, die die Armlehne umklammerte. Gebannt hingen Thoms Augen an dem skurrilen Bild, das sich ihm bot. Sein Sohn hatte die Hosen heruntergelassen. Die Schenkel waren gespreizt, dazwischen hockte seine Schwiegertochter Vanessa mit geöffneter Bluse. Ihr Kopf glitt vor und zurück, jede Bewegung wurde durch ein lautes Hecheln aus Alfreds Mund begleitet.
Vanessa strich die blonden Haare mit einer Handbewegung aus der Stirn und schaute auf die Armbanduhr, die Thom ihr vor einigen Monaten zur Hochzeit geschenkt hatte. Dann hob sie ihren Blick und schaute Thom an.
Völlig unbeeindruckt bearbeitete sie schmatzend mit abgespreiztem kleinen Finger Alfreds Schwanz und taxierte Thom mit eisgrauen Augen.
Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber für Thom war es eine Ewigkeit, bis er seine Fassung wiederfand. Langsam trat er einen Schritt zurück und schloss geräuschlos die Tür. Dann drehte er sich um und floh in den Flur.
Eine Flut von Gefühlen schlug über ihn zusammen, als er zum Wagen zurückeilte. Dass die Beiden Sex hatten, gleichgültig wo, war völlig normal. Das störte ihn nicht und ging ihn auch nichts an. Dass es aber unbedingt in diesem Moment an und unter seinem alten Schreibtisch passierte, war für Thom schockierend und schmerzte ihn. Einfach peinlich!
Ganz offensichtlich hatten die beiden den notariellen Vertrag studiert. Dann hatte sie sich über Alfred hergemacht. Warum auch immer.
Genau betrachtet war es ja nicht mehr sein Büro. Was dort passierte, war nicht mehr sein Ding. Ob es ihm gefiel oder nicht, es war Geschmackssache. Viel mehr alarmierten ihn die handschriftlichen Notizen neben dem Vertrag.
Die Tinte seiner Unterschrift war noch nicht richtig trocken und schon beschäftigten sich die beiden mit eventuellen Änderungen. So verstand Thom die handschriftlichen Notizen neben dem Vertrag.
Er hatte immer gewusst, dass Vanessa die dominierende Kraft bei seinem Ausscheiden war. Viel mehr als nach außen zu erkennen war. Auch wenn sie bei den Verhandlungen der Rechtsanwälte immer im Hintergrund geblieben war, sie war durch Alfred präsent. Zwangsläufig. Zum Glück, waren die Verträge wasserdicht und juristisch nicht anfechtbar. Daran würde sie sich die Zähne ausbeißen.
Dass sie ihn aber während des Oralsexes völlig ausdruckslos, ja fast triumphierend angeschaut hatte, zeigte ihm aber, dass er für sie ein unwichtiges Etwas geworden war. Er konnte ihr nicht mehr in die Quere kommen. Dachte sie.
Sie hat Alfred wortwörtlich bei den Eiern, ging es ihm durch den Kopf. Ihr Einfluss auf die Firma würde in Zukunft immer größer werden. Das lag auch sicherlich im Interesse ihres Vaters.
Thom warf den Schlüssel in den Briefkasten und eilte zurück zum Wagen und stieg ein.
»Ich muss noch ein letztes Mal in mein Haus. Jetzt sofort!«
Sein Fahrer Olaf Wern bemerkte die roten Flecken in Thoms Gesicht und erkannte sofort, dass er sehr erregt war. Er bemerkte kurz, dass die Koffer für die Fahrt bereits im Hotel wären.
Thom antwortet nicht sofort und schaute ausdruckslos aus dem Seitenfenster.
»Fahr mich bitte zu meinem Haus«, wiederholte er seine Anweisung mit unterdrücktem Zorn in der Stimme, »ich muss noch ein paar wichtige Dinge abholen«.
***
Das Knirschen der Reifen auf dem Kies der breiten Einfahrt zur alten Villa holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er stieg aus und bat Olaf Wern, auf ihn zuwarten. Dann holte er einen großen Trolley aus dem Kofferraum.
Mit schnellen Schritten eilte er mit dem Trolley zur großen Eingangstür und öffnete diese. Nachdem er das Haus am Morgen verlassen hatte, waren sofort die Möbel im großen Empfangsraum mit Tüchern abgedeckt worden. Spurenbeseitigung. Thom warf einen Blick darauf und unterdrückte jede Regung. Einen weiteren Gefühlsausbruch wollte er sich nicht gestatten.
In der Bibliothek, die gleichzeitig sein Arbeitszimmer war, setzte er sich an seinen alten Schreibtisch und schloss an der Seite eine Tür auf, die vom Boden bis zur Schreibtischoberfläche reichte. Dahinter glänzte matt die Metalloberfläche eines geräumigen Tresors. Diesen hatte er vor Jahren installieren und den alten Schreibtisch quasi um ihn herum anpassen lassen. Aus Gründen der Sicherheit war er sogar im Boden verankert.
Die Zahl der Einbrüche war in dieser teuren Wohngegend in den letzten Jahren so stark angestiegen, dass er diese Schutzmaßnahme auf Anraten seiner Versicherung hatte durchführen lassen.
Der Schließmechanismus des Tresors war elektronisch geregelt. Bei Stromausfall übernahm eine Batterie die Stromversorgung für die Steuerung. Erst nach Eingabe einer Zahlenkombination gab die Elektronik das Schloss für den normalen Tresorschlüssel frei.
Thom neigte den Oberkörper zur Seite, um die Zahlenkombination einzutippen. Eine kleine rote Warnlampe blinkte rasch auf dem Display. Er stutzte. Sie hätte grün leuchten müssen, es sei denn, man hätte dreimal die falsche Zahlenkombination eingegeben.
Verunsichert lehnte Thom sich in seinem Sessel zurück, schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern. Gestern noch hatte er die Tür mit der neuen aktualisierten Kombination geöffnet. Es musste jemand während seiner Abwesenheit versucht haben, den Tresor zu öffnen.
Alfred besaß aus Sicherheitsgründen den Reserveschlüssel, mit dem der Tresor nach der richtigen Eingabe des Codes geöffnet werden konnte. Allerdings hatte Thom turnusmäßig die Zahlenkombination vor zwei Tagen geändert.
Früher hatte er Alfred die Kombination immer mitgeteilt, für den Fall, dass ihm etwas passierte. Er hatte es in dem Trubel der letzten Tage einfach vergessen. Zum Glück! Ihm war klar, dass Alfred oder seine Frau versucht hatten, an den Inhalt des Tresors zu kommen. Wer sonst? Warum?
Der Inhalt des Tresors war seine Lebensversicherung und durfte nicht in andere Hände fallen. Aus dem Grunde hatte er auch bei einer Filiale seiner Hamburger Bank in Stralsund zwei Schließfächer gemietet. Ein Konto hatte er bei der Bank noch nicht. Es war möglich, dass er von der Filiale auf sein Konto hier in Hamburg zugreifen konnte.
Zorn und Enttäuschung stiegen in Thom auf. Mit so einer Schweinerei hatte er nicht gerechnet. Sein Vertrauen war missbraucht worden. Alfred allein hätte ihn niemals hintergangen, zu groß war sein Respekt vor seinem Vater. Vanessa steckte dahinter, da war sich Thom sicher, sie führte Regie und Alfred folgte ihren Anweisungen.
Thom schnaufte tief durch, stützte seinen Kopf in seine Hände und dachte nach. Es gab keinerlei Beweise für seine Vermutung, aber er war sicher, dass sie irgendwann die Karten auf den Tisch legen würde. Er machte sich Sorgen um Alfred und die Firma. Aus langjähriger Erfahrung konnte er sich auf seinen Instinkt verlassen. Er witterte meistens Probleme, bevor diese sich ankündigten.
Mit der Masterkombination schaltete er die Anzeige auf grün, dann gab er die aktuelle Zahlenkombination ein. Zweimal drehte er den Schlüssel im Schloss und mit einem satten Schmatzen öffnete sich die schwere Tür aus Spezialstahl.
Nacheinander holte er die Wertsachen heraus. Goldbarren, den Schmuck seiner verstorbenen Frau, Edelsteine, seltene Goldmünzen, eine wertvolle Briefmarkensammlung und das Wichtigste: Alte Inhaberpapiere von renommierten internationalen Minengesellschaften aus den 50er Jahren.
Diese hatte er vor fast 50 Jahren vor dem Tod seines Vaters bekommen, als klar war, dass Thom einmal die Handelsgesellschaft übernehmen würde. Sie waren inzwischen viele Millionen wert.
Zum Schluss holte Thom noch eine in ein Tuch eingewickelte Pistole heraus, für die er einen Waffenschein besaß. Diese und eine Schachtel Munition lagen auf einem Stapel von Dokumenten und Verträgen. Alles wanderte in seinen Trolley. Die Pistole, eine Walther PP, hatte er sich zugelegt, als er vor einigen Jahren mehrfach telefonisch bedroht wurde. Seinen Konkurrenten in Südamerika gefiel es wohl nicht, dass er dort gute Geschäfte machte und ihre lukrativen Kooperationsangebote ablehnte. Nach einigen Monaten war der Spuk beendet und die Waffe fristet im Tresor ein einsames Dasein.
Zur Sicherheit hatte er damals für seinen Fahrer Olaf Wern ebenfalls einen Waffenschein beantragt und ihn mit einer Pistole versorgt. Auf einem Schießstand waren beide im Umgang mit der Waffe ausgebildet worden.
Bevor Thom den Raum verließ, schrieb er noch die aktuelle Zahlenkombination plus Masterkombination auf einen Klebezettel und legte den Tresorschlüssel darauf. Dann stand er auf und zog den schweren Koffer hinter sich her. Er hatte hier nichts mehr verloren, sein altes Büro war nur noch ein gewöhnlicher Raum.
Thom war verbittert, denn seinen Abschied hatte er sich anders vorgestellt. Kein Tschüss, keine Umarmung. Ausgeschaltet. Was er in der letzten Stunde erlebt hatte, erschütterte sein Selbstvertrauen. Er war es gewohnt, mit harten Bandagen in seinem Geschäft zu kämpfen. Aber die letzten Ereignisse und sein Abgang in Hamburg machten ihn traurig und zugleich wütend. Das hatte er nicht verdient.
Als er das Haus verließ, warf er einen Blick in den großen Spiegel neben der Garderobe. Sein Anblick gefiel ihm nicht. Er sah einen gebeugten und alten Mann mit hängenden Schultern. Thom holte tief Luft, richtete sich auf volle 1,88 auf und verabschiedete sich von seinem Spiegelbild mit einem lauten »Nein, noch lange nicht!«
Den Haustürschlüssel warf er in den Postkasten neben der Eingangstür. Ohne einen Blick zurück ging er zum Wagen.
Als Olaf Wern losfuhr, summte sein Smartphone. Alfred hatte ihm eine SMS geschickt.
»Gute Fahrt und komm gut an. Wir telefonieren«.
Thom nahm es schweigend zur Kenntnis.
»Papa, du hast Mama vor ihrem Tod fest versprochen, dass ich die Firma einmal leiten werde, wenn du siebzig bist. Ich denke, dass ich das Recht habe, dich heute an dieses Versprechen zu erinnern!«
Alfred saß vor Thoms Schreibtisch in der Bibliothek, seine Hände umklammerten die geschnitzten Armlehnen des alten, mit braunem Leder bezogenen Stuhls. Der vor Aufregung hochrote Kopf ruckte bei jedem hastig formulierten Wort nach vorn. Er schien von einem unsichtbaren Blatt abzulesen, wahrscheinlich eine Formulierung, die seine Frau Vanessa mit ihm geübt hatte. So vermutete Thom.
Nach einigen tiefen Atemzügen lehnte sich Alfred stumm mit bebenden Nasenflügeln zurück und fixierte unsicher seinen Vater. Der saß äußerlich völlig ruhig und gelassen hinter seinem Schreibtisch. Thom schaute ihm lange in die Augen, ohne eine Regung zu zeigen.
Wie sehr er doch seiner verstorbenen Mutter glich. Alfred hatte sanfte braune Augen in einem fein geschnittenen Gesicht. Schön, weiche Züge und nur in Ansätzen männlich, abgesehen von dem ausgeprägten Kinn, das er von seinem Vater geerbt hatte. Er sah ohne Zweifel blendend aus. Alfred hatte sich Stiefel im Westernstil angezogen und trug teure Jeans mit einem passenden farbig bestickten Jackett. Er wirkte lässig. Die Kleidung passte allerdings überhaupt nicht zu dem heutigen Anlass, zu seiner Geburtstagsfeier.
Thom drehte seinen Kopf und schaute Vanessa an. Sie stand im Halbdunklen ein wenig abseits hinter Alfred und lehnte mit der Schulter an der mit Holz vertäfelten Wand.
Sie schien unbeteiligt zu sein und beobachtete ohne erkennbare Regung den Gefühlsausbruch ihres Mannes. Thom vermutete, dass sie hinter dieser unglücklichen Vorstellung steckte. Alfred war viel zu zurückhaltend und würde an so einem Tag in dieser Weise niemals seinen Vater angehen.
Thom lehnte sich zurück und blies die Wangen auf. Dann atmete er mit einem lauten Zischen aus. So erregt hatte er Alfred in den letzten Jahren niemals erlebt. Ihm war klar, dass dieser Auftritt in Gegenwart seiner Frau Stärke demonstrieren sollte. Das ging allerdings voll daneben. Er hatte die Hosen voll. Unübersehbar.
Das kontrollierte Auftreten Vanessas signalisierte Thom, dass diese einen großen Einfluss auf den Verlauf dieser Unterhaltung hatte. Alfred hing wie eine Marionette an ihren Strippen.
Sein überfallartig vorgetragener Wunsch war nicht unbegründet. Thom hatte seiner Frau während ihrer schweren Krankheit kurz vor ihrem Tod versprochen, dass er sich um die berufliche Entwicklung seines Sohnes kümmern und seine Hand über ihn halten würde. Nach seinem 70. Geburtstag wollte er sich dann aus dem Geschäft zurückziehen. Da war er sechzig und zehn Jahre waren eine lange Zeit.
Thom hatte sich sehr um die Entwicklung seines Sohnes gekümmert, wobei er mehr ein Ausbilder und Kontrolleur war, als ein Vater. Der persönliche Kontakt blieb immer distanziert. Das lag aber an beiden. Thom zeigte selten nach außen Regungen und Alfred war permanent durch die Dominanz seines Vaters eingeschüchtert.
Ein Hauptgrund für diese Distanz war Thoms volle Konzentration auf seinen Job als Firmenleiter. Zuerst kam das Unternehmen und dessen Erfolg, dann kam das Privatleben. Letzteres kam natürlich immer zu kurz. Das Resultat dieser einseitigen Ausrichtung seines Lebens war eine innere Verarmung oder Isolation, die ihn daran hinderte, Alfred zu zeigen, wie sehr er ihn liebte.
Nach der Ausbildung und dem BWL-Studium, das sein Sohn mit hervorragenden Noten abschloss, hatte er ihn in die Staaten geschickt. Dort sollte er Erfahrungen im Import-Exportgeschäft sammeln und lernen, selbständig und verantwortungsvoll Entscheidungen zu treffen. Heute erfüllte Alfred mit 36 Jahren formal alle Voraussetzungen, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Alfreds Aufgaben in Thoms Firma waren überschaubar, es gab wenig auszusetzen. Er mache sich in allen Abteilungen gut und lernte sehr schnell, so berichtet man ihm, aber es fehle ihm ein wenig an Härte in kritischen Verhandlungen. Nun, das würde er halt noch lernen müssen.
Was Thom an dieser Unterhaltung jedoch immens störte, war, dass sie am Abend seines 70. Geburtstages erzwungen wurde. Alfred oder besser Vanessa hatten es eilig und versuchten, ihn in einen Hinterhalt zu locken, um ihn dann zu überrumpeln. Er hatte aus Höflichkeit mit den Gästen Alkohol getrunken, war somit nicht ganz so kritisch wie sonst. Die allgemeine Stimmung war aufgelockert.
Der Zeitpunkt, ihn zu beeindrucken und unter Druck zu setzen, war somit geschickt gewählt. Vanessas Anwesenheit sollte Alfred mehr Rückhalt geben und helfen, Thom von Anfang durch ihre Überzahl in die Defensive zu drängen.
Vanessa hatte bei diesem Gespräch jedoch nichts verloren. Es ging einerseits nur um Alfred und ihn als Vater und andererseits um die Firma. Thom kannte ihren familiären Hintergrund und war nie das Gefühl losgeworden, dass Geld eine sehr große Bedeutung bei ihrer Rolle als Ehefrau spielte. Thom wäre es nie im Traum eingefallen, Kontakte mit ihrer Familie zu pflegen.
Thom hasste Zwei-zu-Eins-Situationen. Selbst bei geschäftlichen Verhandlungen hatte er immer vermieden, zahlenmäßig unterlegen zu sein.
Regungslos schaute er die beiden weiter an, um in dieser Pause Spannung aufzubauen. Das war ein erlerntes Verhalten aus vielen geschäftlichen Meetings und Verhandlungen. Zusätzlich versuchte er, eine Regung bei Vanessa zu entdecken. Fehlanzeige. Scheinbar gleichgültig schaute sie langsam hin und her und fixierte ihn und Alfred. Sie war Herrin ihrer Gefühle und damit auch der Lage.
Thom betrachtete Vanessa seit ihrem ersten Aufeinandertreffen mit Misstrauen. Er hatte nie auf ihre weiblichen Reize reagiert, ja er ignorierte diese ganz bewusst. Sie wusste genau, dass er versuchte, sie zu durchschauen. Trotz ihrer Zurückhaltung spürte Thom, dass sie sich als Gegner in Position brachte. Das störte ihn, machte ihn nervös. Geburtstage waren verhasste Tage, ganz besonders, wenn es sein eigener war. Solche Tage waren gespickt mit überschwänglichen Worthülsen, salbungsvolle Reden, Schmeicheleien und Lügen. Dunkler Nadelstreifen, durchgedrückte Knie und gerader Rücken, Manschetten korrekt zwei Zentimeter über den Ärmel des Jacketts hinausgezogen, prickelnder Champagner im Kristallkelch mit Goldrand.
Ab zehn Uhr morgens begann das Defilee der Hamburger Prominenz. Er hatte die Liste der Gäste durch seine Sekretärin aufstellen lassen, obwohl Vanessa sich angeboten hatte, dieses für ihn zu erledigen. Thom lehnte das ab, da nur er wusste, wer wirklich wichtig war und wer nicht. Somit bestand auch keine Gefahr, dass Vanessas Vater auftauchen würde. Das hätte noch gefehlt, dass dieser korrupte und unbeliebte Geschäftsmann seine Feier aufgemischt hätte.
Es fiel ihm schwer, beim Smalltalk irgendwelchen Gästen zuzuhören und ein permanentes Grinsen in sein Gesicht zu meißeln. Die Lobreden auf ihn und seine Firma waren nur peinlich für ihn. Im Grunde wussten die Leute kaum etwas von ihm. Das Prozedere eines solchen Events entsprach in keiner Weise seinem hanseatischen Naturell, das eher nüchtern und geradesaus war. Ein Pils und mit einem Aquavit oder ein guter Cognac waren ihm lieber als Champagner. Die wenigen Gäste, die ihm etwas bedeuteten, verabschiedeten sich relativ früh. Sie fühlten sich bei dem Theater nicht wohl.
Er war erleichtert, als sich die letzten Besucher am frühen Abend lautstark mit den Worten verabschiedeten, dass man sich unbedingt in nächster Zeit mal wiedersehen müsse. Gesagt und vergessen. Unverbindlich. Lange hätte er die Lobhudelei um seine Person nicht mehr ausgehalten.
»Lass uns noch ein Glas zusammen trinken, bevor wir gehen«, schlug Alfred vor und legte seinen Arm freundschaftlich um Thoms Hüfte.
Er war fast einen Kopf kleiner als sein Vater und glich auch in seiner schlanken, ja drahtigen und sportlichen Gestalt seiner verstorbenen Mutter.
Thom dagegen besaß eine respekteinflößende wuchtige Gestalt mit breiten Schultern. Das häufige Training im Fitnessraum seines Hauses hielt seinen Körper fit. Wer ihm ins Gesicht schaute, mochte nicht glauben, dass er schon siebzig war. Graues, fast weißes volles Haar und scharf geschnittene Gesichtszüge mit kritischen blauen Augen und ein markantes Kinn zeugten von einem starken Willen.
Zusammen mit Vanessa, die einen Schritt hinter ihnen blieb, gingen sie in seine Bibliothek. Thom war schon seit einigen Stunden nicht entgangen, dass Alfred nervös war und ständig mit seiner Frau leise diskutierte. Er hatte etwas auf dem Herzen. Beide tranken nur Wasser und der ausgestreckte Zeigefinger von Vanessa, wenn sie mit Alfred flüsterte, zeigte ihm, dass etwas im Busch war.
Thom holte drei Gläser aus der kleinen Bar in seiner Bibliothek, in der auch der große Schreibtisch stand.
»Für mich keinen Alkohol, nur etwas Soda bitte«, sagte Vanessa und blieb im Hintergrund stehen.
Thom musste zugeben, sie sah verdammt gut aus. Schlank, sportlich und sehr weiblich, etwas größer als Alfred, naturblond und wie immer dezent geschminkt. In dem festlichen Kleid sah sie einfach umwerfend aus, ganz im Gegenteil zu Alfred. Nur ihre Augen gefielen ihm nicht. Sie waren schmal und grau wie Eis. Sie hatten etwas Lauerndes. Seine lange Erfahrung im Umgang mit Menschen sagte ihm, dass sie hinter der Fassade etwas zu verbergen hatte. Nur was?
»Du trinkst sicher einen Cognac mit mir«, sagte Thom und blickte freundlich über seine Schulter zu seinem Sohn, der sich in den alten mit Leder bezogenen Stuhl vor dem Schreibtisch setzte.
Thom füllte die Gläser, ohne auf eine Antwort zu warten und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er hob sein Glas und hielt seine Nase daran, um das Aroma des Cognacs zu genießen. Dann trank er einen Schluck. Alfred nahm den Schwenker zwar in die Hand, trank aber noch nichts.
Thom schaute beide auffordernd an.
»Dann rück mal raus, was du auf dem Herzen hast, Alfred.«
Ganz bewusst sprach er nur Alfred an.
Vanessa schwieg und betrachtete betont gleichgültig die Gemälde, die an der gegenüberliegenden Wand hingen. Sie hatte sehr wohl bemerkt, dass Thom nur seinen Sohn angesprochen hatte. An den weißen Knöcheln ihrer Hand, mit der sie das Wasserglas umklammerte, erkannte Thom, dass ihre Ruhe nur gespielt war und sie sich zusammenriss.
Alfred räusperte sich und nippte am Cognac, um Zeit zu gewinnen. Dann ließ er die Katze aus dem Sack.
Nach den ersten emotionalen Sätzen ging Alfred ins Detail.
Er hätte jetzt lange genug innerhalb und außerhalb der Firma Erfahrungen gesammelt und gezeigt, dass er auch Führungsqualitäten besäße. Daher sei er in der Lage, die Firma allein und verantwortlich zu leiten. Mit Mitte dreißig müsste er langsam wissen, wie es denn in seinem Leben weitergehen würde. Außerdem stünde Thom ja im Wort bei seiner Mutter.
Thom lehnte sich zurück. Er schaute auf das Glas in seiner Hand und schwenkte es leicht. Dann hob er es wiederum an seine Nase, schloss die Augen, sog den Duft des alten Cognacs ein. Er suchte eine Antwort. Dabei ließ er sich Zeit, viel Zeit. Wie immer in schwierigen Gesprächen.
»Ganz normal, alles ganz normal«, sagte er sich.
In seinem Alter gab man eben das Steuerrad ab. Er sollte froh sein, dass er einen Nachfolger aus der Familie hatte. Immer wieder hatte er sich das gesagt, aber nie war er überzeugt davon. Er konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen loszulassen.
Thom richtete sich ein wenig auf, stellte das Glas zur Seite und legte beide Hände auf den Schreibtisch. So leicht wollte er es den beiden nicht machen.
»Wie du siehst, bin ich noch fit und habe keine Probleme, die Firma mit fast 100 Mitarbeitern weiter zu führen«, erwiderte er leise. »Außerdem bin ich noch 365 Tage siebzig.«
Thom lehnte sich wieder zurück und gab sich entspannt.
»Warum hast du es so eilig?«
Er ließ sich nicht anmerken, dass er bis in die Haarspitzen angespannt und verärgert war. Ihn an seinem Geburtstag so in die Zange zunehmen, fand er stillos und unerzogen. Thom wunderte sich über seine eigene Gelassenheit.
Vanessa räusperte sich, schaute ihren Mann an und zog eine Augenbraue hoch. Sie setzte ihn unter Druck.
Alfred schrumpfte förmlich in seinem Stuhl zusammen.
Thom war klar, dass dieses Gespräch geprobt worden war und er jetzt die letzte Trumpfkarte wieder ausspielen musste. Das Versprechen, das er seiner Frau vor zehn Jahren gegeben hatte, bevor sie starb. Alfred wusste ganz genau, dass Thom immer sein Wort hielt.
Mit einem großen Schluck trank Thom das Glas aus. Er war es leid und enttäuscht. Ob heute oder morgen, er würde ständig mit diesem Versprechen konfrontiert werden.
»Es stimmt«, setzte er das Gespräch fort, »ich versprach deiner Mutter, dich in die Firma einzubauen, damit du sie mal alleine führst. Ich will dir nicht im Wege stehen, wenn die Zeit für einen Wechsel reif ist. Wie hast du dir das Ganze vorgestellt? An welchen zeitlichen Rahmen hast du gedacht?« Thom sah aus dem Augenwinkel, dass sich Vanessa entspannt wieder an die Wand lehnte. Sie war sich sicher, dass sie gewonnen hatte.
»Notar Bernstein könnte die Übergabe in drei Monaten durchziehen«, entgegnete Alfred eifrig, wobei er seine Zufriedenheit über diese unerwartete Wendung kaum unterdrücken konnte.
»Ich habe ihn gestern angerufen und ganz allgemein gefragt, wie so eine Nachfolgeregelung über die Bühne gehen würde.« Thom wandte sich an Vanessa.
»So so, eure Planung ist also schon fast fertig. Ist Bernstein nicht der Rechtsanwalt deines Vaters?«, fragte er beiläufig, wobei sich sein Puls vor Wut wieder beschleunigte.
»In der Tat, er vertritt auch die Interessen meines Vaters. Aber wenn du einen anderen Notar möchtest, ist das für Alfred auch okay«, fügte sie rasch hinzu.
»Aha«, Thoms Stimme gewann an Schärfe.
»Alfred wäre damit einverstanden, das ist ja beruhigend.«
Der Sarkasmus in Thoms Antwort war nicht zu überhören. Er erhob sich aus seinem Stuhl und ging zur Bar, um sich noch einen weiteren Cognac einzugießen.
»Ich will euch beiden etwas sagen und das nur einmal, hier und jetzt.«
Thoms Stimme wurde schärfer. Er ging mit dem Glas in der Hand zum Schreibtisch zurück, lehnte sich an die Arbeitsfläche und schaute auf Alfred herab.
»Dass ihr an so einem Tag mit so einem wichtigen Ansinnen an mich herantretet, ist eine Unverschämtheit. Ich weiß nicht, warum du deine guten Manieren so sehr vergisst und versuchst, deinen Vater in dieser Weise an seinem Geburtstag und nach der anstrengenden Feier vor den Kopf zu stoßen. Du weißt genau, wie sehr mir das Wohl der Firma am Herzen liegt. Du weißt auch, was ich über Jahrzehnte für sie und damit auch für dich getan habe. Und da kommt ihr beide hier hereingeschneit auf einen letzten Absacker und überfallt mich mit so einem elementaren Anliegen? Ich gehe mal davon aus, dass der Zeitpunkt und deine Forderungen nicht auf deinem Mist gewachsen sind.«
Mit einem Seitenblick schaute er kurz Vanessa an, die mit einem trotzigen Gesichtsausdruck angespannt das Gemälde von Thoms Vater anstarrte.
Thom richtete sich auf und ging zurück zu seinem Platz und setzte sich.
»Vater entschuldige, mir war nicht bewusst, dass es dich so treffen würde, wenn ich dieses Anliegen heute vorbringen würde.«
Alfred vermied, von »wir« zu sprechen, da Thom dann sofort einen Komplott wittern würde.
»Wenn es dir lieber ist, sprechen wir morgen im Büro über dieses Thema. Aber vergiss nicht, dass du meiner Mutter das Versprechen gegeben hast, mir die Leitung zu übertragen.«
Alfreds Stimme schwankte zwischen Trotz und Unsicherheit. Thom musterte Alfred einen Moment.
»Lass bitte deine verstorbene Mutter aus dem Spiel. Das nutzt sich langsam ab und hat keine Wirkung auf mich. Aber ich stehe zu meinem Wort. Kommt morgen früh in mein Büro, dort besprechen wir grob, wie es weitergehen soll. Dann kannst du Bernstein aktivieren und ich meine Rechtsanwälte. Die können dann alles erledigen, ohne dass es zu Konflikten zwischen uns kommt. Vanessa kann dabei sein, sie erfährt doch sowieso, was wir besprechen!«
Thom stand auf und begleitete beide zur Haustür. Dort gab er Vanessa die Hand, die vor Aufregung kalt und feucht war. Er schaute mit eisigem Gesichtsausdruck an ihr vorbei. Dann drehte er sich zu Alfred um und nahm ihn in den Arm. Dieser zitterte unmerklich am ganzen Körper.
»Hör auf deine Instinkte, Junge«, flüsterte er leise, »sei klug, stark, aber auch misstrauisch. Verlass dich auf deinen Verstand!«
Alfred merkte deutlich, dass die Unterhaltung mit seinem Vater nicht so verlaufen war, wie er es geplant hatte. Vanessa hatte seine Unsicherheit ausgenutzt und ihn manipuliert. Er schämte sich für sein lächerliches und plumpes Auftreten und für seine offensichtliche Schwäche gegenüber seinem Vater. Als er sich umdrehte und zur Tür hinausging, ergriff Vanessa seine Hand.
»Was hat er zu dir gesagt…?«
Thom beobachtete die beiden, bis sie hinter der großen Eingangstür verschwunden waren. Mit einem lauten » verdammte Scheiße«, drehte er sich um und ging langsam zurück in seine Bibliothek.
Vor einer Stunde war der Vorraum voller Gäste gewesen. Stimmengewirr und das Klingen von Gläsern hing noch in der Luft.
Der Geruch von Vanessas Parfüm stieg in seine Nase, als er auf die kleine Bar neben dem Schreibtisch zusteuerte. Er goss das Glas noch einmal halb voll und nahm einen großen Schluck. Dann setzte er sich und fiel förmlich in sich zusammen.
Er starrte auf seine großen Hände, die das Glas umklammerten. Die Drinks begannen zu wirken, seine Nerven beruhigten sich und er fühlte sich wie in Watte gepackt. Was war eigentlich passiert, dass er so aufgeregt und betroffen war?
Thom wunderte sich, wie spontan er den Forderungen seines Sohnes nachgekommen war. Wie ein beleidigtes Kind? Warum hatte er keinen Widerstand geleistet? Hatte er ein schlechtes Gewissen als Vater? War er so sehr an sein Versprechen gebunden? Wahrscheinlich war die Zeit wirklich reif für einen Wechsel.
Egal, die Würfel waren jetzt gefallen, seine Entscheidung stand fest. Irgendwann wäre diese Situation sowieso auf ihn zugekommen. Warum nicht jetzt!
***
Er erinnerte sich daran, wie er das erste Mal hinter diesem Schreibtisch gesessen hatte. Sein Vater war gestorben und er musste sein Studium an der Kieler Universität abbrechen, um das Geschäft weiter zu führen. Die Universität und seine Kontakte in Kiel wurden von den Ereignissen damals zugeschüttet.
Seine Mutter hatte ihm die erste Zeit in der Firma zur Seite gestanden. Sie verstand sehr viel vom Geschäft, hatte dieses aber nie gegenüber ihrem Mann durchblicken lassen. Ohne sie wäre alles viel schlechter gelaufen. Sie warnte ihn, wenn er falsche Entscheidungen treffen wollte und spornte ihn an, wenn er zauderte.
Das Leben als Student in Kiel war bis zu dieser Zäsur sorgenfrei gewesen. Es bestand aus Vorlesungen, Klausuren, Sport, Segeln und Kneipen. Alles ganz normal, nichts Ungewöhnliches.
Thom hatte eine hübsche Kommilitonin kennengelernt und sich in sie verliebt. Sie war fast im gleichen Alter wie er und war die erste Frau, mit der er Sex hatte. Ulrike, so hieß sie, war eine ernsthafte und trotzdem sehr humorige Frau, die Thoms vom ersten Moment des Kennenlernens beeindruckt hatte. So hatte er sich die Frau fürs Leben vorgestellt. Bereits nach kurzer Zeit planten sie, eine Wohnung zusammen zu beziehen. Es war klar, dass sie niemals auseinandergehen würden. Alles passte und beide waren total glücklich mit ihrem Leben. Die Nachricht vom plötzliche Tod seines Vaters beendete die Sorglosigkeit ihrer Beziehung.
Er informierte Ulrike kurz, dass er dringend nach Hamburg müsse, und verließ Kiel. In den folgenden Wochen hatte er in Hamburg alle Hände voll zu tun, Rechtsanwälte, Notar und Steuerberater hatten ihn in der Klammer und seine Gedanken waren fokussiert auf die Übernahme der Firma. Am schwierigsten für ihn war, die Kunden und Lieferanten davon zu überzeugen, dass er ein vollwertiger Nachfolger seines Vaters war. Tag und Nacht arbeitete er, bis er endlich den nötigen geschäftlichen Durchblick und die Akzeptanz in der Belegschaft hatte. Jetzt fand er endlich Zeit, seine privaten Angelegenheiten zu regeln.
Er fuhr zurück nach Kiel, um seine Sachen abzuholen und sich zu exmatrikulieren. Ulrike wollte er überreden, mit ihm nach Hamburg zu ziehen und dort mit ihm zu leben. Aber sie war verschwunden. Abgereist, so hieß es, unauffindbar. Sie hatte vergeblich auf ein weiteres Lebenszeichen aus Hamburg von ihm gewartet.
Thom kontaktierte ihre Eltern, die ihn aber schroff abblitzen ließen. Sie wäre verreist und für ihn nicht mehr zu sprechen, hieß es. Seine Beziehung zu Ulrike war ihnen ein Dorn im Auge, denn sie sollte jemanden aus der Kieler Gesellschaft heiraten. Enttäuscht fuhr er zurück nach Hamburg. Dumm gelaufen.
Er nahm sich damals vor, sie später noch einmal zu suchen. Und dabei blieb es dann. Das neue Leben fraß ihn auf und seine Gefühle für Ulrike wurden nach und nach schwächer. Wenn er aber zwischendurch an sie dachte, fühlte er immer noch einen tiefen Schmerz. Er hatte seine Chance vertan.
Beate traf er einige Jahre später auf einer Feier eines Geschäftspartners. Es entwickelte sich zwar keine rauschende Liebesbeziehung, dafür ließ ihm sein Job keine Zeit. Sie war einfach bei ihm, liebte, verstand und akzeptierte seine Verbissenheit, mit der er das Geschäft führte. Wenn er oder Alfred sie brauchten, war sie da. Dessen war er sich immer bewusst. Sie war die einzige Frau auf der Welt, der er vertraute.
Thom hatte sich nach ihrem Tod gefragt, ob er genug Rücksicht auf ihre Bedürfnisse genommen hätte.
Nein, er war sicher kein guter Ehemann gewesen, ganz sicher nicht. Sie hatte sich zwar nie beklagt und das genügte ihm damals. Heute litt er bei dem Gedanken an seine Unzulänglichkeit in der Ehe. Er hatte die gleichen Fehler wie in seiner ersten Beziehung gemacht. Falsche Prioritäten gesetzt.
Diese Einsicht war wohl auch ein Grund, dass er jetzt so schnell bereit war, Alfreds Forderungen zu akzeptieren. Vanessa allerdings bereitete ihm bei seinem Einlenken Kopfschmerzen. Er war sich sicher, dass ihre vordergründige Zurückhaltung nur Show war. Sie spielte ihr eigenes Spiel und wartete wie die Spinne im Netz auf ihren Moment.
Frauen interessierten Thom überhaupt nicht. Es sei denn, er hatte geschäftlich mit ihnen zu tun. Im Grunde hatte er nur zwei Beziehungen zu Frauen gehabt. Vielleicht hatte er auch Angst, wieder als Partner in einer Beziehung zu versagen.
»Ich bin mit meiner Firma verheiratet«, sagte er immer mit einem Lächeln, wenn er auf dieses Thema angesprochen wurde.
Er hätte sicher genug Gelegenheiten gehabt, sich eine neue Partnerin zu suchen. Aber ihm fehlte weder der Blick für entsprechenden Situationen, noch hatte er den Wunsch jemanden kennenzulernen. Als Mann sah er blendend aus, trieb regelmäßig Sport in seinem Keller und passte auf seine Gesundheit auf. Meistens!
Heute aber nicht. Thom holte sich einen weiteren Drink und starrte auf den dunklen Schreibtisch. Er fühlte sich schlecht, allein, sentimental und betrunken. Er fing an, sich zu bemitleiden.
Alfred war seit drei Monaten mit Vanessa verheiratet. Sie war die Tochter eines Hamburger Händlers, der kein direkter Konkurrent von ihm war. Während er hauptsächlich mit Gewürzen und landwirtschaftlichen Produkten handelte, war die Scherf OHG im Metall- und Holzhandel engagiert.
Siegmund Scherf, Vanessas Vater, hatte einmal versucht, ihn bei einem Geschäft ins Boot zu holen. Er hatte abgelehnt, da Scherfs Geschäftsverbindungen zwielichtig und sein Ruf nicht sehr gut waren. Das passte nicht zu Thoms Berufsauffassung. In den einschlägigen Kreisen waren viele unangenehme Gerüchte über Scherfs Geschäftsgebaren im Umlauf. Korruption, Bestechung und Erpressung sagte man ihm nach. Einige Prozesse musste Scherf wegen seiner anrüchigen Praktiken überstehen und kam immer wieder mit einem blauen Auge davon. Thom hatte die Absage damals sehr diplomatisch verpackt, so dass Scherf nicht sauer auf ihn war. Glaubte er.
Wenn sie sich über den Weg liefen und das war zum Glück sehr selten, war Thom jedes Mal angewidert von dessen großkotzigen Art. Goldene Kettchen, Rolex mit Brillanten am Handgelenk und eine alles übertönende Stimme entsprachen nicht Thoms Niveau. Möglich, dass dieser ihn ebenfalls nicht mochte, aber das war ihm völlig egal.
Thom hatte dagegen beim Zoll, bei den Banken, Kunden und beim Finanzamt einen ausgezeichneten Ruf und den wollte er sich durch Kontakte zu Scherf nicht verderben.
Vanessa war und blieb für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Er konnte mit diesem Typ Frau nichts anfangen. Sie war einfach zu glatt und zu perfekt. Dass sie selbstbewusst war, störte ihn nicht Aber ihre lauernde Art, jemanden lächelnd anzuschauen und die zur Schau getragene absolute Selbstkontrolle machten ihn unsicher. Sie hatte etwas zu verbergen, vermutete er. Dabei war sie eine schöne Frau mit einem perfekten Körper, den sie bewusst präsentierte. Mit Erfolg. Aber vielleicht war er auch ungerecht. Alfred liebte sie abgöttisch. Vanessa machte ihn abhängig, angreifbar und Thom nervös.
Er riss sich zusammen. Wie sollte er morgen vorgehen? Was für Bedingungen sollte er stellen? Der Bestand der Firma ging über alles, daran mussten alle Forderungen und Bedingungen gemessen werden.
Er notierte sich auf einem Zettel mit zittriger Schrift, dass die Firma in den folgenden fünf Jahren nach seinem Ausscheiden nicht verkauft oder aufgeteilt werden dürfte. Dazu wäre sein Einverständnis Voraussetzung.
Den 10%-Anteil seiner Frau, der nach ihrem Tod an ihn gefallen war, würde er erst einmal behalten. Er besaß somit ein Kontrollrecht und konnte jederzeit die laufenden Geschäftsbücher und die Bilanzen einsehen.
Nach seinem Tod würde dieser Anteil auch an Alfred fallen. Ansonsten wollte er nur noch einen festen Betrag beim Ausscheiden aus der Firma und eine entsprechende monatliche Rente. Als er seine unleserliche Schrift sah, knüllte er den Zettel zusammen, schmiss ihn in den Papierkorb und ging zu Bett.
Thom versuchte zu schlafen. Alkohol und die Aufregung machten ihm jedoch zu schaffen. Er hatte das erste Mal in seinem Leben das Gefühl, alt und überflüssig zu sein. Erst nach Stunden schlief er ein.
***
Bereits um fünf Uhr stand er wie immer auf und machte sich einen Espresso. Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und startete sein Notebook. Jetzt konnte er klar denken. Alle wichtigen Punkte fasste er in einem Memo zusammen und druckte dieses mehrfach aus.
Seine Nervosität schwand, als er in seinen Fitnessraum ging und sich ans Rudergerät setzte. Beim Jogging und beim Rudern konnte Thom am besten nachdenken und Ideen entwickeln. Er stoppte erst, als der Schweiß in Strömen lief.
Als er geduscht und etwas gegessen hatte, ließ er sich von Olaf Wern, mit dem er ein ganz spezielles Arbeitsverhältnis hatte, ins Büro fahren.
Thom rief bei Rechtsanwalt Wiedmüller an, um diesen zu informieren.
»Ja, ich habe mir alles genau überlegt, ich bin im Wort. Mein Sohn wird übernehmen. Sie müssen mit Bernstein die Bedingungen aushandeln!«
Thom fasste sich am Telefon immer sehr kurz in Gegenwart seines Fahrers, obwohl er diesem unbedingt vertraute. Sie waren auf dem Weg zur Firma.
»Herr Wern kommt gleich bei ihnen vorbei und bringt ihnen ein Memo. Darin stehen meine Forderungen für die Übergabe!«
Wiedmüller antwortete erst nach einer kurzen Pause.
»Äh, habe ich richtig gehört? Bernstein führt die Verhandlungen für ihren Sohn? Merkwürdig, sehr merkwürdig!«
Thom setzte nach: »Haben sie ein Problem mit Bernstein? Ich weiß, er arbeitet auch für Scherf.«
Wiedmüller suchte nach Worten.
»Er hat Scherf vor einigen Jahren mehrfach aus der Patsche geholfen, als Untersuchungen wegen Korruption gegen ihn liefen. Es könnten Interessenkonflikte bestehen, wenn der auch noch für ihren Sohn arbeitet. Es gibt da so einige Gerüchte, die die finanzielle Situation der Scherf KG betreffen. Aber darüber möchte ich am Telefon nicht sprechen!«
Thom beendete das Gespräch und verabredete sich mit Wiedmüller für 15 Uhr. Als er vor dem alten Lagerhaus ausstieg, gab er Olaf Wern den Umschlag mit dem Memo und schickte ihn zur Kanzlei.
***
Er hatte etwas geahnt, insbesondere wegen des Zeitpunktes des Gespräches gestern Abend. Irgendetwas war faul und er konnte die Probleme förmlich riechen, die auf ihn zukamen.
Eilig lief er in sein Büro. Seine Sekretärin erwartete ihn schon. »Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter haben um einen Termin um zehn Uhr gebeten. Sie würden gerne Notar Bernstein mitbringen!«
Thoms Antwort war kurz und unmissverständlich.
»Rufen sie zurück, sie können um zehn kommen. Aber ohne Bernstein. Ansonsten platzt der Termin.«
»Ach ja«, fügte er hinzu, »sagen sie alle Termine für heute ab. Ich habe heute Nachmittag einen eigenen unaufschiebbaren Termin!«
Thom fühlte sich jetzt stark. Er lief immer dann zu Hochform auf, wenn man ihn unter Druck setzen wollte. Solche Versuche prallten von ihm ab und machten ihn nur noch stärker. Sollten sie nur kommen, er war gewappnet.
Pünktlich um zehn Uhr standen Vanessa und Alfred vor seinem Schreibtisch. Sie trug ein marineblaues Business-Kostüm, womit sie eine gewisse Überlegenheit gegenüber Alfred zeigte, der nur in Jeans und Sakko erschienen war.
Thom blieb hinter dem Schreibtisch sitzen und schrieb an einer Notiz. Beiläufig begrüßte er sie ohne aufzublicken und bat, einen Moment zu warten.
Vanessa und Alfred setzten sich und schauten Thom zu, der mit einem alten Füllfederhalter einige Zeilen auf ein Papier schrieb. Dabei zuckte er entschuldigend mit seinen Schultern und ignorierte sie eine Weile. Was er schrieb, war wichtiger, als die Anwesenheit der beiden. Sie sollten schmoren und er wollte ihnen seine wiedergewonnene Überlegenheit zeigen.
Alfred rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, während Vanessa lässig und gelangweilt auf ihrem Stuhl saß. Sie parierte seine Gleichgültigkeit mit totaler Kontrolle.
Thom schaute auf, legte das Blatt zur Seite und schraubte den Füllhalter langsam zu. Wortlos wechselte sein Blick zwischen den beiden hin und her.
»Nun Alfred«, begann er das Gespräch und schaute Alfred in die Augen, »ich denke, du hast genug Zeit gehabt, deine Vorstellungen bezüglich der Übergabe, beziehungsweise Umschreibung, zu konkretisieren. Ich bin damit einverstanden, dass ihr diese Vorstellungen eurem Notar zur Vorbereitung der Gespräche mit der Kanzlei Wiedmüller übergebt. Diese hat übrigens seit heute Morgen auch von mir klare Richtlinien für die Verhandlungen bekommen.«
Alfred schluckte und schaute Thom fragend an.
»Wollten wir denn nicht heute Morgen über Einzelheiten sprechen?«
Thom schüttelte den Kopf.
»Für die Feinheiten ist mein Rechtsanwalt und langjähriger Berater zuständig. Er hat meine Forderungen auf dem Tisch, und diese gelten als Basis für die weiteren Verhandlungen. Wenn Bernstein mit euren Vorstellungen bei Wiedmüller auftaucht, werde ich mich bei der letzten Sitzung vor der Unterzeichnung einschalten.«
»Aber Thom«, mischte sich Vanessa ein, die mit dem Verlauf des Gesprächs überhaupt nicht einverstanden war, »sollten wir hier nicht wenigstens über die Eckdaten des Vertrages sprechen?«
Thom schaute ihr ganz ruhig in die eisgrauen Augen.
»Was ändert es, wenn ihr mich mit euren Vorstellungen konfrontiert und dann später etwas ganz Anderes dabei herauskommt. Es geht ja erst einmal um Alfred und mich. Ich vertraue ihm und er kann mir vertrauen. Es wird nichts im Vertrag stehen, was der Firma schaden könnte.«
Dabei betonte Thom das Wort Firma ganz besonders stark.
»Willst du denn nicht wenigsten einen Blick auf unseren Entwurf werfen?«, warf Alfred ein.
»Nein«, antwortete Thom, »entscheidend sind meine Vorstellungen. Ich halte die Karten in der Hand. Noch! Wie die mit euren, sorry, Alfreds Vorstellungen in Einklang zu bringen sind, sollen die Rechtsanwälte herausfinden. Das letzte Wort habe dann ich!«
Während er sprach stand er auf und ging um den Schreibtisch herum. Die Unterhaltung war damit beendet.
Alfred wollte aufstehen, aber Vanessa ergriff mit hochrotem Gesicht energisch seinen Ärmel und zwang ihn, sitzen zu bleiben. Thom hatte sie empfindlich getroffen, so eine Behandlung war sie nicht gewohnt.
»Wir haben aber noch ein anderes Anliegen, das wir besprechen sollten«, sagte sie mit unterdrückter Erregung.
Thom nutzte die Chance, sie energisch in die Schranken zu weisen.
»Wenn es um die Firma geht, ist der Begriff »wir« fehl am Platz. Es geht um Alfred und mich. Auch wenn du deine Finger in der ganzen Sache hast, solltest du dich in meiner Gegenwart am Riemen reißen schweigen oder den Raum verlassen!«
Vanessa ließ sich nicht aufhalten.
»Es geht um deine Villa. Sie gehört zum Betriebsvermögen. Es wäre schön und sinnvoll, wenn dieses auch so bliebe«, setzte sie hinzu.
Thom schaute seinen Sohn an.
»Und wie siehst du das«, fragte er Alfred, dessen Gesicht ebenfalls vor Aufregung rot angelaufen war.
»Ich glaube, Vanessa hat recht, sie stellt einen erheblichen Wert dar, der als Sicherheit für zukünftige Investitionen in der Firma von Bedeutung sein könnte«, sagte er leise und befreite sich beim Aufstehen von Vanessas Klammergriff.
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und schaute seinen Vater an.
»Es wäre außerdem sinnvoll, wenn du Vanessa, meine Frau, mit in deine Überlegungen einbeziehen würdest!«
Thom runzelte die Stirn, hob seine Stimme und polterte los.
»Für wie dämlich haltet ihr mich eigentlich! Das Haus gehört ganz und gar nicht zum Betriebsvermögen. Es gehört mir, nur mir! Ein Blick ins Grundbuch wird euch das beweisen.«
Dann riss er sich wieder zusammen.
»Alles was von heute an geschieht, hängt von meinem guten Willen ab. Ganz allein von meinem! Noch kann ich ja, noch kann ich nein sagen. Das Haus ist doch nur so wichtig für euch, weil ihr mich aus Hamburg und damit aus eurer Nähe entfernen wollt. Meine Anwesenheit würde euch beiden nicht passen. Und den Wert des Hauses als Investitionssicherheit anzuführen, ist einfach nur dämlich. Meine Firma ist gesund und braucht diese Sicherheit nicht. Gleichgültig, wo ich wohnen werde, meinen kleinen Einfluss werde ich so oder so behalten. Ob es euch passt oder nicht!«
Vanessa war sichtlich beeindruckt und setzte zu einer Antwort an.
Thom unterband ihren Versuch und fauchte sie an.
»Mit wem verhandele ich hier eigentlich? Wer hält bei euch beiden den Ball im Spiel? Bist du, Alfred, nicht Manns genug, mit mir zu reden, wo du doch die Firma leiten willst? Geht jetzt zu eurem Notar und gebt ihm eure Vorschläge, wenn das nicht schon passiert ist. Das Haus könnt ihr euch sonst wohin stecken. Ich lege keinen Wert darauf! Wir kommen noch einmal darauf zu sprechen, wenn es um die Abfindung und meine Zukunftssicherheit geht. Und die wird nicht billig, glaubt mir!«
»Selbstverständlich verhandelst du in erster Linie mit mir«, erwiderte Alfred leise. Er war eingeschüchtert, so wie immer, wenn Thom aus der Haut fuhr.
»Aber in Zukunft wird Vanessa auch hier eine Rolle spielen, und das, weil ich es so will«, fuhr er trotzig fort.
Thom schüttelte nur den Kopf. Ihm wurde wiederholt bewusst, dass nicht Alfred, sondern Vanessa die erste Geige spielte. Ein schrecklicher Gedanke!
»Geht jetzt, ich habe noch einiges vorzubereiten, bevor die Anwälte der Kanzlei Wiedmüller hier sind. Bernstein kann übrigens gerne einen Blick in die Bilanzen werfen, das dürfte ja Voraussetzung in der Frage meiner Abfindung und der zukünftigen Unterhaltszahlungen für mich sein!«
Bei dem Wort »Unterhaltszahlungen« kräuselten sich seine Lippen zu einem bitteren Lächeln. Irgendwie waren die letzten Worte auch ein Eingeständnis seiner Niederlage. Das musste er wegstecken, doch Thom wusste, dass das noch lange nicht das Ende war.
Pünktlich um 15 Uhr erschien Rechtsanwalt Wiedmüller. Er war ein kleiner korpulenter Mann mit gemütlicher Ausstrahlung. Ein Mann, der davon beruflich profitierte, unterschätzt zu werden. In Auseinandersetzungen vor Gericht war er wegen seiner großen Kompetenz und Hartnäckigkeit als Bulldogge gefürchtet.
Er begrüßte Thom freundschaftlich und wollte sich vor den Schreibtisch setzen.
»Nein warte, lass uns an drüben an dem kleinen Couchtisch Platz nehmen. Nimmst du einen Drink?«
Wiedmüller winkte ab.
»Na alter Mann, willst du nicht mehr? Schmeißt dich die Jugend raus?«
Wiedmüller konnte sich diesen Ton erlauben, da sie seit 30 Jahren miteinander arbeiteten und auch befreundet waren.
»Ich habe mir dein Memo genau durchgelesen. Willst du es so billig machen?«
Thom schaute in das grinsende Gesicht des Rechtsanwaltes.
»Mir ist wahrlich nicht nach Scherzen zu Mute. Alfred und Vanessa haben mich gestern Abend quasi überfallen, als alle Gäste meiner Feier gegangen waren. Du bist ja früh gegangen und hast nicht bemerkt, dass zwischen den beiden eine angespannte Atmosphäre war. Als sie dann mit mir alleine waren, haben sie die Katze aus dem Sack gelassen.«
Wiedmüller zog die Augenbrauen hoch.
»So kenne ich dich gar nicht. Wieso bist denn darauf eingegangen?«
Thom holte tief Luft.
»Weil ich Beate vor ihrem Tod versprochen hatte, mich mit 70 zurückzuziehen und Alfred das Feld zu überlassen!«
Der Rechtsanwalt wiegte seinen Kopf langsam hin und her.
»Nur Alfred?«, fragte er, »oder auch Vanessa samt Anhang?«
Er traf damit ins Schwarze und Thom hob abwehrend die Hände.
»Das ist genau meine Befürchtung, da müssen wir einen Riegel vorschieben. Ich habe ja noch die 10% von Beate und will diese auch behalten. Der Firma darf nichts passieren, sie darf weder aufgeteilt noch verkauft werden. Bei größeren Investitionen muss ich in die Entscheidungen eingebunden werden.«
»Letzteres kannst du dir abschminken. Ins laufende Geschäft kannst du nicht eingreifen, nur wenn es um die Wurst geht«, erklärte Wiedmüller. »Aber lass mich mal machen, ich werde für dich das Optimale herausholen. Kapital aus der Firma abziehen, das geht auf keinen Fall.«
Im Laufe des Nachmittags besprachen sie die Einzelheiten. Zusätzlich informierte ihn Wiedmüller über die Gerüchte, dass die Scherf KG Probleme mit der Liquidität hätte. Demnächst müsste Scherf viele Millionen an seine Bank zurückzahlen. Damit hätte er wohl Probleme.
Als Wiedmüller ging, fiel Thom ein Stein von Herzen. Sein diffuses Gefühl der Unsicherheit wich. Die Absichten Vanessas konkretisierten sich immer mehr. Thom würde sich wappnen. Vorläufig.
Nervös nippte Vanessa an ihrem Kaffee. Auf der schwarzen Oberfläche des Getränks bildeten sich konzentrische Ringe, ein Zeichen, dass ihre Hand zitterte. Sie saß in einem Café in der Mönckebergstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs Süd mitten im Zentrum von Hamburg. Das Telefonat einige Minuten zuvor mit Alfred hatte Spuren hinterlassen. Sie war genervt, enttäuscht und sauer und fluchte innerlich wegen der Unfähigkeit ihres Mannes.
Alfred hatte sie aufgeregt, gut gelaunt und stolz angerufen. Er berichtete von der entscheidenden Sitzung bei Rechtsanwalt Wiedmann. Thom, ihr Schwiegervater, hatte allen Punkten im Vertrag zugestimmt. Das war auch nicht verwunderlich, schließlich hatte er die Eckpfeiler in dem Vertrag gesetzt. Es galt das Motto »Vogel friss oder stirb«. Entweder Alfred unterschrieb, oder es ging nichts in Sachen Übertragung. Die gesamte Prozedur ging somit glatt über die Bühne. Der Notar hatte pflichtgemäß den ausgehandelten Vertrag vorgelesen. Danach hatten Alfred und Thom unterschrieben. Das war es.
Die Firma gehörte jetzt Alfred. So schien es auf den ersten Blick. Aber ihr Schwiegervater hatte ein paar Tretminen in die Verträge eingebaut, die nur auf den ersten Blick harmlos wirkten. Alfred war es wohl egal, dass sein Vater ihm ein enges Korsett verpasst hatte. Er wollte einfach die Sache hinter sich bringen, sein schlechtes Gewissen gegenüber seinem Vater loswerden und sich endlich auf die neue Herausforderung konzentrieren. Er hatte im Grund das erreicht, was er wollte und nahm dafür ein enges Korsett in Kauf.
Alfreds Verhalten entsprach seinem Naturell. Konflikte durchzustehen war nicht seine Stärke, er liebte den Ausgleich oder den Kompromiss. Wenigstens bisher. Hinzu kam seine ausgeprägte Sucht nach Harmonie, die durch die enge Beziehung zu seiner verstorbenen Mutter hervorgerufen wurde.
Diese Eigenschaft hatte Vanessa bereits am Anfang ihrer Beziehung erkannt und häufig ausgenutzt. In ihren Händen war er nachgiebig wie Plastilin. Alfred suchte stets den Ausgleich und war von vornherein immer zu Kompromissen bereit. Trotzdem liebte Vanessa ihren Mann.
Thom war aus einem anderen Holz geschnitzt. Er hatte Alfred auch nach der Übertragung in Zukunft an der Angel. Alle wichtigen Entscheidungen, die über das normale Tagesgeschäft hinausgingen, mussten von dem Alten abgesegnet werden. Dazu gehörte besonders das Abziehen von Kapital aus der Firma. Und das war für Vanessa ein Knackpunkt, der ihr Sorgen bereitete.
Als Alfred diese Tatsache und andere Inhalte des Vertrages stichwortartig am Telefon erwähnte, ballte Vanessa die Hände zu Fäusten, so dass die langen Fingernägel tiefe Abdrücke in ihren Handballen hinterließen. Natürlich hatte sie sich zusammengerissen und Alfred gratuliert und sein Verhandlungsgeschick gelobt. In Wirklichkeit aber war das Ergebnis für sie und ihre Pläne eine Katastrophe.
Vanessa atmete einige Male tief durch, bevor sie das Smartphone zur Hand nahm. Dann drückte sie die Kurzwahltaste, um ihren Vater zu informieren.
»Ja, glaub mir Papa, sie haben unterschrieben. Alfred hat mich eben aus der Kanzlei Wiedmann angerufen und mir einige Details mitgeteilt.«
Vanessa lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und hörte angestrengt ihrem Vater zu.
»Nein, es ist nicht alles in Butter! Anscheinend hat der Alte bei den Verhandlungen noch Zicken gemacht und mehrere rote Linien gezogen«, flüsterte sie leise ins Smartphone.
»Ich hatte Alfred doch schon beim Prüfen der Vertragsentwürfe gedrängt, seine Entscheidungsfreiheit nicht so stark einschränken zu lassen. Es hat aber nichts genutzt, der alte Fuchs hat sich durchgesetzt«.
Die Stimme von Siegmund Scherf wurde so laut, dass Vanessas Ohr schmerzte. Sie hatte das Gefühl, dass sämtliche Gäste im Café sein Gebrüll mitbekommen würden.
»Rede bitte etwas leiser«, flüsterte sie ins Telefon, »ich habe keine Lust, dass hier alle am Gespräch teilnehmen. Die genauen Details des Vertrages habe ich ja selbst noch nicht. Ich weiß nur, dass Alfred in vielen unternehmerischen Entscheidungen die Hände gebunden sind. Das sehe ich allerdings nur als ein zeitliches Problem an«, fügte sie hinzu, um die Bedeutung ihrer Aussage ein wenig abzuschwächen.
Vanessa hatte ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Sie ärgerte sich wegen der unbeherrschten Art ihres Vaters und spielte mit dem Kaffeelöffel, den sie leicht gegen die Kaffeetasse schlug.
»Ich habe noch bis um fünf Zeit, dann treffe ich mich mit Alfred zuhause. Kannst du mich nicht holen lassen? Ich denke, wir müssen noch ein paar Dinge besprechen«, fuhr sie fort.
»Meinen Wagen habe ich leider nicht dabei. Alfred hatte mich in der Stadt abgesetzt, bevor er zum Rechtsanwalt fuhr!«
Sie entspannte sich, trank den Rest Kaffee aus und bezahlte. Dann stand sie auf, um das Café zu verlassen. Dabei spürte sie die Blicke der Männer auf ihrem Körper Die Gespräche verstummten, als sie an den Tischen vorbeischritt. Solche kleinen Auftritte liebte sie und bauten sie gerade jetzt wieder auf. An der Garderobe zog sie ihren weißen Ledermantel über das eng sitzende cremefarbene Kostüm an.
Sie hätte sie alle haben können. Alle! Dieses Gefühl der Macht erregte sie und machte sie scharf. Dabei machte sich ein prickelndes Gefühl im Unterleib bemerkbar. Für sie war Sex nur interessant, wenn sie dabei Macht ausüben und ihre Interessen durchsetzen konnte. Liebe und Lust als Mittel zum Zweck. Einem starken Mann im Bett die Initiative zu überlassen, war für sie fast unerträglich. Dann war sie unfähig, etwas zu empfinden.
Sie wusste, dass das eine Art von neurotischer Impotenz war. Aber es war ihr immer egal gewesen, da es genug Männer wie Alfred gab.
Vanessa hatte das erste Mal diese Macht verspürt und auch angewandt, als sie in der Uni eine schlecht vorbereitete Klausur mit einer miesen Note geschrieben hatte. Sie meldete sich bei ihrem Professor zur Sprechstunde an und betrat als letzte Studentin das Büro. Sie hatte nur eine Bluse und einen kurzen Rock an. Darunter trug sie weder einen BH noch einen Slip. Nach einer halben Stunde lag der Professor unter ihr auf dem Schreibtisch und spießte sie auf. Seine Hose hing auf seinen Schuhen und wippte auf und ab im Rhythmus ihrer gleitenden Hüftbewegungen. Sie sprachen kein Wort, sondern schauten sich nur in die Augen. Vanessa erinnerte sich gut an den unglaublichen Orgasmus, den sie bei diesem schnellen Akt hatte.
Sie kontrollierte einen Mann, der ungleich mächtiger war als sie. Aus der Note »ausreichend« hatte sie ein »gut« gemacht.
Sie machte sich mit einem Papiertaschentuch sauber und warf dieses in seinen Papierkorb. Beim Verlassen des Büros drehte sie sich noch einmal um. Der Professor stand mit hängender Schulter am Fenster und schaute hinaus. Er sagte leise, dass sie ein Spinnenweibchen sei und man sich vor ihr hüten müsse. Später erfuhr sie, dass er glücklich verheiratet war und zwei kleine Kinder hatte. Das erzeugte noch einmal einen Kick in ihr.
Bevor sie das Café verließ, wanderte ihr Blick noch einmal zurück zu den einzelnen Tischen, dabei zog sie die rechte Augenbraue hoch. Sie konnte es nicht lassen und genoss die abschätzenden Blicke der Männer.
Draußen blieb sie am Eingang stehen und knöpfte den Mantels am Hals zu, da es windig war. Dann steckte sich eine Zigarette an. Tief sog sie den Rauch ein und genoss das leichte Kribbeln, das der Nikotinflash in ihrem Kopf hervorrief. Ausdruckslos starrte sie in den vorbeifließenden zähen Verkehr, der sie zwang, länger auf den Wagen ihres Vaters warten zu müssen, als ihr lieb war.
Das bevorstehende Gespräch mit ihrem Vater belastete sie. Dieser führte irgendetwas im Schilde, was ihren eigenen Plänen zuwiderlaufen würde. Seine Reaktion am Telefon sprach Bände. Auch er hatte eigene Pläne und wollte sie benutzen.
Dagegen waren ihre langfristigen Absichten in der Ehe mit Alfred so simpel wie subtil Sie wollte die absolute Kontrolle über ihren Mann erreichen und den damit verbundenen wachsenden Einfluss in der Firma ausbauen. Irgendwann würde sie von allein bekommen, was sie wollte. Da passten Kinder mit Alfred, ihr Vater, aber auch Thom absolut nicht hinein.
Vanessas Verhältnis zu ihrem Vater war zwiespältig. Einerseits liebte und respektierte sie ihn als Tochter ohne Wenn und Aber. Er war halt ihr Vater und Förderer, der schon früh ihre außergewöhnlichen Qualitäten erkannt hatte. Dazu gehörten ihr messerscharfer Verstand und eine Portion Skrupellosigkeit.
Andererseits fürchtete sie ihren Vater wegen seiner unkontrollierten Ausbrüche. Mehr als einmal hatte sie diese als junges Mädchen vor und in der Pubertät zu spüren bekommen. Sie erinnerte sich nicht gern daran und verdrängte sie. Nur nachts in ihren Träumen kamen schreckliche Erinnerungen in ihr hoch.
Zusätzlich störten sie die zweifelhaften und illegalen Geschäfte ihres Vaters. Diese und der Umgang mit halbseidenen Lieferanten aus Übersee, hatten ihn schon mehrfach in große Schwierigkeiten gebracht.
Sie konnte sich an verschiedene Situationen in der Vergangenheit erinnern, wo Koffer mit Geldbündeln im Wohnzimmer über den Tisch geschoben wurden und Männer mit südländischem Akzent leise mit ihrem Vater sprachen. Die Beulen unter den Jacketts zeigten ihr, dass sie keine Gentlemen waren, sondern eher einem Clan angehörten. In solch einen kriminellen Strudel wollte sie sich nicht hineinziehen lassen.
Er hatte schon viel Geld für teure Rechtsanwälte ausgeben müssen, die ihn vor Gericht erfolgreich herauspaukten. Immer hart am Abgrund! Vanessa hatte ständig Sorge, dass das irgendwann einmal nicht mehr funktionieren und er für lange Zeit im Knast landen würde.