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Die 32-jährige Modemanagerin Lilly wird von ihrem langjährigen Partner Francis verlassen und fühlt sich einsam. In einer Kölner Bar lernt sie den attraktiven Jack kennen, der alles daran setzt, ihr Herz zu gewinnen. Lilly verliebt sich in ihn, doch Jack ist nicht das, was er vorgibt zu sein. Lilly ist für ihn das perfekte Opfer: attraktiv, vermögend und einsam. Zusammen verreisen sie in die Toskana, wo Jack ihr einen beträchtlichen Geldbetrag entwendet und verschwindet. Lilly bleibt alleine in Siena zurück. Ihre Freunde Jacques und Julia eilen ihr zur Hilfe, und sie begegnet der warmherzigen Familie Bernardi sowie dem Arzt Sergio, die sie unterstützen. Während Lilly neuen Mut fasst, zieht sich die Schlinge um Jack langsam zu. Wird Jack seiner gerechten Strafe entkommen? Und kann Lilly nach all dem Verrat wieder an die Liebe glauben?
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Seitenzahl: 516
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Claudie Elling
PICI E AMORE
Das Glück wartet in Siena
ROMAN
Über das Buch
Die 32-jährige Modemanagerin Lilly wird von ihrem langjährigen Partner Francis verlassen, weil sie nur ihre Arbeit im Kopf hat und die Familienplanung immer wieder aufschiebt. Lilly fühlt sich einsam. In einer Bar in Köln lernt sie den attraktiven Jack kennen, mit dem sie eine unbeschwerte Zeit verbringt. Eine gemeinsame Reise nach Siena bringt ans Licht, dass Jack in Wahrheit ein gerissener Heiratsschwindler ist, der lediglich an Lillys Vermögen interessiert ist. Es gelingt ihm, sie zu manipulieren, ihr einen beträchtlichen Geldbetrag zu entwenden und verschwindet dann spurlos. Doch Lilly lernt bald, was wahre Freundschaft und Liebe bedeuten. Ihre Freunde Julia und Jacques eilen ihr zur Seite, und sie begegnet der warmherzigen Familie Bernardi sowie dem Arzt Sergio, die sie unterstützen. Wird Lilly ihr Glück in Siena finden?
Über die Autorin
Wenn sie nicht gerade mit ihrem Hund Theo durchs Bergische Land streift, gehört das Herz von Claudie Elling (geb. 1968 in Köln) der Toskana. Ihre lebenslange Begeisterung für das geschriebene Wort und die Magie Italiens hat sie nun in ihrem Debütroman vereint: »PICI E AMORE – Das Glück wartet in Siena«.
Die Handlung und alle Personen, die in diesem Roman vorkommen, sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen wären rein zufällig. Alle Rechte an den im Buch enthaltenen Inhalten sind vorbehalten.
Coverfoto: Alexandra Merz,
https://pixabay.com/photos/travel-tourism-europe-siena-6760434/ (24.07.2025)
1. Auflage 2025
Texte: ©2025 Copyright by Claudia Schmitz, c/o IP-Management #6240, Ludwig-Erhard-Straße 18, 20459 Hamburg, [email protected]
Umschlaggestaltung: ©2025 Copyright by Claudia Schmitz, c/o IP-Management #6240, Ludwig-Erhard-Straße 18, 20459 Hamburg
Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154 a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherungsverordnung: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1 Köln
2 Warten
3 Lilly und Jack
4 Ermittlungen
5 Vernissage
6 Principessa
7 Üble Absichten
8 Verliebt
9 Jack und Jean-Pierre
10 Planung
11 Eifersucht
12 Überraschung
13 Verblendet
14 Mailand
15 Siena
16 Verdacht
17 Flucht
18 Allein
19 Freundschaft
20 In aller Stille
21 Geburtstag
22 Zusammenhalt
23 Sehnsucht
24 Zeitungsartikel
25 Abreise
26 Sergio
27 Florenz
28 Aufgedeckt
29 Vorbereitungen
30 Fehler
31 Organisation
32 Ziellos
33 Gemeinsam
34 La Serenata
35 Hochzeitstag
36 Entscheidungen
Nachwort
Jack eilte zum Hauptausgang des Kölner Hauptbahnhofs. Durch die großen Glasscheiben des Bahnhofsgebäudes konnte er den Kölner Dom erkennen, und als er den Bahnhofsvorplatz erreichte, eröffnete sich ihm die beeindruckende gotische Kathedrale in ihrer vollen Pracht.
Er stieg die Treppen zur Domplatte hinauf. Jean-Pierre hatte ihm den Weg zu ihrem Treffpunkt genau beschrieben.
Oben angekommen, blieb Jack kurz stehen und blickte zu den beiden Domtürmen hinauf. Was für ein imposantes Bauwerk! Er hatte die lange Bahnfahrt von Hamburg nach Köln genutzt, um sich im Internet einen ersten Eindruck der Stadt zu verschaffen. Er erfuhr, dass der erste Grundstein des Doms bereits 1248 gelegt wurde, doch die Bauarbeiten erstreckten sich über mehrere Jahrhunderte und wurden erst 1880 vollendet. Zu diesem Zeitpunkt war der Dom mit seinen einhundertsiebenundfünfzig Meter hohen Türmen das höchste Bauwerk der Welt. Anstoß für den Bau war die Ankunft der Reliquien der Heiligen Drei Könige im Jahr 1164 in Köln. Diese wurden in einem prächtigen goldenen Schrein aufbewahrt und im Hochchor ausgestellt, was zahlreiche Pilger und Touristen anzog. Der Kölner Dom war ein Symbol für die Stadt und verkörperte den Glauben der Menschen, die über Jahrhunderte hinweg an diesem beeindruckenden Bauwerk festhielten.
Die tatsächliche Größe der Kathedrale übertraf jedoch bei weitem Jacks Vorstellungen. Die Sonne strahlte, und er blinzelte hinauf zu den beiden Türmen, die in einen herrlichen blauen Himmel ragten.
Er genoss den warmen Wind, der ihm die dunklen Haare zerzauste. Eine junge Frau ging an ihm vorbei, warf ihm ein Lächeln zu und hielt dabei den Blickkontakt. Selbstbewusst erwiderte er ihr Lächeln, sich der Wirkung dieses kurzen Augenblicks voll bewusst.
Jack hatte eine natürliche Ausstrahlung, die von jeher Frauenherzen höher schlagen ließ. Wenn er lächelte, funkelten seine rehbraunen Augen, die von langen seidigen Wimpern umrahmt wurden. Sein braunes Haar war kurz geschnitten und zeigte an den Schläfen bereits erste graue Strähnen. Er vermittelte eine gewisse Reife und Erfahrung, die Frauen magisch anzog. Er kleidete sich stets stilvoll und elegant, oft in gut sitzenden Anzügen oder legeren Outfits, die seine durchtrainierte Figur betonten und seinen Sinn für Mode unterstrichen.
Es war Hochsommer, und die Kölner schwitzten an diesem Julitag bei achtundzwanzig Grad im Schatten. Auf der Domplatte herrschte reges Treiben, wie man es an warmen Sommertagen wohl an jedem touristischen Hotspot dieser Welt beobachten kann. Männer in kurzen Hosen und T-Shirts saßen entspannt auf den Bänken und Mauern, während Frauen in bunten Sommerkleidern, die sanft vom Wind umspielt wurden, über die Domplatte schlenderten. Touristen posierten für Fotos oder versuchten, den majestätischen Dom als Ganzes abzulichten – ein nahezu unmögliches Unterfangen angesichts seiner imposanten Größe. Geschäftsleute eilten zwischen den Bürogebäuden und dem Bahnhof hin und her, während Teenager ihr Können zeigten, indem sie mit ihren Skateboards Pirouetten drehten.
Die Luft war erfüllt vom Duft des Sommers, einer unverwechselbaren Mischung aus erhitztem Asphalt und den vielfältigen Aromen einer lebhaften Großstadt an einem heißen Tag.
Von der Domplatte steuerte Jack auf das elegante, traditionsreiche Café Heinrich zu, wo ihn Jean-Pierre bereits erwartete. Sein Freund und Geschäftspartner hieß in Wirklichkeit »Hans-Peter«, zog es jedoch vor, mit seinem französischen Alias angesprochen zu werden, weil dieser besser bei seinen Gästen ankam.
Jack selbst wählte für jedes seiner Frauen-Projekte einen neuen Vornamen. Er konnte sich kaum erinnern, wann ihn zuletzt jemand »Joachim« genannt hatte. In Hamburg, seiner letzten Station, hatte er sich »Carl« genannt.
An diesem Morgen war Jack mit dem ICE aus Hamburg angereist, um sich in Köln ein neues Leben aufzubauen, nachdem das Hamburger Projekt beendet war. Marlis, mit der er die letzten sieben Monate verbracht hatte, war anstrengend und anhänglich gewesen – und leider auch körperlich immer unattraktiver. Er hatte regelrecht die Flucht ergriffen. Nicht nur, weil es ihn große Mühe gekostet hatte, an ihr Geld heranzukommen, sondern auch, weil ihm ihre fürsorgliche Art zunehmend auf die Nerven gegangen war. Jack konnte sich kaum noch daran erinnern, warum er sich überhaupt auf eine Beziehung mit einer elf Jahre älteren Frau eingelassen hatte.
Mit seinen achtunddreißig Jahren fühlte er sich seit seiner Ankunft in Köln endlich wieder jung, attraktiv und wie ein neuer Mensch. Er genoss seine Freiheit und freute sich auf das neue Vorhaben, das Jean-Pierre ihm bereits angekündigt hatte.
Leider hatte das Projekt Marlis nicht genug Geld in die Kasse gespült, um eine Weile Urlaub zu machen. Die erbeuteten zwanzigtausend Euro hatte er mit Jean-Pierre teilen müssen und seine neuen Papiere hatten zusätzlich ein Loch in die Kasse gerissen.
Jean-Pierre hatte seinen Job in Hamburg gekündigt, als sich das Ende von Jacks Beziehung mit Marlis abzeichnete, und war vorab nach Köln gereist, um Ausschau nach einem neuen Projekt zu halten. Weder Jack noch Jean-Pierre kannten die Stadt, hatten aber schon viel Gutes – insbesondere über die Mentalität der Kölner – gehört und schon lange geplant, dort Station zu machen.
Jean-Pierre hatte sich im La Menthe, einem angesehenen und gut besuchten französischen Restaurant, als Kellner beworben und war mit Kusshand genommen worden. Wenige Tage später ergatterte er zudem einen Job als Barkeeper in der Bar Il Merlo, einem bekannten Treffpunkt für Nachtschwärmer und Singles. Nun arbeitete er an allen Tagen der Woche stundenweise entweder in dem einen oder in dem anderen Lokal.
Über den Eigentümer des La Menthe hatte Jean-Pierre eine kleine Wohnung am Friesenwall anmieten können. Dies war ein großes Glück, denn der Kölner Wohnungsmarkt war wie leergefegt. Durch seine geheimen Kontakte hatte er zudem für Jack einen neuen Personalausweis und weitere Papiere besorgt. Nun stand ihrem neuen Leben nichts mehr im Wege. Jack würde vorerst bei Jean-Pierre wohnen, was dieser so mit seinem Vermieter abgesprochen hatte. Er hatte ihm Jack als seinen »Cousin« angekündigt.
Woher Jean-Pierre diese Beziehungen in die Verbrecherwelt hatte, war Jack unklar. Fragen danach wurden von Jean-Pierre einsilbig oder ungehalten beantwortet, und sein Gesichtsausdruck wechselte innerhalb von Sekunden von freundlich zu bedrohlich. Jack hatte inzwischen verstanden, dass es klüger war, keine Fragen zu stellen und sich jede Neugier zu verkneifen. Er akzeptierte die Dinge, wie sie waren, und fragte nicht weiter, wenn Jean-Pierre ihm neue Ausweispapiere oder gar Zeugnisse und Zertifikate besorgte, mit denen er seine berufliche Qualifikation nachweisen konnte. Diese galten weniger für reguläre Arbeitgeber, als vielmehr für Jacks Frauen-Projekte, bei denen es oft auch darum ging, zukünftige Schwiegereltern zu beeindrucken.
Jack sah Jean-Pierre mit offenen Armen vor dem Café Heinrich auf sich zukommen. Sein Gesicht strahlte voller Freude. Er wirkte wie ein junger Mann und keineswegs wie einundvierzig Jahre alt. Seine Statur war groß und schlank. Seine strahlend blauen Augen leuchteten in seinem ovalen, kantigen Gesicht.
»Jack! Mein Freund!«, rief Jean-Pierre und schloss ihn herzlich in die Arme. »Ich bin so froh, dass du endlich da bist. Komm, wir suchen uns einen schönen Platz auf der Terrasse.« Er drehte sich um und ging voraus.
Jack folgte ihm mit einem Lächeln. »Er ist immer der perfekte Gastgeber!«, dachte er. Jean-Pierre besaß die Gabe, Menschen das Gefühl zu geben, als wären sie die einzigen und wichtigsten auf der Welt. Seine Gäste im Restaurant liebten ihn dafür.
Jean-Pierre steuerte zielsicher einen Tisch an, zog einen Stuhl zurück und sagte: »Setz dich bitte hierhin. Von hier aus hast du einen tollen Blick auf den Dom. Was möchtest du trinken?«
»Ein Kölsch, bitte«, sagte Jack, während er Platz nahm. Er wusste, dass es in Köln diese besondere Biersorte gab, die dort traditionell gebraut wurde.
Jean-Pierre drehte sich um und die Kellnerin, die bereits hinter ihm stand, nickte lächelnd.
»Und für Sie? Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte die junge Frau.
»Ich nehme auch ein Kölsch«, antwortete Jean-Pierre und ließ sich ebenfalls nieder. Er wandte sich Jack zu.
»Mittlerweile schmeckt es mir richtig gut. Anfangs dachte ich wie alle Touristen, dass Kölsch gar kein richtiges Bier ist. Aber das stimmt nicht. Mit einem Alkoholgehalt von vier Komma acht Prozent ist man nach zehn Kölsch durchaus betrunken. Nur der Brauprozess ist ein anderer als beim Pils. Es ist ein obergäriges, helles Bier mit einem frischen, leicht fruchtigen Geschmack. Süffig und leicht. Das ist an einem heißen Sommertag einfach herrlich erfrischend.«
Jack hörte zwar zu, war jedoch nicht so recht bei der Sache. Nach der langen Fahrt war er froh, endlich in Köln zu sein. Er hatte Durst und wartete im Stillen sehnsüchtig auf sein Getränk.
Endlich kam die Kellnerin mit einem Tablett voller Getränke und stellte die beiden Gläser auf den Tisch.
Jack schaute der jungen Frau in die Augen und sagte freundlich: »Vielen herzlichen Dank! Menschenskinder, habe ich einen Durst!«
Er setzte das schlanke, zylindrische Glas an und trank es in einem Zug leer. »Bitte dasselbe noch einmal. Für meinen Freund auch!«
Jean-Pierre war verdutzt, musste dann jedoch lächeln. Jack verfügte normalerweise über sehr gute Umgangsformen.
»Okay, wir stoßen einfach mit dem zweiten Glas an! Es gibt Neuigkeiten!«
Jack schaute Jean-Pierre fragend und erwartungsvoll an.
»Letzte Woche war eine junge Frau im Il Merlo. Sie wirkte sehr allein und traurig. Ich habe aus dem Bauch heraus unser Spiel gestartet.«
»Hoffentlich ist sie eine etwas andere Erscheinung als Marlis?«, fragte Jack. Eigentlich hätte er gerne noch etwas Zeit gehabt, um durchzuatmen, anstatt sich gleich in das nächste Projekt zu stürzen.
Jean-Pierre grinste breit. »Oh ja! Wir wollen doch nicht einen Juwel mit einem Kieselstein vergleichen, oder?«
Er beugte sich vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch.
»Ein erster Eindruck für dich: Die junge Dame ist etwa einen Meter siebzig groß und sieht sensationell aus! Schulterlange, blonde Haare. Ich schätze sie auf nicht älter als dreißig. Sie trägt teure Markenkleidung und Schuhe, und ihr Schmuck ist echt und außergewöhnlich.«
Jack horchte auf, und Jean-Pierre berichtete weiter.
»Sie kam am späten Abend in die Bar. Es waren nur wenige Gäste anwesend. Ohne nach rechts und links zu schauen, steuerte sie sofort die Theke an und setzte sich auf einen freien Hocker. Den ersten Gin Tonic trank sie fast in einem Zug und bestellte sofort einen weiteren. Ich brachte ihr das Glas und suchte mir eine Beschäftigung in ihrer Nähe. Nach ein paar Minuten sprach die junge Dame mich endlich an. Sie meinte, sie sei eigentlich nicht der Typ, der allein in Bars geht. Heute müsse es jedoch sein, da sie Zeit überbrücken müsse, bis sie später nach Hause könne. Ich fragte nicht weiter nach und sagte ihr, dass sie so lange bleiben könne, wie sie wolle – spätestens bis um sechs Uhr morgens, wenn wir schließen. Wenn sie noch etwas trinken wolle, solle sie mich gerne rufen. Ich nannte ihr meinen Namen. Sie lächelte leicht gequält und meinte, ich sei der erste nette Mensch, dem sie an diesem Tag begegnet sei. Dafür danke sie mir. Ich erwiderte, dass ich Menschen wie sie sehr gerne als Gäste hätte, denn sie habe Klasse.«
Jack stöhnte auf. »Das war ja mal wieder ein echter Jean-Pierre! Es ist aber wohl genau das, warum Frauen so gerne zu dir in die Bar oder ins Restaurant kommen! Du weißt ganz genau, was sie hören wollen!«
Jean-Pierre schmunzelte. »Ja, so ist es wohl.« Dann fuhr er fort: »Nach etwa einer Stunde sah ich, dass sie aufstehen wollte, und begleitete sie zur Tür. Ich sagte ihr, dass wir uns sehr über ihren Besuch gefreut hätten und sie gerne wiedersehen würden. Sie meinte, sie werde ganz sicher wiederkommen, vermutlich schon am nächsten Tag. Ich hielt ihr die Tür auf, sie drehte sich noch einmal um und meinte, ich hätte ihren Abend gerettet. Ihr Name sei Lilly. Und damit verabschiedete sie sich.«
»Jean-Pierre, das klingt nicht nach einem neuen Frauen-Projekt. Hast du dich in sie verliebt?«, fragte Jack.
Jean-Pierre verdrehte die Augen. »Nein, nein. Unsere Kasse ist nach dem Projekt Marlis fast leer, und wir brauchen dringend Geld. Und stell dir vor: Schon in der nächsten Nacht saß Lilly wieder auf ihrem Platz an der Theke! Ich fragte sie, ob sie wieder einen Gin Tonic wolle und sie nickte. Sie trug wieder teure Kleidung, Schuhe und Schmuck. Sie trägt diese mit Selbstbewusstsein, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Wir haben uns nur kurz unterhalten. Ich habe aber unauffällig ein Foto von ihr gemacht … Warte kurz!«
Jean-Pierre zog sein Handy aus der hinteren Hosentasche und navigierte mit dem Finger zur richtigen App.
»Ah, hier ist sie! Sie hat so etwas Schützenswertes und Bedürftiges an sich. Deshalb denke ich, sie wäre ideal als unser nächstes Projekt.«
Er hielt Jack das Handy direkt vor die Nase.
Jack betrachtete das Bild einer attraktiven, schlanken Frau in einem schneeweißen Hosenanzug mit einer rosafarbenen Bluse. Sie saß mit geradem Rücken an einer Theke und trank aus einem Glas. Ihr blondes Haar fiel sanft um ihre feinen Gesichtszüge.
»Wow!«, entfuhr es Jack. »Sie sieht unglaublich gut aus! Genau mein Typ!«
»Ja«, sagte Jean-Pierre grinsend. »Und schon morgen wirst du sie kennenlernen. Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn sie kommt nun schon seit einiger Zeit fast täglich in die Bar, und irgendwann könnte es ihr langweilig werden. Morgen ist Freitag, und sie wird ganz sicher da sein. Wir haben Livemusik. Eine Soul-Jazz-Sängerin mit ihrer Band treten auf.«
Jack nickte und betrachtete das Foto weiterhin.
»Du weißt, dass ich zu den Gästen nur freundlich bin und sein darf. Lilly ist überdies aber auch absolut liebenswert.«
»Jean-Pierre, das klingt sehr gut«, sagte Jack und gab ihm das Handy zurück. »Aber jetzt etwas anderes. Ich habe Hunger und möchte etwas essen. Mein Gepäck ist noch im Schließfach, und ich würde es gerne in die Wohnung bringen. Außerdem bin ich vollkommen erledigt, und ich möchte mich ein wenig hinlegen. Geht das?«
Jean-Pierre zog zwei Schlüssel hervor, die an einem braunen Lederband befestigt waren, und legte sie vor Jack auf den Tisch.
»Hier sind deine Schlüssel für das Haus am Friesenwall und die Wohnung. Ich muss später im La Menthe arbeiten. Iss doch einfach hier im Café eine Kleinigkeit. Danach holen wir das Gepäck und fahren in die Wohnung. Dann kannst du in aller Ruhe auspacken, dich ausruhen und dich im Viertel umsehen. Wir sehen uns dann am späten Abend wieder. Ich denke, dass ich vor Mitternacht wieder zu Hause sein werde.«
Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern, einer Wohnküche und einem Badezimmer. Sie war ideal geschnitten für ihre Zwecke als Wohngemeinschaft, aber insgesamt ziemlich beengt.
Das Zimmer, in dem Jack schlief, maß etwa zwölf Quadratmeter und war weiß gestrichen. Ein großes Altbaufenster mit filigranen Sprossen ließ Sonnenlicht herein. Das Bett, dessen Kopfteil unter dem Fenstersims stand, nahm fast den ganzen Raum ein. Außer dem Bett gab es nur einen Kleiderständer an der Wand neben der Tür.
Jacks Koffer lag offen auf dem Boden. Einige Kleidungsstücke lagen unordentlich darauf, denn am Abend zuvor war er zu müde gewesen, um ihn noch auszupacken. Warum auch die Eile?
Jack erwachte, rieb sich die Augen und setzte sich im Bett auf. Am Vorabend hatte er gelesen und war darüber eingeschlafen. Der Krimi fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden.
Irgendwann in der Nacht war Jean-Pierre nach Hause gekommen. Jack hatte es im Halbschlaf mitbekommen, doch er war gleich wieder eingeschlafen.
Kaffeeduft lag in der Luft. Jack stand auf und ging in die Küche. Jean-Pierre saß bereits an dem kleinen Tisch, bekleidet mit T-Shirt und Boxershorts, und schlürfte seinen Kaffee. Normalerweise schlief er morgens länger, aber heute war ein besonderer Tag.
»Kaffee?« fragte Jean-Pierre und hielt die Kanne über eine leere Tasse.
»Ja, gerne«, antwortete Jack und setzte sich vorsichtig auf den freien Klappstuhl, unsicher, ob dieser seinem Gewicht standhalten würde. Er goss etwas Milch in seinen Kaffee und genoss den aufsteigenden Duft. In diesem Moment wurde ihm wieder seine zurückgewonnene Freiheit bewusst. Er freute sich schon auf all das Neue, das ihn erwartete – und auch auf Lilly.
»Wie machen wir es heute Abend, Jean-Pierre?«
»Ich schicke dir eine Nachricht, wenn Lilly in die Bar kommt, und dann halten wir es wie immer, okay?«
»Besonders viel wissen wir noch nicht über sie. Oder hast du gestern noch etwas vergessen zu erzählen?«, fragte Jack.
Jean-Pierre runzelte die Stirn. »Sie hat mir gesagt, dass sie wegen eines Mannes namens Francis gerade nicht in ihre Wohnung kann. Ihr Partner hat sich von ihr getrennt, und er würde nun seine Sachen packen und gehen. Und auch seinen Kater Casper, den sie über alles liebt, würde er mitnehmen.«
»Okay«, sagte Jack. »Das ist doch schon mal etwas. Darauf kann ich aufbauen. Ab wann ist die Band da, und wann kommt Lilly gewöhnlich?«
»Die Livemusik beginnt um zehn Uhr. Sie hat gesagt, dass sie gegen neun Uhr da sein wird.«
»Ich werde etwas früher da sein, um sie mir unauffällig anzusehen«, sagte Jack. Ich schreibe dir eine Mitteilung, wenn es losgeht!«
Jean-Pierre nickte mit dem Kopf. »Ja, alles klar!«
Jean-Pierre ging zur Arbeit im Restaurant La Menthe, während Jack den Tag damit verbrachte, sich wieder in Form zu bringen. Er fand in der Nähe der Wohnung einen modernen Friseursalon und ließ sich die Haare schneiden. Mittags aß er in einem Bistro einen Salat und beobachtete die Geschäftsleute, die hastig hereinkamen, ungeduldig bestellten, schnell ihr Gericht verzehrten und ebenso rasch wieder verschwanden.
»Was für ein gehetztes Leben«, dachte Jack. »Da habe ich es besser!«
Am Nachmittag joggte er eine ausgiebige Runde im Stadtgarten, den Jean-Pierre ihm empfohlen hatte. Das Laufen war sein bevorzugter Sport und bot ihm den nötigen Ausgleich, um abzuschalten und seine Gedanken zu ordnen.
Zurück in der Wohnung widmete sich Jack ausgiebig der Körperpflege. Er legte großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und wollte die letzten Monate mit Marlis am liebsten einfach »abwaschen«.
Schließlich schaute er zufrieden in den Spiegel. Endlich fühlte er sich wieder wie er selbst. Er schnitt eine Grimasse. Auch wenn seine Projekte immer ähnlich begannen, war er doch jedes Mal wieder aufs Neue aufgeregt. Diese Anspannung hielt er für wichtig, weil sie ihn authentischer wirken ließ.
Kurz nach halb neun machte Jack sich auf den Weg und schlenderte durch die Straßen, bis er schließlich das Il Merlo fand. Jean-Pierre hatte ihm den Weg zwar beschrieben, aber Jack kannte sich in Köln nicht aus und seine Orientierung ließ zu wünschen übrig, weshalb er etwas länger brauchte. Zudem befand sich der Eingang der Bar versteckt in einer kleinen Nebenstraße der Friesenstraße. Nur das grüne Schild über dem Eingang mit der schwarzen Amsel und den ebenfalls schwarzen Buchstaben Il Merlo deutete darauf hin, dass sich hier ein gastronomisches Angebot verbarg. Hier fanden Nachtschwärmer und Singles eine Zuflucht.
Jean-Pierre hatte Jack versichert, dass er in der Bar auch eine Kleinigkeit zu essen bestellen konnte.
Jack drückte mit der Hand gegen die Tür, die sich schwerfällig nach innen öffnete. Er trat ein und stand in einem quadratischen Raum mit schwarzem Fußboden und dunkelroten Wänden, der an der rechten Seite von einer gewaltigen Edelstahl-Theke eingenommen wurde. An der Wand hinter der Theke waren Spiegel und Glasregale angebracht, auf denen Flaschen und Gläser in jeder Größe und Farbe standen. Vor der Theke standen schwarze, bequeme Hocker, deren Sitzflächen mit roten und schwarzen Lederbezügen bezogen waren.
Jack sah sich um und entdeckte weiter hinten einen weiteren Raum mit Tischen und Stühlen. Auf den Tischen standen kleine Gefäße mit brennenden, weißen Kerzen sowie schlanke Glasvasen mit weißen Blumen. Es waren bereits einige Gäste da, die etwas aßen oder ein Getränk zu sich nahmen.
Jean-Pierre hatte Jack erklärt, auf welchem Hocker Lilly gewöhnlich saß. Sie bevorzugte es, in der Ecke an der rechten Seite der Theke zu sitzen.
Ein Kellner trat auf Jack zu, begrüßte ihn und fragte ihn, wo er sitzen wolle. Jack maß den Raum mit den Augen aus und entschied sich für einen Tisch im Nebenraum, von dem aus er den Thekenbereich im Blick hatte. Er fragte nach der Speisekarte und bestellte ein Sandwich sowie ein Mineralwasser. Um die Wartezeit zu überbrücken, zog er nach dem Essen sein Handy aus der Hosentasche und vertiefte sich in die Social Media-News auf den verschiedenen Plattformen.
Die Soul-Jazz-Sängerin und ihre Musiker waren bereits eingetroffen. Sie bauten ihre Instrumente auf und saßen danach an der Bar und unterhielten sich mit dem Kellner. Auch sie waren aufgeregt.
»Es ist insgesamt ein aufregender Abend«, dachte Jack und war gespannt, ob Lilly in der Realität seiner Vorstellung entsprach.
Endlich kam Jean-Pierre zur Tür herein. Er wirkte gehetzt und lief mit schnellen Schritten durch die Bar nach hinten in den Personalbereich. Eine Mitteilung leuchtete auf Jacks Handy auf: Tut mir leid, mein Freund, ich bin spät, aber jetzt bin ich da! Hinter der Theke ist heute mein Kollege. Ich kümmere mich um die Gäste.
Nur fünf Minuten später tauchte Jean-Pierre in schwarzer Hose, einem frischen weißen Hemd und einer anthrazitfarbenen Weste wieder im vorderen Bereich der Bar auf. Mit seinem gewinnenden Lächeln verkörperte er, wie immer, den perfekten Gastgeber.
Es war einundzwanzig Uhr. Jack hasste es, zu warten, und schaute immer wieder auf seine Uhr. Zum Glück entschied sich die Band, bereits vor dem eigentlichen Beginn ihres Auftritts einige Lieder zur Probe anzustimmen, sodass die Zeit schneller verging als erwartet. Inzwischen hatten sich einige Gäste in der Bar versammelt, und es kamen ständig neue hinzu.
Es wurde einundzwanzig Uhr dreißig, und Lilly ließ weiterhin auf sich warten. Um einundzwanzig Uhr fünfundvierzig gab es immer noch keine Spur von ihr. Um zweiundzwanzig Uhr stimmte die Soul-Jazz-Sängerin das erste Lied an. Und dann folgte noch eines und noch eines, doch Lillys Platz blieb leer.
Jean-Pierre hob den Kopf, suchte den Augenkontakt zu Jack und zuckte mit den Schultern. Zwischenzeitlich waren so viele Gäste im Raum, dass Jack von seinem Platz im Nebenraum die Theke nicht mehr sehen konnte. Als er aufstand, sah er, dass sich dort inzwischen ein glatzköpfiger, wohlbeleibter Mann breitgemacht hatte, der ganz sicher so schnell nicht wieder gehen würde. Jean-Pierre lief geschmeidig und aufgekratzt hin und her und kümmerte sich um die Gäste. Nein, das war kein guter Start, und es lief ganz anders als geplant.
Die Sängerin stimmte Golden Jewel von Jasper Soulman an.
In the shadows of the night,
I wandered alone,
Searching for a spark,
a heart to call my own.
Through the whispers of the wind,
I felt your name,
A melody so sweet, igniting my flame.
Oh, you’re my golden jewel,
shining bright and true,
In a world full of diamonds,
I found my light in you.
With every beat of my heart,
I knew it from the start,
You’re the treasure I’ve been seeking,
the song within my heart.
Endlich! Die Tür öffnete sich, und Lilly betrat die Bar. Sie trug ein eng anliegendes, ärmelloses Kleid in Royalblau, das oberhalb ihrer Knie endete, und dazu passende, hochhackige Sandalen. Sie sah einfach umwerfend aus und zog alle Blicke auf sich.
Offenbar hatte es zu regnen begonnen, denn Regentropfen perlten auf ihrem feinen Gesicht. Sie schüttelte ihre blonden, schulterlangen Haare.
Lilly blickte auf und traf Jacks Blick, der sich vorsorglich bereits in der Nähe des Eingangs positioniert hatte. Die Zeit schien stillzustehen. Ein unbeschreibliches Gefühl durchzuckte beide wie ein Blitz. Jack konnte seine Augen nicht von ihr abwenden, und Lilly fand in Jacks schönen Augen alles, wonach sie schon lange gesucht hatte.
So here’s to love eternal,
to dreams that never fade,
With you by my side forever,
our serenade is made.
My golden jewel forever,
together we will shine,
In this beautiful symphony
that’s yours and truly mine.
»Wow, sieht der gut aus!«, dachte Lilly.
»Das ist ja wie im Kitschroman«, fuhr es Jack durch den Kopf.
Jack löste sich als erster und drehte sich kurz um, um sein Glas zu holen, das er im Nebenraum stehenlassen hatte.
Als er zurückkam, sah er sich um, doch Lilly war nicht mehr da! Wo war sie? Jack krauste die Stirn und schaute sich irritiert noch einmal genau um. Nein, sie war nicht mehr in der Bar. Nach hinten konnte sie nicht gegangen sein, denn von dort kam er ja.
Enttäuscht versuchte er, Kontakt mit Jean-Pierre aufzunehmen, was jedoch gerade unpassend war, denn Jean-Pierre kümmerte sich um ein Paar, das spezielle Wünsche hinsichtlich der Platzwahl hatte.
Die Band spielte ein Lied und noch ein weiteres und noch ein weiteres. Jack wartete. Doch Lilly kam nicht zurück.
Lilly lief eilig aus der Bar auf die Straße. So etwas Dummes! Gerade erst war sie in der Bar angekommen, und schon musste sie telefonieren. Sie hatte das Klingeln nur deshalb wahrgenommen, weil sie das Handy vorsorglich auf Vibrationsalarm gestellt und in die Tasche ihres Kleides gesteckt hatte. Als Lilly bereit war, das Gespräch entgegenzunehmen, hatte das Klingeln aufgehört. Julia hatte es offenbar zu lange gedauert, und sie hatte zwischenzeitlich aufgelegt.
Lilly war erst vor wenigen Stunden aus Mailand zurückgekehrt, wo sie sich mit Kooperationspartnern von Julia Prinz getroffen hatte. Lilly arbeitete seit sieben Jahren im Management von Julia Prinz Fashion und übernahm im Grunde alle Aufgaben, für die Julia weder die Motivation aufbringen konnte noch die Nerven hatte oder für die ihr einfach der Sachverstand fehlte.
Julia war Ende fünfzig und sah sich in erster Linie als Künstlerin und die Kreative. Sie hatte in Lilly eine Frau gefunden, die den geschäftlichen Part übernahm. Diese Aufteilung funktionierte bereits seit dem ersten Tag sehr gut, und sie waren enorm erfolgreich. Für beide bedeutete dies viel Arbeit und wenig Freizeit. Was waren schon Wochenenden? Sie kannten den Wert von zwei freien Tagen am Stück schon lange nicht mehr.
Julia wollte sich über die Ergebnisse von Lillys Mailand-Aufenthalt informieren und hatte nur diesen kurzen Slot, um mit Lilly darüber zu sprechen, bevor sie nach Paris abreiste, wo sie eine Modenschau von Jacques besuchen wollte. Jacques war aktuell der beliebteste Modedesigner von ganz Paris – ach was, von der ganzen Welt! Julia verehrte ihn und pflegte mit ihm eine anspruchsvolle Freundschaft. Wenn die beiden Diven aufeinandertrafen, konnte es schon einmal anstrengend werden.
Lilly rief Julia sofort zurück.
Julia meldete sich schon nach dem ersten Klingeln und sagte nur: »Lilly!«
Lilly begrüßte Julia und berichtete ihr ausführlich über ihr Treffen mit den Kooperationspartnern. Der Termin hatte sie absolut begeistert und sie freute sich, Julia positive Nachrichten überbringen zu können: »Sie wollen uns mit unserer Kollektion aufnehmen! Wir bekommen nächste Woche den Vertrag! Das schreit doch nach einer Flasche Champagner, oder?«
Auch Julia freute sich, war nun jedoch schon in Eile, weil sie zum Kölner Bahnhof fahren musste, um den Eurostar nach Paris zu erwischen. Sie sagte: »Das mit dem Champagner holen wir nach! Adieu, Lilly! Hab noch einen schönen Abend. Wir hören uns!« Damit beendete sie das Gespräch.
Lilly hatte unbewusst den Weg nach Hause eingeschlagen. Sie überlegte, ob sie in die Bar zurückkehren sollte, verlor jedoch die Lust, wenn sie daran dachte, sich wieder durch das Menschengetümmel quetschen zu müssen. Ihr Platz an der Theke war besetzt gewesen, und letztendlich hätte Jean-Pierre keine Zeit für sie gehabt, weil er viel zu tun hatte. Vermutlich war auch dieser attraktive Mann, mit dem sie den kurzen Blickkontakt hatte, inzwischen wieder bei seiner Frau oder Freundin.
Seufzend öffnete sie die Haustür des charmanten Altbaus in der Spichernstraße. Ihre Eigentumswohnung im Dachgeschoss erstreckte sich über luxuriöse einhundertzwanzig Quadratmeter. Trotz des fehlenden Aufzugs war jede Treppenstufe den Aufwand wert.
»Ach, wie schön wäre es, wenn Francis noch hier wäre!«, dachte sie traurig, als sie die Wohnungstür aufschloss. »Und Casper fehlt mir auch so sehr!«. Die Tränen schossen ihr in die Augen. Vorhin hatte sie noch in der großen Freude über die gelungene Kooperation geschwelgt, und nun wandelte sich ihre Gemütslage in das genaue Gegenteil. Sie legte den Schlüssel und ihre Tasche auf die weiße Kommode im Eingangsbereich, bevor sie durch die Lofttür aus Stahl und Glas vom Flur ins Wohnzimmer trat. Sie ließ sich auf ihrer cremefarbenen Couch nieder, die so groß war, dass einem nichts anderes übrigblieb, als sich gemütlich auszustrecken. Lilly schob die weißen Kissen zurecht, legte sich hin und atmete tief aus.
Die Wohnung war im Industrial Style eingerichtet. Die großzügigen, offen geschnittenen Räume vermittelten ein Gefühl von Weite und Freiheit. Hohe Decken und große Fenster ließen am Tag viel Licht hereinströmen, wodurch die Wohnung noch einladender wirkte.
Lilly und Francis hatten sich vom ersten Tag an sehr wohlgefühlt, und ihre Londoner Freundinnen und Freunde besuchten sie oft und gerne. Das Gästezimmer war stets belegt gewesen, nicht zuletzt wegen der Nähe zum Flughafen Köln-Bonn, was den Aufenthalt für ihre Besucher besonders attraktiv machte.
Auf der Dachterrasse fanden zahlreiche fröhliche Feste, aber auch gemütliche Abende bei einem Glas Wein statt. Der Blick über den Stadtgarten und die Möglichkeit, uneinsehbar die frische Luft zu genießen, machte die Terrasse zu einem besonderen Rückzugsort.
Francis hatte sich vor einigen Tagen von Lilly getrennt –nach sieben Jahren Beziehung. Von heute auf morgen hatte er seine Sachen gepackt und war zurück nach London geflogen. Sie hatte einen Brief vorgefunden, in dem er ihr erklärte, dass er eine Frau brauche, die für ihn da sei oder zumindest einfach oft bei ihm sei. Er sei einsam und wolle nicht allein mit seinem Kater alt werden. Er halte es für das Beste, wenn sie sich nun erst einmal nicht sehen würden, und da ihre gemeinsamen Freundinnen und Freunde ja eigentliche seine seien, solle Lilly sich bitte fernhalten.
Es waren so kalte Worte gewesen. Aus einer warmen und leidenschaftlichen Beziehung war ein Iglu mit dicken Eiswänden geworden, in dem es so kalt war, dass ihr das Herz gefror. Sie fühlte sich missverstanden und war zutiefst verletzt, auch wenn sie sich eingestehen musste, dass er recht hatte. Im letzten Jahr hatten sie sich kaum gesehen, und wenn, dann hatten sie häufig gestritten. Francis hatte ihr mehrfach gesagt, dass er dieses Leben nicht haben wollte. Sie war jedoch nicht bereit gewesen, sich zu ändern oder ihm auch nur einen Schritt entgegenzukommen. Schon länger hatten sie nicht mehr miteinander geschlafen, und die dauerhaft schlechte Stimmung sorgte dafür, dass sie sich nicht einmal mehr in den Arm nahmen. Ein flüchtiger Kuss hin und wieder – das war alles.
Lilly vermisste Francis‘ Gegenwart und ihr gemeinsames Leben, jedoch nicht ihre Nächte. Nachdem die Leidenschaft verschwunden war, war der Sex zu einer Gewohnheit geworden, auf die sie auch gern verzichtete. Dabei wünschte sich Lilly ein Familienleben und Kinder. Sehr sogar! Mit nun zweiunddreißig Jahren wurde es langsam Zeit, wenn sie diesen Traum noch verwirklichen wollte, zumindest, wenn die Rede von mehreren Kindern war.
Lilly ließ den Kopf hängen. Sie hatte alles falsch gemacht. Francis hätte sie auf Händen getragen, und sie hätte mit ihm sorgenfrei leben können. Er hatte jedoch zur Bedingung gemacht, dass sie mit ihm nach London gehen und ihren Beruf aufgeben sollte. Und das war einfach alles, was sie hatte: ihre Wohnung und ihre Arbeit.
Sie hatte keine Familie mehr. Ihre Eltern waren bereits vor vielen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und seitdem war sie auf sich allein gestellt. Sie hatte tagelang darüber nachgedacht und war entweder zu einem erfüllenden Bild von ihrer Zukunft gekommen oder zu einem, das ihr die Kehle zuschnürte. Es war unmöglich, sie konnte nicht einfach alles aufgeben.
Je mehr sie darüber nachdachte, desto schwieriger wurde die ganze Situation, und sie zog sich immer mehr zurück. Sie hatten nicht mehr miteinander reden können. Jeder Versuch endete in einem Streit. Es war aufreibend gewesen und hatte beide viele Stunden Schlaf gekostet. Francis‘ Entscheidung war für Lilly verständlich, denn letztendlich hatte sie ihn doch dazu getrieben zu gehen, ohne ihm zu sagen: »Geh!«. Das wurde ihr von Tag zu Tag klarer, und sie fühlte sich elend und einsam.
Sie hatte keine Familie mehr und keine Freundinnen oder Freunde. »Ich bin der einsamste Mensch auf Erden«, dachte sie, während die Tränen über ihre Wangen kullerten. Wie gerne hätte sie Caspers Fell zwischen den Fingern gespürt und ihn gestreichelt, bis er wie ein Motor schnurrte.
Sie begann zu weinen und konnte nicht mehr aufhören. Glücklicherweise stand die Taschentuchbox auf dem kleinen Abstelltisch neben der Couch. Lilly zupfte Tuch um Tuch aus der Box, ohne sich beruhigen zu können. Schließlich schlief sie erschöpft ein.
Am nächsten Morgen wachte Lilly früh auf und fühlte sich alles andere als wohl. Ihr Gesicht war verquollen und ihr Körper fühlte sich an wie der einer alten Frau. Als sie sich in ihrem Bett aufsetzte, durchzuckte ein Schmerz ihren Rücken, und ein Stöhnen entfuhr ihr. Merkwürdigerweise ging es ihrer Psyche besser, und sie fragte sich, warum ihr das Leben am Vorabend so sinnlos erschienen war.
Lilly stand auf, ging in ihre blitzsaubere, weiße Küche und nahm sich vom Wasserhahn ein großes Glas Wasser, das sie in einem Zug austrank. Dann gönnte sie sich noch ein Glas und noch eins. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück und öffnete weit die Lofttüren zu ihrer Terrasse. Es war Ende Juli, und es versprach wieder heiß zu werden. Lilly liebte das anhaltende Sommerwetter. Die Wärme und der Sonnenschein taten ihr so gut.
Es war Wochenende, was jedoch weder Julia Prinz noch ihre Kundschaft interessierte. Nach einer ausgiebigen Dusche fuhr Lilly in das Atelier mit den angeschlossenen Büroräumen in der Mittelstraße. Es war einiges liegengeblieben, und Julia war in Paris, was ihr die Möglichkeit gab, ungestört arbeiten zu können.
Heute Abend würde sie früh ins Bett gehen, das stand schon fest. Sie war so müde wie lange nicht mehr. Anscheinend kam sie nach dem befreienden Tränenfluss endlich zur Ruhe.
Auch Jack rollte sich an diesem Morgen müde aus seinem Bett. Es war in der Nacht schwül gewesen, und das kleine Zimmer war von der Hitze regelrecht aufgeladen gewesen. Das weit geöffnete Fenster hatte nicht bewirken können, dass das Zimmer abkühlte. Die dünne Bettdecke hatte an seinem Körper geklebt, und schließlich hatte er einfach ohne sie geschlafen. Der Anblick seines durchtrainierten Körpers auf den weißen Laken hätte jedes Frauenherz dahinschmelzen lassen.
Jean-Pierres Herz jedoch leider auch. Er hatte auf dem Weg ins Badezimmer durch den offenen Türspalt einen Blick auf Jacks Körper werfen können und befand sich seitdem im Ausnahmezustand. Er ermahnte sich, dass Jack Frauen und keine Männer liebte und dass es aussichtslos war, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Und unprofessionell war es auch! Er musste zusehen, dass Jack schnell wieder auszog und sich selbst einen Partner suchen, damit alles wieder seinen normalen Gang ging. Köln verfügte über eine lebendige Gay-Szene, und durch seine Tätigkeit in der Gastronomie würde sich schnell eine Lösung finden. Und bis dahin würde er einfach so viel arbeiten, dass er zu müde war, um auch nur daran zu denken.
Jean-Pierre und Jack waren aufeinander angewiesen. Während Jean-Pierre über die Gabe der strategischen Planung und Organisation sowie die notwendigen Kontakte verfügte, war Jack der Ausführende, auf dessen Geschick und Künste im Umgang mit Frauen es für beide ankam, um ein profitables Geschäft aus ihren Fähigkeiten zu machen. Schon seit Jahren funktionierte diese Zusammenarbeit hervorragend. Sie vertrauten einander und verstanden sich blind. Oft mussten sie gar nichts sagen; der andere verstand instinktiv sofort, was los war.
Jack duschte ausgiebig und überlegte, wie er die Zeit bis zum Abend totschlagen konnte. Am Abend wollte er wieder im Il Merlo auf Lilly warten. Jean-Pierre hatte ihm gesagt, dass sie bislang an jedem Samstagabend in der Bar erschienen war, und er wollte sie nicht verpassen, damit das Projekt endlich Fahrt aufnahm.
Jean-Pierre hatte nur hastig »Guten Morgen« gesagt und war mit Schallgeschwindigkeit aus dem Haus gerannt. Manchmal war er so. Die stundenweise Arbeit im Restaurant und in der Bar verlangte ihm einiges ab, aber das würde er schon hinkriegen. Jean-Pierres Talent lag ganz klar in der Organisation. Egal, was er tat, er wirkte selten gestresst.
Jack recherchierte im Internet nach einem Badesee, den er gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen konnte. Er fand jedoch keinen, der ihn ansprach, und hatte schließlich auch keine Lust mehr darauf, mit der Straßenbahn zu fahren, die er sich mit schwitzenden Menschen teilen musste. Seine Aufmerksamkeit wurde auf die Bilder und die Beschreibung eines exklusiven Beach Clubs am rechten Rheinufer gelenkt, den er gut zu Fuß erreichen konnte. Ein bisschen Schickimicki-Getue und eine hippe Atmosphäre – genau darauf hatte er Lust.
Gegen Mittag machte sich Jack auf den Weg. Seine Handy-App führte ihn durch die Einkaufsstraßen Kölns über die Ehren- und die Breitestraße geradenwegs auf die Hohe Straße, dann am Dom vorbei, und schon kam die Hohenzollernbrücke in Sicht. Jack bummelte langsam über die Brücke, genoss den Blick auf den Rhein und bewunderte das funkelnde Farbenmeer der Schlösser, die Verliebte dort angebracht hatten. Es tummelten sich Massen von Touristen in der Stadt. Jack hörte sie sprechen und versuchte zu erraten, woher sie kamen, was ihm nicht immer gelang.
Am Ende der Brücke war es auf dem Rheinuferweg nur noch einen Katzensprung bis zum Beach Club. Er lag an einem Hang und es führten einige Stufen nach oben zu dem kleinen Häuschen, das den Eingang bildete. Jack zahlte den Eintritt und bekam im Gegenzug eine silbern funkelnde Münze, die er gegen das erste Getränk eintauschen konnte. Sein Blick fiel auf den weißen Sandstrand mit den Liegen, Sonnenschirmen und Kübeln mit großen Palmen. Auf der einen Seite gab es hoch gewachsene Bäume, die Schatten spendeten, sowie zwei größere, weiße Zelte, in denen Veranstaltungen abgehalten wurden. Am oberen Rand des Beach Clubs schlossen sich flache Gebäude an, bei denen es sich um Toiletten, Duschen und die Bar handelte.
Die Atmosphäre hatte etwas von einem der angesagten Clubs auf Ibiza. Chillige Musik tönte aus Lautsprechern, und es steckten Surfbretter im Sand, so, als wollte gleich jemand aufs Wasser, um ein paar Runden zu drehen.
Junge Männer in knielangen Bermudashorts und enganliegenden Hemden mit aufgekrempelten Armen, Flip-Flops und der unvermeidbaren Cap balancierten Bierflaschen und Cocktails zu ihren Gruppen.
Hübsche Frauen mit langen Haaren in luftigen Sommerkleidern und den angesagten Sonnenbrillen standen barfuß, bereit zu einem Flirt, auf den Wegen. Oder sie lagen auf den Liegen und Himmelbetten und genossen sichtlich das Jet-Set-Flair.
Die Stimmung im Club löste bei Jack Urlaubsfeeling aus. Er fühlte sich jung und unbeschwert. Beschwingt lief er den Weg hoch zur Bar.
Jack suchte den Augenkontakt zu der jungen Frau hinter dem Tresen und bestellte sich lächelnd einen Gin Tonic. Sie lächelte zurück, nahm die Flaschen nacheinander in die Hand und gab einen größeren Spritzer Gin als üblich in sein Glas. Dann reichte sie ihm das Glas, sah ihm in die Augen und sagte: »Bitte sehr! Wohl bekommt’s!«
Jack war guter Laune. Er sah sich um und suchte eine freie Liege. Die junge Frau verfolgte ihn mit den Augen und bedauerte, dass sie arbeiten und sich generell von Gästen fernhalten musste.
Jack genoss den Blick auf die Kölner Skyline und den Rhein. »Von hier aus muss man mit Blick nach Westen einen hervorragenden Blick auf den Sonnenuntergang haben«, dachte er.
Unterhalb eines der Bäume fand er eine freie Liege im Halbschatten mit für ihn akzeptablen Nachbarinnen. Die drei Frauen kicherten und schmachteten ihn an, als er sich niederließ. Die Aufmerksamkeit, die er erzielte, schmeichelte ihm. Er ließ sich jedoch hinter seiner Sonnenbrille nichts anmerken.
Auch Jack hatte sich für die Variante Bermudashorts mit Hemd und stylischen Flip-Flops entschieden und war froh über seine Wahl. Eine seiner neuen Uhren baumelte an seinem linken Handgelenk, und sie glänzte auf seiner attraktiv gebräunten Haut im Sonnenschein.
Jean-Pierre hatte Jack am Vorabend einen Koffer mit Imitaten von Luxusuhren überreicht, die seine neue Identität als Geschäftsmann im Vertrieb von Luxusuhren unterstreichen sollten. Ab sofort sollte er in dieser Rolle auftreten. Die Fake-Uhren waren von den echten kaum zu unterscheiden. Um herauszufinden, dass es sich um Fälschungen handelte, hätte ein Fachmann sie öffnen müssen.
Es war Jack nicht ganz klar, woher Jean-Pierre die Uhren hatte. Er hatte sich jedoch schon lange abgewöhnt, irgendwelche Fragen zu stellen. Jean-Pierre hatte wieder seine Beziehungen in die Unterwelt genutzt und ein stattliches Sümmchen für den Kofferinhalt bezahlt, das ihr Budget deutlich hatte schrumpfen lassen. Es wurde also Zeit, dass das neue Projekt in Gang kam, und Jack hoffte, Lilly am Abend in der Bar anzutreffen. Leider wusste Jean-Pierre nicht, wo sie wohnte, sonst hätte er andere Wege gefunden, sie kennenzulernen.
Die drei Frauen waren auf einen Flirt aus, aber Jack war nicht in Stimmung, also reagierte er weder auf Blicke noch auf die vorsichtigen Annäherungsversuche. Schließlich standen die Frauen auf, suchten im Sand nach ihren Flip-Flops und gingen scherzend und kichernd hintereinander in Richtung Bar.
Jack zog seine Cap aus der Tasche, setzte sie auf und lehnte sich in seinem Liegestuhl zurück. Er nahm einen Schluck von seinem Gin Tonic und stellte das Glas neben sich in den Sand. Der Rhein floss träge vorbei und schimmerte dunkelblau. Er beobachtete die vorbeiziehenden Schiffe, begann zu dösen und schlief schließlich ein.
Als er aufwachte, musste er sich kurz orientieren, wo er war. Die Frauen waren offenbar gegangen, die Liegen rechts und links neben ihm waren leer.
Er fühlte sich beobachtet, konnte jedoch nicht ausmachen, von wem. Eine sehr gut aussehende dunkelhaarige Frau mit einem hoch am Kopf gebundenen Pferdeschwanz lief an seinen Füßen vorbei in Richtung Hauptweg und Bar. »Sie hätte Model werden können«, dachte Jack. »Vielleicht war sie sogar mal eines?« Als hätte sie seine Gedanken gehört, drehte sie sich um und schaute in seine Richtung. Oder doch in Richtung Rhein? Jack war sich nicht sicher.
Kurz darauf nahm eine Gruppe junger Männer die Liegen um ihn herum in Beschlag. Schon bald war er mittendrin und hatte so viel Spaß wie schon lange nicht mehr. Abwechselnd holten sie eine Runde Getränke nach der anderen sowie Snacks, und ehe sie es sich versahen, war es Abend geworden.
Jack war erstaunt, wie schnell die Zeit vergangen war. Er stand auf, schüttelte den Sand ab, suchte seine Flip-Flops, verabschiedete sich von den Männern und machte sich langsam auf den Weg nach Hause. Der Blick von der rechten Rheinseite auf den Dom und die Altstadt war beeindruckend, und er freute sich auf den Nachhauseweg über die Brücke, von der er diesen weiterhin genießen konnte.
Im Friesenviertel machte er einen kurzen Abstecher in die Bar, um zu schauen, ob Lilly da war. Doch Jean-Pierre schüttelte bedauernd den Kopf, als Jack die Bar betrat, und so ging er wieder hinaus und nach Hause. Es hieß weiterhin warten. Er wusste, dass Jean-Pierre sich melden würde, sobald Lilly das Il Merlo betrat. Warten gehörte nicht zu Jacks Stärken.
Jack fühlte sich kein bisschen müde – vermutlich, weil er zuvor einige Stunden tief und fest in dem gemütlichen Liegestuhl im Beach Club geschlafen hatte. Obwohl es schon spät war, war es draußen noch erstaunlich hell.
Kurzerhand entschied er sich, joggen zu gehen. Er fischte frische Sportsachen aus dem Koffer, zog sich um und nahm noch einen großen Schluck Wasser, bevor er loslief. Vom Friesenwall aus schlug er erneut den Weg in Richtung Stadtgarten ein. Dort hatte es ihm beim letzten Mal besonders gut gefallen.
Der Stadtgarten gehörte mit seinen Veranstaltungsräumlichkeiten und der Grünanlage zu den beliebtesten Treffpunkten in Köln. Der Park mit seinen heimischen und exotischen Baum- und Gehölzarten wurde zwischen 1827 und 1829 als Schmuckgarten mit einer angegliederten Baumschule angelegt. Ursprünglich lag er außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer und sollte den Städtern als nahegelegenes Erholungsgebiet dienen. Nach dem Abriss der Stadtmauer im Jahr 1881 wurde der Garten vollständig in das Stadtgebiet integriert. Heute galt der Stadtgarten als die älteste noch erhaltene öffentliche Grünanlage Kölns. Der Park stand unter Landschaftsschutz, und die historischen Gebäude, darunter das bekannte Stadtgarten-Restaurant, waren denkmalgeschützt. Wohl aus gutem Grund, denn in den 1970er-Jahren gab es Überlegungen, den Stadtgarten einem Hochhausprojekt zu opfern. Glücklicherweise wurden diese Pläne nicht umgesetzt, und der Park blieb als herrliche Oase im Herzen der Stadt erhalten. Er bot den Kölnerinnen und Kölnern Raum für Erholung, Spaziergänge und kulturelle Veranstaltungen.
Von der Venloer Straße aus betrat Jack den Stadtgarten durch den markanten Torbogen und fiel in einen leichten Trab. Der Biergarten war gut besucht – auch außerhalb standen Menschen in kleinen Gruppen, hielten Gläser oder Flaschen in den Händen und lachten ausgelassen. Im Park lagen Besucher auf Decken, mal allein, mal in fröhlichen Runden, und genossen die laue Sommerluft, die von einem Hauch Feierabendstimmung durchzogen war.
Jack drehte Runde um Runde. Es waren weitere Jogger unterwegs. Bei einer dunkelhaarigen Frau mit einer Cap, die mit etwas Abstand hinter ihm lief, fragte er sich, ob er sie schon einmal irgendwo gesehen hatte. Er konnte jedoch ihre Gesichtszüge, die er nicht klar erkennen konnte, nicht zuordnen. Sie hatte eine trainierte Figur und ihr langer Pferdeschwanz mit den geflochtenen braunen Haaren schwang bei jedem Schritt hin und her.
Lilly hatte im Büro gesessen und über ihre Arbeit die Zeit völlig vergessen. Als sie am Abend endlich in ihrer Wohnung ankam, streckte sie ihren vom Sitzen steifen Körper ausgiebig und entschied sich spontan, noch eine Runde joggen zu gehen. Der Stadtgarten lag direkt vor ihrer Wohnung, also bot sich ein spontanes Sportprogramm an. Schnell zog Lilly ihre Sportsachen an, band ihre schulterlangen, blonden Haare zu einem Zopf und lief die Treppe aus dem Dachgeschoss hinunter. Sie überquerte die Straße und stand kurz darauf bereits am Eingang des Parks.
Lilly setzte sich in Bewegung. Anfangs fühlten sich ihre Beine schwer und fremd an, fast so, als würden sie ihr nicht gehorchen wollen. Doch mit jedem Schritt änderte sich das Gefühl, und bald fand sie ihren gewohnten, geschmeidigen Laufrhythmus wieder. Sie steckte sich die AirPods in die Ohren, ließ die Musik auf sich wirken und geriet allmählich in den Flow, der ihr die ersehnte Entspannung brachte. Sie achtete weder auf die anderen Parkbesucher noch auf die Jogger, die an ihr vorbeizogen.
Nach ein paar Runden wurde Lilly jedoch abrupt aus dem Rhythmus gerissen. Eine ältere Frau mit einem übergewichtigen Mops an der Leine kam in Sichtweite. Der Hund hatte mitten auf dem Weg die Zusammenarbeit verweigerte: Mit allen vier Pfoten von sich gestreckt lag er platt auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Die Frau und der Mops blockierten fast den gesamten Weg, sodass Lilly gezwungen war, erst langsamer zu werden und schließlich anzuhalten. Als sie Lilly bemerkte, zog sie leicht an der Leine, doch der Mops zeigte keinerlei Reaktion.
»Emil ist es zu warm!«, sagte sie entschuldigend. »Dabei ist es schon so spät – aber irgendwann muss er ja mal raus!«
Emil hatte inzwischen die Augen geschlossen und machte nicht den Eindruck, als hätte er vor, seine Position so bald aufzugeben.
Obwohl Lilly ungern beim Joggen unterbrochen wurde, musste sie schmunzeln. Der Anblick des kleinen eigenwilligen Hundes amüsierte sie. Freundlich antwortete sie: »Kein Problem, das ist doch verständlich bei diesen Temperaturen!«
Lilly liebte Tiere. Hätte sie nicht so viel um die Ohren gehabt, wären längst Hunde und Katzen bei ihr eingezogen.
»Darf ich?«, fragte sie und deutete auf den Mops.
Die Frau nickte lächelnd, und Lilly bückte sich, um den Hund liebevoll zu streicheln. Emil öffnete seine großen Augen und musterte sie – sein mürrischer Gesichtsausdruck blieb jedoch unverändert. Schließlich stand er widerwillig auf, schüttelte sich einmal kräftig und trottete ein paar Schritte zur Seite.
Lilly beobachtete, wie Emil und sein Frauchen langsam weitergingen. Kurz danach drehte sich die Frau noch einmal um und rief: »Danke!« mit einem herzlichen Lächeln.
Lilly lächelte zurück, setzte ihre AirPods wieder ein und lief weiter.
Kaum hatte sie die beiden hinter sich gelassen, kam ein Jogger auf sie zu. »Wow, sieht der gut aus!«, dachte sie, wurde aber sofort verlegen und schaute zur Seite, um ihm nicht das Gefühl zu geben, angestarrt zu werden. Sie erkannte Jack nicht wieder, obwohl er ihr bereits im Il Merlo aufgefallen war.
Jack hatte bereits einige Runden hinter sich und beschloss, seinen Lauf zu beenden und nach Hause zu gehen. Als er die Szene mit der älteren Dame, dem Mops und der jungen Frau bemerkte, wusste er nicht, dass es Lilly war. Sie sah in eine andere Richtung, als er an ihr vorbeilief.
»Schade, dass sie wegschaut«, dachte er. »Sie sieht gut aus. Ich hätte gerne ihr Gesicht gesehen.«
Die Tage gingen langsam dahin. Jack hielt sich beschäftigt und wartete auf eine Nachricht von Jean-Pierre. Es war immer noch Juli, und viele Kölner waren entweder im Urlaub oder dabei, ihre Koffer zu packen. Tagsüber wirkte die Stadt wie ausgestorben, doch abends füllten sich die Biergärten, und die Menschen genossen das sommerliche Leben an den Tischen und Stühlen vor den Lokalen.
Für Jack ergab sich keine Gelegenheit für ein neues »Frauen-Projekt«, wie er es nannte. Stattdessen nutzte er die Zeit, um seine Batterien wieder aufzuladen. Er erkundete die Stadt ausgiebig zu Fuß, war täglich stundenlang unterwegs und schlief dank der Bewegung nachts tief und fest.
Seine Streifzüge führten ihn durch die interessantesten Viertel der Stadt: die Kölner Südstadt, das Studentenviertel an der Zülpicher Straße, das Uni-Gelände, die Innenstadt mit den Einkaufsstraßen vom Neumarkt bis zum Dom, die Altstadt und Deutz auf der anderen Rheinseite. Er besuchte Ausstellungen in den Museen, den Zoo und unternahm eine Fahrt mit der Seilbahn über den Rhein. Im Rheinpark zwischen Tanzbrunnen und Zoobrücke drehte er ausgedehnte Runden. Außerdem schaute er sich die teuren Hotels der Stadt genauer an, erkundete deren Lobby, Bars und sogar die Tiefgaragen.
Nach einigen Tagen hatte Jack sich an seine neue Umgebung gewöhnt und begonnen, Köln immer mehr zu schätzen. Er fand Gefallen an der fröhlichen, offenen Art der Kölner, die scheinbar überall ein Schwätzchen begannen. Der kölsche Dialekt, der ihm anfangs seltsam und unangenehm erschien, wurde ihm mit der Zeit vertraut und zunehmend sympathisch. Auch die Stadt, die er anfangs als chaotisch und unübersichtlich empfunden hatte, zeigte plötzlich einen ganz besonderen Charme.
Erst zwei Wochen später, an einem Donnerstagabend, klingelte endlich Jacks Handy. Jean-Pierre war am Apparat und sagte nur kurz: »Sie ist da!« Jack, der auf dem Sofa vor dem Fernseher lag, sprang auf, lief ins Bad und machte sich eilig fertig.
Lilly hatte einen mehrtägigen, geschäftlichen Marathon hinter sich und war gerade aus Paris zurückgekehrt, wo sie sich mit Jacques und Julia getroffen hatte. Beide waren auf ihre ganz eigene Art Diven – und sehr anstrengend. Früher hatte sie es genossen, ihre exzentrischen Attitüden zu beobachten, doch inzwischen fand sie es einfach nur noch nervig, wie sie sich gegenseitig anstachelten. Besonders das gestreckte, nasal artikulierte »Schätzchen!« ließ Lilly innerlich erschaudern. Vielleicht sollte sie einfach mal ein paar Tage Urlaub einplanen, um sich zu entspannen und zu erholen.
Sie war mit dem Eurostar von Paris nach Köln zurückgefahren. Um sich nach der langen Fahrt etwas Bewegung zu verschaffen, ging sie den Weg vom Bahnhof zu ihrer Wohnung in der Spichernstraße zu Fuß. Sie hatte nur einen kleinen schwarzen Rollkoffer dabei, den sie wie ein Hündchen, das ihr auf den Fersen folgte, hinter sich herzog.
Nach einer erfrischenden Dusche und einem schnellen Outfitwechsel machte sie sich auf den Weg ins Il Merlo. Sie trug ein schwarzes Seidenshirt, das in einem knöchellangen, eng anliegenden Rock steckte. Der lange Schlitz auf einer Seite ließ beim Gehen ihre gebräunten Beine und die schlichten schwarzen Ballerinas perfekt zur Geltung kommen.
Lilly sehnte sich nach einem netten Gesprächspartner und freute sich auf einen erfrischenden Gin Tonic mit Zitrone. Sie hoffte inständig, dass Jean-Pierre an der Bar arbeitete und nicht allzu beschäftigt war.
Als sie eintrat, war zu ihrer Erleichterung das Il Merlo nicht überfüllt, und ihr Stammplatz an der rechten Seite der Theke war frei. Lilly atmete tief ein, schritt zielstrebig zu dem freien Hocker und ließ sich nieder.
Jean-Pierre war gerade dabei, eine bunte Reihe von Cocktails auf einem Tablett zu arrangieren. Er beugte sich in ihre Richtung, lächelte und sagte: »Hallo Lilly! Herzlich willkommen! Wie schön, dass du wieder einmal hier bist! Möchtest du die Karte oder weißt du schon, was du trinken möchtest?«
Bevor Lilly antworten konnte, hob er das Tablett mit den Cocktails in die Höhe und steuerte damit einen Tisch im hinteren Bereich an. Dort saß eine gut gelaunte, größere Gruppe, die unter Gejohle die Getränke in Empfang nahm, die Jean-Pierre ihnen reichte.
Er kam zurück und fragte: »Und? Hast du gewählt?«
Lilly nickte. »Ich freue mich schon seit Paris auf einen Gin Tonic mit Zitrone. Machst du mir einen?«
Jean-Pierre nickte und fragte nicht nach, was sie in Paris gemacht hatte, obwohl es ihn brennend interessiert hätte. Es wäre unpassend gewesen, eine Unterhaltung mit Lilly zu beginnen, kurz bevor Jack in die Bar kam. Ihre Aufmerksamkeit sollte allein Jack gelten.
Jean-Pierre stellte ein Glas vor sich auf den Tresen und begann mit der Zubereitung. Zuerst füllte er das Glas bis zum Rand mit Eiswürfeln, damit das Getränk gut gekühlt blieb. Dann goss er Gin über die Eiswürfel, sodass sich der Alkohol gleichmäßig verteilen konnte. Danach hielt er das Glas leicht schräg und ließ das Tonic Water langsam am Rand hinunterfließen, um die Kohlensäure zu bewahren. Nun griff er zur Zitrone. Er schnitt eine frische Zitrone in zwei Viertel und eine Hälfte. Den Saft eines der Viertel presste er in den Drink. Zum Garnieren schnitt er eine Scheibe von der Hälfte ab und legte sie elegant auf den Rand des Glases. Er bearbeitete die Zitronenhälfte mit einem Zestenschneider und drapierte die Zitronenzesten ansprechend im Glas. Zum Abschluss stellte Jean-Pierre das Glas auf eine kleine weiße Serviette, schob es zu Lilly und sagte zufrieden: »Et voilà!«
»Danke dir!«, sagte Lilly. Sie nahm einen kleinen Schluck und schaute lächelnd auf. »Köstlich!«
Jean-Pierre schmunzelte und verließ die Theke. Es waren neue Gäste angekommen, die er kannte und begrüßen wollte. Er machte einen kurzen Abstecher in den Personalbereich, rief Jack an und sagte nur schnell: »Sie ist da!« Dann legte er wieder auf. Und damit war der Startschuss für das neue Projekt gefallen.
Jack hatte sich für ein weißes Button-Down-Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, eine marineblaue Anzughose und weiße Sneaker entschieden. Dazu trug er einen braunen Gürtel und selbstverständlich eine seiner Luxusuhren. Er wollte bei Lilly den Eindruck von Stil und Wohlstand hinterlassen. Für die Sonnenbrille war es zu spät, denn es dämmerte bereits. Nach ein paar tiefen Atemzügen betrat er die Bar und blieb zunächst einige Sekunden stehen, um sich in Ruhe umzuschauen.
Jean-Pierre entdeckte ihn und läutete mit einem breiten Lächeln die »Show« ein.
»Oh, hallo! Willkommen im Il Merlo!«
Er begrüßte Jack herzlich, hob den Arm und deutete in Richtung Theke. »Möchtest du etwas essen oder trinken?«
Jack ging auf den Tresen zu, schüttelte verneinend den Kopf und erwiderte mit sonorer Stimme: »Nein, essen möchte ich nichts, aber über einen Drink würde ich mich sehr freuen.«
»Was darf es denn sein?«, fragte Jean-Pierre, der inzwischen wieder routiniert hinter der Theke stand.
Jack nahm lässig auf einem der Barhocker in der Mitte der Theke Platz, legte sein Portemonnaie und sein Smartphone ab und sortierte seine Beine und seine Kleidung. Dann steckte er die Sachen bedächtig wieder in seine Taschen und ließ seinen Blick schweifen. Schließlich zeigte er auf Lillys Glas und sagte: »Gute Wahl! Wenn das ein Gin Tonic mit Zitrone war, dann hätte ich gerne auch einen!«
Dann hielt er kurz inne, sah Lilly mit einem charmanten Lächeln direkt in die Augen und fragte: »Möchtest du auch noch einen? Keine Sorge, das ist kein Flirtversuch. Dein Glas ist leer, und ich fände es schön, mit dir anzustoßen – ich habe heute nämlich ein kleines Vermögen verdient.«
Lilly hatte Jean-Pierre und Jack beobachtet und war hingerissen von Jacks attraktiver Erscheinung und seinem Auftreten. »Wo habe ich ihn schon einmal gesehen«, überlegte sie, während sie antwortete: »Ja, gerne!« Plötzlich fiel es ihr ein. »Moment mal, warst du nicht auch bei dem Konzert hier?«
Jack tat so, als müsse er darüber nachdenken, und erwiderte schließlich: »Ja, genau! Eigentlich war ich an dem Abend zum Essen hier und bin zufällig in das Konzert reingeraten! Stimmt, da habe ich dich kurz gesehen, als du hereingekommen bist. Du warst nass wie ein begossener Pudel!«
Beide lachten. »Ja, ich bin in einen dieser fiesen Regenschauer geraten, die einen innerhalb von Sekunden komplett durchnässen. Es war schrecklich. Und, als ob das nicht schon gereicht hätte, rief genau in dem Moment meine Chefin an, als ich die Bar betrat. Ich musste raus, um sie verstehen zu können. Das Gespräch zog sich ewig hin, und am Ende bin ich nach Hause gegangen, statt zurück in die Bar. Ich konnte mich einfach nicht mehr aufraffen.«
Jack hörte ihr aufmerksam zu. »Oh, das klingt wirklich nach einem Pechtag.«
»Ja«, sagte Lilly, und um von sich abzulenken und nicht weiter an diesen unglücklichen Abend erinnert zu werden, fragte sie: »Und was gibt es bei dir zu feiern?«
Jack stand auf, nahm sein Glas und setzte sich auf den Barhocker neben Lilly. Er trank einen großzügigen Schluck und lehnte sich dann entspannt zurück.
»Entschuldige, ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber ich rede ungern so laut, dass die ganze Bar mithören kann. Ist dir das recht?«
Lilly nickte und lächelte.
Jack fuhr fort: »Ich arbeite für einen Luxusuhrenhersteller, und heute ist es mir gelungen, einen wichtigen Deal für die Firma abzuschließen. Manchmal ist es ja zäh, aber wenn es dann funktioniert, ist es jedes Mal ein Wahnsinnsgefühl.«
Er blickte Lilly mit seinen warmen braunen Augen an, die von langen Wimpern umrahmt waren. Lilly spürte, dass sie ihn mochte – das wurde ihr in diesem Moment klar. Dennoch machte sich ein leises, unbehagliches Gefühl in ihrer Bauchgegend bemerkbar, das sie sich gerade nicht erklären konnte. Sie ignorierte es und hob ihr Glas.
»Na dann – Cheers!«
Jack nahm ebenfalls sein Glas, stieß mit ihr an und trank einen Schluck. Dann schaute er jungenhaft nach unten auf die schmelzenden Eiswürfel und sagte bedauernd: »Leer!«
Jean-Pierre, der die Szene verfolgt hatte, fragte: »Noch zwei?«
Lilly und Jack nickten und Jean-Pierre begann mit der Zubereitung der neuen Drinks.
Die Atmosphäre wurde zunehmend entspannter. Jack erzählte von seinem Luxusuhren-Deal und Lilly von ihrem Aufenthalt in Paris, von Jacques und Julia, und der Rückreise.
Insgeheim frage sie sich, wie alt Jack wohl war – und Jack fragte sich, wie alt Lilly sein könnte. Nach der Beziehung mit Marlis, die deutlich älter als er war, wünschte er sich nichts sehnlicher, als wieder mit einer jungen Frau zusammen zu sein.
»Ich bin zweiunddreißig. Und du?«, fragte Lilly einfach. Es gefiel ihm sehr, dass sie auf das leidige Schätzspiel verzichtete. Dieser immer wieder gleiche Austausch von Eitelkeiten langweilte ihn schon lange.
»Achtunddreißig«, sagte er nur kurz und damit war die Frage erledigt und beide wussten Bescheid.
Jack versuchte grundsätzlich, immer so weit wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben. Soweit es überhaupt noch »die Wahrheit« gab. Er musste sich in jedem Projekt Dinge neu merken und durfte nicht durcheinanderkommen. Zumindest ein Quäntchen Wahrheit machte es ihm etwas leichter.
Jack mochte Lilly. Sie war bodenständig und wusste, was sie wollte. Außerdem war sie ausgesprochen hübsch. Er musste sich kaum verstellen, sie zog ihn magisch an.
Und dann kam auch schon die erste heikle Frage. »Wohnst du denn auch hier in Köln?«, fragte Lilly.