PITT mit Kindern und Jugendlichen (Leben Lernen, Bd. 339) - Silvia Höfer - E-Book

PITT mit Kindern und Jugendlichen (Leben Lernen, Bd. 339) E-Book

Silvia Höfer

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Beschreibung

Die Erweiterung des erfolgreichen Traumatherapieverfahrens PITT endlich auch für Kinder und Jugendliche Mit zahlreichen konkreten Behandlungsbeispielen Enthält Empfehlungen zur Bezugspersonen-Arbeit Traumatherapie mit Kindern und Jugendlichen erfordert, neben guten Kenntnissen der Entwicklungspsychologie und der Bindungstheorie, passende Diagnoseinstrumente und ein breites Spektrum an altersgerechten Interventionen. Das Buch vermittelt diese Voraussetzungen einer gelingenden Traumaarbeit praxisorientiert und durch viele Falldarstellungen konkretisiert. Handlungsleitend sind dabei in allen Phasen der Behandlung die Grundsätze der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie nach Luise Reddemann: eine von Mitgefühl und Respekt getragene therapeutische Beziehung, die Orientierung an Ressourcen und die Einbeziehung von Imaginationen, welche gerade Kindern und Jugendlichen in spieltherapeutischen Szenen leicht zugänglich sind. All dies stärkt das Vertrauen der jungen Menschen und hilft, die Verletzungen zu heilen.  

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Seitenzahl: 357

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Cover for EPUB

Luise Reddemann, Silvia Höfer, Fee Schäfer

PITT mit Kindern und Jugendlichen

Die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie in der Praxis

Klett-Cotta

Leben Lernen

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter:

www.klett-cotta.de/lebenlernen

Traumatherapie mit Kindern und Jugendlichen erfordert, neben guten Kenntnissen der Entwicklungspsychologie und der Bindungstheorie, passende Diagnoseinstrumente und ein breites Spektrum an altersgerechten Interventionen. Das Buch vermittelt diese Voraussetzungen einer gelingenden Traumaarbeit praxisorientiert und durch viele Falldarstellungen konkretisiert. Handlungsleitend sind dabei in allen Phasen der Behandlung die Grundsätze der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie nach Luise Reddemann: eine von Mitgefühl und Respekt getragene therapeutische Beziehung, die Orientierung an Ressourcen und die Einbeziehung von Imaginationen, welche gerade Kindern und Jugendlichen in spieltherapeutischen Szenen leicht zugänglich sind. All dies stärkt das Vertrauen der jungen Menschen und hilft, die Verletzungen zu heilen.

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

www.klett-cotta.de

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von dinamazanik/iStock by Getty Images

Fotos auf den Seiten 124, 152, 169, 226: Roland Bengel, Reutlingen

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Kempten

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-89309-0

E-Book ISBN 978-3-608-12041-7

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20624-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Kapitel 1

Einleitung

Kapitel 2

Psychotherapeutische Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen

Kapitel 3

Komplexe Traumatisierung im Kindes- und Jugendalter

3.1 Neurobiologie und Trauma

3.2 Ursachen für (komplexe) Traumafolgestörungen

3.3 Bindung und Trauma

3.4 Erscheinungsformen von Traumafolgestörungen

3.5 Diagnostik im Kindes- und Jugendalter

Kapitel 4

Voraussetzung und Beginn der Behandlung

4.1 Stabilisierung und ihre Bedeutung

4.2 Der therapeutische Rahmen

4.3 Äußere Sicherheit

4.4 Innere Sicherheit

Kapitel 5

Interventionen mit Kindern und Jugendlichen nach PITT-Prinzipien

5.1 Allgemeine Überlegungen zu Interventionen im Spiel

5.2 Stabilisierende Interventionen: Imaginationsübungen und Spielinterventionen

5.3 Traumabegegnendes Arbeiten: Versorgung verletzter jüngerer Anteile und Begegnung mit verletzenden Anteilen

5.4 Schonende Traumakonfrontation

5.5 Integration des Erlebten

Kapitel 6

Bezugspersonenarbeit und Arbeit mit dem Umfeld

6.1 Abhängigkeiten und Bezugspersonenarbeit

6.2 Unmittelbar betreuende Bezugspersonen als wichtige Ressource

6.3 Kindeswohlgefährdung

Literaturverzeichnis

Kapitel 1

Einleitung

Luise Reddemann

Grundlagen der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie und ihre Übertragung auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

Nach Übernahme der Leitung einer psychosomatischen Klinik 1985 stand ich vor der Herausforderung, mit besonders belasteten, nämlich traumatisierten, Patient*innen zu arbeiten. Leider wurden die Hintergründe ihrer schweren Leiden damals selten erkannt. Das Wissen über Trauma und die Theoriebildung waren zu dieser Zeit in Deutschland noch nicht fortgeschritten. Wir haben damals viel gesucht und vieles erprobt, bis es dann zur konkreten Formulierung dessen kam, was ich später als Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT) bezeichnete und was zügig verbreitet und angewendet wurde. Das Konzept wurde also für Erwachsene entwickelt, und zwar für die Behandlung von komplex traumatisierten Patientinnen und Patienten (Reddemann 2001/2022 und Reddemann 2011/2021).

In diesem Buch geht es um die Beschäftigung mit grundlegenden Bedürfnissen von Kindern, und darum, wie in der Psychotherapie mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen gearbeitet werden kann, wenn man die Prinzipien der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie nutzt.

Zunächst möchte ich kurz auf die Grundgedanken des PITT-Ansatzes eingehen, um im zweiten Schritt zu zeigen, wie diese auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen übertragbar sind.

Grundprinzipien von PITT

1) In der Therapie mit PITT geht es stets um das Bemühen, eine tragfähige, Sicherheit und Halt gebende und von Mitgefühl getragene therapeutische Beziehung zu ermöglichen. Und es geht auch um eine Bejahung und Würdigung der Symptomatik – nicht zuletzt unter dem Aspekt der Widerständigkeit der Patient*innen gegen zerstörerische äußere Bedingungen. Alle Versuche der Patient*innen, mit der traumatischen Erfahrung fertig zu werden und diese ins Selbst zu integrieren, sind zu würdigen.

2) Orientierung an Ressourcen ist ein weiteres unverzichtbares Merkmal von PITT. Konkret bedeutet das ein konsequentes Aufspüren von ressourcenvollen Momenten im Leben der Patientin oder des Patienten. Wir interessieren uns so detailliert wie möglich dafür, wie sich die Patient*innen fühlen, wie es ihnen körperlich geht, was sie denken, was sie wahrnehmen, wenn sie uns von Erfahrungen berichten, die für sie angenehm waren. Daher streben wir in der PITT eine gezielte Nutzung und Förderung all der Möglichkeiten, die die Patient*innen ohnehin zur Verfügung haben, an, mit dem einzigen Unterschied, dass sie nun innerhalb einer sicheren Beziehung noch bewusster erprobt werden können. Es sei betont, dass jedoch, quasi als »Basso continuo«, das Wissen um und der Umgang mit Leiden immer da sein sollte.

3) Wir beziehen die Erkenntnisse der Ego-State-Theorie in unsere Arbeit mit ein. Es hat sich als sehr hilfreich erwiesen, mit »jüngeren Anteilen« von Trauma-Patient*innen zu arbeiten – mit dem Ziel, dass sich zunehmend »erwachsene Anteile« der Person um »jüngere, verletzte Anteile« kümmern können. Die Fähigkeit, sich selbst zuzuwenden und beruhigen zu können, ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Autonomie und Ganzheit. Die Arbeit mit Imaginationen leistet hier einen wichtigen Beitrag.

4) Wir folgen auch in der PITT dem dreistufigen Behandlungskonzept Stabilisierung, Traumakonfrontation, Integration. Allerdings mit wichtigen Abweichungen zu vielen anderen Traumabehandlungsansätzen: Wir halten die Stabilisierungsphase für essentiell, und sie kann in jeder Phase der Behandlung wieder nötig werden, z. B. wenn Krisen auftauchen. Die Stabilisierungsphase ist in der PITT nicht als zeitlich terminierte, erste Behandlungseinheit zu verstehen. Die zweite Phase, die traumakonfrontative Arbeit, unterscheidet sich in der PITT von fast allen mir bekannten Konzepten durch die Betonung äußerster Behutsamkeit. Komplex traumatisierte Menschen fordern uns auf, sehr flexibel auf sie einzugehen. Für manche ist es hilfreich, sich baldmöglichst mit ihren traumatischen Erfahrungen zu konfrontieren, für andere kann es sehr lange dauern und für nicht wenige steht es niemals an. Die Integrationsphase sollte nicht vernachlässigt werden. PITT bietet hierzu sehr konkrete Anregungen an.

Allgemeine Überlegungen zu PITT mit Kindern und Jugendlichen

Die wichtigsten Grundlagen von PITT lassen sich sehr gut auf die Behandlung traumatisierter Kinder und Jugendlicher übertragen. Der Ansatz hat sich in der Praxis bereits bewährt.

1) Für uns ist psychodynamisches Verstehen eine Ressource, die uns gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen unverzichtbar erscheint. In der PITT mit Kindern ist es immer wichtig, den Entwicklungsstand des jeweiligen Kindes zu erkennen und auch zu nutzen, um ihm in einer sicheren Umgebung zu ermöglichen, sich zunächst spielerisch neue Lebenswelten zu gestalten, die dann im Alltag realisiert werden können und sich dort positiv auswirken. Konkret bedeutet das, dass in der Anfangsphase der Zusammenarbeit Therapeut*innen sich immer wieder vergewissern, inwieweit das Kind Halt und Orientierung braucht, um sich in einer Welt, die oft als bedrohlich erlebt wird, zurechtzufinden. Es heißt auch, dass es Neues, vielleicht bis dahin Verbotenes, ausprobieren kann und unterstützt wird im Entdecken neuer Welten; dies immer auch orientiert an seinem jeweiligen Entwicklungsstand. So kann das Kind einerseits Sicherheit und Geborgenheit in der therapeutischen Beziehung erfahren, aber auch die Erweiterung seiner bisherigen Grenzen erleben.

2) In der Behandlung hat sich das dreiphasige Vorgehen bewährt, das schon Pierre Janet empfiehlt, – ohne dass es sich hier um ein Dogma handeln sollte: Zunächst Kennenlernen, Vertrauen schaffen und mehr äußere und innere Stabilität anstreben und therapeutisch unterstützen. Danach Annäherung an extrem belastende Erfahrungen und, wenn möglich, genaues Aufarbeiten dieser Erfahrungen. Dazu gehört dann immer auch die Einladung zur Imagination günstigerer Entwicklungsbedingungen in der Zukunft. PITT bietet auch jungen Patient*innen die Möglichkeit einer emotionalen und intellektuellen Integration an, indem unerklärliche und befremdliche Erfahrungen, die bisher gemacht wurden, in ein Erklärungs- und Interpretationsschema eingeordnet werden können. Sich selbst besser verstehen und akzeptieren zu können, verhilft zu mehr Selbstkontrolle, wirkt stressmindernd und ermöglicht so, dass Neues erprobt werden kann. Wir halten auch Psychoedukation und Erklären für sinnvoll, weil wir kognitive Bedürfnisse anerkennen und für wichtig halten.

3) Ein sehr geeignetes Vorgehen, das in der PITT fest verankert ist, ist die Imaginationskompetenz junger Patient*innen zu nutzen, um insbesondere unterstützende, ja möglicherweise heilsame Vorstellungen anzuregen und zu fördern. Imaginationen und das Spiel als Ausdruck schöpferischer Prozesse, wie sie gerade jungen Menschen nahe sind, können so viel Raum erhalten, wie es dem Kind entspricht. In der Heilkunde, mehr noch in der Heilkunst, galt imaginative Kompetenz schon seit Paracelsus als das Wesentliche des Heilungsprozesses. Konkret heißt das, im Spiel oder im Tagtraum neue Lebensentwürfe zu entdecken. In der therapeutischen Arbeit ist dem Kind dabei zu helfen, diese neuen Entwürfe zum Leben zu erwecken. Dazu braucht es in aller Regel die Einbeziehung der Bezugspersonen, die diesen Prozess so kundig wie möglich unterstützen.

Mittlerweile wird in der Psychotherapieforschung gefordert, dass Praktiker*innen ihr Tun an die jeweiligen Bedürfnisse der Patient*innen anpassen. In jedem Fall geht es um ein Bemühen, Patient*innen zu sich selbst zu ermutigen und anzuerkennen, dass es sehr viele verschiedene Lebenswege und Lebenslösungen gibt. Diese Prinzipien gelten für Erwachsene und im Besonderen für Kinder und Jugendliche. Komplex traumatisierte Patient*innen können wir selten auf einem ganz sicheren Gelände begleiten, wir wissen wenig und gehen mit ihnen gemeinsam verschiedene Wege, um zu einem besseren Verstehen und daraus abgeleitetem neuen Handeln zu gelangen. Dazu können auch, aber nicht nur, Angebote von manualisierten therapeutischen Schritten gehören, die Therapeut*in und Patient*in Orientierung und Halt geben können.

Das Hauptanliegen dieses Buches ist es daher, einen in der Praxis erprobten Leitfaden anzubieten und zu kreativen Wegen zu ermutigen, die die Leser*innen am besten gemeinsam mit ihren Patient*innen (er)finden.

Es geht um Neubeginn, d. h., wir sollten neue emotionale, aber auch kognitive und Handlungserfahrungen ermöglichen. Und das ist eben nicht nur die Konfrontation mit dem Trauma, sondern vor allem die Erfahrung einer haltgebenden, mitfühlenden Beziehung sowie insbesondere die Erfahrung, Neues zu entdecken und zu erleben.

Dies wiederum bedeutet für die PITT, dass es in der Behandlung von Kindern – und auch von Erwachsenen – mit Traumafolgestörungen um verschiedene Facetten der Nachbeelterung qua Imagination geht. Imaginative Selbstbegegnung und Selbstfürsorge können ein wesentlicher Faktor für einen ressourcenorientierten Umgang mit sich selbst sein bzw. werden; immer getragen von einer haltgebenden therapeutischen Beziehung sowie der Ermöglichung der Erfahrung des Neins und der Widerständigkeit gegen unterdrückende Lebenszusammenhänge.

Gelingende emotionale Zuwendung – was wir aus der Bindungstheorie heute wissen

Kinder sind auf verlässliche Versorgung von Bedürfnissen durch Bezugspersonen angewiesen. Je jünger sie sind, umso verlässlicher sollten ihre Bedürfnisse nach Genährtsein allgemein und durch liebevolle Berührung auf körperlicher und Berührtwerden auf psychischer Ebene befriedigt werden. Dies führt zu lebensnotwendigen Erfahrungen von Sicherheit, Anerkennung und Bindung.

Zu Beginn des Lebens sollten Bezugspersonen in der Lage sein, nonverbal und verbal Halt, Sicherheit und Geborgenheit durch Körperkontakt sowie die Vermittlung von Erfahrungen des Sich-getragen-Fühlens vermitteln. Ältere Kinder und Jugendliche suchen Kontakt auch von sich aus und suchen meist Zärtlichkeit z. B. durch Kuscheln.

Bezugspersonen benötigen die Fähigkeit zu feinfühliger Distanzregulierung. Der kleine Mensch macht dadurch Erfahrungen von Geborgenheit und Sicherheit und kann nach und nach auch erkennen, was seine eigenen Grenzen sind.

Gelingt diese feinfühlige Distanzregulierung nicht, weil sie zu intensiv und damit zu intrusiv ist – aber auch, wenn sie zu wenig erfahren werden kann –, kann dies lebenslang zu Bindungsunsicherheit sowie Empfindungen von Leere und Haltlosigkeit und zu starker nicht oder kaum auflösbarer Unsicherheit führen.

Es geht somit für erwachsene Bezugspersonen beständig darum, Bedürfnisse und Grenzen wahrzunehmen, um diese zu kennen und zu befriedigen bzw. einzuhalten. Um Grenzüberschreitung vermeiden zu können, braucht es eine gute Einstimmung auf das Kind. Gelingt diese nicht, sollte die Bezugsperson in der Lage sein, im Nachhinein ein Zuviel oder Zuwenig zu reparieren, und sie sollte ermutigt werden, ihr Wissen über kindliche Entwicklung zu erweitern, um diese angemessen unterstützen zu können.

Inzwischen ist bekannt, dass Berührung und Erfahrungen von Gehaltensein, Getragensein und Geborgenheit schon pränatal erlebt werden können und wie bedeutsam für die spätere Entwicklung diese frühen Erfahrungen sein können.

Nach der Geburt wird Berührung, die wir als mitfühlend beschreiben können, wesentlich; sie kann Halt, Sicherheit und Geborgenheit vermitteln sowie die Erfahrung, dass ein anderer Mensch zuverlässig verfügbar ist und Grenzen gewahrt werden. Es ist zu betonen, dass Berührung durch alle Sinneskanäle erlebbar werden kann. So sprach z. B. Kohut davon, dass das Kind »den Glanz in den Augen der Mutter« braucht.

Es gibt Erkenntnisse zur Bedeutung des frühen »Gestillt«-Seins durch Mütter wie Väter. Gehaltensein und gelungene Eltern-Kind-Interaktionen wurde in den letzten Jahrzehnten in der Bindungsforschung als Voraussetzungen für die Entwicklung sicherer Bindungen auch im späteren Leben beschrieben.

Fehlt die frühe Erfahrung von Gehaltensein, Getragensein und Geborgenheit, resultieren daraus Kontaktbindungsstörungen. Wir nennen geglückte und beglückende emotionale Zuwendung daher auch »berührend«, und das kann beglückend erlebt werden, ein ganzes Leben lang!

Zunehmend lernt das Kind durch einen jederzeit herstellbaren Kontakt zur Sicherheit spendenden Bezugsperson in den ersten Lebensjahren, dass es sich auch alleine sicher und geborgen fühlen kann. So lernt es Vertrauen in andere, in sich selbst und in die Welt zu entwickeln. Neugierde, Erkundungsraum und Autonomie nehmen dadurch zu.

Heute wird der Berührung zum frühen Bindungsaufbau mehr Rechnung getragen: Mutter, Familie und Kind können nach der Geburt zusammenbleiben, um die frühe Mutter-Kind-Bindung zu unterstützen, frühe Bezugsperson-Kind-Interaktionen werden dadurch gefördert. Denn ab den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde zunehmend erkannt, dass Rooming-in von zentraler Bedeutung ist und dass Babys Traglinge sind. Berührung, Nähe, Kuscheln und Zärtlichkeit befriedigen die natürlichen Bedürfnisse nach Geborgenheit, Trost und Gehaltensein.

Ältere Kinder wollen den Körper und Körpergrenzen bewusster erfahren, erforschen und erkunden, einschließlich der Geschlechtsorgane. Später wird auch das Erkunden des anderen Körpers interessant, was meist – eher sinnwidrig – »Doktorspiele« genannt wird.

Für Erwachsene besteht die Aufgabe und die Verantwortung, Grenzen zu setzen und zu schützen, wo Kinder dies noch nicht vermögen.

Missbrauchte Kinder

Das Bedürfnis nach Halt gebenden Bezugspersonen im Zusammenspiel mit kindlicher Abhängigkeit ist also hoch bedeutsam. Vernachlässigung einerseits sowie Gewalt und sexualisierte Gewalt andererseits negieren kindliche Bedürfnisse und schädigen nachhaltig.

Etwa 90 % der Kinder und Jugendlichen werden von Tätern missbraucht, die sie kennen, werden sogar Opfer einer Bindungsperson. Es gilt: Je früher Gewalt stattfand, je schwerer sie war hinsichtlich Intensität, Bedrohlichkeit, Nähe des Täters und je geringer die schützenden Faktoren, desto schwerer kann die spätere daraus resultierende Symptomatik sein.

Je jünger das Kind, desto kürzer ist auch die zurückgelegte Wegstrecke guter Lebenserfahrungen und damit verknüpft das Vorhandensein von Bewältigungsstrategien und Abwehrmechanismen.

Gefährdet sind Kinder am meisten durch die Zerstörung von Sicherheit bietenden emotionalen Bindungen, Selbstwertkonzepten und inneren Leitbildern. Es ist für das Kind besonders irritierend und belastend, dass die Person, die Schutz geben sollte, zum Gefährder wird. Traumatisierende Folgen sind daher umso gravierender, wenn Täter diejenigen Erwachsenen sind, die Schutz und Fürsorge bieten sollten. Kinder sind dadurch ganz sich selbst überlassen und können sich häufig nicht schutzsuchend an die Bindungspersonen wenden.

Verletzungen der kindlichen Bedürfnisse finden auf allen existentiellen Ebenen statt, nämlich körperlich, emotional, geistig und spirituell.

Kinder erleben dadurch:

Missbrauch des Zärtlichkeitsbedürfnisses

Missbrauch der Wünsche nach einer verlässlichen, dyadischen Beziehung

Missbrauch des Urvertrauens (denn die Vorstellung, die Eltern könnten etwas »Falsches« oder »Böses« tun, ist dem Kind bis ins Grundschulalter fremd)

Missbrauch der Bereitschaft zu Loyalität und Gehorsam

Missbrauch der Bereitschaft des Kindes zu ödipalen Phantasien

Missbrauch der Fähigkeit des Kindes, eine liebevolle, zärtliche Annäherung von einer sexuellen Ausbeutung zu unterscheiden

Missbrauch der Angst des Kindes vor Zerstörung der Familie (Schweigegebot)

Es werden also die natürlichen Bedürfnisse von Kindern, die sich arglos und vertrauensvoll in der Regel an Bezugspersonen annähern – oder auch an Personen aus der Familie, Bekannte, Verwandte –, erschüttert. Nicht selten geschieht diese Enttäuschung der Bedürfnisse durch missbräuchliches Verhalten von Geschwistern, häufiger als früher angenommen.

Grenzverletzung wird in den genannten Fällen als normal hingestellt, als etwas Gutes, Lustvolles. Dem Kind wird suggeriert, dass diese Grenzverletzungen schön sind, das Kind dies auch will und es genießt, z. B. wenn das Kind Körperreaktionen von Erregung zeigt.

Durch schleichende – sexualisierte und andere – Grenzverletzungen fühlen Kinder und Jugendliche sich zutiefst verunsichert und können Berührungen meist nicht einordnen; das Kind fühlt sich auf hochambivalente Weise beantwortet, fühlt sich manchmal zunächst sogar gut, ja sogar geliebt und gesehen. Darüber hinaus möchte es niemanden verletzen oder beleidigen und beschämen. Es hat gelernt, brav sein zu müssen, oder es spürt, dass es gefährlich werden kann, sich zu wehren; insbesondere dann, wenn das Kind von der anderen Person abhängig ist oder gar Drohungen folgen. Kinder, die emotional unterversorgt sind, mit einer Sehnsucht nach Bindung, Nähe, Geborgenheit und Trost, sind besonders gefährdet.

Die Folgen sind:

Verlust von Vertrauen in andere Menschen; sich nicht oder nur oberflächlich oder sehr schwer auf Beziehungen einlassen können.

Beziehungen ständig auf die Probe stellen müssen; zur Schmerzabwehr vermeiden, was berührt – emotional und körperlich.

Den eigenen Körper als Feind erleben und sich nicht spüren, berühren lassen können.

Verlust von Familie, wenn die Gewalt in der Familie stattfand.

Aufgeben von Hoffnung auf Schutz und Geborgenheit durch die Herkunftsfamilie.

Belastende Erfahrungen schwer verarbeiten können aufgrund von positiven und/oder ambivalenten Gefühlen gegenüber dem Täter.

Von Gewalt Betroffene befinden sich in einem Dilemma ambivalenter Gefühle:

ausgenutzt – bevorzugt

schutzbedürftig – Schutz gebend

klein – überlegen

Diese Folgen sind also gravierend und vielfältig. Nach Egle et al. (2016) ist die Missachtung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit das größte gesundheitliche Problem in Deutschland.

Bewältigung anstehender Entwicklungsaufgaben

Wenn man davon ausgeht, dass die schwerwiegendsten Traumatisierungen wie Vernachlässigung, Gewalt und sexualisierte Gewalt mehrheitlich in der Familie geschehen, erscheinen präventive Vorgehensweisen am allerwichtigsten.

Die gute Botschaft ist, dass Trauma-bezogene Interventionen eine gute Alltagsbewältigung und Bewältigung anstehender Entwicklungsaufgaben unterstützen können. Das Ziel ist jedoch, neben der Bearbeitung schmerzhafter Erfahrungen, Wohlbefinden im Alltag und im Leben zu finden. Therapie ausschließlich als gezielte Bearbeitung traumatischer Erfahrungen zu definieren, halten wir für problematisch und oft für zu einseitig. Therapie sollte nach unserer Ansicht in erster Linie der besseren Bewältigung anstehender Alltags- und Entwicklungsaufgaben dienen. Dazu bedarf es oft mehr als nur der Bearbeitung traumatisierender Erfahrungen. Denn sehr häufig können von Bezugspersonen traumatisierte Kinder viele Fähigkeiten, die gesund aufwachsende Kinder entwickeln, nicht erlernen. An erster Stelle steht hier wohl, in einem ausreichenden und angemessenen Maß anderen Menschen vertrauen zu können.

Während der letzten Jahre macht sich in der Psychotherapie immer mehr ein Denken breit, wonach mit der »richtigen« Technik jedes Problem bewältigt werden kann. Therapeut*in und Patient*in geraten unter einen normativen Druck dessen, was – möglichst schnell! – erreicht werden sollte. Diesem Denken widersetzen sich vor allem junge Menschen, denn sie befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsphasen und verfolgen allein schon deshalb unterschiedliche Interessen, die sich so nicht alle manualisieren lassen. Das bedeutet, dass es darum geht, dass Therapeutin oder Therapeut sehr konkret eingeladen sind, das Kind als Gesamtpersönlichkeit zu erfassen und sich aus dieser allgemeineren Haltung heraus dann auch noch auf die Traumatisierungen einzustellen und an den daraus sich ergebenden Schädigungen zu arbeiten. Das heißt immer auch, der Gesamtpersönlichkeit des Kindes zu begegnen, genau zu erkunden, was es im jeweiligen Moment benötigt, und so gut es geht, darauf zu antworten, sowie großes Interesse an vorhandenen Ressourcen zu zeigen und ressourcenvolles Verhalten zu unterstützen.

Wampold et al. (2010, S. 931) haben eine Liste möglicher Faktoren erstellt, die wichtig für eine erfolgreiche Behandlung posttraumatischer Störungen sind. Die hier genannten Faktoren gelten auch für komplexe Traumafolgestörungen. Sie schwingen auch in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit:

Entwicklung und Förderung einer sicheren, respektvollen und vertrauenswürdigen therapeutischen Beziehung

Gemeinsam erarbeitete Vereinbarungen über die Aufgaben und ggf. Ziele der Therapie

Die Förderung von Hoffnung und der Aufbau eines Gefühls von Selbstwirksamkeit

Die Möglichkeit, über die traumatischen Erfahrungen zu sprechen

Sorge um die Sicherheit der Patientin oder des Patienten, insbesondere im Fall von Viktimisierung, wie sie bei häuslicher und sexualisierter Gewalt geschieht

Hilfsangebote, wie Patient*innen erfahren bzw. lernen können, Reviktimisierung zu verhindern

Benennen der Ressourcen der Patient*innen, ihrer Stärken, Überlebensfertigkeiten sowie intra- und interpersonaler Ressourcen und der Aufbau von Resilienz

Das Erlernen von Copingmechanismen

ggf. Exposition

ggf. – bei älteren Kindern – Sinngebung für traumatische Erfahrungen

Patient*innen fördern, Veränderungen sich selbst zuzuschreiben

Ermutigung, soziale Unterstützung herbeizuführen und zu nutzen

Prävention von Rückfällen

Von Interesse erscheinen Empfehlungen von Brooks und Goldstein (2001/2007, S. 263), wie man Resilienz bei Kindern fördern kann:

Die Autoren empfehlen, Kindern dabei zu helfen, Vorstellungen von persönlicher Einflussnahme zu entwickeln. Kompetenzstärkend sind Aktivitäten, die gut und mit Freude ausgeführt werden und für deren Ausführung man positive Rückmeldung erhält. Das Wichtigste sei, dass diese Erfahrungen als persönliche Stärke wahrgenommen werden. Resiliente Kinder können Hilfe annehmen und gleichzeitig erkennen, dass sie »die eigentlichen Baumeister ihrer Erfolge« sind. Es hilft Kindern, resilient zu werden, wenn sie keine Furcht vor Fehlern haben, sondern erfahren, dass man aus Fehlern lernen kann. Des Weiteren empfehlen Brooks und Goldstein, Kindern dabei zu helfen, dass sie tätige Anteilnahme erlernen. Als sehr wichtig beschreiben sie außerdem die »Vogelperspektive«, die zu Problemlösefähigkeit und Entscheidungskompetenz verhelfen kann. Dabei werden verschiedene Optionen erkundet, mit Hindernissen wird gerechnet und Rückschläge können als Erfahrungen verbucht werden. Brooks und Goldsteins Empfehlungen lese ich als ermutigende Anleitung.

Wir sollten wissen, dass sich wiederholende traumatische Ereignisse mit fortgesetztem und oft sehr raschem Verlust von Ressourcen einhergehen, insbesondere bei jungen Menschen, die bereits in der Vergangenheit traumatisiert wurden, und dass ein akuter Ressourcenverlust die Belastung durch früheren Ressourcenverlust verstärkt.

Die Grundlage unseres Tuns ist, wie bereits dargelegt, dass wir eine sichere, haltgebende Beziehungserfahrung ermöglichen, sodass aufgrund der gemeinsamen Arbeit traumatische Erinnerungen nicht mehr so quälen und ein Leben mit dem Wissen darüber möglich erscheint, ohne dass der junge Mensch sich davon überwältigt fühlt, und dass sich dadurch der traumatische Stress zurückbilden kann. Dies wiederum führt dazu, dass vertiefende Erfahrungen in der Therapie möglich werden.

Denn es ist in den letzten Jahren immer klarer geworden, dass die therapeutische Beziehung vermutlich einer der wichtigsten Faktoren für Besserung und Heilung ist, und die Interventionen so zu gestalten sind, dass sich verletzte Menschen sicher genug fühlen, auch neue Erfahrungen in Betracht zu ziehen.

Trostbereitschaft, Verständnis und Mitgefühl sollten stets leitend sein. Unsere Vorstellungskraft ermöglicht, dass wir vieles nachholend gutmachen können, wenn auch nicht alles. Daher sind neben einer haltgebenden und mitfühlenden Beziehung Imaginationen, die den inneren verletzten Anteilen vermitteln können, dass die Therapeutin oder der Therapeut und das ältere Ich verstehen, wie schlimm die Erfahrungen waren, von großer Bedeutung. Und eine ebenso wichtige Vermittlungsleistung ist, dass es Selbstanteile gibt, die sich mitfühlend und tröstend verletzten Anteilen zuwenden können. Dies geschieht einerseits vorbereitend während der Arbeit mit verletzten Anteilen in der Stabilisierungsphase und später ggf. noch einmal am Ende jeder traumakonfrontierenden Sitzung.

In einer entsprechenden Therapiesitzung könnte also geschaut werden, welche Anteile sich zeigen. Meist sind diese Anteile jünger als der junge Mensch, der bei uns in der Praxis sitzt. Ihn ermutigen wir nun, Wege zu finden – oft ja im Spiel –, die man auch Nachbeelterung nennt, das bedeutet liebevolle, altersangemessene Zuwendung zum »jüngeren Ich«, Trost, Bestätigung, Ermutigung, Beruhigung etc. Dies mag zunächst Aufgabe der Therapeutin oder des Therapeuten sein, nach und nach kann das Kind dann erfahren, dass es sich selbst trösten und versorgen kann durch die Kraft der inneren Bilder und durch entsprechendes Handeln im Spiel. Viele unserer erwachsenen Patient*innen haben uns berichtet, dass sie von dieser Kompetenz profitieren konnten.

Bezogen auf das Gebiet der Psychotraumatologie sollten wir uns der Frage nach dem Kontinuum von seelischer Gesundheit und Krankheit, von der Fähigkeit von Menschen, mit Traumafolgen fertig zu werden, immer wieder stellen, wie auch Fragen danach, wie sehr Menschen durch Traumatisierungen beschädigt sein können. Für mich ist Fürstenaus (z. B. 2004/2017) Vorschlag vom »beidäugigen« Blick auf die Patientin oder den Patienten der angemessene Weg, mit »Krankheits- und Gesundheitsideologie« ins Gleichgewicht zu kommen.

Schon Carl Rogers (1980/2019, S. 70) hat von einer »Selbstaktualisierungstendenz« gesprochen, von einer Sehnsucht, alles zu werden, was man sein könne. Das heißt, es gibt eine Sehnsucht, ja Notwendigkeit nach Wachstum, Selbstentfaltung und Autonomie. Karen Horney meinte: »Wir werden frei, uns selbst wachsen zu lassen, wir befreien uns selbst auch zur Liebe und zu Mitgefühl mit anderen … ob für uns selbst oder für andere, das Ideal ist die Befreiung und Förderung der Kräfte, die zu Selbst-verwirklichung führen« (Horney 1950/1975, S. 14). Wenn wir in der PITT von der »inneren Weisheit« sprechen, so ist auch dies gemeint: Dass Patient*innen selbst am besten wissen, was sie brauchen. Mit einem jungen Menschen auf stimmige Art zu erkunden, »was sagt dir dein Innerstes, deine innere Weisheit, dein innerer Arzt«, kann sehr befreiend wirken.

Die zentralen Anliegen von PITT mit Kindern

Traumatisierte Patient*innen brauchen die Sicherheit einer therapeutischen Beziehung im Sinne von Ermutigung, Akzeptanz und Mitgefühl. Manchmal brauchen sie auch Anregungen, die aber in einer Haltung gegeben sein sollten, dass diese Anregungen angenommen werden können oder auch nicht. Sie benötigen uns auch, um ihnen Mut zu machen, genauer hinzusehen und die Gegenwart immer bewusster zur Verfügung zu haben – wenn sie das wollen. Wir sollten uns immer wieder selbstkritisch fragen, ob wir mit der »inneren Weisheit« des Patienten mitgehen und ihn darin unterstützen, sich diese zugänglich zu machen. Und bei Kindern geht es darum, ihnen altersentsprechende Antworten und Angebote zu geben.

Vordringliche Anliegen nach PITT sind also:

Eine Vertrauensbasis schaffen

Leiden würdigen und ihm Raum geben, Mitgefühl zeigen

Die Entwicklung einer sicheren und als haltgebend erfahrenen therapeutischen Beziehung ermöglichen

Selbstwirksamkeit fördern sowie gelingende Affektsteuerung und Hoffnung unterstützen

Verbindungen zu anderen Menschen erkunden und fördern

für Sinnfragen offen sein, sie aufgreifen und ernst nehmen und für Trost offen sein

Basal ist die Förderung von mehr Stabilität, also Ich-Stärke, wenn die vorhandene ungenügend ist.

Schließlich ist bekannt, dass auch kleine Menschen, wenn sie sich selbstbestimmt fühlen, leichter lernen und offener sind für Neues. Da eine Psychotherapie eine neue Lernerfahrung darstellt, ist auch dies ein einleuchtender und nachvollziehbarer Grund, die Beziehungserfahrung für die Patientin oder den Patienten auf der Basis von Selbstbestimmung und Selbstkontrolle zu gestalten.

Vieles, was jungen Patient*innen an Aggression oder Passivität angelastet wird, ist reaktiv zu verstehen und hat genau genommen damit zu tun, dass sie sich überwältigt fühlen und dieses Überwältigtsein mit Aggression oder Vermeidung abwehren. Daraus ergeben sich Konsequenzen und Empfehlungen:

Man weiß heute, dass die Anerkennung von Leid und Leiden für den Aufbau einer hilfreichen Beziehung wichtig ist.

Es geht um die Ermöglichung guter, wertschätzender Beziehungserfahrungen, die dem Empowerment der Patientin oder des Patienten dienen.

Alle persönlichen und altersentsprechenden Ressourcen sind zu berücksichtigen und wir sollten helfen, diese zu aktivieren, indem sie gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten erkundet werden; viele Patient*innen sind sich ihrer Ressourcen nicht bewusst, daher sollten wir Mut machen, sie bewusster und häufiger zu nutzen, nicht um das Schreckliche zu beschönigen, sondern um ein Gegengewicht zur Verfügung zu haben.

Lösungen der Patient*innen werden, wo nötig, als Traumakompensation respektiert, ggf. auch benannt. Erst danach können auch Alternativen gesucht werden.

Alle Bewältigungsformen sollten als der Selbstheilung dienend bzw. gedient habend anerkannt werden, so lange bis gesündere zur Verfügung stehen.

Interventionen, die stark konfrontativ sind, sollten, solange die therapeutische Beziehung nicht tragfähig ist, nicht verwendet werden.

Früher oder später mag sich qua Übertragung etwas von der traumatischen Erfahrung szenisch wiederholen, jedoch sollte die Therapeutin oder der Therapeut sich bemühen, dass neue Erfahrungen ermöglicht werden im Sinne der optimalen Differenz zu früher gemachten Erfahrungen.

Sicher werden wir nicht immer vermeiden können, dass sich traumatische Erfahrungen bereits während der ersten Begegnung reinszenieren. Es erscheint mir wichtig, dass Therapeut*innen wissen, dass sie einen großen Einfluss darauf haben, ob dies geschieht oder nicht, auch wenn sie nicht die Macht haben, dies stets zu verhindern.

Allzu leicht wurden Probleme in einer Therapie ausschließlich der Pathologie der Patientin oder dem Patienten zugeschrieben. Dies hat sich glücklicherweise in den letzten Jahren gewandelt. Denn seit Langem wissen wir, dass »der Arzt als Arznei« (Balint 1957/2019, S. 300) wirkt oder im Gegenteil. Das gilt analog für Therapeut*innen. Wir können durch unser Verhalten Hoffnung oder Hoffnungslosigkeit ermöglichen, die Bereitschaft, mit uns zu arbeiten oder mit uns zu kämpfen.

Die Gründe für sein Verhalten in der therapeutischen Beziehung nur im Patienten zu suchen, ist ein fundamentaler Irrtum. Zwar mag es im Lauf der Therapie darum gehen zu erkennen, welche Gründe im Patienten liegen könnten. Die Auswirkungen des Therapeutenverhaltens werden jedoch in der PITT genauso klar in den Blick genommen. Es geht in der PITT darum, auch das Recht der sehr jungen Patient*innen auf Selbstbestimmung zu achten und sogar zu verteidigen.

Es geht immer um die Behandlung des ganzen Menschen. Und es geht um die Wirksamkeit einer Beziehung. Jeder Mensch weist Besonderheiten auf, die ihn von anderen Menschen unterscheiden, dies gilt ebenso für Menschen mit psychischen Störungen. Milton Erickson hat das elegant so formuliert: »Jeder Mensch ist ein Individuum. Die Psychotherapie sollte deshalb so definiert werden, dass sie der Einzigartigkeit der Bedürfnisse eines Individuums gerecht wird, statt den Menschen so zurechtzustutzen, dass er in das Prokrustesbett einer hypothetischen Theorie vom menschlichen Verhalten passt« (Erickson 1979, zit. nach meg-hypnose.de).

In der Arbeit mit Kindern formulieren wir für die PITT, dass ein gutes Arbeitsbündnis entscheidend durch die Haltung der Therapeutin oder des Therapeuten geprägt wird, die oder der sich aktiv dafür einsetzt, dass Regression möglichst auf der inneren Bühne und im Spiel stattfindet. Dies ist in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entsprechend ihrer Bedürfnisse und altersentsprechenden Notwendigkeiten anzupassen.

Zentral ist das von Mitgefühl getragene Verhalten der Therapeut*innen. Dieses drückt sich zum einen durch ein tiefes Verstehen aus, was an Mitgefühl gebraucht wird, zum anderen durch das Erkennen, welche Hindernisse bestehen und weshalb. Das heißt, dass es um Möglichkeiten heilsamer Erfahrungen in der Behandlung durch Äußerungen von Mitgefühl durch die Therapeutin oder den Therapeuten geht, die zu tieferem Verstehen führen können.

Kapitel 2

Psychotherapeutische Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen

In der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern ist der Faktor Zeit wichtig: Entwicklung läuft rasant ab unter Öffnen und Schließen von teilweise aufeinander aufbauenden Entwicklungszeitfenstern und der Notwendigkeit, in rascher Folge individuelle und interaktionelle Entwicklungsaufgaben zu meistern. Schon die normalen Entwicklungslinien sind enorm vielgestaltig und von vielen Variablen abhängig. Und, so vielfältig die Ursachen für Traumatisierung im Kindes- und Jugendalter sein können, so komplex sind die Wirkfaktoren für die Entstehung einer Traumafolgestörung in dieser Altersgruppe. Darüber hinaus wandelt sich das Erscheinungsbild der Traumafolgestörung mit der Zeit; auch durch die interaktionellen Konsequenzen der Traumafolgen ändert die »Störung« ihr Gesicht. Bei all dem leben Kinder und Jugendliche immer in Wechselseitigkeit und Abhängigkeit von für sie verantwortlichen Erwachsenen, welche immer auch auf (therapeutisch) notwendige Veränderungen vorbereitet und für diese gewonnen werden müssen.

Wir, Silvia Höfer und Fee Schäfer, wenden PITT seit Ende 1990/Anfang 2000 in der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen an, zunächst jede für sich in der eigenen Praxis. Silvia Höfer, Diplompädagogin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit Vorerfahrung im Bereich der Heimerziehung, ist psychotherapeutisch qualifiziert in personenzentrierter Psychotherapie, Verhaltenstherapie sowie u. a. in Sandspieltherapie. Fee Schäfer ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychoanalytikerin. Wir sind langjährige PITT-Therapeutinnen und für die PITT-Weiterbildung akkreditiert. Gemeinsam gründeten wir, von Luise Reddemann beauftragt und ermutigt, 2018 im Rahmen der Fachkonferenz PITT (https://fachkonferenz-pitt.com) eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung des Aufbauseminares »PITT mit Kindern und Jugendlichen«. Dieses kann im Anschluss an das PITT-Basiscurriculum besucht werden. Das Seminar macht die in diesem Buch gesammelten Früchte unserer Arbeit mit Selbsterfahrungselementen und konkreter Fallarbeit praktisch erfahrbar. PITT kann nicht nur theoretisch verstanden und manualisiert angewendet werden, es will und muss erfahren und begriffen werden.

Schutzbedürftigkeit achten, Leid würdigen und mitfühlend auf Augenhöhe Lösungen finden

Kinder und Jugendliche bedürfen eines besonderen Schutzes, was gesellschaftlich formaljuristisch seinen Ausdruck findet, z. B. durch die Vorgaben des Kinder- und Jugendhilferechts (Dürbeck 2022) und das Grundgesetz (Bundesministerium für Justiz und Bundesamt für Justiz) sowie das internationale Kinderrecht (UNICEF). Und doch haben Kinder und Jugendliche noch immer nicht dieselben Rechte wie Erwachsene. Vor allem sind sie immer und in vielerlei Hinsicht abhängig von den sie versorgenden Erwachsenen. Je jünger ein Kind, desto stärker und konkreter sind diese Abhängigkeiten. Nicht selten leben Kinder und Jugendliche mit mindestens einer (Bezugs-)Person, die absichtlich oder unabsichtlich schädigt oder in der Vorgeschichte schädigte oder bei Schädigung assistierte (z. B. Festhalten bei ärztlich notwendigen Eingriffen). Oder es muss, widerwillig, ein Umgangsrecht wahrgenommen werden. Nicht selten haben Bezugspersonen eigene traumatische Erfahrungen, Erkrankungen und/oder weitere psychosoziale Belastungen. Oft sind sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt (z. B. Trennungssituation, monetäre Probleme o. Ä.), um sich in angemessener Weise und in ausreichendem Umfang um ihr Kind kümmern zu können. Doch auch schädigende Bezugspersonen verhalten sich oft zugleich fürsorglich.

Im Kindesalter kann jedes traumatische Ereignis einen Riss in der Bezugspersonen-Kind-Beziehung bedeuten. Denn selbst wenn die Eltern gar nicht die Möglichkeit hatten, die Situation zu verhindern, bleibt im Kind eine grundsätzliche Verunsicherung (im Sinne von: Warum hat Mama/Papa nicht verhindert, dass …?). Vor diesem Hintergrund haben Kinder und Jugendliche im Alltag in der Regel keine Wahl, sie müssen sich mit den Bezugspersonen und ihrem Umfeld arrangieren – auch wenn dies bedeutet, sich selbst zu verraten.

Die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen ist auch psychotherapeutisch von Bedeutung. Behandle ich mein Gegenüber würdevoll, so achte ich dessen Grundbedürfnisse und Grenzen. Der junge Mensch erhält Anleitung darin, seine Bedürfnisse sowie seine Grenzen wahrzunehmen, diese selbst wertzuschätzen und zu beachten. Als Therapeutinnen versuchen wir dies auf der Basis einer feinfühligen Distanzregulierung und durch mitfühlendes Nachfragen zu vermitteln. Die Beziehung gestaltet sich auf Augenhöhe. Die therapeutischen Interventionen werden immer auf die Bedürfnislage und den Therapieprozess des jungen Menschen abgestimmt. Auch bei Minderjährigen muss sorgsam darauf geachtet werden, wann sie welchen therapeutischen Interventionen gewachsen sind und ob im Einzelfall eine Intervention nicht zu einem späteren Zeitpunkt vom (jugendlichen) Kind besser ausgehalten und dann auch wirklich mit heilender Wirkung weiterverarbeitet werden kann. Ein Herabsehen oder Besserwissen gegenüber den Kindern und Jugendlichen ist zutiefst unethisch und steht einem hilfreichen Therapieprozess entgegen. Die PITT-Arbeit mit der ihr zugrunde liegenden respektvollen und würdeorientierten Haltung ermöglicht es uns, sowohl die Bedürfnislage und Grenzen der Kinder zu erkennen, als auch die fachlich notwendigen Interventionen zu setzen. Dabei können immer das Entwicklungs- und Heilungstempo der Klient*innen sowie deren Ressourcen, die es sich immer lohnt herauszuarbeiten, einbezogen werden.

Zum respekt- und würdevollen Arbeiten gehört bei traumatisierten Menschen, das Leid ebenso zu würdigen wie das Gelingende. Gerade bei (jüngeren) Kindern wird dies oft übersehen. In der Praxis begegnen uns immer wieder Bezugspersonen, welche von der Traumadiagnose völlig überrascht sind, da sie glaubten, ihr Sohn oder ihre Tochter seien »zu klein (gewesen), um das richtig mitzukriegen« oder hätten »Ereignisse vergessen, weil sie noch klein waren«. Oder es begegnen uns Bezugspersonen, welche nur die den Alltag erschwerenden Verhaltensweisen, »was alles nicht klappt«, wahrnehmen. Die Dinge, welche den Kindern und Jugendlichen trotz widriger Umstände gelingen, werden in der Alltagsbelastung häufig völlig aus den Augen verloren. Scheinbare Defizite stehen symptomorientiert im Fokus, das dahinterstehende Leid wird, ebenso wie die vom Kind aktivierten Überlebensstrategien, immer wieder übersehen. Kinder leiden oft anders als Erwachsene. Ein Kind kann zutiefst leiden oder trauern und trotzdem lachen und mit Freunden spielen oder anderweitig aktiv sein. Da die kindlichen Aktivitäten dem Entwicklungsprozess dienen, werden sie vom Organismus so lange wie möglich aufrechterhalten. Gesellschaftlich normierte Verhaltensweisen bezüglich Emotionsausdruck und Affektregulation sind bei Kindern noch nicht vollständig ausgeformt. Alters- und entwicklungsentsprechend unterscheiden sich auch die Symptome, die für eine Traumatisierung sprechen, bei Kindern von denen der Erwachsenen.

Erfährt das Kind, dass das von ihm erfahrene Leid gewürdigt wird, ermöglicht dies dem Jungen oder dem Mädchen, das zunächst Unverständliche schrittweise zu verstehen und adäquat einzuordnen. Sein Empfinden von Recht, Unrecht, Schmerz usw. wird validiert. Genauso gilt es, individuelle kindliche Reaktionen auf Traumata wertzuschätzen und zu würdigen. Scheinbar »falsche« Emotionen oder scheinbar dysfunktionales Verhalten sind Überlebensleistungen und der Versuch, den weiteren individuellen ganzheitlichen Entwicklungsprozess oder gar das Überleben sicherzustellen. Darüber hinaus sind diese Überlebensstrategien wichtige Ressourcen für unsere Arbeit. Suchen wir, auf Augenhöhe mit den jungen Klient*innen und von (Selbst-)Mitgefühl getragen, nach funktionaleren (oder heilsamen) individuell passenden Alternativen, Auswegen, Verbesserungen, Veränderungen oder gar Lösungen, kann sich in den Betroffenen Zuversicht sowie Hoffnung auf Heilung und eine lebenswerte Zukunft entwickeln.

Begleitende Arbeit mit Bezugspersonen – Wer ist unser Auftraggeber?

In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben wir es – wenn sie noch minderjährig sind – immer mit mehreren Kooperationsparteien zu tun. An erster Stelle sind hier die leiblichen Eltern bzw. die Sorgeberechtigten zu nennen. Sie müssen, da Kinder bis zum 7. Lebensjahr nicht und Kinder/Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr nur beschränkt geschäftsfähig sind (BGB §§ 104 ff.), in die Behandlungen einbezogen werden. Da Jugendliche nach der gängigen Praxis der Kostenträger ab dem 15. Geburtstag als einwilligungsfähig gelten, dürfen Jugendliche ab diesem Alter auch allein und ohne Erlaubnis ihrer Sorgeberechtigten den Arzt oder Psychotherapeuten aufsuchen. Mit Einverständnis der Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen werden Bezugspersonen jedoch oft auch über das 16. Lebensjahr hinaus in die psychotherapeutische bzw. psychiatrische Arbeit einbezogen. Die kostenübernehmenden Krankenkassen gewähren für die begleitende Arbeit mit Bezugspersonen im Rahmen einer Psychotherapie i. d. R. »Bezugspersonenstunden« im Schlüssel 4 : 1; d. h. auf jede vierte Behandlungsstunde mit dem jungen Menschen kommt eine Beratungsstunde für die Bezugspersonen. Dieser Schlüssel kann je nach Bedarf verändert werden, z. B. auf einen Schlüssel von 3 : 1 oder sogar von 2 : 1, wenn die Bezugspersonenarbeit intensiviert werden muss. Doch trotz der vom Gesetzgeber vorgesehenen Zusammenarbeit zwischen Therapeut*in und Bezugspersonen kann es für ein Kind (überlebens-)wichtig sein, den therapeutischen Raum eltern- bzw. bezugspersonenfrei für sich gestalten und nutzen zu dürfen. So gilt unsere inhaltliche Schweigepflicht immer zunächst gegenüber dem Kind bzw. dem Jugendlichen – sofern keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung von ihm ausgeht und keine akute Kindeswohlgefährdung besteht. Denn in der Arbeit mit komplex traumatisierten Kindern und Jugendlichen gilt es, in einem ersten Schritt sorgfältig zu prüfen, ob wir es mit »Täter«-Bezugspersonen zu tun haben, und im zweiten Schritt sorgfältig zu klären, ob und in welcher Weise wir, das Wohlergehen unserer jungen Patient*innen im Blick, mit diesen Angehörigen arbeiten können.

Als Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen und -psychiater*innen haben wir also meist mindestens zwei Auftraggeber – Patient*in und Bezugsperson; nicht selten haben wir so von Anfang an unterschiedliche Aufträge. Darüber hinaus gibt es i. d. R. noch weitere »Auftraggeber«, z. B. durch zerstrittene Eltern, Geschwister, Schule oder Kindergarten, Großeltern, Jugendamt, Jugendhilfeeinrichtungen oder gar durch einen Anwalt. Und über all dem steht noch der gesetzliche Auftrag, das Kindeswohl im Blick zu haben und nötigenfalls zu handeln. Vor diesem Hintergrund ist die Aufgabe, den im Patientenrechtegesetz (§§ 630a ff BGB 2013) geforderten »informed consent« herzustellen, in der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen eine Herausforderung ganz eigener Art. Da gilt zu erkennen, wer welche Intention hat, und abzuwägen, was für das Kind das Beste ist. In sehr vielen Fällen ist dem Kind nicht unbedingt am meisten geholfen, wenn es aus dem Umfeld genommen wird oder ausschließlich das Symptom behandelt wird!

So gilt es, das Kind und die Bezugsperson für eine Veränderungsbereitschaft sowie zur Mitarbeit zu gewinnen. Auch für die Arbeit mit den Bezugspersonen (sofern sie keine absichtlich schädigenden Bezugspersonen sind) hat sich die mitfühlende, würde- und ressourcenorientierte Haltung, die der PITT innewohnt, als hilfreich erwiesen. Oft gelingt es so, die Bezugspersonen für eine Mitarbeit zu gewinnen und eine größere Balance zu finden zwischen Entlastung für sich selbst und Verantwortungsübernahme für das Kind und seine Belange. Denn letztlich ist dem Kind am wirkungsvollsten geholfen, wenn es gelingt, das ganze Familiensystem dabei zu unterstützen, sich besser selbst helfen zu können.

Bedeutung des Spiels in der Behandlung komplex traumatisierter Kinder und Jugendlicher

In der psychotherapeutischen und psychiatrischen Behandlung insbesondere junger Kinder kommt dem Spiel eine besondere Bedeutung zu. Es ist altersadäquates Ausdrucks-, Lern- und Verarbeitungsmedium von Kindern, teils bis in die Vorpubertät hinein.

Das Spiel dient dem Ausprobieren von Neuem, der Erprobung von Handlungsabläufen, dem Verstehen von (Handlungs-)Zusammenhängen sowie dem Begreifen des Ursache-Wirkungs-Prinzips. Zudem verarbeiten Kinder im Spiel ihre alltäglichen Erlebnisse und Erfahrungen. Bei nicht belasteten Kindern ist dies problemlos möglich, es gelingt ihnen, sich auch in emotional anspruchsvollen Spielsituationen altersadäquat zu regulieren. Im traumatisch intrusiven oder dissoziativen Spiel dagegen versagt die Fähigkeit zur Selbstregulation. Das emotional belastete Kind braucht erwachsene bzw. therapeutische Unterstützung, um wieder Zugang zu Möglichkeiten der Selbstregulation zu finden. Erst dann ist die Selbststeuerung durch das Kind selbst wieder möglich.

Die PITT stellt hierfür eine schonende Methode dar, welche die Bindungsbedürfnisse der Kinder im therapeutischen Setting berücksichtigt und dadurch das innere System beruhigen kann. Die von Luise Reddemann beschriebenen Methoden lassen sich zudem kind- und altersgerecht in Spielsequenzen einweben. Auch können die Imaginationen kindgerecht als eigenständige Regulations- und Selbstfürsorgemöglichkeiten vermittelt werden, die die Kinder für sich allein oder mit Unterstützung wohlgesonnener und fürsorglicher Bezugspersonen durchführen können. Damit sind sie in der Lage, sich selbstwirksam selbst bemächtigen und erleben, dass sie wieder Sicherheit empfinden sowie Steuerungsmöglichkeiten über sich und ihre Affekte haben können. Traumabedingtem Kontrollverlust und Hilflosigkeitsempfinden kann so wirksam entgegengewirkt werden.

Kapitel 3

Komplexe Traumatisierung im Kindes- und Jugendalter

»Shit happens – die Kunst ist, nicht darin unterzugehen«

(Zitat Therapiejugendlicher, 16 Jahre)

Das Dasein auf dieser Welt bringt Situationen mit sich, in denen das eigene Leben in Gefahr ist oder in denen man den Tod oder die Lebensgefahr anderer miterleben muss. Es gibt ganze Zeiträume, in denen die Integrität der Seele vom Zerbrechen bedroht ist; wenn Körper, Geist und Seele in höchster Alarmbereitschaft sind, das innere Stressniveau massiv ansteigt; wenn kämpfen nicht möglich ist und flüchten auch nicht; wenn eigentlich nichts mehr geht, geht oft noch ein bisschen, und irgendwie überlebt man es – zumindest größtenteils – irgendwie; bis zur nächsten Situation oder zum nächsten Zeitraum. Ob diese Erfahrungen traumatisch verarbeitet werden, eine Traumafolgestörung auslösen oder gar eine chronisch komplexe Entwicklung anstoßen, entscheidet sich vor dem Hintergrund der Vorbelastungen und Schutzfaktoren sowie durch den Ablauf der Erfahrung und der Bedingungen im Anschluss daran. In diesem Kapitel soll es darum gehen, was ein Trauma ausmacht und was seine Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung sein können.

3.1 Neurobiologie und Trauma

Das menschliche Gehirn ist wandelbar, bis ins hohe Alter hinein. Das kindliche Gehirn jedoch befindet sich in rasanter Entwicklung und im permanenten Austausch mit der Umwelt.

Hirnentwicklung und Trauma

Die kindliche Entwicklung und die Entwicklung des kindlichen Gehirns stehen in enger Beziehung zueinander und unterliegen einer komplexen Interaktion verschiedenster Einflüsse: genetisch, epigenetisch, (vor-)geburtlich, (früh-)kindlich sowie inter- und innerpersonell. Wie bereits erwähnt wandelt sich unser Gehirn ein Leben lang. Allerdings geschehen die frühen Veränderungen, vor der Geburt und in den ersten Monaten und Jahren, schneller und nachhaltiger. Das kindliche Gehirn entwickelt sich schon im Mutterleib im steten Austausch mit seiner Umwelt. Bereits in den ersten acht Schwangerschaftswochen entsteht genetisch angelegt und epigenetisch beeinflusst, die organische Grundlage für unser Gehirn. Ab der neunten Schwangerschaftswoche werden neuronale Netzwerke massiv aufgebaut und recht bald wieder ab- und umgebaut. Ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel (bis ins Kindergartenalter) geht gut 50 % der ursprünglichen Zellmasse wieder zugrunde. Das Volumen des Gehirns nimmt dabei jedoch nicht ab, sondern zu. Es läuft einerseits ein »intrazelluläres Selbstmordprogramm« (Roth & Strüber 2018