Pjotr und Paul - Alfred Hägele - E-Book

Pjotr und Paul E-Book

Alfred Hägele

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Beschreibung

Der 16-jährige polnischer Zwangsabeiter Pjotr verbringt im Jahr 1944 ein halbes Jahr auf einem Bauernhof im Berchtesgadener Land. Er verliebt sich in die Tochter des Bauern. Bevor er ins KZ nach Auschwitz deportiert wird, gelingt ihm die Flucht zurück in seine Heimat. 60 Jahre später, Polen gehört nun zur EU. Pjotr reist wieder nach Inzell, um die damalige Zeit wieder aufleben zu lassen. Doch statt positiver Erinnerungen erfährt er, dass seine einstige Geliebte ein schlimmes Schicksal erleiden musste.

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Seitenzahl: 288

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alfred Hägele

Pjotr und Paul

Schicksalsroman

Impressum

© 2025 Alfred Hägele

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg , 22926 Ahrensburg, Germany

www.alfred-haegele.de

Paperback ISBN 978-3-384-53162-9

E-Book ISBN 978-3-384-53163-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich.

Jede Verwendung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verarbeitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:

Alfred Hägele, Seitsberger Str. 2, 73433 Aalen, Germany

www.alfred-haegele.de

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Inhalt

Vorwort

Über den Autor

Prolog

Pjotr

TEIL 1

2004

TEIL 2

1944

1944 - 1945

1945 - 1958

1959 - 1993

2003

TEIL 3

2004

TEIL 4

2004

1944

1945

1955

1956 - 1961

1961 - 2004

2000

2004

Epilog

Weitere Veröffentlichungen

Vorwort

Die Ge­schich­te ist rei­ne Fik­tion. Aber, sie hät­te sich ge­nau­so ab­spie­len kön­nen. Sämt­li­che Hand­lun­gen und Per­so­nen sind frei er­fun­den. Je­de Ähn­lich­keit mit wirk­li­chen Per­so­nen, ob le­bend oder tot, wä­re rein zu­fäl­lig und vom Au­tor nicht be­ab­sich­tigt. Soll­te sich den­noch je­mand an sich selbst oder einen An­ge­hö­ri­gen er­in­nert füh­len, so bit­tet der Au­tor schon im Vor­feld um Ver­zei­hung. Ihm liegt nichts da­ran, Men­schen zu ver­un­glimp­fen oder ih­nen Bö­ses nach­zu­sa­gen.

Er möch­te mit die­ser Ge­schich­te nur eines er­rei­chen:

Seid wach­sam!

Über den Autor

Der Au­tor wur­de 1957 in einem klei­nen Ort in Süd­deutsch­land ge­bo­ren. Er wuchs als jüngs­tes von 9 Kin­dern in ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen auf einem Bau­ern­hof auf. Durch Er­zäh­lun­gen der Mut­ter so­wie der äl­te­ren Ge­schwis­ter, wel­che die Schre­ckens­herr­schaft der Na­zi-Zeit am eige­nen Leib mit­erlebt hat­ten, wur­de sei­ne grund­le­gen­de Hal­tung für eine sta­bi­le De­mo­kra­tie be­grün­det. Der Di­rek­tor sei­ner Schu­le, der noch im letz­ten Kriegs­jahr als 18-Jäh­ri­ger zur Wehr­macht ein­ge­zo­gen wur­de, und eben­so über die Zeit be­rich­te­te, fes­tig­te im Au­tor den Wil­len al­les zu tun, dass so et­was nie wie­der pas­sie­ren darf.

So war es nicht ver­wun­der­lich, dass der Au­tor die ers­ten Frag­men­te die­ser Er­zäh­lung An­fang der 2000er-Jah­re im An­schluss eines Be­su­ches des NS-Do­ku­men­ta­tions­zent­rums Ober­salz­berg nie­der­schrieb. Die Aus­stel­lung be­weg­te ihn und ani­mier­te ihn, sich mit der dun­kels­ten Zeit deut­scher Ge­schich­te zu be­fas­sen. Es ent­stand die fik­ti­ve Hand­lung Pjotr und Paul. Zu­nächst war nicht be­ab­sich­tigt, die Ge­schich­te zu ver­öf­fent­li­chen, doch die ak­tu­el­len poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen ha­ben im Au­tor ein Um­den­ken be­wirkt. Es ist ihm ein An­lie­gen, die Men­schen wach­zu­rüt­teln. Da­her hat er das Ma­nu­skript wei­ter­ent­wi­ckelt und die­sen Schick­sals­ro­man ent­ste­hen las­sen.

Mehr über den Au­tor und sei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen kön­nen Sie auf den Sei­ten am En­de des Bu­ches so­wie auf sei­ner Home­page unter https://alf­red-hae­ge­le.de er­fah­ren.

Prolog

Nichts ist so stark wie die Schwä­che eines Vol­kes.

Pjotr

Pjotr Adams­ki be­schloss, sein Le­ben noch ein­mal zu le­ben. Welch ein ver­we­ge­nes An­sin­nen! Als ob man sech­zig Jah­re ein­fach aus­lö­schen und neu er­fin­den könn­te. Jah­re der Lie­be, Jah­re des Lei­dens. Sech­zig gu­te Jah­re, sech­zig schlech­te Jah­re, sech­zig Jah­re Freu­de und sech­zig Jah­re Trauer. Jah­re, die Pjotr am liebs­ten aus sei­ner Er­in­ne­rung ge­stri­chen hät­te, und Jah­re, an die er ger­ne dach­te. Doch in all den Jah­ren, den Gu­ten wie den Schlech­ten, gab es Ta­ge, die ihn ent­zück­ten, die in ihm ju­bel­ten, und es gab Ta­ge, die ihn trau­rig mach­ten.

Der 8. Mai war für ihn im­mer ein Tag der Freu­de und der Trauer gleich­zei­tig ge­we­sen. Freu­de, weil eine Schre­ckens­herr­schaft ge­en­det; Trauer, weil eine neue be­gon­nen hat­te.

Und dann gab es den 1. Ok­to­ber. An je­nem Tag im Jahr 1944 hat­te die gro­ße Lie­be zu sei­ner An­na be­gon­nen und gleich­zei­tig wie­der ge­en­det. Was für ein Schick­sal!

Die­ser Tag hat­te sich für im­mer und ewig als Tag des Glücks und als Tag der Trauer in sei­ne Ge­füh­le ge­gra­ben.

TEIL 1

2004

An einem reg­ne­ri­schen Tag in den ers­ten Ju­ni­ta­gen fuhr Pjotr mit der Stadt­bahn zum War­schau­er Haupt­bahn­hof und kauf­te die Fahr­kar­ten. Sein Herz klopf­te, als er der Schal­ter­be­am­tin sei­nen Wunsch vor­trug.

»Ein­mal In­zell/Deutsch­land und zu­rück. So­bald wie mög­lich, bit­te schön.« Nicht dass der Som­mer wie­der so heiß wird wie im ver­gan­ge­nen Jahr, dach­te er. Außer­dem, je län­ger die War­te­zeit ge­we­sen wä­re, des­to mehr hät­te er über die be­vor­ste­hen­de Rei­se nach­ge­dacht und sie wo­mög­lich wie­der ab­ge­bla­sen. Doch die­se Sor­ge nahm ihm die Da­me am Schal­ter so­fort.

»Mo­ment bit­te«, sag­te sie freund­lich, »ich schau mal nach.« Sie tipp­te auf ihre Tas­ta­tur und am Bild­schirm blät­ter­ten die Ver­bin­dun­gen auf. »Da ha­be ich meh­re­re Mög­lich­kei­ten. Sie kön­nen über Ber­lin oder Wien … «

»Ber­lin«, unter­brach Pjotr und sei­ne Stim­me wirk­te barsch. »Ich will durch Deutsch­land fah­ren«, schob er sanft­mü­tig nach, nach­dem ihn die Frau streng an­blick­te.

»Al­so Ber­lin«, wie­der­hol­te sie und tipp­te wie­der in ihren Com­pu­ter. »Da ha­be ich auch meh­re­re Al­ter­na­ti­ven. Sie kön­nen mor­gens ab sie­ben Uhr fünf­zig, nein, das ist nicht gut, da kom­men Sie spät abends in Mün­chen an und ste­hen da, oh­ne wei­ter­zu­kom­men. Bes­ser, Sie neh­men den Nacht­zug. Der geht hier in War­schau um kurz vor sechs am Abend ab, in Poz­nan stei­gen Sie um und sind gegen elf in Ber­lin.« Oh­ne auf­zu­se­hen, zähl­te sie die Zwi­schen­stopps auf, als ob sie zu sich selbst re­den wür­de und nicht zu einem Kun­den. »Sie fah­ren dann die Nacht durch und sind am nächs­ten Tag gegen elf Uhr am Vor­mit­tag in Mün­chen, wo Sie den Re­gio­nal­zug bis Traun­stein neh­men, von dort geht es mit dem Bus wei­ter bis In­zell. Um zwei wer­den Sie an­kom­men, so­fern al­les pünkt­lich fährt, was man heut­zu­ta­ge nicht so ge­nau weiß. Sie kön­nen aber auch von Traun­stein aus den Zug bis Ruh­pol­ding neh­men und von dort aus den Bus nach In­zell. Wür­de ich aber nicht ma­chen, da müs­sen Sie noch ein­mal um­stei­gen. Soll ich Ih­nen die Ver­bin­dung aus­dru­cken?«

»Bit­te ja.« Der Re­de­schwall der Da­me über­for­der­te ihn, aber was sie sag­te, klang ir­gend­wie plau­si­bel. »Und wann kann ich dann fah­ren? Ich mein, wie lan­ge muss man da im Vo­raus bu­chen?«

»Mo­ment«, wie­der haute die Frau in die Tas­ten, »wenn Sie wol­len, gleich mor­gen, an­sons­ten, na ja, eigent­lich je­den Tag. Die Zü­ge sind nie aus­ge­bucht. Fah­ren ja al­le mit den Autos, die Leu­te, oder flie­gen. Al­so, ich wür­de nicht in ein sol­ches Flug­zeug stei­gen. Die fal­len doch al­le na­se­lang vom Him­mel. Wis­sen Sie, neu­lich … «

Pjotr unter­brach die Da­me. «Ist ja gut, ich flie­ge nicht. Ich fah­re mit der Bahn.« Und dann dach­te er an frü­her. Wie sich doch die Zeit än­der­te. Noch vor we­ni­gen Jah­ren konn­te man über­haupt nicht in die BRD rei­sen und jetzt? Jetzt soll­te es so schnell ge­hen? So ein­fach von einem auf den an­de­ren Tag!

Er über­leg­te kurz, schau­te auf die Uhr und ent­schied sich. »Ja­wohl, bu­chen Sie mir für mor­gen einen Platz. Ja­wohl«, füg­te er zur Be­kräf­ti­gung nach, »ich mach das jetzt gleich.«

Es war ein Diens­tag, an dem Pjotr die Fahrt ins Un­ge­wis­se star­te­te. Die Nacht über schlief er sehr schlecht, wach­te im­mer wie­der schweiß­ge­ba­det auf, weil die Träu­me ihn in die Ver­gan­gen­heit zo­gen. Am Vor­mit­tag pack­te er sei­ne sie­ben Sa­chen zu­sam­men; für die paar Ta­ge nur das Nö­tigs­te.

Nach einer leich­ten Mahl­zeit, er ver­spür­te kaum Ap­pe­tit, fuhr er zei­tig mit dem Bus zum Bahn­hof. Die Ga­ze­ta Wy­borc­za, die größ­te über­re­gio­na­le Ta­ges­zei­tung, schwad­ro­nier­te in di­cken Let­tern über den Sinn des pol­ni­schen EU-Bei­tritts. Pjotr schüt­tel­te nur den Kopf. Solch eine dum­me Fra­ge, da­her kauf­te er sich statt­des­sen lie­ber die Przeg­lad Sport­owy, die größ­te und ein­zi­ge pol­ni­sche Sport­zei­tung. Die­se la­men­tier­te mal wie­der über die ver­pass­te Qua­li­fi­ka­tion der Na­tio­nal­mann­schaft zur Fuß­ball-Euro­pa­meis­ter­schaft, die in we­ni­gen Ta­gen in Por­tu­gal be­gin­nen soll­te. Pjotr mach­te sich eigent­lich nicht viel aus Fuß­ball, aber Sport bot im Gegen­satz zu dem ewi­gen poli­ti­schen Ge­ze­ter we­nigs­tens ein we­nig Zer­streu­ung und Ab­len­kung.

Als er in den Zug stieg, ras­te sein Herz.

Sein Ab­teil war na­he­zu leer, schein­bar trau­ten die Leu­te der neu ge­won­ne­nen Frei­heit noch nicht ganz. Viel­leicht fehl­te auch nur das Geld. Bis Poz­nan, das frü­her ein­mal Posen hieß, dau­er­te es zwei­ein­halb Stun­den, die recht schnell vor­bei­gin­gen. In­zwi­schen wa­ren ei­ni­ge Gäs­te zu­ge­stie­gen, mit denen Pjotr ein paar be­lang­lo­se Wor­te wech­sel­te. Nach einem kur­zen Auf­ent­halt, bei dem er um­stei­gen muss­te, ging die Fahrt wei­ter Rich­tung Deutsch­land. Sein Herz poch­te in der Brust, als eine Durch­sa­ge die Gren­ze an­kün­dig­te. Gab es al­so noch im­mer Grenz­kont­rol­len? Trau­ten sich die bei­den Län­der doch nicht voll­stän­dig über den Weg? Wie­der be­schlich ihn ein un­an­ge­neh­mes Ge­fühl. Die bei­den Her­ren, je ein pol­ni­scher und ein deut­scher Poli­zist, wa­ren sehr freund­lich, als sie ihn um sei­nen Aus­weis ba­ten und ihn nach dem Zweck der Rei­se be­frag­ten. Sein Puls be­ru­hig­te sich bald wie­der.

Pjotr schau­te auf sei­ne Arm­band­uhr. Ein ed­les Stück. Nicht, dass er da­mit hät­te prot­zen wol­len, aber ein biss­chen stolz war er schon des­we­gen, schließ­lich hat­te er das teu­re Ge­schenk zum Ab­schied in den Ru­he­stand von sei­nem Chef be­kom­men. Ja, auch in Polen hat­te sich ei­ni­ges ge­tan.

Zwei­und­zwan­zig Uhr, zeig­ten die Zei­ger, kein Wun­der, dass er lang­sam mü­de wur­de. Er schloss die Au­gen und nur we­ni­ge Mi­nu­ten da­rauf fiel er in einen leich­ten Schlaf. Sein Hirn arbei­te­te wei­ter und sand­te ihm wir­re Träu­me. Da war Lud­wi­na, wie sie tot neben ihm im Bett lag, da war Lud­wi­na als red­se­li­ge Fahr­kar­ten­ver­käu­fe­rin am War­schau­er Bahn­hof und da war Lud­wi­na als jun­ges Mäd­chen, einen Re­chen schwin­gend und über bay­e­ri­sche Berg­wie­sen tän­zelnd. Im Schlaf kniff er die Au­gen zu­sam­men und aus Lud­wi­na, wur­de An­na, und aus dem Re­chen auf ihrem Rü­cken wur­de ein Ge­wehr, wel­ches wie­de­rum auf der Schul­ter eines ein­bei­ni­gen Sol­daten in brau­ner Uni­form lag.

Den nächs­ten Halt in Frank­furt/Oder ver­schlief Pjotr, bis sich die Tür zu sei­nem Ab­teil öff­ne­te und eine Grup­pe Halb­star­ker he­rein­pol­ter­te. Vier, fünf jun­ge Bur­schen, schwarz ge­klei­det mit klo­bi­gen Stie­feln an den Füs­sen, kurz ge­scho­re­nen Haa­ren und je­der Men­ge Pier­cings im Ge­sicht.

»Hey Al­ter«, pö­bel­te einer der Ker­le, »mach mal Platz hier, das is unser Ab­teil.«

Pjotr schau­te den Jun­gen an. »Nein, mein Jun­ge, das ist mein Platz und den ha­be ich auch be­zahlt«, ant­wor­te­te er ru­hig. »Hier im Zug gibt’s noch ge­nü­gend freie Sitz­plät­ze für euch.«

»Ich glaub’s nich«, zuck­te der Jun­ge. »Will­ste et­wa auf­mu­cken? Hier, ich geb dir gleich was aufs Maul.« Der Jun­ge er­hob die Hand zum Schlag.

»Schlag nur zu, mein Jun­ge. Ich hab kei­ne Angst.«

Der Kerl ließ die Fäus­te sin­ken.

Pjotr fuhr in al­ler See­len­ru­he fort. »Angst hat­te ich frü­her mal. Aber weißt du, als ich in dei­nem Al­ter war, war Krieg in Euro­pa. Ich war Zwangs­arbei­ter, ha­be die gan­ze brau­ne Schei­ße mit­ge­macht und ha­be sie über­lebt, die Rus­sen sind über uns her­ge­fal­len, ich hab’s über­lebt und ich ha­be fünf­zig Jah­re So­zia­lis­mus über­lebt. Und jetzt soll ich vor dir Angst ha­ben? Nein, mein Jun­ge, so weit käm’s noch. Schlag mich, von mir aus schlag mich tot. Ich hab mein Le­ben oh­ne­hin ge­lebt, aber du, du hast das Dei­ne noch vor dir. Musst sel­ber wis­sen, was du da­mit machst.«

»Spinn ich?«, keif­te der Jun­ge, »so einer wie du is mir ja noch nie unter­ge­kom­men. Bist wohl ein Pola­cke und willst zum Mär­ty­rer wer­den.« Wie­der er­hob der Kerl sei­ne Fäus­te.

»Komm, lass ihn, Fran.« Ein an­de­rer aus der Grup­pe leg­te dem Jun­gen den Arm auf die Schul­ter. »Lass ihn, ist nicht wert, dass du dich we­gen dem ins Schla­mas­sel rei­test.«

»Nee, nee Jo, so geht das nicht. Die Pola­cken kön­nen nich kom­men und uns al­les weg­neh­men. Der soll von hier ver­schwin­den, oder ich hau ihm eins aufs Maul.«

»Fran«, misch­te sich jetzt ein Wei­te­rer aus der Grup­pe ein. »Der Al­te hat dir nichts ge­tan. Lass uns wei­ter­ge­hen, im Zug gibt’s Platz ge­nug.«

»Hast recht, mein Jun­ge«, stimm­te Pjotr zu, »und nicht nur im Zug, auch in ganz Euro­pa ist Platz ge­nug für uns al­le. Für Polen, für Deut­sche und für noch viel mehr.« Pjotr mach­te mit dem Arm eine ein­la­den­de Ges­te. »Selbst hier in mei­nem Ab­teil ist noch ge­nü­gend Platz. Setzt euch hier­her, und wir kön­nen ge­mein­sam fried­li­ches Euro­pa spie­len.«

»Lass gut sein, Al­ter«, sag­te der, der Jo ge­nannt wur­de, »wir zie­hen wei­ter. So lieb ha­ben wir dich dann doch nicht. Und du«, er stieß sei­nen ag­gres­si­ven Kum­pel an, »du kommst mit und lässt den Mann in Ru­he. Bist eh auf Be­wäh­rung.« Er zog ihn am Arm und dräng­te ihn weg von Pjotr.

»Da fällt dir nix mehr ein«, pro­tes­tier­te der Kerl. Wi­der­wil­lig ließ er sich von sei­nen Kum­pa­nen wei­ter­schie­ben. »So weit is­ses ge­kom­men.« Mau­lend ver­ließ er das Ab­teil, Pjotr küm­mer­te sich be­reits nicht mehr um ihn. Mü­de schau­te er aus dem Fens­ter und sah zu, wie die dunk­le Land­schaft an ihm vo­rü­ber­zog.

Bald fiel er wie­der in einen leich­ten Schlaf, der ihn bis zur An­kunft in Ber­lin ge­fan­gen hielt. Auf dem Bahn­steig herrsch­te re­ges Trei­ben. Pjotr wun­der­te sich, wie vie­le Men­schen sich noch zu solch spä­ter Stun­de auf dem Bahn­hof tum­mel­ten. Rei­sen­de mit Kof­fern auf der Su­che nach der Ver­bin­dung, Be­diens­te­te der Spät­schicht, Ob­dach­lo­se in zer­schlis­se­ner Klei­dung, Nacht­schwär­mer, für die die Nacht erst jetzt rich­tig be­gann. Ein je­der von denen schrieb sei­ne eige­ne Ge­schich­te. Auch Pjotr schrieb sei­ne Ge­schich­te und war ge­ra­de da­bei, ein neu­es Ka­pi­tel hin­zu­zu­fü­gen.

Ein wich­ti­ges Ka­pi­tel? Ein ent­schei­den­des Ka­pi­tel? Ein letz­tes Ka­pi­tel?

Das Trei­ben in der Bahn­hofs­hal­le be­drück­te ihn ein we­nig. Wie konn­te man so spät nur so viel Tu­mult wol­len? Frei­wil­lig? Er lieb­te die­sen Tru­bel nicht. Er lieb­te die Ru­he und Be­schau­lich­keit, und er schätz­te es, je­der­zeit ein war­mes, wohl­be­hü­te­tes Heim zu ha­ben, wenn­gleich seit Lud­wi­nas Tod viel Wär­me in sei­nem In­ne­ren ver­lo­ren ge­gan­gen war.

Auf den Bahn­stei­gen sorg­ten Bau­stel­len für Chaos. Mehr­mals ver­lief er sich, bis er end­lich den rich­ti­gen Zug nach Mün­chen fand und ein­stieg. Ein freund­li­cher Mann im An­zug und mit Kra­wat­te wuch­te­te ihm den schwe­ren Kof­fer in das Ge­päck­netz. Der Mann setz­te sich ihm gegen­über, pack­te sei­nen Lap­top aus einer Ak­ten­ta­sche, nick­te Pjotr ent­schul­di­gend zu, mur­mel­te ein paar un­ver­ständ­li­che Wor­te und hack­te in die Tas­ta­tur.

Lang­sam fuhr der Zug los. Pjotr schlug die Sport­zei­tung auf. Mi­chael Schuh­macher hat­te wie­der ein­mal ein Auto­ren­nen ge­won­nen, eine Nach­le­se be­rich­te­te von einem wich­ti­gen Fuß­ball­spiel um einen euro­päi­schen Ti­tel zwi­schen einer por­tu­gie­si­schen und einer fran­zö­si­schen Mann­schaft, wel­ches in Gel­sen­kir­chen statt­ge­fun­den hat­te. Zu­vor du­el­lier­ten sich in die­sem Wett­be­werb Mann­schaf­ten aus Ita­lien, Spa­nien, Eng­land und Deutsch­land. Ja, so­gar wel­che aus Russ­land und Tsche­chien. Und das olym­pi­sche Feu­er wür­de in drei Ta­gen sei­nen Weg von Grie­chen­land rund um den Erd­ball be­gin­nen, bis es wie­der nach Hel­las zu­rück­keh­ren und die Spie­le der Welt er­öff­nen wür­de. Und die Men­schen rund um den Glo­bus wür­den den Fa­ckel­läu­fern freund­lich zu­win­ken. ›Gebt die Flam­me wei­ter, ver­einigt die Welt‹, lau­te­te das Mot­to des Staf­fel­lau­fes. Ging es al­so doch, das fried­li­che Mit­ei­nan­der in Euro­pa, in der Welt, und man maß sich nur im sport­li­chen Wett­kampf, statt mit Waf­fen. Die Nach­rich­ten ge­fie­len ihm.

In Han­no­ver stieg er um. Auf dem we­nig be­leb­ten Bahn­steig kauf­te er einen Be­cher hei­ßen Kaf­fees und eine Bou­le­vard­zei­tung. Die Schlag­zei­le dort be­un­ru­hi­ge ihn. Rechts­ra­di­ka­le zün­de­ten in Köln vor einem tür­ki­schen Fri­seur­sa­lon eine Na­gel­bom­be! Gab es doch noch im­mer die­sen brau­nen Sumpf? Erst die Ju­gend­li­chen zwi­schen Frank­furt/Oder und Ber­lin und nun das hier. War Deutsch­land doch nicht so, wie es der Sport­teil ver­hieß? Wür­den wie­der ir­gend­wel­che brau­ne Scher­gen das Heft in die Hand neh­men und für Chaos sor­gen? Pjotr be­te­te in­stän­dig, dass es nicht so weit kom­men mö­ge. Die Staa­ten­ge­mein­schaft wür­de es nicht zu­las­sen. Wie gut, dass Polen jetzt Mit­glied die­ser Ge­mein­schaft war, es wür­de da­für sor­gen, sol­che Rich­tun­gen schon im An­satz zu be­kämp­fen.

Die Zei­ger der Uhr zeig­ten drei Uhr in der Früh und Pjotr stieg in den Zug, der ihn mit we­ni­gen Zwi­schen­hal­ten, und oh­ne wei­te­res Um­stei­gen bis Mün­chen trans­por­tie­ren wür­de.

Kurz nach der Ab­fahrt schlief er ein. Die Rei­se streng­te ihn mehr an, als er ge­hofft hat­te. Kein Wun­der, schließ­lich war er be­reits sechs­und­sieb­zig Jah­re alt und das Le­ben hat­te ihm al­ler­hand Kraft ab­ge­nö­tigt. In sei­nen Träu­men, die ihn im­mer wie­der ein­hol­ten, wir­bel­te sei­ne Ver­gan­gen­heit wild durch­ei­nan­der. Die frü­he­ren Er­leb­nis­se in den bay­e­ri­schen Ber­gen koch­ten in ihm hoch wie hei­ße Milch. Die Men­schen, die ihn da­mals be­glei­te­ten, ja be­herrsch­ten, tauch­ten in sei­nen Träu­men auf, flo­gen durch die Lüf­te, lös­ten sich auf und kehr­ten wie­der. Bauern und Sol­daten, Na­zis und Be­freier, gu­te Men­schen und bö­se Men­schen. Al­le wir­bel­ten wild durch­ei­nan­der. Und im­mer wie­der war da An­na, de­ren Som­mer­spros­sen in der mil­den Spät­som­mer­son­ne tän­zel­ten. An­na, de­rent­we­gen er die­se Rei­se mach­te, An­na, die wäh­rend sei­nes gan­zen Le­bens sei­ne Träu­me be­herrsch­te. Nur die letz­te Nacht mit An­na er­schien in sei­nen Träu­men nicht.

Der Res­pekt vor Lud­wi­na, der Gü­ti­gen, ver­bot es.

TEIL 2

1944

»Wollt Ihr wohl still sein, ver­damm­te Pola­cken-Brut!« Der klei­ne Mann brüll­te aus Lei­bes­kräf­ten, doch kei­ner hör­te ihm zu.

Erst als der Feld­we­bel, der zur Be­wa­chung der Grup­pe pol­ni­scher Zwangs­arbei­ter ab­ge­stellt war, das Ge­wehr hob und über den Köp­fen der Män­ner einen Schuss ab­feu­er­te, kehr­te Ru­he ein. Vor ihm hat­ten sie ein we­nig Res­pekt, wenn­gleich er in Wirk­lich­keit kei­ne gro­ße Be­dro­hung dar­stell­te. Er war ver­krüp­pelt, hat­te nur ein Bein und wä­re wohl kaum in der La­ge ge­we­sen, sich gegen die Män­ner auf­zu­leh­nen, wenn die­se denn Wi­der­stand ge­leis­tet hät­ten. Doch kei­ner rühr­te sich, je­der füg­te sich in sein Schick­sal. Hier in dem klei­nen bay­e­ri­schen Ort In­zell, na­he der ös­ter­rei­chi­schen Gren­ze, soll­ten die Män­ner arbei­ten, soll­ten den Bauern die Söh­ne er­set­zen, die an den ver­schie­de­nen Fron­ten der Wehr­macht einen aus­sichts­lo­sen Kampf führ­ten. Sie hat­ten die Arbeit der Ge­fal­le­nen zu tun und sie muss­ten tun, was Grei­se nicht mehr und Kin­der noch nicht tun konn­ten. Und sie soll­ten die Ver­sor­gung der deut­schen Be­völ­ke­rung mit Le­bens­mit­teln si­cher­stel­len, einer Be­völ­ke­rung, die es in die­sem letz­ten Kriegs­jahr 1944 schon fast nicht mehr gab.

Pjotr Adams­ki war einer der Zwangs­arbei­ter, ge­ra­de mal sech­zehn Jah­re alt, sei­nem El­tern­haus in Lu­bor­zy­ca, einem win­zi­gen Nest in der Nä­he Kra­kaus, ent­ris­sen, sei­ner Träu­me und Sehn­süch­te von einer glück­li­chen Zu­kunft, ja mehr noch, sei­ner ge­sam­ten Ju­gend be­raubt. Seit Ta­gen schon war er unter­wegs ge­we­sen, mal in lan­gen Fuß­mär­schen, mal lag er zu­sam­men­ge­pfercht mit an­de­ren auf har­ten Lkw-Prit­schen, mal war er ein­ge­sperrt in Eisen­bahn­wag­gons, durch die der eisi­ge Wind pfiff, und oft la­ger­te er mit sei­nen Ge­nos­sen im Freien, den Wi­der­wär­tig­kei­ten der Na­tur aus­ge­setzt. Denn ob­wohl es be­reits An­fang Ap­ril war und die war­me Jah­res­zeit be­vor­stand, blie­sen in die­sem Früh­jahr die Win­de käl­ter als sonst, und die Nie­sel­re­gen kro­chen in die lum­pi­gen Klei­der­fet­zen der Män­ner. Frös­telnd und aus­ge­mer­gelt, hung­rig und durs­tig und doch vol­ler Hoff­nung auf ein bes­se­res Le­ben wa­ren sie in In­zell an­ge­kom­men.

Wie­der er­hob der klei­ne Mann sei­ne schril­le Stim­me. »Je­der wird jetzt einem Hof zu­ge­wie­sen«, keif­te er und fuch­tel­te mit den Ar­men. Vor Kriegs­aus­bruch war Ru­dolf Keitl Be­am­ter in der Land­kreis­ver­wal­tung ge­we­sen, der Par­tei bei­ge­tre­ten, hat­te sich dann vor den Kar­ren des Na­zi-Re­gimes span­nen las­sen und fun­gier­te seit­her als Block­wart des Dor­fes, als Spit­zel, der al­les und je­den an die Ge­sta­po ver­riet, nur um für sich selbst ein paar küm­mer­li­che Vor­tei­le zu er­ha­schen.

Aus einer schmie­ri­gen Ak­ten­ta­sche kram­te er eine Lis­te. Da­rauf wa­ren die Na­men der Zwangs­arbei­ter ver­merkt, die er nun vor­las. Brav, einen nach dem an­de­ren.

»Wo­ron­jans­ki Ra­do­mir«, er blick­te in die Run­de. Ein ha­ge­rer al­ter Mann reck­te sei­nen Kopf. »Du kommst zum Wie­sen­bauer.«

Aus den um­ste­hen­den Leu­ten lös­te sich eine Frau in einer dunk­len Man­tel­schür­ze.

»Der Wie­sen­bauer ist tot«, sag­te sie ton­los. »Ihr habt ihn mir ge­nom­men.« Sie trat vor den Polen und mus­ter­te ihn von oben he­rab. »Was will ich mit die­sem Kno­chen­ge­rüst?« Sie schüt­tel­te den Kopf. »Was ist nur aus uns ge­wor­den?«

Keitl schien kei­ne No­tiz von der Sze­ne zu neh­men. »Brschins­ky Woi­cech«, ra­de­brech­te er, »du kommst zur Müh­le, Koi­cik Lud­wik und Lo­dol­ski Bog­dan, ihr geht zu den Torf­ste­chern.«

Nach und nach zähl­te er je­den der Män­ner auf, die sich zö­gernd zu ihren neu­en Arbeit­ge­bern ge­sell­ten. Die meis­ten füg­ten sich wort­los in ihr Schick­sal, nur die­je­ni­gen, die den Stein­brü­chen zu­ge­wie­sen wur­den, pro­tes­tier­ten lei­se, doch der Block­wart ak­zep­tier­te kei­ne Wi­der­re­de.

»Ihr Hun­de, was wollt ihr? Ich lass euch er­schie­ßen, wenn ihr nicht ge­horcht.« Er brüll­te und deu­te­te auf den ein­bei­ni­gen Sol­daten mit dem Ge­wehr.

Die Men­ge nahm kaum No­tiz von den Dro­hun­gen des Man­nes. Je­der im Dorf kann­te ihn. Ein Wich­tig­tuer, ein Em­por­kömm­ling.

Al­le wa­ren sie heu­te auf den Bei­nen. Die An­kunft der Zwangs­arbei­ter ver­sprach ein we­nig Hoff­nung auf Hil­fe für die ge­beu­tel­ten Bauern, aber auch Angst und Sor­ge, was für Leu­te da kom­men wür­den. Groß und Klein, Alt und Jung er­war­te­ten die Frem­den, die be­gafft wur­den wie die Tie­re im Zoo. Ob­wohl man im Ort von je­her an Frem­de ge­wohnt war, wa­ren die­se Män­ner et­was Be­son­de­res. Kei­ne Kur­gäs­te, kei­ne Som­mer­frisch­ler, die seit der Grün­dung des Ver­kehrs- und Ver­schö­ne­rungs­ver­ei­nes vor mehr als drei­ßig Jah­ren den Tou­ris­mus in dem bay­e­ri­schen Alpen­dorf ent­ste­hen lie­ßen. Nein, bei die­sen Män­nern han­del­te es sich nicht um Gäs­te; das wa­ren Straf­tä­ter, Auf­rüh­rer oder ein­fach min­der­wer­ti­ge Men­schen. So hat­te man der Be­völ­ke­rung weis­ge­macht. Und heu­te um­säum­ten die Dorf­be­woh­ner in Scha­ren den klei­nen Dorf­platz und war­te­ten auf die An­kunft die­ser Ver­bre­cher.

End­lich kam Pjotr als einer der Letz­ten an die Rei­he. Der Jun­ge hat­te sich lan­ge um­ge­se­hen, be­vor er auf­ge­ru­fen wur­de. Er blick­te in düs­te­re Ge­sich­ter, in Ge­sich­ter, die Hass und Trauer aus­drück­ten, in Ge­sich­ter, die kei­ne Hoff­nung hat­ten. Doch hin und wie­der blitz­te in den Au­gen der Leu­te auch et­was wie Mut, Freu­de und Zu­ver­sicht auf. Und dann sah er das Mäd­chen. Kaum äl­ter als er selbst stand sie da, hielt den Blick meist ehr­fürch­tig ge­senkt, doch wenn sie den Kopf hob, dann strahl­ten die Au­gen einen Glanz aus, den Pjotr bis da­hin noch bei kei­nem Men­schen ge­se­hen hat­te. So hell und so klar und vol­ler Le­bens­freu­de. Ihre Wan­gen leuch­te­ten in einem fei­nen Ro­sa, und eine Hand­voll Som­mer­spros­sen hat­te sich auf die Na­se ge­setzt. Das stroh­blon­de Haar des Mäd­chens glänz­te in der kal­ten Früh­lings­son­ne und er­in­ner­te Pjotr an das Gold der Wei­zen­äh­ren in sei­ner Hei­mat.

Ihre Bli­cke tra­fen sich kurz. Er zuck­te zu­sam­men und auch das Mäd­chen schien über den Blick er­schro­cken. Schnell senk­te sie den Kopf und Pjotr sah, wie sich das fei­ne Wan­gen­ro­sa in kräf­ti­ges Rot ver­wan­del­te.

Bei­na­he hät­te er sei­nen Na­men über­hört, als er auf­ge­ru­fen wur­de, so sehr hat­te das Mäd­chen ihn in ihren Bann ge­zo­gen.

»Adams­ki Pjotr«, keif­te Keitl. »Hu­ren­sohn, wo bist du!«, schrie er noch mal, nach­dem sich die­ser nicht so­fort mel­de­te.

Pjotr ball­te die Faust und trat vor den klei­nen Mann, der einen hal­ben Schritt zu­rück­wich.

»Willst du mir et­wa dro­hen? Mach nur, du kommst zum Oh­ligs­bau­er. Der wird dir die Flau­sen schon aus­trei­ben.« Der Block­wart lach­te. »Oh­lig, wo bist du? Kannst den Bur­schen gleich mit­neh­men. Aber dass du ihn mir auch gut be­han­delst.« Die Hä­me trief­te aus der Stim­me des klei­nen Na­zi­be­am­ten.

Aus der Grup­pe der War­ten­den trat ein vier­schrö­ti­ger al­ter Mann mit kan­ti­gem Kopf und kah­lem Schä­del.

»Her mit dem Pola­cken«, gröl­te er und schwang eine Knu­te. »Den werd ich schon zäh­men. Hab noch je­den Wil­den zur Rä­son ge­bracht. Und nicht nur wil­de Stie­re.« In schwe­ren, ge­na­gel­ten Stie­feln stapf­te der Bauer auf Pjotr zu.

»Was guckst du so blö­de?«, herrsch­te er und ließ die Peit­sche knal­len. »Hier, nimm, und hier noch mal.« Die Ger­te saus­te auf Pjotrs Kör­per nie­der.

»Recht so«, lach­te Keitl. »Zeig’s den Ver­bre­chern, wo’s lang­geht.«

Pjotr duck­te sich, als wei­te­re Peit­schen­hie­be auf sei­nem Rü­cken nie­der­saus­ten, und sein Blick husch­te da­bei er­neut in die Rich­tung des Mäd­chens. Es ent­ging ihm nicht, wie die­se bei je­dem Hieb zu­sam­men­zuck­te, als ob sie selbst die Schlä­ge er­hiel­te.

»Was soll ich mit die­sem al­ten Ge­stell?«, hör­te Pjotr, wie einer der Bauern sei­nen Zwangs­arbei­ter be­gut­ach­te­te. »Der kann mir nicht mal einen Sack Ge­trei­de tra­gen. Wie will der mei­nen Sepp er­set­zen?«

»Halt’s Maul, Bichl­bauer. Sei froh, dass du über­haupt je­man­den be­kommst. Schließ­lich hast du noch dei­nen Schorsch. Aber wart, ich werd schon da­für sor­gen, dass der auch noch ein­ge­zo­gen wird. Wär doch jam­mer­scha­de, wenn ein jun­ger Bur­sche mit ge­ra­de mal ein­und­zwan­zig nicht der Wehr­macht die­nen dürf­te, son­dern zu Hau­se im Mist wüh­len müss­te.« In sei­nem schwar­zen Le­der­man­tel, den der klei­ne Na­zi mit stin­ken­dem Schmalz ein­ge­rie­ben hat­te, wirk­te er wie ein Kind, das in die Ja­cke des Groß­vaters ge­schlüpft war. Aus ihm wür­de nie et­was wer­den, auch wenn er noch so sehr den SS-Leu­ten in Ber­lin nach­eifer­te.

»Du Lack­af­fe«, er­eifer­te sich der Bauer. »Wer hat denn den größ­ten Hof hier. Drei­ßig Hek­tar ha­be ich zu be­wirt­schaf­ten, und da ist der Wald noch gar nicht da­bei.«

»Musst halt dei­nen Hin­tern selbst mal heben und nicht nur arbei­ten las­sen«, lach­te der Block­wart. Er schien den Lack­af­fen über­hört zu ha­ben, zu­min­dest tat er so. Dem Bichl­bauer wä­re er oh­ne­hin nicht ge­wach­sen ge­we­sen. »Und nun schert euch fort mit eu­rem Pack, be­vor ich es mir an­ders über­le­ge und das gan­ze Ge­sin­del nach Rei­chen­hall ins Salz­berg­werk schaf­fen las­se.«

Die Men­ge lös­te sich lang­sam auf, und Pjotr trot­te­te vor sei­nem neu­en Herrn her. Er hat­te kei­ne Ah­nung, wo­hin man ihn brin­gen wür­de, aber eines wuss­te er ge­nau. Vor die­sem Oh­ligs­bau­ern hat­te er sich vor­zu­se­hen.

»Schau mal Bichl, was ich hier ha­be«, höhn­te der Oh­ligs­bau­er, als die­ser mit Pjotr an der klei­nen Men­schen­grup­pe um Bichl vor­bei kam. »Das ist ein Arbei­ter. Wenn ich den ein biss­chen dres­sie­re, da kommt was da­bei he­raus. Stimmt’s, du stin­ken­der Pola­cke!« Wie­der saus­te die Peit­sche über Pjotrs Rü­cken, noch be­vor die­ser sich dem Hieb ent­zie­hen konn­te.

Doch viel mehr als der Streich auf sei­nem Rü­cken traf ihn der Blick des Mäd­chens, der wie ein Stich durch sei­nen Kör­per jag­te. Da stand sie. In­mit­ten der klei­nen Grup­pe um den stol­zen Bichl­bauern. Ein wei­te­res Mäd­chen, viel­leicht ein paar Jah­re jün­ger, ein Kind und ein kräf­ti­ger Kerl stan­den da­ne­ben. Al­le hat­ten die glei­chen ro­sa Bäck­chen und ge­sun­de, wet­ter­ge­gerb­te Ge­sich­ter.

Les­zek, ein al­ter kran­ker Mann, mit dem Pjotr die Rei­se aus sei­nem Hei­mat­land bis hier­her mit­ge­macht hat­te, stand mit ge­beug­tem Rü­cken da­ne­ben. Pjotr wuss­te, Les­zek wür­de es bes­ser ha­ben als er selbst. Bei die­sem Mäd­chen muss­te man es gut ha­ben.

Noch be­vor der Bichl­bauer auf die Frot­ze­lei von Oh­lig ein­ge­hen konn­te, hob die­ser er­neut die Peit­sche und trieb Pjotr vor sich her. Wie ein Stück Vieh jag­te er den jun­gen Mann aus dem Dorf hi­naus in Rich­tung Moor. Hier in dem sump­fi­gen Ge­biet zog sich der Weg in un­zäh­li­gen Win­dun­gen hin bis zu einer klei­nen An­hö­he, von wel­cher aus man den Ort fast voll­stän­dig über­bli­cken konn­te.

Ein schö­nes Dorf, dach­te Pjotr, hier ließ es sich be­stimmt gut woh­nen. Und dann schwenk­te er sei­nen Blick nach rechts und er sah, wie dort eine klei­ne Men­schen­grup­pe aus dem Moor trat. Gold­gel­be Haa­re leuch­te­ten in­mit­ten die­ser Grup­pe, und in Pjotrs Herz be­gann es eben­falls zu leuch­ten.

Die ers­ten Ta­ge wa­ren schreck­lich. Pjotr konn­te des Nachts kaum schla­fen. Durch die Kam­mer di­rekt über dem Stall pfiff der Wind, denn an­statt ge­schnit­te­ner Bret­ter be­stan­den die Außen­wän­de nur aus gro­ben Schwar­ten. Die Fu­gen zwi­schen den Bo­den­die­len klaff­ten zen­ti­me­ter­weit aus­ei­nan­der und der Ge­stank fri­schen Kuh­dungs drang in den Ver­schlag und haf­te­te an der gan­zen Um­ge­bung. Al­les war spar­ta­nisch. Ein aus gro­ben Bret­tern zu­sam­men­ge­na­gel­tes Bett­ge­stell mit einem fau­li­gen Stroh­sack und einer schimm­li­gen Pfer­de­de­cke, eine al­te Holz­kis­te zur Unter­brin­gung der we­ni­gen Ha­be und ein Sche­mel. Das war es. We­der ein Tisch noch eine Lam­pe, ge­schwei­ge denn ir­gend­wel­che Bü­cher oder Bil­der an den Wän­den. Sol­che Be­hau­sun­gen gab es nicht ein­mal zu Hau­se in Lu­bor­zy­ca.

Manch­mal wein­te Pjotr, wenn der Oh­ligs­bau­er wie­der zu fest mit der Peit­sche zu­ge­schla­gen hat­te, nur weil die Arbeit nicht schnell ge­nug ge­tan war. Und manch­mal poch­te sein Herz schnel­ler, wenn es auf dem Weg zu einem Acker vor­bei am Bichl­hof ging, ob­wohl er das blon­de Mäd­chen mit dem herz­li­chen Blick nie zu Ge­sicht be­kam.

Bis zu je­nem vier­zehn­ten Ap­ril. Die Aus­saat des Som­mer­ge­trei­des war ge­ra­de be­en­det, da kam Keitl, der Block­wart, zu Oh­lig. Pjotr stand eben mit dem Bauern vor dem Stall und strie­gel­te eine ab­ge­ma­ger­te Kuh.

»Du musst dei­nen Pola­cken her­ge­ben«, sag­te der Beam­te klein­laut und duck­te sich ängst­lich. »Hier«, er deu­te­te auf ein ver­gilb­tes Blatt Papier und schien sich da­hin­ter ver­ste­cken zu wol­len. »Be­fehl von oben. Von ganz oben.«

»Ver­dammt, wie­so? Wer soll denn die­sen Tauge­nichts be­kom­men?« Oh­lig war aus dem Häus­chen. Er griff nach der Knu­te und be­gann auf Pjotr ein­zu­schla­gen.

»Der Bichl ist es«, sag­te der klei­ne Mann, »zum Bichl kommt der Adams­ki.«

Pjotrs Herz schlug bis zum Hals, als er die­sen Na­men hör­te.

»Der Bichl, der Bichl«, in Oh­lig stieg die Zor­nes­rö­te auf.

»Dem hat man den Schorsch auch noch ein­ge­zo­gen.«

»Was geht mich der Bichl Schorsch an?« Oh­lig schüt­tel­te den Kopf.

»Der Bichl hat halt mehr Vieh und mehr Milch und das braucht man.«

»Vieh! Pah! Milch! Pah! Und wer schafft mei­ne Arbeit? Ich selbst viel­leicht?«

»Dir bring ich den Al­ten. Les­zek heißt der, kann zwar kaum mehr arbei­ten, aber bes­ser als nichts ist er al­le­mal. Und nun mach schon, lass den Jun­gen am Le­ben, dass ich ihn mit­neh­men kann.«

»Tot schlag ich den, dann hat der Bichl, was er braucht. Tot! Tot! Tot!« Mit je­dem Wort hieb Oh­lig auf Pjotr ein, der im­mer noch zu kei­ner Gegen­wehr im­stan­de war. Die Nach­richt, das gold­gel­be Mäd­chen wie­der­zu­se­hen, lähm­te ihn.

»Halt ein. Ich gönn’s dem Bichl ja auch nicht. Aber was soll ich ma­chen. Hier«, Keitl we­del­te wie­der mit dem Papier, »Bichl hat halt bes­se­re Kon­tak­te als wir.«

Die Wut des Oh­ligs­bau­ern kann­te kei­ne Gren­zen. Er hob die Peit­sche und die Hie­be pras­sel­ten auf Pjotr nie­der wie Ha­gel­kör­ner. Sie zer­schlu­gen dem jun­gen Mann den Rü­cken und erst als Blut in di­cken Strö­men aus den zer­lump­ten Klei­dern troff, hielt der Bauer in­ne. Die Haut des Ge­pei­nig­ten hing ihm in Fet­zen, wäh­rend der Na­zi­be­am­te mit­leids­los zu­ge­se­hen hat­te. Er wä­re auch nicht der Mann ge­we­sen, dem un­mensch­lich bar­ba­ri­schen Trei­ben des Bauern Ein­halt zu ge­bie­ten.

Wort­los ver­ließ Keitl den Hof des Oh­ligs­bau­ern, oh­ne sich nach Pjotr um­zu­se­hen.

Die­ser er­hob sich mü­he­voll und trab­te dem klei­nen Mann hin­ter­her. Nicht ein­mal sein Bün­del aus der Kam­mer über dem Stall nahm er mit.

* * *

»Die­ses Pack da oben in Ber­lin. Neh­men mir den Schorsch auch noch weg. Ver­dammt, wie soll ich da die Fel­der be­stel­len?« Der Bichl­bauer schüt­tel­te den Kopf.

Im Grun­de war er ein gu­ter Mensch, doch die Zeit hat­te ihn ver­bit­tert. Hat­te ihn mü­de und mut­los ge­macht. Nicht nur, dass man ihm den äl­tes­ten Sohn, den Sepp, kaum dass die­ser neun­zehn Jah­re alt war, gleich zu Be­ginn des Krie­ges ein­ge­zo­gen hat­te, nein, jetzt hat­te man ihm auch den Georg, den jün­ge­ren, weg­ge­holt. So stand er oh­ne Arbeits­kraft da. Al­lei­ne mit der acht­zehn­jäh­ri­gen An­na, mit de­ren jün­ge­rer Schwes­ter Ro­se­ma­rie, die am Schwach­sinn litt, und dem klei­nen Wil­helm, der noch nicht ein­mal zur Schu­le ging und bei des­sen Ge­burt die Mut­ter im Kind­bett ge­stor­ben war.

Und als man ihm den al­ten Les­zek ge­bracht hat­te, hat­te er nur mü­de ge­lä­chelt. Die­ses dür­re Kno­chen­ge­rüst war kei­ne gro­ße Hil­fe für den Bichl­hof.

Der Krieg war eine schlim­me Sa­che.

»Mä­ßi­ge dei­ne Wor­te. Sonst muss ich dich mel­den.«

»Meld mich doch du Schwach­kopf. Dann bin ich’s end­lich los, die­se Pla­cke­rei.«

»Hast jetzt ja einen jun­gen, star­ken Pola­cken be­kom­men. Der kann hin­lan­gen.«

»Jung und stark, dass ich nicht la­che. Schau ihn dir an. Ab­ge­ma­gert ist er bis auf die Kno­chen. Was will der schon schaf­fen kön­nen? Und das Blut läuft ihm aus dem Leib wie aus einem Sieb. Hat der al­te Oh­lig wie­der nicht an sich hal­ten kön­nen.«

»Kannst ihn ja auf­päp­peln. Aber ver­giss nicht. Den Pol­la­cken steht pro Tag nur ein Kan­ten Brot, zwei Kar­tof­feln, ein hal­ber Li­ter Milch und sonn­tags et­was Speck zu, aber nur ein klei­nes Stück. Mehr gibt es nicht. Kei­ne Süß­speis na­tür­lich, und auch kein Al­ko­hol. Du weißt ja, al­les Üb­ri­ge muss ab­ge­lie­fert wer­den.«

»Wie ich mein Vieh füt­te­re, geht kei­nen et­was an. Merk dir das, du Stut­zer.«

»Vieh ist gut, Bichl«, Keitl lach­te. »Ich weiß, dass ihr Bauern ge­nug Fut­ter habt, um mehr als nur ein paar Stück Vieh zu er­näh­ren. Aber treibt’s nicht zu weit. Die Au­gen Ber­lins se­hen al­les.«

»Be­son­ders wenn sie durch die brau­ne Bril­le der klei­nen Na­zi-Hel­fer schau­en. Und nun ver­schwin­de von mei­nem Hof, und lass dich erst wie­der bli­cken, wenn du mei­ne Jungs aus dem ver­damm­ten Krieg zu­rück­bringst.«

»Bichl­bauer, ich hab schon mal ge­sagt. Treib’s nicht zu weit! Je­der Krug muss bre­chen, wenn er zu oft zum Brun­nen ge­führt wird.« Der Block­wart hob dro­hend den Fin­ger.

»Komm, klei­ner Po­le, lass uns schau­en, ob wir dich wie­der zu­sam­men­fli­cken kön­nen.« Bichl nahm den Jun­gen am Arm und zog ihn ins Haus. »Hast be­stimmt mit dem brau­nen Ge­sin­del auch nix am Hut.«

Pjotrs Rü­cken schmerz­te, den­noch zwang er sich, auf­recht zu ge­hen. In sei­nem In­nern je­doch spür­te er den Schmerz nicht, denn die Hoff­nung auf das Mäd­chen, das ihm seit sei­ner An­kunft die Sin­ne ver­ne­bel­te, ver­wan­del­te die Trä­nen des Schmer­zes in Trä­nen der Freu­de. In kaum einer Nacht, die er bei Oh­lig ver­bracht hat­te, hat­te er nicht von ihr ge­träumt. Und jetzt soll­te er ihr nah sein? Auch wenn er nicht glaub­te, sie, die­ses an­stän­di­ge Kind, wür­de ihre Ge­füh­le an einen wie ihn, an einen Zwangs­arbei­ter, ver­schwen­den, so hoff­te er doch heim­lich, ihr Herz ge­win­nen zu kön­nen. So sehr er sich je­doch über sein neu­es Zu­hau­se freu­te, mehr noch dau­er­te ihn Les­zek. Der al­te Mann wür­de die Drang­sal bei Oh­lig kaum über­ste­hen.

Pjotr folg­te dem Bichl­bauern ins Haus. Die Wän­de im Flur wa­ren weiß ge­tüncht, sie strahl­ten mehr Freund­lich­keit aus als selbst die gu­te Stu­be des Oh­ligs­bau­ern, wie in die­ser Re­gion das Wohn­zim­mer ge­nannt wur­de. Ein ein­zi­ges Mal durf­te er die­ses be­tre­ten, aber auch nur, um ir­gend­wel­che Ge­mein­hei­ten ab­zu­ho­len. Nicht mehr da­ran den­ken. Die Zeit auf dem Oh­ligs­hof war vo­rü­ber, es kann nur bes­ser wer­den.

Aus einem der hin­te­ren Zim­mer hör­te Pjotr ein Ge­räusch. Ein Winseln und Kla­gen, als ob ein Hund heul­te. Was oder wer moch­te das sein? Bichl re­agier­te nicht auf die Lau­te. Er schien sie nicht ein­mal zu hö­ren.

Pjotr folg­te dem Bauern durch den lan­gen Haus­gang, an des­sen En­de eine Trep­pe in das obe­re Stock­werk führ­te. Die Stu­fen knarz­ten, als sie nach oben stie­gen. Dort gab es wei­te­re Zim­mer, wie die Tü­ren ver­rie­ten. Die ers­te da­von stand of­fen, der Bauer wies Pjotr hi­nein. Es war die Kü­che.

»Hier, setz di hin«, sag­te er. »Ich schau nach der An­na, dass die dich wie­der z’amm­flickt. Wennst Hun­ger hast, dort auf dem Herd steht noch was zu es­sen. Kannst neh­men, was willst.«

Der Bichl­bauer ver­ließ die Kü­che. Pjotr blieb al­lein zu­rück. Er schau­te sich um. Den rech­ten Teil des gro­ßen Rau­mes füll­te eine mit gro­bem Pols­ter­stoff be­spann­te Eck­bank aus, da­vor stand ein rie­si­ger Tisch. An die­sem hät­ten gut und ger­ne zehn oder gar noch mehr Per­so­nen Platz ge­fun­den. Links da­von spann­te sich über die hal­be Län­ge des Rau­mes ein stei­ner­ner Aus­guss, auf dem ei­ni­ge blank ge­scheu­er­te lee­re Töp­fe um­ge­dreht lehn­ten. Unter dem Fens­ter da­ne­ben stand ein gro­ßer Korb, ge­füllt mit Holz­schei­ten als Brenn­ma­te­rial für den Herd mit sechs Koch­plat­ten, zwei Back­röh­ren und zwei Was­ser­schif­fen. An den Herd schloss sich ein de­cken­ho­her, dun­kel­grü­ner Ka­chel­ofen mit um­lau­fen­der Ofen­bank an, über wel­cher sich ein Seil spann­te. Dort hin­gen fein säu­ber­lich auf­ge­häng­te Klei­dungs­stü­cke zum Trock­nen. Die vier­te Wand nahm ein rie­si­ger Kü­chen­schrank ein so­wie ei­ni­ge of­fe­ne Re­ga­le, über und über voll mit Koch­ge­schirr, Ge­fä­ßen mit Mehl, Salz, Zu­cker, Ge­wür­zen und al­ler­lei wei­te­ren Zu­ta­ten.