Politische Schriften - Erich Mühsam - E-Book

Politische Schriften E-Book

Erich Mühsam

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Beschreibung

Die Letters of Jonathan Oldstyle, Gent. sind das literarische Erstlingswerk des amerikanischen Schriftstellers Washington Irving (1783-1859). Die neun humoristischen Essays, vorgeblich Leserbriefe eines "Jonathan Oldstyle", erschienen zwischen dem 15. November 1802 und dem 23. April 1803 in der New Yorker Tageszeitung Morning Chronicle, die von Irvings Bruder Peter Irving herausgegeben wurde. Irving nahm darin die Moden seiner Zeit und insbesondere die New Yorker Theaterszene aufs Korn. "Jonathan Oldstyle" ist das erste von vielen Pseudonymen, unter denen Irving im Laufe seiner Karriere publizieren sollte, und verweist als sprechender Name auf den Typus, den seine charakterlich ausgestaltete Erzählerfigur verkörpert: ein alternder Hagestolz, der mit Verwunderung die neumodischen Anwandlungen der Jugend beobachtet. Die neun "Briefe" lassen sich thematisch in zwei Kategorien einordnen: die beiden ersten sowie der letzte behandeln allgemein Sitten und Moden der Zeit, die übrigen nehmen speziell den zeitgenössischen New Yorker Theaterbetrieb aufs Korn. Die anderen Briefe haben das Theater zum Gegenstand. So schildert Oldstyle den chaotischen Ablauf einer Darbietung von The Battle of Hexham, von der er kaum etwas versteht. Washington Irving (1783-1859) war ein amerikanischer Schriftsteller. Mit an englischen Stilvorbildern geschulten Satiren über die Gesellschaft und Geschichte der Stadt New York wurde er im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zunächst in seiner Heimat bekannt. Mit seinem "Skizzenbuch" (1819-20) wandte er sich zunehmend Einflüssen der europäischen Romantik zu und wurde so der erste amerikanische Schriftsteller, der auch in Europa Erfolge feiern konnte.

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Erich Mühsam

Politische Schriften: Parlamentarischer Kretenismus, Die Anarchisten, Tagebuch aus dem Gefängnis, Appell an den Geist, Anarchie, Kulturfaschismus und mehr

Die Freiheit als gesellschaftliches Prinzip + Absage an die Rote Hilfe + Bismarxismus + Staat und Kirche + Staatsverneinung + Alle Macht den Räten! + Die proletarische Linke + Wider die Zensur!

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0037-5

Inhaltsverzeichnis

Anarchistische Schriften:
Alle Macht den Räten!
Die Freiheit als gesellschaftliches Prinzip
Kulturfaschismus
Absage an die Rote Hilfe
Parlamentarismus
Bismarxismus
Die Anarchisten
Staat und Kirche
Staatsverneinung
Die proletarische Linke
Parlamentarischer Kretenismus
Im Geiste Bakunins
Wider die Zensur!
Das große Morden
Patrioten
Kultur und Frauenbewegung
Polizeidiktatur
Kindersegen
Parteitagsrede
Die Monarchie
Panama
Humbug der Wahlen
Vom politischen Kasperltheater
Anarchistisches Bekenntnis
Verbrecher und Gesellschaft
Anarchie
Justiz
Die Todesstrafe
Die Bergarbeiter
Menschlichkeit
Der fünfte Stand
Frauenrecht
Tagebuch aus dem Gefängnis
Zur Naturgeschichte des Wählers
Appell an den Geist
Aus Ascona
Betrachtungen über den Staat
Gustav Landauer

Anarchistische Schriften:

Inhaltsverzeichnis

Alle Macht den Räten!

Inhaltsverzeichnis

Die Auflockerung aller gesellschaftlichen Bindungen in dieser Zeit des Überganges, in der nichts feststeht als die Tatsache, dass nichts feststeht, macht den Anarchisten die ernste Auseinandersetzung darüber zur Pflicht, was für neue politische und wirtschaftliche Beziehungen sie als Inhalt der durch die soziale Revolution ermöglichten Ordnung des öffentlichen Lebens herbeiführen wollen. Solche Erörterungen sind viel wichtiger als das unfruchtbare Orakeln über den Zeitpunkt, wann unser aufbauendes Eingreifen nötig werden konnte. Es ist selbstverständlich damit zu rechnen, dass vorher ganz andre Kräfte zur Entfaltung kommen können als solche, die eine freiheitliche Gestaltung des Lebens anstreben. Gegen sie werden wir wie gegen alles Unsoziale und Gegenrevolutionäre die Mittel des unmittelbaren revolutionären Kampfes anzuwenden haben. Wir müssen aber auch, mögen wir diesen Verlauf für wahrscheinlich halten oder nicht, den günstigsten Fall in Betracht ziehen, dass der ja jetzt schon vor aller Augen liegende Bankrott der Demokratie in Deutschland weder von einer halbkonstitutionellen Industriellen- und Militärdiktatur abgelöst wird, wie sie Pilsudski in Polen und Starhemberg in Österreich versucht und wie Hugenberg und der Stahlhelm sie haben möchten, noch von einer rein faschistischen Tyrannis nach Mussolinischem Muster, noch auch von (einer Parteidespotie der Stalin-Kommunisten, sondern dass das revolutionäre Proletariat sich im Aufschwung seiner Kraft auf Selbständigkeit und Selbstverantwortung besinnt und daher den Kampf gegen jede Art Staat lenkt. Dann helfen uns keine Schlagwörter und keine roten und schwarzen Fahnen, dann müssen wir durch Rat und Zugriff praktisch bewahren, dass Anarchie ein wirklichkeitsträchtiger Daseinsbegriff ist und dass sich eine soziale Gesellschaft aufbauen lässt, die anders aussieht und anders handelt als ein Staat.

Nach mancherlei zweifelndem Schwanken hat sich in den Bewegungen des kommunistischen Anarchismus und des Anarchosyndikalismus das Bekenntnis zur Räterepublik als der freiheitlichen Gesellschaftsform des Sozialismus ziemlich allgemein durchgesetzt. Die Losung "Alle Macht den Räten", unter der die russische Revolution 1917 ihren Oktobersieg errang, erwies sich als so erschöpfender Ausdruck des wahren Willens der gesamten revolutionären Arbeiterschaft in allen Ländern, dass auch die entschiedensten Autoritären, die Bolschewiken, sie aufnahmen, da sie sonst einfach den Anschluss an die Massen verpasst und keine Gelegenheit gefunden hätten, sich nach dem Siege der Revolution zu demaskieren, sie waren, wie es den Menschewiken erging, schon vorher als Staatssozialisten erkannt und zu keiner Teilnahme an der Neuordnung der Verhältnisse zugelassen worden. Nachdem die Dinge in Russland nun leider den Verlauf genommen haben, den jede jacobinische Revolutionsverfälschung nehmen muss: von einer Massenerhebung über Klüngeldiktatur und Direktorium zum Bonapartismus - der gegenwärtige Zustand entspricht einer Zwischenstation zwischen Robespierre und Barras, aber die Konturen des Konsulates überschatten schon den Hintergrund -, zwingt die lärmende Anpreisung eines "Sowjet-Deutschland", das dem Vorbild des heutigen Russland genau nachgeahmt werden soll, zur klarsten Herausstellung des Gegensatzes zwischen einem Sowjetstaat und einer Räterepublik.

Eine Darstellung dessen, was sich in Russland als "Diktatur des Proletariates" ausgibt, erübrigt sich in diesem Zusammenhang. Es genügt, daran zu erinnern, dass die Verfolgungen und Brutalisierungen gegen alle Proletarier, die sich noch heute zu den gemeinsamen Parolen von 1917 bekennen, dauernd gesteigert werden und dass die Moskauer Machthaber sich noch nie bewogen gefühlt haben, dem Protest der proletarischen Revolutionäre aller Länder, die nicht ihre gefügigen Parteigänger sind, auch nur einen Teil der Beachtung zu schenken, die sie den Protesten empfindsamer Intellektueller zuwenden, wenn sich ihr revolutionärer Eifer wirklich einmal statt gegen Anarchisten und linke Kommunisten gegen Saboteure, Weißgardisten und Pfaffen richtet. Dass west-europäische Kapitalisten des Außenhandelsmonopols wegen in Russland Wirtschaftssabotage finanzieren und dass die ganze gottgefällige Empörung über die Unterdrückung klerikaler Einwirkungen auf Politik und Wirtschaft nichts ist als anfeuernde Begleitmusik zu dieser Sabotage, kann gar nicht zweifelhaft sein. Die Erschießung der 48 Leute, welche von der GPU beschuldigt wurden, unter der Maske treuer Mitarbeit am Aufbauwerke des sozialistischen russischen Staates jahrelang organisierte Zerstörungsarbeit eben an diesem Werke betrieben, Nahrungsmittelfälschungen, Warenverderb und Betriebsstörungen größten Umfanges organisiert zu haben, kann Bedenken in uns erwecken, ob man mit diesen Personen wirklich die richtigen erwischt hat, da hier nicht wie im Schachty-Prozeß öffentlich verhandelt wurde, sondern nachträglich verlangt wurde, wir sollen an das Eingeständnis der Schandtaten bei allen 48 geheim Verurteilten glauben, aber die Radikalmaßnahme an und für sich, wenn es sich wirklich um eine derartig wirksame und bösartige Schädigung der arbeitenden Massen handelt, brauchte uns wahrhaftig nicht zum Haarausraufen zu veranlassen. Von den 42 deutschen Schöngeistern, die ihrem Entsetzen über die Hinrichtungen Ausdruck gegeben haben, hat nicht ein einziger seinen Namen damals unter den Aufruf gesetzt, den wir linken Revolutionäre vor drei Jahren gegen die Drangsalierung der Oktoberkämpfer in Russland in die Welt hinaussandten. Sie haben sich auch bei sehr dringlichen Anlassen in Deutschland selbst, wie den Berliner Maimorden, alle mögliche Zurückhaltung auferlegt, müssen sich also den Vorwurf gefallen lassen, dass ihnen das Schicksal Unrecht leidender Proletarier niemals so wichtig ist wie das von Klassenfeinden des Proletariates, deren Unschuld zu bestätigen sie stets allzu bereit scheinen.

Die Angelegenheit der erschossenen Professoren und Spezialisten, danach jetzt wieder die Aufdeckung der Geheimorganisation einer "Industriepartei" in Russland, die die Durchkreuzung der russischen Experimente staatssozialistischer Art bezweckt haben soll, lenken jedoch die Aufmerksamkeit auf Dinge, die uns als Räterevolutionäre in außerordentlichem Maße angehen müssen. Wir haben an die Leiter der russischen Geschicke und an die Verkünder eines Sowjet- Deutschlands nach gleichem Zuschnitt die Frage zu richten: Gibt es eigentlich in Sowjet-Russland noch Sowjets? Was für eine Rolle spielen sie im öffentlichen Leben? Worin bestehen ihre Funktionen im Wirtschaftsbetriebe? Haben sie keine Kontrollrechte mehr in den Fabriken und den Verteilungsstellen? Wie geht es zu, dass klassenfremde Gegenrevolutionäre Jahre hindurch Konserven verunreinigen konnten, ohne dass die Arbeiter etwas gemerkt haben? Wie sind die ganzen Schweinereien, die in der russischen und parteikommunistischen Presse mit allem greuelhaften Beiwerk umständlich geschildert wurden, überhaupt möglich geworden, wenn es zugleich wahr sein soll, dass Russland ein Sowjetland ist und die Arbeiter selber die Herren im Hause ihrer Arbeit sind? Das, nichts sonst, soll von denen erklärt weiden, die die Saboteure anklagen und ihre Schuldbeweise nach vollstrecktem Todesurteil auf das Geständnis der Verurteilten stützen, nicht auf ihre Dingfestmachung durch die kontrollierenden Betriebsräte. Hängt das Geheimverfahren vielleicht zusammen mit der Befürchtung, bei öffentlicher Verhandlung wäre die gänzliche Einflusslosigkeit der Sowjets an den Arbeitsstätten ans Licht gekommen, die bei der geringsten Selbständigkeit und Macht ja schon beim ersten Sabotageversuch hätten aufmerksam werden, beobachten und zugreifen müssen?

Über Russland wird an andrer Stelle dieses Heftes im Anschluss an einige Literaturerzeugnisse mehr gesagt. Über Russland wird, da es ohne Frage das wichtigste Gegenwartsproblem ist - handelt es sich doch um die Frage, ob es uns Vorbild oder Warnung sein soll -, noch oft und ausführlich gesprochen werden müssen. Im Augenblick steht allein die Aufgabe zur Lösung: Wie sieht der gesellschaftliche Zustand aus, der die Forderung "Alle Macht den Räten!" erfüllt? Der Hinweis auf die Möglichkeit jahrelang gelungener konterrevolutionärer Wirtschaftssabotage in Russland, 13 Jahre nach der siegreichen Revolution, aber würde allein zum Beweise genügen, dass der erstrebte Zustand keine Ähnlichkeit haben wird mit dem Gesellschaftsbilde des heutigen Russlands.

Der Rätegedanke ist uralt. Räte sind im eigentlichen Sinne nichts andres als die Vereinigung Gleichberechtigter zur Beratung ihrer eigenen gemeinsamen Angelegenheiten. Diese Bedeutung hatten die Gemeindeversammlungen des Altertums, die Gilden des Mittelalters, die Sektionen der französischen Revolution und der Kommune. Das Rätewesen als Zusammenarbeit von Ratgebern und Ratholern auf Gegenseitigkeit ist über die Bestimmung der Interessenvertretung in sich verbundener Menschengruppen hinaus die natürliche Organisationsform jeder Gesellschaft überhaupt, welche die Leitung der öffentlichen Sachen von einer staatlichen Spitze aus durch die Ordnung von unten herauf, durch Föderation, Bündnis und unmittelbaren Zusammenschluss der Arbeitenden zur Regelung von Arbeit, Verteilung und Verbrauch ersetzt sehn will. Der Anarchismus stellt von jeher diese föderative Gestaltung der gemeinschaftlichen Notwendigkeiten dem zentralistischen Prinzip gegenüber. Die Organisation von den Arbeitsstätten und Arbeitsbeziehungen aus, das ist die politische und wirtschaftliche Gesellschaftsform der Anarchisten, das ist die staatlose, die dem Staat entgegengesetzte Gesellschaftsform der Anarchie. Die Bezeichnung der Organe dieser unmittelbar wirksamen Beeinflussung des Lebens durch die Arbeit als "Räte" wurde zum ersten Male auf dem Baseler Kongress der I. Internationale (5. bis 12. September 1869) laut, und zwar entwickelte der belgische Anarchist Hins in seinem Kommissionsbericht über die künftige Bedeutung der Gewerkschaften den Gedanken, dass in einer sozialistischen Gesellschaft die Vereinigung der Gewerkschaften eines Ortes die Kommune bilden, während die nationalen (regionalen) Verbände die Arbeitervertretung sein würden. Die Staatsregierung würde durch Räte aus den Föderationen der Berufe und durch ein Komitee ihrer Delegierten ersetzt. So würden die Arbeitsbeziehungen die politischen Beziehungen in sich schließen. Jede Industrie werde ein Gemeinwesen für sich sein und auf diese Weise die Rückkehr zum alten Zentralisationsstaat für immer unmöglich gemacht werden. Die alten politischen Systeme würden also ersetzt werden durch die Repräsentation der Arbeit.

Diese Ausführungen, mit denen Hins vor 61 Jahren die moderne syndikalistische Bewegung aus der Taufe hob, haben eine geschichtliche Bedeutsamkeit, deren Umfang und Tiefe erst in unsern Tagen, da der Rätegedanke zur befruchtenden Idee der revolutionären Arbeiterschaft aller Länder geworden ist und schon jetzt durch seine Verfälschungen in der Praxis diskreditiert zu werden droht, klar zu erkennen ist. Hierbei kommt es gar nicht darauf an, dass der Ausbau der kapitalistischen Industrialisierung die revolutionäre Gestaltung der Räte nicht mehr von Berufs- oder Industrieverbänden, sondern unmittelbar von den Belegscharten der einzelnen Betriebe und ihrer örtlichen und regionalen Verbindungen erwarten lässt. Es kommt allein darauf an, dass auf dem Baseler Kongress bereits der Sinn der Forderung "Alle Macht den Räten !" mit unzweideutiger Klarheit festgestellt worden ist, auf jenem in jeder Hinsicht denkwürdigen Kongress, von dem Max Nettlau sagt, er sei "bis heute die einzige große Versammlung geblichen, in der Sozialisten und Anarchisten aller Richtungen, in natürlichen Proportionen vertreten, ruhig diskutierten, sich über manches verständigten, in anderem differierten und friedlich auseinandergingen". Wir wissen, was die fernere Zusammenarbeit der verschieden gerichteten revolutionären Arbeiterorganisationen verhindert hat: der Glaube an das Heil der Zentralgewalt, der seine Verkünder zwangsläufig zu der Auffassung führt, dass nur sie sie ausüben dürfen; folglich der Widerstand aller Stolzen und Freien innerhalb der Arbeiterbewegung gegen die Zumutung, anstelle der Staatsautorität die Autorität von sich selbst ernannter Befehlsgeber des Proletariates ertragen zu sollen; dann die inneren Kämpfe zwischen den Führerschaften, die sich als Kommandeure und Nutznießer der proletarischen Klassenbewegung bereits als Beamte der künftigen Zeit fühlen und im Gegenwartsstaat einüben, endlich die Umbiegung aller revolutionären Begriffe zu Werkzeugen der Macht Weniger über die Gesamtheit. Hierfür ist Russland das schlimme Beispiel geworden, wo die Revolution unter der gemeinsamen Forderung "Alle Macht den Räten!" den herrlichsten Sieg erkämpfte und wo es Autoritären gelang, alle Macht in ihre eigenen Hände zu bringen, die Räte zu regierungsergebenen Staatsorganen zu machen, ihre Wahl von der Zugehörigkeit oder mindestens Billigung einer jede Kritik unterbindenden, die Freiheit des Proletariats schlimmer als die der Kapitalisten unterdrückenden Partei abhängig zu halten und in der Welt die Meinung zu verbreiten, Russland sei eine Sowjetrepublik, aus seinem Boden wachse "Sowjetgetreide", aus seinen Naphthaquellen fließe "Sowjetöl" und in den Einkerkerungen, Verbannungen, Verfolgungen, Beschimpfungen und Verleumdungen aller, die den Losungen von 1917 die Treue gehalten haben, erweise sich die wahre Erfüllung des Sowjetsystems: Alle Macht den Räten!

Wie stellen wir uns die "Repräsentation der Arbeit" vor, die Hins als Trägerin der Zukunft anstelle des in Russland bevorzugten staatskapitalistischen Systems verkündete? Wir nehmen den Ruf "Alle Macht den Räten" wörtlich. Wir dulden keine Macht, die sich über den Räten festsetzen will. Wir verstehen mit Bakunin unter der Errichtung der Räterepublik "die vollständige Liquidation des politischen, juridischen, finanziellen und verwaltenden Staates, den öffentlichen und privaten Bankrott, die Auflösung aller Macht, Dienste, Funktionen und Gewalten des Staates, die Verbrennung aller Dokumente, der öffentlichen und privaten Akten". In unsrer Revolution wird sich das Proletariat beeilen, "sich so gut es geht, revolutionär zu organisieren, nachdem die in Assoziationen vereinigten Arbeiter die Hand auf alle Arbeitswerkzeuge, Kapital jeder Art und die Gebäude gelegt, sich bewaffnet und nach Straßen oder Vierteln organisiert haben". Die Kommunen der verschiedenen Orte werden sich dann föderieren, "zur gemeinsamen Organisation der nötigen Leistungen und Beziehungen für Produktion und Austausch, für die Aufstellung der Verfassungsurkunde der Gleichheit, der Grundlage jeder Freiheit, einer absolut negativ gearteten Charte, die mehr festsetzt, was für immer abgeschafft werden muss, als die positiven Formen des lokalen Lebens, die nur durch die lebendige Praxis jeder Örtlichkeit geschaffen werden können; ferner für die Organisation einer gemeinsamen Verteidigung gegen die Feinde der Revolution und für Propaganda, Bewaffnung der Revolution nebst praktischer revolutionärer Solidarität mit den Freunden in allen Ländern gegen die Feinde in allen Ländern". (Brief Bakunins an Albert Richard vom i. April 1870 über die Aufgaben der Pariser Kommune).

Um schließlich die lebendige Wesenheit der Räte aufzuzeigen, die Form der Delegation, die die Gefahr ausschließt, dass sich Vertreter des Proletariats zu Vorgesetzten ihrer Auftraggeber erheben, wie es im Staat und in allen zentralistischen Organisationen der Fall ist, seien ein paar Sätze wiederholt, die den Standpunkt des FANAL in der ersten überhaupt erschienenen Nummer vom Oktober 1926 deutlich machen sollten. Da hieß es im Artikel "Staatsverneinung": "Die Verwaltung des Gemeinwesens durch die von den Arbeitsstätten aus von unten nach oben wirkende föderative Organisation der Räte, die von den revolutionären Kommunisten aller Schattierungen angestrebte Räterepublik, kann niemals ein Staatsgebilde sein. Staat setzt Regierung voraus, das ist obrigkeitliche Befehlsgewalt und Rangordnung. Die Räterepublik ist charakterisiert in der Forderung ... : Alle Macht den Räten! Räte sind die aus den Produktionsbetrieben unmittelbar entsandten, für jede Einzelfrage nach besonderer Eignung ausgesuchten, stets abberufbaren und auswechselbaren, unter dauernder Kontrolle der Werktätigen nach deren eigenen bindenden Beschlüssen handelnden Delegationen der industriellen und landwirtschaftlichen Betriebsbelegschaften. In den Räten ist also die gesamte städtische und ländliche arbeitende Bevölkerung zur direkten Ausübung aller Verwaltungsfunktionen des Gemeinwesens zusammengeschlossen. Die Leitung der Verwaltungsaufgaben in den gemeinsamen Angelegenheiten weiterer und weitester Bezirke geschieht durch Unterdelegationen dieser Räte zu Kreis-, Provinzial-, Landesräte-Kongressen nach dem gleichen Grundsatz der Verantwortung nach unten, der Abberufbarkeit, des gebundenen Mandats, bis hinauf zu den höchsten Exekutivorganen, dem Zentralexekutivkomitee und dem Rat der Volksbeauftragten, denen keine Legislative, sondern durchaus nur die Ausführung des Willens der im Produktionsprozess unmittelbar Tätigen zusteht und die, stets gewärtig, den Platz im Ganzen oder für einzelne Aufgaben berufeneren Genossen räumen zu müssen, immer nur Beauftragte, nie Auftraggeber sind."

Alle derartigen Versuche, künftige Dinge in Worten und Thesen festzulegen, können der Wirklichkeit immer nur auf die Richtung hinweisen, in der Freiheit und Sozialismus liegt. Finden muss sie die schaffende Menschheit selber. Es ist ja vollkommen gleichgültig, ob sich die Räte ein zentrales Exekutivkomitee und einen Rat der Volksbeauftragten schaffen oder nicht. Tun sie es, so müssen sie achtgeben, dass es in der Tat ausführende Organe bleiben und nicht auf Schleichwegen eine Gesetzgeberei aus ihren Funktionen machen; unterlassen sie es aber, so müssen sie eben ein andres Mittel finden, um die Aufgaben der Gesamtheit wie Beleuchtung der Dörfer und Städte, Verkehrswege, Brückenbauten, Medizinal- und Schulwesen, kurz alle die Dinge zu regeln, die nicht von einem Betriebe oder einem Stadtviertel aus allein geordnet werden können. Tausenderlei Fragen werden sich erst aufwerfen, wenn es ans Handeln geht. Mit dem Höchstmaß von Vertrauen zur Kraft des gemeinsamen Willens und mit dem Mindestmaß von Vertrauen zu jeglicher von oben her zudrängenden Anordnung kann jede Frage im freiheitlichen Geiste gelöst werden. Nur glaube niemand, die Arbeiter könnten die Produktion einfach übernehmen, indem sie die Maschinen, die sie vorfinden, in den gleichen Fabriken wie jetzt in gleicher Menge die gleiche Ware herstellen lassen. Mit der "Sozialisierung" von Fabriken ist gar nichts getan, wenn nicht zugleich der Markt, für den sie Produkte liefern, sozialisiert wird. Alles, was die Revolution vorfindet, ist ausschließlich für die kapitalistische Wirtschaft eingerichtet, das heißt: die Arbeit dient nicht dem nötigen Bedarf, sondern dem Profit; es wird Überflüssiges hergestellt, dringlich Wichtiges für die arbeitenden Massen wird vernachlässigt. Ebenso ist die Verteilung nicht organisiert nach dem Gesichtspunkt, dass jede Ware auf schnellstem Wege vom Produzenten zum Konsumenten gelangt, sondern nach den Gewinnberechnungen des Zwischenhandels, und endlich ist der Verbrauch nicht geordnet nach dem Bedürfnis der Verbrauchenden, sondern nach deren Kaufkraft. Es ist Aufgabe der Räte - und nur, wenn tatsächlich alle Macht in ihren Händen ist, können sie dieser Aufgabe gerecht werden -, vom ersten Tage der Revolution an die kapitalistische Organisation der Wirtschaft radikal aufzulösen und Arbeit, Umlauf und Verbrauch sofort umzustellen auf den Bedarf der Arbeitenden in den Städten und auf dem Lande nach Ernährung, Bekleidung, Behausung und Erholung. Hier erwachsen den die unverfälschte Räterepublik anstrebenden Arbeiter- und Bauernorganisationen schon jetzt wichtige Aufgaben statistischer Art, und es wäre gut, wenn sich Revolutionäre zusammenfänden, um die Erfordernisse einer staatlosen Gesellschaft an Hand der vorhandenen und zu schaffenden Möglichkeiten zur Umstellung von Fabriken, Beschaffung von Rohstoff, gegenseitiger Versorgung und was dazu gehört, zu errechnen.

Endlich aber darf nie aus den Augen schwinden, dass nur dann kein Staat ist, nur dann die Räte wirklich unumschränkt wirken können, wenn alles öffentliche Leben von den Gemeinden ausgeht; dass, was immer innerhalb der Gemeinde ausgetragen werden kann, innerhalb der Gemeinde bleiben muss und dass die expansiven Erfordernisse der Wirtschaft zentrifugal von den Gemeinden aus betrieben werden müssen. Gustav Landauer hat im Februar 1910 im "Sozialist" in zehn Punkten "Leitsätze der Politik" aufgestellt, die, da sie in keines seiner Bücher aufgenommen sind, hier wieder abgedruckt werden sollen. Ein Blick in diese Sätze genügt, um auch hier, obwohl das Wort Räte nicht gesagt wird, die Übereinstimmung mit der Forderung der anarchistischen Räterepublik zu erkennen:

Jeder erwachsene Mann und jede erwachsene Frau ist selbständig in den eigenen Angelegenheiten.

Die Gemeinde erkennt an, welches die eigenen, unanrührbaren Angelegenheiten des Einzelnen in dieser Gemeinschaft sind.

Jede Gemeinde ordnet ihre eigenen Angelegenheiten selbständig.

Die Träger der Gemeindepolitik sind die permanent lagernden Berufsverbände, die zeitweilig in Gesamtheit zu allgemeinen Volksversammlungen zusammentreten. Diese Gemeindevertretungen ernennen Beauftragte zu selbständigem Handeln im Dienste der Gemeinde und ersetzen sie auf Grund souveräner Beschlüsse durch andre.

In den Angelegenheiten der Gemeinschaft zwischen den Gemeinden treten die Gemeinden zu Kreisverbänden, Provinzen und Landtagen zusammen.

Die Abgeordneten zu diesen Tagungen haben lediglich den Willen der Gemeinden auszuführen. Sie haben imperatives Mandat, stehen unter der ständigen Kontrolle der Gemeinde und können jederzeit abberufen und durch andre ersetzt werden.

Zum Vollzug der Anordnungen, die durch diese Verbände im Interesse der engeren und weiteren Gemeinschaften getroffen werden, werden Amtleute ernannt, die dem Volk, das ihnen den Auftrag gegeben hat, verantwortlich sind.

Die Gemeinden und die engeren und weiteren Gemeinschaften aus Gemeinden setzen jeweils die Art fest, wie ihre Beschlüsse zustande kommen sollen.

Es bleibt der Entscheidung der Gemeinden überlassen, ob sie an den Beschlüssen und Betätigungen der engeren und weiteren Gemeinschaften teilnehmen wollen oder nicht.

Es gibt keine öffentlichen Gewalten als die von der Gemeinde eingesetzten und anerkannten.

Aus allem, was hier und im Vorigen gesagt wird, kann ein erschöpfendes Gesellschaftsbild allerdings nicht entnommen werden. Wer aber den Sinn der Forderung "Alle Macht den Räten" nicht erfüllt, weil der Staat zutiefst in ihm sitzt, auf den werden wir beim Aufbau des anarchistischen Sozialismus ohnehin kaum zu rechnen haben. Viele werden - wir kennen ja alle die Einwendungen von Staatstreuen und Parteimenschen - meinen: Fangts an, wie ihr wollt, es wird doch immer ein Staat draus werden. Wir wissen, dass sie es sind, die alles versuchen werden, um den Staat draus werden zu lassen. Wer aber ein richtiger Spießbürger ist, der wird sogleich Dutzende und Hunderte von Alltagshindernissen wissen, welche sich der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Freiheit schon entgegenstellen werden, so dass wir nie zum Ziele kommen können. Sie haben ganz recht: es wird nicht leicht sein. Es gehört ein Wille dazu, der Berge versetzen kann. Der Wille der Detailkrämer des Zweifels und der Besorgnisse reicht aber gewöhnlich noch nicht einmal dazu, einem Ideal zuliebe die Uhrkette zu versetzen. Die Marxisten werden uns dialektisch beweisen, dass die Rätemacht gar keine Rätemacht sein kann, sondern nur eine Stalin- oder Heinz-Neumann-Diktatur, und die Sozialdemokraten werden uns fragen, warum wir denn noch nicht einmal mit dem freien Volksstaat von Weimar zufrieden sind und durchaus auf einer staatlosen Rätegesellschaft bestehen. Es ist wahr, die Formel "Alle Macht den Räten" bedeutet das Bekenntnis zu einer vollständigen Umwälzung der Grundlagen des gesellschaftlichen Seins. Gegen eine Revolution von den Wurzeln aus aber sträubt sich der Mensch, der noch irgend Hoffnung hat, aus den Wurzeln der Gegenwart Kraft zu saugen. Nur wem die Gegenwart nichts mehr bietet als Abscheu vor ihren Erbärmlichkeiten und Tücken, wird einer Zukunft den Weg frei machen wollen, auf den kein Erbgut des Früheren mitgenommen werden kann. Die russischen Kommunisten sind gescheitert, weil sie nicht den Mut hatten, mit der Vergangenheit zu brechen. Sie haben den Staat mit den Räten verquicken wollen. Der Staat ist geblieben, stärker als je zuvor, die Räte sind Werkzeuge des Staates geworden, also keine Räte mehr. Wer aber fragt: Wird es nicht wieder so kommen? Sind es nicht Menschen, mit denen ihr ausziehen wollt, die Freiheit zu errichten, schwache, autoritäre, geknechtete, knechtende, gehorsame und törichte Menschen? Wie wollt ihr fertig werden mit den Widerständen der geistigen Trägheit und der anerzogenen Ehrfurcht vor Kirche, Schule, Familie und Staat? - wer so fragt, dem wollen wir entgegensetzen unsern Willen, unsern Mut und unsre Überzeugung. Denn die Gegenwart soll an die Zukunft keine Fragen stellen, sondern Forderungen!

Die Freiheit als gesellschaftliches Prinzip

Inhaltsverzeichnis

Die Geschichte der Menschheit mit ihren Kriegen und Revolutionen, mit ihren Bestrebungen um Änderung, Besserung, Beseitigung oder Erhaltung von Zuständen und Einrichtungen, mit all ihren politischen, wirtschaftlichen, religiösen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Kämpfen vollzieht sich in immer veränderten Forderungen dennoch immer mit derselben Begleitmusik. In allen Zeiten, bei allen Völkern, wo Meinung gegen Meinung, Losung gegen Losung stand und steht, empfehlen sich die Beschützer des Alten wie die Pioniere des Neuen als die Sachverwalter der Freiheit. Es gibt keine Bewegung, hat nie eine gegeben und kann keine geben, die erfolgreich um Anhang für sich werben könnte, wenn nicht auf ihrer Standarte das Bekenntnis zur Freiheit beschworen ist. Wo Ziele erstrebt werden, die über materielle Nützlichkeit hinausreichen oder doch hinauszureichen scheinen, kann Gefolgschaft nur mit sittlichen Zwecksetzungen gewonnen werden; zum sittlichen Begriff schlechthin aber, dem alle übrigen sittlichen Werte ein- und untergeordnet sind, der die hohen seelischen Eigenschaften der menschlichen Gesellschaft wie Ehre, Ruhm, Kultur, glückliche Verbundenheit, in der natürlichen Vorstellung aller zur Gefolgschaft geeigneten Massen umfasst, wird von allen verschiedenen und entgegengesetzten Parteien und Vereinigungen die Freiheit erhoben. Denn das Wort Freiheit ist im Sprachgefühl der Menschen das einzige, das in sich die Eigenschaften der individuellen Tugend mit denen eines gesellschaftlichen Ideals verbindet.

Daß offenbar jeder Mensch die Freiheit als gesellschaftliches Ideal empfindet, ist ein Beweis dafür, daß die Sehnsucht nach individueller Freiheit in der menschlichen Natur selber begründet ist. Dieser Sehnsucht nach persönlicher Steigerung der Lebenswerte muß jede Werbung Rechnung tragen, die die allgemeine Erhöhung des Kollektivgefühls zu bewirken verspricht. Daher und weil bei primitiven Menschen ebenso wie bei differenzierten das Streben nach veredelter Gemeinschaft durchaus gleich empfunden wird mit dem Streben nach vermehrter Freiheit in der Verbundenheit aller, spielt sich fast aller öffentliche Kampf um die Geister der Menschen als ein Wettstreit der Weltanschauungen, der politischen und wirtschaftlichen Bekenntnisse und der sozialen Grundsätze ab, die eigene Freiheitlichkeit als die beste zu erweisen, das fremde und feindliche Prinzip als freiheitswidrig herabzuwürdigen. Wäre nun die Freiheit im Sprachbewußtsein der Menschen ein klar erkanntes und in ihrer Bedeutung einhellig erfasstes sittliches Gut, dann bedürfte es keiner konkurrierenden Anpreisung gesellschaftlicher Programme unter dem Gesichtspunkt der Freiheit, dann wäre es leicht, unter den empfohlenen Systemen dasjenige herauszufinden, das der positiven Forderung am nächsten käme oder gar sich mit ihr deckte.

Leider verbindet sich jedoch bei den meisten Menschen mit dem Wort Freiheit nur ein ganz verschwommener Empfindungswert, so daß aus dem gesellschaftlichen Begriff, der aus dem stärksten ethischen Drang des Menschen stammt, die seichteste aller öffentlichen Phrasen werden konnte. Es gibt in den vielen Jahrtausenden übersehbarer Menschengeschichte keine Tyrannis, keine Unterdrückung und Vergewaltigung von Arbeits- und Willenskräften, die sich nicht des Freiheitsverlangens ihrer Opfer bedient hätte, um zur Macht zu kommen. Der Sklave nämlich stellt sich fast niemals die Freiheit vor, sondern leidet nur unter der greifbar erlebten Unfreiheit und läßt sich somit leicht überreden, neue Knechtschaft auf sich zu laden, wenn nur der neue Herr die glaubhafte Zusicherung gibt, er werde ihn aus der alten Knechtschaft befreien. Die Erfolglosigkeit aller bis jetzt geführten Kämpfe um gesellschaftliche Freiheit hat also ihre Ursache darin, daß sie nie für die Erringung wahrhaft freien Lebens, für einen positiv von Freiheit durchdrungenen sozialen Zustand geführt wurden, sondern ihren Ausgang nahmen von der Unerträglichkeit des Bestehenden und ihr Ziel begrenzten auf die rein negative Befreiung von dieser Unerträglichkeit.

Das Versprechen: wir werden euch, das Volk, den Staat, die Gesellschaft, die Menschheit befreien!; die Aufforderung: befreit euch, das Volk, den Staat, die Gesellschaft! hat mit Freiheit nur insofern zu tun, als in diesen Parolen ihr Nichtvorhandensein anerkannt und als Übel festgestellt wird. Was dagegen aufgestellt wird, beschränkt sich in fast allen Fällen auf die Ausmalung von Verhältnissen, die sich durch Abwesenheit der Dinge auszeichnen werden, deren Ausmerzung Sinn der Befreiung sein soll. Umgekehrt begegnen aber auch die Hüter der befehdeten Einrichtungen, Zustände oder Gebräuche dem Appell, sich von ihnen zu befreien, mit dem Beweise, daß alles, was sie ersetzen soll, dem Geiste der Freiheit widerspreche, und die Einen wie die Anderen lassen die Darstellung der Unfreiheit des Bekämpften als Überzeugungsgrund dafür gelten, daß die von ihnen gewünschten oder verteidigten Werte den Charakter der Freiheit trügen. Es bleibt also zu untersuchen, ob der Begriff der Freiheit als gesellschaftliches Prinzip überhaupt in positiver Formulierung zu fassen ist und wie die Organisation der Gesellschaft beschaffen sein müßte, die die Freiheit zum lebensbewegenden Inhalt des menschlichen Zusammenhalts machen wollte.

Es kann sich hier natürlich nicht um eine philosophische Deutung des Freiheitsbegriffes handeln, wie sie etwa Schopenhauer in seinen zwei Grundproblemen der Ethik vornimmt. Allerdings ist auch nicht darauf zu verzichten, das gesellschaftliche Problem der Freiheit als ein Problem der Ethik zu betrachten. Doch ist es nur deswegen nicht überflüssig, die Notwendigkeit solcher Betrachtung aus ethischen Gesichtspunkten besonders zu betonen, weil leider die Behandlung gesellschaftlicher Fragen als Fragen vorwiegend sittlicher Natur längst nicht mehr überall als selbstverständlich zu gelten scheint. Vermehrte gesellschaftliche Freiheit wird dazu helfen, das Primat der Ethik für alle auf die Beziehung der Menschen zu einander gerichteten Erörterungen sicherzustellen. Hiermit ist aber schon gesagt, daß der gesellschaftlich genommene Freiheitsbegriff auch keineswegs schlechthin als politischer Wert aufgefasst werden darf. Zwar wirkt sich bestehende und mangelnde Freiheit wesentlich politisch aus, in dem weiten Sinne nämlich, daß alle Herrschaft, auch wirtschaftlicher Macht, politisch gefügt sein muß, um sich zu erhalten. Aber Politik betrifft in viel zu enger Weise wandelbare Einrichtungen und auf Widerruf statuierte Bindungen, als daß ein Ewigkeitsprinzip menschlicher Verständigung sich in ihren Methoden verwirklichen ließe.

Die zu lösende Frage ist diese: Der Mensch strebt nach Erfüllung seiner individuellen Möglichkeiten. Er will seinen einmaligen, von allen anderen Menschen unterschiedenen Charakter mit den darin begründeten Fähigkeiten, Neigungen, Kräften, Leistungs- und Genußanlagen unabhängig von auferlegtem Zwange frei entwickeln und verwerten. Diese Unabhängigkeit, die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in sich schließt, ist seine Vorstellung von Freiheit; ohne sie kann es keine Freiheit für ihn geben. Die Menschen aber sind auf ihre Arbeit angewiesen und zwar jeder auf die Arbeit aller, alle auf die Arbeit eines jeden. Infolgedessen ist die Gemeinschaftsaufgabe jeder Gesellschaft, die sogenannte soziale Frage zu lösen, d.h. Arbeit, Verteilung und Verbrauch so zu organisieren, daß Leistung und Verwendung in das richtige Verhältnis zum Ertrage der Erde gebracht werden. Unter gesellschaftlicher Freiheit wird nun gemeinhin verstanden, daß die Organisation der gemeinsamen Arbeit der Willkür und dem Nutzen Einzelner entzogen und der Gesamtheit des produzierenden und konsumierenden Volkes übertragen werde. Ist nun - und das entscheidet, ob die Freiheit als gesellschaftliches Prinzip bestehen kann, - eine Regelung der menschlichen Beziehungen erreichbar, bei der das Höchstmaß verbundenen Werteschaffens zum Nutzen aller und unter Ausschaltung der Willkür Einzelner geleistet wird, - und gleichzeitig die Persönlichkeit zur vollen Entwicklung ihrer Fähigkeiten, zum vollen Ausleben ihrer Kräfte, zur vollen Befriedigung ihrer Bedürfnisse gelangen kann?

Der marxistische Sozialismus bejaht mit Entschiedenheit die Lösbarkeit der sozialen Frage, also die Organisierbarkeit der Arbeit in der Form, daß der Ertrag jeder Leistung dem Leistenden selber zugute kommt. Er postuliert dazu - und darin begegnen sich alle Lehren des Sozialismus - die Vergesellschaftung des Grundes und Bodens und der Produktionsmittel, sohin die Beseitigung des Herrentums über die Arbeitskraft anderer Menschen. Ohne Zweifel ist hier eine Voraussetzung nicht nur kollektiver, sondern auch individueller Freiheit erfüllt. Doch beschränkt sich der Marxismus auf die Forderung der ökonomischen Gleichstellung der Menschen. Marx und Engels, denen Lenin hierin folgt, stellen zwar als letztes Endziel und schließlich Folgerung der sozialisierten Wirtschaft die Überwindung des Staates und die Vollendung des freiheitlichen Kommunismus hin, wonach jeder nach seinen Fähigkeiten schaffen, jeder nach seinem Bedarf verbrauchen soll, doch gelangt bei ihnen die freiheitliche Zielsetzung nirgends über hypothetische Hindeutungen hinaus. Ihre Theorien erschöpfen sich in wirtschaftlichen Analysen der bestehenden und anzustrebenden Produktionsformen und gewähren der Darstellung der Freiheit als gesellschaftliche Grundeigenschaft so gut wie keinen Raum.

Die nichtsozialistischen Gesellschaftslehren, soweit sie dem Worte Freiheit höheren Wert als nur den einer Werbeformel beimessen, gehen von der bekannten Behauptung des Malthusischen Gesetzes aus, daß der Ertrag der Erde niemals gleichen Schritt halten könne mit der Vermehrung der Bevölkerung und daher der volle Genuß des Lebens von Natur wegen einer bevorzugten Schicht vorenthalten sei. Der Satz des Malthus ist so oft und so gründlich widerlegt worden, ist zumal durch die Kulturmethoden der intensiven Landbewirtschaftung auch praktisch so vollkommen entwertet, daß von ihm kaum mehr etwas anderes übrig geblieben ist als die Freiheitsformel des liberalistischen Kapitalismus vom freien Spiel der Kräfte. Selbstverständlich findet hier, wo nur die ungestörte Konkurrenz zwischen bevorrechtigten Besitzenden gemeint ist, der Begriff der gesellschaftlichen Freiheit keine Anwendung, noch auch da, wo sich die Freiheitsforderung mit nationalen, rassemäßigen, konfessionellen oder Standesegoismen identifiziert. Das Vorhandensein von Herrschergewalt irgendwelcher Art, sei es in Form wirtschaftlicher Vormacht, sei es in Form politischer Obrigkeit oder sonstwelchen Privilegien ist mit dem Gedanken der gesellschaftlichen Freiheit schlechterdings unvereinbar, und eine Freiheit, welche sowohl dem Individuum seine Unabhängigkeit als der Gesamtheit ihre Entfaltungsmöglichkeiten läßt, kann nicht bestehen, wo verhängte Dienstpflicht, Autorität, Regierung und Staat besteht. Will auch der Liberalismus dem Staat den Eingriff in die Selbstbestimmung der Wirtschaft verwehren und nennt die Fernhaltung der politischen Obrigkeit vom Konkurrenzkampf der Ökonomie mit dem Namen der Freiheit, so setzt diese Lehre doch zugleich die Unterwerfung der Arbeit unter den Besitz voraus, und will der Staatssozialismus im Gegenteil das Gesetz regierender Organe zum Regulativ der Wirtschaft und des Verhaltens der Menschen zu einander machen, so scheidet er eben das Individuum aus der Festsetzung der eigenen Lebensformen aus. Der Begriff der gesellschaftlichen Freiheit ist in keinem dieser Fälle anwendbar.

Der grundlegende Irrtum aller Lehren, die bei Erhaltung des Autoritätsprinzips die Freiheit glauben fördern zu können, beruht auf der Verwechslung der Begriffe Regierung und Verwaltung. Worauf es bei einer Neuorganisation der Gesellschaft im Geiste der Freiheit ankommt, hat Michael Bakunin in die klare Formel gefaßt: Nicht Menschen regieren, sondern Dinge verwalten! Die Aufgabe derer, die Freiheit zum gesellschaftlichen Prinzip erheben wollen, besteht demnach darin, das gemeinsame Wirtschaften der aufeinander angewiesenen Menschen von der Leistung einer Gehorsamkeitspflicht gegen empfangene Befehle zur Erfüllung eines Kameradschaftsdienstes auf Gegenseitigkeit zu machen. Nichts ist verkehrter als die Meinung, der Mensch arbeite nur unter der Peitsche der Kommandogewalt. Im Gegenteil: die Unlust an der Arbeit, die vielfach schon für eine schicksalsgegebene menschliche Eigenschaft gehalten wird, hat ihren einzigen Ursprung im Gefühl, unter dem Zwange regierender Befehlshaber auferlegte Arbeit zu tun. Wo das Bewußtsein lebendig ist, daß Mensch sein Kamerad sein bedeutet und daß Kameradschaft ebenso notwenig ist zur Befriedigung der Lebensnotdurft wie zum Genuß der Freude und zum Ertragen des Leides, da kann der Gedanke keine Stätte haben, der die Beschaffung von Nahrung, Bekleidung und Behausung glaubt von obrigkeitlicher Satzung und aufpassender Disziplinargewalt. Nicht einmal darauf kommt es an, daß die Obrigkeit auf demokratischem Wege eingesetzt ist, sondern darauf, daß es keine Obrigkeit gibt und alle gesellschaftliche Funktion Funktion der Kameradschaft ist. Demokratie ist nur das technische Verfahren, in dem die Regierten ihre Regierer selbst einsetzen. Das demokratische Verfahren aber setzt wie jedes andere Regierungssystem voraus, daß die notwendigen Dinge der Gesellschaft nur verrichtet würden, wenn die Menschen unter Zwang gehalten werden. Diese Voraussetzung trifft indessen nur zu, solange Arbeit geleistet werden muß, deren gesellschaftlichen Wert der Arbeitende nicht erkennt und deren Ertrag nicht ihm noch der Gesamtheit, sondern einem fremden Gewinn- oder Machtzweck zufällt.

Somit deckt sich der Begriff der gesellschaftlichen Freiheit nahezu vollständig mit dem der allgemeinen Kameradschaft unter den Menschen und es erhebt sich die Frage aller Fragen, ob und in welcher Weise diese Kameradschaft zum bestimmten Antrieb des gemeinnützigen Tuns aller gemacht werden kann. Dieser Frage ist Peter Kropotkin in seinem schönen Werk über die gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt wissenschaftlich nachgegangen und kommt nicht nur zur Bejahung der Frage, sondern zu dem Ergebnis, daß die Solidarität eine naturgegebene Eigenschaft aller lebenskräftigen Geschöpfe ist. Alle kameradschaftlich lebenden Tiere gründen ihr Gemeinschaftsdasein ausschließlich auf die natürliche Veranlagung zur kameradschaftlichen Brüderlichkeit, die, wie Kropotkin eindringlich dartut und wie Darwin bestätigt, die den Kampf der Arten gegeneinander ergänzende Lebensform zur Erhaltung der Arten darstellt. Die Jagdgemeinschaften der Wölfe sind ebenso wie die Massenwanderungen des Damwildes zur Auffindung fruchtbarer Wohngebiete Beispiele in Freiheit organisierten gesellschaftlichen Lebens. Hier wirkt kein Staat, also keine zentrale Regierungsmaschinerie, sondern Anarchie, deren Wesen Gustav Landauer als Ordnung durch Bünde der Freiwilligkeit kennzeichnet. In dem philosophischen Ergänzungswerk zu seiner naturwissenschaftlichen Arbeit über die Gegenseitige Hilfe, in der "Ethik" setzt aber Kropotkin den Begriff vollständig gleich mit dem der Freiwilligkeit, wie er die Begriffe Gerechtigkeit und Gleichheit mit dem der Gleichberechtigung gleichsetzt. Durch diese klaren Deutungen der im allgemeinen Gebrauch reichlich verwaschenen Worte Freiheit und Gleichheit füllt sich ihr Wert mit jedem Mißverständnis entrücktem sozialen Inhalt. Zugleich jedoch leuchtet ein, daß Goethes immer wieder angezogene Äußerung, wo Gleichheit sei, könne keine Freiheit bestehen, vor der rechten Würdigung beider Begriffe nicht standhält. Im Gegenteil: Freiheit, als Freiwilligkeit jeder Leistung im Zusammenklang der Gesellschaft erfaßt, ist nur vorstellbar, wo Gleichheit im Sinne von Gleichberechtigung gilt. Gleichberechtigung aller in der menschlichen Gesellschaft aber bedingt Einheitlichkeit der wirtschaftlichen Voraussetzungen, unter denen die Menschen ins Leben treten und ihre Gaben und ihre Persönlichkeit zum eigenen Vorteil und zum Nutzen der Gesamtheit entfalten zu können. Diese Voraussetzungen scheinen nur im Sozialismus gegeben zu sein, wobei die Frage, ob der kollektivistische oder der kommunistische Sozialismus vorzuziehen sei, Zukunftssorge sein mag, die Erkenntnis hingegen, daß es staat- und herrschaftsloser Sozialismus sein muß, Bedingung gesellschaftlicher Freiheit ist. Goethe wollte mit seiner Behauptung die liberalistische Formel der französischen Revolution "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" als leer tönende Redensart verdammen. Wenden wir diese Formel in der Bedeutung an: Freiwilliges Schaffen gleichberechtigter Individuen im Dienste gegenseitiger Hilfe, so erhalten wir das soziale Programm einer Menschengemeinschaft, in der die Freiheit das gesellschaftliche Prinzip ist.

Eine solche Auffassung widerspricht nicht, sondern bestätigt Goethes Lebensideal: Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit! Denn Persönlichkeit kann wertvolle Eigenschaften niemals losgelöst von der gesellschaftlichen Gesamtheit entfalten. Ja, Persönlichkeit und Gesellschaft können von jeder freiheitlichen Perspektive gesehen, nur als vollkommene Einheit begriffen werden. Die auf der Kameradschaft gleichberechtigter Menschen errichtete freie Gesellschaft ist ein Organismus, dem alle Elemente der Persönlichkeit innewohnen mit Einschluß selbst des individuellen Empfindungslebens, während jeder Mensch, der unter natürlichen, das heißt freiheitlichen Umständen lebt, sich nicht nur als Glied der gesellschaftlichen Kette, als Rädchen im Riesenapparat des gesellschaftlichen Geschehens fühlt, sondern durchaus als identisch mit der Gesamtheit, die für ihn genau so lebendige Wirklichkeit ist, wie sein eigenes körperliches und seelisches Sein. Mensch und Gesellschaft können unter freiheitlichen Lebensverhältnissen niemals in Gegensatz geraten, sie sind gleichwertige, einander ergänzende Ausdrucksformen desselben Zustands.

Daher ist auch, die Wirklichkeit einer freien Gesellschaft angenommen, die Freiheit des Einzelnen nicht begrenzt bei der Freiheit aller, wie das die reinen Individualisten postulieren; vielmehr kann tatsächliche gesellschaftliche Freiheit gar nicht zur Begrenzung der Freiheit des Einzelnen zwingen, da ja Freiheit der Persönlichkeit nicht bestände, wo sie im Widerspruch zur allgemeinen Freiheit wirken wollte. Die Willkür nämlich, die für sich selber Rechte in Anspruch nimmt, die in der gesellschaftlichen Einheit nicht begründet sind, hat mit Freiheit gar keine Berührung; sie ist Despotie, die Unfreiheit voraussetzt, ist somit selber abhängig von der Bereitschaft anderer, sich Obrigkeit und Befehlsgewalt gefallen zu lassen und würde Gegensätze zwischen Gesellschaft und Mensch aufreißen, die die Natur nicht geschaffen hat und die dem Prinzip der Freiheit kraß zuwiderlaufen.

Die Gesellschaft der Freiheit ist ein Organismus, das heißt ein einheitliches und darum harmonisch schaltendes Lebewesen; das unterscheidet sie vom Staat und jeder Zentralgewalt, wo ein Mechanismus die Funktionen des organischen Lebens zu ersetzen sucht und wo nicht die Dinge der Gemeinschaft gemeinsam verwaltet, sondern die Menschen von anderen Menschen zur Innehaltung von auferlegten Pflichten zwangsweise angehalten werden. Es genüge hier, die beiden Möglichkeiten menschlichen Zusammenlebens einander gegenüberzustellen. Das System der Regierung von oben nach unten, das System der Zentralisation der Kräfte, hat sich in aller Welt durchgesetzt und bis jetzt, kaum ernstlich bedrängt, erhalten. Das System der Föderation von unten nach oben, des Bündniswesens, der Kameradschaft und der Freiheit, dieses System der Ordnung durch Bünde der Freiwilligkeit muß den Beweis seiner Verwendbarkeit in der wirklichen Welt aus der grauen Vorzeit der Menschheitsgeschichte und aus den täglichen Beispielen der uns umgebenden Tierwelt führen. Wer den Glauben an die Zukunft der Freiheit hat, wird ihn sich durch die Einwendungen der handfest praktischen Gegenwart nicht rauben lassen.

Von den Mitteln, wie die Menschen zum Zustand der Freiheit gelangen könnten, soll hier schon gar nicht gesprochen werden, um so weniger als unter den verschiedenen Richtungen, die auf das gleiche Ziel, darin durchaus keine Einheitlichkeit der Meinung besteht und Bakunin zum Beispiel weitaus andere Wege einschlagen wollte als etwa Tolstoi. Wer der Freiheit ergeben ist und den Gedanken rücksichtslos in sich aufgenommen hat, daß der Mensch frei sein wird, wenn es die Gesellschaft ist, die Gesellschaft der Freiheit aber nur von innerlich freien Menschen geschaffen werden kann, der wird bei sich selber und in seinem nächsten Umkreis mit dem Befreiungswerk beginnen. Er wird niemandes Knecht sein und wissen, daß nur der kein Knecht ist, der auch niemandes Herr sein will. Der Mensch ist frei, der allen anderen Menschen die Freiheit läßt und die Gesellschaft wird frei sein, die kameradschaftlich Gleiche in Freiheit verbindet.

Kulturfaschismus

Inhaltsverzeichnis

Das in diesem Heft wieder ans Licht gezogene Aktionsprogramm der deutschen Faschisten, entworfen 1923 von dem beim Hitlerputsch in München gefallenen (angeblich, als die Schüsse krachten, vor Schreck gestorbene) Oberregierungsrat beim Bayrischen Justizministerium von der Pfordten, veröffentlicht 1926 vom Preußischen Innenministerium, ist ohne Zweifel noch heute in allen wesentlichen Teilen für die Erneuerer deutscher Sitte und deutschen Wesens maßgeblich. Die Arbeiter brauchen sich bloß zu vergegenwärtigen, dass Arbeitseinstellung und Aufforderung dazu mit dem Tode bedroht wird (§ 13), und dass Begünstigung wie Täterschaft bestraft wird (§ 25), so erkennen sie wohl, was los ist. Wer einem Menschen ein Stück Brot gibt, der zu verstehen gegeben hat, ein Streik könne helfen, wird, wie dieser Sünder selbst und wie alle, die seinen Rat befolgen, erschossen. Es sei wiederholt, dass das Reichsgericht, dessen Entscheidungen Gesetzeskraft haben, die Verfolgung der auf dieses Programm in Geheimbünden verpflichteten Nationalisten abgelehnt und ausdrücklich erklärt hat, solche Terrorbestimmungen hätten keine ungesetzlichen Tendenzen, seien nur Vorschläge an den Reichspräsidenten, in welchen Formen er mittels der bestehenden Verfassung eben diese Verfassung abschaffen und die Diktatur einfach auf Grund des Artikel 48 zum Dauerzustand machen könne. Das Reichsgericht hat somit entschieden, dass der Verwirklichung der Claß-Hugenbergschen Pläne die rechtsgültigen Gesetze der demokratischen Republik nicht entgegenstehen. Wer also den staatlichen Einrichtungen zutraut, sie würden in Deutschland die faschistische Umgestaltung abwehren, wird sich täuschen. Sie sind im Gegenteil alle nur am Werk, auf den vielseitigen Wegen der Demokratie einen Zustand bereits jetzt herzustellen, der den Hakenkreuzlern und Stahlhelmern die Mühe abnimmt, noch etwas umgestalten zu müssen. Die Republik wirft ihnen das faschistische Rechts-, Macht- und Kulturgebilde fertig in den Schoß, sodass sie nur noch gewisse Amtsbezeichnungen auszuwechseln brauchen und den organisierten Massenmord, unbeeinträchtigt von verschwörerischer Heimlichkeit, zur Tagespraxis des öffentlichen Rechtes erheben können.

Die republikanische Justiz ist, wie an dieser Stelle wieder und wieder behauptet und belegt wurde, nie darum besorgt gewesen, ihre politische Parteilichkeit zu Gunsten des Faschismus auch nur zu verhüllen. Die sozialdemokratischen „Novemberverbrecher“ (nicht die entthronten Mächte, sondern die Proletarier sind die Opfer ihres Verbrechens) haben ja 1918-19 die monarchistischen Richter einfach im Amt gelassen, haben ihnen nicht einmal neue Gesetze zu judifizieren gegeben. Da sie ihre Herkunft nicht zu verleugnen brauchten, handeln die Richter nach dem Wort des ausgezeichneten französischen Menschenkenners Jules Michelet, der geschrieben hat: „Gebt mir die richterliche Gewalt, dann hütet wohl eure Gesetze und Verordnungen, diese ganze papierne Welt; ich mache mich anheischig, das euern Gesetzen widersprechendste System zum Triumph zu bringen.“ Indem sie aber das faschistische System zum Triumph brachten, sorgten sie zugleich durch Urteile, die offene Verhöhnung der Gesetze waren, die sie betreuen sollten, für empfehlende Personalakten, mit denen in Hitlers Reich zur weiteren Betätigung ihrer faschistischen Parteijustiz sofort legitimiert sind. Das Hohenzollernreich machte die Richter unabsetzbar, weil ihnen dadurch das Gefühl der Unabhängigkeit gestärkt wurde und an ihrer konservativen Gesinnung ohnehin keinerlei Zweifel möglich war; die Republik ließ sie unabsetzbar, weil die Nulpen, die die Staatsmacht in die Hände bekamen, aus lauter Bedientenangst nicht wagten, irgend ein Kleinod der plötzlich ererbten herrschaftlichen Utensilien aus dem plüschgepolsterten Etui zu nehmen. Die Faschisten werden die Unabsetzbarkeit bestätigen, weil sie ihr Prinzip zynischer Ungerechtigkeit wahrhaftig bei den deutschen Richtern der demokratischen Republik in gründlicher Erprobung gewahrt wissen.

Die Justiz ist also kein Bollwerk gegen das dritte Reich. Nun, dann haben wir ja gottlob die Polizei, von der jeder weiß – und wer es nicht weiß, dem bestätigt es Severing alle Tage –, dass sie eisern entschlossen ist, die Republik und alle ihre schwarzrotgoldige Freiheit zu beschützen. Eben hat sich gezeigt, was es mit der republikanischen Polizei selbst da auf sich hat, wo seit Jahr und Tag ein sozialdemokratischer Chef die Gesinnungsgüte der Gummiknutenschwinger überwacht. In Hamburg schießt ein Polizeiwachtmeister bei einem Verhör seinen Vorgesetzten schlankweg über den Haufen, um dadurch dem erwachenden Deutschland die Schmach zu demonstrieren, dass ein pensionsberechtigter Ordnungshüter der Republik einem Juden soll Rede und Antwort stehen müssen. Am Tage darauf überfallen in demselben Hamburg drei erwachende Teutonen einen Autobus und ermorden vor den Augen der übrigen Fahrgäste den kommunistischen Bürgerschaftsabgeordneten Henning. Es stellt sich heraus, dass die treibende Kraft des Meucheltrios bis vor kurzem Oberwachtmeister der Hamburger Schutzpolizei war. Man ist versucht, an der rein republikanischen und verfassungstreuen Gesinnung der dem Sozialdemokraten Schönfelder unterstellten Polizei leise Zweifel zu hegen. Aber da ist doch der Senator Adolf Schönfelder selber, der im Ernstfall die Schupo zu kommandieren hat. Stimmt. Dessen erste Tat nach den Bluttaten war, dass er nicht bloß die Nazipresse verbot, sondern zugleich auch die kommunistische. Wer daran zweifelt, dass die Repressalien gegen die Hitlerleute von kurzer, die gegen die Kommunisten von langer Dauer sein werde, der hat unsre zwölfjährige Republik sozialdemokratischer Observanz bis jetzt verschlafen.

Die Polizei hat gar keine Zeit zur Bekämpfung faschistischer Diktaturgelüste. Sie hat mit der Verprügelung und gelegentlichen Erschießung hungernder Arbeitsloser alle Hände voll zu tun und hilf damit die Politik sichern, aus der der Faschismus hervorwächst. Das ist die Politik, die bei fünf Millionen aus dem Produktionsprozess Entfernten den Brotpreis künstlich hoch hält, indem die faschistischen Grundbesitzer Ostelbiens ungeheure Zuwendung aus öffentlichen Mitteln erhalten, um die reiche Ernte verkommen zu lassen und für ihren Weizen das zweieinhalbfache des Weltmarktpreises fordern zu können. Für die Verzweifelten aber, die infolge solcher Praktiken das Brot bargeldlos aus den Läden nehmen, hat man ja Zuchthäuser, und im schwarzrotgoldenen wie im faschistischen Sprachgebrauch heißen sie die Plünderer, - nicht die Agrarier, Börsianer und Industriellen, die im Bunde mit den Gewerkschaften die Hungerlöhne der Proletarier immer tiefer senken und ihnen dafür noch Kopfsteuer auspressen. Die Polizei aber treibt der Justiz die Opfer in den Rachen; der linke Sozialdemokrat Fleißner in Leipzig ist nicht minder bestrebt, sich dem Faschismus gefällig zu erweisen als der rechte Sozialdemokrat Grzesinski in Berlin. Hebt man wirklich mal, wo es schon gar nicht anders geht, ein Waffenlager der Nazi aus, so hat man dabei von polizeilichem Übereifer noch nie etwas bemerkt, und Prozesse folgen derlei peinlichen Pflichterfüllungen gewiss nicht. Gelingt es aber Kommunisten einmal, aus einer Reichswehrkaserne Waffen in ihre Hand zu bekommen, die für die Faschisten bestimmt waren, dann spielt sich die republikanische Polizei als Retterin des Vaterlandes auf und die republikanische Justiz verhängt endlose Zuchthausstrafen. Oder: Grzesinski sperrt sämtliche Straßen und Plätze Berlins für Demonstrationen jeder Art, solange Kommunisten sie beanspruchen, lässt auch seine Prügelgarde dazwischenschlagen, wenn die Arbeiter einen von Faschisten ermordeten Genossen zu Grabe geleiten; aber an dem Sonntag, wo der Stahlhelm mit Hohenzollernprinzen und Hitlerjüngern faschistische Bekenntnisse ablegen will, wird der Lustgarten bereitwillig geöffnet.

Doch, wenn auch Justiz und Polizei demnach die Sicherheit dagegen nicht verbürgen, dass wir eines Tages in Reichsacht erklärt werden und von jedem Tetzner oder Saffran wie ein räudiger Hund abgemurkst werden dürfen, ein starker Wall ist dennoch errichtet, um die Flut des Faschismus nicht unsre blühende republikanische Kultur vernichten zu lassen: das ist die christliche Kirche in ihrer allerbarmenden Milde, Güte und Demut. Die katholischen Zeitungen bringen fast täglich neue Erklärungen der Bischöfe und des übrigen hohen Klerus, die die Lehre des Katholizismus verteidigen gegen das Eindringen nationalsozialistischer Ideen. Heiß ist der Kampf entbrannt zwischen Zentrum und Hakenkreuz, - und das ist ja wahr: der triumphierende Sieger des Weltkrieges und der Revolution war niemand anders als der Papst mit den Seinen. Gegen den Willen der katholischen Kirche, daran besteht kein Zweifel, kann der Faschismus bei uns nicht landen. Er wird nicht gegen ihren Willen landen, sondern mit ihrer Hilfe! So wie das erste Beispielfaschistischer Rohheitsdespotie, das Deutschland erlebt hat, die bayrische Kahr-Infamie, von den Klerikalen organisiert und gestützt war, so besteht die ganze Politik der Klerikalen Brüning und Wirth auch jetzt in nichts anderem, als dem Faschismus das Feld zu pflügen. Die Dutzende von Todesandrohungen, die die Faschisten in ihrem Diktaturprogramm loslassen, werden für die Kirchlichen gewiss kein Grund sein, ihnen den Weg zur Macht zu verlegen. In München 1919 war man gegen die Spartakisten auch nicht sentimental, und das katholische Priesterseminar, das preußischer Weißgardisten zur Frömmigkeit junge Arbeiter überqualmte, Georgianum, war gastfrei einem Feldgericht Verfügung gestellt; das ließ in dem Hofe katholischer füsilieren, das der Pulverdampf den Weihrauch Papst Pius XI. hat nach dem Aufruf an die Menschheit zum Kreuzzug gegen den „Kulturbolschewismus“ in Russland (einer etwas plötzlichen erwachten Liebe zu den griechisch Orthodoxen, die vom Vatikan wahrhaftig ärgeren Schimpf und blutigere Unterjochung zu erfahren hatten als vom Kreml) am 31. Dezember die Welt mit einer Enzyklika erfreut, die einem deutlich machte, auf welchen Höhen des Fortschritts wir eigentlich halten.

Der Geist finsterer Pfaffentyrannis fuhr auf uns nieder. Kein Funke sozialer Einsicht, kein Hauch geschichtlichen Denkens, keine Spur des Begreifens einer seelischen Wandlung. Die Frauen werden gezwungen, für ihr Brot hart zu arbeiten und die Päpstlichen in allen Ländern gehören wahrlich nicht zu denen, die ihnen das Leben zu erleichtern suchen. Ihnen darum aber das Recht zuzuerkennen, über ihr Leben und ihren Wandel das eigene Gewissen entscheiden zu lassen, das kommt den Papst nicht in den Sinn. Die zelotischste Sexualmoral wird da in ältesten Gefäßen neu serviert, Ehegesetze aus dem Staub verschütteter Sklavengewölbe vorgezerrt, die den Körper und die Seele lebendiger Menschen zu einem Zweckmechanismus erniedrigen. Die Verfügung der Frauen über den eigenen Leib wird mit besonders heiligem Zorn verdammt. Wir spüren: die Kirche erhebt die Faust, weil sie den Boden schwanken fühlt, auf dem sie steht, den Boden gedanken- und willentötender Autorität. Und wir erkennen, dass sie zur Wahrung der Autorität gegen den Geist ringender Freiheit dieselben Prinzipien bemüht, mit denen der Faschismus die Geister unter seine Faust zwingen will: das reine Magdtum der Frau, die sexuelle Knechtschaft der sanktionierten Ehe, den Gebärzwang.

Die deutsche Politik, geleitet von Päpstlichen, trägt der Verkündigung der Enzyklika begierig Rechnung. Wirth und Severing berufen sämtliche Polizeiminister des Reiches zusammen, um den Frechheiten der Freidenker zu steuern. Angriffe der Kirche gegen die Gottlosen sind selbstverständlich in jeder Form statthaft. Ausstellung, die die fromme Heuchelei, den kirchlichen Aberglauben, die Doppelzüngigkeit der Pfaffen zum Gegenstand haben, werden in Berlin und Leipzig von den sozialdemokratischen Polizeipräsidenten geschlossen. Für die Karwoche werden den Ungläubigen alle Lustbarkeiten verboten. Wollten wir verlangen, den Tag der Verbrennung Giordano Brunos um der gleichberechtigten Freidenker willen zum allgemeinen Trauertag zu erklären, wir kämen wahrscheinlich ins Narrenhaus. Die republikanische Filmzensur, an und für sich eine Gefälligkeit der Noskerepublik gegen die Pfaffen, macht aus devoter Würdelosigkeit des Staates vor der Kirche die albernsten Streiche, wobei die kirchliche Moral zumeist den Vorwand gibt, der faschistischen Schikane Gefälligkeiten zu erweisen. Endlich wird, um die Willfährigkeit gegenüber dem Kulturfaschismus in demonstrativer Herausforderung der Arbeiter und jedes menschlich denkenden Zeitgenossen zu beweisen, die nichtswürdige Schändlichkeit der Stuttgarter Abtreibungsverfolgung in Szene gesetzt. Der päpstliche Ukas erhebt die Sklaverei der Frau und die Erbarmungslosigkeit des Gebärzwanges zum allgemeinen sittlichen Gebot ohne Rücksicht auf soziale Verhältnisse, auf Hygiene, auf das Recht des Menschen über sich selbst. Infolgedessen setzt man eines Tages den ausgezeichneten Kämpfer gegen die Gemeinheit des § 218 Dr. Friedrich Wolf ins Gefängnis, mit ihm die Stuttgarter Ärztin Dr. Jacobowitz-Kienle, angeblich weil sie Frauen in ihrer Not geholfen haben. Aber die Herrschaften wissen gut, dass das zehntausende von Ärzten tun, – in Wahrheit, weil Dr. Wolf als Politiker und als Dichter die kulturelle Unsittlichkeit des ekelhaften Paragraphen bloßstellt und weil Frau Dr. Kienle selbstlos und ohne Entgelt die Stuttgarter Beratungsstelle für Geburtenregelung und Sexualhygiene leitete.

Das ist gut so. Faschismus und Pfaffismus haben sich hier gefunden, wie sie in Wirklichkeit zusammengehören. Der Kampf, den Dr. Wolf und Frau Dr. Kienle auf ihre Schultern genommen haben, muss durchgekämpft werden. Alle Leidenden und Geknechteten müssen ihn aufnehmen als ihren eigenen Kampf. Sie haben die Gesetzesverletzung der beiden Ärzte nicht etwa zu entschuldigen, sie haben sie ausdrücklich zu billigen und ihnen zu sagen: Ihr habt recht gehandelt! Wir danken euch, dass ihr Mütter davor bewahrtet, Kinder das Leben geben zu müssen, denen sie nicht auch die Freude am Leben geben können! Der Fall Wolf-Kienle muss den Arbeitern endlich die Augen darüber öffnen, dass Pfaffentum und Faschismus, Demokratie, Staatsjustiz und Kapitalismus alles nur verschiedene Formen desselben Prinzips sind. Sie alle wollen Frauen zwingen, wider ihren Willen Kinder zu gebären, auch wenn sie zeitlebens zu Hunger und Siechtum verurteilt werden, auch wenn sie ohne Liebe, ja, unter Zwang empfangen sind. Sie brauchen diese Kinder als Sklaven des Kapitals, als Kanonenfutter und als Bazillenträger gläubiger Dummheit. Der Kulturfaschismus hat die Arbeiter herausgefordert. Der Kampf muss angenommen und ausgetragen werden. Soll er gewonnen werden, dann müssen die Proletarier sich losmachen vom Respekt vor Staat, Obrigkeit und Gesetzlichkeit. Die Autorität in ihren widerlichsten Formen ist zu besiegen, die in der Kutte, die im Stahlhelm und die im Talar. Es ist Zeit, dass die revolutionären Kräfte sich zusammenfinden zur Abwehr der Knechtschaft, zur Erkämpfung der Freiheit!

Absage an die Rote Hilfe

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Werte Genossen!

Hierdurch erkläre ich meinen Austritt aus der Roten Hilfe Deutschlands. Entscheidend für diesen Entschluß, der mir nicht leicht fällt, ist die in der „Roten Fahne“ mitgeteilte Tatsache, dass die Rote Hilfe eine eigene Werbeaktion für das Zentralorgan der Kommunistischen Partei vornehmen wolle.

Damit entfällt die letzte Möglichkeit, die RH als eine überparteiliche Organisation anzuerkennen und den Genossen linksrevolutionärer Richtungen mein Verbleiben in der RH als ein Verhalten begreiflich zu machen, das keinerlei Verpflichtungen für eine bestimmte politische Partei in sich schließe.