Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat - Was ist kommunistischer Anarchismus? - Erich Mühsam - E-Book

Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat - Was ist kommunistischer Anarchismus? E-Book

Erich Mühsam

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Beschreibung

Diese Ausgabe von "Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat - Was ist kommunistischer Anarchismus?" wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert.' Aus dem Buch: "Konnte den Inhabern der kapitalistischen Macht ein größerer Gefallen erwiesen werden als durch solche Lehre? Sind sie nicht sittlich gerechtfertigt, wenn die Sozialisten die Weltanschauung, auf der ihr verwünschtes System ruht, zum Sockel der eigenen Welt erwählen? Die Mittel der Zerstörung eines schlecht befundenen Gesellschaftsbaues mögen von seinen Verteidigern in die Hände der Angreifer gezwungen werden, wie der Kampf gegen Bewaffnete kaum anders als mit Waffen geführt werden kann; wer aber zum Bau einer neuen Gesellschaft die Bausteine der gestürzten benutzen will, der wird zugleich dem alten Geist die neuen Einzugstore bauen. Der Sozialismus hat mit dem Kapitalismus keine Gemeinschaft, nicht in der ökonomischen Struktur noch im ideologischen Inhalt. Daß der Sozialismus an die Stelle des Kapitalismus treten soll, hat seinen Grund nicht in der praktischen Logik zweckdienlicher Oekonomie, sondern im moralischen Gewissen der gerechten Denkart. Wir verabscheuen den Hunger der Armen, und zwar um der Gerechtigkeit willen!" Erich Mühsam (1878-1934) war ein anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist.

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Erich Mühsam

Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat - Was ist kommunistischer Anarchismus?

Mühsams letzte Veröffentlichung vor seiner Ermordung

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0048-1

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
I. Das Weltbild des Anarchismus
II. Der Weg des Anarchismus
Literatur-Übersicht

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Im Juli 1931 verbot der Berliner Polizeipräsident, der Sozialdemokrat Grzesinski, die anarchistische Zeitschrift „Fanal“ auf die Dauer von vier Monaten. Das war der Monat der Bankzusammenbrüche; das Finanzkapital war am Ende seiner Künste, die Reichsregierung stoppte den Geldumlauf ab, die gesamte Unternehmerwirtschaft wurde in einem Maße erschüttert, daß die bisher gebräuchlichen politischen Methoden zur Sicherung der kapitalistischen Herrschaft nicht mehr ausreichten; der Weg zur faschistischen Diktatur wurde verbreitert, ausgewalzt und beschritten. Das Massenelend wuchs, mit ihm die Hilflosigkeit der öffentlichen Aemter, und zugleich wuchsen die Ansprüche der Industriellen und Großgrundbesitzer; die Krise wurde mit verschärftem Druck auf die Arbeiter und Erwerbslosen bekämpft, ihre Opfer mit Wahlen, Wahlen und Wahlen beschwichtigt. Die Parteien suchten im Schaden ihrer Anhänger den Nutzen ihrer Führerschaften. Eine neue Regierung, zusammengeholt aus der Erbmasse verkrachter Feudalzeiten, führte Verfassungsstreitigkeiten herauf, die Luft des Bürgerkrieges legte sich drohend auf Deutschland; alle Versuche, Druck und Verzweiflung zu bannen, alle Heilmittel, von Faschisten und Demokraten, Kirchlichen und Rechts- wie Linkssozialisten beschwörend empfohlen, kamen aus der Apotheke der Autorität. Jeder pries seinen Staat, seine Berufung zur Macht, sein autoritäres System.

Der Kampf der anarchistischen Monatsschrift „Fanal“ aber gegen Zentralismus und Obrigkeit, für Freiheit und Erneuerung war unterbrochen. Nur gelegentliche Rundbriefe konnten die Freunde des Blattes verständigen, daß der Schlag, der es nach fast fünf Jahren regelmäßigen Erscheinens getroffen hatte, zwar noch nicht verwunden war, aber doch nicht tödlich gewirkt hatte. In allen diesen Rundschreiben konnte nur flüchtig auf die allgemeine Lage geblickt werden. Im übrigen waren es Bettelbriefe, um die Mittel herbeizuschaffen, die nötig waren, um den Schlafenden nicht sterben zu lassen. Als Beweis dafür jedoch, daß wir „Fanal“ niemals preisgegeben haben und nicht preisgeben wollen, kündigten die Briefe das Erscheinen der Broschüre an, die den Ausfall der Zeitschrift teilweise ausgleichen sollte und die hiermit der Oeffentlichkeit übergeben sei.

Die Schrift erscheint als Sonderheft des „Fanal“, um das Fortbestehen unsres Blattes zu bekunden; sie erhält zugleich den Zuschnitt einer selbständigen Werbeschrift, um ihr über den Kreis der Leser und Freunde des „Fanal“ hinaus Verbreitung zu schaffen. Eine Arbeit, die als Ersatz für eine am Erscheinen verhinderte, dem Tagesgeschehen angepaßte Zeitschrift den Augenblick überdauern möchte, kann sich nur mit der Welt- und Lebensanschauung befassen, welche den Geist der Zeitschrift bestimmt hat und weiter bestimmen soll. Dem Anarchisten war also die Aufgabe gestellt, die Grundzüge seines anarchistischen Lehrgebäudes zu entwerfen. Das habe ich versucht.

Immer wieder hören wir die Frage von Personen, denen die Gedankenwelt des Anarchismus nicht vertraut ist: Was wollt ihr eigentlich? Wie stellt ihr euch eine Gesellschaft ohne Staat und Obrigkeit vor? Liegt nicht in der Bezeichnung „Kommunistischer Anarchismus“ ein innerer Widerspruch? Darauf wollte ich einigermaßen umfassend und in nicht schwer verständlicher Form kurzen Bescheid geben. Den eigenen Genossen wollte ich gleichzeitig ein Bild der anarchistischen Gedankenwelt zeichnen, das jeder nach seiner Neigung ergänzen oder einschränken mag und an dessen Linien er seine Ansichten überprüfen und befestigen kann.

Auf geschichtliche Beweisführung und wissenschaftliche Unterbauung der hier vorgetragenen Gedanken habe ich verzichtet, auch davon abgesehen, ältere anarchistische Schriften zur Stützung und Vergleichung meiner Meinung heranzuziehen. Kein Gedanke wird dadurch richtiger, daß schon ein andrer ihn früher geäußert hat. Auch glaube ich, daß es der Lebendigkeit meiner Beweisführung am zuträglichsten ist, wenn ich sie ausschließlich in meine eigenen Worte fasse. Daher findet sich in der vorliegenden Arbeit kein einziges Zitat, außer dem an die Spitze gestellten Satz Wielands, der, vor 150 Jahren geschrieben, beweisen soll, wie natürlich den besten Geistern aller Zeiten anarchistische Gedankengänge sind.

Wer sich mit den Lehren des Anarchismus schon beschäftigt hat, wird neue Einsichten in dieser Broschüre kaum finden. Höchstens die bisher noch nirgends versuchte Darstellung des Rätewesens als Erfüllung anarchistischer Verwaltungsgrundsätze werde ich als selbständigen Beitrag zur Ideenwelt des freiheitlichen Sozialismus für mich in Anspruch nehmen dürfen. Im übrigen kam es mir auf die übersichtliche Zusammenfassung und die Verdeutlichung der folgerichtigen Einheitlichkeit des ganzen anarchistischen Gedankengebäudes an. Die außerordentlich reiche Literatur des Anarchismus ist eine solche übersichtliche Schrift bisher schuldig geblieben. Sie behandelt jedoch in überaus mannigfaltiger Weise die geschichtlichen, philosophischen, wirtschaftlichen, naturrechtlichen und kämpferischen Sonderfragen unter dem Gesichtspunkt autoritätsfeindlichen Denkens. Die Leser, die sich näher unterrichten wollen, seien daher eindringlich auf die im Anhang dieses Heftes zusammengestellte Literatur-Uebersicht verwiesen.

Berlin-Britz, im November 1932.

Erich Mühsam.

„Nichts von Sultanen, Wesiren, Statthaltern, Kadis, Schatzmeistern, Zollpächtern, Fakiren und Bonzen zu wissen, ist ein Glück, wovon der größte Teil der Menschheit keine Vorstellung hat.“

C. M. Wieland (Geschichte des weisen Danischmend.)

I. Das Weltbild des Anarchismus

Inhaltsverzeichnis

Anarchismus ist die Lehre von der Freiheit als Grundlage der menschlichen Gesellschaft. Anarchie, zu deutsch: ohne Herrschaft, ohne Obrigkeit, ohne Staat, bezeichnet somit den von den Anarchisten erstrebten Zustand der gesellschaftlichen Ordnung, nämlich die Freiheit jedes einzelnen durch die allgemeine Freiheit. In dieser Zielsetzung, in nichts anderm, besteht die Verbundenheit aller Anarchisten untereinander, besteht die grundsätzliche Unterscheidung des Anarchismus von allen andern Gesellschaftslehren und Menschheitsbekenntnissen.

Wer die Freiheit der Persönlichkeit zur Forderung aller Menschengemeinschaften erhebt, und wer umgekehrt die Freiheit der Gesellschaft gleichsetzt mit der Freiheit aller in ihr zur Gemeinschaft verbundenen Menschen, hat das Recht, sich Anarchist zu nennen. Wer dagegen glaubt, die Menschen um der gesellschaftlichen Ordnung willen oder die Gesellschaft um der vermeintlichen Freiheit der Menschen willen unter von außen wirkenden Zwang stellen zu dürfen, hat keinen Anspruch, als Anarchist anerkannt zu werden. Die verschiedenen Ansichten über die Wege, welche die Menschen einzuschlagen haben, um zur Freiheit zu gelangen, über die Mittel, mit denen die der Freiheit widerstrebenden Kräfte zu bekämpfen und zu besiegen sind, über die endlichen Formen und Einrichtungen der freiheitlichen Gesellschaft bilden Meinungsgegensätze zwischen anarchistischen Richtungen innerhalb der gemeinsamen Weltanschauung. Ihre Vergleichung und Abwertung ist nicht Aufgabe dieser Schrift, die sich darauf beschränken will, die Grundsätze des kommunistischen Anarchismus, wie sie der Verfasser und die ihm in Ueberzeugung und Kampf am nächsten stehenden Anarchisten für richtig halten, darzulegen und der Werbung zu empfehlen.

Die wissenschaftliche Ausdeutung des Begriffs Kommunismus kann hier ebenfalls unterbleiben, zumal es den kommunistischen Anarchisten nicht so sehr um eine dogmatische Festlegung der Austausch- und Verbrauchsregelung der von Staat und Kapitalismus befreiten Gesellschaft zu tun ist, als um die Schaffung freiheitlicher Verhältnisse im Sozialismus an Stelle des von den Staatssozialisten, besonders von den Marxisten, angestrebten autoritären, obrigkeitlich geleiteten und zentralistisch verwalteten Sozialismus. Wir verstehen unter Kommunismus die auf Gütergemeinschaft beruhende Gesellschaftsbeziehung, die jedem nach seinen Fähigkeiten zu arbeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen zu verbrauchen erlaubt. In dieser Wirtschaftsform glauben wir die sozialistische Grundforderung der Gleichberechtigung aller Glieder der Gesellschaft sicherer verbürgt als im Kollektivismus oder im Mutualismus, die den Anteil am gemeinsamen Erzeugnis in ein Berechnungsverhältnis zur geleisteten Arbeit setzen wollen. Der freiheitliche Sozialismus läßt diesen verschiedenen Möglichkeiten, die alle ihre Verteidiger unter Anarchisten gefunden haben, genügend Spielraum. Auch darüber können erst die Versuche und Erfahrungen der Zukunft entscheiden, in welchem Umfange etwa die Freiheit der Bedürfnisbefriedigung das Sondereigentum an persönlichen Gebrauchsgütern erfordert. Entschiedene Abgrenzung aber ist geboten gegenüber den nur individualistischen Anarchisten, die in der egoistischen Steigerung und Durchsetzung der Persönlichkeit allein das Mittel zur Verneinung des Staats und der Autorität erblicken und selbst den Sozialismus wie jede allgemeine Gesellschaftsorganisation schon als Unterdrückung des auf sich selbst ruhenden Ich zurückweisen.

Sie schließen die Augen vor der naturgegebenen Tatsache, daß der Mensch ein gesellschaftlich lebendes Wesen ist und die Menschheit eine Gattung, in der jedes Individuum auf die Gesamtheit, die Gesamtheit auf jedes Individuum angewiesen ist. Wir bestreiten die Möglichkeit und auch die Wünschbarkeit des vom Ganzen losgelösten Individuums, dessen vermeintliche Freiheit nichts anderes sein könnte als Vereinsamung, mit der Folge des Untergangs im sozial luftleeren Raum. Wir behaupten: niemand kann frei sein, solange es nicht alle sind. Die Freiheit aller aber und damit die Freiheit eines jeden setzt voraus die Gemeinschaft im Sozialismus.

Sozialismus ist, wirtschaftlich gesehen, die klassenlose Gesellschaft, in welcher der Grund und Boden sowie alle Produktionsmittel der privaten Verfügung entzogen sind, somit weder Grundrente noch Unternehmerprofit noch auch die Abgeltung vermieteter Arbeitskraft durch Lohn oder Gehalt die schaffenden Hände und Hirne um den Ertrag ihrer Mühen berauben können. An der Stelle der privaten oder staatlichen Ausbeutung steht die planmäßige gemeinsame Bewirtschaftung des Gemeineigentums, an der Stelle der bevorrechtigten Minderheit der Besitzenden jedes Landes die zum Volk geeinte Gesamtheit in allen Ländern.

Sozialismus ist über die wirtschaftliche Begriffsdeutung hinaus ein sittlicher Zustand und ein geistiger Wert. Denn er bedeutet nicht nur vernünftige Regelung von Arbeit, Verteilung und Verbrauch und dadurch Sättigung und Befriedigung aller natürlichen Bedürfnisse des materiellen Lebens für alle; er bedeutet auch Erfüllung derjenigen sittlichen Forderung, deren Mißachtung die Menschen schwerer beleidigt und bei der Gewöhnung tiefer herabwürdigt als Hunger und jede andere leibliche Entbehrung: der Forderung der Gleichberechtigung. Not, Elend jeder Art, die Last höchster Anstrengung unter trübsten Verhältnissen ist zu ertragen, wenn die Last unter allen gleich verteilt ist, wenn im lebendigen Gemeinschaftsgedanken das Leid des einzelnen mit dem allgemeinen Leide verschmilzt und somit auch der Wille, die Ursachen des Unglücks zu beseitigen, aus dem Gefühl der Verbundenheit aller mit allen erwächst. Nicht zu ertragen jedoch ist oder sollte wenigstens sein die Not, die der Ausdruck ungerechter Zustände ist. Eine Gesellschaft, die Kinder Mangel leiden läßt, die der Mehrzahl der Menschen in der Entwicklung, in der Blüte des Lebens und im Alter das genügende Sonnenlicht, die reine Luft zum Atmen, gesunde Ernährung, Erholung, Reinlichkeit, Pflege des Körpers und Ausweitung des Geistes vorenthält, um einer Minderheit Reichtum und Macht zu gewährleisten; eine Gesellschaft, in welcher die entbehrungsvolle Arbeitsüberbürdung der einen den mühelosen Wohlstand der andern schafft; eine Gesellschaft, die nicht imstande ist, allen arbeitsfähigen und nach Arbeit begehrenden Menschen selbst bei kümmerlichster Entlöhnung Arbeit zu geben, und die den noch beschäftigten Ausgebeuteten die ganze Last der Erhaltung der Erwerbslosen mitsamt der Last fast der ganzen Kosten des der Aufrechterhaltung dieses Irrsinns dienenden Verwaltungsapparates aufpackt, zu dem einzigen Zweck, die soziale Ungleichheit zugunsten der Nutznießer des kapitalistischen Wirtschaftsverfahrens zu verewigen; kurz eine Gesellschaft wie die, in welcher wir leben, kann nicht durch bloße Veränderung ihres materiellen Gefüges in eine sozialistische verwandelt werden. Die Marxisten irren in der Annahme, die geistigen und sittlichen Eigenschaften der Menschen erständen mechanisch aus den Produktionsformen der Wirtschaft, die religiösen, rechtlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisse einer Zeit seien nichts als der ideologische Ueberbau der materialistischen Gegebenheiten. Hier findet ununterbrochene, in der Reihenfolge nicht unterscheidbare Wechselwirkung statt. Der Kapitalismus brauchte ebensowohl geistige wie materielle Voraussetzungen, um die Herrschaft über die Völker anzutreten; er mußte den Geist der ihm hörig gemachten Menschen durch sorgfältigen Einfluß auf Erziehung und Bildung willfährig halten, das Unrecht von Ausbeutung und Ungleichheit als schicksalhafte Unabänderlichkeit zu ertragen. So bedarf auch der Sozialismus geistiger Vorbereitung zur Verwirklichung und der Rechtfertigung nicht allein aus seinen materiellen Vorteilen für die Mehrzahl der Menschen, sondern aus seinem geistigen Gehalt. Diese Rechtfertigung ist aber nur möglich, wenn der Sozialismus, über seine Eignung, geistige Werte zu entwickeln hinaus, selbst als geistiger Wert erwiesen und erkannt wird. Die Erneuerung der wirtschaftlichen Beziehungen im Sozialismus kann im Sinne der Gleichberechtigung aller nur wirksam werden bei gleichzeitiger Erneuerung der geistigen Beziehungen zwischen den Menschen, wie nur erneuerte geistige Beziehungen imstande sind, im Wirtschaftlichen aus dem Individualismus der Ungleichheit den Sozialismus der Verbundenheit zu schaffen.

Indem also der kommunistische Anarchismus mit alten sozialistischen Lehren einig geht in der Zielsetzung der wirtschaftlichen Gleichheit als Grundlage des Verkehrs der Menschen untereinander, betrachtet er diese gesellschaftliche Umgestaltung im Gegensatz zu den nur materialistisch gerichteten Lehren des Marxismus nicht als einzigen Inhalt seines Strebens, sondern als eine der unerläßlichen Bedingungen für die durchgreifende und alle Lebensbeziehungen erfassende Neuschaffung der Gesellschaft überhaupt. Der Begriff der Gleichheit möge nicht in der Bedeutung von Gleichmacherei verstanden werden. Im Gegenteil ist die Forderung der Gleichheit nichts anderes als die Forderung: Gleiches Recht für alle! Das heißt: gleiche Bedingungen für einen jeden, seine Anlagen zu ihren günstigsten Möglichkeiten zu entwickeln. Wirtschaftliche Gleichheit besagt soviel wie Ausschaltung aller aus widrigen Umständen, zumal aus Mangel, erwachsenen Störungen, die die Entfaltung der Individualität in ihrer Verschiedenheit von allen anderen Individualitäten behindern. Gleichheit, als Gleichberechtigung verstanden, unterbindet nicht, sondern ermöglicht erst das Wachstum der Persönlichkeit. Während die kapitalistische Gesellschaft das Kind des Reichen in seidene Steckkissen legt, es bei gewähltester Körper- und Geistespflege aufzieht, ihm hohe Wissensbildung zuführt und, ohne Unterschied der Begabung und des Charakters, ihm die Berufe der Herrschenden erschließt; während sie, ebenfalls ohne Unterschied der Begabung und des Charakters, das Kind des Ammen in trüben Wohnlöchern, bei wenig Licht und schlechter Luft, in trauriger, gequälter Umgebung von früh an den Einflüssen und Eindrücken des Elends preisgibt, ihm den Unterricht versagt, der den Zwecken der Mächtigen Abbruch tun könnte, es zur Knechtsgesinnung erzieht und zur persönlichkeitstötenden Arbeit zwingt, – gewährt die Gleichheit des Sozialismus jedem Kinde Licht, Luft, Lust und Raum zum Gedeihen aller Keime, die aus Natur und Bewußtsein einen Menschen in seiner Besonderheit und in seiner Verbundenheit mit seinen Zeit-, Schicksals- und Artgenossen werden läßt. Der Kapitalismus treibt demnach ödeste Gleichmacherei in zweierlei Art, solche, die für die besitzende Klasse und solche, die für die ausgebeutete Klasse gilt; der klassenlose Sozialismus hingegen schafft für alle Menschen die Gleichheit der Voraussetzungen, auf denen jede Persönlichkeit in der vollen Mannigfaltigkeit ihrer einmaligen Wesenheit, aber in harmonischer Zusammengehörigkeit mit dem gesellschaftlichen Ganzen nach ihren Fähigkeiten Werte schafft, nach ihrem Bedürfnis an der Benutzung des Allgemeinguts teilnimmt.

Erst wenn auf solche Weise der Grundsatz der Gleichheit geistigen Sinn und sittliche Erhöhung erfährt, ist er nach anarchistischer Auffassung sozialistisch gerechtfertigt. Nicht auf den Ausgleich ins Wanken geratener äußerlicher Verhältnisse zwischen den Menschen kommt es an, sondern darauf, daß dieser Ausgleich aus innerlicher Notwendigkeit unternommen wird; und nicht die Ungleichheit an sich in hinlänglicher Anlaß Gleichheit zu schaffen, sondern die Ungerechtigkeit, die in der Ungleichheit zutage tritt. Gäbe es nur materielle Erwägungen, um über die Fragen des sozialen Lebens zu entscheiden, wäre die Moral in der Tat nur die ideologische Einkleidung handfester Nutzensberechnungen, dann müßte man sich mit den Kapitalisten auf die waghalsigsten Auseinandersetzungen über die Zweckmäßigkeit ihres Systems einlassen. Der Hinweis auf Hunger leidende Kinder und auf alle übrigen Erscheinungen der Verelendung und Verwahrlosung der werktätigen Klasse könnte ja gar nicht von der Notwendigkeit überzeugen, daß ihre Ursachen abgestellt werden müssen, wenn die Produktionsweise wirklich überall und immer Ausgangspunkt des menschlichen Denkens, Wollens und Bewußtseins wäre. Die Produktionsweise der Gegenwart ist kapitalistisch. Daß sich im materiellen Dasein hieraus für Kapitalisten wie Proletarier ein bestimmtes Verhalten ergibt, versteht sich von selbst. Die marxistische Formel jedoch: das Sein bestimmt das Bewußtsein, bei der das Sein ausdrücklich als ökonomischer Zustand gekennzeichnet ist, ist höchst bestreitbar. Das Bewußtsein des Menschen wird außer von materiellen Werten noch von vielerlei Eindrücken bestimmt und empfängt aus seelischen Bewegkräften manchmal selbst da noch die stärkste Anregung, wo sich die Anteilnahme auf kapitalistische Tatsachen bezieht. Richtig ist, daß die Verhältnisse das Verhalten bestimmen, wobei keineswegs nur ökonomische Verhältnisse in Frage kommen, es können auch aus dem Charakter, der geistigen Besonderheit, der Bindung an andere Personen, dem Klima, dem kosmischen Geschehen entquellende Verhältnisse sein, und wobei das Verhalten ganz unabhängig von allen Produktionsformen von ursprünglichen moralischen Empfindungen angetrieben werden kann.

Der Kapitalismus freilich ist in all seiner Wirksamkeit auf nur materialistische Denkweise angewiesen. Er kann der logischen Erwägung, daß im Elend lebende und vom Genuß der gesellschaftlichen Güter in weitem Maße ausgeschlossene Volksschichten eine Schädigung des sozialen Wohlstandes bedeuten, ihre Züchtung daher materiell unzweckmäßig sei, seine Logik entgegenstellen, wonach die Ansammlung der Besitzgüter in den Händen einer geringen Zahl von Großverbrauchern die nützlichste Verwendung der benötigten Arbeitskräfte erlaube, wobei als Gradmesser der Nützlichkeit natürlich die aller moralischen Einschätzung entrückten und auf Machtverhältnisse gestützten materiellen Bedürfnisse der Kapitalisten gelten. Mit der Logik allein und gar mit der wissenschaftlich aufgepolsterten Lehre vom historischen Materialismus