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Die Scherben der Ampelkoalition: Ein Ende mit Schrecken Desaster statt D-Day-Triumph: Christian Lindner und die Selbstzerstörung der FDP Leitkultur-Wolf Merz: Rechtsdrall im Land? Matzigs Hinweise zum Hochwasserschutz Rehlingers Regierungserklärung zu Starkregenprävention Wie Hochwasserschutz real funktioniert Kultur und Kunst Buchbesprechung: Thomas Meyers Biografie zu Hannah Arendt
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Seitenzahl: 159
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Herzlich willkommen zu Polygon3, liebe Leserinnen und Leser,
die Ampelregierung ist Geschichte. Überraschend kommt dies nicht. Eigentlich hatten wir vor Monaten schon damit gerechnet, dass Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Europawahl gestürzt wird (siehe Polygon2). Es hat dann doch noch ein quälendes halbes Jahr länger gedauert, in der die FDP innerkoalitionär Krieg gegen die eigene Regierung geführt hat. Das hat es zwar ansatzweise schon früher gegeben. Aber dass dies strategisch als »Feldschlacht« mit »D-Day« inszeniert wird, wie Christian Lindners illoyale Liberale dies getan haben, überrascht dann doch. Und plötzlich warf Scholz mit deutlichen Worten Lindner und Kollegen raus. Das war insgesamt sehr unvorteilhaft für die Ampel und für die Demokratie. Leider hat die immer weiter nach rechtsextrem tendierende AfD auch dadurch weiteren Zulauf bekommen. Unsere Hoffnung aus Polygon1, dass auch die Bürger vernünftig werden, die ihren Protest ausdrückenwollen, hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil.
Ein weiterer Schwerpunkt wird das Thema Hochwasser- und Starkregenprävention sein, das allenthalben unterschätzt wird. Kultur gibt natürlich auch – wie immer.
Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen Ihr Armin König, Herausgeber
Die Scherben der Ampelkoalition: Ein Ende mit Schrecken
Desaster statt D-Day-Triumph: Christian Lindner und die Selbstzerstörung der FDP
Leitkultur-Wolf Merz: Rechtsdrall im Land?
Matzigs Hinweise zum Hochwasserschutz
Rehlingers Regierungserklärung zu Starkregenprävention
Wie Hochwasserschutz real funktioniert
Kultur und Kunst
Inhaltsverzeichnis
Absturz unter der Norman-Foster-Kuppel der Polit-Manege: Ampel-Ende mit Schrecken und Knalleffekt
Rückblick auf das Scheitern der Regierung und die Folgen für Deutschland
Tiefpunkt in der deutschen Politik
FDP: Innerkoalitionäre Sabotage
Die Rolle der Merz-Opposition im Bundestag
Das Kreuz mit dem Kreuz und dem C
Die großen Fortschritts-Versprechen und ihr Scheitern
Die letzten Monate der Ampelregierung
Literatur
Verlorene Jahre in Deutschland Das Ampel-Drama ist nun vorbei Notwendiger Befreiungsschlag
Literatur
Hochwasserprävention in einer Ära der Extreme
Eine integrative Herangehensweise an Hochwasserprävention
Die Schwammstadt als Symbol eines Paradigmenwechsels
Verantwortung und Zukunft
Gerhard Matzig Nach dem Hochwasser ist vor der Dürre
Für eine Abkehr von immer mehr Siedlungsraum und Asphalt an immer falscheren Orten
Die Politik ist nicht allein verantwortlich
Architektur und Städtebau müssen umgebaut werden
Wer das Saarland liebt, der muss das Klima schützen - Wir werden mehr machen müssen
Plädoyer für zukunftweisende Lösungen nach den Hochwasserkatastrophen
Hochwasserprävention in einer Ära der Extreme
Flächenfraß stoppen – Entsiegelung vorantreiben
Natürliche Wasserrückhaltung statt technischer Fixierung
Gewässerunterhaltung – Eine kommunale Pflicht, die oft vernachlässigt wird
Biber, Bürgerbeteiligung und »Strong Democracy«
Radikale Wende in der Siedlungspolitik
Erkenntnisse aus dem lokalen Best-Practice-Projekt
Wir brauchen den Paradigmenwechsel
Literatur
Ahrtal und NRW Eine Chronologie der Ereignisse: Hochwasser in Rheinland-Pfalz 2021 Katastrophen-Szenario
Langfristige Folgen und Lehren
Chronologie der Ereignisse: Hochwasser in Nordrhein-Westfalen 2021
Starkregen und Hochwasser im Saarland und Rheinland-Pfalz im Mai 2024 Einleitung: Ein Extremereignis im Klimawandel
Abschnitt 1: Wetterlage und meteorologische Dynamik
1.1 Großwetterlage und Dynamik des Tiefs
1.2 Intensität und zeitliche Verteilung des Niederschlags
Abschnitt 2: Chronologie des Ereignisses
2.1 Die Entwicklung am 16. Mai 2024
2.2 Der Höhepunkt am 17. Mai 2024
2.3 Die Entspannung am 18. Mai 2024
Abschnitt 3: Schäden und gesellschaftliche Folgen
3.1 Schäden an Infrastruktur und Privatbesitz
3.2 Humanitäre Aspekte
Abschnitt 4: Klima-Einordnung
4.1 Vergleich mit historischen Ereignissen
4.2 Der Einfluss des Klimawandels
Abschnitt 5: Schlussfolgerungen und Empfehlungen
5.1 Notwendigkeit der Prävention
5.2 Gesellschaftliche Verantwortung
Culture matters – Kultur spielt viele Rollen
Drama, Dilemma & Desaster: Elend, Glanz & Chance des Nonprofitablen - Und sie lebt doch in vielfältigen Facetten: gesellschaftlich, politisch, ästhetisch, ökonomisch
Kunst und Kultur – Zur Ökonomie symbolischer Güter
Facetten der Kultur
Sinneserfahrung als Grundlage kultureller Praxis
Erkenntnisse aus Pierre Bourdieus „Kunst und Kultur – Zur Ökonomie symbolischer Güter“
Luhmanns Perspektive: Kultur als Kommunikationsprogramm
Kultur als Traumreich und Hölle
Pandemie und Kultur-Verachtung
Die Schließung von Theatern und Kultureinrichtungen als Banausentum der Politik
Die Lage der Soloselbständigen und der Kulturschaffenden
Was bleibt? Eine beschädigte Kulturlandschaft
Fazit
Literatur
Das politische Buch
Ein Meilenstein der Hannah-Arendt-Forschung, aber kein Referenzwerk
Thomas Meyers Biografie hat Stärken und Schwächen
Wie andere Kritiker*innen urteilen FAS/FAZ plus
taz
Der Spiegel
Zeit Literatur
Süddeutsche Zeitung
Münchner Merkur
Neue Zürcher Zeitung
Impressum
Die Ampelregierung ist Geschichte. Überraschend kommt das vorzeitige Ende dieser komplizierten und schließlich zerstrittenen, handlungsunfähigen Koalition nicht. Eigentlich hatten viele vor Monaten schon damit gerechnet, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach der Europawahl gestürzt wird (siehe Polygon2)1.
Es hat dann doch noch ein quälendes halbes Jahr länger gedauert, in der die FDP innerkoalitionär Krieg gegen die eigene Regierung geführt hat. In den Medien wurde dies »Opposition gegen die eigene Regierung«2 genannt, also gegen sich selbst.
Das hat es zwar ansatzweise schon früher gegeben, dass Kabinettsmitglieder sich bekämpft haben, etwa in der christlichliberalen Regierung Merkel im Jahr 2010. FDP-Minister Daniel Bahr hatte die CSU als »Wildsau« bezeichnet. Daraufhin hatte der damalige CSU-Generalsekretär Dobrindt die Liberalen »Gurkentruppe«.3
Aber dass Streit in einer Bundesregierung strategisch als »Feldschlacht« mit »D-Day«4 inszeniert und letztlich auch exekutiert wird, wie Christian Lindners illoyale Liberale dies getan haben, überrascht dann doch. Ein solch offenkundiger Fall von Sabotage in der Bundesregierung musste Konsequenzen haben für die »Saure Gurkentruppe« (FR). So kam dann auch.
Nachdem im Kanzleramt ruchbar wurde, dass die FDP-Kampftruppe das Platzen der Koalition durch Provokation plante, warf Scholz am 6. November 2024 Bundesfinanzminister Christian Lindner mit scharfen Worten raus aus der Regierung.
In seinem Fernsehstatement sagte der Bundeskanzler am Abend des 6. November 2024, er habe den Bundespräsidenten um die Entlassung des Bundesministers der Finanzen, Christian Lindner, gebeten5:
»Ich sehe mich zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden. Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung, die die Kraft hat, die nötigen Entscheidungen für unser Land zu treffen. Darum ging es mir in den vergangenen drei Jahren. Darum geht es mir jetzt.
Ich habe dem Koalitionspartner von der FDP heute Mittag noch einmal ein umfassendes Angebot vorgelegt, mit dem wir die Lücke im Bundeshaushalt schließen können, ohne unser Land ins Chaos zu stürzen, ein Angebot zur Stärkung Deutschlands in schwieriger Zeit, ein Angebot, das auch Vorschläge der FDP aufgreift, das aber zugleich deutlich macht: Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen, brauchen wir größeren finanziellen Spielraum.
Mein Angebot umfasste vier Kernpunkte:
Erstens. Wir sorgen für bezahlbare Energiekosten und deckeln die Netzentgelte für unsere Unternehmen. Das stärkt den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Zweitens. Wir schnüren ein Paket, das Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und bei den vielen Zuliefererbetrieben sichert.
Drittens. Wir führen eine Investitionsprämie ein und verbessern noch einmal die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, damit Unternehmen jetzt in den Standort Deutschland investieren.
Viertens. Wir erhöhen unsere Unterstützung für die Ukraine, die einem schweren Winter entgegengeht. Nach der Wahl in den USA sendet das ein ganz wichtiges Signal: Auf uns ist Verlass.
Ich muss jedoch abermals feststellen: Der Bundesfinanzminister zeigt keinerlei Bereitschaft, dieses Angebot zum Wohle unseres Landes in der Bundesregierung umzusetzen. Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.«
Das schlug ein wie eine Bombe. Millionen verfolgten am Bildschirm, wie Scholz Lindner nach allen Regeln der Arbeitgeberkunst abqualifizierte. Das Arbeitszeugnis des entlassenen Bundesfinanzministers war miserabel. Zu Buche standen:
Vertrauensmissbrauch,
sachfremdes Blockieren von Gesetzen,
einseitige Aufkündigung einer bereits beschlossenen Einigung zum Bundeshaushalt,
Egoismus,
Kompromissverweigerung,
verantwortungsloses Handeln,
in die Büsche schlagen, wenn es schwierig wird.
Das hatte es in der Bundesrepublik Deutschland so noch nicht gegeben. Wörtlich sagte Scholz dazu:
»Wer sich in einer solchen Lage einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden. Immer wieder habe ich in den vergangenen drei Jahren Vorschläge gemacht, wie eine Koalition aus drei unterschiedlichen Parteien zu guten Kompromissen kommen kann. Das war oft schwer. Das ging mitunter hart an die Grenze auch meiner politischen Überzeugung. Aber es ist meine Pflicht als Bundeskanzler, auf pragmatische Lösungen zum Wohle des ganzen Landes zu drängen.
Zu oft wurden die nötigen Kompromisse übertönt durch öffentlich inszenierten Streit und laute ideologische Forderungen. Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen. Sogar die Einigung auf den Haushalt hat er einseitig wieder aufgekündigt, nachdem wir uns in langen Verhandlungen bereits darauf verständigt hatten. Es gibt keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.
Wer in eine Regierung eintritt, der muss seriös und verantwortungsvoll handeln; der darf sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es schwierig wird; der muss zu Kompromissen im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger bereit sein. Darum aber geht es Christian Lindner gerade nicht. Ihm geht es um die eigene Klientel, ihm geht es um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei. Gerade heute, einen Tag nach einem so wichtigen Ereignis wie den Wahlen in Amerika, ist solcher Egoismus vollkommen unverständlich.«
Mit diesem Rauswurf Lindners war das Ende der Ampelregierung besiegelt. Der Geschasste wirkte geschockt. Diese Art des Rauswurfs hatte ihn überrumpelt. Das Ende der Regierung hatten er und die FDP anders geplant. Sie wollten die Akteure sein, nicht die Getriebenen oder Opfer. Die FDP-Minister und -Staatssekretäre dankten nach der Entlassung ihres Vorsitzenden ab. Bundesverkehrs- und -Digitalminister Volker Wissing blieb als einziges bisheriges FDP-Kabinettsmitglied in der Regierung. Der Verkehrsminister verließ allerdings seine Partei, um noch ein paar Wochen geschäftsführend im Amt bleiben zu dürfen. Das Echo für die FDP und ihren Chef war verheerend: So musste Lindner u.a. den scharfen Kommentar seines ehemaligen Wahlkampfberaters Christian Labonté ertragen: Labonté sagte zum Stern:
»Christian Lindner ist vom Steve Jobs des Liberalismus zur schwäbischen Hausfrau geschrumpft, die ganz kleinlich aufs Geld schaut, aber sich nicht einmal traut, ihrem Ehemann zu sagen, dass er auf der Autobahn mal ein bisschen langsamer fahren soll.«6
Das Geschehen rund um den Lindner-Rauswurf, die D-Day-Enthüllungen und das brutale Ende der rot-gelb-grünen Bundesregierung waren insgesamt sehr negativ für die Ampel – aber auch für die Demokratie und damit auch für Deutschland. Parteien insgesamt bekamen den Frust der Bevölkerung zu spüren, nicht nur Olaf Scholz, Christian Lindner, Robert Habeck und die gescheiterte Bundesregierung.
So hat infratest-dimap die Zufriedenheit mit der Ampelregierung dokumentiert.
Auch im Edelman-Trust-Data-Dashboard ist der massive Vertrauensverlust der Bundesregierung von 2021 bis 2024 offensichtlich.
Der ohnehin schon niedrige Vertrauensindex 2023 ist 2024 weiter gesunken - von 46 auf 45. Deutschland steht damit in der tiefroten Abstiegszone der entwickelten Länder. Quelle: Edelman Trust Report 2024.
In Deutschland sei das Vertrauen in die Institutionen aus dem Gleichgewicht geraten, schreibt Edelman. Die Abstürze in Sachen Kompetenz und Ethik sind fatal.
6. Zufriedenheit mit der Demokratie
Im neuesten Eurobarometer (November 2024) fällt die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland auf den niedrigsten Wert seit 2005/2006.
Das Vertrauen in die Politik ist weiter gesunken, was sich auch empirisch nachweisen lässt. Im Trust-Index hat Deutschland sehr schlechte Werte.
Die Europawahl hat dies untermauert. Die wichtigsten Trends werden sowohl von der Forschungsgruppe Wahlen als auch vom Edelman-Trust-Report eindrucksvoll bestätigt: massiver Vertrauensverlust der Bundesregierung von 2021 bis 2024 in den tiefroten Bereich (Misstrauen statt Vertrauen), der ohnehin schon niedrige Vertrauensindex 2023 ist 2024 weiter gesunken – von 46 auf 45. Deutschland steht damit in der Abstiegszone der entwickelten Länder. In Deutschland sei das Vertrauen in die Institutionen aus dem Gleichgewicht geraten, schreibt Edelman. Die Abstürze in Sachen Kompetenz und Ethik sind fatal.7 Im neuesten Eurobarometer (November 2024) fällt die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland auf den niedrigsten Wert seit 2005/2006.8
Die Wählerinnen und Wähler in Deutschland haben den Eindruck, dass die Politikerinnen und Politiker ihre Interessen nicht mehr angemessen vertreten. 71% antworteten in einer Körber-Studie mit Ja auf die Aussage: »Die führenden Leute in Politik und Medien leben in ihrer eigenen Welt, aus der sie auf den Rest der Bevölkerung hinabsehen.« Gegenüber Sommer 2020 war dies eine Steigerung um 15 Prozentpunkte. Das ist ein schwerer Rückschlag für die Institutionen und zeigt auch politisch Folgen.
Erwartungsgemäß hat die immer weiter nach rechtsextrem tendierende AfD durch die chaotische Regierungsweise der Ampel weiteren Zulauf bekommen.
Vertrauensverlust durch führende Personen laut Körber-Studie.
Inflation, Einwanderung und Wirtschaftslage als wichtigste Fokusthemen in Deutschland. Eurobarometer Herbst 2024.
Die Hoffnung aus Polygon1, dass auch die Bürger vernünftig werden, die auf Protest setzen, hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil. Das ist ein hausgemachtes Problem der deutschen Politik.
Das Ende der Ampelkoalition markiert einen historischen Tiefpunkt in der deutschen Politik. So schlecht wurde noch keine Regierung beurteilt. So rabiat hat noch kein Bundeskanzler den Chef einer Koalitionspartei entlassen, wobei dies durchweg als schlüssig, konsequent und notwendig gesehen wird.
Das waren allerdings Hammerschläge. Und sie haben tiefe Risse ins Fundament des demokratischen Parteienstaates geschlagen. Der Vertrauensverlust ist eklatant. Da muss viel repariert werden. Wenn sich das Misstrauen gegenüber führenden Menschen in der Politik um 15 Prozentpunkte innerhalb von nur drei Jahren erhöht, dann ist dies ein Alarmzeichen: Die deutsche Demokratie zeigt deutliche Zeichen der Erosion. Stabilität und die Machtbalance sind verlorengegangen. Erstaunlicherweise zeigen die empirischen Daten des Eurobarometers, des Edelman-Trust-Reports und der Körber-Stiftung allesamt so deutliche Veränderungen ins Negative, wie sie in tatsächlichen Wahlergebnissen bisher nur bei Landtagswahlen ihren Niederschlag fanden. Die beliebten Sonntagsfrage-Umfragen sind weit entfernt von solchen Verschiebungen in der politischen Präferenz. Dies kann allerdings sehr schnell virulent werden.
Medien verweisen auf die fehlende Regierungserfahrung von Grünen und FDP und die offenkundig falschen Erwartungen der Ampelpartner während der Koalitionsverhandlungen und nach deren Abschluss. Ein wesentlicher Faktor ist aber auch die Art der Führung durch Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen. Ihm wird in vielen Presseartikeln Führungsschwäche vorgeworfen. Er hätte viel früher die Blockierer der FDP zurechtweisen oder rauswerfen müssen. Stattdessen hat er zur falschen Zeit Finanzminister Lindner gegen jede Vernunft gegenüber den Grünen den Rücken gestärkt, statt den FDP-Chef in die Schranken zu weisen. Aber das ist Schnee von gestern.
So endete die einst vielversprechende Zusammenarbeit zwischen SPD, Grünen und FDP, die einst als mutiges Zukunftsprojekt gestartet war, in einem regelrechten Fiasko aus Konflikten, Schuldzuweisungen und Aggressionen.
Die Schuldigen waren die Freien Demokraten unter Christian Lindner und den Getreuen, die er um sich geschart hat: Die FDP praktizierte monatelang innerkoalitionäre Sabotage und legte den Regierungsapparat lahm. Diese Art von Politik war in hohem Maße unverantwortlich gegenüber Wählerinnen und Wählern, der Republik, der Wirtschaft und den Institutionen.
Wer politisch in einem hohen Amt so unverantwortlich handelt, darf normalerweise eine zwangsweise eine Auszeit außerhalb des Parlaments nehmen. Offenkundig, da hat Olaf Scholz Recht, fehlte es führenden Politikern der FDP von Christian Lindner über Justizminister Marco Buschmann bis hin zum ewigen Störenfried Wolfgang Kubicki an demokratischer Reife, Verantwortungsbewusstsein, demokratischem Anstand und Kompromissbereitschaft. Gleichzeitig offenbarten Lindner und Getreuen ein erstaunliches Maß an Chuzpe und Größenwahn.
Wenn es einen Koalitionsvertrag für vier Jahre gibt, dann ist er während der gesamten Laufzeit bindend. Pacta sunt servanda. Wenn sich die äußere Bedingungen ändern, verliert ja üblicherweise nicht der gesamte Vertrag seine Gültigkeit. So sehen es die salvatorischen Klauseln üblicherweise vor. Man muss sich dann, was auch in Koalitionsrunden und im Kabinett erfolgt ist, an einen Tisch setzen und gemeinsame Lösungen finden. Angesichts der 144 Seiten Koalitionsvertrag hätte es genügend Gemeinsamkeiten gegeben, wenn man auf Seiten der FDP denn noch gewollt hätte.
Die ums Überleben bangende FDP war aber seit Ende 2023 offenkundig nicht mehr an Kompromissen interessiert. So jedenfalls hatte es für politische Beobachter wie Journalisten und Wissenschaftler den Eindruck. Plötzlich waren die Freien Demokraten wieder vom Umfaller-Virus befallen - als »freie Radikale« im Berliner Politikbetrieb. Das scheint bei der FDP eine schwer therapierbare Krankheit zu sein.
Die Lichtkuppel des Deutschen Bundestags von Norman Foster. Foto: König
Politik ist mehr als nur Regierungs- und Koalitionspolitik. Je intensiver die Oppositionspolitik, je stärker der Kontrapunkt, desto mehr sind die Regierenden gefordert.
Friedrich Merz hat nach der verlorenen Bundestagswahl die CDU als Oppositionsführer neu ausgerichtet und erfolgreich Fraktion und Partei hinter sich versammelt. Dies gelang ihm durch eine klare Positionierung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als scharfer Gegenpol zur Ampelregierung. Seine Strategie war es, trotz langer Unionsregierungszeit eine konsequente Oppositionspolitik zu exekutieren, die keine Rücksicht auf Sentimentalitäten ehemaliger Ministerinnen und Minister und auf politische Höflichkeiten nahm und insbesondere Schwächen und angebliche Fehlentscheidungen der Scholz-Regierung gnadenlos offenlegte. Das war angesichts der Konflikte in der Ampel nicht einmal schwer. Kompromisse mit der Regierung ging Merz nur in extremen Ausnahmesituationen ein. Stattdessen setzte er auf zugespitzte Kontroverse.
Merz nahm auch keinerlei Rücksichten auf Versäumnisse und Fehler der Union in der langen Regierungszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Attacken und Verweise der Koalition und der Medien auf vergangene Fehler ließ er an sich abprallen. Er ging soweit, Merkel und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus der politischen Mitte der eigenen Partei haftbar zu machen für die schlechte Stimmung der Wirtschaft, den fehlenden Reformwillen, die Veränderungsmüdigkeit und den Abstieg des einstigen Europameisters Deutschland ins Mittelmaß.9 Merz handelte wie ein neuer Konzern-Vorstand, der die Arbeit seines Vorgängers oder seiner Vorgängerin systematisch schlechtredet, um selbst als Retter zu erscheinen. Politik ist ein gnadenloses Geschäft, bei dem es um Macht und Geld geht. The Winner Takes It All. Niederlagen sind vernichtend.
Diese Härte zahlte sich insofern aus, als die CDU als einzige demokratische Alternative zur Ampel wahrgenommen wurde – auch wenn Merz damit nicht nur Freunde gewann.
Ein entscheidender Faktor für seine Konsolidierung der Partei war die (verbale) Fokussierung auf konservative Werte, die es so nicht einmal unter Helmut Kohl gegeben hatte, der zwar nach einer angeblichen »geistig-moralische[n] Krise« eine »geistig-politische Wende« versprochen hatte, dieses Versprechen aber nie eingelöst hat.10
Ganz anders Friedrich Merz: Er ist der Mit-Erfinder der »deutschen Leitkultur« als Kampfparole.11
Er profilierte sich damals als Gegner eines »Einwanderungslandes Deutschland«. De facto hatte das ab 2005 geltende Zuwanderungsgesetz der rot-grünen Regierung Schröder den Zuwanderungsstopp aus dem Jahr 1972 beendet.
Für die CDU/CSU-Opposition waren sowohl die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts (Januar 2000) mit der doppelten Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Ausländerkinder als auch das neue Zuwanderungsrecht Teufelszeug. Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, dass die CDU-Ministerpräsidenten am 22. März 2002 im Bundesrat unter Anführung des beinharten hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und des saarländischen Ministerpräsidenten und späteren Bundesverfassungsrichters Peter Müller ein geradezu faustisches Theater-Spektakel12 gegen eben dieses Zuwanderungsgesetz aufführten, »Verfassungsbruch« riefen und eine Empörungslawine13 lostraten, mit der sie öffentliche Wirkung (Colère public politique14) erzielen und eine Reform sabotieren und verhindern wollten. Im Deutschen Bundestag war es Friedrich Merz, der als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Paradigmenwechsel im Zuwanderungsrecht vehement ablehnte. Merz sagte in der leidenschaftlichen Debatte am 1. März 2002 laut Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags:
»Hier geht es um einen Paradigmenwechsel bei der Einwanderung und der Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland. Es geht darum, dass eines der großen Projekte – insbesondere der grünen Partei – im Wahljahr realisiert wird, nämlich der Wechsel hin zu einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft. Dies lehnen wir ab. Das wird auch so bleiben.
(Beifall bei der CDU/CSU)«