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Populismus für Anfänger Die einfachen Denkmuster der Populisten und wie man den rechten Volksverführern begegnen muss Deutschland, Österreich, Frankreich, Holland – die Populisten scheinen in Europa unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Und alle anderen agieren, als gäbe es keine Strategien gegen die rechten Volksverführer. Dabei verfolgt der Populismus ein ziemlich simples Rezept. Das konnte der Ökonom und Kulturhistoriker Walter Ötsch schon mit seinem 2000 erschienen Bestseller "Haider light" am Beispiel von Jörg Haider klar belegen. In seinem neuen Buch "Populismus für Anfänger" zeigt Ötsch nun gemeinsam mit der Politikjournalistin und Rechtsextremismusexpertin Nina Horaczek wie einfach die Welt der Populisten gestrickt ist. Er entlarvt sehr anschaulich die Tricks und Täuschungsmanöver der rechten Demagogen und macht deutlich, was jeder Einzelne und die Gesellschaft dem Rechtpopulismus entgegensetzten kann und muss.
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Seitenzahl: 379
Ebook Edition
Walter Ötsch/Nina Horaczek
Populismus für Anfänger
Anleitung zur Volksverführung
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ISBN 978-3-86489-708-5
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2017
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich
Rumpelstiltskin. So lautet das Wort, das es aus dem Deutschen in das Englische geschafft hat. Im Märchen ist das Rumpelstilzchen ein kleines Männlein, das aus Stroh Gold spinnen kann und am Ende so wütend wird, dass es sich selbst in zwei Stücke zerreißt.
Seit Donald Trump am 8. November 2016 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde, steht das Wort Rumpelstilzchen wieder häufiger in den Zeitungen. Mit seinen Beleidigungen, seinen Wutanfällen und Verbalattacken erinnert der US-Präsident tatsächlich an das kleine böse Männchen, das sich im Zorn selbst zerstört. Und überhaupt: Sind diese rechten Demagogen, die von Paris bis Wien, von Ankara bis Berlin, von Amsterdam bis Warschau im Aufwind sind, nicht alle wütende Männer (und auch Frauen), die ihren Ärger ungefiltert in die Welt herausschreien?
Die Wahrheit ist eine ganz andere. Wie bei aller rechten Demagogie basiert die Politik der Trumps, Le Pens, Straches, Höckes, Erdo˘gans dieser Welt und wie sie alle heißen, nicht auf unkontrollierter Emotion, sondern ist das Produkt eiskalten Kalküls.
Es ist eine Art Déjà-vu: Bereits im Jahr 2000 zeigte der Kulturwissenschaftler Walter Ötsch in seinem Bestseller Haider light anhand des Phänomens Jörg Haider auf, wie rechte Demagogie funktioniert, welche Muster Demagogen verwenden, um die Massen zu instrumentalisieren. Nun, fast zwanzig Jahre später, erweist sich, dass die Namen der Demagogen sich zwar geändert haben, ihre Strategien aber immer noch dieselben sind.
Dieses Buch fußt auf den Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte. Es zeigt auf, mit welchen Tricks die Demagogen unserer Zeit arbeiten und welches Welt- und Menschenbild dahintersteht. In diesem Buch lernen Sie, selbst zum Superdemagogen zu werden und Spaß daran zu haben, die demagogischen Codes zu entschlüsseln. Sie erfahren außerdem Gegenstrategien, was jede und jeder Einzelne, was wir alle gemeinsam gegen rechte Endzeitpropheten tun können. Denn nur wer versteht, wie Volksverführung funktioniert, ist immun gegen das Gift, das die Verführer versprühen.
In zwei Punkten haben die Demagogen von heute nämlich tatsächlich etwas mit dem Rumpelstilzchen aus dem Märchen gemein: Auch sie versprechen ihren Anhängern, Stroh zu Gold spinnen zu können. Sie spielen den Messias, der alle großen Probleme der Welt mit simplen Parolen lösen kann – während ihr nüchtern dosierter Hass dazu führt, dass es eine friedliche Gesellschaft nach und nach in zwei feindliche Teile zerreisst.
Blocher, Christoph, Schweiz
*1940, von 1977 bis 2003 Chef der »Schweizerischen Volkspartei« (SVP). Als Blocher die SVP 1977 übernimmt, liegt sie bei 9,9 Prozent, 2003 sind es 26,8 Prozent. Bei den Nationalratswahlen 2015 wird die SVP mit 29,4 Prozent wieder stärkste Partei. 2016 zieht sich Blocher aus der SVP-Führung zurück.
Erdo˘gan, Recep Tayyip, Türkei
*1954, beginnt seine politische Karriere 1984 in der konservativ-religiösen Wohlfahrtspartei und nach deren Verbot bei der Tugendpartei. Erdo˘gan ist zwischen 1994 und 1998 Oberbürgermeister von Istanbul. 2001 gründet er die islamisch-konservative »Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung« (AKP), mit der er 2003 zum ersten Mal Ministerpräsident wird. 2007 erreicht die AKP die absolute Mehrheit im Parlament, 2011 die einfache Mehrheit. 2014 lässt sich Erdo˘gan zum Präsidenten wählen, 2017 erreicht er in einem Referendum eine Mehrheit für den Umbau der Türkei vom parlamentarischen zum Präsidialsystem.
Gauland, Alexander, Deutschland
*1941, ist von 1973 bis 2013 Mitglied der CDU. Zwischen 1987 und 1991 leitet er die Hessische Staatskanzlei. Gauland ist Gründungsmitglied der »Alternative für Deutschland« (AfD) und deren stellvertretender Sprecher. Gemeinsam mit Alice Weidel ist er Spitzenkandidat der AfD bei der Bundestagswahl 2017.
Höcke, Björn, Deutschland
*1972, ist 2013 Gründungsmitglied der »Alternative für Deutschland« (AfD) und deren Landessprecher in Thüringen. Bei der Landtagswahl in Thüringen 2014 erreicht die AfD 10,6 Prozent.
Hofer, Norbert, Österreich
*1971, seit 1994 für die »Freiheitliche Partei Österreich« (FPÖ) beruflich tätig, zuerst auf Landesebene im Burgenland, seit 2005 in der Bundespolitik. Hofer ist seit 2005 stellvertretender Parteichef der FPÖ und seit 2006 Nationalratsabgeordneter im österreichischen Parlament. Im Oktober 2013 wird Hofer zum Dritten Nationalratspräsidenten gewählt. 2016 kandidiert er bei den Bundespräsidentschaftswahlen für die FPÖ und erreicht mit 46,2 Prozent der Stimmen zwar nicht die Mehrheit, aber das historisch beste Ergebnis der FPÖ.
Kaczy´nski, Jarosław, Polen
*1949, wird 1991 erstmals Abgeordneter des polnischen Parlaments und ist seit 2003 Vorsitzender der Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS). Zwischen 2006 und 2007 ist Kaczy´nski Ministerpräsident von Polen. Sein Zwillingsbruder Lech ist von 2005 bis zu dessen Tod bei einem Flugzeugabsturz 2010 Präsident des Landes. Kaczy´nski tritt bei der Parlamentswahl 2011 als Spitzenkandidat an und erreicht 19,88 Prozent. Im Mai 2015 verzichtet er darauf, bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Seine PiS nominiert stattdessen Andrzej Duda, der zum Präsidenten gewählt wird. Bei der Parlamentswahl im Oktober 2015 gibt Kaczy´nski seiner Parteikollegin Beata Szydło den Vortritt. Die PiS erreicht die absolute Mehrheit, Szydło wird Ministerpräsidentin, während Kaczy´nski weiterhin als PiS-Parteichef Einfluss hat.
Le Pen, Marine, Frankreich
*1968, Rechtsanwältin, seit 1993 für den »Front National« (FN) politisch tätig, zuerst auf kommunaler Ebene, seit 2004 als Abgeordnete für das EU-Parlament. 2011 wird sie stellvertretende Parteivorsitzende, 2011 zur Parteichefin gewählt. Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2017 erreicht sie in der Stichwahl 33,9 Prozent der Stimmen. Marine Le Pen ist die Tochter von Jean-Marie Le Pen, der den FN 1972 in Frankreich gründete.
Lucke, Bernd, Deutschland
*1962, tritt mit 14 Jahren der CDU-Jugendorganisation »Junge Union« bei und bleibt bis 2011 CDU-Mitglied. Im April 2013 ist er einer der Mitbegründer der »Alternative für Deutschland« (AfD) und wird einer von drei Bundessprechern. 2014 ist Lucke Spitzenkandidat der AfD bei der EU-Wahl und erreicht 7,1 Prozent.
Orbán, Viktor, Ungarn
*1963, beginnt seine politische Karriere bereits während der Schulzeit unter dem kommunistischen Regime in der kommunistischen Jugend. 1988 gründet er den »Bund junger Demokraten« (Fidesz) und wird 1990 Abgeordneter im Parlament und 1993 Parteivorsitzender. Seit 1996 nennt sich die Partei »Ungarischer »Bürgerbund« (Fidesz)«.1998 wird die Fidesz stärkste Partei und Orbán Ministerpräsident. Seine Regierung wird 2002 von den Sozialisten abgelöst. 2010 kommt Orbán mit 52,73 Prozent der Stimmen für Fidesz wieder an die Macht, bei den Wahlen 2015 wird er mit 44,87 Prozent im Amt bestätigt.
Petry, Frauke, Deutschland
*1975, zählt zu den Gründungsmitgliedern der »Alternative für Deutschland« (AfD), deren stellvertretende Sprecherin sie bei der Gründung 2013 wird. 2015 wird sie als Bundessprecherin der AfD wiedergewählt. Petry ist Landessprecherin der AfD Sachsen und Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag. Bei der Landtagswahl in Sachsen 2014 erreicht die AfD 9,7 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 tritt Petry nicht als Spitzenkandidatin an.
Salvini, Matteo, Italien
*1973, ist von 1998 bis 2004 Parteisekretär der »Lega Nord« (LN) in der Provinz Mailand. Seit 2004 ist Salvini EU-Abgeordneter der LN, seit 2013 ist er Vorsitzender der Partei. Die LN erreicht bei den Parlamentswahlen 2013 4,3 Prozent und bei den Regionalwahlen 2013 in der Provinz Ligurien 20,3 und in der Provinz Venetien 17,8 Prozent. Bei den EU-Wahlen 2015 kommt Salvini auf 6,2 Prozent.
Strache, Heinz-Christian, Österreich
*1969, seit 1991 in der »Freiheitliche Partei Österreich« (FPÖ) aktiv, zuerst als Wiener Bezirkspolitiker, ab 1996 als Landtagsabgeordneter in Wien. Wird 2005 zum Parteichef der FPÖ gewählt und ist seit 2006 auch Klubvorsitzender der FPÖ im österreichischen Nationalrat. Bei den Nationalratswahlen 2013 erreicht die FPÖ 20,5 Prozent.
Trump, Donald, Vereinigte Staaten
*1946, amerikanischer Unternehmer und Milliardär. Ist zunächst Mitglied der »Demokratischen Partei« (Demokraten) und wechselt 2009 zur »Republikanischen Partei« (Republikaner). 2016 wird er als Außenseiter zum Kandidaten der Republikaner für die US-Präsidentschaftswahl gewählt. Er besiegt die demokratische Kandidatin Hillary Clinton und ist seit Januar 2017 der 45. Präsident der Vereinigten Staaten.
Weidel, Alice, Deutschland
*1979, tritt im Jahr 2013 der »Alternative für Deutschland« (AfD) Baden-Württemberg bei und wird 2015 in den Bundesvorstand der AfD gewählt. Weidel ist gemeinsam mit Alexander Gauland Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl.
Wilders, Geert, Niederlande
*1963, ist von 1989 bis 2004 Mitglied der konservativen »Volkspartei für Freiheit und Demokratie« (VVD) und arbeitet von 1990 bis 2004 für diese Partei, unter anderem als Redenschreiber und parlamentarischer Referent, ab 1998 als Abgeordneter des niederländischen Parlaments. 2004 verlässt Wilders die VVD und gründet die »Partei für die Freiheit« (PVV). Die PVV kandidiert 2006 zum ersten Mal bei Wahlen und zieht mit 5,9 Prozent ins Parlament ein. Bei den niederländischen Parlamentswahlen im März 2017 wird die PVV mit 13,1 Prozent zweitstärkste politische Kraft nach den Konservativen.
Rechtspopulismus ist alles andere als ein Geheimnis. Im Gegenteil: Rechtspopulismus ist leicht zu verstehen. Ganz einfach: Die Politik von Rechtspopulisten beruht auf einem einzigen Grundgedanken, einem selbst gestrickten Bild der Gesellschaft. Dieses Bild ist die Basis des Rechtspopulismus.
So sieht das Bild aus: Hier sind WIR und dort sind die ANDEREN. Diese beiden Gruppen braucht der Rechtspopulismus. Sonst nichts.
Muster 1: Erfinden Sie eine Gesellschaft, die aus nur zwei Gruppen besteht: den WIR und den ANDEREN.
Rechtspopulisten haben stets dieselbe Erzählung: jene von einer zutiefst gespaltenen Welt, in der zwei Gruppen gegeneinander kämpfen. Wer so eine Welt predigt, den bezeichnen wir als Demagogen.
Demagogen aller Schattierungen unterteilen die Menschen in zwei Gruppen: Die »In-Gruppe«, das sind die WIR. Die »Out-Gruppe«, das sind die ANDEREN. Angebote für eine derart simple Botschaft gibt es viele: Deutsche gegen Flüchtlinge, US-Amerikaner gegen Mexikaner, Franzosen gegen Afrikaner, Kroaten gegen Serben, Russen gegen Tschetschenen, und überhaupt: Weiße gegen Schwarze, Arier gegen Juden, Inländer gegen Ausländer – es gibt unzählige Beispiele für ein Denken, das weltweit Anerkennung genießt und in den letzten Jahren, auch als Reaktion auf ein Versagen traditioneller Politiken, massiv an Bedeutung gewonnen hat.
Das Bild einer zweigeteilten Gesellschaft ist das Wichtigste im Rechtspopulismus. Am besten ist das zu verstehen, wenn Sie sich in ein solches Bild hineinversetzen. Stellen Sie sich möglichst lebhaft vor, Sie stehen gerade auf einer großen leeren Ebene. Hier gibt es nichts außer zwei Gruppen von Menschen. Die eine Gruppe steht nahe bei Ihnen. Diese Gruppe ist hell erleuchtet und gibt Ihnen ein warmes Gefühl. Sie ist wie von einer unsichtbaren Mauer umgeben. Danach kommt ein leeres Feld und hinter diesem steht eine zweite Gruppe. Sie sehen diese Gruppe nur dunkel. Sie spüren ein Gefühl der Verunsicherung und Angst, das sich allmählich in Hass steigert, oder noch besser, Sie empfinden sogar Ekel für die ANDEREN.
Das ist es, mehr ist es nicht. So sieht das innere Bild von Demagogen aus. Unsere wichtigste Botschaft: dieses Bild nachvollziehen zu können, zu verstehen, wie einfach und wie gefährlich es ist – und anderen davon zu erzählen. Denn Rechtspopulismus funktioniert nicht ohne ein demagogisches Gesellschaftsbild. Alle Muster, die in diesem Buch erklärt werden, lassen sich auf das demagogische Bild zurückführen.
Der Vorteil: Ein so einfaches Bild lässt sich leicht erfassen. Mit etwas Theorie, die Sie in diesem Buch finden, und ein bisschen Übung können Sie jeden Demagogen, jede Demagogin entzaubern. Wer dieses Bild verstanden hat, wer erkennt, welche Eskalationsspiralen darin eingebaut sind und wie gefährlich diese wirken können, ist in Zukunft gefeit, sich von Rechtspopulisten verführen zu lassen.
Sich zwei Gruppen vorzustellen und sich einer der beiden Gruppen gedanklich zuzuordnen, ist per se noch nichts Schlechtes. In vielen Fällen ist das durchaus berechtigt. »Wir« und »Andere« sind Alltagsbegriffe, jeder und jede verwendet sie. Um zu wissen, wer wir sind und zu wem wir gehören, benötigen wir Einteilungen: Männer und Frauen, Jung und Alt, eigene Firma oder Konkurrenz.
Das Demagogische ist nicht die Einteilung in zwei Gruppen. Es ist die Intensität und die Ausschließlichkeit. Im vorgestellten Bild zeigt sich dies daran, wie groß die Distanz zwischen den beiden Gruppen ist und wie stark die Unterschiede gemacht werden.
Daran lassen sich Demagogen erkennen:2
Sie trennen die WIR und die ANDEREN radikal. Es gibt (fast) keine verbindenden Merkmale. Die ANDEREN müssen völlig anders sein und dürfen gar keine Züge der WIR aufweisen.
Sie belegen die ANDEREN mit einer aggressiven und ausgrenzenden Sprache.
Sie zeichnen die WIR nur als GUT und WAHR, die ANDEREN ausschließlich als BÖSE und FALSCH.
Sie dramatisieren eine tiefe Feindschaft zwischen den WIR und den ANDEREN. Zwischen den WIR und den ANDEREN tobt ein Kampf auf Leben oder Tod.
In ihrer politischen Werbung setzen Demagogen überwiegen auf Negativthemen. Rechtspopulistische Politik ist vor allem ein Kampf gegen die ANDEREN.
Demagogen sprechen gezielt Ängste an, verstärken sie und lenken sie auf die ANDEREN um. Denn die ANDEREN sind schuld, wenn WIR Angst haben. Demagogische Politik ist Angst-Politik und Demagogen sind Angst-Experten.
Demagogische Bewegungen sind notwendig autoritär. Sie stehen unter der direkten Leitung einer Gruppe, eines Führers oder einer Führerin. Wir nennen diese Führungsspitze das SUPER-WIR.
Demagogische Politiker wollen nicht nur an die Macht kommen oder eine Regierung bilden. Sie drängen nach radikaler Umgestaltung des politischen Systems. Demagogen wollen die Demokratie und ihre Institutionen autoritär umbauen.
Die wichtigste Bezeichnung für die WIR ist »das Volk«. Demagogie ist Politik für »das Volk«. Alles, was Demagogen tun, tun sie – so behaupten sie zumindest – für »das Volk«. US-Präsident Donald Trump hat in seiner Antrittsrede versprochen: »Wir nehmen die Macht von Washington D.C. und geben sie an euch, das Volk, zurück.« Schon Jörg Haider (geboren 1950, 2008 bei einem Autounfall verstorben), langjähriger Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und einer der ersten äußerst erfolgreichen Demagogen der Nachkriegszeit, sagte zu seinen Anhängern: »Viele Bürger fürchten mit Recht, dass die Regierung das Volk austauschen will, weil es sich bei Wahlen nicht mehr gehorsam zeigt.«3 Auch der heutige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sagt: »Bevor die Politiker das Volk austauschen, wird das Volk die dafür verantwortlichen Politiker austauschen.«4 Gerne ruft er auch seinen Anhängern auf Wahlveranstaltungen zu: »Ihr seid das Volk.«5
»Wir sind das Volk«, lautet auch der Kampfspruch der Alternative für Deutschland (AfD) und der Pegida-Bewegung (»Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«). Eine derart konstruierte homogene Gemeinschaft schließt alle ANDEREN, etwa Neuankommende im Land, aus.
»Mein Volk will es.« Mit diesen Worten propagierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo˘gan die geplante Wiedereinführung der Todesstrafe nach dem verhinderten Militärputsch im Sommer 2016. Mit denselben Worten rechtfertigte der ungarische Premierminister Viktor Orbán die neue ungarische Verfassung.6 Der niederländische Demagoge und Parteichef der »Partei für die Freiheit« (PVV), Geert Wilders, wirbt schon lange mit dem Slogan »eigen Volk eerst«. Die französische Front-National-Chefin Marine Le Pen stellte ihren gesamten Wahlkampf 2017 unter das Motto »Au Nome du Peuple«, auf Deutsch: »Im Namen des Volkes«.
Wer ist aber »das Volk«? »Das Volk« – und das ist der zentrale Punkt – gibt es gar nicht. Es ist schlichtweg eine Erfindung. »Das Volk« ist eine rhetorische Floskel, die Demagogen nützen, um sich selbst von anderen Politikern abzugrenzen. Denn nur sie alleine, so die Behauptung, verkörpern den einen Willen des einen Volkes. So sagte etwa Matteo Salvini, Chef der italienischen Lega Nord: »Obwohl die Medienpropaganda, wie in den USA und in Großbritannien, versucht, die Stimme des Volkes als Ausdruck einer Mehrheit von Verlierern darzustellen, von minderwertigen und ungebildeten Leuten, die zu einfach sind, um die unschätzbaren Vorteile der Politik zu verstehen, die uns von den Finanzeliten auferlegt werden, entsteht ein neues Bewusstsein aus der Asche des Desasters auf.«7
Auch die FPÖ behauptet, als einzige die Stimme des »Volkes« zu vertreten: »Da wir aber wissen, was wir wollen, und wissen, was die Österreicher wollen, und da unser Weg immer breitere Zustimmung erfährt, werden wir weiterhin als Stimme jener auftreten, denen das regierende politische System die Stimme nimmt.«8
»Das Volk« und die WIR im demagogischen Weltbild sind aber eine reine Erfindung, ein Märchen, eine Fiktion. Die WIR sind idealisierte Menschen, die nirgendwo anzutreffen sind. Sie sind nur »brav«, »arbeitsam«, »bürgerlich«, »modern«, »tüchtig« und so fort. Innerhalb dieser WIR-Gruppe gibt es keine Konflikte, keine Spannungen, keine Probleme. Es ist die erfundene heile Welt einer frei erfundenen Gruppe.
Geert Wilders nennt seine WIR gerne auch »Henk und Ingrid« als idealisierte Vertreter eines vermeintlich einfachen Volkes.9 Der FPÖ-Chefstratege Herbert Kickl spricht wiederum von den »Normalos«, deren Interessen seine Partei als einzige vertrete: »das sind die Leut’, für die es noch einen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt, die finden, der Staatsbürger soll noch etwas zählen, für die der Begriff ›Pflicht‹ nichts Verwerfliches ist«.10
Demagogen müssen deshalb sagen: Die ANDEREN können gar nicht für »das Volk« sprechen. Im Prinzip sind die ANDEREN Parteien »Volksverräter«. Die AfD spricht laut ihrem führenden Mitglied Björn Höcke als »die Stimme des Volkes … gegen eine, und das muss ich ganz deutlich sagen, verrückt gewordene Allparteienpolitik«.11 Alle anderen Parteien werden in einen Topf geworfen. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zum Beispiel ist für Höcke ein »Volksverderber, anders kann ich ihn nicht nennen«.12FPÖ-Chef Strache bezeichnete wiederum den früheren österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann als »Staatsfeind«.13 Schon Jahre zuvor hieß es in einem Wahlkampf-Comic der FPÖ zur EU-Wahl 2009: »Dann arbeiten die angeblichen Volksvertreter, sprich: ›Politiker‹, ständig als Volksverräter gegen ihren Arbeitgeber.«14 Für den türkischen Präsidenten Erdo˘gan gehört, so scheint es, mittlerweile beinahe die Hälfte der Bevölkerung zu den »Volksverrätern« – jedenfalls alle, die ihn nicht wählen und unterstützen. Für US-Präsident Donald Trump sind kritische Medien und unabhängige Richter »Feinde des Volkes«. In der Schweiz hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) weit vorausblickend bereits die Wahlen für 2019 unter das Motto »Volksverächter oder Volksfreund« gestellt.15
Welch Unsinn dies ist, wird spätestens klar, wenn man sich vor Augen führt, woraus denn »das Volk« bestehen soll. Hunderte Beispiele zeigen: Dieses Volk-Konstrukt rechter Demagogen besteht ausschließlich aus den Guten, den Wahren, den Fleißigen und Aufrechten. Und jeder und jede dieser Aufrichtigen und Guten ist auch noch Opfer der bösen ANDEREN: »Wer in diesem Land vernunftbasierte Positionen vertritt, wird von der Politelite als ›Pack‹ beschimpft, von Medien als rechtsextrem eingeordnet und bekommt von der staatlich geförderten Antifa den privaten PKW angezündet«, sagt der AfD-Politiker Armin-Paul Hampel.16
Kein erfundenes »Volk« ohne seine erfundenen Gegenspieler. In Wahlkämpfen ist das meist »die Elite«, wieder in der Einzahl. Für Demagogen gibt es keine verschiedenen Eliten, die vielleicht unterschiedliche Interessen verfolgen und gegeneinander agieren. Es gibt nur eine einzige Elite, die in ihrer Gesamtheit bösartig ist. Diese Elite hat sich gegen »das Volk« verschworen: »Es ist ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht und die gesamte politische Bildung eisern im Griff hat. Nur das Volk kann diesen selbstherrlichen Gewaltinhabern die illegitime Macht wieder entreißen«, steht zum Beispiel im Parteiprogramm der AfD.17