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Ein rätselhafter Fall kommt dem ermittelnden Briefträger ins Haus geflattert ...
Sullys Cousin Serge hat ein neues Hobby: Hühner! Doch wer, verflixt nochmal, schmuggelt ständig weiteres Federvieh ins Gehege? Sully hat allerdings keine Zeit, sich darum zu kümmern, denn in der nahegelegenen Ferienanlage wird eine junge Frau ermordet aufgefunden. Sie trug einen blutroten Drohbrief bei sich ... Ehrensache, dass Sully als Briefträger Claires Ermittlungen unterstützt!
Über die Serie:
Ein ermittelnder Briefträger in Luxemburg: Fallanalytiker Sully Morland braucht nach einem Schicksalsschlag und seiner Suspendierung beim BKA einen Neuanfang. Bei seiner Patentante Rose findet er Zuflucht in einem idyllischen Dorf in Luxemburg. Dort springt er spontan als Aushilfsbriefträger ein und verteilt mit dem Rad die Post. Als er dabei buchstäblich über eine Leiche stolpert und der Polizistin Claire Bofferding bei den Ermittlungen hilft, wird Sully zu Luxemburgs erstem und einzigen radelnden Detektiv.
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
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Über diese Folge
Post, Mord und Provinzgeflüster - Die Serie
Titel
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Über die Autorin
Impressum
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Sullys Cousin Serge hat ein neues Hobby: Hühner! Doch wer, verflixt nochmal, schmuggelt ständig weiteres Federvieh ins Gehege? Sully hat allerdings keine Zeit, sich darum zu kümmern, denn in der nahegelegenen Ferienanlage wird eine junge Frau ermordet aufgefunden. Sie trug einen blutroten Drohbrief bei sich … Ehrensache, dass Sully als Briefträger Claires Ermittlungen unterstützt!
Ein ermittelnder Briefträger in Luxemburg: Fallanalytiker Sully Morland braucht nach einem Schicksalsschlag und seiner Suspendierung beim BKA einen Neuanfang. Bei seiner Patentante Rose findet er Zuflucht in einem idyllischen Dorf in Luxemburg. Spontan springt er dort als Aushilfsbriefträger ein und verteilt mit dem Rad die Post. Als er dabei buchstäblich über eine Leiche stolpert und der Polizistin Claire Bofferding bei den Ermittlungen hilft, wird Sully zu Luxemburgs erstem und einzigen radelnden Detektiv.
JILL KALTENBORN
Blutrote Briefe
Sully Morland zog sich aufgrund des aufkommenden Windes das Flanellhemd enger um den schmalen Körper, legte den schweren Vorschlaghammer aus der Hand und versuchte zu verarbeiten, was er gerade erfahren hatte. Und zwar nicht aus dem Mund derjenigen, von der er es erwartet hätte, sondern aus dem seines zurzeit besten Freundes.
»Kartenspielen fällt heute aus«, hatte Serge gesagt, nachdem er Claires Anruf entgegengenommen hatte. »Sie haben eine Frauenleiche in einer der Gîtes in der Ferienanlage am Stausee gefunden.«
Vor dem Anruf war die Welt noch in Ordnung gewesen:
Hier ein Picken, da ein Gurren, oder war es ein Glucksen? Sully spürte, wie sich seine Muskeln und Gedanken dabei entspannten.
»Und was meinst du?«, fragte Serge und legte einen Arm um seinen Freund.
»Es ist …«
»… wunderschön?«, schlug Serge vor.
»… definitiv anders, als ich mir meinen Garten vorgestellt habe«, schloss Sully.
Serge nahm den Arm von Sullys Schulter, ging zu einer Kühlbox und holte Schinkenbaguettes und Bier heraus. »Wohlverdient, findest du nicht?«
Ein Grummeln in der Magengegend signalisierte Sully, dass eine Stärkung nach der anstrengenden Arbeit definitiv eine gute Idee war.
»Halten wir es noch ein bisschen hier draußen aus, oder ist es dir zu kalt? Ich will sehen, wie die Hühner das Gehege annehmen.« Serge hielt Sully eine Flasche entgegen.
Zwar hatte der Herbst Einzug in Gréngdall gehalten, aber Sully war noch nicht gewillt, sich von dem schlechten Wetter die Laune vermiesen zu lassen. Und vielleicht würden ja noch ein paar sonnige Tage folgen.
»Lass uns noch ein wenig hier draußen bleiben. Ich habe gelesen, Hühner haben eine der komplexesten Sozialstrukturen im Tierreich. Das Spektakel will ich mir nicht entgehen lassen.«
Sully nahm das Bier, und die beiden Männer lehnten sich an die Rückwand des Kutschenhäuschens, in dem Sully nun seit fast einem halben Jahr wohnte. Weitaus länger, als er ursprünglich angenommen hatte. Aber das, entschied er, war eine andere Geschichte.
Er sah auf das eingezäunte Karree, das einmal sein Garten hatte werden sollen. Oder vielleicht hatten sich seine Pläne auch einfach nur verschoben? Die Lupinen waren abgemäht, die Überbleibsel sorgfältig in die oberste Schicht eingearbeitet worden. So hatte er es gelernt. Beste Bedingungen für Sullys kleinen Bauerngarten.
Doch nun bot sich dem Radelnden Detektiv ein gänzlich anderes Bild: Vier aufgeregte, silbrig glänzende Hühner pickten und scharrten in bester Erde, was das Zeug hielt. Ein mobiler Stall, der einem Miniaturbauwagen in Himmelblau glich, thronte in der Mitte des neu eingezäunten Auslaufs. Und außerhalb dieser Begrenzung, geschützt vor den zerstörerischen Biestern, konnte Sully die Reste dreier Pflanzen sehen, die den Startschuss für seinen Garten hatten geben sollen. Geschenke, die ihm etwas bedeuteten. Nun sahen sie traurig aus. Braun, verblüht, zurückgelassen. Aber ein neues Jahr würde kommen. Vielleicht ja auch für seinen Garten.
Aufgeregtes Gegacker und Flügelschlagen rissen Sully aus seinen Gedanken.
»Sozialstrukturen? Ich würde das Hackordnung nennen«, fasste Serge diese Attacke treffend zusammen. »Also, noch mal vielen Dank, Sully, dass du mir die Wiese … ähm, ich meine natürlich deinen Garten … zur Verfügung gestellt hast. Ich brauche das jetzt wirklich. Und es ist ja auch nicht für ewig. Aber die Hühner müssen sich hier erst mal an mich gewöhnen, bevor ich sie auf die Fallobstwiese stelle. Und, nun, die Wiese muss ich ja auch erst einmal bekommen.«
Er grinste sein Grinsen, aber heute schien es nicht von Herzen zu kommen. Serge hatte in den letzten Wochen einiges mitgemacht. Und wie immer war Serges Antwort auf all das die Flucht nach vorn. Was im Moment bedeutete, dass er dabei war, sich ein Stück verwahrlostes Land von einem befreundeten Bauern für einen Obolus zu kaufen und es in eine Fallobstwiese zu verwandeln, die den Startschuss für eine neue Generation Apfelschnaps geben sollte.
»Vermutlich ist es doch auch nicht nur von Nachteil, dass die Hühner den Boden durchkämmen, oder? Fressen vielleicht alle Ameisen und Blattläuse weg.« Wie immer versuchte Serge, das Positive zu sehen.
»Entweder das, oder sie konzentrieren sich auf die Regenwürmer und lassen nichts als tote Erde zurück.«
Sully trank einen Schluck Bier und versuchte, die Kälte zu ignorieren, die das Getränk im Magen hinterließ.
»Jedenfalls scheinen sie dir sehr dankbar zu sein, dass du ihr Gehege so reich mit Leckereien bestückt hast. Aber ich hatte keine Nerven, mich jetzt auch noch mit Mama auseinanderzusetzen, ihre Laufenten mit neuen Hühnern aufzuschrecken oder um eine andere Stelle im Garten zu kämpfen. Und die Gelegenheit war nun einmal jetzt da, dass die Hühner einziehen konnten. Ihr Besitzer wollte sie loswerden.«
Serge zuckte mit den Schultern und trank sein Bier halb leer.
Seit er vor wenigen Wochen wieder im Flammang’schen Anwesen eingezogen war, war Serges Anwesenheit in allen Poren zu spüren. Überall lagen seine Werkzeuge herum, seine ölbeschmierten Arbeitshemden wurden von Rose geflickt, und auch der Speiseplan hatte sich sehr zu Serges Gunsten gewandelt, was bedeutete, dass es vermehrt Dinge gab, die er in große Haufen Mayonnaise tunken konnte.
Interessanterweise waren auch die Streitereien zwischen Eltern und Sohn wieder an die Oberfläche gedrungen, die Sully noch aus Serges Teenagerzeit kannte: leere Toilettenpapierrollen, die am Halter belassen wurden, oder gesellige Abende mit neuen Freunden, die bis in die Morgenstunden gingen, obwohl am nächsten Morgen ein Schultag auf Serge wartete. Nur inzwischen natürlich als Chemielehrer und nicht als Schüler, das schien Rose vergessen zu haben.
Aber auch an Sully ging Serges vermehrte Gegenwart nicht spurlos vorüber. Serge hatte das einnehmendste und pragmatischste Wesen, das Sully kannte. Im allerpositivsten Sinn. Nach der Lösung des letzten Falles versuchte Serge krampfhaft, Sully zur Eröffnung einer echten Detektei mit Kundenliste zu bewegen. Vielleicht auch nur, um selbst etwas zu tun zu haben.
Sicher hatte der letzte Fall besonders Serge ziemlich mitgenommen, schließlich war einer seiner engen Freunde ums Leben gekommen. Doch war er natürlich niemand, der über seine Gefühle redete. Lieber stürzte er sich in neue Projekte. Und da Sully auch nach wiederholtem Betteln dankend abgelehnt hatte, dass Serge sein Berufsleben erneut revolutionierte, hatte Sully ihm stattdessen sein kleines Fleckchen Land für den provisorischen Hühneraufenthalt zur Verfügung gestellt. Es gehörte Sully ja ohnehin nicht. Seine Patentante Rose hatte es ihm überlassen, als er es gebraucht hatte. Und nun hatte Sully beschlossen, dass sein Freund Serge es dringlicher brauchte als er selbst.
Sully biss beherzt in sein Schinkenbrot.
»Und gehst du dann auch unter die Hühnerzüchter?«
Serge lachte. »Nein, das nicht. Obwohl Gérald meinte, dass Hahn und Hennen nicht verwandt sind. Es ist ein Zuchtstamm, wenn man so will. Und wer weiß, vielleicht kommen ja irgendwann ein paar Küken hinzu. Aber im Moment brauche ich sie eher zur Landschaftspflege. Also, wenn ich die Wiese erst mal habe, versteht sich. Weißt du, so komme ich ganz ohne Chemie aus. Die Hühner scharren um die Stämme, halten so das Unkraut fern und fressen ganz nebenbei noch die Insekten, die den Bäumen schaden. Und Omelett satt gibt’s dann auch noch irgendwann.«
»Einer davon soll ein Hahn sein?«
Sully betrachtete die struppigen Hühner, von denen nicht eins dem Bild eines imposanten Hahns glich.
»Na ja, eine Weile braucht er noch, bis er etwas hermacht. Irgendwann wird das schon. Ich glaube, der da ist es.« Serge deutete auf das größte gefiederte Wesen. »Vielleicht ist es auch ein anderes, wir werden es demnächst mitbekommen, wenn er versucht zu krähen. Dafür sage ich schon jetzt Pardon, schließlich ist dein Schlafzimmer ja recht nah dran. Aber die Mädels dürften bald mit dem Eierlegen anfangen.«
Sully blickte zu dem Fenster im Giebel des kleinen Häuschens. »Und was ist das nun für eine Rasse?«
Serge lachte. »Keine Ahnung. Ich glaube, gar keine. Gérald hatte eine kleine Hobbyzucht, und irgendwann war er sogar einmal kurz davor, eine neue luxemburgische Landhuhnrasse anerkennen zu lassen. War groß in der Zeitung. Das hat aber aus irgendwelchen Gründen nicht geklappt. Ich schätze, die vier Hühner hier sind die Überbleibsel von seinen Zuchtversuchen. Ist mir aber eigentlich auch egal. Gérald meinte, sie seien robust und würden viele Eier legen.«
»Klingt gut. Und Gérald kennst du …?«
»Aus dem Treckerclub. Er hat einen wunderschönen alten Porsche-Trecker, der …« Serge winkte ab. »Ach, das verstehst du ohnehin nicht. Aber danke noch mal für deine Hilfe, Sully. Ich brauchte das jetzt wirklich. Etwas Neues, etwas, das nur mir gehört. Vermutlich wird die Sache mit der Wiese noch diese Woche geklärt, und dann können wir Bäume pflanzen. Nachdem es mit dem Spirituosenwettbewerb nicht klappt und mich jetzt auch noch die Eltern einiger Schüler bei der Schulleitung angeschwärzt haben …«
»Die waren nicht ganz so zufrieden damit, dass du deinen Schülern beigebracht hast, wie man Gift aus Pflanzen extrahiert?«
»Nun, sicher, nach der Sache mit Pol war das mit den Giften natürlich schwierig. Aber das war es nicht einmal. Es ging um eine andere Reaktion, die ich den Schülern vorgeführt habe. Alles komplett sicher. Und ein bisschen Schauspielerei und Action hat doch bisher nie geschadet. Ich meine, du zündest etwas an, weißt, dass nichts schiefgehen kann, und läufst dann ziemlich schnell vor die Tür, hältst dir die Ohren dabei zu und lässt erstaunte Schüler zurück. Nach einem Knall kommst du wieder rein und sagst theatralisch, dass du sehr froh seist, dass die Schüler noch leben – nur so merken sie sich das alles doch. So funktionieren deren Gehirne eben heutzutage. Aber nein, man wird dabei mit dem Handy gefilmt und verpfiffen. Pappnasen. Ganz zu schweigen von der Sache mit Marie …«
Sully schluckte seinen Schinken runter und tätschelte seinem Freund die Schulter. »Ich verstehe das.«
»Nun, da hatte ich jedenfalls Glück, dass mein Freund Sully Morland so einen hervorragenden Platz für meine neuen Hühner hat.«
»Weißt du, Serge, vermutlich bist du der einzige Mensch auf der Welt, den ich niemals jemandem mit Worten beschreiben könnte. Was würde ich sagen? Du bist ein schnapsbrennender, hühnerzüchtender, oldtimersammelnder Kartenspiel-Chemielehrer, der auf einem alten Anwesen lebt und nicht geweint hat, seit er sechs war?«
»Hey, halt mir das nicht vor, mein Bein war gebrochen, nachdem ich vom Garagendach gesprungen war und nicht fliegen konnte, wie angenommen.«
Da ertönte ein Sully nur allzu bekanntes Lied aus Serges Hosentasche. Allein in der Bar. Schrumm, schrumm, schrumm. Helge Schneiders Worte unterstrichen die eben von Sully festgestellte Unbeschreiblichkeit Serges.
Er nahm sein Handy aus der Tasche und sah auf das Display. »Oh, es ist Claire«, sagte er. »Ist es schon so weit?«
Es war Dienstagabend, und Serge sprach das wöchentliche Kartenspiel an. Aber da die Sonne noch am Himmel stand, wenn auch hinter dicken Wolken, konnte es noch nicht so spät sein, dass sie das Kartenspiel versäumt hätten.
Sully zuckte mit den Schultern, denn er fragte sich tatsächlich, was die Kommissarin von Serge wollte.
»Claire?«, fragte Serge.
Seine Miene verfinsterte sich, als sie etwas sagte, was Sully nicht verstehen konnte.
Dann weiteten sich Serges Augen auf das Maximalste. »Mëscht, ich verstehe. Viel Erfolg und bis bald.«
Er ließ das Handy vom Ohr gleiten, ohne den Blick von Sully abzuwenden, und berichtete seinem Freund, was er soeben erfahren hatte.
Sullys Gedanken ratterten. Eine Frauenleiche in der Ferienanlage. Eine Fremde? Ein Mord?
Doch als wäre diese Nachricht allein nicht schon schlimm genug, musste sich Sully eingestehen, dass er sich ärgerte: Claire hatte nicht ihm die Neuigkeit mitgeteilt, sondern Serge.
Das Kartenspiel fiel also aus, und es gab eine Leiche in Gréngdall, die Sully endlich einmal nicht selbst gefunden hatte. Letzteres war gut. Die Sache mit der Leiche generell natürlich nicht. Eine Leiche war schließlich nie gut, insbesondere, so fand Sully, wenn er gar nichts damit zu tun hatte.
Er hatte sich nach dem beendeten Telefonat zunächst ins Häuschen verabschiedet, um seine Gedanken zu sortieren. Es juckte ihn in den Fingern, Claire anzurufen und sie zu fragen, was da los war. Schließlich hatte er irgendwie das Gefühl, sie wären so etwas wie Partner. Inoffiziell, versteht sich.
Aber nach dem letzten Mal, als sie so gut zusammengearbeitet hatten und sie sich sogar bei ihm für seine Hilfe bedankt hatte, war sie für einige Wochen von ihrem Chef in den Urlaub geschickt worden und ans Meer gefahren. Drei ganze Wochen war sie weg gewesen, ohne Kartenspiel, ohne weitere Fälle, ja, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen.
Und als sie wiedergekommen war, war alles einfach so weitergegangen wie vor dem letzten Fall. Dem doch sehr persönlichen Fall. Und Claire tat fast, als hätte es dieses eine Gespräch nie gegeben, in dem sie über Jou, Roses Tochter und Sullys Jugendliebe, gesprochen hatten und Sully das Gefühl gehabt hatte, Claire wäre vielleicht sogar ein wenig eifersüchtig gewesen.
Aber nun hatte sie Serge angerufen. Nicht ihn. Das war eindeutig ein Statement, dachte Sully. Ein ziemlich blödes. Und dann fand er es blöd, dass er es blöd fand. Schließlich war Serge, dieses Sonntagskind, in den letzten Monaten so etwas wie sein bester Freund geworden. Oder sein einziger. Sein einziger Freund, den dummerweise auch eine fast romantische Vergangenheit mit Claire verband.
Aber eigentlich ging es Sully ja auch nichts an, wie sich die Beziehung der beiden entwickelt hatte, seit Claire wiedergekommen war. Seit Serge keine Freundin mehr hatte.
Sully seufzte. Nervige Gedanken. Er sollte lieber herausfinden, ob es schon etwas über die Leiche zu hören gab. In den Nachrichten vielleicht oder bei Tante Rose. Letzteres konnte er gleich beim Essen tun, vorher war es heutzutage ja ein Leichtes, das Internet zu befragen.
Sully setzte sich an den Tresen in seiner Küche und tastete die Hosentaschen nach seinem Handy ab. Doch er fand es nicht. Er ließ seinen Blick durch den Raum gleiten, stand auf, ging zu der altertümlichen, aber bequemen Chaiselongue, auf der er abends las. Aber auch da lag kein Handy.
Eigentlich verbuchte er es als gutes Zeichen, sein Handy so selten zu benutzen, dass er nicht einmal wusste, wo es war. Aber andererseits könnte es auch von mangelnden sozialen Kontakten zeugen. Doch den Gedanken verwarf Sully lieber schnell.
Er ging zu den Garderobenhaken neben der Haustür und tastete die Taschen seiner Regenjacke ab. Ah ja, da war es. Er nahm das Handy zur Hand, ein schwarzes Display schwieg ihn an. Kein Akku.
Nachdem er es an die Steckdose angeschlossen und einige Minuten gewartet hatte, konnte er es einschalten.
Als eine Alarmierung aufpoppte, noch bevor er die Suchmaschine hatte öffnen können, breitete sich ein Kribbeln in seinem Bauch aus.
Zwei Anrufe in Abwesenheit von Claire. Ein bübisches Grinsen umspielte Sullys Lippen, das ihm in Anbetracht der Umstände fast peinlich war. Dann klickte er die Nachricht weg und googelte nach einer Leiche am Stausee. Doch nichts.
Aber das machte nichts, immerhin hatte Claire ihn angerufen.
Dann machte er sich auf den Weg zum Abendessen ins Haupthaus.
Wie für einen Briefträger üblich, war Sully am nächsten Mittwochmorgen vor allen anderen wach. Während er den ersten Kaffee des Tages an dem kleinen hölzernen Tresen im Kutschenhäuschen noch im Dunkeln trank – die Tage wurden wirklich kürzer –, befragte er sein Handy erneut über einen Todesfall in Gréngdall. Aber selbst die Onlinepresse hatte noch keine Informationen über eine Leiche gebracht. Doch was Sully noch mehr wunderte, war, dass nicht einmal Rose am Abend zuvor etwas davon gehört hatte. Denn in der Regel war sie immer als Erste über alles informiert.
Das schürte Sullys Interesse selbstverständlich nur noch mehr. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie oft er am letzten Abend kurz davor gewesen war, Claire zurückzurufen. Immerhin konnte sie ja nicht wissen, dass er neben Serge gestanden hatte, als die Nachricht eingetrudelt war. Außerdem … ja, und hier keimte dieser kleine Funken Hoffnung, außerdem könnte es doch sein, dass sie ihn angerufen hatte, um seine Meinung zu dem Ganzen zu erfragen. Zu der Leiche, versteht sich. Nicht nur, um sich vom Kartenspiel abzumelden.
Für einen kurzen Moment fragte sich Sully, ob er die Verstorbene vielleicht sogar gekannt hatte. Wie inzwischen fast alle in Gréngdall. Denn so verhielt es sich nun einmal, wenn man tagtäglich die Post austrug. Doch die Ferienanlage lag nicht auf seiner Route. Und Claire hatte am Vorabend Serge nicht gesagt, ob es sich um eine Einheimische oder einen Feriengast handelte.
Also blieb Sully zunächst nichts anderes übrig, als seinen Kaffee zu Ende zu trinken, sich eine wattierte Jacke überzuwerfen und die Dunkelheit zu verfluchen, während er sich den Weg über den Hof zu seinem Fahrrad bahnte. Erstmals nach dem langen Sommer schaltete er die Fahrradlampe wieder ein und machte sich fröstelnd auf den Weg zur Arbeit.
Und wenn einem Menschen wie Sully, dem die Gedanken in jeder freien Minute nur so durch den Kopf schwirrten, etwas beschäftigte, dann hinterfragte er gerne alles. Sully gestand sich spätestens jetzt ein, dass Serge recht hatte und seine analytischen Fähigkeiten vielleicht wirklich zu schade für seinen momentanen Job waren. Und dennoch: Die Zeiten, in denen er dafür bezahlt worden war, Verbrecher zu überführen, schienen eindeutig vorbei. Das BKA, Wiesbaden. Sara. Alles ein altes Leben. Oder?
