Praliné d´Amour - Selma Ulrich - E-Book

Praliné d´Amour E-Book

Selma Ulrich

4,7

Beschreibung

Es ist Freitag, ihr kleiner Sohn Lenny ist bei seinem Vater, vor Sandra liegt ein freies Wochenende, das sie vor allem mit Relaxen verbringen will. Beim Einkaufen im Supermarkt nimmt sie an der Pralinenverkostung von Jaboah teil, dessen Geschäft neu in der Stadt ist. Sandra ahnt nicht, dass sich damit alles Bisherige verändern wird: Nicht nur eine neue Liebe tritt in ihr Leben ... Praliné d´Amour - so erotisch wie romantisch.

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Inhalt

Praliné d´Amour

Impressum

Praliné d´Amour

Selma Ulrich

Praliné d´Amour

Roman

Teil 1

Kapitel 1

Es stimmt mich froh, dass Martin sich so gerne und gut kümmert, geht es mir wieder durch den Kopf, als ich Lenny zuwinke. Er sitzt auf der Rückbank des SUVs in seinem Kindersitz und lächelt mir zu.

Ich vermisse meinen Sohn schon jetzt. Gleichzeitig fühle ich die Freude, ab jetzt bis Sonntagabend für mich zu sein, Zeit für mich zu haben, es mir gutgehen zu lassen.

Martin hat sich gerne um ihn gekümmert, auch als wir noch zusammen lebten. Er ist wirklich ein ganz vorbildlicher Vater. Selbst jetzt, wo er mir noch immer diese Parfümverkäuferin Nadja vorzieht. Dummerweise hat sie ihn damals beraten, als er für mich ein Geburtstagsgeschenk aussuchen wollte. Es traf ihn wie ein Blitz, hatte er mir vor vierzehn Monaten erklärt.

Mich hatte sie auch wie ein Blitz getroffen, seine Aussage mit seiner Absicht, sich von mir zu trennen.

Es lief doch alles so gut. Harmonisch. Liebevoll. Für mich.

Nicht für Martin. Er sagte damals, er habe bei ihr gefunden, was er bei mir unbewusst vermisste.

Ob er es benennen könne, hatte ich ihn gefragt. Er verneinte. Es sei mehr emotional, sagte er mir, er habe dafür keine Worte. Er würde mich aber auf keinen Fall hassen.

Ich verstehe es bis heute nicht. Wir waren eine richtig schöne Familie. Lenny war nicht geplant, aber willkommen. Martin hatte geweint vor Freude, als er ihn das erste Mal sah.

Ich hatte keine Chance, musste ihn ziehen lassen. Die vermutlich teure Bodylotion, die er mir schenkte, habe ich bis heute nicht angerührt.

Martin liebt unseren Sohn und dieser braucht seinen Vater.

Seine Gefühle für mich waren nie so groß wie er sie nun für Nadja hat. Ich für meinen Teil kann klar sagen, dass ich noch nie jemanden mehr geliebt habe, als Martin. Er war meine große Liebe. Nun bin ich seit einem guten Jahr dabei, sie verblassen zu lassen, damit ich endlich wieder normal denken kann. Eine schwierige Aufgabe, denn ich weiß, dass es keinen Mann gibt, der ihm das Wasser reichen kann.

Carla sagt, ich will andere Männer gar nicht sehen, trage Scheuklappen, weil ich andere Männer nicht sehen will, die eventuell sogar besser zu mir passen könnten, als Martin. Vielleicht hat sie recht. Wahrscheinlich.

Im Moment habe ich eine Phase der Sehnsucht. Ich fühle mich oft allein und einsam. Nein, nur einsam. Allein bin ich ja nicht, ich habe ja Lenny. Er ist fünf.

Ich sehne mich nach Zuwendung und Umarmungen, wenn er schläft. Zuwendung eines Mannes, ich gebe es zu. Ich könnte sagen, Martin fehlt mir immer noch. Aber ich bin nicht sicher, ob es stimmt. Ich liebe ihn noch immer, vielleicht mittlerweile nicht mehr zu hundert Prozent. Aber vielleicht noch fünfzig. Oder doch nur noch dreißig?

Er wird mir immer verbunden sein durch die Frucht unserer Liebe. Ich bin froh, dass Lenny auch an ihm hängt, er liebt seinen Papi sehr und freut sich, wenn er jedes zweite Wochenende mit ihm verbringen darf.

Carla hat gut Reden. Sie hatte es noch nie mit festen Beziehungen. Irgendwie bewundere ich sie, wie sie das so auslebt, nicht jedes Wochenende, aber an den meisten hat sie immer einen anderen, mit dem sie kuschelt. Das ist so wie jemand, der alle paar Wochen in ein anderes Land reist, so reist sie bildlich gesehen alle paar Wochen in die Arme eines anderen Kerls durch die Facetten der Liebe.

Quatsch! Liebe ist das nicht, sie hat einfach Spaß!

Für mich wäre das trotzdem nichts. Ständig liegt Carla mir in den Ohren, ich solle mir jemanden suchen, der mir die Füße und noch ganz andere Dinge wärmt. Immer, wenn sie gerade solo ist, will sie mich überreden, mit ihr auszugehen, sie wisse, wo man die besten Typen findet, sagt sie dann.

Einmal war ich mit ihr aus. Da war Martin gerade vier Wochen weg. Die Bar war gut, die Musik auch, aber die Kerle … nein, ja, vielleicht waren zwei darunter, die mir gefallen hätten, aber nie im Leben hätte ich mir vorstellen können, einen davon abzuschleppen. Die Trennung war damals noch zu frisch, tat weh, ich habe Martin vermisst. Niemand konnte mich trösten, ein anderer Mann schon gar nicht.

Erst gestern Abend rief Carla mich wieder an. Sie weiß ja, wie meine Wochenenden belegt sind. Und erneut die gleiche Frage, ob ich mit ihr ausgehen würde. Sie wurde fast böse, als ich schon wieder ablehnte. „Sandra“, sagte sie in strengem Ton zu mir, „wenn du nicht bald aus deinem Kokon herauskommst, dann wirst du es nie schaffen. Willst du verschrumpelt und ohne richtigen Spaß gehabt zu haben irgendwann dein Leben beenden? Wach auf! Sexualität ist eines unserer Grundbedürfnisse! Leb sie endlich aus!“

Sie hat ja recht. Aber Grundbedürfnis hin oder her, ich bin nicht der Typ Frau, der mit jedem gleich rummacht. Ich kann es einfach nicht. Ohne Liebe und Gefühle geht bei mir gar nichts. Das versteht Carla nicht. Sie erzählt mir weiterhin sehr lebhaft von den Abenteuern, die sie erlebt, wie abwechslungsreich es sei, außerdem bekomme sie eine ganze Menge Menschenkenntnis auf diese Art, also Männerkenntnis, und die schade ja sicher nicht. Sie glaubt, mir damit den Mund wässrig machen zu können. Aber ich werde noch nicht einmal neidisch. Ich höre ihr gerne zu, ich mag ihre Geschichten wirklich sehr gerne hören, muss ich sie deshalb auch selbst erleben?

Die Zeit dafür ist wahrscheinlich noch nicht reif. Seit Martin hatte ich mit niemandem Sex. Nur mit mir, was auch nicht schlecht ist, nur bin ich eben allein mit mir, es gibt keine Nähe, keine Wärme, keine Umarmungen, keine Zärtlichkeiten, keine Küsse.

Wahrscheinlich hänge ich noch zu sehr an meiner Vergangenheit. So einen wie Martin werde ich nie wieder finden. Die Zeit mit ihm werde ich nie vergessen. Er ist der Vater meines Sohnes. Und unsere gemeinsamen sechseinhalb Jahre waren glücklich. Für mich auf jeden Fall.

Martin ist echt ein klasse Typ: groß, breitschultrig, dunkelhaarig mit Vier-Tage-Bart, dazu stahlblaue Augen, gut gebaut und das ganz ohne Sport! Er ist mit einem unverwechselbaren Charme ausgestattet, der echt ist und aus seinem Herzen kommt. Immer fühle ich noch diese Traurigkeit, wenn ich an ihn denke. Und so lange das so ist, kann ich mich keinem anderen zuwenden. Auch nicht nur für Spaß. Carla wird es nie verstehen, weil sie noch nie einen Mann ernsthaft geliebt hat.

Ich sehe, wie der Wagen um die Ecke und aus meinem Blickfeld verschwindet und gehe zurück ins Haus, in meine Wohnung. Wieder ein freies Wochenende, das vor mir liegt. Was fange ich diesmal an mit meiner Zeit? Frühjahrsputz wäre fällig. Ich könnte lesen, telefonieren, Musik von Lenny Kravitz hören, sie macht mich glücklich und ich gestehe, dass mein Sohn seinetwegen Lenny heißt. Martin habe ich das damals so nicht gesagt, aber ihm gefiel der Name auch. Dass ich Lenny Kravitz als Mann so richtig heiß finde, muss er nicht wissen.

Auf jeden Fall werde ich es mir zu Hause schön gemütlich machen und nicht ausgehen. Das hört sich sehr gut an und es scheint mir für den heutigen Abend die beste Zeitverschwendung zu sein. Putzen kann ich, wenn Lenny da ist und ihn involvieren, er freut sich, wenn er etwas tun darf, was sonst nur Große tun. Jetzt die Zeit für mich zu genießen, das ist mir wichtig.

Gut, sage ich mir, dann mache ich das, werde gleich noch ein paar Dinge einkaufen, meinen Essensgelüsten nachgeben, danach den Herrgott einen guten Mann sein lassen und relaxen, was das Zeug hält.

Kapitel 2

Gemüse und Obst lachen mich gleich zu Beginn im Supermarkt an, der dafür bekannt ist, Lebensmittel zu lieben. Ich entscheide mich für pralle kernlose Weintrauben, darauf habe ich richtig Lust, ich koste gleich eine, sie schmeckt himmlisch und süß. Ich gebe eine angemessene Menge davon in die Tüte, die ich von der Rolle abgerissen habe.

Worauf hab ich noch Gelüste? Hm. Ich sehe mich um, bugsiere meinen Einkaufskorb weiter durch die Gänge. Joghurt! Ich liebe Joghurt! Den gebe ich dann über die Trauben … hmm. Vielleicht noch Käse am Stück? Ja, das mag ich gerne beim Fernsehen, so leckere kleine Käsewürfel und Cocktailtomaten. Dafür muss ich eben zurück in die Gemüseabteilung.

Ich mag auch süße Sachen. Zum Glück sieht man es mir nicht so sehr an. Wenn ich schon ein gemütliches Wochenende mache, dann darf meine Lieblingsschokolade nicht fehlen, ich kann sie schon riechen und mein Weg führt mich wie von einem Magneten angezogen in Richtung der Schokoladenregale.

Der Duft wird stärker, ist stärker und anders als sonst. Eigentlich riecht sie sonst überhaupt nicht. Ich erkenne schon von weitem einen aufgebauten kleinen Tisch, darauf eine weiße Decke, ich gehe näher, sehe darauf silberne Tabletts, auf denen verschiedenste Pralinen zur Schau liegen: dunkle, mitteldunkle und helle, verziert mit Kokos, Pistazien, Hasel- und Walnüssen, in den schönsten Formen von rund bis oval, glatt oder auch wie aus einer Spritztülle hervorgebracht. Der intensive Schokoladenduft hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und mir gute Laune schon vom Riechen eingebracht. Wie ein kleines Mädchen stehe ich vor den Schokoladenstücken und bewundere die verschiedenen Variationen. Meine Zunge freut sich schon auf süße Genüsse und schwimmt bereits in einer Speichelmenge, die bei diesem Anblick meine Mundhöhle füllt.

„Du darfst sehr gerne probieren!“

Wie von ganz weit draußen höre ich die warme Stimme und schaue auf, blinzele ein paar Mal, als mein Blick auf einen freundlich aussehenden dunklen Mann hinter dem Tisch fällt, millimeterkurzes schwarzes Haar, das ich erkenne über seinen Ohren, er trägt eine Mütze, wie Gourmetköche sie tragen, Dreitagebart, ebenfalls schwarz, sehr hübsch ist er, hat ein strahlendes Lächeln, trägt dazu einen blütenweißen Kittel, der bestens mit seiner Haut kontrastiert.

„Beste Qualität. Bester Kakao aus Ghana. Schau, hier.“ Er greift mit seiner hellen Handfläche ein paar der Kakaobohnen auf, die in einer silbernen Schale liegen. Er hält sie mir hin. „Schnupper mal.“

Ich halte meine Nase darüber, schnüffle mehrmals. „Hmm“, sage ich, „riecht toll.“ Das tut es wirklich und mir läuft noch mehr Wasser im Mund zusammen. Ich hätte nicht gedacht, dass Kakaobohnen so duften können.

Der Mann mit der Mütze zeigt auf die Tabletts. „Probier mal. Lass dich verzaubern.“

Klar, verzaubern. Von Pralinen. Wie soll das denn gehen? Sie zaubern sich ganz plötzlich auf meine Hüften. Na gut, sie sehen schon sehr ansprechend und vor allem verführerisch aus, diese kleinen Schokoladenkunststücke, verziert mit den schönsten Mustern. Ich kann gar nicht Nein sagen.

Sieht alles toll aus, denke ich, wo soll ich denn anfangen? Bis ich da durch bin, ist Geschäftsschluss und mir wahrscheinlich schlecht. Ich gleite mit meinem Blick über die kleinen Delikatessen und wähle eine, hellbraun, rund, stecke sie in meinen Mund.

Der Pralinenmann sieht mich erwartungsvoll an.

Sahnig und süß zerläuft das Schokoladenstück, das meinen Mund fast ausfüllt, mit der genialen Füllung auf meiner Zunge. In meinem Leben habe ich schon oft Pralinen gegessen, aber diese nun ist wirklich ein ganz neues Geschmackserlebnis, sie schmeckt nach … Himmel, Sonne und Afrika, einfach nur gut. Ich schließe meine Augen, konzentriere mich voll auf das, was meine Geschmacksnerven an mein Hirn weiterleiten. „Hmm“, grunze ich. Mehr Worte finde ich nicht, es ist himmlisch.

Ich öffne meine Augen wieder. Der schokoladenbraune Mann schaut mich mit ganz großen Augen an.

„Unglaublich“, sage ich ihm wahrheitsgemäß.

„Siehst du. Probiere die hier“, sagte er und zeigt auf eine andere Schale. Die Farbe der Pralinen ist etwas dunkler, sie sind rund und in Kokos gewälzt.

„Ich weiß nicht“, höre ich mich sagen, ich bin gleich satt, wenn ich so weitermache. Sie scheinen doch etwas sehr Sättigendes zu haben, wie ich bemerke. Dennoch habe ich mich schon entschieden, zu kosten.

Der Mann hebt eine Hand, hält sie schräg zwischen uns. „Moment. Ich habe hier Besondere. Für eine ganz besondere Lady.“ Er grinst geheimnisvoll, während er mit einer Hand unter den Tisch greift, eine kleine goldene Schale hervorholt und sie mir hinhält. Darin liegen zwei herzförmige Pralinen, mit Goldstaub bepudert.

„Mein Praliné d´Amour“, flüstert er. „Nur für dich. Nicht für alle.“

Ich schaue ihm in die Augen und lächele. Er ist sehr charmant. Sein Blick sehr lieb. Klar, nur für mich. Woher wusste er denn, dass ich hier auftauche? Ein wahrer Charmeur. Sicherlich hat er andere Kundinnen schon vor mir genauso umgarnt. Vermutlich werde ich auch ohne diesen Spruch von seinen Pralinen kaufen. Sie sind unglaublich gut, die kann man einfach nicht verachten.

Es ist ja sein Geschäft und er versucht seine Produkte hier zu verkaufen, wie an anderen Ecken die mit den Suppentüten stehen, die in den auf kleine Heizplatten stehenden Töpfen rühren. Ich beschließe, ihm den Gefallen zu tun, denn er ist mir sehr sympathisch. Ich nehme eines der zwei Schokoladenherzen.

„Echtes Gold“, sagt er bedeutungsvoll, als ich mir das Herz auf die Zunge lege. Ich habe noch nie Gold gegessen. Aber davon schon gehört, es tut dem Körper nichts. Wertet ihn vielleicht auf? Ist das nicht eine Schande, Gold zu essen?, frage ich mich kurz. Leben wir so im Überfluss, dass wir es essen können?

Dann denke ich an nichts mehr. Sehe in seine dunklen Augen, die mich anstrahlen wie schwarze Löcher inmitten des Universums, die alles in sich vereinnahmen, was in ihre Nähe kommt. Ich sehe, wie das Goldpulver sich aus seinem Blick verflüchtigt und mir entgegenstaubt, sich mit einem warmen Wind auf mein Gesicht niederlässt. Und schmecke die cremige Konsistenz, irgendwas mit Alkohol, wunderbar sahnig, noch nie erlebter Genuss.

„Na? Zu viel versprochen?“, fragt er mich nach einer kleinen Ewigkeit, die er mich beobachtet hat.

Verklärt schaue ich ihn an. Meine Geschmacksknospen schweben noch, geben meine Fähigkeit, zu sprechen, noch nicht wieder frei.

Mein Blick wird aber wieder klar. Langsam. „Was war das denn?“, frage ich ihn verwundert. Mir ist, als sei ich für ein paar Sekunden abwesend gewesen.

Der Mann strahlt mich zufrieden an.

Ich fühle mich irgendwie vernebelt im Kopf. Was war wohl in dieser Praline drin gewesen? Vielleicht irgendwelche unerlaubten Zusatzstoffe, die high machen?, überlege ich kurz.

„Das war Jaboahs Zauber.“ Er legt seinen Kopf schief und eine Hand auf seine Herzregion, ein mit dunkelblauem Garn gestickter Schriftzug auf seinem weißen Kittel neben seinen Fingern fällt mir auf:Choco-Jaboah.

„Aha“, stammele ich, verstehe nicht ganz, blinzele noch ein paar Mal, „was für ein Zauber?“ Unwillkürlich denke ich an Voodoo, Medizinmänner und Regentänze unter der Sonne Afrikas.

Er legt einen Finger senkrecht über seine vollen Lippen. „Mein kleines Geheimnis“, sagt er lächelnd. Wie süß er aussieht!

Er nimmt eine kleine goldene Pappschachtel, legt mit einer silbernen Konfektzange die zweite Herzpraline hinein, als sei sie ein kostbarer Edelstein, fügt noch eine runde sowie eine ovale hinzu, verschließt die Schachtel und überreicht sie mir. Dazu hält er mir eine kleine Karte hin. „Morgen habe ich Geschäftseröffnung mit Probieraktionen, wirst du hinkommen?“

Ich zögere, bin noch immer überwältigt vom Geschmack der kleinen Köstlichkeit.

„Bitte, mache mir die Freude, komme, bitte, ich würde mich sehr, sehr freuen.“ Er hält wiederum seinen Kopf schief, sein Blick ist herzerwärmend bittend. Wenn er das mit allen Kundinnen gemacht hat, wird sein Laden morgen übervoll mit diesen Frauen sein. Darüber würde ich mich als Mann auch freuen. Als Geschäftsmann, meine ich natürlich.

Ich nehme die Schachtel und die Karte dankbar lächelnd in Empfang. „Gut, ich schau mal, ob ich Zeit habe.“ Sicher bin ich mir nicht, es gibt viele Dinge, die ich an meinem freien Wochenende so mache, außer zu relaxen. Aber ich möchte, dass er zufrieden ist. Nur deshalb sage ich, dass ich vielleicht vorbeikommen werde. Er muss ja nicht wissen, dass ich das nur so sage. Ich sage es auch so, dass er mir das glauben kann. Er glaubt es mir sicher. Er freut sich über meine Zusage. Und wird dann morgen womöglich enttäuscht sein. Wahrscheinlich hat er mich bis dahin längst vergessen. Mein Gott, was denke ich für einen Blödsinn? Was ich mit meiner freien Zeit anfange, werde ich morgen selbst und spontan entscheiden.

Ich lächele ihm freundlich zu und entferne mich. Er winkt kurz zur Verabschiedung. „Bis morgen“, sagt er lächelnd und ein wenig siegessicher.

Meinen restlichen Weg durch den Supermarkt setze ich wie in Trance fort. Mein ganzer Körper lächelt und ich fühle mich sehr gut. An meine bisherige Lieblingsschokolade denke ich gar nicht mehr.

Kapitel 3

Im Fernsehen läuft am Abend eine Komödie mit Bradley Cooper. Der Typ hat vielleicht Augen … ich sehe ihn sehr gerne. Er ist der, der unmittelbar nach Martin kommt. Für mich jedenfalls. Da er ein Hollywoodstar ist und unerreichbar für mich, ist klar, dass Martin noch immer den ersten Platz belegt.

So, den heutigen Abend verbringe ich mit Bradley. Und mit den Pralinen von … wie hieß der denn noch? Ich hole die kleine Karte aus meinem Portemonnaie. Choco-Jaboah Confiserie steht in schönen geschwungenen Lettern darauf, darunter die Adresse in der Innenstadt. „Schoko-Schaboah“, lese ich laut, dieser Name klingt schon wie Schokolade, die auf der Zunge zergeht.

Langsam öffne ich die goldene Schachtel, stecke meine Nase in die Öffnung. Es duftet herrlich und die Bilder der wunderschönen Pralinenausstellung vom Nachmittag kommen mir wieder in den Kopf. Dazu sehe ich die schwarzen Augen des Schokoladenmanns.

Die herzförmige liegt in der Mitte. Der goldene Staub leuchtet. Ich muss das nun nochmal ausprobieren, um herauszufinden, ob es nur meine Einbildung im Laden war, oder ob dieser Effekt auch hier zu Hause eintritt.

Mit Daumen und Zeigefinger angele ich das Herz heraus, bewundere es von allen Seiten, platziere es dann würdevoll auf meine Zunge, schließe die Augen, lehne meinen Kopf nach hinten und genieße.

Zart schmelzend, dann sahnig, süß, cremig, wieder eine unbekannte Alkoholnuance, und wieder denke ich an Afrika. Ich schwebe in einem Universum aus Goldstaub. Ich fühle mich leicht und schwebend, genau wie vorher. Es ist so schön, was auch immer mich da umgibt, ich möchte gar nicht mehr fort. Der zarte Schmelz verdünnt sich mehr und mehr, ich versuche, ihn so lange es geht, in meinem Mund zu halten, ihn bewusst zu genießen, den Geschmack im wahrsten Sinne auszukosten.

Irgendwann ist er verschwunden, macht sich in Innern meines Körpers breit. Ich bin sicher, über die Mundschleimhaut habe ich schon einen Großteil der geheimen Inhaltsstoffe aufgenommen.

Das Schweben aber bleibt noch. Es war wie ein kleiner Rauschzustand, ja, genau. Was er da wohl hineingezaubert hat?

Es war einfach wunderbar. Das Eintauchen in eine völlig andere Welt.

Die Lautstärke einer der obligatorischen Werbeblöcke holt mich zurück aus meinen Träumen. Vom Film habe ich erst einmal nichts mitbekommen. Dafür war ich in einer anderen Welt, in einem anderen unbekannten Universum unterwegs.

Kakao aus Ghana, hatte er gesagt. Ich greife mein Tablet, schaue nach, wo genau das liegt. Aha, im Knick von Afrika, im Westen, da, wo sich vielleicht im Urkontinent mal Südamerika angekuschelt hatte, bevor alles auseinanderbrach.

Wahrscheinlich stammt nicht nur der Kakao von dort, sondern auch Jaboah selbst. Es kling sehr abenteuerlich. Viele Fragen drängen sich plötzlich in mir auf: wie er in Ghana gelebt hat, wie er nach Deutschland gekommen ist, wie schwer es wohl für ihn sein mag, ein eigenes Geschäft zu führen in einem fremden Land. Und die Herstellung von Pralinen, noch dazu in so hochwertiger Form, die muss ja auch erst einmal erlernt werden.

Der Film, von dem ich kaum etwas mitbekommen habe, ist halb rum, die kleine Schachtel leer. Ich fühle mich sehr wohl, und ich mache mir überhaupt keine Gedanken, was diese Schokobomben mit meiner Figur anrichten können. Mein schlechtes Gewissen, das mir sonst gleich hämmernd in den Ohren liegt, ist weit weg. So weit, dass ich es nicht höre.

Vielleicht schaue ich mir den Laden morgen doch an, denke ich. Dann widerrufe ich den Plan. Warum sollte ich extra in die Stadt? Ich brauche sonst nichts. Ach, was soll´s, ich bin hundemüde und beschließe, mein Kopfkissen liebzuhaben und zu träumen. Das nehme ich mir immer vor, weil ich Träumen liebe, aber in den allermeisten Fällen erinnere ich mich nicht mehr. Und wenn, dann sind es dumme Träume mit sinnlosem Inhalt, die ich ganz schnell wieder vergesse.

Nicht so am nächsten Morgen. Als die Sonnenstrahlen mich küssen und ich meine Lider aufschlage, stelle ich fest, dass ich lächele. Ich fühle mich so gut wie lange nicht, erholt und sehr entspannt. Ich strecke mich genüsslich, mein Traum kommt mir ins Gedächtnis. Ich schließe meine Augen wieder, bin gleich dort, wo ich im Schlaf vorhin war: glückselig liege ich in einem kleinen Boot, um mich herum das weite Meer, dessen Wellen sanft an mein Boot plätschern, die Sonne steht bereits tief und glitzert auf dem Wasser, das mich und mein Boot sanft wiegt. Es fühlt sich wunderbar an. Keine Sorgen, kein Alltag, nur pure Ruhe und Glück. Ich weiß nicht, wo ich bin, aber ich weiß: Afrika ist nicht weit. Es riecht nach Schokolade, goldene Möwen fliegen über mir, ihre mit Kokosraspeln bestreuten Flügel verteilen goldenen Staub über mich und mein Boot. Sie lachen mir zu, ich lächele zurück. Eine von ihnen ist aus Schokolade, sie schmilzt unter dem Einfluss der warmen Sonnenstrahlen, die süße, laue, flüssige Schokolade träufelt mir auf den Mund, mit meiner Zunge fange ich sie auf. Ich fühle mich geborgen im Leben, einfach wundervoll.

Der Traum lässt mich kaum los. Habe ich jemals in einem Traum solch intensive Gefühle gehabt? Ich glaube nicht. Ich will nicht aufstehen, will dieses Gefühl noch länger genießen. Ich muss auch nicht aufstehen, es ist Samstag, Lenny ist nicht da, ich lasse mich noch ein paar Minuten im Nachklang meines Traumes treiben.

Meine volle Blase bringt mich allerdings dann doch dazu, mich aus dem Bett zu begeben.

Ich mache mir Frühstück, kleide mich an, ich bin bester Laune, wie lange nicht mehr. Ich tanze zur Musik aus dem Radio und freue mich des Lebens. Was ist mit mir los? Es ist schön und toll, nur sehr ungewohnt.

Ich bin so gut drauf, dass ich ohne Nachdenken die Wohnung auf Hochglanz bringe, dass es mir sehr viel Spaß macht. Das ist wirklich sehr ungewöhnlich.

Stolz erfüllt mich, als ich das Ergebnis sehe, erfreue mich am glänzenden Bad und am sauberen Boden, ich räume mit Begeisterung Lennys Zimmer auf und hoffe, er wird sich freuen, wenn er morgen zurückkommt. Es wird ihn nicht interessieren, ich weiß.

Mich stimmt es zufrieden.

Nach getaner Arbeit sinke ich mit einer Tasse Kaffee glücklich auf das Sofa. Auf dem Tisch liegt die Karte vom Pralinenmann. Ich überlege. Soll ich doch hingehen? Ich sehe auf die Uhr: sie zeigt halb drei. Wie lange wird er sein Geschäft wohl geöffnet haben? Vielleicht ist ja schon zu. Warum sollte ich überhaupt hingehen? Vielleicht, weil ich mehr von diesen wundervollen Pralinen kaufen möchte? Weil ich vielleicht erfahren möchte, was genau sich hinter diesem Zauber verbirgt? Zugegeben, diese Pralinen haben meine Lieblingsschokolade um Längen geschlagen. Ich beschließe, das Schicksal entscheiden zu lassen. Ich dusche mir erst meine Verschwitztheit vom Körper, verspüre Lust, eines meiner hübschen Kleider anzuziehen, wähle das dunkelblaue mit den cremefarbenen Punkten, es ist schön geschnitten, ich mag es, weil es meine schmale Taille gut betont und der V-Ausschnitt ist auch nicht zu tief. Ich bürste mein brünettes Haar so lange, bis es glänzt, schiebe den blutroten Haarreifen über den Kopf, er passt sich perfekt meinem Lippenstift an, den ich nicht zu stark auftrage, weil mir danach nicht ist. Ich lächle meinem Spiegelbild zufrieden zu.

Es ist sonnig, nicht nur noch immer in mir drin, sondern auch draußen im Freien. Ich werfe meinen Trench über, mache mich auf in die Stadt. Sollte der Laden schon zu sein, dann ist es eben so.

Kapitel 4

Es ist kurz vor vier. Ich schlendere durch die Fußgängerzone. Gleich neben dem Herrenausstatter muss es sein. Menschen begegnen mir kaum noch um diese Zeit, die meisten Geschäfte haben bereits geschlossen. Von Weitem sehe ich eine Klapptafel, die vor dem Schaufenster steht, hinter dem sich das neue Geschäft befindet. Als ich näher komme, lese ich „HeuteGeschäftseröffnung – Herzlich Willkommen – Pralinen Verkostung“ darauf. Der Laden scheint recht klein zu sein, ich erinnere mich, dass dort früher einmal ein Krawattenladen war, danach standen die Räume lange leer.

Der Schokomann tritt in schwarzer Hose und hellblauem Hemd hinaus, klappt die Tafel zusammen, ist offenbar im Begriff, zu schließen. Mein Blick klebt an seinem perfekt geformten Körper, der in dieser Kleidung sehr gut betont wird und athletisch zu sein scheint. Im Zurückgehen fällt sein Blick auf mich. Er lacht, die Erleichterung darin erkenne ich. „Ich wusste, du kommst noch!“, ruft er mir fröhlich entgegen.

„Du willst jetzt schließen?“ entfährt es mir. „Ich bin wohl doch zu spät.“

„O nein, ganz und gar nicht“, antwortet er. Seine Zähne blenden mich fast. „Du bist genau richtig.“ Seine Stimme klingt warm und dunkel, wie Schokolade eben. Er zeigt mit einer Hand einladend in den Geschäftsraum. Lächelnd trete ich ein. Die anderen Kunden, die ich erwartet habe, sind natürlich schon weg.

Hinter mir verschließt er die Türe, dreht ein Schild so herum, dass von innen „geöffnet“ zu lesen ist. Es ist angenehm kühl klimatisiert.

Es duftet verführerisch in dem kleinen Raum. Ich sehe mich kurz um, während er ein paar Dinge vom gläsernen Tresen räumt, auf dem goldene Schachteln verschiedenster Größen aufgetürmt stehen, solche, wie er mir am Vortag eine mit Inhalt geschenkt hat. Darunter entdecke ich noch wenige der verschiedensten Pralinés in allen erdenklichen Formen und Farben, dekoriert auf weißen und goldenen Spitzen. Er hat guten Umsatz gemacht und viel verkauft, wie es aussieht.

An den hellen Wänden ansprechende Fotos, großflächige Makroaufnahmen von Kakaobohnen, flüssiger Schokolade, Pralinés.

Im Schaufenster sind verschiedene Porzellanschalen aufgebaut, die sich sehr gut zur Präsentation dieser edlen Schokoladen eignen, mit ganz besonderer Malerei und teilweise gold umrandet. Dazwischen, ich glaube es kaum, so schön sind sie, die kleinen Blumensträuße, die aus purer Schokolade hergestellt zu sein scheinen, dunkle und helle, mit wunderschönen filigranen Verzierungen.

„Sagst du mir deinen Namen?“, fragt mich die Schokostimme, die plötzlich neben mir steht.

„Sandra“, sage ich und sehe in seine dunklen Augen, die im Weiß leuchten.

„Ich bin Jaboah. Ich freue mich, dass du da bist, Sandra.“ Er sieht sich mein Gesicht ganz intensiv an, dass es mir fast etwas peinlich ist.

„Komm“, sagt er und nimmt meine Hand, „ich will dir etwas zeigen.“

Er führt mich um den Tresen herum in einen Hinterraum, den wir durch eine Flügeltür betreten. Er schaltet das Licht ein, obwohl noch Helligkeit durch das Fenster fällt. Eine blitzblanke weiße Küche mit ganz viel marmorner Arbeitsfläche, ringsherum und auch mittig im Raum, befindet sich dort. Sauber geordnet stehen Roste, metallene Formen, Töpfe, Schüsseln und Besteckutensilien in verschiedenen Größen in einer Ecke.

„Meine Kreativküche“, sagt er stolz mit ausgebreiteten Armen. „Hier entstehen meine Köstlichkeiten.“

Mein Blick fällt auf eine große Besonderheit, die am Fenster steht: auf einer dicken Marmorsäule ist ein imposanter Brunnen platziert, eine glänzend silberne Schale, die sicher mehr als einen halben Meter im Durchmesser misst. Ich gehe hin und staune. In der Mitte rankt sich eine Frauenskulptur zwischen den Schalen, glänzend, braun, eine nackte afrikanische Schönheit mit anmutigen Formen, die auf ihrem Kopf eine Schüssel hält, aus der permanent Schwalle aus flüssiger dunkler Schokolade hervorquellen. Sie fließen über den Rand der Schüssel, hinab in die große Schale, die fast damit voll ist. So einen schönen Brunnen habe ich noch niemals gesehen. Sinnlich empfinde ich es anzuschauen, wie die dunkelbraune Masse warm, glänzend und intensiv duftend schwerfällig heruntertropft. Es juckt in meinem Finger, ich möchte unbedingt probieren … kann es mir gerade noch verkneifen.

Jaboah geht zu einem der drei riesigen verchromten Kühlschänke, holt eine Schüssel daraus hervor. Mit einem kleinen Löffel nimmt er etwas der darin befindlichen dunklen Masse, reicht ihn mir. „Meine neueste Kreation. Du bist die erste, die kosten darf.“

Ich fühle mich geehrt und nehme ihm den Löffel ab, führe ihn zu meinem Mund, nehme die Kostprobe auf die Zunge. „Hmm, das ist fantastisch. Was ist das?“

Jaboah strahlt. „Eine ganz besondere Ganache. Ich habe lange daran herumgetüftelt, ich glaube, nun ist sie perfekt.“

„O ja, perfekt. Könnte hinkommen.“ Ich bin sehr beeindruckt und genieße die Reste davon auf meiner Zunge.

„Ich lade dich ein dabei zu sein, wenn meine neue Kreation entsteht. Jetzt.“ Seine Augen sehen mich groß an.

„Was denn, ich?“ Ich lache. Das meint er sicher nicht ernst.

„Ja, genau.“ Er greift in eine Schublade, zieht zwei glatt gebügelte schneeweiße Schürzen hervor, reicht mir eine davon. Ich weiß noch immer nicht, was da genau geschieht, aber ich glaube, ich werde Zeugin der Pralinenherstellung werden, habe ich im Gefühl.

Ich lasse es geschehen. Woanders muss man dafür sicher eine Menge Geld bezahlen, um solch einen Kurs zu belegen. So eine Gelegenheit sollte ich wahrnehmen. Ich habe noch niemals selbst Konfekt hergestellt, dafür aber schon umso mehr genossen. Ich kann behaupten, etwas davon zu verstehen. Zumindest, was Geschmack angeht. Und da habe ich solche, wie von Jaboah kreiert, noch niemals gegessen. Sie sind wirklich besonders.

„Warum sind deine Kreationen so anders?“, frage ich ihn. „So besonders?“

Er lächelt geheimnisvoll. „Ich verwende die beste Kakaobutter, die es gibt, davon volle hundert Prozent. Auf die Füllungen lege ich ganz besonderen Wert, wie du schon gemerkt hast. Dazu ganz spezielle afrikanische Gewürze. Und diese Zusammensetzung ist mein persönliches Geheimnis. Noch ein wenig afrikanischer Zauber hinzu, das macht sie so besonders.“

„Afrikanischer Zauber?“, wiederhole ich mit etwas zweifelndem Blick. „Was meinst du denn damit?“ Mir kommt eine leise Ahnung in den Kopf, dass er vielleicht mit … na ja, Drogen möchte ich nicht sagen, aber mit Dingen arbeitet, die normalerweise nicht so in der Schokoladenherstellung üblich sind.

Er lacht übers ganze Gesicht. Das Weiß seiner Zähne, das zarte Rosa seiner Zunge und Lippen, dazu die haselnussbraune Haut, der dunkle Klang seiner Stimme …

„Nein, keine Drogen.“

Hat er meine Gedanken erraten?

„Nur Gewürze. Jedes hat eine andere Wirkung. Ich kenne mich sehr gut damit aus.“

„Das bezweifle ich in keinster Weise.“ Ich stelle meine Tasche auf einen Stuhl, lege meinen Mantel ab und streife mir die Schürze über.

„Weißt du eigentlich, wie gesund Kakao ist?“

„Hab ich schon mal gehört, ja.“

„Da sind ganz viele Stoffe drin, die der Mensch so benötigt, besonders Frauen, weil da zum Beispiel viel Eisen drin ist. Und viele Antioxidantien für die Schönheit, aber auch Anandamide, die brauchen wir, um uns glücklich zu fühlen.“

„Ach so? Dann weiß ich, warum mir Schokolade so guttut!“

„Ja, aber nur, wenn der Kakao- und Kakaobutteranteil hoch genug und wertvoll ist. Minderwertige Schokolade schadet dir eher.“

„Hm. Sag mal, woher kommst du eigentlich?“

Er scheint nur lachen zu können, er ist die Fröhlichkeit in Person. „Woher ich komme? Ich bin hier geboren. Meine Mutter ist von hier, mein Vater aus Ghana.“ Er zieht eine Schublade auf, holt ein paar Töpfe heraus. „Mein Vater war Diplomat. Wir sind viel in der Welt herumgereist, ich weiß aber nicht mehr so viel davon. Als ich sechs war, wurde mein Papa krank, er starb wenig später. Meine Mama hat mir geholfen, so zu werden wie ich bin. Sie hilft mir auch hier im Geschäft. Sie ist kurz vor dir gegangen.“

Aus einem zweiten Kühlschrank holt er ein großes Tablett, voll mit vorgefertigten Pralinenhüllen. „Alle selbst gegossen“, erklärt er stolz. „Da hinein kommt nun die Ganache, und als Spezialität Macadamianüsse. Ich zeige dir gleich alles.“

Er ist voll in seinem Element. Geht auf in seinem Beruf. Es ist seine Bestimmung, seine Berufung, das sieht man sofort. Er macht eine gute Figur hier in der Küche, es passt alles zusammen. Er passt hinein ins Bild. Er reicht mir Gummihandschuhe, dann eine Schüssel mit den Nüssen. „In jeden Hohlkörper kommt eine.“

Mit den Handschuhen über meinen Fingern verteile ich vorsichtig die Nüsse in die Schokoladenhohlkörper, während Jaboah die Ganache in eine Spritztüte füllt. „Perfekt. Gut gemacht, du bist eine gute Schülerin“, lobt er mich mit breitem Lächeln.

Sorgfältig gibt er die Masse in die Hüllen, deckt die Nüsse damit zu, bis sie darin verschwunden sind. Er macht es mit sehr viel Hingabe, ja, wirklich mit liebevoller Zärtlichkeit, die mich sehr beeindruckt und irgendwie berührt. In einem Topf mit warmem Wasser hat eine weitere Spritztüte gelegen. Er nimmt sie anschließend und verschließt mit der Schokolade, die sich darin befindet, die Pralinen.

„Wusstest du, dass das Wort Praliné ein deutsches ist?“

„Hm … nein, wie das? Ist das nicht die französische Bezeichnung für unsere Praline?“

„Nein, die Franzosen sagen einfach Chocolat. Die Bezeichnung Praliné kommt vom französischen Verb praliner, hört sich genau so an, aber das bedeutet, dass man etwas in Zucker bräunt. Im Deutschen hat man dann aus diesem Wort das Praliné gemacht.“

Mit einem langen Messer streicht er zum Abschluss komplett über die Formen, streift überschüssige Schokolade ab. Das Tablett gibt er zurück in die Kühlung.

„Wo hast du das gelernt?“ Ich bewundere ihn und bin von seiner Arbeit sehr beeindruckt. „Oder bist du ein Naturtalent?“

Er lacht laut. „Ja, das vielleicht auch. In Flandern habe ich das gelernt, einen Teil zumindest. Mein großer Bruder lebt in Antwerpen, dort wird sehr viel Schokolade hergestellt, wusstest du das? Ich habe ein paar Jahre bei ihm gelebt und bei einem bekannten Chocolatier dieses schöne Handwerk gelernt. Das dauert schon eine Zeit, bis man das alles weiß und drauf hat. Weißt du, Antwerpen ist ja auch ein bekannter Umschlagplatz für Diamanten. Nun fügst du Diamanten und Schokolade zusammen … und heraus kommt das Beste vom Besten! Du kriegst dort an jeder Ecke Pralinen in Form von Diamanten und Brillanten zu kaufen, das ist natürlich der Renner bei den Touristen!“

Ich staune wieder, denn das war mir auch nicht bekannt.

„Perfektioniert habe ich meine Kunst bis vor kurzem in der Schweiz. Ich habe sogar die Fachprüfung bestanden und darf mich nun Diplomierter Konditor und Confiseur nennen.“

„Wow, das haut mich ja um, was du so alles drauf hast. Ich hätte nie gedacht, dass es diesen Beruf in dieser Form gibt.“ Mein Gesichtsausdruck erzählt ganz sicher von meiner Hochachtung.

„Die Idee mit dem Gold und der Schokolade ist nicht neu“, erzählt er weiter, „ich habe sie von dort mitgebracht. Aber ich bin dabei, auch das nach meinen eigenen Ideen zu verfeinern und auszuarbeiten.“

Ich höre ihm fasziniert zu, kann gar nichts sagen, so sehr bin ich beeindruckt und beobachte, wie er inzwischen in zwei kleinen Töpfen gleichzeitig rührt. Es riecht herrlich nach Schokolade und … Alkohol!

„Was machst du da eigentlich?“ Während ich das frage, ziehe ich die Gummihandschuhe aus, stehe vom Stuhl auf, von dem aus ich ihn beobachtet habe und schaue in die Töpfe hinein. In dem einen erwärmt er einen mit einer Gewürzmischung versetzten und köstlich duftenden dunkelroten Wein, in dem anderen eine sehr flüssige Kakaomasse. Es riecht verboten gut.

„Das wird dich umhauen. Du trinkst doch Alkohol?“

Ich grinse. Sieht er mir das an? „Gelegentlich“, gebe ich zu.

„Es ist mein neu entwickeltes Rezept für einen Schoko-Glühwein. Freu dich mal schon auf die kalte Jahreszeit, dann werde ich die Kundschaft damit beglücken. Nimmst du bitte zwei Tassen dort oben aus dem Schrank?“

Das mache ich und stelle sie ihm hin. In einem von ihm bestimmten Mischungsverhältnis gießt er aus beiden Töpfen in die Tassen.

Gespannt schaut er mich an, als ich den ersten Schluck nehme. Ich muss nicht übertreiben, als ich ihm sage, dass mir die Worte fehlen. „Was für eine Kombination. Du bist wahrlich ein Held!“ Es schmeckt teuflisch gut.

Er ist stolz und strahlt.

Und ich vergesse alles. Bin in meinem Traum angekommen. Diese Pralinen vom Vorabend müssen magisch gewesen sein, so magisch wie alles und wie Jaboah selbst. Er ist ein wahrer Künstler, und zaubern kann er tatsächlich. Er zaubert, dass ich immer nur lächele und alle Sorgen vergesse.

Seine Augen und sein Blick sind ebenfalls voll von zauberhafter Magie. Ich weiß nicht, was es ist, das Goldpuder ist wieder da, die ganze Luft scheint zu glitzern. Es ist so schön, Jaboah anzusehen, zu sehen, wie er mich ansieht. Es tut mir so gut.

Seine Schokolade streichelt meine Seele, sein Blick streichelt mein Herz.

Was passiert da eigentlich?

Kapitel 5

„Soll ich dir die allerwichtigste Zutat verraten?“

Er wird mir sicher keines seiner Geheimnisse preisgeben, denke ich. So erwartungsvoll groß, wie seine Augen sind, wartet er darauf, es mir zu sagen. Ich nicke also.

„Liebe.“ Er sagt nur diese eine Wort, aber es klingt wie von einem Gospelchor gesungen.

„Liebe?“ Ich habe ihn verstanden und weiß gar nicht, warum ich dennoch frage.

„Ja. Liebe ist das Wichtigste. Im Leben und auch hier in meiner Kunst. Ich mache alles mit sehr, sehr viel Liebe.“ Er spricht die Worte zärtlich aus, sie legen sich wie eine geschmeidige Decke auf uns nieder.