Predigt braucht Gefühl - Arndt Schnepper - E-Book

Predigt braucht Gefühl E-Book

Arndt Schnepper

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Beschreibung

Eine Predigt, die mitreißt und begeistert, die zu Tränen rührt und bewegt, nachklingt und verändert – das ist die Sehnsucht vieler Gottesdienstbesucher. Arndt Schnepper ermutigt dazu, Gefühlen in Predigten mehr Raum zu geben - so wie es jahrhundertelang in Gottesdiensten der Fall war. Ganz praktisch zeigt Schnepper, wie Predigten ihr Ziel nicht verfehlen: den Hörer. Damit die Worte nicht nur in den Kopf, sondern auch ins Herz gehen.

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Arndt Schnepper

Predigt braucht Gefühl

Große Emotionen im Gottesdienst ermöglichen

SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22970-7 (E-Book)

ISBN 978-3-417-24163-1 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2020 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH

May-Eyth-Straße 41 . 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.

Weiter wurde verwendet:

Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen. (ELB)

Umschlaggestaltung: Daniel Salewski,

SCM Bundes-Verlag gGmbH Witten

Titelbild: gettyimages.de, SvetaZi (Bild-ID 533727854)

Satz: Christoph Möller, Hattingen

Inhalt

Über den Autor

Einstimmung – das Vorwort

Kapitel 1: Bitte mit Gefühl!

Einleitung: Was können wir tun?

Drei Faktoren – wie Predigten wirken

Christus – der Meisterprediger

Glaube ist kein Gefühl – oder doch?

Die Schatten der Geschichte – Gründe unserer Gefühlsarmut

Kapitel 2: Theologische Kompetenz

Einleitung: In die Dynamik eintauchen

Erste Bewegung – vom Gesetz zum Evangelium

Zweite Bewegung – vom Zorn zur Liebe

Dritte Bewegung – von der Sorge zur Hoffnung

Vierte Bewegung – von der Sehnsucht zur Erfüllung

Kapitel 3: Ästhetische Kompetenz

Einleitung: Fühlung aufnehmen

Feiner Unterschied – mit und ohne Geist

Sich anstecken lassen – Affizierung

Unsichtbare Ströme – das Fluidum fassen

Was in der Luft ist – Atmosphären ahnen

Kapitel 4: Rhetorische Kompetenz

Einleitung: Öffentlich sprechen

Mal schlicht, mal ergreifend – Stilwechsel tut not

Der Sound von Mesopotamien – Sprache klingen lassen

Storytelling – Kunst des Erzählens

Biografisch werden – von sich selbst reden

Dein Haus brennt – konkret reden

Nicht nur auf Samtpfoten – aggressiv predigen

Kapitel 5: Soziale Kompetenz

Einleitung: In Kontakt treten

Keine Kleinigkeiten – Anfang und Ende

Gesprächsweise – Predigt im Dialog

Frei sprechen – Improvisation wagen

Massenpredigt – auch mal plakativ sein

Gefühle zeigen – Tränen lügen nicht

Modus der Erlösung – Heiterkeit versprühen

Kreise schließen sich – eins werden

Literaturhinweise

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Autor

ARNDT SCHNEPPER ist Leiter des Praxisinstituts Evangelisation in Witten und unterrichtet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Braunschweig. Er ist promovierter Theologe und Autor mehrerer Bücher im Bereich der Praktischen Theologie.

Große Gefühle

auf der Kanzel

Eine Predigt, die mitreißt und begeistert, die zu Tränen rührt und bewegt, nachklingt und verändert – das ist die Sehnsucht vieler Gottesdienstbesucher.

Arndt Schnepper ermutigt dazu, Gefühlen in Predigten mehr Raum zu geben – so, wie es jahrhundertelang in Gottesdiensten der Fall war. Ganz praktisch zeigt er in kurzen wie einfachen Schritten auf, wie Predigten ihr Ziel nicht verfehlen: die Hörer und Hörerinnen. Damit die Worte nicht nur in den Kopf, sondern auch ins Herz gehen.

»Wir können mit einer Predigt den Glauben nicht ›machen‹. Er ist und bleibt etwas Unverfügbares. Aber wir sind durchaus in der Lage, für ein paar Voraussetzungen zu sorgen, damit eine Predigt dann wirksam werden kann. Oder so formuliert: Wir können etwas tun, damit das Wesentliche durch Gott geschehen kann.«

ARNDT SCHNEPPER

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Einstimmung – das Vorwort

Es gibt Predigten, die ziemlich schief sind. Kein Wunder, dass sie wenig Echo finden. Und es gibt ebenso Predigten, die ziemlich gut sind. Doch auch sie zeigen manchmal nur eine minimale Wirkung. Wie ist dieser Umstand zu erklären? In vielen Fällen fehlt es ihnen nicht an Ernst und Exegese, auch nicht an Gebet und Gebrauchshinweisen fürs praktische Leben. Es mangelt ihnen schlicht und einfach an Gefühl. Die Menschen bestehen eben nicht nur aus Verstand und Intellekt. Sie denken und grübeln nicht nur, sondern sie fühlen und empfinden auch. »Es gibt für den Menschen keine lebendige Wahrheit als die gefühlte«, so schrieb der Erweckungstheologe Friedrich August Gottgetreu Tholuck (1799–1877) in seinem Werk »Predigten über Hauptstücke des christlichen Glaubens und Lebens« (Tholuck 1842, S. 300). Hierbei geht es freilich nicht um eine Auflösung der Wahrheit und des Wissens zulasten einer übertriebenen Rührseligkeit. Das Ziel ist vielmehr, so zu predigen, dass der Mensch das Evangelium fassen kann – mit Kopf und Herz. Darum sollte eine Predigt beides enthalten: Informationen und Emotionen. Das ist keine neue Einsicht, aber eine, die immer wieder in Vergessenheit gerät. Nach einer Einführung in das Thema entfalte ich vier Kompetenzen. Es handelt sich um Fertigkeiten, die wichtige Schlüssel für emotionale Predigten sind.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Kapitel 1: Bitte mit Gefühl!

Einleitung: Was können wir tun?

Was können wir tun, damit unsere Predigten eine Wirkung erzielen? Eine klassische Antwort auf diese Frage ist: nichts. Schlicht und ergreifend nichts. Vertreter und Vertreterinnen dieser Position finden sich in allen Kirchen und auf vielen Kanzeln. Sie eint die Überzeugung, dass die Wirkung einer Predigt ganz und gar von Gottes Wirken abhängig sei. Nur Gott allein könne durch unser Reden eine Resonanz der Zuhörer erwirken. Glaube sei immer eine Gabe, die ausschließlich durch den Heiligen Geist erschaffen werde. Darum, so die Überzeugung, führe die gestellte Frage auch in die Irre. Wenn überhaupt, dann sei das Gebet zu Gott ein legitimer Weg, der Predigt einen hohen Wirkungskreis zu ermöglichen. Auf den ersten Blick sieht dieser Standpunkt sehr ordentlich aus. Schließlich signalisieren die Anwälte dieser Position ein hohes Maß an Bescheidenheit. »Ich vermag nichts, Gott tut alles« – das ist die hohe Form der christlichen Zurückhaltung. Und ist die Ansicht nicht auch theologisch korrekt? Schließlich stimmt der Ansatz mit dem evangelischen Motto »Allein durch Gnade« (lat. sola gratia) bestens überein. Die Antwort klingt also gut, aber ist sie auch sachgemäß?

Drei Faktoren – wie Predigten wirken

Eindruck

Sicher ist an der beschriebenen Position richtig, dass wir eine Wirkung der Predigt weder planen noch produzieren können. Geistliche Dynamik lässt sich nicht mixen und in Flaschen abfüllen. Es stimmt ja: Wir können mit einer Predigt den Glauben nicht »machen«. Er ist und bleibt etwas Unverfügbares. Die biblischen Aussagen sind an dieser Stelle eindeutig. Wenn etwas geschieht, dann durch Gottes Wort und seinen Geist. Sachgemäß sprachen die alten Theologen von der Heilswirksamkeit der Schrift (lat. efficacia scripturae). So weit, so gut. Die entscheidende Frage ist aber nun, ob dies auch im Umkehrschluss bedeutet, dass wir »überhaupt nichts« tun sollen? Nun, das Wichtigste – den Glauben – können wir mit einer Predigt nicht erzeugen. Aber wir sind durchaus in der Lage, für ein paar Voraussetzungen zu sorgen, damit eine Predigt dann wirksam werden kann. Oder so formuliert: Wir können etwas tun, damit das Wesentliche durch Gott geschehen kann. Drei entscheidende Bedingungen möchte ich näher beleuchten.

Inspiration

Auch auf die Gefahr hin, dass das folgende Beispiel lapidar klingt, so ist es doch elementar. Die erste Bedingung, damit eine Predigt wirksam werden kann, ist ihre akustische Wahrnehmung. Es stimmt leider: Prediger und Predigerinnen, die zu leise sprechen, werden kein Gehör finden. Da können ihre Ideen noch so interessant sein. Wollen wir mit der Predigt eine Wirkung ermöglichen, müssen die Menschen uns hören können. Was für den Schall gilt, stimmt auch für die Predigt – ohne Worte kein Widerhall. Hier berühren wir also die äußeren Rahmenbedingungen, die gegeben sein müssen.

Wie die Außenwelt ist auch die Innenwelt des Menschen für die Predigt von erheblicher Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der kognitive Rahmen des Menschen, also seine Fähigkeit, zu denken und zu verstehen. Die Sache ist so simpel wie wahr: Eine Predigt, die meine Zuhörer nicht verstehen, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreichen. Das beginnt ganz grundsätzlich mit dem Zeichensystem, das eine Sprachgemeinschaft nutzt. Wird es nicht geteilt, kommt kein Verstehen zustande. Die Predigt muss also in der Muttersprache gehalten werden, die mein Gegenüber beherrscht. Wohl berichtet die Apostelgeschichte von der aramäischen Pfingstpredigt des Petrus, wo etliche Nationalitäten plötzlich alles verstehen konnten (Apostelgeschichte 2). Doch diesen Bericht dürfen wir getrost als Sonderfall der christlichen Kommunikation bezeichnen. Schließlich besuchen auch heute noch Missionare und Missionarinnen eine Sprachschule oder nutzen die Hilfe von Übersetzern. Grundsätzlich gilt: Nur wer begreifen kann, lässt sich auch bewegen.

Aber es geht nicht nur um die gesprochene Sprache. Es sind in der Predigt auch die Inhalte, die verständlich gemacht werden müssen. Es ist eine Binsenweisheit: Zu Kindern redet man anders als zu Jugendlichen oder zu Erwachsenen. Leute ohne Schulabschluss sind in aller Regel nicht wie Hochschuldozierende anzusprechen. Und Menschen ohne religiöse Bildung unterscheiden sich in ihrem Verständnisrahmen erheblich von engagierten Gottesdienstbesuchern. Die Beispiele zeigen, dass eine Predigt eine ziemlich anspruchsvolle Angelegenheit ist. Es ist eines, die Muttersprache der Zuhörer sprechen zu können. Es ist ein anderes, auch ihre Sprache zu sprechen. Wer sich nicht bemüht, seine Zuhörenden zu verstehen, steht in Gefahr, an ihnen vorbeizureden. Sprachfähigkeit ist gefragt.

Zum Hören und Verstehen gesellt sich aber noch eine dritte Voraussetzung, damit Predigten wirken können: das Fühlen. Und das ist kein nebensächlicher Faktor. Die moderne Hirnforschung legt nahe, dass das Fühlen das Denken mehr beeinflusst als umgekehrt. Doch der Reihe nach: Knapp drei Pfund wiegt das Gehirn eines Erwachsenen. Obwohl es recht klein, ist es doch das Körperorgan mit dem höchsten Energieverbrauch. Etwa 20 Prozent des gesamten Umsatzes wird hier beansprucht. Wichtige Funktionen sind hierbei die kognitiven Prozesse wie Denken, Deuten, Erinnern und Vorstellen. Sie vollziehen sich weithin in der sogenannten Großhirnrinde, der oberen Schicht des Gehirns. Rund 16 Milliarden Nervenzellen sind hier am Werk. Hinzu kommen die Gefühle, die im limbischen System beheimatet sind, das von der Großhirnrinde eingefasst ist. Beide Gehirnteile funktionieren durchaus eigenständig, sind aber auch auf hochkomplexe Weise miteinander verbunden. Parallel zu den Gefühlen entstehen im limbischen System auch die Ansichten über das, was richtig und falsch oder wichtig ist.

Eine weitere Einsicht der Hirnforschung betrifft nun das Verhältnis von Großhirnrinde und limbischem System. Denn hier gibt es eine klare Rangordnung: Das limbische System ist viel einflussreicher als die Großhirnrinde. Die emotionalen Schaltstellen steuern sehr viel stärker die Verstandesebene als umgekehrt. Diesen biologischen Befund kann man jederzeit an sich selbst nachvollziehen. Zum einen haben die Gefühle einen mächtigen Partner, nämlich unseren Körper. Viele unserer Emotionen, die sich im Kopf bilden, werden von körperlichen Erscheinungen begleitet. So kann unser Herz vor Freude hüpfen oder vor Angst rasen. Die Sorge vermag uns niederzudrücken, die Gewissheit schenkt uns einen aufrechten Gang. Bei innerer Unruhe bilden sich Falten auf unserer Stirn. Empfinden wir Glück, dann lächeln wir und fangen an zu strahlen. Zum anderen treffen wir viele unserer wichtigen Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Auch wenn wir alles sachlich durchdenken und die Argumente gegeneinander abwägen, gibt meistens unser Gefühl den Ausschlag. Denn das Leben verläuft anders als Mathematik oder Geometrie.

Blicken wir nun wieder auf die Predigt: Wenn sie Resonanz finden soll, dann muss sie dem Menschen entsprechen. Nicht dem Menschen, wie er im Idealfall sein sollte, sondern dem, der er in Wirklichkeit ist. Mit anderen Worten: Zuerst müssen die Schallwellen einen Weg durch das Gehör finden – das ist die leibliche Ebene. Das Gesagte muss sodann vom Gehirn verarbeitet und verstanden werden können – das ist die kognitive Dimension. Und das Geäußerte muss schließlich vom limbischen System als bedeutungsvoll empfunden werden – das ist die emotionale Bedingung. Fehlt der Predigt eine der drei Facetten, dann fehlt ihr Wesentliches. Ja, ein anschließendes Wirken wird fast unmöglich gemacht.

Natürlich gibt es auch hier die berühmten Ausnahmen, etwa wenn Gott eine Eselin zu Bileam sprechen lässt (4. Mose 22,28). Doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Und so ist es auch einzuordnen, wenn eine ziemlich schlichte und schlechte Predigt manchmal doch zu viel Nachdenken anregen kann. Oder wenn es passiert, dass eine emotionslose und langweilige Andacht zu heftigen Erschütterungen führt. Solche Fälle gibt es immer wieder, aber sie sind und bleiben eher selten. Damit Gott durch Predigten wirken kann, müssen Prediger und Predigerinnen von außen nach innen die Voraussetzungen hierfür schaffen.

Praxis

Doch wie sehen Predigten heute bei uns aus? Welche der drei genannten Faktoren werden möglicherweise bei uns vernachlässigt? Das ist natürlich eine Frage, die sich pauschal so nicht beantworten lässt. Ich wüsste auch nicht, wie man das messen sollte. Zu unterschiedlich sind kirchliche Traditionen, zu individuell auch die vielen Predigerinnen und Prediger. Dennoch gibt es Indizien, die in eine gewisse Richtung weisen.

Beginnen wir mit dem ersten Rahmenfaktor, also der akustischen Vernehmbarkeit. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war das eine riesige Herausforderung. Wohl traten immer wieder Prediger wie der mittelalterliche Berthold von Regensburg (1220–1272) auf, die zu vielen Tausend Zuhörern auf freiem Feld reden konnten. Doch sie waren echte Ausnahmeerscheinungen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts musste der durchschnittliche Prediger zeit seines Lebens seine Stimme in Form halten, um im Kirchenraum durchzudringen. Viele Predigten werden die letzten Reihen nicht mehr erreicht haben. Und viele schwerhörige Menschen werden kaum etwas verstanden haben. Das änderte sich schlagartig mit der Einführung des Lautsprechers. Seitdem ist die Akustik überall gewährleistet. Das Schlimmste, was heute mancher Gemeinde am Sonntag zustoßen könnte, wäre ein Stromausfall.

Und wie steht es um den zweiten Faktor – das Verstehen? Erfahrungsgemäß ist das ein weites Feld. Das formale Verständnis ist ja in vielen Fällen gegeben. Wachse ich in Deutschland auf, dann verstehen mich dort die allermeisten Menschen, darüber hinaus auch in Österreich und der Deutschschweiz. Wenn wir nun das formale Verstehen der Sprache voraussetzen, so bleibt die Herausforderung, einmal die Bibel an sich zu verstehen, sodann die Zuhörer und ihre Hintergründe zu kennen und dann auch noch eine Brücke zwischen beiden zu schlagen. Für das Verständnis der Heiligen Schrift bieten sich theologische Zweige wie die Hermeneutik, die Exegese, die Sprachwissenschaften und die Geschichtswissenschaften an. Die Menschen und ihre Lebensverhältnisse versuchen wir mit den Sozialwissenschaften besser zu verstehen: Hier stehen Psychologie, Soziologie oder Pädagogik zur Verfügung. Wer predigt, wird immer versuchen, neue Einsichten dieser Forschungszweige in Anspruch zu nehmen.

Bleibt noch die dritte Bedingung der menschlichen Wahrnehmung: das Fühlen. Und hier wird schnell deutlich, dass es sich dabei meist um ein unbekanntes Terrain handelt. Natürlich nicht in dem Sinne, dass man von diesem Land des menschlichen Lebens überhaupt nichts wüsste. Schließlich gehört ein psychologisches Grundwissen heute zu einer Art Grundausbildung. Das Land der Gefühle ähnelt einem mehr oder weniger gut kartografierten Gelände. Man weiß darum Bescheid – aber man begibt sich dort nicht hinein. Man hat von den Emotionen und Motivationen gehört, ist aber zögerlich, sie für die Predigt nutzbar zu machen. Man spricht über die Gefühle ohne viel Gefühl – das kann nicht gut gehen.

Noch gelten die Emotionen vielen Predigern und Predigerinnen als zu vernachlässigende Faktoren. Für manche ist es geradezu ein hohes Ideal, Predigten ohne viel Gefühl zu halten. Denn der Glaube an den dreieinigen Gott, so die Annahme, sei ja schließlich auch kein Gefühl. Der Verstand erscheint ihnen als der Haupteingang zur menschlichen Seele. Und auch wenn Prediger im Gefolge einer reformatorischen Theologie der Vernunft nicht allzu viel zutrauen, so operieren sie doch weitestgehend immer mit denkerischen Mitteln. Man interpretiert, argumentiert, strukturiert, formuliert und definiert – so will man die Menschen erreichen.

Doch der Wind dreht sich. Hier und da spricht man in den Wissenschaften von einem »emotive turn«, also einer Wendung hin zu den Emotionen. Sie rücken heute mehr und mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Und das ist keineswegs eine Stilfrage. Für die Predigt geht es ums Überleben. Denn die Frage ist, ob wir mit der einseitigen Ausgestaltung der Predigt dem Menschen gerecht werden. Predigen wir menschlich, also mit Verstand und Gefühl? Falls nicht, predigen wir am Menschen vorbei.

Christus – der Meisterprediger

Eindruck

Am Anfang der christlichen Predigt steht Jesus Christus. Folgt man den Berichten der vier Evangelisten, war die öffentliche Rede eine seiner vornehmsten Tätigkeiten. Mal sprach er im kleinen Kreis, mal vor vielen Menschen. Manchmal stieß er auf vehemente Ablehnung, andere Male erlebte er enormen Zuspruch. In der Summe lösten seine Predigten eine Bewegung aus, die bis heute weiterlebt. Was er sagte und was die Evangelisten dann später schriftlich festhielten, bildet heute einen wesentlichen Teil des Neuen Testaments. Wenn wir heute danach fragen, wie wir predigen sollen, darf eine Orientierung an Jesus nicht fehlen.

Doch wie predigte Jesus eigentlich? Bekanntlich ist die Zahl der Veröffentlichungen zur Frage, was genau Jesus predigte, Legion. Heerscharen von Theologen unternehmen immer wieder aufs Neue den Versuch, seine überlieferten Aussagen zu verstehen und zu verorten. Sehr viel übersichtlicher wird es aber, wenn wir die Frage stellen, wie Jesus predigte. Das liegt daran, dass in keinem der Evangelien etwas darüber berichtet wird. Lässt sich daher überhaupt etwas zu seiner Predigtweise sagen? Bereitete Jesus sich etwa vor oder sprach er spontan? Hatte er auch die Gefühle seiner Zuhörer im Blick? Finden wir bei ihm eine Rücksicht auf die drei skizzierten Voraussetzungen, unter denen Predigt überhaupt gelingen kann? Es lohnt sich, die Evangelien auf diese Frage hin ein wenig näher zu betrachten.

Inspiration

Beginnen wir mit dem äußeren Kreis – den sinnlichen Voraussetzungen. Ohne technische Hilfsmittel und nur mit der Stimme zu sprechen, war im Altertum eine enorme Herausforderung. Daher nutzte man gerne naturgegebene oder künstliche Erhöhungen, um besser gehört zu werden. Schauspieler stellten sich auf eine Bühne und Feldherren kletterten auf ein Gerüst, um vor der Schlacht eine Rede an die Soldaten zu richten. Das taten sie aus zweierlei Gründen: Zum einen wurde so der Schall ihrer Stimme nicht vorschnell von den anwesenden Zuhörern abgeschwächt, sondern konnte sich über ihre Köpfe hinweg besser ausbreiten. Und zum anderen wurden sie an einer solch exponierten Stelle viel besser gesehen. Wo ihre Stimme vielleicht nur noch schwach vernehmbar war, da konnten sie mittels Gestik und Mimik immer noch verstanden werden. Auch Jesus wusste von solchen akustischen Rahmenbedingungen. So wird etwa zu Beginn der Bergpredigt darauf hingewiesen, dass er beim Anblick der vielen Menschen auf eine Anhöhe stieg (Matthäus 5,1). Das war eine wichtige Voraussetzung, damit er auch von allen Zuhörern gehört werden konnte.

Auch das Bemühen um die zweite Ebene des Sprechens – die Verständlichkeit – ist bei Jesus in hohem Maße gegeben. Natürlich können wir nur die Reden Jesu beurteilen, die uns die Evangelisten überliefert haben. Aber was uns vorliegt, ist auch heute noch nach rund 2000 Jahren erstaunlich gut verständlich. Sicher, viele Begriffe unterliegen einem Bedeutungswandel. Umso erstaunlicher ist die große Klarheit seiner Reden, die das Lesen auch heute ohne große Vorkenntnisse im Großen und Ganzen ermöglicht. Für etliche andere religiöse Schriften aus dieser Zeit, wie etwa aus der gnostischen Literatur, lässt sich das so nicht immer behaupten. Mit anderen Worten: Jesus sprach nicht dunkel und raunend wie ein Esoteriker, sondern er bemühte sich als Lehrer um Klarheit und Unkompliziertheit. Verständlichkeit im Reden, plain talk und einfache Sprache erscheinen bei ihm als hohes Ideal. Diesem Ideal fühlte sich auch Paulus verpflichtet, wenn er etwa den Christen in Korinth ins Stammbuch schrieb: »Aber in einer Gemeindeversammlung spreche ich lieber fünf verständliche Worte, die anderen helfen, als zehntausend Worte in einer anderen Sprache« (1. Korinther 14,19).

Verständlichkeit bedeutete für Jesus aber keinesfalls geistige Unbedarftheit oder gar Dummheit. So einfach seine Sprache damals und heute scheint, so akkurat waren bisweilen seine Argumentationsverfahren. Ganz offensichtlich waren ihm viele der damals gängigen Diskussionstechniken geläufig. So schließt er zum Beispiel in der Bergpredigt vom Kleineren aufs Größere. Wenn Gott das Gras des Feldes (das Kleine), das morgen in den Ofen geworfen wird, so schön ausstattet, sollte er sich nicht viel mehr auch um seine Kinder (das Große) kümmern (Matthäus 6,30)? Rhetoriker nennen dieses Beweisverfahren das argumentum a minore ad maius. Aber er nutzt auch das umgekehrte Verfahren, was gemeinhin als argumentum a maiore ad minus bezeichnet wird. Hier schließt er vom Größeren auf das Kleinere, wie etwa bei der Heilung des Gelähmten, der durch das Dach zu ihm heruntergelassen wird (Markus 2,12). Wenn er heilen kann (in den Augen der Zuschauer das Größere), dann hat er auch die Macht, Sünden zu vergeben (das Kleinere im Dafürhalten der Anwesenden). Mal argumentiert er mit der Erfahrung, sehr häufig auch mit dem Hinweis auf die Heilige Schrift. Jesus war, so Martin Luther, der »beste Dialecticus« (WA 47, 777, 17), also ein hervorragender Diskutant und Dialogpartner. Er war in keinem Gespräch um gute Gründe verlegen und erwies sich als ziemlich schlagfertig.

Jesus war ein großer Lehrer – aber er besaß kein Lehrhaus und leitete auch keine eigene Schule. Ganz im Gegenteil: Wohl hielt er sich manchmal in Kapernaum auf, doch die längste Zeit war er unterwegs. Er eilte von Ort zu Ort, um das Evangelium vom anbrechenden Reich Gottes zu predigen. Im Grunde ist das eine schlechte Voraussetzung, um viele Menschen um sich zu sammeln. Denn die mögen in aller Regel stabile und tragfähige Beziehungen. Einem Durchreisenden gegenüber sind sie eher skeptisch.

Jesus gelang es trotzdem die Leute mit seiner Predigt zu gewinnen – aber was war sein Geheimnis?

Praxis

Literaturwissenschaftler sprechen hier von der »poetischen Form« der Sprache Jesu. Auch wenn Jesus in Aramäisch predigte, die Evangelisten seine Reden ins Griechische übertrugen und wir heute die Texte in deutscher Sprache lesen, so ist bis heute der unnachahmliche »Sound« der Reden von Jesus zu spüren. Alles klingt und schwingt bei ihm. Seine Worte sind voller Bilder und Beispiele, Langeweile ist nicht möglich. Ja, man wird bei ihm von einem Thema zum nächsten mitgerissen.

Poetisch nennt man seine Predigtweise also nicht, weil er sich um hebräische Lyrik bemüht hätte. Mit dieser Bezeichnung ist vielmehr gemeint, dass es bewusst für die Zuhörenden geformte Sprache ist. Er nutzte keine Schriftsprache, wie etwa Paulus es in seinen Briefen tat, wo man beim Abfassen jedes Satzes noch mal nachdenken kann. Bei Jesus finden wir die typische Sprechsprache, die versucht, Aufmerksamkeit zu erregen. Es ist keine kühle und sachliche Sprache, es ist eine Rede, die den Hörenden berühren und bewegen soll. Es ist eine Predigtweise, die zielsicher auf die Emotionen abzielt. Als ungeheuer stark empfinden wir noch heute seine Geschichten und Gleichnisse, wie etwa die vom barmherzigen Samariter (Lukas 10), vom verlorenen Sohn (Lukas 15), vom vierfachen Ackerfeld (Matthäus 13) oder den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20). Durch und durch einprägsam sind auch seine sogenannten »Ich-bin«-Worte, wie sie im Johannesevangelium überliefert werden. Theologische Spitzenaussagen werden hier in ein emotionales Kleid eingewickelt, sodass sie bis heute ihre Wirkung nicht verfehlen.

Jesus predigte in einer Zeit, die wir heute als orale, also mündliche Kultur bezeichnen. Auch wenn die Menschen damals begannen, mehr und mehr zu schreiben – man denke an Paulus und seine zahlreichen Briefe –, so war die mündliche Rede doch die vorherrschende Kommunikation. Man wusste: Wer überzeugen möchte, muss zu den Menschen sprechen können. Er muss alle wesentlichen Voraussetzungen des Redens im Blick haben. Man konnte es sich nicht leisten, leise und langweilig vor sich hin zu reden – es war geboten, laut und vernehmlich sowie verständlich und mit viel Gefühl zu den Menschen zu sprechen. Nur so ließen sich die Zuhörer erreichen.

Was Jesus nun erfolgreich in seinem Alltag praktizierte, war auch Gegenstand der damaligen Wissenschaften. Immer wieder wurde im Altertum gefragt, wie mithilfe von Erfahrung und Überlegung die Voraussetzungen der wirksamen Rede beschrieben werden könnten. Eine wichtige Stimme war hier der römische Philosoph und Jurist Marcus Tullius Cicero (106–43 v.Chr.), der rund 100 Jahre vor Jesus geboren wurde. In seinem Werk »Über den Redner« (Original: »De oratore«) benennt er drei unersetzliche Aufgaben, die ein erfolgreicher Redner verfolgen muss, damit er Wirkung erzielt. Diese Faktoren wurden später auch als die officia oratoris, also die Wirkungsarten der Redekunst, bezeichnet. Es handelt sich um das Belehren (lat. docere), das Erfreuen (lat. delectare) und das Bewegen oder Erschüttern (lat. movere):

So konzentriert sich die gesamte Redekunst auf drei Faktoren, die der Überzeugung dienen: den Beweis der Wahrheit dessen, was wir vertreten, den Gewinn der Sympathie unseres Publikums und die Beeinflussung seiner Gefühle im Sinne dessen, was der Redegegenstand jeweils erfordert. (Cicero, De oratore II, 115)

Für seine Sache kann man die Zuhörer also nur gewinnen, wenn es gelingt, bei ihnen Gefühle zu wecken. Sich allein an den Verstand zu richten, reicht nicht, es muss das Herz getroffen werden. Es ist dieser Realismus der antiken Rhetorik, der ihr bis heute Bewunderung und Anerkennung verschafft. Die ausschließliche Betonung der Vernunft und der Argumentation wird dem Menschen nicht gerecht. Die Zuhörer wollen natürlich verstehen, sie möchten