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In diesem Werk versammelt Widar Ziehnert die Sagen, Märchen und Legenden fast aller Orte und Städte des ehemaligen Königreichs Preußen auf eine angenehme als auch unterhaltende Art. Er erzählt, erklärt die jeweiligen Wahrzeichen, und benutzt dafür mitunter auch das Stilmittel einer Ballade. In diesem Band finden sich lange vergessene Erzählungen u.a. aus Berlin, Breslau, Münster, Magdeburg, Höxter, Halle, Aachen, Köln, Danzig, Merseburg und vielen anderen Städten.
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Seitenzahl: 210
Veröffentlichungsjahr: 2025
Preußens Volkssagen, Märchen und Legenden
Band 2
WIDAR ZIEHNERT
Preußens Volkssagen, Märchen und Legenden Band 2, W. Ziehnert
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783988682680
www.jazzybee-verlag.de
1. Der Türträger in Berlin.1
2. Die Eselswiese bei Querfurt.5
3. Das spinnende Fräulein von Scherven.10
4. Der Hahnenstein zu Breslau.12
5. Bischof Wulfhelm von Münster.15
6. Die Vierbrüdersäule bei Königsberg. 18
7. Die Elbjungfer zu Magdeburg. 19
8. Emerentsias Hirsch zu Tangermünde. 23
9. Die Saat bei Schlebusch.24
10. Der Bergmann von Benshausen.28
11. Der Edelfalke auf Ottmachau.29
12. Die Leichenflugbahn zu Ragnit.34
13. Ursprung und Name der Stadt Baldenburg.35
14. Das Weinfass in Gröningen.37
15. Die Jungfrau des Lurlei.43
16. Der Questenberg.48
17. Die beiden Hufeisen in der Kirche zu Schwarzenstein.50
18. Der Wucherbäcker in Berlin.53
19. Die Laube zu Höxter.55
20. Der Gärtner auf Czeschhaus.55
21. Die Heidenjungfrau in Glatz.57
22. Ludwig der Springer auf Giebichenstein bei Halle.57
23. Der Räuber auf dem Geissenberg.63
24. Das Eisengitter auf Kynast.64
25. Frau Holla und die Knaben.65
26. Das Hünenspiel.65
27. Die kurze Rechnung.66
28. Der Wolf und die Ziege zu Seefeld.67
29. Entstehung von Andernach und Sinzenich.68
30. Der schwarze See und Burgwall auf Rügen.69
31. Der Neumondgeisterzug in Kreuzburg.69
32. Das Kruzifix in Stromberg.70
33. Die Fremdentaufe in St. Goar.70
34. Die faule Magd bei Strzelno.71
35. Sagen des Doms in Magdeburg.71
36. Die Erfindung, am Spieß zu braten….... 72
37. Das blutende Schwert an der Liebfrauenkirche in Halberstadt.72
38. Die Roßtrappe im Harzgebirge bei Aschersleben.77
39. Der Zauberring im See bei Aachen.79
40. Der Glomssack in Memel.83
41. Die Schützenprobe in Heinrichs.83
42. Der Einsiedler bei Ellrich.83
43. Der Mönch und der Wolf am Zobtenberg in Schlesien.85
44. Der Name des Vorwerks Hilfe bei Konitz.85
45. Affe, Schaf und Schwein am Dom zu Münster.86
46. Die Rose von Koppenstein.86
47. Die Müggelsberge und der Müggelsee bei Berlin.91
48. Das westfälische Fegefeuer bei Paderborn.91
49. Die Kapelle zu Maria Ablass in Köln.95
50. Der Schlussstein auf dem Domplatz in Halberstadt.98
51. Name und Wappen der Stadt Heiligenbeil.100
52. Die eiserne Jungfrau auf der Burg in Breslau.102
53. Die Ringe.104
54. Die Mühle bei der Askanienburg.105
55. Der alte Dessauer und der Mühlknappe.108
56. Der heilige Adalbert bei Danzig.111
57. Der Werwolfstein bei Magdeburg.114
58. Die Linde und der Stein auf dem Kindelsberg in Westfalen.115
59. Die Gründung der Stadt Thorn. 117
60. Michel Morts Denkmal bei Kreuznach.117
61. Adam und Eva in Danzig.118
62. Der Feuerberg bei Halberstadt.118
63. Der Neidkopf in Berlin.119
64. Der Todesstuhl in Merseburg.121
65. Die Todeslilie zu Corvey. 121
66. Der Hick in Liebenhausen. 121
67. Hans Bleihans Säule in Bunzlau.126
67. Die Teufelsmauer bei Lieberose.128
68. Das Galgenhaus in Berlin.129
69. Heinrich Raugraf von Schmittburg, und Entstehung des Klosters Fürstenfeld am Rhein.130
70. Das gealterte Brautpaar in Tilleda,136
71. Der Teufelsberg bei Saarmund,137
72. Die heilige Hedwig und Begründung des Klosters Trebnitz in Schlesien.138
73. Das Kellermännchen in Lützen.139
74. Das Hünenblut bei Egeln.140
75. Der Kartenstein bei Elbing.142
76. Der Buttermilchturm in Marienburg. 142
77. Die schwarzen Brüder in Köln an der Spree.143
Über der Tür des Hauses Nr. 25 in der Wallstraße befindet sich ein Basrelief, welches einen Mann vorstellt, der eine Tür auf dem Rücken trägt. Da nun bis zum Jahre 1735 das Köpenicker Tor dort stand, und auch die eisernen Haspen dieses alten Tors noch in dem Hause bewahrt werden, so ist es wahrscheinlich, dass auch das Basrelief über der Tür nichts anders sei als ein Gedenkbild des dortigen ehemaligen Tores. Die Sage aber hierüber lautet anders.
Es war einmal vor Zeiten
ein Schuster in Berlin,
der musst' oft Hunger leiden,
und Weib und Kind mit ihm.
Denn teuer war der Kleister,
Hanf, Leder, Span und Pech;
kaum brachte noch der Meister
das liebe Leben weg.
Oft wenn er saß und flickte,
ward's um das Herz ihm schwer,
er kratzt' im Kopf und rückte
sein Mützchen hin und her,
und rief: "Die Zutat teuer
und nichts verdient dabei
da hol' doch gleich der Geier
die ganze Schusterei!"
So warf er oft verzweifelt
das Handwerkszeug beiseit,
und schimpfte ganz verteufelt
stets auf die schlechte Zeit,
und sann und spintisierte,
wie er das Glück, das ihn
so gänzlich ignorierte,
möcht' in sein Stübchen zieh'n.
Sein Weib auch sann darüber
sich bald den Kopf entzwei,
denn freilich aß sie lieber
Biskuit als Wasserbrei,
und wäre gern gegangen
in Seide, Samt und Taft,
hatt' gern auch Ring' und Spangen
und Schmuck sich angeschafft.
Drum mehr, als ihre Hände,
strengt' sie ihr Köpfchen an,
bis dass sie doch am Ende
den klügsten Weg ersann.
Mann, weißt du was? Wir sehen
auch in die Lotterie,
das bringt uns rasch zu Schätzen,
wir wissen gar nicht, wie?"
"Ih ja, das ließ sich hören,"
sprach drauf zu ihr der Mann,
"wenn nicht auch Nieten wären,
die man erwischen kann.
Ach, in dem ganzen Spiele
ist nur Ein großes Los!
Wenn das auf uns just fiele?
Potz Blitz! das Glück war' groß!"
"Wie würden da die Leute
so neidisch auf uns seh'n,
wenn wir in Samt und Seide
und Gold uns würden blüh'n!
Wenn wir spazieren führen
mit Zofe und Lakai,
und ließen uns traktieren
mit Wein und Leckerei."
"Wenn Kiste, Sack und Truhe
voll alter Taler wär',
dann macht' ich keine Schuhe
und keine Stiefeln mehr!
Wie wollt' ich mich ergötzen!
Ja, Frau, du hast Genie!
Komm, schmatze mich! Wir setzen
gleich in die Lotterie!"
Er küsst sie im Entzücken,
und zieht den Beutel 'raus,
und kramt mit freud'gen Blicken
die karge Barschaft aus;
und ob auch Silber wenig
und Gold kein Stäubchen drin,
er freut sich wie ein König,
denn 's langt zum Lose hin.
Er eilt hinaus zur Türe
und kehret bald zurück:
"Sieh, Frau, an dem Papiere
hängt unser ganzes Glück.
Schau her, da steht's geschrieben,
's fällt ein Gewinn darauf,
denn, siehst du? Schatz, die Sieben
geht richtig drinnen auf!"
Das Glückspapier besehen
die Kinder nach der Reih',
und ihre Mäulchen stehen
weit auf mit Ach! und Ei!
Der Vater träumt in Freude,
die Arbeit schmeckt nicht mehr,
er wünscht, dass lieber heute
als morgen Ziehung wär'.
Und als der Tag gekommen,
da läßt's ihm keine Ruh,
da eilt er bang' beklommen
flugs früh dem Rathaus zu,
und forscht nach seinem Lose,
ob's wohl ein Treffer ist,
und hört:
Das ist das große!
und ruft: "oh heil'ger Christ!"
"Oh lieber Gott im Himmel,
das hätt' ich nicht gedacht!"
Er drängt sich durch's Getümmel
und eilet heim mit Macht,
und außer sich vor Freude
ruft er fortwährend bloss:
"Frau, wir sind reiche Leute!
Geschwind, geschwind das Los!"
Doch wie erschrak der Meister,
als er dasselbe da
vorn an der Tür, mit Kleister
fest angeklebt, ersah.
Ergrimmt frug er die Kinder:
"Wer hat mir das getan?
Die sah'n wie arme Sünder
ihn ängstlich zitternd an.
Das Glückslos von der Türe
zu lösen wagt' er nicht,
weil diese Art Papiere
so leicht wie Umblatt bricht;
und doch galt's ihm so teuer,
denn zeigt' er das nicht hin,
so kriegt er keinen Dreier
vom ganzen Hauptgewinn.
Er stand in Kümmernissen
und sah die Türe an,
er stampfte mit den Füßen
und kratzt' im Kopf und sann,
und stand und sann, und dachte
sich dies und jenes aus,
und siehe, endlich brachte
er doch was Klug's heraus.
Aushob er rasch die Türe,
und buckelte sie auf,
und trug statt dem Papiere
zum Rathaus sie hinauf,
indem er auf den Stiegen
stets schrie wie ein Profess:
"Platz da und ausgewichen!
Ich bring' das große Los!"
Drob haben wie die Kinder
sich Alle satt gelacht,
dem Schuster selbst nicht minder
hat's großen Spaß gemacht,
zumal möcht' er sich freuen,
als er das viele Geld
in langen Doppelreihen
flugs kriegte aufgezählt.
"Ade auf ew'ge Zeiten,
armsel'ge Schusterei!
Ade, du Haus der Leiden,
ade dir, Wasserbrei!"
So rief der Schuster lachend,
des vielen Geldes froh,
und lebt', es klüglich machend,
fortan in Florio.
Er ließ ein Haus erbauen,
und ob der Tür, als Schild,
ließ er in Sandstein hauen
sein eignes Ebenbild.
Dort steht er noch den Blicken
der neid'schen Nachwelt bloss,
auf krummgebeugtem Rücken
das schwere große Los.
Zur Zeit Kaiser Friedrichs des Zweiten hauste im Türingerland auf seiner Burg Querfurt Graf Bruno, ein wackrer, frommer Herr. Derselbe hatte einen gesegneten Gau mit Feldern und Wäldern und Wassern, und allerlei Hab' und Gut in Fülle, und getreue Vasallen, und ein wunderschönes Weib, Ludgarden, ein geborenes Fräulein von Hainsburg; aber es fehlte ihm doch Eins zu seinem Glücke, und dies war ein Söhnlein, das einmal all' das schöne Besitztum erben und den Namen derer von Querfurt fortpflanzen sollte. Der Graf gab reiche Geschenke an die Klöster zu Goseck und Zeis und sparte keine Spende, und als trotzdem der Himmel seinen Wunsch nicht erfüllte, da ward er fast betrübt und ging oft traurig und einsam im Schlossgarten herum und härmte sich. Die Gräfin aber hatte leichtern Sinn und härmte sich nicht, denn so schon, wie sie war, so eitel und hoffärtig war sie auch und meinte, die Ehr' und Freuden der Mutterschaft würden mit den Sorgen und Mühen derselben zu teuer bezahlt.
Eines Abends lustwandelte sie mit ihrer Kammerfrau auf den grünen Auen am Ufer der Querne, und schwatzte eifrig zu ihr von Banketten und Turnieren, wie sie da geprunkt in köstlichen Kleidern, und wie alle Ritter sie bewundert und um sie gebuhlt hatten. Solch Gespräch aber war ihrem Dünkel eine Labe, also dass sie es nicht eher gewahr ward, wie eine Bettlerin ihr nahte, bis dieselbe sie flehentlich um ein Almosen ansprach. Die Bettlerin hatte zerlumptes Kleid und kummerwelkes Antlitz und trug auf ihren Armen zwei Kinder, die waren fast nackt und schrien weinerlich nach einem Brotkrümlein; und wahrlich, es hätte das mögen einen. Stein erbarmen! Aber die Gräfin erbarmte sich nicht, sondern zornig, sich in ihrem Gespräch gestört zu sehen, fuhr sie die Bettlerin barsch an und wollte vorüber, und als die arme Frau ihr vor die Füße fiel und sie am Saume des Kleides hielt und nochmals bat, sie mochte sich um der kleinen unschuldigen Würmlein willen ihrer erbarmen, da stieß die hartherzige Gräfin sie mit dem Fuße von sich und sprach: "Fort, du unsaubere Vettel! Hättest du nicht ein unzüchtiges Leben geführt, so würde der Himmel dich nicht mit zween Kindern zugleich gestraft haben!" –– Dies böse Wort ging der Bettlerin wohl tief durch das Mark, denn schaudernd raffte sie sich auf und sah die Gräfin verächtlich an, als ob sie in ihrem zerlumpten Kleide sich doch besser dünkte als jene, und rief: "Euch soll Gott brandmarken, und Ihr sollt über nicht ein volles Jahr zwölf Kinder zugleich gebären, damit Euer Gemahl daran Eure Sünde und Schande erkenne!" Und da stand die Gräfin, fast erschreckt durch die Keckheit der Bettlerin, und konnte lange nichts erwidern. Wie aber zuletzt ihr wilder Zorn laut wurde, war die arme Frau mit den beiden Kindern schon längst in den nahen Gebüschen verschwunden. Es war aber der Gräfin nicht wohl ums Herz, und gar stillsinnig kehrte sie mit der Kammerfrau in die Burg zurück.
Mehrere Wochen darauf, als sie kaum erst des leidigen Andenkens an die Bettlerin sich entäußert hatte, fühlte sie sich Mutter und teilte solches ihrem Gemahl mit. Der war voller Freude und liebte sie nun täglich mehr und ließ sie wohl pflegen und behüten, ließ auch alle Arme im Gau speisen und tränken und dankte Gott, dass er seinen Wunsch erfüllen wollte. Und als zur Osterzeit der Tag der Entbindung nahe war, da ritt er nach dem Kloster Goseck, dort Messe lesen zu lassen für seine Gemahlin, dass der Himmel ihr in Gnaden beistehen möge in der schweren Stunde.
In Goseck aber begegnete ihm der Unfall, dass sein Ross über die Schwelle der Stalltür stürzte und lahm wurde, was ihn gar sehr bekümmerte, da in dem Kloster keine Rosse gehalten wurden, und die Heimkehr zu Fuß seiner Besorgnis um sein kreisendes Weib zu lange währte. Alsonach war er voller Freude, dass der Guardian des Klosters zum Heimritt ihm eine Eselin anbot, und ohne sich des unadligen Langohrs zu schämen, bestieg er dieselbe und ritt heim nach Querfurt. Ehe er aber dahin kam, erfuhr er gar Vieles.
Denn als er auf eine grüne Wiese unsern der Stadt kam, da ward plötzlich die Eselin scheu, bäumte sich und wollte nicht zollbreit vorwärts, wie er auch die Sporen brauchte. Das befremdete ihn, und er schaute nach dem Wege nieder und erschrak fast, denn rings um die Eselin lag ein ellenbreiter Reif von frischgefallenem Schnee. Seit Wochen aber war keine Flocke mehr gefallen in der Gegend, und die Bäume grünten schon und die gelben Himmelschlüsslein blühten lustig auf der Wiese. Also war dem Grafen kein Zweifel, dass es mit dem Schnee eine spukhafte Bewandtnis habe, und er stieg von der Eselin herab, kniete nieder und betete, gelobte auch, ein Kirchlein da zu bauen, wenn der Spuk ihn frei ließe. Hierauf verschwand der Schnee, und der Graf ritt weiter, aber nicht weit. Denn als er an die Querne kam, da sah er wenig wegab im Gesträuch am Ufer ein Weib mit einem großen Korbe, und erkannte sie am Kleide als die Kammerfrau seiner Gemahlin. Er ritt also hin zu ihr und frug, was sie da mit dem Korbe schaffe? Hierüber erschrak das Weib sichtbar, zog ängstlich ein Tuch über den Korb und erwiderte mit bebender Stimme: "Junge Hunde will ich ersäufen, hoher Herr!" Darauf befahl ihr der Graf, den Korb zu öffnen, damit er die Hündlein sähe, und als das Weib sich dessen ängstlich weigerte, stieg er zornig von der Eselin ab, den Korb selbst zu öffnen. Nun fiel ihm die Kammerfrau zu Füßen und bat händeringend und mit lautem Schluchzen, er solle ihr das Leben sichern, so wolle sie Alles gern gestehen. Als nun der Graf in banger Erwartung ihr mit seinem Wort das zugesagt hatte, da erzählte sie: Vor wenig Stunden wäre die Gräfin von zwölf Knaben zugleich entbunden worden, und hätte gefürchtet, es möchte ihr Gemahl dies als die Strafe für eine Sünde ansehen und sie darum verstoßen. Sie hätten also miteinander Rat gepflogen und in ihrer Angst keinen anderen Ausweg gefunden, als den schönsten von den Knaben auszuwählen, die andern elf aber in der Querne zu ertränken. - So beichtete die Kammerfrau mit lautem Weinen und bat noch einmal flehentlich um ihr Leben.
Der Graf aber öffnete den Korb und betrachtete die elf nackten, einander so gar ähnlichen Knäblein mit Wohlgefallen, und die hellen Tränen rannen ihm über die Wangen, da er dachte, wie so bösen Herzens sein Weib sei, da sie so liebe unschuldige Knäblein, und obendrein gar ihre eignen Kinder, ertränken lassen wollte. Er dankte aber Gott, dass der spukhafte Schnee ihn aufgehalten hatte, denn ohnedem wäre er schon vorbei gewesen an der Wiese, als die Kammerfrau dahin kam, und die böse Tat wäre geschehen. Dann befahl er der Kammerfrau, den Korb mit den Kindern zu einem Töpfermeister in die Stadt zu tragen, der Gräfin aber kein Wörtlein davon zu sagen, sondern sie vielmehr zu berichten, als habe sie die Kinder in der Querne ertränkt. Dies tat die Kammerfrau und stellte den Korb im Hause des Töpfermeisters ein. Gleich darauf kam auch der Graf nach und bat den Meister, der ihm seit längerer Zeit zu Dank verpflichtet war, er möchte einige wackere Bürger in der Stille zusammenrufen, weil er ihnen etwas Wichtiges anvertrauen wolle. Der Töpfer berief fünf der besten unter den Bürgern, und der Graf übergab ihnen seine elf Knäblein zur Erziehung und versprach, ihnen alle Mühe und Sorge reichlich zu vergelten. Die guten Leute meinten aber, das sei nicht vonnöten, habe ja der liebe Herr ihnen immerdar Gutes getan, und sie wollten die Knäblein auch ohne Entgelt pflegen als ihre eigenen Kinder. Es nahm nun von den fünfen jeder eins, der Töpfer aber behielt die übrigen sechs, denn er hatte die kleinen Kinder herzlich lieb. Noch legte der Graf den wackeren Bürgern strenges Stillschweigen auf, dann ritt er auf seiner Eselin vollends heim in die Burg.
Hier grüßten ihn Alle mit Freuden, und die reue lose Gräfin rief ihn an ihr Bett und hielt ihm das Knäblein hin und sprach: "Siehe, das ist der Erbe unserer Güter, das ist der Stammhalter derer von Querfurt. Danke Gott, dass er mich hat dieses holden Söhnleins genesen lassen!" Dabei blickte sie ihren Gemahl gar holdselig an, die Falsche, und er küßte den Knaben wohl und stellte sich fröhlich, aber im Herzen verabscheute er das bösherzige Weib und mochte sie nicht mehr lieben, denn er dachte immer der Kammerfrau mit dem Korbe am Querneufer. Und wie auch die Gräfin ihn später liebkoste, er blieb kalt gegen sie, und sie merkte es wohl, aber dass ihre böse Tat entdeckt und verhindert worden sei, davon kam ihr keine Ahnung in den Sinn.
Noch in demselben Sommer ließ der Graf die gelobte Kirche dort, wo der Schneereif ihn verzögert hatte, auf der Wiese erbauen, und weil er eben damals auf der Eselin geritten war, so wurde die Wiese die Eselswiese genannt.
Sechs Jahre seit dem Geburtstage der zwölf Knaben waren vergangen. Die Bürger hatten ihre zwiefache Zusage, die anvertrauten Pflegekinder mit aller Sorgfalt und Liebe zu erziehen und davon zu schweigen, getreulich erfüllt. Die elf Knaben waren bei ihnen zu ihrer und des Grafen Freude fröhlich herangewachsen, die Gräfin aber hatte kein Sterbenswortlein davon. erfahren.
Da ließ Graf Bruno zur Osterzeit, gerade am Geburtstage der Knaben, seine Vasallen, die Ritter von Takau, Schomburg und Hainsburg, und den Töpfermeister mit den fünf andern Bürgern von Querfurt, und außerdem viele Freunde und wackere Männer auf die Burg entbieten. Als sie aber alle versammelt waren und auch die Gräfin mit ihren Kammerfrauen im Saale erschienen war, da winkte er dem Töpfermeister. Der ging hinaus, kehrte aber bald zurück und führte die zwölf Söhne des Grafen herein, welche alle einerlei Kleidung trugen und so ganz einander glichen, dass alle Anwesende, die nicht darum wussten, sehr erstaunten und einander frugen, wer die Kinder wären? Der Graf aber wandte sich zu seiner Gemahlin und sah sie stechenden Blickes an und sprach: "Siehe nun, welcher ist unser Sohn?"
Da brach die Gräfin ohnmächtig zusammen, und die Kammerfrauen sprangen ihr erschrocken bei. Der Graf aber achtete das nicht, sondern rief die Vasallen und Bürger hinaus auf einen grünen Raum vor der Burg, unter freiem Himmel Gericht zu halten, und erzählte ihnen die große Sünde seines Weibes. Die wackeren Männer schauderten allzu gleich, und ihre Herzen empörten sich, und sie erhoben einen argen Lärm des Entsetzens und des Zornes. Einer aber von ihnen, der von Takau, erkannte der Beklagten die Eisenschuhe und den Ölkessel zu, und da stimmten ihm Alle bei und forderten laut den qualvollen Tod der Gräfin. Darüber ward nun ein lauter Streit, denn dem Grafen dünkte das Urteil zu hart, und er geriet hart zusammen mit dem von Takau, der ihm nicht weichen wollte, außer wenn Gott ein Wunder täte. Da stieß der Graf zornig sein Schwert in den grünen Rasen, und siehe, Gott ließ ein Wunder geschehen, dass alsbald ein klarer Quell lustig aus dem Rasen hervorsprudelte.
Die Ritter staunten und lobten Gott, der von Takau aber reichte dem Grafen die Hand und sprach: "Möht ihr nun selbst ein milder Urteil fällen, denn ich mag nicht streiten wider göttlich Zeugnis!" Darauf beschloss der Graf, seine Gemahlin durch Todesangst zu strafen, und ließ den Rost und die Eisenschuhe bringen und einen Ölkessel füllen und ein helles Feuer darunter anschüren, dass der Rost bald glühte wie Hochofenglut, und das Öl in Kessel sott und wallte. Dann gebot er, sein Weib herbeizuführen.
Sie schwankte bleich und entstellt heran, den scheuen Blick auf die Erde geheftet, und als ihr nun der Graf das Urteil vorlesen ließ, nämlich dass sie sollte in den Eisenschuhen auf den glühenden Rost treten und dann in dem siedenden Dele gesotten werden, da brach sie mit einem grässlichen Schrei wieder ohnmächtig zusammen.
Das war dem Grafen genug, und er entließ die Vasallen und Bürger und belohnte die letzteren, und namentlich den Töpfer, gar reichlich für die Erziehung seiner Sohne. Denn fortan blieben die Knaben bei ihm auf der Burg und wurden nachmals recht wackere Männer und rüstige Kampen, so dass ihr Vater seine herzliche Freude an ihnen hatte.
Die Gräfin Ludgarde aber ging in ein Kloster, ihre Sünde zu büßen.
Die Eselswiese weiß in Querfurt jedes Kind, denn auf derselben ist alljährlich am dritten Osterfeiertag ein lustiger Jahrmarkt, wo die Töpfer den Grafen Bruno auf der Eselin sitzend, gar schön aus Ton geformt, schockweise um ein Weniges verkaufen, und zwar zufolge eines alten Privilegium, welches das Andenken des braven Töpfermeisters, der die sechs Knaben zu sich nahm, immer neu erhalten sollte. Das Kirchlein auf der Eselswiese steht noch, ist aber jetzt der Schießstand für die Vogelschützen. Auch der Quell, den Brunos Schwert aus dem Rasen hervorrief, sprudelt noch heut und heißt der Brunoquell, und in der Schlosskirche zu Querfurt ist auf einem Grabmal das steinerne Bild eines geharnischten Ritters zu sehen, den man, weil zwölf Engel um ihn knieen, für den Grafen Bruno mit seinen zwölf Söhnen hält. Aber dass die eisernen Schuhe und der Ölkessel noch vorhanden wären, das mag ja Niemand eher glauben, als bis er sie gesehen hat.
Scherff, auch Scherven oder Amtmannsscherven genannt, sonst sehr bedeutendes Rittergut, liegt in der Bürgermeisterei Odernthal im Mühlheimer Kreis des Regierungsbezirks Köln. Vom alten Schloss Scherven steht nur noch ein einzelner Turm. - Die Sage gehört dem dreizehnten Jahrhundert an.
In stiller Kammer zu Scherven wacht
schön Gundchen spät noch um Mitternacht,
und sitzt am goldenen Rocken und spinnt
zum Brauthemd die Fädchen, und seufzet und sinnt
an Hilderich, ihren Verlobten.
Der war gezogen ins heilige Land,
für den Glauben zu kämpfen mit starker Hand,
und hatte beim Scheiden noch teuer gelobt,
er wolle, sobald er sich wacker erprobt,
heimkehren zu froher Vermählung.
Und morgens und abends oft hatte die Braut
vom Söller hinaus auf die Straße geschaut,
und hatte geharret; ach, aber schon war
zur Hälfte verflossen das fünfte Jahr,
und immer noch kehrt' er nicht wieder.
Da währte dem Mägdlein die Zeit, ach, so lang,
da ward ihr im Herzen so ängstlich und bang,
sie fand keine Ruhe, und spät in der Nacht
noch hielt sie am Rocken oft traurige Wacht,
und dachte des Liebsten mit Tränen.
"Ach, Hilderich, kehrst du? wann kehrst du zurück?
Hält dich in der Ferne ein böses Geschick?
Durchbohrte ein Schwert dich in blutiger Schlacht?
Oder hat dich der Seldschuk zum Sklaven gemacht?
Oder bist du mir treulos geworden?"
"Ach, Hildrich, was saumst du die Heimkehr so lang?
Das Säumen, das macht mir im Herzen so bang.
Das Brauthemd ist fertig, das Kränzchen bereit!
Was säumst du noch ferne?
Rasch fliehet die Zeit, drum eile zum Liebchen zu kommen!"
Ihr rinnen die Tränen wie Perlen vom Aug',
da weht durch die Kammer ein eisiger Hauch,
die Türe geht auf, und in Nebel gehüllt
schwebt näher ein bleiches Geisterbild,
und Gundchen erkennt den Geliebten.
Er blickte sie an mit schmerzlicher Lust
und legte die Rechte betrübt auf die Brust.
Dort klafften zwei Wunden, von Herzblut rot,
dort hatt' ihn erfasst der blutige Tod,
der Tod für den heiligen Glauben.
Noch winkt' er dem Liebchen mildlächelnd zu,
als wollt' er ihr sagen: "Was weinest du?
Sei freudig! Noch ehe der Morgen graut,
da werden wir beide dort oben getraut,
dann endet dein Harren und Weinen!"
Drauf, wie wenn der Mond sich in Wolken verhüllt,
so schwand wie ein Nebel das Geistergebild.
Das Mägdlein aber weinte nicht mehr,
und spann gar lustig den Rocken noch leer,
und sank dann in friedlichen Schlummer.
Und als nun der Morgen die Fenster im Schloss
gar freundlich mit rosigen Strahlen begoss,
da waren die Wangen schön Gundchens so bleich,
da hatte die Braut im himmlischen Reich
den Bräutigam wieder gefunden.
Das Schloss ist zertrümmert; ein einzelner Turm
noch trotzet mühselig dem Wetter und Sturm.
Aus diesem kommt Gundchen um Mitternacht
in weißer, altertümlicher Tracht
mit dem Rocken den Schlossberg herunter.
Sie setzt sich im Tale am grasigen Rain,
und spinnet gar fleißig im Mondenschein,
und lächelt gar fröhlich, tut Niemand ein Leid,
und heißt in der Gegend dort weit und breit
das spinnende Fräulein von Scherven.
Vor alter Zeit lebte in Breslau ein herzoglicher Beamter, der hatte eine so wunderschone Frau, dass ihn Alle darum beneideten, und wohl auch Viele im Stillen dieselbe begehrten. Besonders trachtete nach ihr ein vornehmer und reicher Ritter, und suchte sie durch allerlei Schmeichelei und Lockung zur Untreu an ihrem Gemahl zu verführen. Aber sie nahm ihre Pflicht und Treue wohl in Acht und wies den Ritter von sich, drohend, dass sie, wenn er mit seinen bösen und ehrlästerlichen Anträgen sie hinfort nicht verschonen würde, solches schon des üblen Leumunds halber ihrem Gemahl nicht länger verbergen möchte. Da sah der Ritter denn wohl ein, dass er es anders beginnen müsste, stellte sich wehmütig als Einer, der das Unrecht seines Begehrens einsieht, aber demselben nur mit Schmerzen entsagen mag, und gelobte ihr, nie mehr eine unerlaubte Neigung von ihr zu fordern, sondern vielmehr ihre Nähe zu meiden. Er wusste es aber bald bei Hofe dahin zu bringen, dass ihrem Gemahl eine Gesandtschaftsreise in eine ferne Stadt übertragen ward.
Als nun der Beamte von seiner lieben Gemahlin schied, und dieselbe bitterlich weinte und ihn nicht von sich lassen wollte, weil ihr nichts Gutes ahnte, da zog er ein goldenes Kreuzlein hervor und sprach: "Liebes Weib, ich fürchte nichts; aber wie es auch kommen möge, siehe dies Kreuz! Wenn dir dasselbe wieder zu Augen kommt, ehe ich wieder bei dir bin, so magst du um mich trauern, als um einen Toten, denn ich werde es nicht von mir geben, so lange ich lebe!" Er küsste sie noch vielmal innig, und sie gelobte ihm Treue, und Beide weinten, gleich als ob sie einander nie wiedersehen sollten. Darauf ritt der Beamte rüstig zum Nikolaitor hinaus.