Propaganda als Machtinstrument - Alexandra Bleyer - E-Book

Propaganda als Machtinstrument E-Book

Alexandra Bleyer

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Beschreibung

Wie lassen sich Argumente und Strategien von Propaganda durchschauen? Epochenübergreifend beleuchtet die promovierte Historikerin Alexandra Bleyer Handlungsspielräume von politischen Akteuren, Medien und Publikum und zeigt Entwicklungen, Kontinuitäten und Zäsuren auf. Mit dem Schwerpunkt Kriegspropaganda wird anhand anschaulicher Beispiele deutlich, wie Propaganda funktioniert.

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Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

KAPITEL 1

Zur Einleitung: Annäherung an einen komplexen Begriff

Wie ein neutraler Begriff seine Unschuld verlor

Information ist alles

KAPITEL 2

Die Propagandisten: Vom charismatischen Feldherrn zur bezahlten PR-Agentur

Rahmenbedingungen

Profis gefragt

Kriegspropaganda durch PR-Agenturen

KAPITEL 3

Medien und ihre Funktion: Wie die Botschaft unters Volk kommt

Münzen, Menschen und Musik

Machtvolle Bilder

Printmedien

Moderne Massenmedien

Medien als „vierte Gewalt“

Die Mundpropaganda-Aktion 1944/45

KAPITEL 4

Von Schafen und Wölfen: Das Publikum im Visier der Propagandisten

Öffentlichkeit(en) und öffentliche Meinung

Stoßrichtung und Zielsetzung der Propaganda

Mit den Wölfen heulen – oder schweigen

Hilflos ausgeliefert?

KAPITEL 5

Aus der Trickkiste: Strategien und Methoden der Manipulation

Vereinfachen, wiederholen, Recht behalten

Sprache schafft Wirklichkeit

Das Spiel mit den Emotionen

Die Kreation von Selbst- und Feindbildern

Geschlechterrollen

KAPITEL 6

Artenvielfalt: Die verschiedenen Gesichter der Propaganda

Von harten Fakten und dreisten Lügen

Kriegsberichterstattung im Dienst der Propaganda

Nichts ist so grausam wie der Feind

Psychologie und psychologische Kriegführung

Die Auseinandersetzung mit dem Feind

KAPITEL 7

Top-Argumente? „Klassiker“ der Kriegsbegründung

Der gerechte, Heilige Krieg

Selbstverteidigung und Notwehr

Your Country Needs YOU

KAPITEL 8

Was das Volk nicht weiß …: Repressive Maßnahmen

Zensurmaßnahmen

Der Umgang mit Kritikern und Zweiflern

KAPITEL 9

Morgendämmerung: Was vom Kriege übrig bleibt

Hat Propaganda eine Zukunft?

Abkürzungsverzeichnis

Verzeichnis der verwendeten Literatur

Index

Anmerkungen

Vorwort

Leben wir tatsächlich in einem postfaktischen Zeitalter, in dem Emotionen und „alternative Fakten“ die politische Kommunikation dominieren? Und provokativ gefragt: Was ist so neu daran?

Propaganda war und ist Teil unseres Lebens. Auch wenn moderne Massenmedien und das Internet Geschwindigkeit sowie Reichweite steigerten, verfolgt Propaganda seit Jahrtausenden dasselbe Ziel, nämlich Meinungen und Verhaltensweisen der Adressaten zu beeinflussen. Diese Darstellung konzentriert sich auf die von staatlichen Akteuren ausgehende politische Propaganda und nimmt dabei auch die Medien und die Rezipienten in den Blick. Der Schwerpunkt wird auf Kriegspropaganda gelegt, weil in diesem Kontext Methoden, Ziele und Grenzen besonders scharf hervortreten.

„Krieg bedeutet Tod, grausame Verletzungen der Körper, Entbehrungen, Hunger, Angst, Entehrung und Demütigung. Krieg bedeutet die Totalisierung aller Schrecken, die sich die Menschen zur Vernichtung, Erniedrigung und Qual für einander ausgedacht haben. – Und dafür sollen sich ‚Menschen-Massen‘ begeistern können?“1 Es war und ist Aufgabe von Propagandisten, Strategien zu entwickeln und Motive zu finden, um bei anderen Zustimmung für den Krieg zu wecken – und die Bereitschaft, das eigene Leben zu riskieren. Wirft man einen Blick in die Geschichte, könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich Menschen nur allzu leicht verführen und manipulieren lassen. Mehr als das: Beim Vergleich historischer Fallbeispiele zeigt sich, dass sich an den Grundsätzen der Propaganda im Laufe der Jahrhunderte wenig geändert hat. Ob in der Antike, im Mittelalter oder in der jüngeren Vergangenheit: Propagandisten greifen auf ein „Standardrepertoire“ bewährter Methoden und Argumente zurück. Die Redetechniken, die Aristoteles in seiner Rhetorik beschrieb, werden auch in aktuellen Wahlkämpfen eingesetzt. Das von Augustinus in der Spätantike beschriebene Motiv des gerechten Krieges um des Friedens willen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte; auch US-Präsident Barack Obama sprach beim Kampf gegen Terroristen vom „just war“. Propagandisten setzen auf starke Emotionen wie Angst und Hass, erschaffen Feindbilder, informieren bewusst einseitig, unterwerfen Medien der Zensur und gehen mit Mobbing gegen Kritiker vor.

„Der Krieg ist keine Naturkatastrophe, sondern wird von den Menschen gemacht.“2 Kriegspropaganda auch. Und sie beginnt lange vor dem ersten Schuss; mit Sprache und Bildern ebnet sie dem Krieg den Weg.

Angesichts der Herausforderungen und Krisen unserer Zeit versteht sich das vorliegende Buch als gut verständliche Einführung in ein komplexes Thema und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für ein breites Publikum angelegt, liegt der Fokus auf der Geschichte Westeuropas und der USA, wobei die schlaglichtartige Beleuchtung einzelner Aspekte diese erhellen und Strukturen verdeutlichen soll. Es ist eine Einladung an die Leserinnen und Leser, sich kritisch mit Gesellschaft, Politik und Medien auseinanderzusetzen und sich tiefergehend mit den skizzierten Themenbereichen zu befassen. Denn Propaganda wirkt nur, solange sie nicht als solche erkannt wird.

KAPITEL 1

ZUR EINLEITUNG

ANNÄHERUNG AN EINEN KOMPLEXEN BEGRIFF

„Wollt ihr den totalen Krieg?“, brüllte Joseph Goebbels im Februar 1943 im Berliner Sportpalast. Mit Propaganda assoziieren wir spontan Bilder und Worte, Personen und Ereignisse – und immer wieder Krieg. Jeder kennt den Begriff, doch was ist darunter zu verstehen und warum hat das Wort heute einen derart negativen Beigeschmack?

Überredungs- und Überzeugungsversuche sind alltäglicher Bestandteil der zwischenmenschlichen Kommunikation und stellen für sich genommen nichts Verwerfliches dar. Sobald sich zwei oder mehr Menschen in einer Sache einig werden müssen – und sei es bei banalen Themen wie der Frage, was als Mittagessen auf den Tisch kommen soll –, versucht jeder, den anderen zu überreden und von den Vorteilen seiner Sichtweise zu überzeugen. Propaganda in eigener Sache zu betreiben, ist menschlich.

1972 schrieb der Kommunikationswissenschaftler und Psychologe Gerhard Maletzke: „.Propaganda‘ sollen geplante Versuche heißen, durch Kommunikation die Meinung, Attitüden, Verhaltensweisen von Zielgruppen unter politischer Zielsetzung zu beeinflussen“5, wobei er auf die Intention des Propagandisten als entscheidende Komponente hinweist. Es geht diesem demnach darum, bewusst das Denken und in weiterer Folge das Handeln der Adressaten in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Allerdings lassen sich die wenigsten Menschen gern manipulieren. Daher verliert Propaganda in dem Augenblick viel von ihrer Wirkkraft, in dem sie als Propaganda enttarnt wird. Noch bitterer ist der Nachgeschmack bei den Adressaten, wenn sie erst hinterher – beispielsweise nach einem verheerenden Krieg – erfahren, dass sie von ihren eigenen Regierungen belogen und betrogen wurden.

„Propaganda ist eine Form persuasiver (überzeugender oder überredender) öffentlicher Kommunikation, die in sehr hohem Maße auf Öffentlichkeitswirksamkeit und Beeinflussung von Menschen (auch) durch publizistische Medien abzielt. […] Es geht in der Regel nicht um Aufklärung, Bildung und sachliche Argumentationen; die Wahrheit der Aussagen wird dem Kommunikationsziel eindeutig untergeordnet. Die Veränderung von Überzeugungen, Einstellungen, Haltungen und Handlungen bis hin zur Mobilisierung großer Menschenmengen (‚Massen‘) zu Krieg und anderen Verbrechen sind das Ziel dieser strategischen Kommunikationsform, die meist zentralistisch geplant und organisiert wird (beispielsweise durch Goebbels’ ‚Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda‘ in der Zeit des Nationalsozialismus oder die ‚Abteilung Agitation und Propaganda beim ZK der SED‘ in der DDR). Verzerrung, Beschönigung, (Ver-)Fälschung, Lügen, Verschweigen, ständige Wiederholung, das Ansprechen, Erzeugen und Steigern von Emotionen und Stimmungen – alle Mittel sind der Propaganda willkommen. […]

Bis heute bedienen sich nicht nur extremistische und terroristische Gruppen der Propaganda, auch demokratische Staaten greifen im Krieg immer wieder zur offenen und verdeckten Propaganda.“

Beck, Kommunikationswissenschaft, 152 f.

Ist Propaganda also etwas abgrundtief Böses? Nein. Propaganda ist nur das Werkzeug, wie der US-amerikanische Politikwissenschaftler Harold Dwight Lasswell betonte. Ob gut oder böse, entscheidet sich allein durch den Zweck, für den sie eingesetzt wird: „There is no real point, in other words, in making moral judgements concerning whether propaganda is a ‚good‘ or ‚bad‘ thing; it merely is.“6 In diesem Buch werden Argumente und Strategien politischer Propaganda vor allem im Krieg und – soweit fassbar – die Rezeption durch die Adressaten und damit ihre Wirkung aufgezeigt. Die Propagandaaussagen können nicht in jedem Fall auf ihren objektiven Wahrheitsgehalt hin geprüft werden; ebenso ist darauf hinzuweisen, dass im Krieg jede beteiligte Partei intensiv Propaganda betreibt und die Auswahl der Beispiele keine (moralische) Wertung darstellt.

Der Begriff stammt aus der Neuzeit, doch politische Propaganda gibt es, seit Menschen miteinander kommunizieren. Schon bei frühen Ausformungen machtpolitischer Strukturen war es entscheidend, die Meinungen und das Verhalten anderer zu beeinflussen, um Zustimmung für eigene Ziele zu werben, potenzielle Gefolgsleute von den eigenen Führungsqualitäten zu überzeugen und die Mitglieder der eigenen Gruppe dafür zu gewinnen, rivalisierende zu bekämpfen. Greifbar wird Propaganda in Krieg und Frieden bereits bei den Hochkulturen wie den Sumerern, Assyrern oder Ägyptern. Seit der Entwicklung der griechischen Polis im 8. Jahrhundert v.Chr. lässt sich der systematische Einsatz von Propaganda nachweisen. Je komplexer die Gesellschaften wurden, desto höher wurde der Koordinations- und Kommunikationsaufwand, der erforderlich ist, um bei Problemen einen Konsens herzustellen. Politik kommt nicht ohne (persuasive) Kommunikation aus.

Kriegspropaganda

Wer einen Krieg beginnen und nicht allein auf dem Schlachtfeld stehen will, muss andere zum Mitmachen gewinnen oder zwingen. Neben den aktiven Kombattanten rückte im Lauf der Geschichte zunehmend die Zivilbevölkerung als „Heimatfront“ ins Blickfeld. Dabei muss sich der Propagandist auf eine zentrale Frage vorbereiten: Warum? Und diese Frage sollte er möglichst beantworten, bevor sie überhaupt gestellt wird. Wir müssen (nicht wollen!) Krieg führen, weil

… wir angegriffen werden,

… die „Ungläubigen“ die Heiligen Stätten besudeln,

… wir unseren legitimen Thronanspruch gegenüber dem Rivalen durchsetzen müssen,

… wir für unser Volk neues Siedlungsgebiet benötigen,

… der Diktator an der Spitze des Schurkenstaates Massenvernichtungswaffen besitzt und verrückt genug erscheint, auf den roten Knopf zu drücken – und wir ihm daher unbedingt zuvorkommen müssen.

Entscheidend ist es, die richtigen Gründe zu nennen, nämlich solche, die im jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontext als rechtmäßig erachtet werden. Während im Mittelalter und in der Neuzeit mit dem Hinweis auf dynastische Erbansprüche Eroberungszüge legitimiert werden konnten, werden in unserer modernen Gesellschaft nur wenige Gründe für einen Krieg akzeptiert wie Selbstverteidigung oder – die völkerrechtlich jedoch umstrittene – humanitäre Interventionen in Drittstaaten, wenn dort beispielsweise massive Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Das deklarierte Ziel des Krieges muss Frieden lauten.

Eroberungskriege aus Macht- und Habgier waren und sind hingegen schwer zu legitimieren und gelten als Gegenteil des „gerechten Krieges“ – aber natürlich werden die meisten Kriege aus genau solchen Gründen geführt. Was tut der kluge Propagandist? Er leugnet die „schlechten“ Motive und schiebt „gute“ Gründe vor.

Krieg und Propaganda gehören untrennbar zusammen, wobei Letztere in den vergangenen Jahrhunderten immer mehr an Bedeutung gewann. Schon in der Antike wusste man den Wert von Siegeszuversicht und Kriegsmoral auf der eigenen Seite zu schätzen und wandte gegenüber dem Gegner Mittel der psychologischen Kriegführung an. In der Frühen Neuzeit führten religiöse oder ideologische Gegensätze zwischen den Kriegsparteien zu verstärkter Propaganda. Um 1800 schlug in den Koalitionskriegen gegen das revolutionäre und napoleonische Frankreich die Stunde der „Nation in Waffen“ – das gesamte Volk sollte für den Krieg begeistert werden und ihn mittragen. Propaganda erhielt im Gesamtkomplex der Kriegsanstrengungen einen immer höheren Stellenwert. Die Verantwortlichen lernten: Die Kämpfe werden auch abseits des Schlachtfeldes als Meinungskriege ausgetragen.

Freilich waren es vorrangig Kriegspropagandisten selbst, die den Wert ihrer Arbeit (und damit auch ihrer Person) hervorhoben. Max Aitken, 1.Baron Beaverbrook, leitete im Ersten Weltkrieg die britische Kriegspropaganda und betrachtete sie als „,the popular arm of diplomacy‘ in which ‚the munitions of the mind became not less vital for victory than fleets or armies‘“.7 Und in dem 1938/39 zwischen Reichspropagandaminister Goebbels und dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) getroffenen Abkommen über die Durchführung der Propaganda im Kriege heißt es: „Der Propagandakrieg wird in seinen wesentlichen Punkten neben dem Waffenkrieg als gleichrangiges Kriegsmittel anerkannt.“8 Die „Durchschlagskraft“ der sogenannten „vierten Waffe“ setzte Goebbels, der im Juni 1940 vor seinen Mitarbeitern Bilanz zog, hoch an: „Mit einem relativ kleinen Kreise und mit relativ kleinen Kraftaufwendungen sei es gelungen, die öffentliche Meinung der Welt maßgebend zu bestimmen und zu formen, und es sei ebenso gelungen, die auf seelische Zersetzung des deutschen Volkes gerichteten Versuche unserer Feinde zunichtezumachen und das deutsche Volk auch in Zeiten, in denen es nicht leicht war, bei gutem Mut zu halten.“9

Die Bedeutung der öffentlichen Meinung für den Ausgang gewaltsamer Konflikte unterstrich in der jüngsten Vergangenheit NATO-Sprecher Jamie Shea, der im Rückblick auf den Kosovokrieg des Jahres 1999 erklärte: „Der Umgang mit den Medien, die Schlacht um die öffentliche Meinung waren genauso wichtig wie die Luftangriffe. Dieser Krieg hat sich nicht von selbst erklärt. Die Journalisten waren gleichsam Soldaten, in dem Sinne, dass sie der Öffentlichkeit erklären mussten, warum dieser Krieg wichtig war.“10 Auch Donald Rumsfeld, unter George W. Bush US-Verteidigungsminister, sagte im Hinblick auf den Irakkrieg, dass „das wirkliche Schlachtfeld […] die Öffentlichkeit in unserem Land“11 wäre.

Wie ein neutraler Begriff seine Unschuld verlor

Wer heute Propaganda betreibt, der meidet das Wort meist wie der Teufel das Weihwasser. Verantwortlich dafür sind (negative) Erfahrungen, die Menschen im Laufe der Geschichte mit (Kriegs-)Propaganda machten, sodass diese schnell mit Lügen gleichgesetzt wird. Daher werden gern alternative Bezeichnungen wie Öffentlichkeitsarbeit oder PR benutzt. Während der Begriff Propaganda verpönt ist, wird das Verb „propagieren“ im heutigen Sprachgebrauch unbekümmert und relativ wertfrei verwendet.

Propaganda ist zunächst die Gerundivform von propagare (lat. für ausdehnen, fortpflanzen oder pfropfen), wobei die Bezeichnung ursprünglich als biologischer Terminus verwendet wurde. Als Propaganda bezeichnete man schon früh die Missionstätigkeit der katholischen Kirche. 1622 wurde in Rom die Sacra Congregatio de propaganda fide gegründet, die kurz und bündig nur die Propaganda genannt wurde. Das heißt, die Bezeichnung bezog sich nicht auf die Aktivität, sondern auf die Institution. Deren Aufgabe bestand laut der von Papst Gregor XV. am 22. Juni 1622 erlassenen Bulle LVIII Inscrutabili divinae darin, „die Verbreitung des Glaubens in der ganzen Welt“12 voranzutreiben. Damit wurde der Begriff Propaganda zum terminus technicus für christliche Missionsanstalten.

Es ging dem Oberhaupt der Kirche aber nicht nur darum, Heiden in fernen Ländern zu missionieren, sondern – im konfessionellen Zeitalter im Sinne der Gegenreformation – den Katholizismus in Europa zu stärken und den Protestantismus zu bekämpfen. Wie es Papst Gregor XV. wenige Jahre nach Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) in einer Bulle formulierte, war es das Ziel, „sorgfältig darüber zu wachen und, soweit es Uns durch Gottes Gnade verliehen wird, Uns eifrig darum zu bemühen, die elend verirrten Schafe zum Schafstall Christ zu führen und zur Anerkennung des Herrn und Hirten der Herde zu bewegen“.13 Nur wollten manche „verlorenen Schafe“ keineswegs in den Stall zurück und es verwundert nicht, dass Anhänger der Reformation den Begriff Propaganda zunehmend negativ auffassten: als ein verhasstes Kampfinstrument der katholischen Kirche.

Im Gefolge der Französischen Revolution 1789 verlor der Begriff Propaganda zunehmend seine kirchliche Bedeutung und wurde politisch aufgeladen. Die Revolutionäre sahen sich selbst als Art Missionare und wollten ihre Ideologie der „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ über die Grenzen Frankreichs hinaustragen. Schnell gerieten sie bei ihren Gegnern in Verdacht, nach dem Vorbild der Sacra Congregatio de propaganda fide eine geheime Organisation aufbauen zu wollen, um ganz Europa zu revolutionieren. Diese vermeintliche Organisation wurde ebenfalls als Propaganda bezeichnet.

„Der Satz ‚Propaganda ist, was die anderen tun‘ mag zwar den historischen Begriff zutreffend charakterisieren, da ‚Propaganda‘ seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert meist als polemischer, denunzierender Begriff verwendet wird.“14 Doch wurde er nach 1830 auch (positiv) im Sinne eines politischen Aktionsbegriffes gedeutet. Der österreichische Staatskanzler Clemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich stellte 1844 fest, dass man „recht eigentlich in dem Zeitalter der Propaganda“ lebe, wobei er unter Propaganda „Bestrebungen“ verstand, „die eigene Überzeugung und die eigenen Lebensformen dorthin, wo sie nicht bestehen, zu verpflanzen“.15 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff erneut mit Revolution und Subversion verknüpft und vorwiegend dem Gegner vorgeworfen.

Wie sollte man es nennen, wenn man selbst systematisch die Sichtweisen und das Verhalten anderer durch Wort und Bild beeinflussen wollte? Eine Alternative fand man u.a. im Wort Agitation, das zuvor weitgehend synonym mit Propaganda verwendet worden war und das die deutschen Sozialdemokraten seit dem Ende der 1870er-Jahre bevorzugten, wenn sie von politischer Werbung der Partei in der Öffentlichkeit sprachen. Im Gegensatz zum politischen Bereich erfreute sich das Wort Propaganda um 1900 in der Wirtschaftswelt größter Beliebtheit und wurde in der Geschäftssprache synonym zu Reklame gebraucht.

Das Erbe der Weltkriege

Gilt der Erste Weltkrieg als Zäsur im Sinne einer Professionalisierung und Intensivierung der Propaganda, ist der Zweite Weltkrieg im Grunde eine Fortsetzung der Strategien des Ersten Weltkriegs. Es setzte sich der Trend fort, verstärkt auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückzugreifen und die Theorie mit der Praxis zu verknüpfen. Regierungen kriegführender Staaten bauten auf enge Zusammenarbeit mit Institutionen, die sich der Propagandaund Kommunikationsforschung widmeten, sodass Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg wissenschaftlich organisiert bzw. Propagandaforschung beispielsweise in den USA spätestens mit deren Eintritt in den Zweiten Weltkrieg als kriegswichtige Disziplin anerkannt wurde.16

Zudem waren Kommunikationswissenschaftler begehrte Mitarbeiter in den für Kriegspropaganda zuständigen Ministerien. Etliche Propagandaforscher – als Beispiel sei hier Walter Lippmann genannt, der während des Ersten Weltkriegs für das Committee on Public Information (CPI) arbeitete – sammelten in den Kriegszeiten praktische Erfahrung und Erkenntnisse, die sie in ihre theoretischen Modelle einfließen lassen konnten.

Im Ersten Weltkrieg firmierten die Bemühungen der deutschen Behörden, die Soldaten und die Bevölkerung zum „Durchhalten“ zu bewegen, unter „Aufklärung“. Im englischen Sprachraum wurde der zunächst unbedeutende Begriff Propaganda im Verlauf des Krieges politisiert und militarisiert. „Propaganda war jetzt eine auf konkrete Effekte gerichtete kommunikative Technik, die auf dem Schlachtfeld und an der Heimatfront Verwendung fand und von speziell hierfür geschulten Militärs betrieben wurde.“17 In der Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs nahm England eine Führungsrolle ein und wurde quasi zum Vorbild für andere Staaten.

Da sich gezeigt hatte, wie gut man die Massen lenken konnte, wollte man das Instrument auch in Friedenszeiten nutzen; deshalb erlebte die Beschäftigung mit Propaganda in Theorie und Praxis in den 1920er-Jahren einen enormen Aufschwung.

Ein Problem bestand darin, dass zwar das Potenzial der Propaganda erkannt wurde und man dieses nun in Friedenszeiten in Politik, Gesellschaft und Wirtschaftsleben ausschöpfen wollte, jedoch der Begriff selbst als „dirty word“18 abgelehnt wurde. „I am aware that the word propaganda carries to many minds an unpleasant connotation“, gestand der amerikanische PR-Experte Edward Bernays ein. „Yet whether, in any instance, propaganda is good or bad depends upon the merit of the cause urged, and the correctness of the Information published.”19 Vergebens versuchte er, den Begriff Propaganda in seinem gleichnamigen Buch zu rehabilitieren, weil es keinen adäquaten Ersatz für das Wort gäbe.

In den USA wurde Edward Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds, zu einem der führenden PR-Experten, wobei er sich auf Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften und der Massenpsychologie sowie Erfahrungen aus dem Verkauf stützte. Seiner Meinung nach sollten in allen Lebensbereichen Eliten die Führung übernehmen und die Massen lenken. „The conscious and intelligent manipulation of the organized habits and opinions of the masses is an important element in democratic society. Those who manipulate this unseen mechanism of society constitute an invisible government which is the true ruling power of our country.“ Im Gegensatz zu früheren Herrschern wie Ludwig XIV. sind die Mächtigen in modernen Demokratien jedoch auf die Zustimmung der Massen angewiesen. Mit Propaganda können sie diese leichter erreichen.

Der PR-Fachmann war überzeugt: „Whatever of social importance is done today, whether in politics, finance, manufacture, agriculture, charity, education, or other fields, must be done with the help of propaganda. Propaganda is the executive arm of the invisible government.” Für Bernays war klar: „Therefore, propaganda is here to stay.”

Bernays, Propaganda, 37 ff.

Bernays Bestreben, eine neutrale oder gar positive Besetzung des Wortes zu erreichen, wurde nicht zuletzt dadurch erschwert, dass die Presse bald nach dem Ersten Weltkrieg das Thema der Kriegspropaganda aufgriff und dieselbe kritisch beleuchtete. 1928 wurde Arthur Ponsonbys Studie Falsehood in War Time publiziert. Der britische Politiker und Kriegsgegner griff die Lügen der kriegführenden Mächte im Ersten Weltkrieg auf. Was bei der schrittweisen Aufarbeitung der Propaganda vor allem ins Gewicht fiel, war die bittere Erkenntnis, dass sie keineswegs nur als Mittel der psychologischen Kriegführung gegen den Gegner eingesetzt wurde, sondern die Bevölkerung von den eigenen Regierungen manipuliert worden war. „Propaganda, as one British Foreign Office official put it in the late 1920s, is a ‚good word gone wrong‘.“20 Die Verwendung des Wortes war bei den britischen Behörden noch lange nach dem Krieg verpönt.

Im Deutschland der Nachkriegszeit war vor allem die englische Kriegspropaganda ein großes Thema, die als „Gräuelpropaganda“, „Hetze“ und „Lügenpropaganda“ der gegnerischen Seite verurteilt wurde. Angesichts dieser negativen Besetzung des Begriffes Propaganda wurde auf deutscher Seite vermieden, ihn für eigene Maßnahmen staatlicher Medien- und Kommunikationspolitik zu verwenden. So wurde beispielsweise die offizielle auswärtige Kulturpolitik der Weimarer Republik weiter als Aufklärung bezeichnet.

Gleichzeitig wurde jedoch der Erfolg der britischen Kriegspropaganda anerkannt, die als geradezu kriegsentscheidend bewertet wurde, während die deutsche Propaganda versagt hätte. Intensiv setzte sich Adolf Hitler in Mein Kampf mit diesem Thema auseinander und zog daraus seine Lehren: Wenige Jahre später sollte die Propaganda der Nationalsozialisten alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Doch auch Joseph Goebbels, der im März 1933 als Minister das neue Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) übernahm, stieß sich an dem Begriff Propaganda, da er einen „bitteren Beigeschmack“ hätte und sich der Laie darunter „etwas Minderwertiges oder gar Verächtliches“21 vorstellen würde.

Er schlug vor, das Ressort „Reichsministerium für Kultur und Volksaufklärung“ zu nennen, konnte sich Hitler gegenüber jedoch nicht durchsetzen. Goebbels musste sich mit der unbeliebten Bezeichnung abfinden und versuchte das Wort aufzuwerten. In einem Erlass des RMVP vom 8. November 1940 wurde bestimmt, dass der Begriff in den Medien nur noch im positiven Sinn für die von Deutschland ausgehende Propaganda zu verwenden sei, während die Aktivitäten der Gegenseite als Zersetzung, Agitation und Hetze zu bezeichnen wären. Im August 1942 erläuterte ein Mitteilungsblatt des Propagandaringes der NSDAP für den Gau Westfalen-Süd diese Begriffsbestimmung unter der Überschrift „Propaganda oder Agitation“: „Es steht wohl außer Zweifel, daß zwischen der deutschen Propaganda und der Agitation in den Feindstaaten eine unübersehbare Kluft besteht. Deshalb sollen diese beiden Worte auch die richtige Anwendung finden. Es geht nicht an, immer wieder von amerikanischen Propagandadrehs oder englischen Propagandalügen zu sprechen und damit den Begriff ‚Propagandalügen‘ zu verallgemeinern. Das Wort Propaganda soll nur im positiven Sinne gebraucht werden, d.h. nur für Deutschland Anwendung finden. Jede andere, vom Feind ausgehende Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist Agitation.“22

Zudem wurde der Begriff Propaganda aus der Wirtschaftssprache verdrängt, wo sich die Bezeichnung Werbung durchsetzte, und für die Politik reserviert Durch die folgenreiche Kriegspropaganda der beiden Weltkriege, besonders aber durch jene der Nationalsozialisten, wird Propaganda im modernen Sprachgebrauch mit skrupelloser Manipulation, Indoktrination und Lügen gleichgesetzt. Dazu trägt auch die Konzentration der Propagandaforschung auf das ”Dritte Reich“ bei.

Philip Taylor bringt es auf den Punkt: „From the perspective of our modern information and communications age, the word propaganda‘ continues to imply something evil.“23 Allerdings erschien den demokratischen Parteien nach 1945 auch der Begriff der Agitation als historisch belastet, wenn die eigene politische Werbung bezeichnet werden sollte. Man suchte und fand Alternativen. Der Begriff Public Relations (PR) wurde vermutlich 1882 erstmals verwendet und u.a. durch Bernays verbreitet und gesellschaftsfähig.24 Der deutsche Begriff „Öffentlichkeitsarbeit“ wird seit spätestens 1917 im heutigen Verständnis verwendet.

Es gab jedoch immer wieder Versuche, den Begriff Propaganda zu rehabilitieren. Martin Luther King, in den 1950er- und 1960er-Jahren der bekannteste Vertreter der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, wies 1954 in seiner Predigt „Propagandizing Christianity“ auf den ursprünglichen, christlichen Bedeutungsinhalt des Wortes hin: „For the average person, the word propaganda‘ has evil and malicious overtones. Propaganda is considered something used by the demagogue to spread evil ideologies. Because of the high state of development that propaganda has reached in totalitarian nations, it is readily dismissed as something to be condemned and avoided. But propaganda does not have to be evil. There is a noble sense in which propaganda can be used. Remember that the term originated in the Catholic Church.”25 Mit Propaganda können Menschen zum Krieg mobilisiert werden oder dazu, sich in einer Friedensbewegung zu engagieren.

Ein anderes, wenngleich nicht weniger differenziertes Bild zeigt sich in der ehemaligen DDR. Auch hier unterlagen die Begriffe historischen und ideologischen Wertungen. Unter Propaganda verstand man in der DDR, so das Kleine Politische Wörterbuch (1988), die „systematische Verbreitung und gründliche Erläuterung politischer, philosophischer, ökonomischer, historischer, naturwissenschaftlicher, technischer u.a. Lehren und Ideen“. Ganz im Gegensatz zur „imperialistischen Propaganda“, welche die „wirklichen Ziele kapitalistischer Herrschaft zu verschleiern versucht und das Bewusstsein manipuliert“, würde die „marxistisch-leninistische P[ropaganda], ausgehend von den objektiven Entwicklungsgesetzen […] des weltweiten Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, die wissenschaftliche Gesellschaftsstrategie der marxistisch-leninistischen Partei und des sozialen Staates zur Erfüllung der historischen Mission der Arbeiterklasse“26 darstellen. Agitation konzentrierte sich eher auf einzelne Ereignisse und auf Gefühle und Stimmungen, während Propaganda allgemeiner als systematische Vermittlung der marxistisch-leninistischen Ideologie gesehen wurde.

Bis etwa zur Mitte der 1960er-Jahre wurde in verschiedenen Schriften auch die Bezeichnung Public Relations verwandt, und zwar wie in der alten Bundesrepublik gleichbedeutend mit Öffentlichkeitsarbeit. Gegen Ende der 1960er-Jahre aber wurde der Begriff Public Relations negativ besetzt und der kapitalistischen Gesellschaft zugeordnet. „Der offiziell gebrauchte Begriff in der DDR ab diesem Zeitpunkt war Öffentlichkeitsarbeit.“27 Auch hier zeigt sich der Versuch, anhand von Begriffen eine wertende Abgrenzung zwischen dem eigenen Handeln und dem des anderen vorzunehmen. Wir sagen die Wahrheit, der Gegner lügt.

Galt Propaganda in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „als neu entdeckte Wunderwaffe“ für Kriegs- und Krisenzeiten und als Instrument, um die Massen zu lenken, wurde sie nach 1945 zunehmend „in dem Sinne historisiert, dass Propaganda als etwas Vergangenes betrachtet und vornehmlich mit den beiden Weltkriegen, den Nationalsozialisten und anderen Diktaturen assoziiert wurde“.28 Heute dominieren Begriffe wie Öffentlichkeitsarbeit und Public Relations, wobei sich insbesondere im deutschsprachigen bzw. europäischen Raum seitens der PR-Branche Bemühungen zeigen, sich vom negativ besetzten Begriff Propaganda mit all seinen historischen Belastungen abzugrenzen. Dies stößt jedoch auf Schwierigkeiten. Public Relations als eine Form der öffentlichen Kommunikation weist starke Ähnlichkeiten mit anderen Formen wie Journalismus, Werbung und Propaganda auf. PR, Werbung und Propaganda verbindet ja durchaus die Absicht, durch ihre Botschaften das Verhalten und die Einstellungen der Adressaten zu steuern. Beim Journalismus hingegen gelten solche Versuche der Beeinflussung außerhalb meinungsbetonter Formen als unprofessionell.

Bei den Abgrenzungsversuchen fällt auf, dass Public Relations ein normativer und idealisierender Charakter zugeschrieben wird, etwa mit der Behauptung, es gäbe „zwischen PR und Propaganda einen deutlichen Unterschied im Anspruch an Wahrheit und Wahrhaftigkeit“.29 Diese Versuche sind deshalb idealisierend, weil sie von einem Selbstverständnis zeugen, wie es sich beispielsweise in den ethischen Grundsätzen nationaler und internationaler Berufsverbände findet, das nicht immer dem Berufsalltag entspricht. Michael Kunczik weist zwar auf graduelle Unterschiede zwischen Public Relations und Propaganda hin, wobei Erstere als objektives und vielseitiges Informieren verstanden werden möchten, während der Begriff Propaganda als unlautere Manipulation aufgefasst wird – allerdings würden die Begriffe durchaus synonym verwendet. In der politischen Kommunikation taucht der negativ besetzte Begriff Propaganda regelmäßig als Vorwurf an den Gegner auf; „wo politische Propaganda betrieben wird, bezeichnen dies ihre Produzenten als Öffentlichkeitsarbeit oder Public Relations.“30 Das Problem einer Abgrenzung von PR und Propaganda bleibt noch ungelöst.

Problematisch ist es, die Begriffe Propaganda und PR verschiedenen Gesellschaftssystemen zuordnen zu wollen, also Propaganda als Kommunikationstechnik der Diktatur und PR als Mittel in Demokratien, wobei hier zugleich eine ideologische Wertung in „böse“ Propaganda und „gute“ PR mitschwingt. Thymian Bussemer weist richtig daraufhin, dass es dieser Einteilung nach Propaganda heute nur noch in Ländern wie beispielsweise Weissrussland und Nordkorea geben könnte. „Wie ließe sich etwa die NS-Propaganda vor und nach 1933 in dieses Schema einordnen? Betrieb Goebbels in der Weimarer Republik PR, um dann mit der Machtergreifung auf Propaganda umzuschwenken?“31

Im Englischen treten Bezeichnungen wie spin and news management oder spin doctors in den Vordergrund. „Das zeigt jedoch nur, daß mit der Verdrängung des Propagandabegriffs neue Bezeichnungen notwendig geworden sind, da die Sache selbst inzwischen eine politische Selbstverständlichkeit ist.“32 In der Forschung findet der Begriff Propaganda – wenn auch teilweise umstritten – weiterhin Verwendung. So verwenden Mediävisten wie Karel Hruza den Begriff, obwohl er eine Schöpfung der Frühen Neuzeit ist und die meisten bisherigen Definitionen aus der Publizistik, Politikwissenschaft, Sprach- und Literaturwissenschaft, Soziologie, Psychologie sowie Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung stammen, aus einem einfachen Grund: Es gibt keinen sinnvollen Ersatz dafür.

In diesem Buch wird durch die Fokussierung auf Regierungspropaganda im Krieg und auch in Anlehnung an die US-amerikanische Diskussion, in welcher der Propagandabegriff nicht ausschließlich im Kontext totalitärer Regime und intensiver Manipulationen und Lügen benutzt wird, der Begriff Propaganda gemäß der oben angeführten Definition und damit weitestgehend synonym für PR und Öffentlichkeitsarbeit verwendet: für systematische Versuche (meist) seitens der kriegführenden Regime, durch Kommunikation und vielfach durch den Einsatz von (Massen-)Medien Meinungen und Verhaltensweisen von Zielgruppen zu beeinflussen, um die eigenen politischen Ziele zu erreichen.

Information ist alles

Harold Dwight Lasswell, ein Vorreiter auf dem Feld der Propagandaforschung, entwickelte nach dem Zweiten Weltkrieg die nach ihm benannte Formel: „Who says what in which channel to whom with what effect?“ Allerdings steckt hinter dieser Formel noch die von neueren kommunikationswissenschaftlichen Forschungen widerlegte Vorstellung, es würde sich bei Massenkommunikation um einen einseitig-linearen Prozess handeln. Wie die interpersonale Kommunikation ist auch die Massenkommunikation keine Einbahnstraße, auf der Informationen vom Sender (via Medien) an den Empfänger geliefert werden. Menschliche Kommunikation ist nicht als Transport zu verstehen.

Daher muss man die bloße Übermittlung von Daten von der Vermittlung unterscheiden. „Informationen und Bedeutungen (Sinn) können nicht übertragen werden, sondern werden von den Kommunikationspartnern (Kommunikanten) individuell konstruiert. Durch ihre Wahrnehmung der Reize, die ein Kommunikant A verursacht, können bei Kommunikant B kognitive Prozesse lediglich ausgelöst werden (Irritation), ohne dass dabei Kommunikant A oder der wahrgenommene Reiz schon Bedeutung und Sinn der Mitteilung festlegen.“33 Kommunikator (Sender, Ausgangsseite einer Nachricht), Medium, Rezipient (Empfänger, Adressat) sowie Aussage stellen auch in Gerhard Maletzkes Feldschema der Massenkommunikation (1963) die Hauptkomponenten dar. Der Kommunikator als Produzent einer Aussage übermittelt diese über ein Medium an den Rezipienten, der jedoch kein ausschließlich passiver Empfänger ist, sondern aus den von den Medien angebotenen Informationen auswählt und beispielsweise durch Leserbriefe Feedback geben kann.

Bei Propaganda geht es immer um Information. Sie stellt für den Propagandisten das Rohmaterial dar und kann in ihrer Gesamtheit, verfälscht, direkt oder über Medien weitergegeben oder dem Publikum bewusst vorenthalten werden. Werden gezielt Unwahrheiten verbreitet, um Adressaten zu täuschen, spricht man von Desinformation. Allerdings greift es zu kurz, von „aktiven Verführern“ und „passiven Verführten“ auszugehen, wobei Letztere jeder (Mit-)Verantwortung enthoben würden. Propaganda ist ein Prozess, an dem die Akteursgruppen Kommunikator, Medium und Rezipient in ihren jeweiligen Rollen beteiligt sind. Die vom Sender ausgehenden Informationen werden selektiert, treffen auf vorhandene Ansichten und Einstellungen und werden – nicht immer im Sinn des Propagandisten – interpretiert.

Bezeichnenderweise trugen einige mit Propaganda betraute Behörden den Begriff Information im Namen, so z.B. das britische Ministry of Information (MOI), das Anfang 1918 gegründet wurde, oder das US-amerikanische Committee on Public Information (CPI). Dessen Leiter George Creel sowie US-Präsident Woodrow Wilson wollten, so schrieb Creel in seinen Memoiren, ihre Organisation wohlweislich nicht mit Propaganda in Verbindung bringen, „weil jeder dieses Wort mit Korruption und Hinterlist verbunden hätte. Unser Ansatz war ein bildungspolitischer, wir wollten informieren“.34

Informationen sind unerlässlich, um die Welt um uns zu begreifen, wobei sie aus eigener Erfahrung gewonnen werden oder als Sekundärerfahrung durch andere. Dies können Personen oder Medien sein, die – wie ihr Name schon sagt – im Informationsfluss weitgehend eine Vermittlerrolle einnehmen. Da wir gar nicht alle zur Verfügung stehenden Informationen aufnehmen können, müssen wir auswählen und strukturieren. Bleibt die Frage, wie zuverlässig Informationen sind. Wenn schon die eigene Erfahrung subjektiv ist und ein und dasselbe Ereignis von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen werden kann, wie sieht es dann mit einer Information aus zweiter Hand aus, etwa einem Nachrichtenbeitrag im Fernsehen oder in den Printmedien? Nachrichten sind nicht als Abbild der Realität zu verstehen, sondern sie werden von Menschen gemacht und sind ein Produkt von Selektionssowie Verarbeitungsprozessen (Medienwirklichkeit). Weder im Frieden und noch viel weniger im Krieg gibt es eine objektive Berichterstattung. Zwar sollten seriöse Journalisten versuchen, den Tatsachenbericht von der Meinung zu trennen, doch Objektivität ist eine Illusion.

Von welchen Ereignissen erfahren wir durch die Medien? Auf die Überlegungen des US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftlers und Medienkritikers Walter Lippmann (1922) zurückgehend wurde Journalisten eine Gatekeeper-Funktion zugeschrieben, da sie Torwächtern gleich aus der Fülle der in den Redaktionen eintreffenden Informationen auswählen, was als Nachrichten aufbereitet der Öffentlichkeit vermittelt wird. Galten anfangs die persönlichen Ansichten des Journalisten als ausschlaggebend, wurde der Blickwinkel bald erweitert. Neuere Ansätze konzentrieren sich auf die Veröffentlichungswürdigkeit der Ereignisse (Nachrichtenwertforschung), auf Strukturen und Routinen in Medienorganisationen (Redaktionsforschung), auf individuelle oder berufsbedingte Einstellungen von Journalisten (News-Bias-Forschung) oder auf Schlüsselereignisse wie spektakuläre Unfälle oder Sensationen (key events), die ein bestimmtes Thema in den Vordergrund rücken lassen.

Zu dem, was wir erfahren, kommt noch das Wie hinzu: Auch die Wahrnehmung durch Journalisten ist subjektiv; zudem müssen sie sich an Sendeformate oder in Printmedien an die vorgegebene Zeichenanzahl halten. Die Entscheidung darüber, was wichtiger ist als andere Aspekte, liegt im Ermessen des Journalisten, der sich zugleich am Publikumsinteresse und der Redaktionslinie orientiert. Häufig wird den Medien vorgeworfen, die Einschaltquoten zu sehr im Blick zu haben und „Infotainment“ zu betreiben, also jene Elemente einer Nachricht hervorzuheben, die unterhaltsam und sensationell sind und daher geeignet scheinen, das Publikum in ihren Bann zu ziehen.

Für die Wahrnehmung und Deutung der Information durch den Empfänger spielt – wobei heute von einem aktiven Rezipienten (siehe Kapitel 4) ausgegangen wird – die Art und Weise, wie sie aufbereitet und in welchen Kontext sie eingebettet wird, eine große Rolle. In der Kommunikationsforschung befasst sich der sogenannte Framing-Ansatz mit der Frage, wie Sachverhalte „gerahmt“ werden, „d. h., welche Aspekte betont und welche weggelassen, welche Bezüge hergestellt und welche Parallelen gezogen werden. Denn Experimente konnten belegen, dass die spezifische Form der Rahmung eines Ereignisses die Wahrnehmung des Publikums beeinflussen kann.“35 Propaganda nutzt die Macht von Worten, Bildern und Emotionen sowie die Wirkung kognitiver Deutungsrahmen (Frames), welche gerade auch die Wahrnehmung politischer Fakten dominieren.

Nicht von ungefähr wird der PR-Berater im Englischen als Spin Doctor bezeichnet; er soll Informationen den gewünschten Dreh (spin) geben. Was nicht passt, wird passend gemacht – beispielsweise durch das Weglassen von bestimmten Aspekten. Denn Propagandisten wollen mit der Weitergabe von Informationen selbstverständlich mehr, als nur den Kenntnisstand der Adressaten in einer bestimmten Sache erweitern. Sie wollen Meinungen und Verhaltensweisen zu ihren Gunsten beeinflussen.

Daher enthält politische Kommunikation „neben der informierenden auch immer eine persuasive Komponente“36. Bereits im ausgehenden 20. Jahrhunderts schlug Alex Edelstein vor, alle Kommunikationsformen als von Propaganda durchdrungen zu betrachten und die begriffliche Unterscheidung zwischen Information und Propaganda aufzuheben: Da jede Information auch Propaganda enthält und umgekehrt jede Propaganda zugleich Information ist, könnte man allgemein den Begriff „infoprop“37 nützen.

Information ist Macht

Die Rendon Group, eine US-amerikanische PR-Agentur mit Sitz in Washington, gehört im Auftrag der US-Regierung „quasi zum Kriegsinventar der Amerikaner“.38 Sie wirbt auf ihrer Homepage mit dem Slogan: „Strategic communications. Edge thinking. Information as an Element of Power“.39 Der Slogan ist treffend: „Information also ist Macht, und wer die Informationsmacht hat, der bestimmt unsere Vorstellungen über kriegerische Ereignisse (aber nicht nur diese), der bedient den Krieg in unseren Köpfen.“40

Je nach Möglichkeiten versucht der Kommunikator, die Kontrolle über den Informationsfluss zu gewinnen, wobei sich Herrschende strukturbedingt leichter tun als Personen und Gruppen, die nicht an der politischen Macht teilhaben. Was für Friedenszeiten gilt, trifft in noch größerem Maß auf den Krieg zu: Informationskontrolle wird als unabdingbar betrachtet. Selbst in Demokratien, in denen im Gegensatz zu Diktaturen Presse- und Meinungsfreiheit traditionell großgeschrieben werden, kommt es mit dem Beginn eines Krieges in den meisten Fällen zur (Wieder-)Einführung bzw. Verschärfung von Zensurbestimmungen.

Umgekehrt hat sich bereits in der staatlichen Pressepolitik der Neuzeit, als man von Pressefreiheit noch weit entfernt war, die Erkenntnis durchgesetzt, dass die öffentliche Meinung mit Zensur allein nicht ausreichend zu lenken ist. Am 21. November 1815 schrieb der für eine Pressekampagne zuständige bayerische Legationsrat Joseph Hörmann aus Stuttgart an den Staatsminister Maximilian Graf von Montgelas: „Ich habe hier […] Gelegenheit zu bemerken, welchen Einfluß die Zeitungen auf das Volk ausüben. Die Zeit ist vorbey, wo die Regierungen negativ (durch strenge Censur) auf öffentliche Meinung wirken konnten. Sie müßen sich positiver Mittel bedienen, und haben dieß nicht schon die meisten gethan?“41

Der berühmte Dichter Heinrich von Kleist prangerte in seinem satirischen Lehrbuch der französischen Journalistik (1809) die Manipulationen und den zweifelhaften Wahrheitsgehalt der napoleonischen Presse an. Die französische Journalistik lag seiner scharfsichtigen Einschätzung nach ausschließlich in den Händen der Regierung, die damit bezweckt, „das Volk glauben zu machen, was die Regierung für gut findet“42, um damit ihre Herrschaft abzusichern. Die „zwei obersten Grundsätze“ würden lauten: „Was das Volk nicht weiß, macht das Volk nicht heiß“ und „Was man dem Volk dreimal sagt, hält das Volk für wahr.“43

Die beiden Arbeitsfelder der Propaganda – die positive (aktive) Propaganda und ihr negatives (repressives, restriktives) Gegenstück – sind die zwei Seiten einer Medaille und ergänzen sich. Gelingt es dem Propagandisten, die Kontrolle über Informationen zu erlangen, nur seine Botschaften „durchzulassen“ und Gegenstimmen zu unterbinden, steuert er, welche Informationen dem Publikum zur Meinungsbildung zur Verfügung stehen.

„Informationsmanagement“ nennt man heute im militärischen Kontext das gezielte Planen, Führen, Koordinieren, Einsetzen sowie Kontrollieren von Informationen, wobei darunter sämtliche Facetten der aktiven und repressiven Öffentlichkeitsarbeit fallen. „Information Warfare“ – mit dem offensiven und defensiven Gebrauch von Informationen sowie dem Schutz eigener und dem Angriff auf gegnerische Informationssysteme – gilt als „neue Dimension militärischer Herausforderungen“.44

KAPITEL 2

DIE PROPAGANDISTEN

VOM CHARISMATISCHEN FELDHERRN ZUR BEZAHLTEN PR-AGENTUR

Als Kommunikator will der Propagandist seine Botschaft an den Empfänger senden. Nur wie? War es in der Antike hauptsächlich die Rede vor Publikum, mit der es vor Gericht oder in der Politik zu überzeugen galt – wer in Griechenland oder im alten Rom eine politische Karriere anstrebte, musste die Regeln der klassischen Rhetorik beherrschen –, änderten sich im Laufe der Jahrhunderte Rahmenbedingungen und Möglichkeiten. Es wurden immer neue Medien mit größerer Reichweite entwickelt, Fortschritte in der Kommunikationstechnologie erleichterten und beschleunigten das Informationsmanagement, verlangten von den Akteuren aber auch erhebliche Anpassungsleistungen.

Als Beispiel sei hier die elektrische Telegrafie genannt, welche im 19. Jahrhundert die Informationsvermittlung beschleunigte, was gerade auch in Kriegszeiten von größter Bedeutung werden sollte. 1854 gab es in den deutschen Staaten bereits ein dichtes Netz von Telegrafenlinien. Im Krieg Preußens gegen Österreich 1866, der mit der Niederlage Österreichs bei Königgrätz und der Auflösung des Deutschen Bundes endete, setzte der Chef des preußischen Generalstabs, Generalfeldmarschall Graf Helmuth von Moltke (der Ältere), auf technischen Fortschritt. Neben dem modernen Zündnadelgewehr und der Eisenbahn zum Truppentransport war es vor allem die Telegrafie, dank der Moltke teilweise besser über die militärische Lage informiert war als die Befehlshaber vor Ort. „Jetzt erst konnte man von echten Hauptquartieren sprechen. In diesen letzten Junitagen des Jahres 1866 war somit Dank der elektrischen Telegrafie schon der erste Schritt zum Informationsmanagement des modernen ‚Centric Network Warfare‘ getan.“45 So konnte Moltke aus der Entfernung mit seinen Befehlen direkt ins Kriegsgeschehen eingreifen – sofern die Kommandierenden vor Ort mitspielten. Ab den 1920er-Jahren ermöglichten es Lautsprecher, Reden live vor einem Massenpublikum zu halten, wovon beispielsweise Hitler schon in den Jahren vor der Machtergreifung 1933 profitierte.

Wichtig ist für den Kommunikator noch die Frage, ob die Quelle der Information für den Empfänger klar erkennbar sein soll oder nicht? Nicht immer möchte der Urheber einer Botschaft mit dieser in Verbindung gebracht werden. Wer Lügen und Gerüchte verbreiten oder den Gegner mit fiesen Schlägen unter die Gürtellinie treffen möchte, will nicht als Drahtzieher identifiziert werden. Goebbels berief von Beginn des Zweiten Weltkriegs bis zu dessen Ende täglich seine engeren Mitarbeiter zu einer geheimen „Ministerkonferenz“ ein; anfangs waren es fünf bis sechs Personen, ab 1940/41 an die zwanzig. Diese Treffen sind allerdings weniger als Konferenz denn als Bühne für den Propagandaminister und dessen Befehlsausgabe zu verstehen. Am 13. April 1940 zog Goebbels „aus den Lügenmanövern der Alliierten in den vergangenen Tagen […] die Lehre, daß man […] sich zur Lancierung von Lügen niemals amtlicher Apparate, Nachrichtenagenturen usw. bediene, sondern man muß grundsätzlich die Quelle einer Lüge sofort vernebeln; […] Rundfunk und Presse im eigenen Lande dürfen überhaupt nicht mit solchen Lügen belastet werden, sondern nur die ins Ausland gehenden Kanäle dürfen solche Lügen aufnehmen.“46

Mit Rhetorik befasste sich schon Aristoteles im 4. Jahrhundert v.Chr. in seinem gleichnamigen Werk. „Die Rhetorik sei also als Fähigkeit definiert, das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen. […] Von den durch die Rede geschaffenen Überzeugungsmitteln gibt es drei Arten: Sie sind zum einen im Charakter des Redners angelegt, zum anderen in der Absicht, den Zuhörer in eine bestimmte Gefühlslage zu versetzen, zuletzt in der Rede selbst.“ Die Fähigkeit, wirksame Argumente (Logos) zu nutzen, wird durch die Glaubwürdigkeit des Redners (Ethos) und seine Kompetenz, das Publikum in seinem Sinne zu stimmen (Pathos), unterstützt, wobei Erfahrung im Umgang mit verschiedenen Zielgruppen von Vorteil ist.

Neben der Rede waren die Persönlichkeit des Redners und sein Auftreten wichtige Komponenten, „denn es genügt nicht zu wissen, was man sagen muß, sondern es ist auch notwendig zu wissen, wie man dies sagen muß, und das trägt viel zum Erscheinungsbild der Rede bei. […] Hierbei geht es darum, wie man, um jeden beliebigen Affekt hervorzurufen, die Stimme einzusetzen hat, wann man sie laut, wann leise, wann mittelstark, dann in welcher Stimmlage, z.B. einer hohen, tiefen oder mittleren, schließlich, welchen Rhythmus man in der betreffenden Situation anschlagen soll. Denn drei Dinge gilt es dabei zu beachten: Lautstärke, Tonfall und Rhythmus.“

Aristoteles, Rhetorik, 11f., 152f.

Der Propagandist muss darauf bedacht sein, dass „seine“ Medien seriös und glaubwürdig erscheinen und nicht durch offenkundige Unwahrheiten desavouiert werden, da sie sonst ihren Wert als Kommunikationskanäle verlieren. Wird die Quelle durch die Adressaten als wenig glaubwürdig eingestuft, wirkt sich das auf die Rezeption der Informationen aus: Diese werden eher als verzerrt oder falsch wahrgenommen als Informationen, die von einer als glaubwürdig eingeschätzten Quelle stammen.

Je nachdem, ob die Quelle einer Information identifizierbar ist oder vom Urheber bewusst verschleiert wurde, spricht man von weißer oder schwarzer Propaganda. Werden im einen Fall über klar nachvollziehbare Strukturen und Kanäle seriöse Fakten vermittelt, sieht die Sache bei schwarzer Propaganda anders aus. Hier ist der Sender als solcher nicht zu erkennen; die Botschaft selbst kann wahr sein oder eine Lüge. In vielen Fällen verbirgt der Propagandist seine Identität nicht nur, sondern gibt vor, ein anderer zu sein, um in den Augen der Zielgruppe vertrauenswürdig zu erscheinen. Beispielsweise betrieben im Zweiten Weltkrieg sowohl die Nationalsozialisten als auch die Alliierten über geheime Radiosender oder Flugblätter jeweils im Namen des Gegners schwarze Propaganda.

Zwischen Schwarz und Weiß gibt es Grautöne. Unter graue Propaganda fallen beispielsweise Halbwahrheiten oder Suggestionen. Der Kommunikator behält seine Glaubwürdigkeit, wenn er eine Information als Vermutung und nicht als definitive Behauptung äußert. Wenn sie sich hinterher als falsch herausstellt, kann er nicht der absichtlichen Lüge bezichtigt werden, sondern kann sich selbst als Opfer einer inkorrekten Information präsentieren. Ein Irrtum – irren ist ja menschlich – wird einem Politiker durch die Wähler eher verziehen als eine Lüge. Die US-Propaganda sprach im Rahmen der Irakkriege beispielsweise davon, „starke Indizien dafür [zu haben], daß Osama bin Laden im Irak Verbündete hat“, oder „der festen Überzeugung [zu sein], daß es eine Verbindung zwischen Al Kaida und Saddam Hussein gibt“.47

Rahmenbedingungen

„Nur wer wahrgenommen wird, kann für seine Ideen werben und sich als Identifikationsplattform anbieten.“48 Politische Akteure, und zu ihnen zählen außer dem Staat noch Parteien, Verbände, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGO), sind aus ureigenem Interesse um (vorteilhafte) Medienpräsenz bemüht und setzen entsprechend stark auf Öffentlichkeitsarbeit und PR. Mittels Kommunikationspolitik versuchen sie, ihre eigenen Machtchancen zu verbessern, wobei Kommunikationspolitik über die Medienpolitik hinaus „alle politischen Maßnahmen und Entscheidungen [meint], die sich auf die Gestaltung oder Regulierung (Steuerung) sozialer Kommunikation beziehen, einschließlich nicht-medialer Kommunikation und Organisationskommunikation.“49

Da der Schwerpunkt des Buches auf Staatenkriegen und der sie begleitenden Propaganda liegt, werden auch in diesem Abschnitt vorrangig jene staatlichen Akteure in den Blick genommen, die Regierungsgewalt ausüben. Die Miteinbeziehung weiterer Personenkreise würde Fragestellung und Umfang der Darstellung sprengen.

Die Kommunikatoren agieren nicht losgelöst von Zeit und Raum, sondern innerhalb vorgegebener struktureller und situativer Rahmenbedingungen. Zu den maßgeblichen Faktoren gehören das politische und gesellschaftliche System (beispielsweise Absolutismus, Demokratie und Diktatur), die Mediensysteme sowie sicherheitspolitische Konzeptionen.50

Im heroischen Zeitalter, in dem sich ein Herrscher auch durch seine militärischen Erfolge und durch Eroberungen legitimieren musste, war Krieg alltäglicher Bestandteil der gesellschaftlichen und politischen Kultur. Charismatische Feldherrn der Antike bewiesen sich nicht nur auf dem Schlachtfeld immer wieder aufs Neue, sondern verstanden es auch geschickt, in eigener Sache Propaganda zu betreiben. Philipp von Mazedonien ist für seine zahlreichen Ansprachen an seine Truppen bekannt; sein Sohn Alexander der Große inszenierte sich im 4. Jahrhundert v.Chr. als Sohn des Zeus und betrieb einen Persönlichkeitskult, der ihm im gesamten Reich Präsenz verschaffen sollte. Künstler und Handwerker schufen Denkmäler, eroberte Städte wurden nach ihm benannt und sein auf Münzen geprägtes Porträt ging von Hand zu Hand. Auch Gaius Julius Caesar versuchte, sich in seinen Schriften wie in dem Bericht über den Gallischen Krieg (De bello Gallico) selbst ein Denkmal als allen überlegener Sieger zu setzen: veni, vidi, vici. Basierte die jeweilige Herrschaft auf Eroberungen und militärischen Erfolgen, waren die Protagonisten geradezu zum Siegen verdammt. Einen durch eine Niederlage herbeigeführten Imageverlust konnten sie sich kaum leisten. „Eure Herrscher, geboren auf dem Throne, können sich zwanzigmal schlagen lassen und doch immer wieder in ihre Residenz zurückkehren; das kann ich nicht, ich, der Sohn des Glücks! Meine Herrschaft überdauert den Tag nicht, an dem ich aufgehört habe, stark und folglich gefürchtet zu sein“,51 soll Napoleon Bonaparte in jenem berühmten Vier-Augen-Gespräch mit Metternich im Juni 1813 in Dresden geäußert haben.

Gustave Le Bon, der als Begründer der Massenpsychologie gilt, wies in seinem Werk Psychologie der Massen (1895) Ende des 19. Jahrhunderts auf den persönlichen Nimbus hin, mit dem „die wenigen Menschen, die ihn besitzen, [..] einen wahrhaft magnetischen Zauber auf ihre Umgebung“52 ausüben, der jedoch an den Erfolg gekoppelt sei: „Der Nimbus verschwindet immer im Augenblick des Mißerfolges. Der Held, dem die Masse gestern zujubelte, wird morgen von ihr angespien, wenn das Schicksal ihn schlug.“53 Nach dem desaströsen Russlandfeldzug 1812 verlor Napoleon im Oktober darauf die Völkerschlacht bei Leipzig – und damit den Nimbus des Unbezwingbaren, den er zuvor geschickt für psychologische Kriegführung instrumentalisiert hatte.

Die kriegerische Gesellschaft hat sich, nachdem in der Frühen Neuzeit der Staat beispielsweise mit dem Ewigen Landfrieden und dem Verbot der Fehde sein Gewaltmonopol durchzusetzen begann und Militär und Krieg Hand in Hand mit der Ausbildung des Völkerrechts zunehmend verstaatlicht wurden, zur sogenannten „postheroischer Gesellschaft“ unserer Zeit entwickelt. Krieg wird nicht mehr schulterzuckend als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Carl von Clausewitz) akzeptiert. Es werden nur noch wenige Gründe zur Legitimierung anerkannt wie das Recht zur Selbstverteidigung oder die humanitäre Intervention und vor allem Opfer in den eigenen Reihen nicht ohne weiteres hingenommen. Dieser Wandel schlägt sich auch begrifflich nieder: So wurde im 20. Jahrhundert aus dem Kriegsminister der Verteidigungsminister.

In modernen Demokratien sind der Propaganda im Krieg und Frieden durch die Verfassung und Gesetze Schranken gesetzt, wobei vor allem die Presse- und Meinungsfreiheit zu nennen ist. Immer wieder festzustellende Bestrebungen selbst demokratisch gewählter Staatsoberhäupter, diese auszuhebein, sind Alarmsignale.

In parlamentarisch-demokratischen Systemen konkurrieren in der Regel mehrere Parteien miteinander, sodass man davon ausgehen kann – wie Paul Felix Lazarsfeld und Robert King Merton in den 1960er- und 1970er-Jahren beschrieben –, dass die Propaganda der einen Seite durch die der anderen abgeschwächt wird, auch wenn eine teilweise Monopolisierung durch Personen und Institutionen mit hohem Ansehen oder Einfluss möglich ist. „Das Reinergebnis der Propaganda ist außerordentlich gering, wenn sich die Propaganda gegensätzlicher politischer Richtungen die Waage hält.“54

Ebenso erschwert das Mediensystem liberaler Demokratien Propaganda, da sich Medien nicht ausschließlich am politischen System orientieren, sondern auch nach ökonomischen und ethischen Gesichtspunkten richten. Während Machthaber in diktatorischen politischen Systemen mit verschiedenen Abstufungen von (struktureller) Gewalt eine ihnen genehme Berichterstattung zu erzwingen trachten, treten Medienvertreter in Demokratien ihrem Selbstverständnis nach gern als „vierte Gewalt“ im Staat auf und hinterfragen Aussagen staatlicher Akteure, zumal Medien dem Informationsbedürfnis ihres Publikums gerecht werden müssen.

Jeder Kommunikator muss unter solchen Rahmenbedingungen mit ständigem Widerspruch rechnen und, falls er Unwahrheiten äußert, fürchten, dass diese vom politischen Gegner oder wachsamen Journalisten aufgedeckt werden und die Information dann an die Öffentlichkeit gelangt, was Erklärungsbedarf (Stichwort: „alternative Fakten“) und einen schwerwiegenden Glaubwürdigkeitsverlust nach sich ziehen würde. Politische Gegner und Medien üben in Demokratien eine wichtige Kontrollfunktion aus – deshalb zählen sie in logischer Konsequenz zu den ersten Opfern, wenn Machthaber ihre Position in Richtung Autokratie oder Diktatur auszubauen versuchen.

Bei Propaganda kann allerdings die folgenreiche Besonderheit auftreten, dass bei (tatsächlicher oder vermeintlicher) äußerer Bedrohung auch Medien und Oppositionsparteien einen Schulterschluss mit der Regierung vollziehen. Dieser „Sich-um-die-Flagge-scharen“-Effekt – außergewöhnliche Loyalität der Bevölkerung gegenüber der Regierung in der Stunde der größten Not – schlägt sich oft in einer Selbstzensur der Presse nieder, deren Vertreter nicht als unpatriotisch dastehen möchten; auch die ansonsten zerstrittenen Parteien schließen innenpolitisch eine Art Waffenstillstand, um sich dem gemeinsamen äußeren Feind zu stellen. Damit fallen die oben angeführten Gegengewichte zur Regierungspropaganda teilweise weg. Allerdings lässt dieser Effekt mit zunehmender Dauer des Konfliktes, steigenden Opferzahlen und sich ausbreitender Not nach; innere soziale und politische Spannungen treten wieder hervor und verschärfen sich sogar, sodass die Belastungen durch Krieg oder Niederlagen zum (gewaltsamen) Sturz der Machthaber und einem Regierungswechsel führen können.

Neben diesen langfristig wirkenden strukturellen kommen bei Propaganda situative Rahmenbedingungen zur Geltung. Darunter versteht man kurzfristige Faktoren wie Ereignisse oder aktuelle Konflikte, die der Propagandist in seiner Tätigkeit berücksichtigen muss. Wie sich an historischen Beispielen zeigt, gilt es beispielsweise rasch auf den Ausgang von Schlachten zu reagieren oder bei Bündniswechseln die Propaganda von Feind- auf Freundmodus umzustellen.

Nationalsozialistische Propaganda

Da diese in der Kommunikationsforschung wie auch der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Propaganda einen derart großen Stellenwert einnimmt, soll sie hier exemplarisch aufgegriffen und die oben knapp skizzierten strukturellen und situativen Rahmenbedingungen an einzelnen Elementen verdeutlicht werden. Propaganda war für Hitler und Goebbels äußerst wichtig, wie sie selbst immer wieder betonten; „wir säßen heute nicht in den Ministersesseln, wenn wir nicht die großen Künstler der Propaganda wären“55, sagte Goebbels zwölf Tage nach seiner Ernennung zum Minister des RMVP.

Tatsächlich spielte sie für den Aufstieg der Nationalsozialisten eine sehr wichtige Rolle. „Nach meinem Eintritt in die Deutsche Arbeiterpartei übernahm ich sofort die Leitung der Propaganda“, schrieb Hitler in Mein Kampf. „Ich hielt dieses Fach für das augenblicklich weitaus wichtigste. Es galt ja zunächst weniger, sich den Kopf über organisatorische Fragen zu zerbrechen, als die Idee selbst einer größeren Zahl von Menschen zu vermitteln. Die Propaganda mußte der Organisation weit voraneilen und dieser erst das zu bearbeitende Menschenmaterial gewinnen.“56 Bereits in den 1920er-Jahren, als es sich bei den Nationalsozialisten noch um eine „bedeutungslose Splitterpartei“57 fern der politischen Macht handelte, leisteten sie sich einen Reichspropagandaleiter, einen Auslandspressechef sowie eine Rednerschule.

Hitler selbst konnte nicht nur auf persönliches Interesse und die Erfahrungen mit der britischen Propaganda während des Ersten Weltkrieges, sondern auch auf eine (wenngleich kurze) Ausbildung zurückgreifen. 1919 verfolgte die sich formierende Reichswehr das Konzept, „einzelne, rhetorisch begabte Soldaten ‚zu Trägern der Aufklärung unter ihren Kameraden‘ zu machen – so General Walther Freiherr von Lüttwitz am 26.5.1919 – [als] Versuch, adäquat auf die Propaganda ihrer politischen Gegner, insbesondere der linken, zu reagieren.“58 Hitler, der sich am Ende seiner militärischen Dienstzeit befand, besuchte vom 5. bis 12. Juni 1919 im Rahmen des „Aufklärungskurses“ an der Universität München einschlägige Vorlesungen und hielt sich danach für einen Propagandaexperten.

Als Hitler 1921 die Parteiführung übernahm, war er „ein ‚Bierkelleragitator‘, eine Lokalgröße, aber ansonsten kaum bekannt“59. Der Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), wie die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) seit 1920 hieß, wurde sowohl von strukturellen wie auch situativen Rahmenbedingungen begünstigt. Nach der Aufhebung des Parteiverbots 1925 konnte die unter Hitler neu begründete Partei in der Weimarer Republik bei den Wahlen antreten, wobei der Erfolg bei der ersten Reichstagswahl 1928 noch sehr bescheiden blieb.

Profitieren konnten die Nationalsozialisten vor allem von den Zeitumständen. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise 1929 zeigten auch in der Weimarer Republik Auswirkungen. 1932 blickten die Menschen angesichts der wirtschaftlichen Depression mit Massenarbeitslosigkeit, steigenden Selbstmordraten und hoher Jugendkriminalität pessimistisch in die Zukunft. Gerade junge, arbeitslose Menschen sahen für sich keine Perspektiven und wandten sich enttäuscht und wütend von der Regierung der Weimarer Republik und ihrem offensichtlichen Versagen ab. Viele Menschen vertrauten nicht länger den etablierten Parteien, sondern vertrauten in ihrer Hoffnung auf eine bessere Zeit auf die Versprechen der rechts- und linksextremen Parteien (NSDAP und KPD). Deren Attraktivität gerade für junge Leute „war in vielerlei Hinsicht die Revolte einer Generation gegen ein System und eine Gesellschaft, die sie im Stich gelassen hatten.“60 Die NSDAP stieg rasch auf. Hitler blieb im Wahlkampf 1932 zwar hinter Paul von Hindenburg zurück, doch ernannte ihn dieser als Reichspräsident im Januar 1933 zum Reichskanzler. Der Weg zur nationalsozialistischen Diktatur war geebnet.

Die Nazi-Propaganda ist untrennbar mit einem weiteren Namen verknüpft: Joseph Goebbels, der zu „einem negativen Genius des Metiers“61 wurde. Er studierte Altphilologie, Germanistik und Geschichte; Karrierepläne als Journalist oder Schriftsteller scheiterten. Noch 1921 hegte Goebbels keine tieferen Sympathien für die nationalsozialistische Bewegung, sondern überzog sie im Gegenteil mit Spott. Für die Hochzeitszeitung seines Bruders Konrad schrieb er: „Seh ich nur ein Hakenkreuz, krieg ich schon zum Kacken Reiz.“62 1924 wurde er anscheinend durch den Münchner Hochverratsprozess, der drei Monate nach dem missglückten Staatsstreich stattfand, auf die NSDAP und Hitler aufmerksam und begann, „seine Sehnsucht nach der rettenden Idee und dem Mann der Tat auf jenen Hitler zu projizieren“,63 der die Anklagebank als Bühne benutzt hatte.

Goebbels machte in der Partei rasch Karriere. 1926 wurde er als Gauleiter nach Berlin entsandt, 1928 zog er als einer von zwölf nationalsozialistischen Abgeordneten in den Reichstag ein und nach der Machtergreifung 1933 wurde er Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Hitler behielt jedoch die Kontrolle über die Propaganda in seiner Hand bzw. griff er auch auf andere Personen und Behörden zurück. Beispielsweise installierte er Otto Dietrich als Präsidenten des Reichsverbandes der deutschen Presse und Vizepräsidenten der Reichspressekammer, später wurde dieser Pressechef der Reichsregierung.

Nach seinem Amtsantritt als Propagandaminister kleidete Goebbels seine Zielsetzung in einer Pressekonferenz am 16. März 1933 in offene Worte: Es ginge um die „geistige Mobilmachung“ der Massen und darum, sie so lange zu „bearbeiten, bis sie uns verfallen sind“.64

Goebbels trieb die gnadenlose Gleichschaltung der Presse voran und versuchte, die Kontrolle über die verschiedenen Kanäle und so die Informationsmacht zu gewinnen. Ebenso galt es, konkurrierende Parteien – vorrangig Kommunisten und Sozialdemokraten – auszuschalten. Inhaltlich stand in der aktiven Propaganda die Vermittlung von Aufbruchsstimmung im Vordergrund, wobei soziale Errungenschaften wie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angesichts der enormen Arbeitslosigkeit und das Winterhilfswerk als Leistungen der Nationalsozialisten betont wurden.

Gerade die Außenpolitik Hitler-Deutschlands wurde stark durch die Rücksichtnahme auf die Großmächte bestimmt, deren Misstrauen und Eingreifen man fürchtete. Folglich gab sich die Propaganda des „Dritten Reiches“ in den Jahren 1933 bis 1936 betont friedliebend – um ungestört rüsten zu können. Für das Nazi-Regime kam es darauf an, die „Risikozone“, also die Phase bis zur „Wiederwehrhaftmachung“65, zu durchschiffen.

Auf der Tagung des Völkerbundes im September 1933 zeigte Goebbels ein anderes Gesicht, als man es von ihm gewohnt war, und bewies seine Anpassungsfähigkeit. Nicht der aggressive Schreier, der mit wilder Gestik polemische Parolen ins Publikum schleuderte, sondern ein zurückhaltender, überlegter Diplomat trat hier auf. Goebbels hatte die Aufgabe, die Behauptung, Deutschland würde eine Expansionspolitik vorbereiten, als „grotesk“66 zurückzuweisen. Er „verkaufte“ das nationalsozialistische Regime als „veredelte Art der Demokratie, in der kraft Mandates des Volkes autoritär regiert wird“67, die wirkliche Gefahr würde vom Bolschewismus ausgehen. Mit seinem ungewohnt friedfertigen Auftreten hinterließ Goebbels bei so manchen Diplomaten und Journalisten einen positiven Eindruck.

Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im März 1935 verstieß Deutschland gegen die Entwaffnungsbestimmungen im Versailler Friedensvertrag; gegenüber dem Ausland wurden jedoch weiterhin friedliche Töne angeschlagen. Am 17. April 1935 schrieb Goebbels, mittlerweile über Hitlers wahre Expansionspläne im Osten informiert, in sein Tagebuch: „Also rüsten und gute Miene zum bösen Spiel. Diesen Sommer laß uns o Herr noch überdauern. Durch Krisen und Gefahren geht der Weg zu unserer Freiheit. Aber er muß mutig beschritten werden.“68 Ende Oktober 1936 konnte er notieren, dass „die unpolitische Zeit“ nun vorbei und die „Risikozone“69 durchschritten wäre.

Im November 1938 zog Hitler endgültig den Schlussstrich unter die „Friedenspropaganda“, welche die Jahre 1933 bis 1936 bestimmt hatte, und erklärte die Notwendigkeit, das Volk nun psychologisch auf Krieg umstellen zu müssen. Ende Januar 1939 sprach Hitler im Reichstag offen von seinen Expansionsplänen und der „Ausweitung des Lebensraumes unseres Volkes“.70 Goebbels und seine Mitarbeiter stimmten die Bevölkerung auf die aggressive Expansionspolitik ein, beginnend mit der erzwungenen Abtretung der sudetendeutschen Gebiete durch die tschechoslowakische Regierung 1938, die sogenannte „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ und die Proklamierung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ im Jahr darauf und schließlich den Angriff auf Polen am 1. September 1939, mit dem der Zweite Weltkrieg begann, wobei die Angriffskriege als Verteidigungskriege inszeniert wurden. Wie die nationalsozialistische Propaganda auf Entwicklungen und Ereignisse im Kriegsverlauf reagierte, wird in den entsprechenden Kapiteln anhand ausgewählter Beispiele aufgezeigt.

Profis gefragt

Mit der Entstehung der modernen Mediengesellschaft und dem Anwachsen der Zielgruppe zu einem Publikum in Millionenstärke wurde das Aufgabenfeld der Propagandisten immer komplexer. Wie die Medienlandschaft veränderten sich die oben skizzierten politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, unter welchen Politiker heutzutage agieren müssen, sodass von ihnen enorme Anpassungsleistungen erwartet werden. In der Politik ist eine zunehmende Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit feststellbar. Das betrifft sowohl die politischen Akteure selbst, die immer stärker darauf angewiesen sind, sich gegenüber Medien und Zielgruppen zu „vermarkten“. Politiker müssen ihre Kompetenzen in zunehmendem Maße über die rein politische Sachlogik auf die mediale Darstellung und Vermittlung ausweiten.71 Zudem beschäftigen Politiker und Parteien Profis und Spezialisten wie Redenschreiber, Pressesprecher oder Online-Beauftragte. Im (Dauer-)Wahlkampf werden zusätzlich Leistungen externer PR-Berater zugekauft, professionelle Werbeagenturen „begleiten, ja: formen“72 den Auftritt der Parteien.

In Anlehnung an Bertolt Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters („Der junge Alexander eroberte Indien. / Er allein? / Cäsar schlug die Gallier. / Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“)73 soll hier die Frage aufgeworfen