Provinz - Paul Fleming - E-Book

Provinz E-Book

Paul Fleming

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Beschreibung

Provinz – „Drogen in der Brauerei“ ist eine leichtfüßige Krimi-Komödie voller unerwarteter Wendungen.

Als ein paar Handwerker zufällig eine beachtliche Menge Kokain im Leergut ihrer Brauerei entdecken, beschließen sie kurzerhand, nicht die Polizei zu rufen – sondern das Beste daraus zu machen. Sie mischen die Drogen in ihre selbst gemixte Cola und verkaufen das Getränk an die üblichen Verdächtigen ihrer Kleinstadt. Der Plan scheint aufzugehen, doch mit dem wachsenden Erfolg steigt auch das Risiko: Schon bald wird das organisierte Verbrechen auf sie aufmerksam – und das Chaos nimmt seinen Lauf.

Nach seiner Techno-Komödie „Verlorene Jungs“ legt Paul Fleming nun eine weitere unterhaltsame Geschichte vor, in der die sympathischen Figuren charmant zwischen absurden Situationen und unerwartetem Tiefgang balancieren.

Die Krimi-Komödie mit dem besonderen Kick!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Paul Fleming

Provinz

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Dieses eBook wurde mit Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Erklärung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Nachwort

landmarks

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Buchanfang

Erklärung

Die Personen und die Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Kapitel 1

„ Dabei hat die katholische Kirche doch alle Argumente in der Hand, um homophob zu sein!“

„ Hä? Ja, wie jetzt?“

„ Es ist doch offensichtlich“, Peter ist einer von denen, die gerne mit weit ausholenden Handgesten ihre Argumente unterstreichen. „Damals. In Getsemani.“

„ Getse-was?“

„ GetseMANI! Am ÖLberg! Jerusalem? Hallo? Da, wo Jesus verraten wurde!“

„ Ja natürlich. Ölberg. Getsemani. Jerusalem. Heiliges Land. Wer denkt nicht den ganzen Tag daran?“ Alex verdreht zu den biblischen Ausführungen seines jüngeren Arbeitskollegen nicht nur verbal seine Augen.

„ Ja also. Der Ort, wo Judas Jesus verraten hat. Dieser… Garten da.“

„ Okay. Na und?“

„ Und WIE hat Judas Jesus verraten? Na?“

„ Ja das weiß man doch… Warte… Äh… Na, mit einem Kuss!“

„ Und da haben wir es doch schon! Mit einem Kuss! Beweisaufnahme beendet. Fall erledigt. Mehr brauchen die Katholiken eigentlich nicht um Schwule zu hassen. Die Schwulen haben ihren Erlöser an die Römer verraten. Punkt. Von wegen die Juden sind schuld.“

„ Was? Hä? Wieso…? Das war doch kein schwuler Kuss. Das war ein… Verräter… Kuss… Oder so.“ Zum ersten Mal während ihres Gesprächs hört Peter auf zu arbeiten. Die Bierflaschen stehen still und brav in ihren opalgrünen Bierträgern. Wieder sind da Peters Hände, die nun in einer weit geöffneten Bewegung Fassungslosigkeit ausdrücken: „Wie kann so etwas nicht schwul sein? Hallo?! Es ist ein Kuss zwischen zwei Männern! Und vorher ist noch Satan in Judas gefahren. Das passt doch alles zusammen. Steht doch original in der Bibel! Der Schwulenteufel ist in ihn gefahren! So sieht es aus!“

„ Mo… Mo… Momentchen mal. Du sagst die Schwulen haben Jesus verraten? Was ist das denn für ein Bullshit?“

„ Isso. Der hätte ja einfach auf den zeigen können. Das hätte doch gereicht. Hier. Da. Der Jesus. Der da drüben. Der Softi mit den Schlafzimmeraugen.“

„ Vielleicht wurde das Auf-Leute-Zeigen erst später erfunden?“

„ Hä? Wie?“

„ Vielleicht ist das eine moderne Erfindung! Damals kannte man das noch gar nicht, dieses… Mit dem Finger auf was zeigen. Damals wurden zur Erkennung und Begrüßung alle abgeknutscht. Wie heute noch bei den Franzosen!“

„ Du Blödmann, das gab´s ja wohl schon immer! Mit dir kann man sich überhaupt nicht normal unterhalten…“ „Selber Blödmann! Ach was: Du Dorfdepp! Was laberst du mich davon voll, die Schwulen haben Jesus verraten? Was ist das? Du homophober Hinter…“ „Ruhig, ruhig. Sag ich doch gar nicht. Määänsch! Nur, dass die katholische Kirche es behaupten könnte, wenn sie schon Schwule hassen! Was hat das denn mit MIR zu tun?“

„ Mann, Mann, Mann…“

„ Maske!“ tönt es vom anderen Ende der Halle herüber.

Peter und Alex: Seufzen.

Obwohl Kevin noch viel zu weit entfernt ist, ganz da hinten, wo die alkoholfreien Getränke gelagert werden, legt er gleich mal los: „Wie oft habe ich euch gesagt, ihr MÜSST bei so einer Arbeit die verdammte Maske tragen! NUR! Wenn ihr ALLEINE arbeitet, dürft ihr sie abnehmen! Corona! Verdammt noch mal!“

„ Ach komm schon“, versucht es Peter. „So nah sind wir uns doch gar nicht.“

„ Außerdem. Hier draußen in der Halle. Hier ist doch ordentlich Luft. Wer braucht denn da den Merkel-Lappen?“, setzt Alex nach. „Keine Ausreden. Maske aufsetzen. Vorschriften. Wir sind hier nicht bei den Quertreibern“, Kevin ist bei den beiden Flaschensortierern angekommen. Denn das ist gerade ihre Aufgabe. Sie müssen die abgefüllten braunen Flaschen mit dem hellen Bier aus den opalgrünen Kisten in die leeren dunkelgrauen umsortieren. Gestern, während des Flaschenfüllens in der Brauerei, waren einfach zu wenige dunkelgraue Kisten verfügbar. Und helles Bier gehört in der „Hahnhauser Brauerei König“ nun einmal in die dunkelgrauen Kisten. Anders kann man es keinem Kunden zumuten.

„ Du trägst ja selber keine Maske, Alpha.“ „Erstens stehe ich gute zwei Meter von euch entfernt. Und zweitens, hör auf mich Alpha zu nennen, Alex!“

„ Schon gut, Kevin“, versucht Peter zu schlichten.

Doch Alex gibt nicht auf: „Das ist unfair. JEDER nennt dich Alpha, Kevin.“

„ Vielleicht will ich aber nicht der scheiß Alpha-Kevin sein? Schon einmal darüber nachgedacht?“

„ Niemand sucht sich seinen Spitznamen selbst aus“, Peter nickt triumphierend seinem Vorgesetzten Kevin zu. „Den hat man.“

„ Außerdem ist jetzt eh NATO-Pause, Alpha.“

„ Schon so spät? Tja. Da kann man nichts machen, Alpha.“

Und obwohl Alex und Peter gerade noch gestritten haben, werfen sie sich nun gegenseitig den „Der-Feind-meines-Feindes-ist-mein-Freund“-Blick zu. Sie lassen die Flaschen wo sie sind und gehen – in zwei Metern Abstand, wenigstens für den Moment – aus der Halle. Hinaus. Zum Raucherbereich.

Kevin: Seufzt.

Es ist der Herbst 2020. Ganz Deutschland ist im zweiten Corona-bedingten Lockdown gefangen. Schulen, Bars und Museen sind geschlossen. Nur zur Arbeit darf man noch. Dort scheint das potentiell tödliche Virus, gegen das in den nächsten Monaten wenigstens eine Impfung auf den Markt kommen soll, keine Macht zu besitzen.

Sachte den Kopf schüttelnd blickt Kevin Alex und Peter hinterher. Peter ist einen Kopf größer als Alex. Dafür ist Alex etwa 20 Jahre älter als der Junggeselle Peter. Da stapfen sie also davon. Beide in ihren beigen Betriebslatzhosen. Raus aus der Brauereihalle, in der das Vollgut gelagert und die dreißig Jahre alte Anlage, die die frisch abgefüllten Bierkisten auf Palletten stellt, schnaufend wie stöhnend ihre Arbeit verrichtet. Metin, der Staplerfahrer, hebt dafür mit seinem Gabelstapler das Leergut auf den Europaletten in die Maschine, von wo es mit Hilfe von Förderbändern nach oben in die Abfüllanlage transportiert wird. Auf einem anderen Laufband kommt das gereinigte und gefüllte Vollgut wieder nach unten. So geht es den ganzen Tag. Leere Flaschen und Kisten hinauf. Volle Flaschen in gereinigten Kisten hinunter. Und Metin, der unablässig mit seinem Gabelstapler hin und her fährt und die Anlage bedient.

„ Eigentlich sollte die Technik für uns arbeiten, nicht wir für sie“, denkt sich Kevin im Stillen, als er Metin bei seiner Sisyphusarbeit zusieht. Trotz seiner neongelben fluoreszierenden Warnweste fühlt sich Kevin fehl am Platz.

Inzwischen sind Peter und Alex am Raucherplatz angekommen. Früher, da durften sie noch oben rauchen. In ihrem Pausenraum, an dessen Glastür der Aufkleber „Schalander“ befestigt ist. Doch früher ist lange her. Jetzt. Stehen sie draußen in der Novemberkälte. Neben den geparkten LKWs der Brauerei.

Peter zieht an seiner Zigarette: „Und mir ist noch was aufgefallen.“ Alex stöhnt: „Großer Gott...“

„ Hast du diesen Superheldenfilm gesehen? Wo der Superheld ein Afrikaner ist?“

„ Ich hab es nicht so mit diesem Strumpfhosenzeug. Das ist doch was für Kinder.“

„ Fair genug. Berechtigter Einwand. Auf jeden Fall. Dieser Superheld kommt also aus Afrika. Okay? Die haben in der Story sogar einen eigenen Staat, von dem der Typ der Boss ist… Wie hieß der noch gleich…? Genau. Black Hawk!“

„ Ich kenn mich damit zwar nicht aus, aber ich bin mir sicher, dass das nicht sein Name war.“

„ BLACK HAWK! Wenn ich es dir sage! Aber… Darum geht es mir eigentlich gar nicht. Mir geht es vielmehr darum. Also. Das ist ein Film, in dem hauptsächlich schwarze Charaktere aus Afrika das Sagen haben. Okay?“

„ Mir schwant Übles.“

„ Und weißt du mit wem sie die Filmrollen besetzt haben?“ Peter zeigt mit seiner nackten Zigarette auf den vor Kälte bibbernden Alex. „Mit Engländern und Amerikanern. Schwarze. Okay. Aber Engländer und Amerikaner. Und jetzt frage ich dich! Wieso haben die keine Schauspieler aus Afrika genommen? In einem Film! Über Afrikaner! Dieser verdammte Kontinent ist scheißengroß und die…!“

„ Du meinst also, das ist rassistisch? Willst du darauf hinaus?“

„ Ja genau! Du hast es gecheckt! Megarassistisch ist das!“

„ Ne. Ich hatte nur gerade deine Jesus-wurde-von-den-Schwulen-verraten-Geschichte im Hinterkopf…“

„ Aber es IST rassistisch! Und wie! Wieso haben die keine Afrikaner genommen? Sind die denen nicht gut genug?! Zu ungebildet? Nicht kompetent genug? Die sind doch die Ursuppe. Die reinrassigen, wenn man so will!“

„ Mann, Mann, Peti. Was ist denn los mit dir? Wo kommen all diese Theorien her? Ich meine, du bist schon so. Aber du bist zur Zeit schon… Na ja… Sehr so.“

„ Ach.“ Peter winkt ab. „Es ist vermutlich der verdammte Lockdown…“ Peter sieht haltlos im Fuhrpark voller schlafender LKWs herum. „Mir fehlen einfach die Clubs. Das Weggehen. Das BummBummBumm! Das Feiern!“

„ Die Mädchen.“

„ Ja klar. Die auch.“ „Aber mal Hand aufs Herz. Ihr macht doch sicherlich so Hauspartys. Auch wenn´s gerade verboten ist.“

„ Ja, ein bisschen Party machen wir schon“, Peter zwinkert Alex zu. „Du kennst mich. Wir sind auch hin und wieder ein wenig meschugge. Du weißt ja. Im Feilchen und so.“ Peter greift sich zur Versinnbildlichung zwei Sekunden lang mit seinem rechten Daumen an den rechten Nasenflügel. „Aber es ist einfach anders. So eingesperrt.“

„ Irgendwann wird das schon vorbei sein.“

„ Ja klar. Da hast du recht. Aber… Wann? Du bist alt, Opa. Du hast deine Jugend schon hinter dir.“

„ Hey! Na ja… Ganz falsch ist das nicht.“

„ Siehste. Und trotzdem. Die hätten ruhig ein paar Afrikaner für den Film nehmen können. Sonst ist das doch bloß kulturelle Aneignung.“

„ Was auch immer das nun sein soll… Ich darf nicht mehr Negerkuss sagen, was ein wirklich wunderschönes Wort ist. Nein, lach nicht! Eine Sahnespeise, die so lieblich ist wie die Berührung durch die vollen Lippen eines Schwarzen, was soll daran bitte rassistisch… Was will der denn?“

Alex und Peter sehen zu Metin hinüber, der in der Dunkelheit seiner Halle ihnen auf seinem Stapler sitzend zuwinkt.

„ Kommt mal her! Ich brauche eure Hilfe!“

„ Mach doch selber! Ich bin doch nicht dein Schokoseppi!“ ruft Alex grinsend zurück. Dabei sind die beiden schon wieder auf dem Weg zurück in die Halle.

„ Schokoseppi. Den kannte ich noch gar nicht“, Metin zwinkert Alex zu und zeigt ihm dann seinen Mittelfinger. „Alpha hat gesagt…“ Peter grinst: „Alpha hat gesagt, er will nicht mehr Alpha genannt werden.“

„ Ich darf das. Also“, fährt Metin fort. „Da hinten steht ´ne Palette Schönhöpfer. Ich hab´ aber gesehen, dass da auch ein Haufen Müll mit drin liegt, könnt ihr den Müll aussortieren? Ich muss doch die Anlage fahren. Alpha sagt, ihr sollt mir helfen. Außerdem habt ihr zwei Figuren ja eh nichts zu tun.“

„ Was willst du überhaupt mit Schönhöpfer Leergut?“

Metin winkt ab: „Wir haben zu wenig braune Flaschen. Deswegen befreien wir die Flaschen aus ihrem Kistengefängnis und packen sie in unsere. Bist wohl zum ersten Mal in ´ner Brauerei oder was?“

„ Ja, ja. Is´ ja gut. Wo steht die?“

„ Da hinten.“

Und tatsächlich. Wie angekündigt steht gar nicht weit von dem Fleck entfernt, an dem Alex und Peter vor ein paar Minuten noch Flaschen sortierten, eine Palette Schönhöpfer Bier. Mit leeren Flaschen.

„ Wer stopft denn so viel Folie in die Kisten? Die kommt außen herum“, mault Alex und nimmt eine Kiste oben von der Palette herunter. Er stellt sie neben sich auf den Boden und zieht einen Knäuel Folie aus der Bierkiste.

„ Ach, die Kunden sind doch alles Idioten“, stöhnt Peter und tut es Alex gleich. „Neulich haben sie wieder einen Bierdurchlaufkühler zurückgebracht. Komplett zerlegt! Alle Leitungen abgeschraubt! Ich sag dir eins, wenn ich mal einen Mietwagen habe, zerlege ich den auch und gebe den dann einfach so…“

„ Äh. Du, Peti. Was ist denn das?“ In die Mitte der Schönhöpfer Palette ist noch mehr Folie gestopft worden. Die Kisten sind proppevoll damit. Aber da ist nicht nur Folie. Unter der zusammengeknüllten Folie befinden sich akkurat eingeschweißte Päckchen. Ungefähr in der Größe eines DIN-A4-Briefumschlags. Nur mehrere Zentimeter dick. „Das sieht ja aus wie… Wie im Fernsehen… Sind das…. Sind das Drogen?“

„ Scheiße… Alter. Das ist… Das sieht so aus wie… Ist das ein Witz?“

„ Ist es das, was ich denke?“

Einen kurzen Augenblick lang steht die Zeit still. Alex und Peter stehen einfach nur da. In ihren beigen Latzhosen. Während hinter ihnen die alte Palettier-Anlage schnaufend und ächzend die Kisten eine Etage höher in die Flaschenfüllerei bugsiert. Metin lädt mit seinem Stapler eine Palette mit Leergut ab. Dann setzt er zurück. Und nimmt ein paar Meter daneben gleich wieder eine Palette mit frischem, verkaufsfertigem Bier auf.

Alex kratzt sich an seinem Kopf. „Und jetzt?“

„ Ich hab´ euch doch gesagt! Ihr sollt die verfickten MASKEN aufsetzen!“ brüllt Kevin von hinten schon wieder Alex und Peter an. „Ist es denn so schwer was für die Gemeinschaft zu tun? Habt ihr denn keine Familie? Keinen alten lungenkranken Vater so wie ich, den man schützen muss?“ Kevin ist bei den beiden angekommen. Schon wieder.

„ Alpha. Das solltest du dir ansehen.“

„ Was denn? Alex?“ Peter reicht Kevin eines der Päckchen.

„ Scheiße… Habt ihr das…? Von…“

„ Die ganze Palette ist voll damit.“ Peter lacht.

Alex: „Ist das echt, echt? Probier doch mal was, Peter.“ „Iiiich? Wer weiß was das ist? Das kann doch… Rattengift sein oder…“

Alex weiter: „Rattengift? Wer verpackt denn so kiloweise RATTENGIFT!? Das ist Dope!“

„ Was? Nein. Das ist doch kein Dope. Dope ist was zum Rauchen.“ „Ich bin mir sicher, das sagt man auch zu Heroin. Oder Koks.“

„ Quatsch… Das ist was zum Kiffen!“

„ Jetzt haltet mal die Schnauze, ihr zwei“, Kevin geht dazwischen.

„ Sollen wir jetzt die Bullen rufen?“ Alex zuckt mit den Schultern.

Niemand geht auf die Frage ein.

„ Jetzt probier doch mal was, Peter.“ Kevin hält ihm das Päckchen wieder hin.

„ Wieso ich?“

„ Weil du hier der Partyhengst bist“, ermuntert ihn Alex.

Peter stöhnt. Dann legt er das Päckchen auf den Hallenboden. Holt einen Phasenprüfer aus seiner Latzhose. Sticht ein kleines Loch in das Päckchen. Dann leckt er sich den rechten Zeigefinger ab und steckt ihn ebenfalls in das von ihm gestoßene, kleine Löchlein. „Na dann Prost.“ Peter zeigt ihnen den mit weißem Pulver bedeckten Zeigefinger, als wäre er ein fünfjähriges Kind mit einem Finger voller Brause. Dann macht er die Augen zu und steckt sich den Finger in seinen Mund.

„ Und was ist es? Wirkt es schon?“

„ Wir sind hier nicht beim Tatort, Alex. So schnell wirken Drogen nicht.“ „Und wonach schmeckt es?“ Kevin sieht ihn von oben herab an.

„ Könnte schon Koks sein. Nehme ich normal nicht.“ Auf die Aussage hin müssen Alex und Kevin verhalten lachen.

„ Und jetzt?“ fragt Alex nach. „Ist es jetzt gut?“

Peter saugt seine Ober- und Unterlippe ein wenig in seinen Mund und fährt mit der Zungenspitze über die eingesaugten Lippen. Er will noch einmal sagen, dass Drogen nicht so schnell wirken und es noch ein paar Minuten dauern wird bis er eine Veränderung spüren könnte. Man muss Geduld haben. Aber das ist es nicht, was er zu Alex sagt. Weil es nicht stimmt. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht bei diesem Zeug. Und so meint Peter nur: „Alter. Es ist saugut.“ Sein ganzer Mund ist taub geworden. Sein Gehirn explodiert förmlich.

Test bestanden. Es sind Drogen. Kiloweise sogar. Ein Wahnsinn. Kevin kann es nicht fassen. Alex hingegen verzieht sein Gesicht zu einer besorgten Grimasse: „Geht es dir… Gut? Peti? Ich meine… Das Zeug und so… Bist du jetzt süchtig?“

Darüber kann Peter nur lachen. „Du alter Mann, du. Mir geht es komplett richtig gut. Saugut. Bereit für Überstunden!“ Darüber muss er nur noch mehr lachen. Der Peter. Und fügt kopfschüttelnd hinzu: „Mach dir keine Sorgen… Drogen in der Brauerei. Hat man davon schon einmal gehört?“ Peter, Alex und ihr Vorgesetzter Kevin können sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„ Na ja… Dann. Wo das Päckchen schon einmal auf ist. Ja… Dann… Ja dann nehme ich das doch einfach mal mit.“

Alex: „Wie mit?“ „Ja mit halt. So zu mir nach Hause. Ihr könnt damit doch eh nichts anfangen. Oder wollt ihr das (er spricht das Wort ironisch aus) Dope euren Familien vorstellen?“

„ Nix“, zischt Kevin. „Hier wird gar nichts mitgenommen. Wenn das Zeug hier ist, dann sucht das doch sicher jemand. Irgendwelche Leute…“ „Kriminelle!“ fällt Alex ihm ins Wort.

„ Ja. Irgendwelche Leute, die keinen Spaß verstehen“, fährt Kevin fort.

„ Ja schon, aber“, Peter dippt noch einmal seinen Finger in das geöffnete Päckchen. Dann schiebt er ihn sich ein weiteres Mal in den Mund, um das Pulver auf seinem tauben Zahnfleisch zu verteilen. Genauso, wie sie es in den Filmen machen. Filme sind ja eh die bessere Wirklichkeit. Sein Gesicht fühlt sich inzwischen komplett taub an. Ein tolles Gefühl. Zahnärzte wären neidisch ob der betäubenden Wirkung in seinem Mund. „Kann mir irgendwer sagen, warum hier eine Palette Schönhöpfer in der Brauerei König steht? Das ist doch schon an sich nicht normal. Ist das schon einmal vorgekommen? Wo hat Schönhöpfer überhaupt seinen Sitz?“

„ NRW…“ grübelt Kevin vor sich hin.

„ Und wir sind in Bayern. Das ist weit weg… Also ganz im Ernst. Ich sag euch wie es ist. Da hat jemand Mist gebaut. Das ist alles. Das war einfach nur irgend so ein Depp. Einer wie wir, sprich, einer von uns. Deswegen steht das Zeug jetzt bei uns und nicht dort, wo es hinsollte. Es ist verloren gegangen.“ Peter nickt seinen Kollegen zu. Als ob er seine These damit unterstreichen würde. „Also kann ich das mitnehmen. Verloren ist verloren. Wiederholen ist gestohlen.“

„ Nix. Schlag dir das aus dem Kopf.“ „Außerdem“, fügt Alex hinzu, „Außerdem ist das wie mit der einen Frau, die zwei Brötchen aus dem Müll in der Arbeit gezogen hat. Der haben sie dann auch gekündigt.“

„ Was ist das für ein blöder Vergleich?“ Peter schüttelt den Kopf. Da sind sie wieder. Die sprechenden Hände voller Unverständnis.

„ DU willst mir was über blöde Vergleiche erzählen? Den ganzen Tag muss ich mir deinen Quatsch anhören! Du Black Hawk! Außerdem heißt es geschenkt ist geschenkt. Wiederholen ist gestohlen! Du!“ „Jetzt haltet doch mal die Klappe!“ Kevin seufzt.

„ Ja okay, Alpha…“ Peter zuckt mit seinen Schultern. „Aber was machen wir jetzt?“

„ Bullen sollten wir keine rufen. Das wirft nur ein schlechtes Licht auf die Brauerei“, Kevin lächelt Peter zu.

„ Ich liebe deine Art zu denken, Chef“, Peter schnipsfingert Kevin entgegen und lässt noch einmal seinen Naschfinger in dem Paket verschwinden.

Kevin erklärt: „Ich besorg mal einen Stapler und lass das Zeug verschwinden.“

„ Wohin?“

„ Ich stell die Palette einfach mal weg. Irgendwo hinten rein.“

„ Du willst sie doch nicht klauen?“ „Jetzt hör aber auf und halt die Schnauze, Peter. Also. Ich bring die Palette weg und wir machen jetzt einfach mal mit unserer Arbeit weiter. Als wäre nichts gewesen. Und später, abends, wenn alle weg sind. Dann holen wir das Zeug ab und bringen es woanders hin.“

„ Wohin?!“

„ An einen sicheren Ort. Und nimm es mir nicht übel. Er wird nicht gerade in deiner Nähe sein.“

Peter seufzt. „Leider nachvollziehbar.“

Alex: „Und dann? Was machen wir dann?“

„ Wir warten ab. Und schauen, was passiert.“

„ Gute Idee.“ Peter nickt Kevin zu. „Und wir sollten Masken tragen. FFP2-Masken. Das bietet sich an. Dann erkennt uns keiner. Yeah Corona! Endlich bringt uns der Scheiß mal was!“

„ Wir müssen eh Masken tragen, wenn wir gemeinsam im Auto sitzen. Hat der Spahn gesagt“, Alex gibt den Daumen nach oben.

„ Oh Mann. Wie sollen die Leute uns denn nicht erkennen? Wir fahren mit unseren eigenen verdammten Autos! Egal. Scheißdrauf. Ich hole jetzt einfach mal den verfickten Stapler. Ihr macht weiter mit Flaschensortieren. Und kein Wort zu niemandem.“

Alex und Peter gleichzeitig: „Okay!“

Kaum ist Kevin aus der Halle, fischt Peter eine Packung Taschentücher aus seiner Hose, nimmt die Papiertücher heraus, steckt sie weg und schüttet dafür eine ordentliche Portion von dem vermeintlichen Kokain in die Plastikpackung.

„ Hey!“ insistiert Alex.

„ Selber hey! Ich hatte das Risiko. Mir steht auch etwas von dem Gewinn zu.“

„ Ach Peti. Ob das alles gut geht?“

Kapitel 2

Peter ist der Neue im Team. Ein klassischer gelernter Brauer und Mälzer mit drei Jahren Ausbildung. Mitte Zwanzig. Er kam vor etwa anderthalb Jahren nach dem Abschluss seiner Lehre in Kaufbeuren zur Brauerei König in Hahnhausen. Kevin fand das Großmaul Peter sofort sympathisch. Kevin erinnert sich noch daran, wie Peter an seinem ersten Arbeitstag leicht verunsichert in ihrer tristen Mitarbeiterumkleide herumstand. Der Umkleideraum besteht damals wie heute nur aus ramponierten Metallspinden aus den gefühlten 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Auf diese verbeulten und verbogenen Metallkästen haben längst verstorbene Mitarbeiter vor Jahrzehnten anzügliche, doch spaßig gemeinte „sexy“ Aufkleber aus Formaten wie der „Blitz Illu“ geklebt. „Darf ich Ihnen etwas anbieten?“ fragt da zum Beispiel ein gezeichnetes Pin-Up-Model im 70er-Jahre-Stil einen älteren Mann mit Fliege auf einem dieser Sticker, worauf der Mann mit einem süffisanten Lächeln einsilbig antwortet: „Sex“. Manche Scherze altern nie.

An der einzigen freien Wand, die nicht mit Spinden zugestellt ist, verläuft eine nackte Heizungsleitung, von der seit jeher die Malerfarbe abblättert. An dieser Wand stehen ein paar halbvolle Kisten mit Bier und Limonade herum. Das sind die Freigetränke für die Belegschaft. Frisch vom Band gemopst, bevor der Apparat, der die Kisten zählt, aus den gefüllten Trägern echte Verkaufsware machen kann. Ansonsten ist die Umkleide ein Raum ohne Fenster. Und da stand Peter vor anderthalb Jahren wie ein Schluck Wasser an seinem ersten Arbeitstag und sah Kevin über dessen Schulter.

„ Ist das deine Tochter auf dem Foto da?“ wollte Peter wissen. Offensichtlich war die Frage nur ein Vorwand, um das Eis zu brechen. Kevin wandte sich um, hob herausfordernd seine rechte Augenbraue und meinte nur: „Warum zum Teufel sollte ich das Foto eines fremden Kindes in meinem verfickten Spind haben? Hältst du mich für einen dieser beschissenen Perversen?“

Und wie Peter über diesen blöden Spruch einfach nur in schallendes Gelächter ausbrach und die Steilvorlage zurückgab: „Man weiß ja nie.“ Da wusste der lachende Kevin: Der Peter, der ist in Ordnung. Der hält auch eine Portion ordentliches Deutsch aus.

Alex hingegen ist ein altes Brauerei-König-Urgestein. Der Alex war schon da, als Kevin hier seine Lehre begonnen hat. Der Alex ist bestimmt auch schon da gewesen, da hat sogar noch Kevins kleiner Bruder Niki gelebt – und das ist lange her. Der Alex kennt sogar noch die meisten Vertreter der Zuliefererfirmen beim Namen, obwohl die Unternehmen längst pleitegemacht haben. Gefühlt ist Alex also schon immer da gewesen. Und trotzdem macht er immer noch den gleichen Job. Genau wie vor 30 Jahren. Das ist nicht schlimm. Weder für Alex, noch für die Welt. Ohne Leute wie Alex würde es auch diesen Laden längst nicht mehr geben. Leider vergessen so etwas die Leute in den Chefetagen mit ihren Abschlüssen und Zusatzbezeichnungen immer wieder ganz gerne. Für sie ist Alex nur ein unrasiertes, frisurloses Rädchen im Getriebe. Aber ohne dieses Rädchen kann das Eine nicht in das Andere greifen. Und manche Rädchen können schwerer ausgetauscht werden als andere. Gerade wenn dieses Rädchen fast die ganze Brauerei mit seinem Elektriker-Stil Marke Eigenbau umgebaut hat. Nur Alex weiß, welches Relais wohin gehört. Wo man welche Dichtung braucht. Und welchen Schaltschrank man auch ohne „Not-Aus“ bedenkenlos öffnen kann. Für Kevin war Alex immer mehr Brauerei König, als es die Eigentümerfamilie König jemals sein könnte.

Dabei ist Alex nie schnell mit seiner Arbeit. Aber er hat auf jedes Problem eine Lösung. Egal, ob es sich bei den Problemen um Strom, Wasser, Hydraulik oder Schweißerarbeiten handelt: Alex kann einfach alles. Nur mit seiner Geschwindigkeit. Mit der muss man klarkommen. Und auch damit, dass er manchmal den elektrischen Strom eher wie Wasser leitet. Hauptsache es funktioniert. Und das ist das Einzige was wirklich zählt.

Und Kevin? Kevin ist einfach nur Kevin. Kevin Heilmann. Anfang 40. Der zweite Braumeister hier im Geschäft. Er ist verheiratet, hat ein Kind, eine Frau und wie jeder eine Vergangenheit. Bis in sein Erwachsenenalter hinein war er als Heißsporn bekannt. Deswegen sein Rufname: Alpha. Sein Leben bestand eine lange Zeit über nur aus Aktion und Reaktion. Aktion und Reaktion. Nicht andersherum. Wer sich mit ihm anlegte, der legte sich mit dem Falschen an. „Wer mir eine Grube gräbt, gräbt sich selbst hinein“, hat er gerne gesagt. Einen Begriff wie „Kausalität“ konnte er da noch nicht einmal buchstabieren. Sein Verhalten resultierte nicht aus einer Form von Unsicherheit. Er war einfach nur wütend. Unsicherheit nannte er es erst später, als er vergessen hatte, woher die Wut kam. Es war nur irgendeine Erklärung. Eine daher geplapperte Rechtfertigung für etwas, das er nicht erklären konnte.

Nach getaner Arbeit setzen sich die Drei auch heute an diesem besonderen Tag mit ihren Arbeitskollegen in ihren Schalander und trinken zusammen ein Feierabendbier. Corona hin, Covid her. Das Feierabend-Bier lässt man sich in einer Brauerei nicht verbieten. Immerhin sitzt jeder zwei Meter entfernt vom anderen. Oder einen Meter. Oder eine Armlänge. Die Fenster sind geschlossen. Es ist ja auch kalt heute. Ihr Gespräch gestaltet sich zäh, was an sich schon eine bemerkenswerte Auffälligkeit ist, wenn man Peter kennt. Doch als der letzte Kollege endlich „Servus, macht ihr das Licht aus?“ gesagt hat. Dann. Dann geht es für die Drei richtig los.

Peter und Alex begeben sich hinunter in die Lagerhalle. Dort angekommen, machen sie über die speckigen Schalter die gerade erst vor ein paar Minuten ausgeknipste Deckenbeleuchtung wieder an. Das Licht braucht ein paar Sekunden. Nicht jede Lampe beginnt zu leuchten. Alex geht die paar Schritte und öffnet ein Rolltor, um Kevin mit seinem vom Parkplatz geholten VW-SUV hereinzulassen. Das Tor quietscht und ächzt, als es über ihren Köpfen langsam zu einer Schnecke zusammengerollt wird. Peter hat schon wieder eine Kippe im Mundwinkel. Natürlich. Er schüttelt den Kopf, so wie immer, wenn er Kevins „Alpha-Mobil“ mustert. Peter meint, niemand braucht so ein Monstrum. Doch heute, heute erscheint es ihm ganz praktisch. Schnell sind die Päckchen mit den Drogen im Kofferraum des Alpha-Mobils verstaut. Wie sie da so liegen in Kevins unendlichem Kofferraum, sieht es nach gar nicht so viel aus. Dabei weiß Peter ganz genau: Es ist viel. Sehr viel. Ohne Zweifel. Richtig verboten viel. Dort liegt ein Stück Himmel und Hölle. Keine Ahnung warum, wahrscheinlich liegt es an dem Kokain, von dem er den ganzen Tag über immer wieder ein wenig genascht hat, aber er fühlt sich ein bisschen stolz dabei, IHRE Drogen da so liegen zu sehen. Das sind IHRE Kilos.

„ Und jetzt?“ fragt Alex, als er sich seine blaue Einwegmaske über das Gesicht zieht. Er fühlt sich ein wenig wie ein cooler Bandit aus einem dieser Postkutschenraub-Filmen. Western. Ein gutes Genre. Alex mag das. Die jungen Leute wissen ja gar nicht mehr, was ein guter Western ist. Die sagen ja nicht einmal mehr Indianer, aus Angst vor der Sittenpolizei.

„ Ich hab vorhin Domme angerufen. Da fahren wir jetzt hin“, Kevin nickt, um seine Entscheidung zu untermauern. Ein Nicken, das alle Nachfragen beenden will.

Peter verzieht sein unmaskiertes Gesicht. Seine zerfledderte Papiermaske, die er seit dem ersten Lockdown mit sich herumträgt, baumelt ironisch am Handgelenk: „Domme? Der Fassfülljockel? Wieso denn der? Und warum triffst eigentlich DU die Entscheidungen? Es ist Feierabend. Du hast keine Macht mehr über uns!“

Kevin mustert Peter abschätzig von der Seite. „Du meinst, weil ich 20 Jahre älter bin als du, mehr Erfahrung habe und dein Vater sein könnte?“

„ Warum? Hast du was mit meiner Mutter gehabt?“

„ Was?“

„ Na wenn du mein Vater sein könntest, dann musst du doch irgendwann mal meine Mutter…“

„ Jetzt hör doch mal auf mit dem Quatsch!“ keilt Alex dazwischen. Ein Lächeln kann er sich trotzdem nicht verkneifen. Dann. Ruhiger: „Alpha hat schon recht. Der Domme ist jemand, den man ins Boot holen sollte. Sag ich jetzt so aus Erfahrung. Den kann man gebrauchen.“

„ Diesen blöden Bauern? Echt jetzt? Und wäre es nicht besser möglichst wenigen Leuten von dem – wie Alex es nennt – DOPE zu erzählen?“

„ Da hast du vollkommen recht“, Kevin nickt. „Aber Domme können wir vertrauen. Glaub mir.“

Alex nickt ebenfalls.

Daraufhin stöhnt Peter theatralisch und zuckt mit seinen Schultern: „Passt!“ Alex und Kevin wissen ganz genau, warum Peter gerade „Passt!“ gesagt hat. Ganz einfach, weil Domme es immer sagt. Es ist sein Markenzeichen.

Domme ist kein komplizierter Typ. Bei diesem Punkt würde Kevin weder Alex noch Peter widersprechen. Domme ist ein Bauer. Kein Landwirt. Sondern ein echter Bauer. Aus Mentalitätsgründen.

In der Brauerei König erledigt Domme eher die simplen Arbeiten. Normalerweise füllt er Fässer ab. Dabei rennt er den ganzen Tag in seinem kleinen Arbeitsbereich mit der 30 Jahren alten Fassfüllmaschine herum, um dort unablässig Fässer auf das Förderband zu stellen und sie auf der anderen Seite wieder mit Bier oder Limonade gefüllt hinunterzustellen. Wirklich: mit den Händen. Diese 50-Liter-Fässer wiegen abgefüllt 62,5 Kilogramm. Jede Minute ein Fass. Und währenddessen stöhnt und schnauft seine alte Fassfüllmaschine wie ein altes Waschweib, das ihm auch gerne einmal über 8o Grad heiße Lauge oder noch heißeren Wasserdampf entgegenspeit. Dommes Körper ist gezeichnet von seiner Maschine mit ihren porösen Dichtungen und ihrer sich ständig lockernden Verschraubung. Eine Verätzung hier. Eine Verbrennung da. Trotzdem scheint Domme die Arbeit zu mögen. Beim stumpfen Fassfüllen, da ist er ganz bei sich.

Domme redet nicht viel, doch alle wissen, dass er gerne die Eberhofer Krimis schaut. Und Fast & Furious. Und Jurassic Park. Bücher liest er eher selten. Ein bayrisches Original wie Domme hätte in den 90ern wahrscheinlich die CSU gewählt. Heute vermutlich gleich die rechtsextreme AfG, die in diesen Tagen Corona zu einer großen Lüge erklärt hat und Impfungen als den schnellsten Weg in den Sarg bezeichnet. Doch auch extremere politische Präferenzen haben in der Brauerei König noch niemals jemanden gestört. Wer ist schon perfekt? Ist doch Privatsache. Domme hat andere Qualitäten. Er ist ehrlich und loyal. Und ganz egal was zum Thema Politik in seinem Bauernschädel vorgehen mag, ist ihm zu Gute zu halten, dass er niemals irgendwelche Quatsch-Memes auf WhatsUpp? verschickt. Mag er Corona für eine Lüge halten, so zieht er doch jedes Mal die Maske über sein Gesicht, wenn er dazu aufgefordert wird. Meinung ja, davon hat er sicherlich genug. Rebellion dagegen eher wenig.

Domme ist auch derjenige in der Brauerei König, der den Lehrlingen, wenn sie frisch von der Schule in die Arbeitswelt wechseln, den Kopf geraderückt. Er ist hart, aber fair. Eine Erklärung gibt er jedem seiner Lehrlinge mit auf den Weg: „Im Prinzip ist es ganz einfach. Du sagst Guten Morgen, wenn du in die Arbeit kommst. Oder Schönen Abend, wenn du gehst. Du sagst Bitte und Danke, wenn dir jemand etwas gibt. Und Ja oder Nein, wenn dich wer was fragt. Und sollte eine jemandem nahestehende Person gestorben sein, dann sagst du Mein Beileid. Scheißegal, ob dich die Sache interessiert oder nicht. Das ist im Prinzip schon alles. Das reicht aus, um im Leben einigermaßen durchzukommen. Verstanden? Okay. Passt.“ Und dann lässt er die Lehrlinge einen Tag lang Fässer schleppen. Schleppen ist gut für den Charakter. Wenn auch nicht für den Rücken.

Dann also auf zu Domme. Weil Alex das so entschieden hat. Alex, Kevin und Peter klettern in Kevins Alpha-Mobil. Es gibt keine Diskussion darüber, dass sie alle zusammen fahren. Jeder von ihnen trägt brav eine Maske. Es ist Winter. Die Sonne ist längst untergegangen. Ein wenig mulmig ist ihnen schon zumute, mit so viel Dope in der Gegend herumzufahren. Gerade in diesen Zeiten, in denen die Corona-Polizei die Ausgangssperre durchzusetzen versucht. Wobei. Bisher hat keiner von ihnen so eine Kontrolle erlebt. Und sie kennen auch niemanden, der so einer Kontrolle ausgesetzt war. Doch was wäre die Alternative gewesen? Das Risiko eingehen, dass jemand die Drogen in der Brauerei zufällig entdeckt?

„ Sollten wir nicht das Licht ausmachen? Dann sieht uns keiner“, schlägt Peter engagiert vor.

„ Und wie soll ich dann sehen, wohin wir fahren?“ Kevin klingt genervt und macht mit einer lässigen Handbewegung das Autoradio aus. „Die scharfe Helene“ wie Alex sie nennt, verstummt mitten im Satz.

„ Stimmt auch wieder…“, Peter nickt. „Also in Filmen würden sie das so machen. Ohne Licht fahren. Tarnkappenmodus. Du weißt schon. Aber das sind ja nur Filme. Wo sie so zwischen Mexiko und Amerika herumfahren. Die Drogenbarone. Dabei… Wieso heißt es eigentlich immer Amerika? Es sind doch die Vereinigten Staaten von Amerika! Wie arrogant muss man sein, sein Land so zu bezeichnen wie ein gesamter Kontinent heißt, das ist doch…“ „Halt doch einmal die Schnauze, Mann!“

„‘ Tschuldigung Alpha, wenn ich drauf bin, dann kommt es einfach immer über mich, dann…“

„ Jetzt halt den Rand! Ich muss nachdenken!“

„ Nachdenken… Natürlich Kevin… Nachdenken… Nachdenken ist immer gut“. Peter klingt wie ein kleines Kind.

Hahnhausen, die Stadt, in der die Brauerei König seit Jahrhunderten beheimatet ist und deren Namen sie trägt, verlassen die drei Arbeitskollegen mit ihrem Alpha-Mobil in Richtung Süden. Immer dem Franz-Tal entlang, in dem die kleine bayrische Stadt verortet ist. Links und rechts von den drei Brauereimitarbeitern prangern auf den Anhöhen des Tals stumm nachtschwarze Wälder. Dank des Corona-bedingten Lockdowns sind sie das einzige Fahrzeug weit und breit. Kevins Atem ist ruhig, trotz seiner Aufregung. Er hatte schon bessere Ideen als mit mehreren Kilos Koks eine Ausgangssperre zu ignorieren. Seine Finger zucken kurz, als er mit dem Gedanken spielt, das Radio doch wieder einzuschalten. Dann lässt er es bleiben. Es ist nicht mehr weit. Ohne zu blinken biegt er vor der nächsten Ortschaft links weg. In der Dunkelheit kann Kevin die zwanzig Meter hohen Kornsilos des Mehlverarbeitungsbetriebes „Mühlinger KG“ erahnen. Die Straßen werden schmaler.