Prozessberatung für die Organisation der Zukunft - Edgar H. Schein - E-Book

Prozessberatung für die Organisation der Zukunft E-Book

Edgar H. Schein

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Beschreibung

Ed Schein, Mitbegründer der Organisationsentwicklung, hat die Prozessberatung fit gemacht für das 21. Jahrhundert. Das vorliegende Buch ist schon jetzt ein Klassiker der Organisationsliteratur. Nach über 40 Jahre internationaler Erfahrung als Berater mit großen Unternehmen und allen Arten von Klienten und Kundenorganisationen gelingt es Schein, die wichtigsten Grundlagen der Organisationspsychologie in einer verblüffend einfachen Sprache darzustellen und kunstvoll ihren Gegenstand in seiner ganzen Komplexität zu erfassen.

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EHP – ORGANISATION

Hrsg. von Gerhard Fatzer in Zusammenarbeit mit Wolfgang Looss und Sonja A. Sackmann

Der Autor:

Edgar H. Schein, Professor emeritus der Sloan School of Management am Massachusetts Institute of Technology, wo er heute noch arbeitet. Als Schüler von Douglas McGregor und Richard Beckhard und einer der Mitbegründer der Organisationspsychologie und der Organisationsentwicklung war er Co-Leiter von Kurt Lewins Forschungszentrum für Gruppendynamik am MIT; zahlreiche bahnbrechende Veröffentlichungen zur Entwicklung der Prozessberatung als grundlegender Form von OE, zur Analyse und Entwicklung der Organisationskultur und zur Karriereentwicklung sowie zur Organisationspsychologie; zusammen mit Warren Bennis und Chris Argyris Trainer in den National Training Labs in Bethel; Berater von großen Konzernen, Regierungen und Führungskräften in der ganzen Welt. Vor seinem ethnologischen und sozialpsychologischen Hintergrund entwickelte sich seine Praxis als Gruppendynamiker und Prozessberater.

1969 begründete er zusammen mit Dick Beckhard die erste Buchreihe zur Organisationsentwicklung; sowohl seine eigenen Bücher als auch die von ihm herausgegebenen Titel und die seiner Schüler sind in eine Vielzahl von Sprachen übersetzt; seit 1999 Herausgeber der Zeitschrift Reflections. International Journal for Change, Learning, Dialogue, und von Profile. Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog; Consulting Editor der Reihe EHP-Organisation.

Neben dem vorliegenden Klassiker sind seine Bücher Organisationskultur, Aufstieg und Fall von Digital Equipment Corporation und Führung und Veränderungsmanagement dem deutschsprachigen Leser zugänglich.

© 2003 für die deutsche Ausgabe EHP - Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbachwww.ehp-koeln.com Original English language title: Process Consultation Revisited: Building the Helping Relationship Copyright © 1999. All Rights Reserved Published by arrangement with the original publisher ADDISON WESLEY LONGMAN, a Pearson Education company

Aus dem Amerikanischen von Isabella Bruckmaier

Redaktion: Maria Michels-Kohlhage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

3. Auflage 2010

Umschlagentwurf: Gerd Struwe – unter Verwendung eines Bildes von Claudine Fessler – Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin Gedruckt in der EU

Alle Rechte vorbehalten All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

eBook-ISBN 978-3-89797-528-6

Inhalt

Zur Reihe EHP-Organisation

Vorwort

I. TEIL: DEFINITION VON PROZESSBERATUNG

1. Kapitel: Was ist Prozessberatung

Beratungsmodelle und die impliziten Annahmen, auf denen sie beruhen

Definition der Prozessberatung

Zusammenfassung, Implikationen und Schlussfolgerung

Fallbeispiele und Übung

2. Kapitel: Die Psychodynamik der helfenden Beziehung

Das anfängliche Statusungleichgewicht in helfenden Beziehungen

Aushandeln von impliziter Rolle und Status

Beziehungsaufbau auf verschiedenen Stufen gegenseitiger Akzeptanz

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Übung

3. Kapitel: Aktives Fragen und Zuhören zum Ausbalancieren des Statusgleichgewichts

Verschiedene Formen des aktiven Fragens und Zuhörens

Konstruktiver Opportunismus

Elemente des Entscheidungsprozesses

Hinweise auf Statusgleichgewicht

Das Konzept des anerkennenden Fragens

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Übungen

4. Kapitel: Das Konzept des Klienten

Wer? Grundtypen bei den Klienten

Was? Klientenrollen nach Problem- oder Themenebene

Themen bei Kontakt- und mittelbaren Klienten

Zu primären Klienten

Zu ahnungslosen und ultimativen Klienten

Personen im Einflussbereich als Klienten und der Einfluss von Nichtklienten

Schlussfolgerung und Auswirkungen

Fallbeispiele und Übung

II. TEIL: DEKODIEREN VERBORGENER KRÄFTE UND PROZESSE

5. Kapitel: Intrapsychische Prozesse: BRUI

Beobachtung (B)

Reaktion (R)

Urteil (U)

Intervention (I)

Der realistischere BRUI-Zyklus

Wie man Fallen vermeidet

Schlussfolgerung

Übung

6. Kapitel: Dynamik in der Angesicht-zu-Angesicht-Situation: Kulturelle Regeln der Interaktion und Kommunikation

Warum kommunizieren Menschen überhaupt?

Die Rolle der Sprache

Kulturelle Regeln für die Interaktion von Angesicht zu Angesicht

Soziale Gerechtigkeit: Einfache Kommunikation muss faires Geben und Nehmen sein

Menschliches Geben und Nehmen als Drama

Die Person als »heiliges Objekt«: Die Psychodynamik der »Gesichts-Wahrung«

Der zirkuläre Prozess und sich selbst erfüllende Prophezeiungen

Schlussfolgerung

Übung

III. TEIL: INTERVENTION ALS LERNHILFE

7. Kapitel: Kommunikation und bewusstes Feedback

Kommunikationsebenen

Bewusstes Feedback als geplanter Lernprozess

Die Bühne für bewusstes Feedback bereiten

Prinzipien und Richtlinien für bewusstes Feedback

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Übungen

8. Kapitel: Fördernde Prozessinterventionen: Aufgabenprozesse in Gruppen

Was ist ein Prozess?

Problemlösung und Entscheidungsfindung in der Gruppe

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

9. Kapitel: Fördernde Prozessinterventionen: Interpersonale Prozesse

Gruppenbildungs- und Gruppenerhaltungsprozesse

Gruppenreife

Wie soll interveniert werden: Aufgaben- oder interpersonal orientiert? Inhalt-, prozess- oder strukturorientiert?

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Übungen

10. Kapitel: Fördernde Prozessinterventionen: Dialog

Dialog versus Sensitivitätstraining

Schlussfolgerungen und Implikationen für die Prozessberatung

Übungen

IV. TEIL: PROZESSBERATUNG IN DER PRAXIS

11. Kapitel: Beratung in der Praxis: Einstieg, Settings, Methoden und der psychologische Vertrag

Erster Kontakt und Einstieg

Definition der Beziehung: Das Explorationstreffen

Der psychologische Vertrag

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

12. Kapitel: Prozessberatung und die helfende Beziehung in der Gesamtschau

Zehn Prinzipien als Kern der ProzessberatungIst die Entwicklung einer sinnvollen Typologie von Interventionen möglich?

Formales Wissen, Können oder Intuition?

Eine persönliche Anmerkung zum Schluss

Anmerkungen

Literatur

Zur Reihe EHP-Organisation

Die Reihe EHP-Organisation verfolgt das zentrale Anliegen, neben der Übersetzung wichtiger amerikanischer Originaltexte (zum Bereich der Organisationsentwicklung und des »Change Managements«) auch Grundlagen zur Organisationskultur, zu interkulturellen Entwicklungen, zur Verbindung Management und neue Technologien, zur lernenden Organisation, aber auch zu Grundlagen der »systemischen Intervention« in Organisationen, zu defensiven Routinen, zu neuen Formen der Organisation, zu wichtigen historischen und konzeptionellen Grundlagen der Organisationsentwicklung und des »Managements« von Veränderungen und theoretischen Ansätzen wie Aktionsforschung, Systemtheorie, Prozessberatung und Gestaltansätzen der OE darzustellen. Dabei werden selbstverständlich auch die verwandten Interventionsformen wie Supervision und Coaching ausführlich erörtert und in ihrer Unterschiedlichkeit und Ähnlichkeit gewürdigt. Dabei soll nicht nur der interkulturelle Austausch zwischen Europa und Amerika im Vordergrund stehen, sondern auch neue Interventionsformen der OE wie Dialog und Wissensmanagement in Form von »Lerngeschichten in Organisationen«. Es werden neue Organisationsformen wie Joint Ventures, Strategische Allianzen und Mergers & Acquisitions thematisiert.

Die Reihe soll sowohl Diskussionsgrundlagen und Denkfiguren im Bereich OE für das 3. Jahrtausend als auch historische Grundlagen der OE in ihrer Aktualität bereitstellen. Damit ist die Reihe bewusst ein Stück unmodern und zeigt auf, dass die Professional Community der OE-Berater, Coaches, SupervisorInnen zum Teil diese Grundlagen nicht kennt und dass auch kein interkultureller Dialog zwischen Europa und den USA stattfindet. Es soll ein Gegentrend zu den gängigen Einbahnstraßen der Wahrnehmung und zur kulturellen Ignoranz geschaffen werden, indem auch Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die diesen interkulturellen Dialog praktizieren und konzeptionell untermauern. Damit soll der herrschenden Flut von Publikationen, die zum Teil nur konzeptlos aus dem amerikanischen Sprach- und Kulturraum übersetzt und in deutschsprachigen Versionen publiziert werden, eine Reihe mit ausgewählten Titeln entgegengesetzt werden. Inspiriert ist die Reihe auch durch unsere amerikanischen Kollegen und langjährigen Wegbegleiter Chris Argyris, Edgar H. Schein, Fred Massarik, Ed Nevis, Warren Bennis und die Kollegen um Peter Senge am MIT, aus deren Kreis sich auch die Consulting Editors von EHP-Organisation rekrutieren.

Herausgeber sind vier Kolleginnen und Kollegen aus dem Feld: als Hauptherausgeber Gerhard Fatzer in Zusammenarbeit mit Wolfgang Looss und Sonja Sackmann.

Die ersten Titel waren Ed Nevis’ Organisationsberatung, ein Meilenstein, in dem Gestalt-, System- und Prozessberatungsansätze in Verbindung mit gestaltpsychologischen Grundlagen dargestellt wurden; dann das Buch von Albert Koopman, Transcultural Management, das praktisch und konzeptionell ein großes und erfolgreiches interkulturelles OE-Projekt zwischen Weißen und Schwarzen in Südafrika illustriert. Es folgten Titel der Herausgeber der Reihe, Gerhard Fatzer (Supervision und Beratung), ein Handbuch, das die Grundlagen von Supervision und Organisationsberatung als eines der ersten Handbücher 1990 umfassend thematisierte und bereits in 9. Auflage erscheint; die verschiedenen Trias-Kompasse aus dem Trias-Institut (als erste Erfolgsfaktoren von Veränderungsprozessen). Organisationsentwicklung für die Zukunft ist eine breite Darstellung der Grundlagen der lernenden Organisation von Peter Senge und zahlreichen Kollegen wie Bill Isaacs, Ed Schein; es enthält die ersten deutschsprachigen Texte von Chris Argyris zur »eingeübten Inkompetenz« und zu »defensiven Routinen«, die diesen wichtigen Vordenker in Europa bekannt machten. In der Gegenüberstellung zu den amerikanischen Autoren schreiben immer die wichtigsten deutschsprachigen Autorinnen und Autoren zu diesen Themen wie Wolfgang Looss, Kornelia Rappe-Giesecke, Wolfgang Weigand, Jörg Fengler, Kurt Buchinger, Rudolf Wimmer, Sonja Sackmann, Jane E. Salk, Lothar Nellessen u.a.m.

Neuere Titel sind der Band von Fatzer, Rappe-Giesecke und Looss zu Qualität und Leistung von Beratung, der die Grundlagen von Supervision, Coaching und OE vergleicht, in ihren Qualitätsansprüchen dokumentiert und zugleich eine »Informationsbroschüre« für Kunden und Auftraggeber ist; es folgte der Trias-Kompass von Beucke-Galm, Fatzer und Rutrecht zu Schulentwicklung als Organisationsentwicklung, der den aktuellen Entwicklungsstand von OE in der Schule für die drei Länder Deutschland, Schweiz und Österreich darstellt und in vielen Fallbeispielen in ihren jeweiligen lokalen Ausprägungen dargelegt. Zudem werden die Ansätze des Dialogs und der lernenden Organisation für die Schule adaptiert.

Der neueste Titel ist der vorliegende Klassiker eines Mitbegründers der Organisationspsychologie und der Organisationsentwicklung, Edgar H. Scheins Prozessberatung für die Organisation der Zukunft, der die Grundlagen von Prozessberatung als einer Philosophie des Helfens für Einzelpersonen, Teams und ganze Organisationen aufzeigt. Das Buch ist angereichert durch Fallbeispiele und Übungen aus 50 Jahren weltweiter Praxis in Unternehmen und vor dem Hintergrund der langjährigen Forschung am Massachusetts Institute of Technology in Boston, wie sie ursprünglich durch Douglas McGregor und Kurt Lewin dort begründet wurde. Schein stellt auch die Grundlagen von Dialog im Kontext von Kulturentwicklung dar. Zudem hat das erfolgreiche Herausgeberteam Barbara Heimannsberg und Christoph Schmidt-Lellek einen interessanten Band zum Thema Interkulturelle Beratung und Mediation zusammengestellt, in dem die immer wichtiger werdenden Grundlagen der Mediation auf den interkulturellen Bereich und auf die Organisationsentwicklung angewendet werden.

Zudem freut es uns, auch das bahnbrechende Buch von William I. Isaacs (ebenfalls Mitglied der Fakultät des MIT) zum strategischen Dialog in Unternehmen anzukündigen, in dem der Begründer des Dialog-Ansatzes in Organisationen aufzeigt, worin Dialog besteht und wie er auf die Kommunikation von Unternehmen, Führungskräften und gesellschaftlichen Gruppen und im interkulturellen Kontext angewendet werden kann; eine zukunftsweisende Konkretisierung der lernenden Organisation aus dem Kontext MIT und schon jetzt ein Klassiker.

Neue Titel werden dazu beitragen, das Verständnis von Menschen, Teams und Organisationen in einer immer turbulenter werdenden Umwelt zu fördern. Zu erwähnen ist in diesem Kontext auch die neue Zeitschrift Profile (Internationale Zeitschrift für Lernen, Veränderung und Dialog), die dieser Zielsetzung ebenfalls verpflichtet ist und als Periodikum unsere Buchreihe ergänzt.

Selbstverständlich soll die Reihe auch den Dialog zu den Lesern und innerhalb der globalen Professional Community fördern und der Fortentwicklung des Feldes von Organisationsentwicklung und Supervision, von Coaching und Lernen, von Veränderung und Dialog dienen. Herausgeber und Verlag laden Sie dazu ein.

Gerhard Fatzer, Grüningen/Zürich

Vorwort

Ursprünglich schrieb ich 1969 mein Buch Prozessberatung aus einem Gefühl der Unzufriedenheit heraus, Unzufriedenheit damit, dass meine Kollegen nicht wirklich verstanden, was ich machte, wenn ich mit Klienten in Organisationen arbeitete. Dreißig Jahre später habe ich das Gefühl, dass die Kollegen und die Klienten, die ich zu erreichen versuche, immer noch nicht die Bedeutung der Prozessberatung verstanden haben. Prozessberatung ist keine Technik, keine Sammlung von Interventionen für die Arbeit mit Gruppen, wie sie leider immer noch häufig (miss-)verstanden wird. Prozessberatung ist nicht einfach ein Modell der nichtdirektiven Beratung für die Anwendung in Organisationen, sie ist kein Beruf, kein Full-Time-Job. Vielmehr ist sie eine Philosophie des Helfens, eine Technik oder Methodik des Helfens.

Hilfe benötigen zu unterschiedlichen Zeiten in unserem Leben immer wieder alle möglichen Leute von uns: unsere Freunde, unsere Ehepartner und Kinder, unsere Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen und manchmal sogar Fremde. Genau dann, wenn wir wahrnehmen, dass Hilfe gebraucht wird, oder wenn wir direkt um Hilfe gebeten werden, genau dann bekommt die Prozessberatung ihre Bedeutung. Aber wie alle professionellen Helfer wissen, zeigt es sich, dass es nicht einfach ist, Hilfe zu leisten, so wenig wie es leicht ist zuzugeben, dass man Hilfe benötigt, und so wenig es leicht ist sie anzunehmen, wenn sie angeboten wird. Genau deshalb ist es für das Verständnis von Prozessberatung notwendig, viel mehr psychologischen und soziologischen Einblick in die Dynamik der helfenden Beziehung zu bekommen.

In den früheren Versionen des vorliegenden Buchs war ich davon ausgegangen, dass meine Leser eine ganze Menge vom Gewähren und Annehmen von Hilfe verstehen, aber genau auf diesem Gebiet entdeckte ich dann bei meinen Studenten, Klienten und Kollegen die größten Defizite. Als ich begann, über eine neue Version von Prozessberatung nachzudenken, bemerkte ich, dass 40 Jahre Erfahrungen mit dem Versuch hilfreich zu sein, neue Perspektiven auf den Prozess des Helfens selber eröffnet haben. Deshalb habe ich mein Denken reorganisiert und anstatt einer dritten Ausgabe der alten Bände habe ich ein neues Buch geschrieben, das sich spezifischer dem Versuch widmet, ein generelles Modell der helfenden Beziehung zu entwickeln. Viel Material dieses Buchs stammt aus den Vorgängerbänden, aber es ist vollständig neu organisiert. Im vorliegenden Band beschäftige ich mich vor allem mit der Beziehung zwischen Berater und Klienten in der Angesicht-zu-Angesicht-Situation und in Kleingruppensettings. Ziel ist ein Modell für alle Arten des Helfens, nicht nur für den Organisationsberater. Der Therapeut, Sozialarbeiter, Studienberater, Coach, Elternteil, Freund, Manager und jeder, der helfen möchte, sollte hier eine brauchbare Sammlung von Ideen, Vorlagen und Prinzipien finden.

Wenn jemand Hilfe benötigt und darum bittet, bildet sich eine komplizierte Dynamik zwischen dem Helfer und dem »Klienten«, weil der Helfer automatisch dazu eingeladen ist, die Expertenrolle zu übernehmen. Das impliziert, dass der Helfer etwas hat, das dem Klienten fehlt; und der Helfer ist in der Lage, dieses »Etwas« zu gewähren oder zurückzuhalten. Diese Ausgangssituation lädt den Helfer nicht nur ein, sich als Experten zu sehen, sondern sie bringt ihn automatisch in eine Machtposition gegenüber dem Klienten. Dies Ungleichgewicht der Beziehung ist die Quelle der psychologischen Dynamik, die sowohl verstanden und eingeschätzt als auch bearbeitet werden muss, wenn Hilfe aktuell gewährt werden soll.

Gleichzeitig machen es die kulturellen Hintergründe des Helfens (Was bedeutet es, um Hilfe zu bitten, Hilfe zu akzeptieren oder zu gewähren? Und was bedeutet es, wenn ein Niveau an Unbefangenheit und Offenheit erforderlich ist, das nicht kulturell positiv sanktioniert ist?) notwendig, die soziologische Dynamik der helfenden Beziehung zu verstehen. Das vorliegende Buch ermöglichte es mir, eine breitere Perspektive zu eröffnen, die – vor meinem eigenen persönlichen Background – nicht nur Klinische Psychologie und Sozialpsychologie einschließt, sondern darüber hinaus Soziologie und Anthropologie.

Anders ausgedrückt versuche ich in diesem Buch eine allgemeine Theorie und Methodologie des Helfens vorzustellen, basierend auf dem Verständnis psychologischer und soziologischer Dynamiken. Die Wahl der Konzepte und die Methode der Präsentation spiegeln 40 Jahre Erfahrung mit unterschiedlichen Arten von Prozessen des Helfens wider. Ich hoffe, dass die beschriebenen Konzepte und Methoden für die Leser hilfreich sind.

Viele Menschen haben im Laufe der Jahre mein Denken beeinflusst, aber niemand mehr als Douglas McGregor, Alex Bavelas und Richard Beckhard. McGregor und Bavelas unterrichteten am MIT, als ich 1952 dort zum ersten Mal an einem Seminar teilnahm, und sie wurden meine Mentoren, als ich 1956 als Assistant Professor dorthin zurückkehrte. Dick Beckhard traf ich 1957 und begann eng mit ihm zusammen zu arbeiten, zuerst in Bethel und dann am MIT, als er dort Adjunct Professor wurde. Warren Bennis schloss sich 1958 unserer Gruppe am MIT an und wurde ebenfalls ein nahe stehender Kollege und Mitautor. Die mir wichtigste Lektion dieser Kollegen und Mentoren: Im Umgang mit Menschen ist es am besten nicht zu diktieren, sondern dabei zu helfen die eigenen Bedürfnisse zu entdecken, um dann einem Lotsen gleich den Weg dorthin hilfreich zu begleiten. Man kann nicht wirklich in der Lage sein, die Motive, Haltungen und Gedanken der Menschen zu kontrollieren; aber wenn man ihnen dabei helfen kann, ihre Bedürfnisse zu erkennen, muss man wenigstens die eigenen Bedürfnisse nicht zurückstellen und kann sie vielleicht sogar mit denen der anderen integrieren.

Eine Anekdote über Axel Bavelas ist mir immer im Kopf geblieben. Als er in den frühen 50er Jahren am MIT lehrte, soll er zu Beginn eines Seminars in der ersten Sitzung angekündigt haben: »Ich bin Axel Bavelas und mein Büro liegt dort hinten. Wenn Sie herausbekommen haben, was Sie in diesem Seminar lernen wollen, können Sie zu mir kommen.« Er verließ dann den Raum und kam solange nicht zurück, bis die Studenten ihn darum baten. Nachdem sie ihn einige Zeit »getestet« hatten, merkten die Studenten, dass es ihm ernst war; sie erarbeiteten sich ihre Interessen und Wünsche und profitierten den Rest des Semesters von einem sensationellen Seminar. Ich war immer der Meinung, dass diese Geschichte paradigmatisch für eine Überzeugung ist, die auf Kurt Lewin und Carl Rogers zurückgeht: Der Lernende muss immer selbst aktiv beteiligt sein am eigenen Lernen – und schlussendlich kann man den Leuten nur helfen, sich selbst zu helfen. Der Grundgedanke dieser Philosophie hat mich immer bei meiner Arbeit als Organisationsberater begleitet, und ich schulde besonders Dick Beckhard Dank dafür, dass er mir häufig gezeigt hat, wie man diesen Gedanken in die Tat umsetzt.

Ich habe noch etwas sehr Wichtiges von Dick gelernt, nämlich dass es beim Begleiten von menschlichen Beziehungen vor allem darum geht, Prozesse zu entwerfen und zu begleiten. Worin Helfer wirklich Experten werden müssen, das ist das Design und das Management von Prozessen, und dabei spielt das Design, der Entwurf dieser Prozesse die entscheidende Rolle. In den 15 Jahren Arbeit in Bethel habe ich das Design von ein- und mehrwöchigen Human-Relations-Workshops und von Konferenzen gelernt; durch meine Beratungstätigkeit habe ich das Design von Weiterbildungsinterventionen und -Workshops gelernt; durch meine Lehrtätigkeit habe ich gelernt, Lernerfahrungen und Gruppenprozesse zu entwerfen. Das Unvermögen zu gestalten und zu entwerfen ist eines der größten Probleme, dem Manager, Berater und Lehrer gegenüber stehen. Dick hat seine enormen Fähigkeiten im Entwerfen und Begleiten von Prozessen seinen frühen Erfahrungen als Regieassistent zu verdanken. Von ihm habe ich mehr als von jedem anderen gelernt, wie wichtig das Design für die Ergebnisse ist. Glücklicherweise hat er schließlich doch noch selbst ein Buch (Beckhard 1997) geschrieben, so dass auch andere von seinen enormen Erkenntnissen profitieren können.

Als ich begann, das vorliegende Buch zu planen und zu schreiben, profitierte ich von der Hilfe eines ganz anderen Kollegen, eines jüngeren Mitglieds unserer Zunft: Otto Scharmer. Er interessierte sich sehr für Prozessberatung und erklärte sich bereit, alle Kapitel zu lesen, so wie sie entstanden. Zusammen mit seiner Frau Katrin, ebenfalls eine begabte Sozialwissenschaftlerin, versorgte er mich während des Schreibens ständig mit Feedback zum Fortgang meiner Arbeit. Ich bin beiden zu immensem Dank verpflichtet, und viele ihrer Ideen haben Eingang in das Buch gefunden.

Meinen kritischen Lesern Warner Burke, Michael Brimm und Dick Beckhard verdanke ich wertvolle Hinweise und ständige Ermunterung. Ein anderer Kollege und Freund, David Coghlan, Professor an der Universität von Dublin, hat den Text ebenfalls gelesen und viele wichtige Anregungen gegeben, die aufgenommen wurden. Er hat eine besondere Rolle bei der Entwicklung meiner Ideen gespielt, nämlich durch seine eigenen fruchtbaren Arbeiten zur Prozessberatung und Organisationsentwicklung (Rashford/Coghlan 1994, Coghlan 1997).

Viele folgenschwere Stunden habe ich im Ringen um den Begriff »Lernen« mit meinem Freund und Kollegen Don Michael seit 50 Jahren verbracht; seine Arbeit über Organisationslernen und die Beziehung zur Planung eröffnete eigentlich erst ein Feld, lange bevor der Rest der Welt bereit war es wahrzunehmen und damit umzugehen (Michael 1973).

Von meinen Klienten habe ich in all den Jahren viel gelernt, und einige von ihnen waren ganz besonders hilfreich für mich: Betty Duval von General Foods, Ken Olson und John Sims von Digital Equipment Corporation, Jurg Leupold von Ciba-Geigy und in der letzten Zeit Peter Lanahan von Con-Edison und Laura Lake von AMOCO. Mit ihnen Erfahrungen zu teilen und zukünftige Lernerfahrungen für ihre Klientensysteme zu entwickeln, war stets eine wichtige Quelle meines eigenen Lernens.

Ein Buch zu schreiben ist immer eine stark beanspruchende und strapaziöse Erfahrung. Am dankbarsten bin ich meiner Frau Mary, dass sie sich damit abfinden konnte, dass ich viele endlose Stunden nur physisch anwesend war, während die Gedanken bei Problemen des Buchs verweilten. Ohne ihre Unterstützung hätte dieses Buch nicht geschrieben werden können.

Edgar H. Schein, Cambridge, MA

I. TEIL

DEFINITION VON PROZESSBERATUNG

In diesem Teil des Buches wird das grundlegende Konzept der Prozessberatung definiert und mit anderen bedeutenden Beratungskonzepten verglichen. Prozessberatung ist eine Philosophie des Helfens – des Prozesses des Helfens und der hinter der Hilfeleistung für Einzelne, Gruppen, Organisationen und Gemeinschaften stehenden Haltung. Es ist mehr als ein Satz bestimmter Methoden, die sich mit anderen Methoden vergleichen lassen. Prozessberatung ist die entscheidende philosophische Grundlage für Organisationslernen und Organisationsentwicklung, da ein Großteil dessen, was der Berater tut, wenn er einer Organisation hilft, sich auf eine zentrale Annahme zurückführen lässt: Man kann einem menschlichen System nur dabei helfen, sich selbst zu helfen. Der Berater weiß nie genug über die gegebene Situation und Kultur einer Organisation, um dieser bestimmte Maßnahmen zur Behebung ihrer Probleme empfehlen zu können.

Wurde andererseits eine effektive helfende Beziehung mit einem Klientensystem aufgebaut, können Klient und Berater die Situation gemeinsam diagnostizieren und angemessene Gegenmaßnahmen entwickeln. Letztlich ist das Ziel der Prozessberatung also der Aufbau einer effektiven helfenden Beziehung. Was der Helfer/Berater dazu wissen und können sollte, welche Haltung zum Aufbau und Erhalt einer effektiven helfenden Beziehung nötig ist und wie diese Philosophie des Helfens umgesetzt werden kann, ist das zentrale Anliegen dieses Buchs.

Die Fähigkeit, eine helfende Beziehung aufzubauen und aufrechtzuerhalten, lässt sich in vielen zwischenmenschlichen Situationen einsetzen. Eine Therapie oder eine Beratung sind ohne eine solche Beziehung nicht denkbar. Doch ihr Anwendungsbereich beschränkt sich nicht nur auf jene Situationen, in denen die Hilfeleistung im Vordergrund der Beziehung steht. Die Fähigkeit, effektiv zu helfen, ist auch in der Ehe und Partnerschaft, gegenüber Freunden und Arbeitskollegen, Eltern und Kindern sowie gegenüber Schülern von Nutzen. Manchmal wird ausdrücklich um Hilfe gebeten, manchmal spüren wir ein Bedürfnis nach Hilfe, obwohl dies nicht ausgesprochen wird, und manchmal fühlen wir, dass andere Hilfe brauchen, obwohl ihnen selbst dies verborgen bleibt. Die Fähigkeit, darauf zu reagieren, die Helferrolle anzunehmen, wenn um Hilfe gebeten wird oder wenn sie unserem Empfinden nach angebracht ist, macht einen verantwortungsbewussten Menschen aus. Die Philosophie und Methodologie der Prozessberatung sind daher bedeutsam für sämtliche zwischenmenschlichen Beziehungen, nicht nur für jene, die offiziell unter Helfer-Klienten-Beziehung rangieren.

Bei der Betrachtung der nachfolgenden Konzepte sollte der Leser zur besseren Anschauung seine alltäglichen Lebenssituationen heranziehen. Ich selbst habe festgestellt, dass ich am meisten in familiären Situationen und in Freundschaften über helfende Beziehungen lernte und weniger bei offiziellen Beratungssituationen in Organisationen. Weiter habe ich festgestellt, dass es in einer offiziellen Hilfesituation oft dysfunktional ist, sich zu sehr auf »Technik« oder »Methoden« zu konzentrieren statt auf die zwischenmenschliche Realität, die sich aus der Interaktion von Menschen ergibt, die eine Beziehung aufbauen wollen. So wie der Künstler zuerst lernen muss zu sehen, bevor er etwas schaffen kann, muss der Helfer lernen zu erkennen, was genau bei der Entstehung einer Beziehung vor sich geht, die Hilfe ermöglicht.

In den folgenden Kapiteln möchte ich dem Leser dabei helfen, das Geschehen besser zu sehen, und ihm grundlegende Konzepte und vereinfachende Modelle an die Hand geben, um dieses Geschehen besser erfassen und analysieren zu können. Das erste Kapitel enthält einige grundlegende Definitionen, stellt drei verschiedene Beratungs- bzw. Hilfemodelle vor und beleuchtet, inwiefern diese sich unterscheiden. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Hintergründen und spricht psychodynamische Aspekte an, mit denen sich Helfer und Hilfeempfänger auseinander zu setzen haben. Im dritten Kapitel werden die Auswirkungen dieser psychodynamischen Aspekte im Hinblick auf den Aufbau einer helfenden Beziehung untersucht, und es wird der Begriff des »aktiven Fragens« eingeführt. Das vierte Kapitel beschäftigt sich eingehender mit dem Konzept des »Klienten« und stellt im Zusammenhang mit verschiedenen Beratungssituationen, die sich im Verlauf einer Beratung ergeben (vor allem bei der Beratung einer Organisation oder Gemeinschaft), die einzelnen Kliententypen vor. Im zweiten Teil werden sodann Konzepte und vereinfachende Modelle vorgestellt, die dem Berater beim Verständnis der zwischenmenschlichen Realität helfen, auf die er im Verlauf der Beratung trifft.

Nachdem ich es mit einer Vielzahl verschiedener Situationen zu tun hatte, in denen Hilfe benötigt wurde, gelangte ich zu einigen allgemeinen Prinzipien, die meines Erachtens auf all diese Situationen zutreffen. Diese Prinzipien werden in verschiedenen Kapiteln entwickelt.

1. Kapitel

Was ist Prozessberatung

Dieses Buch beschäftigt sich mit den psychologischen und sozialen Prozessen, die eine Rolle spielen, wenn ein Mensch einem anderen zu helfen versucht. Ob ein Therapeut einem Patienten hilft oder mit einer Gruppe arbeitet, ein Elternteil einem Kind zur Seite steht, ein Freund seinem Freund oder ein Organisationsberater mit Managern arbeitet, um eine Organisation zu verbessern – es handelt sich dabei stets um dieselben grundlegenden Dynamiken. Das, was sich zwischen einem Helfer und dem Menschen, dem geholfen wird, abspielt, ist das, was ich »Prozessberatung« nenne.1

Die Betonung liegt auf »Prozess«, da es meines Erachtens genauso wichtig oder sogar noch wichtiger ist, wie die Angelegenheiten zwischen Menschen oder Gruppen geregelt werden, als was geregelt wird. Das Wie, oder der »Prozess«, verdeutlicht in der Regel eher als das Gesagte, worum es uns wirklich geht. Allerdings haben wir mit dem Prozess häufig weniger Erfahrung. Wir denken zu wenig »in Prozessen«, richten zu wenig das Augenmerk auf sie und setzen sie kaum zur Erreichung unserer Ziele ein. Es ist eher so, dass wir an Prozessen teilnehmen oder welche in Gang setzen, die sogar unseren Zielen entgegenarbeiten. Daher ist es entscheidend, sich mit interpersonellen Prozessen, Gruppen- und Organisationsprozessen sowie Prozessen in Gemeinden zu beschäftigen, sofern man die Funktionsweise von zwischenmenschlichen Beziehungen, Gruppen und Organisationen verbessern will.

Im Folgenden werde ich beschreiben, was Prozessberatung ist und welche Rolle sie im täglichen Leben und in der Organisationsentwicklung sowie bei Veränderungen und Lernprozessen spielt. Jede Form der Beratung impliziert, dass eine Person einer anderen hilft. Daher konzentriert sich diese Analyse darauf herauszufinden, was genau in einer zwischenmenschlichen Situation hilfreich ist und was nicht. Des Weiteren betrachte ich Prozessberatung als entscheidend am Anfang und beim weiteren Verlauf einer jeden Organisationsentwicklung (OE) und eines jeden Lernprozesses. Organisationsentwicklung wird in der Regel als ein geplantes, organisationsweites Programm definiert, aber die einzelnen Komponenten, aus denen sie sich zusammensetzt, sind Aktivitäten, die der Berater mit Einzelnen oder mit Gruppen durchführt. Die Art und Weise, in der dies geschieht, spiegelt die der Prozessberatung zugrundeliegenden Annahmen wider. In letzter Zeit wurden vor allem Lern- und Veränderungsprozesse in Organisationen betont, es muss daher die Beziehung der Prozessberatung zu diesen Prozessen erläutert sowie ein Modell und eine Theorie des Helfens erstellt werden, die sämtliche dieser Organisationsprozesse einbezieht. Der zentrale Fokus bleibt jedoch auf der OE, da diese meines Erachtens ein allgemeiner Prozess ist, der Lern- und Veränderungsprozesse beinhaltet.

Im Mittelpunkt eines jeden Programms zur Verbesserung einer Organisation hat die Schaffung einer Situation zu stehen, die Einzelnen und/oder Gruppen Lernen und Veränderungen ermöglicht. Doch wie erreicht der Berater die Bereitschaft, sich auf Lern- und Veränderungsprozesse einzulassen? Wie wird der Berater Trainer, Lehrer, Mentor oder Coach bei Lern- und Veränderungsprozessen? Wie arbeitet der Berater mit den Schlüsselfiguren einer Organisation, um mit ihnen ein organisationsweites Programm zu planen, und/oder als Berater, falls Ängste und Bedenken bei diesen Schlüsselfiguren den Erfolg der gemeinsamen Anstrengungen zu gefährden drohen?

Bei der Behandlung dieser und anderer Fragen versuche ich zu zeigen, dass der Operationsmodus, für den der Berater sich immer wieder neu entscheidet, den entscheidenden Faktor für den Erfolg der Beratung darstellt. Der Berater muss lernen, zwischen folgenden Positionen zu unterscheiden: (1) der Beraterrolle des Experten, der dem Klienten sagt, was er zu tun hat; (2) dem Verkauf von Lösungen, die der Berater für gut hält, oder dem Verkauf von Techniken, deren Handhabung dem Berater vertraut ist; oder (3) der Miteinbeziehung des Klienten in einen Prozess, den letztendlich sowohl Klient wie Berater als hilfreich empfinden. Wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, beruhen diese drei Modi auf grundlegend verschiedenen Modellen darüber, was »Hilfe« beinhaltet, und diese Modelle wiederum fußen auf vollkommen unterschiedlichen Annahmen dazu, was eigentlich Wirklichkeit ist und was Hilfe ausmacht.

In den letzten Jahren erlebte der Bereich Beratung einen Boom, doch nach wie vor herrscht Unklarheit über die Konzepte von Beratung und darüber, was Berater eigentlich für die Organisationen tun, wie sie ihre Arbeit anpacken und wie sie Hilfe verstehen. Leute, die sich Organisationsberater nennen, liefern zum Beispiel Informationen, analysieren mit Hilfe von eigenen Diagnosemethoden Informationen, identifizieren und diagnostizieren komplexe Probleme, für die sie Lösungen empfehlen, helfen Managern, schwierige oder unpopuläre Entscheidungen umzusetzen, unterstützen diese Manager und stärken ihnen den Rücken.

Viele Analytiker des Beratungsprozesses argumentieren, dieser Prozess funktioniere nur, wenn der Klient genau weiß, was er will, und wenn der Berater auf das spezifische Problem zugeschnittene Lösungen anbieten kann. In einem solchen Modell werden die Klienten, wenn sie unzufrieden sind, beschuldigt, nicht klar genug ihre Wünsche ausgedrückt oder nur unwillig den Empfehlungen des Beraters gefolgt zu sein. Nach meiner Erfahrung jedoch wissen Hilfesuchende oft nicht, was sie eigentlich wollen, und man sollte dies auch nicht von ihnen erwarten. Sie sind sich nur insoweit sicher, dass etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte, oder ein Ideal nicht erfüllt wird und deshalb Hilfe in Anspruch genommen werden sollte. Zu jedem Beratungsprozess gehört daher notwendigerweise, dem Klienten dabei zu helfen, seine Probleme oder Anliegen einzukreisen und erst im Anschluss daran über die Art der benötigten Hilfe zu entscheiden. Manager in einer Organisation spüren häufig, dass nicht alles so ist, wie es sein sollte, aber ihnen fehlt die Handhabe, aus diesen vagen Gefühlen klare Erkenntnisse zu destillieren, die konkrete Maßnahmen ermöglichen.

Der Beratungsmodus, den ich im Folgenden detailliert beschreiben werde, beschäftigt sich vor allem mit Situationen, wie ich sie hier vorstellte. Der Berater, der nach dem Prozessberatungsmodus vorgeht, erwartet vom Manager nicht, dass er bereits weiß, was im Argen liegt, welche Hilfe benötigt wird oder was der Berater tun könnte. Für einen konstruktiven Prozessbeginn ist nichts weiter nötig als der Wunsch des Klienten, etwas zu verbessern und dazu Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Beratungs prozess selbst hilft dann dem Klienten dabei, die Diagnoseschritte festzulegen, die letztendlich das Maßnahmenprogramm und die konkreten Veränderungen bestimmen, aus denen sich eine Verbesserung der Situation ergibt.

Beratungsmodelle und die impliziten Annahmen, auf denen sie beruhen

Am besten lassen sich Beratungs- und helfende Prozesse unterscheiden anhand einer Analyse ihrer impliziten Annahmen bezüglich des Klienten, bezüglich des Wesens der Hilfe, der Rolle des Beraters und bezüglich der letztendlichen Natur der Wirklichkeit, in der sich Klient und Berater bewegen. Die drei Grundmodelle, die nachfolgend diskutiert werden, lassen sich als verschiedene Operationsmodi auffassen und werden durch die drei verschiedenen Rollen definiert, die Beratern zur Verfügung stehen, wenn sie einem Klienten helfen. Diese drei Modelle lassen sich ebenso auf die verschiedenen Methoden anwenden, nach denen wir vorgehen, wenn wir in unserem Alltagsleben einem Hilfe suchenden Kind, Ehepartner oder Freund helfen wollen. Der Hauptgrund für die klare Unterscheidung zwischen den drei Modellen liegt darin, dass der Helfer sich von einem Augenblick zum anderen entscheiden muss, welche Rolle er gerade innehat oder welches Hilfemodell er anwendet. Doch alle drei Modelle gehen davon aus, dass Hilfe die primäre Funktion der Beratung ist. Das Konzept der Hilfe nimmt bei diesem Beratungsansatz eine derart zentrale Stelle ein, dass man nicht umhin kommt, es als das erste übergreifende Prinzip für den Umgang mit dem anderen aufzufassen.

ERSTES PRINZIP

Versuche stets zu helfen

Beratung bedeutet zu helfen. Es versteht sich von selbst, dass ich ohne die Bereitschaft, zu helfen und daran zu arbeiten, wohl keine helfende Beziehung herstellen kann. Jeder Kontakt sollte, soweit möglich, als hilfreich wahrgenommen werden.

Allerdings beruhen die drei Modelle auf grundverschiedenen Annahmen darüber, was Hilfe in jeder gegebenen Situation ausmacht. Und sie unterscheiden sich außerordentlich in ihren möglichen Konsequenzen. In jeder Situation, in der Hilfe angeboten oder um sie nachgesucht wird, müssen wir uns über die wirklichen Abläufe im Klaren sein und über die Helferrolle, die wir annehmen. Wir können nicht alle drei Rollen gleichzeitig ausfüllen, uns bleibt also nichts anderes übrig, als uns dessen bewusst zu sein, welche Rolle wir in der jeweiligen Situation vorziehen. Und um uns dessen bewusst zu sein, müssen wir fähig sein, die jeweilige Wirklichkeit zu entschlüsseln und zu erfahren sowie uns dieser Wirklichkeit entsprechend zu verhalten. Unter Wirklichkeit verstehe ich ein Gefühl für innere Vorgänge – dafür, was in einer Situation in mir oder einer oder mehreren anderen Personen vorgeht, und dafür, wie diese Situation selbst zu verstehen ist. Wunschdenken, Klischees, Projektionen, Erwartungen, frühere Pläne und alles andere, was eher auf alten Vorstellungen oder psychologischen Bedürfnissen beruht als auf Fakten aus dem Hier-und-Jetzt, behindern in der Regel eine weise Entscheidung darüber, wie man am besten hilft.

Dieses Wirklichkeitskonzept beruht auch auf der epistemologischen Annahme, dass die Kultur und das Denken die äußere Realität schaffen, in der wir uns bewegen, und dass wir uns daher in einem steten wechselseitigen Prozess der Entschlüsselung der Vorgänge um uns befinden. Weder der Berater noch die hilfesuchende Person können eine objektive äußere Realität definieren, die außerhalb ihrer Beziehung und des kulturellen Kontexts existiert. Doch zusammen können sie umreißen, wie ihre aktuellen Annahmen und Wahrnehmungen diese Realität schaffen und wie sie mit dieser Realität im Sinne des Klienten am besten umgehen, dem es um eine Verbesserung der Situation geht. Das zweite übergreifende Prinzip, das den Helfer/Berater in seinem Vorgehen leiten sollte, ist daher, sich stets mit der Realität des Hier-und-Jetzt auseinanderzusetzen.

ZWEITES PRINZIP

Verliere nie den Bezug zu der aktuellen Realität.

Ich kann nicht helfen, wenn ich mir nicht über die Realität im Klaren bin, d.h. darüber, was in mir und im System des Klienten vorgeht. Daher sollte jeder Kontakt zu jedem Angehörigen des Klientensystems sowohl für den Klienten als auch für mich weitere Informationen liefern zur Diagnose des aktuellen Standes des Klientensystems und zu der Beziehung zwischen dem Klienten und mir.

1. Modell: Der Einkauf von Informationen oder das Expertenmodell: Telling and Selling

Das Telling-and-selling-Modell der Beratung geht davon aus, dass der Klient vom Berater Informationen und eine Expertendienstleistung erwirbt, die er selbst nicht erbringen kann. Der Käufer, gewöhnlich ein einzelner Manager oder der Vertreter einer Gruppe in der Organisation, definiert ein Bedürfnis und folgert, dass die Organisation weder über die Ressourcen noch über die Zeit verfügt, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Daher wird ein Berater eingeschaltet, um diese Informationen oder diese Dienstleistung zu erbringen. Möglicherweise möchte ein Manager mehr über das Befinden einer bestimmten Kundengruppe herausfinden, oder er will wissen, wie eine Gruppe seiner Angestellten auf eine neue Personalpolitik reagieren wird oder wie das Arbeitsklima in einer bestimmten Abteilung beschaffen ist. Dann wird er einen Berater beauftragen, eine Erhebung mittels Interviews oder Fragebögen durchzuführen und die Daten zu analysieren.

Es kann auch sein, dass der Manager eine bestimmte Gruppe neu organisieren und vom Berater wissen will, wie solche Gruppen in anderen Unternehmen organisiert werden – zum Beispiel wie in Anbetracht der modernen Informationstechnologie die Buchhaltung und das Controlling organisiert werden können. Oder der Manager möchte das eine oder andere über Konkurrenzunternehmen in Erfahrung bringen, wie etwa ihre Marketingstrategie oder welcher Anteil ihrer Produktpreise durch die Produktionskosten bestimmt wird, wie sie ihre Forschungs- und Entwicklungsfunktionen organisieren, wie viele Beschäftigte sie in einer typischen Fabrik haben usw. Er beauftragt dann vielleicht einen Berater, um diese anderen Unternehmen zu studieren und ihm die entsprechenden Daten zu liefern. In all diesen Fällen wird davon ausgegangen, dass der Manager weiß, welche Informationen oder Dienstleistung er wünscht und was der Berater ihm bieten kann.

Wie wahrscheinlich es ist, dass diese Art von Hilfe funktioniert, hängt von folgenden Gegebenheiten ab:

1. Ob der Manager seine eigenen Bedürfnisse richtig erkannt hat.

2. Ob er diese Bedürfnisse dem Berater klarmachen konnte.

3. Ob er richtig eingeschätzt hat, inwiefern der Berater diese Informationen beschaffen bzw. diese Dienstleistung erbringen kann.

4. Ob er die Konsequenzen dieser Entscheidung bedacht hat, einen Berater diese Informationen einholen zu lassen oder die Veränderungen einzuleiten, die von diesen Informationen nahegelegt oder von dem Berater empfohlen werden.

5. Ob es eine externe Realität gibt, die sich objektiv studieren und übertragen lässt in Wissen, das dem Klienten dienlich ist.

Die häufige Unzufriedenheit mit Beratern und die niedrige Umsetzungsrate ihrer Empfehlungen sind leicht zu erklären, wenn man sieht, wie viele der obigen Annahmen erfüllt sein müssen, damit das Telling-and-selling-Modell effektiv sein kann. Des Weiteren sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass der Klient in diesem Modell Macht abgibt. Der Berater wird beauftragt oder ermächtigt, für den Klienten wichtige Informationen oder wichtiges Know-how einzuholen. Doch sobald dieser Auftrag erteilt ist, wird der Klient abhängig von dem, was der Berater ihm liefert. Ein Großteil des Ressentiments gegenüber dem Berater in den späteren Stadien stammt vielleicht aus dieser anfänglichen Abhängigkeit und dem unangenehmen Gefühl, das dieses bewusst oder unbewusst beim Klienten hervorruft.

Dazu kommt, dass der Berater sich in diesem Modell versucht fühlen wird, alles zu verkaufen, was er weiß und worin seine Stärken liegen – für jemanden, der nur einen Hammer hat, scheint die ganze Welt aus Nägeln zu bestehen. Was die Gefahr in sich birgt, dass der Klient nicht richtig darüber informiert wird, welche Informationen oder Dienstleistungen ihm tatsächlich weiterhelfen würden. Und natürlich wird unterschwellig vermittelt, es gäbe »da draußen« dieses Wissen, das in das Klientensystem geholt werden muss, und dass der Klient diese Informationen oder dieses Wissen verstehen und für sich einsetzen kann. Zum Beispiel geben Organisationen häufig Umfragen in Auftrag, in denen die Einstellung ihrer Angestellten zu bestimmten Themen ermittelt oder die Unternehmenskultur »diagnostiziert« werden soll. Treffen dann die »Experten«-Daten in quantitativer Form ein, brüten die Manager nach meiner Erfahrung oft über den Balkendarstellungen und quälen sich damit ab, herauszufinden, was sie jetzt wissen, wenn sie schwarz auf weiß vor sich haben, dass 62 Prozent der Angestellten das System der Karriereentwicklung ihres Unternehmens als mangelhaft einstufen. Welchen Informationswert besitzt eine solche Aussage in Anbetracht der Probleme, ein Sample zu wählen, einen Fragebogen zu entwerfen, der Semantik von Wörtern wie Karriere und Entwicklung, der Frage, ob nun 62 Prozent in einen größeren Zusammenhang gestellt eher als gut oder schlecht zu bewerten sind, der Schwierigkeit, sich darüber klar zu werden, was die Angestellten sich bei der Beantwortung der Frage dachten, usw.? In dieser Situation ist Wirklichkeit ein schwer zu fassendes Konzept.

Die Prozessberatungsalternative

Im Gegensatz dazu geht es nach der Prozessberatungs-Philosophie darum, den Klienten und den Berater in einen Prozess der wechselseitigen und gemeinsamen Diagnose einzubinden, was nur die Realität widerspiegelt, dass zu diesem Zeitpunkt der Kontaktaufnahme weder Klient noch Berater genug wissen können, um zu definieren, welches Wissen und Know-how in der gegebenen Situation relevant sind. Der Berater ist bereit, mit einem einzelnen Klienten oder einer Organisation zu arbeiten, ohne einen klaren Auftrag zu erhalten, ein Arbeitsziel oder ein festumrissenes Problem genannt zu bekommen. Denn er geht davon aus, dass bei jedem Menschen, jeder Gruppe oder Organisation Prozesse verbessert und effizienter werden können, falls es gelingt, die Prozesse herauszufiltern, die die Gesamtleistung entscheidend beeinflussen. Es gibt keine perfekte Organisationsstruktur und keinen perfekten Prozess. Jede Organisation hat ihre Stärken und Schwächen. Daher sollte ein Manager, wenn er das Gefühl hat, etwas liege im Argen, da Leistung und Moral zu wünschen übrig lassen, nicht überstürzt handeln, bevor er sich über die Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Struktur und Prozesse seiner Organisation im Klaren ist.

Die Prozessberatung zielt vor allem darauf ab, dem Manager bei dieser Diagnose und der Entwicklung eines geeigneten, entsprechend dieser Diagnose ausgearbeiteten Handlungsplanes zu helfen. Dazu gehört implizit, dass weder Klient noch Berater Macht abgeben. Die beiden müssen sich die Verantwortung über die erlangten Erkenntnisse und geplanten Vorgehen teilen. Aus Sicht der Prozessberatung darf der Berater dem Klienten nicht das Problem abnehmen, sondern er muss sich darüber klar sein, dass dieses Problem ausschließlich das des Klienten ist und niemand sonst die Verantwortung dafür übernehmen kann. Der Berater kann nur die Hilfestellung geben, die der Klient braucht, um dieses Problem selbst zu lösen.

Eine gemeinsame Diagnose und Planung der Vorgehensweise ist allein deshalb unumgänglich, da der Berater so gut wie nie genug über eine Organisation in Erfahrung bringen kann, um wirklich sagen zu können, welche Vorgehensweise die beste ist oder welche Informationen wirklich weiterhelfen würden, denn die Art und Weise, wie die Mitglieder einer Organisation eine Information gedanklich verarbeiten und darauf reagieren, ist geprägt durch ihre Traditionen, ihre Werte und ihre unausgesprochenen Annahmen – d.h. durch die Kultur ihrer Organisation und den Stil und die Persönlichkeit ihrer entscheidenden Vertreter und Mitglieder.2 Allerdings kann der Berater dem Klienten dabei helfen, selbst eine gewisse Diagnosefertigkeit zu erlangen und so Probleme besser lösen zu können. Es ist ein wesentlicher Gedanke der Prozessberatungsphilosophie, dass die Lösung von Problemen länger Bestand hat und effektiver ist, wenn die Organisation lernt, diese Probleme selbst zu lösen. Eine Aufgabe des Beraters besteht darin, Diagnose- und Problemlösungsmethoden zu vermitteln, er sollte jedoch nicht versuchen, die Probleme selbst zu lösen, es sei denn, er ist überzeugt, über die entsprechende Information und Erfahrung zu verfügen. Der Berater muss sich stets mit der Realität auseinandersetzen, wie sie sich durch die Zusammenarbeit mit dem Klienten herausschält, und es vermeiden, sich auf seine eigenen a priori gewonnenen Annahmen zu verlassen.

Auch in anderen Situationen, in denen Hilfe gesucht wird, muss, bei näherer Betrachtung, dieselbe Entscheidung zwischen Expertenmodus und Prozessberatungsmodus getroffen werden. Wenn mich mein Kind bittet, ihm bei einer Rechenaufgabe zu helfen; wenn mich ein Student nach einer bestimmten Auskunft bei einem Managementproblem bittet; wenn ich an einer Straßenecke nach dem Weg gefragt werde; wenn ein Freund von mir wissen will, welchen Film ich ihm empfehlen könnte; wenn mich meine Frau fragt, was sie zu einer Party anziehen soll, muss ich umgehend verarbeiten, worum es bei dieser Frage oder Bitte wirklich geht und welche Antwort oder Reaktion tatsächlich weiterhilft. Wie sieht die Realität in der jeweiligen Situation gerade aus?

Am einfachsten ist es, jede Bitte wortwörtlich zu verstehen und das Telling-and-selling-Modell anzuwenden – das heißt, auf die eigene Erfahrung zurückzugreifen und einfach die vorliegende Frage zu beantworten. Doch nicht selten verbirgt sich hinter der vorliegenden Frage ein tieferes Anliegen. Vielleicht will das Kind mit mir zusammen sein und ihm fiel nichts anderes ein, als das Rechenproblem vorzuschieben, um meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Vielleicht bewegt den Studenten eine ganz andere Frage, die er nicht zu stellen wagt. Vielleicht sucht der Fremde, der mich nach dem Weg fragt, etwas ganz anderes, ohne es zu wissen. Mein Freund möchte sich vielleicht vorsichtig danach erkundigen, ob ich mit ihm ins Kino gehe. Meiner Frau geht es möglicherweise darum, mir etwas über ihre Garderobe mitzuteilen, oder die Party bereitet ihr aus irgendeinem Grund Kopfzerbrechen.

Die Gefahr bei der Beantwortung der vorliegenden Frage liegt darin, dass das Gespräch dadurch beendet wird und der verborgene Anlass niemals ans Tageslicht kommen kann. Will ich helfen, muss ich ausreichend nachforschen, um entscheiden zu können, wo die Hilfe wirklich benötigt wird. Und das bedeutet, den Prozessberatungsmodus einzuleiten. Erst nachdem ich die Situation gemeinsam mit dem anderen ausgelotet habe, befinde ich mich in einer Position, um zu beurteilen, ob mein Expertenwissen oder meine Informationen tatsächlich relevant und hilfreich sind. Verallgemeinernd lässt sich also voranschicken, dass der Prozessberatungmodus zu Beginn eines jeden helfenden Prozesses unabdingbar ist, da sich nur durch diesen Modus herausfinden lässt, was wirklich vorgeht und welche Art von Hilfe benötigt wird.

Die Realität sieht so aus, dass der Berater zu Beginn keiner Beziehung weiß, was wirklich verlangt und benötigt wird. Und genau dieser Zustand der Ignoranz ist die wichtigste Richtschnur für den Berater, um zu entscheiden, welche Fragen er stellen und welchen Rat er geben muss oder, allgemein gesprochen, wie der nächste Schritt auszusehen hat. Der Berater muss in der Lage sein zu erspüren, was er oder sie noch nicht weiß, und dieser Prozess kann nur ein aktives Suchen aus den Tiefen des Nichtwissens sein, da wir voller Vorurteile, Abwehr, unbewusster Annahmen, Hypothesen, Klischees und Erwartungen stecken. Herauszufinden, auf welchen Gebieten wir ignorant sind, kann sich als schwierig erweisen. Wir müssen uns dazu durch unsere Vorurteile arbeiten und so manche Abwehrmauer überwinden. Das aktive Wort »zugreifen« drückt daher das dritte übergreifende Prinzip aus – anderen zu helfen. Durch den erfolgreichen Zugriff auf die Bereiche unserer Ignoranz können wir uns auf eine echte gegenseitige Erforschung einlassen. Und durch die schrittweise Beseitigung dieser Bereiche des Nichtwissens werden ständig neue Schichten der Wirklichkeit erkennbar, was uns eine genauere Definition von Hilfe ermöglicht.

DRITTES PRINZIP

Setze dein Nichtwissen ein.

Ich kann meine innere Realität nur entdecken, wenn ich zu unterscheiden lerne zwischen dem, was ich weiß, dem, was ich zu wissen glaube, und dem, was ich wirklich nicht weiß. Ich kann nicht entscheiden, was die aktuelle Wirklichkeit ist, wenn ich spüre, was mir über die Situation nicht bekannt ist, und ich nicht so weise bin, mich danach zu erkundigen.

2. Modell: Das Arzt-Patient-Modell

Ein weiteres verbreitetes generisches Beratungsmodell ist das Arzt-Patient-Modell. Ein oder mehrere Manager in der Organisation beschließen, einen Berater zu holen, um sie zu »checken«, um herauszufinden, ob es in der Organisation Bereiche gibt, die nicht richtig funktionieren und die vielleicht mehr Aufmerksamkeit benötigen. Möglicherweise hat ein Manager Anzeichen dafür entdeckt, dass etwas im Argen liegt, sinkende Verkaufszahlen, einen Anstieg von Kundenbeschwerden oder Qualitätsprobleme, aber er weiß nicht, wie er die Ursache des Problems herausfinden kann. Der Berater wird in die Organisation geholt, um festzustellen, was wo in der Organisation falsch läuft, um anschließend, wie ein Arzt, eine Behandlung zu verschreiben. Vielleicht stoßen führende Organisationsmitglieder darauf, dass in anderen Organisationen neue Therapien angewendet werden wie Total-Quality-Programme, Reengineering oder autonome Arbeitsgruppen, und sie verlangen, dass ihre Organisation ebenfalls einen Versuch mit diesen neuartigen Therapien startet, um ihre Schwächen auszubügeln. Dann wird ein Berater geholt, um das Programm umzusetzen. In diesem Modell geht der Klient von einem gewissen professionellen Standard des Beraters aus. Er erwartet, dass er ihm seine Dienstleistung verantwortungsvoll verkauft, dass er sich dabei auf aussagekräftige Daten stützt und das Programm Abhilfe für das Problem schafft; dass der Berater über das diagnostische Know-how verfügt, um das Programm nur dort einzusetzen, wo es hilft; und dass die Behandlung greifen wird.

Es gilt dabei zu beachten, dass dieses Modell noch mehr Macht in die Hände des Beraters legt, da er sowohl das Problem diagnostiziert sowie die Behandlung verschreibt und durchführt. Der Klient gibt nicht nur die Verantwortung dafür ab, sein Problem selbst zu diagnostizieren – wodurch er sich nur um so stärker in die Abhängigkeit von dem Berater begibt –, sondern er nimmt darüber hinaus auch an, dass jemand von außen in die Situation geholt werden kann und in der Lage ist, die Probleme zu identifizieren und zu beheben. Dieses Modell spricht die Berater natürlich besonders an, da es sie in eine starke Position versetzt und ihnen einen Röntgenblick zuschreibt. Die fachmännische Diagnose und Verschreibung von Behandlungen rechtfertigen die hohen Gelder, die Berater verlangen können, und verdeutlichen die Natur ihrer Dienstleistung. In diesem Modell kommen dem Bericht, der Darstellung der Befunde und der Empfehlungen eine besondere Bedeutung zu. Sie lassen die Aufgabe des Beraters klar hervortreten. Für viele Berater ist das der zentrale Punkt ihrer Arbeit, und sie sind erst dann überzeugt, ihre Arbeit ordentlich getan zu haben, wenn sie eine gründliche Analyse und Diagnose durchgeführt haben, die sie in eine schriftlich festgehaltene Empfehlung umsetzen können.

Zum Beispiel führt der Berater in einer Version dieses Modells, das bei Managern verwendet wird, eingehende Interviews und psychologische Tests durch. Diese gehören zur Diagnosephase, an deren Ende eine schriftliche Auswertung und Empfehlung für die weiteren Schritte steht. Eine andere Version sieht vor, dass der Berater Meinungsumfragen für bestimmte Bereiche der Organisation entwirft, die als Diagnosegrundlage dienen. Man erwartet, dass der Berater weiß, welche Fragen er zu stellen hat, welcher Prozentanteil positiver oder negativer Antworten ein Problem darstellt und welche Antwortenmuster auf mögliche Probleme in der Organisation hinweisen. Häufig werden raffinierte statistische Methoden ins Spiel gebracht, um die Diagnose zu untermauern und dem Klienten zu versichern, dass der Berater diagnostisch beschlagen ist.

Bei der vielleicht verbreitetsten Version dieses Modells vereinbaren Berater mit der Chefetage, in einer Reihe von ausführlichen Interviews zu erkunden, was im Unternehmen vor sich geht, anhand dieser Daten zu einer Diagnose zu gelangen und dem Klienten, der sie beauftragte, dann Projekte zur Behebung dieser Probleme vorzuschlagen. Eine zur Zeit populäre Version davon ist die Erstellung eines Kompetenzprofils, das bei einer bestimmten Aufgabenbeschreibung Erfolg verspricht: das Profil vorhandener Kompetenzen mit den Datenbanken einer Reihe von Organisationen zu vergleichen und, basierend auf den dabei entdeckten Profilunterschieden, Auswahl, Fortbildung und Karriereentwicklungsprogramme vorzuschlagen, um die Kompetenzen zu erhöhen, bei denen Mängel entdeckt wurden.

Wie den meisten Lesern aus ihrer eigenen Erfahrung klar sein wird, ist dieses Modell trotz seiner Popularität mit Problemen behaftet. Wir alle haben, als Klienten, die Erfahrung gemacht, wie irrelevant der Rat oder die Empfehlung eines Helfers sein kann oder wie sehr es einem zuwider laufen kann, wenn man gesagt bekommt, was man zu tun hat, selbst wenn man zuvor um Rat gefragt hat. Als Berater haben wir alle, öfter als uns recht ist, die Erfahrung gemacht, dass unser Bericht samt unseren Empfehlungen mit einem höflichen Kopfnicken entgegengenommen wird, um dann ordentlich weggestellt oder, schlimmer noch, ganz abgelehnt zu werden mit dem Hinweis, wir hätten die Lage des Kunden nicht wirklich verstanden. Klienten verfallen häufig in eine Abwehrhaltung und bemängeln an unseren Empfehlungen, wir hätten wichtige Faktoren übersehen oder der empfohlene Kurs sei bereits versucht worden und fehlgeschlagen. Berater, die nach diesem Arzt-Patienten-Modus arbeiten, sind häufig unzufrieden mit ihren Klienten – sie wüssten nicht, was sie wollten, sie sähen die Wahrheit nicht, wenn man sie mit dem Kopf darauf stoße, oder sie widersetzten sich einer Änderung und wollten eigentlich gar nicht, dass man ihnen hilft. Um diese Schwierigkeiten zu verstehen und das Prozessberatungsmodell in die richtige Perspektive zu rücken, müssen wir einige der impliziten Annahmen des Arzt-Patient-Modells analysieren.

Einer der offensichtlichsten Schwachpunkte dieses Modells ist die Annahme, der Berater könne allein an exakte Informationen für seine Diagnose gelangen. Dabei kann sich der als problematisch definierte Organisationsbereich weigern, die Informationen preiszugeben, auf die der Berater für seine Diagnose angewiesen ist. Es ist vorhersagbar, dass in den Fragebögen und bei den Interviews systematische Verzerrungen auftreten werden. Die Richtung dieser Verzerrungen hängt vom Betriebsklima ab. Ist dieses von Misstrauen und Unsicherheit geprägt, werden die Befragten aus Angst vor Vergeltung dem Berater gegenüber alles Negative verschweigen – mutige »Aufdecker« und »Nestbeschmutzer« können ein Lied davon singen. Oder die Befragten betrachten das Interview, die Umfrage oder den Test als Übergriff in ihren Privatbereich und antworten entweder nur so knapp wie möglich oder das, was man ihrer Ansicht nach von ihnen erwartet oder was sie für sicher halten. Ist das Klima dagegen von Vertrauen geprägt, werden die Befragten den Kontakt mit dem Berater als eine Gelegenheit sehen, sich ihren Kummer von der Seele zu reden, was zu einer Übertreibung der bestehenden Probleme führen kann. Wie dem auch sei, verwendet der Berater nicht viel Zeit darauf, die Abteilung selbst zu beobachten, wird er kein genaues Bild von den Vorgängen erhalten.

Ein weiteres Problem dieses Modells, das dem eben beschriebenen in nichts nachsteht, ist die häufig auftretende mangelnde Bereitschaft des Klienten, die Diagnose des Beraters ernst zu nehmen oder sich von seinen Abhilfemaßnahmen überzeugen zu lassen. In den meisten Organisationen finden sich wahrscheinlich ganze Schubladen voll mit Beraterberichten, die entweder vom Klienten nicht verstanden oder nicht akzeptiert wurden. Falsch gelaufen ist dabei natürlich, dass der Arzt es versäumte, einen gemeinsamen Bezugsrahmen mit seinem Patienten aufzubauen. Sie haben es nicht mit einer gemeinsamen Wirklichkeit zu tun. Falls der Berater mit der Diagnosearbeit beschäftigt ist, während der Klient passiv darauf wartet, sein Rezept ausgehändigt zu bekommen, wird sich mit ziemlicher Sicherheit ein Kommunikationsgraben zwischen den beiden auftun, der Diagnose wie Rezept irrelevant oder unverdaulich erscheinen lässt.

Selbst die wirklichen Ärzte im weißen Kittel erkennen immer mehr, dass Patienten nicht automatisch ihre Diagnose akzeptieren oder ihren Anweisungen Folge leisten. Am offensichtlichsten wird dies in kulturüberschreitenden Zusammenhängen, in denen Annahmen darüber, was eine Krankheit ist oder welche Maßnahmen sie erfordert, von Kultur zu Kultur differieren können. Auch in der Behandlung bei Brustkrebs wird dies zunehmend deutlich. Hier bezieht der Onkologe die Patientin verstärkt in die Entscheidung mit ein, ob die ganze Brust oder nur der Knoten entfernt wird und ob sie sich im Anschluss an die Operation einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung unterzieht. Bei Schönheitsoperationen oder wenn die Entscheidung ansteht, ob eine Bandscheibenoperation nötig ist, wächst den Erwartungen und dem Selbstbild des Patienten eine ähnlich entscheidende Rolle zu, wenn bestimmt werden soll, wie erfolgreich die Operation letztendlich war. Wenn wir schon eine Version des Arztmodells aus dem medizinischen Bereich wählen, sind wir mit dem psychiatrischen Modell besser beraten. Denn hier zählen die Analyse des Widerstands und der Abwehrhaltung zu den entscheidenden therapeutischen Werkzeugen.

Das dritte Problem dieses Modells liegt darin, dass in menschlichen Systemen, mehr noch: in allen Systemen, der Diagnoseprozess selbst eine Intervention mit unbekannten Folgen darstellt. Werden in der Chefetage Persönlichkeitstests und in Teilen der Organisation Meinungsumfragen durchgeführt und die Mitarbeiter dabei zu ihrer Wahrnehmung des Unternehmens interviewt, beginnen sich diese zu fragen, was in ihrem Betrieb los sein könnte, dass Berater in das Unternehmen geholt werden. Obwohl sich der Berater keiner Schuld bewusst ist, kommt der Angestellte vielleicht zu dem Schluss, dass die Geschäftsführung das Unternehmen umzustrukturieren und Leute zu entlassen gedenkt. Der Berater tut sein Bestes, geht bei den Tests und Umfragen nach allen Regeln der Wissenschaft vor, doch der Angestellte empfindet das möglicherweise als Eindringen in seine Privatsphäre, gegen das er sich vielleicht sogar mit anderen Angestellten verbündet, wodurch sich die Beziehungen innerhalb der Organisation verändern. Ironischerweise legen die ausgetüftelten Vorsichtsmaßnahmen, die die Anonymität einer Umfrage gewährleisten sollen – indem man die Bögen z.B. an eine neutrale Partei schickt –, ein Misstrauen innerhalb der Organisation nahe, das als eine weitaus signifikantere Realität aufgefasst werden kann, als die Erhebung selbst vielleicht vermuten lässt.

Ein viertes Problem bei dem Arzt-Patient-Modell liegt darin, dass der Patient selbst bei einer validen Diagnose und Verschreibung vielleicht nicht in der Lage ist, die empfohlenen Änderungen durchzuführen. Was im Kontext einer Organisation wohl das häufigste Problem ist. Nicht selten liegt es für den von außen kommenden Berater auf der Hand, was zu tun ist, aber die Kultur des Unternehmens, seine Struktur oder seine Politik verhindern eine Umsetzung der Empfehlungen. Vielfach entgehen dem Berater diese kulturellen und politischen Strömungen, bis seine Empfehlungen zurückgewiesen oder unterlaufen werden. Doch dann kann es für eine echte Hilfe bereits zu spät zu sein.

Anders ausgedrückt, das Maß, in dem das Arzt-Patient-Modell funktioniert, hängt von folgenden Faktoren ab:

1. Inwieweit hat der Klient genau definiert, welche Person, Gruppe oder Abteilung tatsächlich krank oder therapiebedürftig ist.

2. Inwieweit ist der Patient motiviert, genaue Auskünfte zu geben.

3. Inwieweit akzeptiert der Patient die Diagnose, zu der der Arzt gelangt, und die von ihm empfohlene Verschreibung.

4. Inwieweit werden die Konsequenzen der Diagnoseschritte genau verstanden und akzeptiert.

5. Inwieweit ist der Patient zu den empfohlenen Änderungen fähig.

Die Prozessberatungsalternative

Der Prozessberatungsmodus dagegen konzentriert sich nicht ausschließlich auf eine gemeinsame Diagnose, sondern sieht einen weiteren Schwerpunkt in der Weitergabe der Diagnose- und Problemlösungskompetenz des Beraters an den Klienten. Möglicherweise erkennt der Berater bereits sehr früh im Verlauf seiner Arbeit das eine oder andere Problem in der Organisation und wie es gelöst werden könnte. Aber er wird aus zwei Gründen diese Erkenntnisse vorerst für sich behalten: (1) Er könnte sich irren. Falls er vorschnell zu einer falschen Diagnose gelangt, kann er in den Augen seines Klienten an Glaubwürdigkeit verlieren und ihrer gemeinsamen Beziehung schaden. (2) Ihm ist klar, dass selbst wenn er recht hat, der Klient mit Abwehr reagieren kann und vielleicht nicht zuhören oder das Gehörte abstreiten oder missverstehen will, was eine Therapie behindern würde.

Eine wesentliche Grundannahme der Prozessberatung ist, dass der Klient lernen muss, das Problem selbst zu erkennen, indem er an dem Diagnoseprozess teilhat, und dass er sich bei der Entwicklung einer Behandlungsstrategie aktiv beteiligt. Der Klient muss involviert werden, da der Diagnoseprozess selbst bereits eine Intervention darstellt und der Klient letztendlich für jede Intervention die Verantwortung zu übernehmen hat. Werden Tests oder Umfragen durchgeführt, muss der Klient die Gründe dafür verstehen und die Verantwortung für die Entscheidung, diese Erhebungen durchzuführen, übernehmen. Der Klient muss einem eventuell argwöhnischen Untergebenen erklären können, warum dies gemacht wird und warum ein Berater in das Unternehmen geholt wurde, wenn die beschriebenen Probleme nicht auftreten sollen.

Dem Berater mag eine Schlüsselrolle zukommen, was die Ausarbeitung der Diagnose angeht, und er wird vielleicht dem Klienten Vorschläge zur Behebung der Probleme unterbreiten, auf die dieser nicht von selbst gekommen wäre, doch er beschränkt sich darauf, dem Klienten bei der endgültigen Entscheidung über die diagnostischen und therapeutischen Mittel lediglich den Rücken zu stärken. Dies geschieht wiederum aus der Überlegung heraus, dass die alten Probleme wohl gründlicher behoben und eventuelle neue Probleme vom Klienten selbst gelöst werden können, wenn dieser selbst lernt, die diagnostischen und therapeutischen Mittel einzusetzen.

Des Weiteren gilt es festzuhalten, dass der Berater nicht unbedingt ein Experte sein muss, was die Lösung der zu entdeckenden Probleme betrifft. Ein ausschlaggebender Punkt bei der Entscheidung für den Prozessberatungsmodus ist, dass eine entsprechende inhaltliche Kompetenz weniger relevant ist als die Fähigkeit, den Klienten bei der Diagnose seiner eigenen Probleme zu beteiligen und ihm dabei zu helfen, eine seiner spezifischen Situation und seinen Bedürfnissen entsprechende Lösung zu finden. Der Berater braucht das Expertenwissen. Nur so kann er Hilfe geben und eine Beziehung mit den Klienten aufbauen, die Hilfe erst ermöglicht und gemeinsame Wirklichkeit entstehen lässt, ohne die eine Kommunikation unmöglich ist. Der in diesem Modus arbeitende Organisationsberater muss kein Experte sein, was Marketing, Finanzen oder Unternehmensstrategien anbelangt. Treten in diesen Bereichen Probleme zu Tage, kann der Berater dem Klienten bei der Suche nach einem entsprechenden Fachmann helfen und – was wichtiger ist – ihn dabei unterstützen, eine Strategie zu entwickeln, wie er sicher gehen kann, von diesen Fachleuten die gewünschte Hilfe zu erhalten.

Das Arzt-Patient-Modell wird, wie das Telling-and-selling-Modell, in unserem Alltag ständig angewendet. Bittet mein Kind mich, ihm bei seiner Rechenaufgabe zu helfen, fühle ich mich versucht, umgehend nach einem Fehler zu suchen und diesen zu beheben. Erkundigt sich mein Freund nach einem Film, gebe ich ihm aufgrund meiner Annahmen, was ihm gefallen könnte, sofort einen Ratschlag. Bittet eine Studentin mich um Literaturvorschläge, die ihr bei ihrem Forschungsproblem weiterhelfen könnten, glaube ich sofort zu wissen, welche Art von Informationen sie benötigt und schlage ihre mehrere Bücher und Artikel vor. Wenn meine Frau mich fragt, was sie zu der Party tragen soll, bin ich überzeugt, über ihr Problem Bescheid zu wissen, und erteile ihr entsprechende Ratschläge. Die Versuchung, die Macht anzunehmen, die einem das Gegenüber durch die Bitte um einen Rat anbietet, ist überwältigend. Es bedarf in einem solchen Augenblick einer außerordentlichen Disziplin, um einen Augenblick innezuhalten und darüber zu reflektieren, was tatsächlich vor sich geht (sich mit der Realität auseinander zu setzen) und eine Frage zu stellen, die einen weiterbringt oder den anderen ermutigt, mehr zu erzählen, bevor man die Arztrolle übernimmt (die eigene Unwissenheit einzugestehen).

Damit der Berater helfen kann, müssen beide, der Berater wie sein Gegenüber, beachten, dass das zu lösende Problem klar definiert ist und sie eine Kommunikationsebene geschaffen haben, auf der sie sich verstehen, damit sie dieses Problem gemeinsam und effektiv lösen können. Letztendlich ist es gerade das Ziel der Prozessberatung, solche Kommunikationsebenen zu schaffen, um eine gemeinsame Diagnose und eine gemeinsame Problemlösung zu ermöglichen.

Die Tatsache, dass die Art und Weise, wie wir bei der Diagnose vorgehen, für das Klientensystem entscheidende Konsequenzen hat, lenkt den Blick auf ein viertes übergreifendes Prinzip. Wir müssen uns klar werden, dass das, was der Berater tut, stets eine Intervention ist. So etwas wie eine Diagnose an sich gibt es nicht. Die übliche Beschreibung einer Diagnosephase, an deren Anschluss Empfehlungen ausgesprochen werden, die sich in vielen Beratungsmodellen findet, ignoriert vollkommen die Wirklichkeit, dass der Interventionsprozess mit der Kontaktaufnahme mit dem Klientensystem beginnt. Unsere Vorgehensweise bei der Diagnose muss also aus dem Blickwinkel betrachtet werden, welche Konsequenzen unsere diagnostischen Interventionen haben und ob wir bereit sind, mit diesen zu leben.

VIERTES PRINZIP

Alles, was du tust, ist eine Intervention.

So wie jede Interaktion diagnostische Informationen liefert, so birgt jede Interaktion Konsequenzen für den Klienten und für mich. Daher muss ich für alles, was ich tue, Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen durchdenken, um sicherzugehen, dass sie meinem Ziel dienen, eine helfende Beziehung aufzubauen.

3. Modell: