Psycho Shifters - Jasmine Mas - E-Book

Psycho Shifters E-Book

Jasmine Mas

0,0
10,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nachdem ich mit nichts aufgewachsen bin, habe ich endlich meinen Weg in die Freiheit gefunden: Ich bin ein Shifter, eine Elitesoldatin, die sich in ein Monster verwandelt. Alles, was ich tun muss, ist, zu überleben. Ich habe nicht mit meinen drei fast zwei Meter großen Mitbewohnern gerechnet – mit ihren Tattoos, Juwelen und Hörnern, sind sie anders als alle Männer, mit denen ich je zu tun gehabt habe. Sie glauben nicht, dass ich dazugehöre. Sie glauben nicht, dass ich stark genug für den Krieg bin. Sie glauben nicht, dass ich kämpfen kann. Ich werde sie eines Besseren belehren. Jax, Ascher und Cobra werden am Boden zerstört sein, wenn sie die Wahrheit erfahren … wenn sie meine veränderte Gestalt sehen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jasmine Mas

 

 

PSYCHO SHIFTERS

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzt von Anne Masur

 

PSYCHO SHIFTERS

 

Copyright der deutschen Ausgabe. © 2025 VAJONA Verlag GmbH

 

Copyright © Psycho Shifters by Jasmine Mas

Published by Arrangement with WC PUBLISHING LLC

c/o THE WHALEN AGENCY LTD., 500 Post Rd East, 2nd Fl., Ste. 240,

Westport, CT 06880 USA

Dieses Werk wurde vermittel durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

 

Übersetzung: Anne Masur

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel

»Psycho Shifters (CRUEL SHIFTERVERSE 1)«.

 

Korrektorat: Alexandra Gentara

Umschlaggestaltung: STEAMY DESIGNS LLC

Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz

 

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

 

 

HINWEIS

 

Diese Geschichte enthält Anspielungen auf körperliche und sexuelle Übergriffe. Sadie hat eine traumatische Vergangenheit, und ihre Erfahrungen sind intensiv. Bitte gebt auf euch acht und lest nicht weiter, wenn diese Inhalte euch stören.

Wenn ihr nichts von Reverse Harem, Flüchen, Gewalt oder pikanter MM-Action haltet, ist dies nicht die richtige Reihe für euch.

Es handelt sich nicht um ein traditionelles Omegaverse, aber (Hinweis) es wird eines werden, wenn die Geheimnisse des Reichs enthüllt werden. Diese Reihe ist eine Trilogie aus drei Bänden, und am Ende dieses Buches gibt es einen Cliffhanger, aber die Serie endet mit einem Happy End.

 

Viel Spaß beim Lesen!

Ich wartete, bis die schweren Schritte von Dick verhallten.

In der Taverne herrschte eine unheimliche Stille, jetzt, da die Bestie verschwunden war.

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, und ich sprang von meinem Bett auf. Obwohl Bett es nicht ganz traf – ich schlief auf einer kratzigen Decke, die ausgebreitet auf dem Hartholzboden lag.

Trotzdem war es ein toller Tag. Es war an der Zeit, meine jüngere Schwester Lucinda zu holen, damit wir unsere Freiheit genießen konnten.

Ich kramte meine gestohlene Büroklammer hervor und machte mich daran, das Türschloss zu knacken. Es dauerte eine Weile, meine kleinen, zehn Jahre alten Finger rutschten ab und verkrampften sich, während ich sie mir fast verrenkte.

Klick.

Die Tür ging auf, und ich beeilte mich, Lucinda aus ihrem Zimmer zu befreien, das im Gegensatz zu meinem fast leeren Raum mit einem normalen Bett, einem Schreibtisch und einer Kommode ausgestattet war.

Wir beide waren Dicks Bedienstete, doch während er Lucinda zu tolerieren schien, hasste er mich. Ich wusste nicht, warum er uns so unterschiedlich behandelte, aber Lucinda war ein sechsjähriger, süßer Engel, daher hoffte ich, dass es auch so bleiben würde.

Ich konnte mit seiner Wut umgehen.

Kichernd und lachend schnappten wir uns unsere alten Wollmäntel und schnürten unsere Stiefel. Meine waren ein paar Nummern zu klein, aber das war mir egal; ich war zu aufgeregt, freute mich darauf, in den Wald zu gehen und von der Taverne wegzukommen.

Ich hielt Lucindas winzige Hand, als wir in die kühlen Temperaturen des Shifter-Reiches hinaustraten.

Der kalte Wind heulte, und wie üblich bedeckte eine dicke Schneeschicht den Boden.

Heute stand die rote Sonne hoch am Himmel und strahlte Wärme aus.

Die brutale Kälte schlug uns nicht ins Gesicht oder raubte uns wie sonst den Atem. Stattdessen fiel das Schneegestöber träge vom teilweise blauen Himmel.

Es war ein herrlicher Sommertag, wahrscheinlich der wärmste des Jahres.

Ich schaute die Straße, deren Kopfsteinpflaster vor einigen Geschäften, der öffentlichen Bibliothek und Dicks Taverne verlief, auf und ab.

Die Bibliothek war der einzige Ort, den Dick uns gelegentlich besuchen ließ, und wir liebten es dort, aber heute konnten wir nicht hingehen, weil uns jemand hätte sehen und verpetzen können.

Dick war unser Herr, wir waren seine Diener.

Heute Morgen hatte er uns in unseren Zimmern eingesperrt und war mit seinem Pferd in die Nachbarstadt geritten, um dort Geschäfte zu machen. Da wir beide als Waisen in seiner Taverne zurückgelassen worden waren, waren wir Dicks Eigentum.

Und das wusste auch jeder in der Stadt.

Im Moment trabte keines der pelzigen Pferde des Reiches vorbei. Normalerweise liebte ich es, die Pferde mit ihrem langen, zotteligen Fell zu sehen, mit dem sie die eisige Kälte des Reiches abhalten konnten.

Aber jetzt war ich froh, dass keine Leute auf ihnen umher ritten, denn so konnten wir entkommen, ohne erwischt zu werden.

Ich hielt Lucindas Hand fest, während wir über die Straße in den dichten Wald hasteten. Wir rannten und rannten und ließen die weitläufige Stadt im Tal hinter uns zurück.

»Endlich haben wir uns von dem Biest befreit!«, rief ich, als wir tiefer in den Wald eindrangen und zwischen den dicken Baumstämmen hindurch liefen.

Kiefernnadeln verdeckten den Himmel, doch durch die Lücken im Geäst konnte man die hohen weißen Berge sehen, die das Tal umgaben.

Lucinda rannte vor mir her und kicherte wie eine Verrückte. Sie liebte es, wenn wir »Entdecker« spielten und uns gegenseitig über die Berghänge jagten.

»Ich krieg dich!«, brüllte ich und fletschte die Zähne in ihre Richtung.

Ich hielt meine Hände wie Krallen vor mich und tat so, als wäre ich eine Alphakriegerin.

Lucinda schrie noch lauter und drehte sich um. Sie richtete eine Fingerpistole auf mich und sagte: »Peng, peng!«

Mein Körper erzitterte unter der Wucht der vorgetäuschten Schusswunden, aber ich stürmte weiter vorwärts und bleckte wie ein Biest die Zähne.

Im Shifter-Reich gab es zwei Klassen von Menschen.

Auf der untersten Stufe befanden sich die Null-Shifter, sie waren unscheinbar und machten den Großteil der Bevölkerung aus. Das Reich hatte etwa fünfzigtausend Einwohner, und neunundneunzig Prozent von ihnen waren Nulls.

So wie wir.

Im Gegensatz dazu bestand die oberste Stufe aus den ABOs.

Betas kamen darin am häufigsten vor. Sie waren die Soldaten des Reiches, stärker und schneller als die Nulls, mit einer höheren Lebenserwartung, konnten sich aber nicht verwandeln. Dick war einer von ihnen. Alphas waren die coolsten ABOs. Sie waren die Kriegsgeneräle des Reiches, riesig und unsterblich, und jeder von ihnen konnte sich in ein einzigartiges Fabelwesen verwandeln.

Dann gab es noch die Omegas. Sie wurden sehr verehrt und waren unsterblich.

Sie konnten sich in kleine, harmlose Kreaturen verwandeln, doch in den Überlieferungen hieß es, sie verfügten über körperliche Perfektion, weshalb die Alphas von ihnen besessen seien.

In letzter Zeit hatte die Dame in den Nachrichten öfter gesagt, dass die Alphas aussterben würden, weil die Omegas die einzigen Shifter waren, die ABOs gebären könnten, und von denen gäbe es im Reich keine mehr.

Ich verstand nicht, wie ABOs aussterben konnten, wenn sie doch unsterblich waren, aber ich dachte mir, dass ich wohl einfach noch zu jung dafür war.

Die meisten Nulls wurden am Heiligen See geprüft, wenn sie zwanzig wurden, um festzustellen, ob sie ein ABO waren. Aber ABOs waren schon körperlich beeindruckend, noch bevor sie ihre Verwandlung vollendet hatten.

Selbst wenn ich nicht klein und schmächtig gewesen wäre, hätte es mich daher nicht betroffen.

Diener wurden nie geprüft, weil ABOs aus Elitefamilien mit Eliteblutlinien stammten. Sie waren keine dürren, unerwünschten Waisenkinder, die in einer Bar ausgesetzt wurden.

Ich tat es mit einem Schulterzucken ab; ich war es gewohnt, nichts Besonderes zu sein.

Vor mir sprang Lucinda nach oben und griff nach einem Ast. Ihr langes blondes Haar wehte um ihren kleinen Körper, als sie furchtlos über die Äste kletterte.

Ich folgte ihr dicht auf den Fersen, die kalte Rinde grub sich in meine Handflächen. Wir sprangen und hüpften von Ast zu Ast, um unsere geringe Größe wettzumachen.

Glücklich lachte ich auf.

Als wir immer höher auf den massiven Nadelbaum kletterten, brummten ein paar Waschbären, und wir winkten den flauschigen kleinen Kerlen zu.

Einer von ihnen fauchte aggressiv, was Lucinda kichern ließ, ihre roten Rehaugen prangten groß mitten auf ihrem kleinen Gesicht.

»Das ist ein flauschiges Häschen«, sagte sie und lachte unkontrolliert.

Ich nickte, weil ich es nicht übers Herz brachte, sie zu korrigieren. Lucinda liebte Kaninchen.

Schließlich erreichten wir die obersten Äste der riesigen Kiefer. Um uns herum ragten schneebedeckte Berge auf, und so weit das Auge reichte, war alles kalt, weiß und unbewohnt.

Das Shifter-Reich war ein kühler, karger Ort.

Es fühlte sich noch kälter und erbärmlicher an, wenn man zwei Null-Dienerinnen unter der Fuchtel eines Betas war.

Oben auf unserem Ast wünschte ich mir zum milliardsten Mal, wir könnten uns Flügel wachsen lassen, zu einem Portal fliegen und in ein anderes Land reisen. Irgendwo, versteckt in den verschneiten Wäldern, gab es ein paar Portale, die in das Fae-Reich und das Menschen-Reich führten.

Zumindest hatte ich das in einem Buch gelesen. Darin wurden sie als wirbelnde schwarze Strudel beschrieben, die eine Person in sich hineinzogen, wenn man ihnen nahe genug kam. Doch darüber sprach nie jemand.

Aber das war sowieso egal. Die Portale waren nicht sicher.

Derzeit befanden sich die Shifter im Krieg mit der Faekönigin – sie schickte Monster in unser Reich, und die ABOs schlugen zurück. Gerüchten zufolge wollte sie das Land für sich selbst.

Ich versuchte, mir ein großes Ungeheuer vorzustellen, das durch den Wald brüllte.

Die Vorstellung war nicht schwierig, da die großen Bäume im heulenden Wind schwankten. Kalte Böen schlugen durch die Baumkronen, und wir kicherten, als unser Sitz bedenklich schwankte.

Lange saßen wir in der Baumkrone und erzählten uns gegenseitig unsere Lieblingsgeschichten aus der Bibliothek: Geschichten über fantastische Wesen aus fernen Welten.

Vögel hockten um uns herum, und Eichhörnchen und Waschbären huschten raschelnd über die Äste unter uns. Die rote Sonne küsste unsere nach oben gewandten Gesichter, und wir genossen den Tag in Freiheit.

Schließlich, als die Sonne tief stand und der Wind mit eisiger Intensität zu heulen begann, kletterten wir von unserem Zufluchtsort herunter und stapften zurück zu unserem Gefängnis.

An diesem Abend kehrte Dick von seiner Reise in die klapprige alte Taverne zurück, in der wir wohnten.

Er holte uns aus unseren Zimmern und teilte uns mit, dass ein Shifter aus der Stadt uns beim Klettern in den Bäumen erwischt hatte.

Dick funkelte uns beide an, aber ich stellte mich vor Lucinda, um sie zu beschützen.

Sie war nicht nur jünger als ich, sie war auch kleiner und zierlicher. Ihre großen rubinroten Augen und ihr blondes Haar passten zu ihrer schüchternen, süßen Persönlichkeit.

Wir hatten beide rote Augen, aber die Leute beschrieben meine als lodernde Flammen des Ärgers und ihre als schöne, funkelnde Rubine. Ich würde nicht zulassen, dass das Monster ihr dieses Funkeln nahm; im Gegensatz zu ihr hatte ich selbst sowieso nie so ein Funkeln besessen.

»Es war meine Schuld. Ich habe unsere Schlösser geknackt und sie mit mir nach draußen geschleppt. Sie wollte gar nicht gehen«, sagte ich und schaute zu ihm auf.

Dick knirschte mit den Zähnen, und seine Augen funkelten verärgert, wie immer, wenn ich ihn ansah. Er sagte, meine roten Augen seien nervtötend.

Lucinda griff mit ihren kleinen Händen nach meinem ausgefransten Mantel, ihre Finger zitterten. Am liebsten hätte ich Dick dafür ausgeweidet, dass er sie so erschreckt hatte.

»Du machst nichts als Ärger«, sagte Dick.

Er packte mich an meinem langen weißen Pferdeschwanz und zerrte mich den Flur hinunter.

Lucinda weinte und rannte uns hinterher, aber ich sagte ihr, dass sie zurückbleiben sollte. Mit zitterndem Kinn nickte sie und versteckte sich unter ihrem Bett, wie immer, wenn er mir wehtat.

Als Dick mich am Hals packte, fletschte ich die Zähne, aber ich war seiner Beta-Kraft nicht gewachsen.

Er schob mich in mein leeres Zimmer, schlug die Tür zu und nahm seinen Gürtel ab.

Ich biss mir fest auf die Lippe und tat so, als wäre ich eine große Alphakriegerin.

In meinen Gedanken wendete ich Dicks Gewalt gegen ihn an.

Mit jedem Schlag seines Gürtels, mit jedem Tropfen Blut, der meinen Körper verließ, fügte ich ihm Schmerzen zu.

Er schrie und krümmte sich – er flehte mich an, aufzuhören –, als ich ihn mit meinen massiven Fäusten schlug.

Ich hörte nicht auf, zeigte ihm keine Gnade.

Doch das passierte nur in meiner Fantasie.

In Wirklichkeit liefen mir die Tränen übers Gesicht, und ich schrie, bis meine Stimme heiser und gebrochen war.

Dick peitschte mich unendlich lange aus.

Als die Schläge endeten und Dick wegging – und ich bei dem Versuch, aufzustehen, in meinem Blut ausrutschte –, schwor ich mir, beim nächsten Mal nicht zu weinen.

Die großen Abenteurer in den Büchern der Bibliothek weinten nie, also würde ich auch nicht mehr weinen.

Auch wenn ich keine Alpha war, konnte ich stark sein wie eine.

Anders würde ich nicht überleben können.

Blut tropfte an meinem Arm herunter und auf den Boden, den ich gerade zu reinigen versuchte.

Ich seufzte und suchte nach innerem Frieden, denn es war lediglich ein weiterer beschissener Tag im Shifter-Reich.

Zisch.

Wieder schlug Dick seinen Gürtel auf meinen Rücken, und der laute Knall hallte durch die sonst so stille Taverne.

Blut spritzte.

»Jetzt sieh dir die Sauerei an. Mach das sauber!« Dick beugte sich vor, seine Spucke traf auf mein Gesicht.

Im Laufe der Jahre war Dick immer launischer und irrationaler geworden, was beeindruckend war, denn er hatte bereits als gewalttätiges Stück Scheiße angefangen.

Persönliches Wachstum war nicht gerade seine Stärke.

Mein Rücken brannte unbarmherzig.

Ich rieb mir müde die Augen und musste würgen, als Dicks rauchiger Betaduft meine Kehle reizte.

»Mach schneller!«, schrie er und ließ seinen Gürtel mit der Kraft eines Betas nach unten schnellen.

Dick war ein pensionierter »Kriegsheld«. Held war offensichtlich ein dehnbarer Begriff.

Ich hätte ihn Monster, Schwein, Drecksack, Stück Scheiße oder Mistkerl genannt, aber nicht Held.

Wieder ließ Dick meine Haut erbarmungslos aufplatzen.

Mit meinen zwanzig Jahren begann ich langsam zu glauben, dass Dick etwas gegen meine Haut hatte und aktiv versuchte, sie von meinem Körper zu entfernen.

Vermutlich war er einfach nur neidisch auf meine goldene, glänzende Haut.

Die offenen Wunden auf meinem Rücken brannten, als ich den Boden schneller schrubbte und mir vorstellte, wie ich die Bürste nahm und sie ihm in den Rachen stopfte.

Die Taverne war leer, und ich bemühte mich, die blutigen Spuren der Kneipenschlägerei zu beseitigen, die ich begonnen hatte, nachdem ein Beta meinen Hintern betatscht hatte.

Ich war eine niedere Dienerin, und die Shifter betatschten und befummelten mich wie einen Gegenstand.

Die Gäste machten sich auch über mich lustig, weil ich klein und schmächtig aussah. Sie lachten über den einzigartigen Rotton meiner Augen, mein langes, platinweißes Haar und meine gold glänzende Haut.

Leider war ich mit meinen ein Meter siebenundsechzig und knapp fünfundfünfzig Kilo eine kleine Null.

Na ja, neben Lucinda.

Meine Schwester wog ungefähr so viel wie ich, war jedoch kleiner, weil sie jünger war.

Der einzige Unterschied war ihr goldenes Haar, honigblond. Ihr Körper war etwas kurviger und ihr Gesicht ein wenig weicher.

Lucinda musste noch zur Schule gehen, bis sie achtzehn war.

Im Shifter-Reich wurden die Kinder von dreizehn bis achtzehn Jahren in die Schule geschickt. Da viele Kinder der Kälte erlagen, verschwendete die Oligarchie keine Mühe, sie vor ihrem dreizehnten Lebensjahr auszubilden.

Infolgedessen lebte ich noch zwei Jahre lang allein mit Dick – der geistig etwa auf derselben Höhe war wie ein Stein.

Das einzig Gute war, dass Dick Lucinda nicht verletzen konnte.

Er konzentrierte sich auf mich, bis zu einem Punkt, an dem ich mich fragte, warum er mich nicht einfach umbrachte.

Jeden Tag verursachte ich Chaos, und jeden Tag peitschte er mich mit seinem Gürtel aus.

Es fühlte sich fast an, als hätten wir eine Art Routine entwickelt.

Ich wartete stetig darauf, dass wir von der Gewalt abließen und einen neuen Stundenplan mit Meditation, Tagebuchschreiben und dem Austausch unserer Gefühle aufstellten.

Stattdessen kam es zu einem totalen Krieg.

Mein neuester Plan war der, die Ratten in meinem Zimmer mit so viel gestohlenem Käse zu füttern, dass sie sich zu einer kleinen Armee zusammenschließen würden.

Dicks Zuhause war nun auch das Zuhause der Ratten.

Ich kicherte vor mich hin, als drei Ratten an der Wand gegenüber der Bar entlang huschten, unter kaputten Stühlen hindurchkletterten und nach mehr Futter suchten.

Der Anblick der kleinen Kerle, die in der Taverne ihr Unwesen trieben, hätte mir beinahe Tränen in die Augen getrieben.

Sie waren so niedlich und gut darin, gnadenlos in Dicks Haus einzufallen. Es war inspirierend.

Der Bastard schlug mir den Gürtel erneut auf den Rücken, und mein Lächeln verwandelte sich in eine Grimasse.

Ich biss mir auf die Unterlippe und unterdrückte den leisen Schrei, der sich seinen Weg durch meine brennende Kehle bahnen wollte.

Meine Augen brannten, als ich anfing, zu weinen. Noch immer konnte mein Körper nur begrenzt Schmerz vertragen.

Er schlug verdammt hart zu.

Auf dem Mahagonifußboden, den ich putzen musste, sammelte sich noch mehr von meinem Blut.

Wut stieg in mir auf, bis meine Hände zitterten und mir das Herz in den Ohren pochte.

Als ich gestern, an meinem zwanzigsten Geburtstag, aufgewacht war, war mir die Lösung all meiner Probleme klar und deutlich erschienen. Ich musste Dick töten.

Mein Plan war immer gewesen, Dicks Schläge zu ertragen, bis Lucinda in zwei Jahren von der Schule zurückkam.

Doch gestern war ich mit dem brennenden Bedürfnis aufgewacht, diesen Mistkerl umzubringen.

Zwei Jahre waren eine zu lange Zeit.

Dick musste sterben. Sofort.

Vielleicht könnte ich die geheimen Portale finden, die zu einem anderen Reich führten, vielleicht würde mich die Oligarchie aber auch hinrichten lassen.

Dennoch, wenn Dick tot war, konnte er weder mir noch Lucinda etwas antun.

Es war der perfekte Plan.

»Schlag mich noch ein Mal, dann wirst du schon sehen, was passiert.« Meine Stimme war rau und uneben von dem jahrelangen Schreien und den Misshandlungen.

Ich spuckte ihm vor die Stiefel.

Dicks rötlicher Teint vertiefte sich, seine Augen funkelten vor Wut.

Dann rammte er mir seinen Stahlkappenstiefel in den Bauch und schwang den Gürtel.

»Du nutzlose Hure!« Seine Augen funkelten und seine Wangen zitterten vor Wut. Dick konnte nicht besonders gut mit Worten umgehen.

Es war eine Geschichte, so alt wie die Zeit selbst. Die Dienerin auf den Knien, blutüberströmt, und über ihr der wütende Herr.

Aber ich hatte schon immer die düsteren Bücher gemocht, in denen die Dienerin ihren Herrn tötete und in seinem Blut badete.

»Mein Name ist Sadie, nicht Hure.« Ich fing den Gürtel mitten im Schwung ab, und seine Augen weiteten sich überrascht.

Die Zeit blieb stehen, als wir beide jeweils ein Ende der Waffe umklammerten.

Ich konzentrierte mich auf den Hebel in meinem Kopf: den kleinen Schalter, der mich befreite, wenn ich ihn nur umlegte.

Dann setzte die Betäubung ein.

Endlose Taubheit.

Kühle Erleichterung.

Alle meine Gefühle verschwanden, und die Welt wurde weniger lebendig. Die Farben wurden weniger bunt.

Meine verstreuten, emotionalen Gedanken lösten sich im kühlen Nichts auf.

Die endlose Wut, der Schmerz und die Traurigkeit verschwanden einfach. Ich konzentrierte mich nur noch auf die Bedrohung und ihre Beseitigung.

Das war der einzige Grund, warum ich meine Teenagerjahre unter Dicks zunehmend gewalttätigen Übergriffen überlebt hatte.

Der Schalter in meinem Gehirn hatte mich in ein emotionsloses Miststück verwandelt, das alles überleben konnte.

Der einzige Nachteil war, dass das Gerät nach jedem Gebrauch wieder aufgeladen werden musste.

Als ich zwölf Jahre alt wurde, war diese Taubheit plötzlich aufgetaucht.

Es war zu spät, um meine Stimme zu retten, die vom Schreien unter der Folter bereits rau geworden war, aber sie hielt mich am Leben.

Jetzt war alles in mir kalt, eisiger als die Gletscher draußen hinter dem Wald.

Tritt ihm die Beine weg. Nimm den Gürtel. Leg ihn um seine Kehle und töte ihn!

Dick schreckte aus seiner Schockstarre auf, und ein Knurren verzerrte sein Gesicht. Das Zucken seiner rechten Augenbraue verriet ihn.

Es würde noch blutiger werden.

Er riss seinen Arm zurück, was meinen kleinen Körper nach vorne schleuderte, aber ich ließ den Gürtel nicht los.

Das war nur eine oberflächliche Fleischwunde, keine inneren Schäden. Tritt seine Beine weg. Reiß sein Kreuzband heraus.

Meine Beine wirbelten nach vorne, und ich trat ihm die Füße unter den Beinen weg. Dick schlug mit einem dumpfen Aufprall über den Stühlen der leeren Taverne auf.

Und er ließ den Gürtel los.

Leg ihn um seinen Hals.

Er lag fluchend auf dem Boden, und ich stürzte mich auf ihn. Bevor er reagieren konnte, hatte ich den Gürtel um seinen Hals geschlungen und würgte ihn. Seine großen, fleischigen Ellbogen schlugen nach hinten aus und rammten sich in meine Rippen. Er brach mir die Knochen, doch ich wich nicht zurück.

Fester.

In meiner Betäubung nahm ich den Schmerz nicht wahr.

Dick wehrte sich und stieß mich mit dem Rücken gegen einen Tisch, aber ich ließ ihn nicht los.

Sein geschwollenes Gesicht färbte sich violett, und seine Knopfaugen traten makaber hervor.

»Ich habe dich aufgenommen. Ich habe dich gerettet.« Dick keuchte, kämpfte um sein Leben.

Man rettet niemanden, indem man ihn auspeitscht.

Lange, hässliche Narben überzogen meinen Oberkörper, die erhabenen weißen Ränder erinnerten mich an jeden einzelnen Schlag. »Nein, du hast mich verprügelt.«

Töte ihn.

Er gab einen erstickten Laut von sich, als ich den Gürtel um seinen Hals fester zog.

Es dauerte ewig, einen Beta zu erwürgen, und Dicks Hals war dicker als bei den meisten anderen, aber das war der Taubheit egal. Ich hatte es nicht eilig.

Plötzlich flog die Tür der Taverne auf. Eine Gestalt stand im Eingang.

Die unerwartete Unterbrechung ließ mich aufschrecken, und die Taubheit verblasste auf der Stelle. Manchmal passierte das, wenn ich überrascht wurde.

Jetzt erstickten mich meine Gefühle und meine Seite schmerzte, wo mich Dicks Ellbogen erwischt hatte.

Ein verhüllter Eindringling stand in der Tür.

Der stürmische, eisige Wind wehte hinein und fuhr unter sein Kapuzengewand.

»Der Oligarchie wurde zugetragen, dass eine zwanzigjährige Dienerin in dieser Residenz lebt. Es gibt neue Befehle: Nun müssen auch alle Diener am Heiligen See geprüft werden«, sagte eine tiefe Männerstimme.

Das war keine Frage.

Der eisige Wind heulte hinter dem Eindringling, und als er seinen Mantel öffnete, offenbarte er ein riesiges Maschinengewehr.

Bei den eisigen Temperaturen funktionierte die Technik nicht immer, deshalb leuchtete das Gewehr unter einem Faezauber blau auf.

Langsam befreite ich Dick aus meinem Würgegriff.

Ich konnte ihn nicht töten, ohne durchlöchert zu werden, was wirklich schade war.

Ohne Vorwarnung warf mir die Gestalt einen warmen Mantel zu (diese Kleidungsstücke mussten wohl sein Ding sein), packte mich am Hals und schob mich hinaus in die klirrende Kälte.

Dick folgte uns schweigend, während der Schnee unter unseren Sohlen knirschte.

Ich dankte der Mondgöttin dafür, meine dicken Stiefel angezogen zu haben. Es war Winter, die Temperaturen lagen weit unter dem Gefrierpunkt, und das Schneehagelgemisch peitschte durch den abgewetzten Mantel.

Meine blutigen Wunden brannten, aber ich spürte bereits, wie die Haut leicht zu verschorfen begann.

Alle Null-Shifter konnten derartige Wunden innerhalb von ein paar Tagen heilen. Die Blutung meiner Rückenverletzungen hatte bereits aufgehört, und aus Erfahrung wusste ich, dass sie in etwa drei Tagen vollständig vernarbt sein würden.

Im Gegensatz zu ABOs, die keine Narben davontrugen, wies mein schwächerer Körper zahlreiche schreckliche Beweise für meine Verletzungen auf.

Die Minustemperaturen stachen auf meiner Haut, verbrannten sie mit der unnatürlichen Wärme von Erfrierungen.

Ich zitterte, aber ich würde überleben.

Wenn ein erwachsener Null-Shifter nicht die ganze Nacht in der Kälte gefangen war, würde er überleben.

Die Sicht war miserabel, und die Minuten verschwammen in einem Wirrwarr aus Weiß.

Dann schubste mich der verhüllte Kerl, der meinen Hals immer noch festhielt, nach vorne, und ich fiel in einer dicken Schneewehe auf die Knie.

Durch vereiste Wimpern blickte ich auf.

Ich kniete am Rande des Heiligen Sees.

Berge und Kiefern spiegelten sich auf dessen ruhiger Oberfläche.

Der Schnee fiel dicht und schnell, löste sich aber in der Luft auf, bevor er auf das ungefrorene Wasser treffen konnte.

Gerüchten zufolge war er vor Tausenden von Jahren, lange vor dem Krieg, von den Fae verzaubert worden.

Ich zitterte und seufzte erschöpft. Ich war abgemagerter und schwächer als jeder Null, den ich je getroffen hatte.

Jeder wusste, dass ABOs schon immer körperlich stärker und beeindruckender waren, sogar bevor sie sich verwandelten.

Das hier war ein sinnloses Unterfangen.

Der verhüllte Mann sprach mit tiefer, rauer Stimme. »Sonnengott, segne uns. Für das Biest eines Alphas färbe den halben See schwarz, für die Macht eines Betas färbe ein Viertel des Sees violett, und für den Samen eines Omegas färbe den Flussrand gelb.«

Bevor ich reagieren konnte, zog er ein langes, bösartig aussehendes Messer hervor, schlitzte meinen Arm auf und hielt ihn über den See.

Mein Unterarm brannte, als er ihn umdrehte und zudrückte.

Wie in Zeitlupe fiel mein Blut auf die silberne Oberfläche.

Eine Windböe schlug gegen die roten Tropfen. Es war, als würde die Luft eigenständig versuchen, sie zu verwehen, um die sich entfaltenden Ereignisse aufzuhalten.

Mein Blut spritzte auf das schneebedeckte Ufer.

Doch ein Tropfen küsste die Oberfläche des silbernen Sees.

Sofort färbte sich der See schwarz – bis zum letzten Tropfen.

Mitternachtsschwarz, seelenlos.

Das Schwarz eines Alphas.

Die endlose Dunkelheit des schwarzen Sees stand in starkem Kontrast zu dem reinen Weiß des verschneiten Tals.

Alphas waren gewalttätige, furchterregende und extrem seltene Wesen.

Während meine Ohren dröhnten und meine Knie zitterten, brach mir entgegen aller physikalischen Gesetze Schweiß auf jedem Zentimeter meiner gefrorenen Haut aus.

Es gab keine weiblichen Alphas.

Niemals.

Bevor ich irgendetwas tun konnte, packte Dick meinen Arm und riss mich zurück. »Jetzt bist du dran, du Hure.«

Er zerrte mich weg, aber der verhüllte Mann packte mich an den Armen und riss mich aus Dicks Fängen.

Der fremde Mann warf mich über seine Schulter und rannte in den dichten Wald. Dann hob er seine Waffe und feuerte Schüsse auf Dick ab.

Hoffentlich trafen die Kugeln ihn.

Meine Sicht verschwamm, die Bäume um mich herum drehten sich. Alphas waren wütende Psychos, die sich in furchterregende Bestien verwandelten.

Sie wurden wie Götter verehrt.

Wilde, furchterregende, psychotische, unsterbliche Götter.

Militärische Führer. Die mächtigen Wächter der Portale.

Alphas kämpften gegen Monster, weil sie selbst Monster waren. Es gab nur noch eine Handvoll von ihnen, und jeder einzelne wurde verehrt und gefürchtet.

Und plötzlich war ich einer von ihnen.

Ich hatte Mühe zu atmen, die Schulter drückte in meinen Magen, und Angst lähmte meinen Verstand.

Meine Sicht glich einem Kaleidoskop.

Dann erhaschte ich durch die dichten Kiefern einen Blick auf den See. Bis zu diesem Moment kannte ich die wahre, blutige Angst noch gar nicht.

Der See war nicht mehr schwarz.

Er war blutrot.

Der Oligarchie zufolge hatten die Fae den See verzaubert, damit er drei Farben offenbarte, und Rot gehörte nicht dazu.

Meine Augen tränten, und ein pfeifendes Geräusch drang in meine Ohren.

Ich betete, dass meine Augen mir nur einen Streich spielten.

Dann wurde ich ohnmächtig.

Ich stöhnte auf, als ich das Pochen in meinem Arm spürte. Mein Gesicht juckte heftig unter dem getrockneten Blut, und ich erinnerte mich daran, dass ich bei der Schlägerei in der Taverne einen Schlag auf die Nase abbekommen hatte.

Als ich eine Bestandsaufnahme meines schmerzenden Körpers machte, blinzelte ich mit meinen verkrusteten Augen und wünschte, ich hätte es nicht getan.

Drei gottgleiche Männer ragten über mir auf und verdunkelten den Himmel.

Sofort sträubten sich meine Nackenhaare, und ich versuchte, den Schalter umzulegen, der die Taubheit aktivierte.

Es passierte nichts.

Es schien leider erst einen Tag her zu sein, dass ich ihn benutzt hatte, aber die Taubheit brauchte mindestens eineinhalb Tage, um sich wieder aufzuladen. Manchmal sogar noch länger.

»Aufwachen, Prinzessin«, sagte einer der Götter, und meine verschwommene Sicht konzentrierte sich auf ihn.

Das Erste, was mir auffiel, waren seine riesige Statur und die mit Tattoos übersäte Haut.

Das Zweite, was mir auffiel, war sein lächerlich gutes Aussehen.

Jeder Zentimeter seiner Arme, Beine, der Brust und seines Halses war mit bunten Flammen- und Rosenmustern bedeckt.

Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie einen so stark tätowierten Mann gesehen.

Die Motive waren beeindruckend und verliehen seiner massigen Statur und seinen prallen Muskeln zusätzliche Intensität.

Doch seine Tätowierungen waren nicht das Schockierendste an ihm.

Aus dem struppigen, goldenen Haar ragten riesige Hörner heraus. Sie waren groß und dick und kringelten sich auf seinem Kopf nach oben.

Der tätowierte, gehörnte Gott beugte sich vor und schüttelte leicht meinen Arm.

Aus der Nähe betrachtet, erkannte ich seine fesselnden Gesichtszüge: ausgeprägte Wangenknochen, eine markante Kieferpartie und stechende, bernsteinfarbene Augen, die mich anfunkelten.

Ja, der gehörnte Mann war angsteinflößend.

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich ihm eine reinhauen und um mein Leben rennen sollte, denn kein Mann sollte so groß, gut aussehend und cool sein.

Ich wich zurück, als der gehörnte Gott mit einer hochgezogenen Augenbraue auf mich herabstarrte.

Der Nebel in meinem Kopf löste sich auf, und ich erkannte, dass ich rückwärts über eine Schneewehe kroch. Ich zitterte und mir war verdammt kalt.

Mein einziger Schutz war mein schwerer Mantel.

Das Gute war, dass Dick nicht mit einem Gürtel über mir stand, und auch die Wunden auf meinem Rücken brannten nicht mehr.

Ich bewegte meine Schulterblätter und seufzte erleichtert, als mein Rücken nicht schmerzerfüllt aufschrie. Die Wunden waren größtenteils verheilt.

Das Schlechte war, dass ein anderer Gott, wie ich ihn noch nie gesehen hatte, über mir stand. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Männer Hörner haben konnten.

Hatte ich endgültig den Verstand verloren?

Halluzinierte ich gerade?

»Wo zum Teufel bin ich?« Meine gebrochene Stimme war laut und rau, und meine trockene Kehle ließ mich husten.

Ich verschränkte die Finger hinter dem Rücken und betete, dass er nicht im Jenseits sagen würde, denn ich war psychisch nicht darauf vorbereitet, zu sterben.

Klar, mein Leben war scheiße, aber es wäre auch scheiße gewesen, als Jungfrau sterben zu müssen. Das wäre einfach nur peinlich.

»Spiel keine Spielchen mit uns«, sagte der tätowierte Gott mit tiefer, rauer Stimme, bei deren Klang sich mein Unterleib ein wenig zusammenzog.

Er wich einen Schritt zurück, als ich mich auf die Beine kämpfte und von ihm weg stolperte.

Er hatte nicht bestätigt, dass ich noch nicht tot war, und ich hatte nicht vor, mich von einem finsteren Gott des Jenseits angreifen zu lassen.

Als ich weiter stolperte, schaute ich mich um.

Und plötzlich wünschte ich mir doch, tot zu sein.

Wen interessierte es schon, ob ich noch Jungfrau war? Enthaltsamkeit war doch eigentlich auch ganz cool.

Vor mir ragte eine gewaltige graue Festung in den Himmel. Sie wurde von einer hohen Backsteinmauer umgeben, hinter der sich der Wald zu allen Seiten erstreckte.

Auf der Mauer standen Wachen mit massiven Maschinengewehren in den Händen.

Die großen schwarzen Waffen leuchteten unter ihrem Zauber hellblau auf, und jede einzelne war direkt auf mich gerichtet.

Ein Teil von mir fühlte sich geschmeichelt, dass sie dachten, sie bräuchten so viel Feuerkraft, um mich auszuschalten.

Doch der größere Teil von mir hätte sich fast in die Hose gemacht und angefangen, wie ein Baby zu heulen. Denn irgendjemand hatte meinen dürren Arsch auf dem Vorplatz einer Festung abgeladen.

Im gesamten Shifter-Reich gab es nur wenige Festungen, und jeder wusste, dass sie sich in der Nähe der Portale befanden, die in das Fae-Reich führten.

Sie lagen versteckt in abgelegenen, bergigen Tälern, und ihre Standorte waren streng geheim.

Die Portale glichen Schlachtfeldern, auf denen Alphas und Betas gegen Faemonster kämpften und sie davon abhielten, in unser Reich einzudringen.

Die Festungen beherbergten die Soldaten, die dort trainierten und kämpften.

Ich befand mich auf dem Vorhof eines Kriegsgeländes, an der Frontlinie eines Krieges zwischen Monstern.

Theoretisch war das eine gute Sache. Wenn ich in der Nähe eines Portals war, könnte ich von diesem beschissenen Ort fliehen.

Doch in Wirklichkeit war es ein Albtraum.

Lucinda war immer noch in der Schule, und jetzt hatte ich keine Ahnung, wie ich zu ihr kommen sollte. Ich konnte nicht ohne meine kleine Schwester durch ein Portal fliehen.

Dann wählte mein träges Gehirn genau diesen Moment, um sich an die Ereignisse am See zu erinnern.

Wie eine starke, unabhängige Frau kippte ich nach vorn und erbrach mich in den Schnee. Ich hatte nicht viel im Magen, konnte mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte.

Ich würgte dramatisch und verschluckte mich an meiner Spucke, während ich mit gekrümmtem Rücken vor den drei Göttern hockte. Das war nicht mein glorreichster Augenblick.

»Widerliche, erbärmliche Kreatur«, spottete jemand neben dem tätowierten Mann.

Ich machte den Fehler, den Blick zum Gesicht des zweiten Mannes zu heben.

Heilige Scheiße.

Er war umwerfend.

Er sah aus wie die antike Marmorstatue eines Helden, und seine Haut war so blass, dass die hellen türkisfarbenen Adern darunter schimmerten.

Eine dunkle Haarsträhne fiel ihm in die smaragdgrünen Augen – sie waren noch dunkler und gleichzeitig leuchtender als die Nadelbäume im Wald hinter ihm.

Die Gesichtszüge des gehörnten Gottes waren so hart, dass sie einschüchternd wirkten, aber dieser blasse Gott verfügte über eine klassische Schönheit.

Er war wie eine Statue des Sonnengottes, wie ein Gemälde eines Engels aus dem sagenumwobenen Götterreich, wie ein nerviger Mistkerl, der sich für absolut hinreißend hielt.

Er hatte eine kräftige Kieferpartie, eisige Wangenknochen, eine gerade Nase und einen verruchten, sündigen Mund, der mich hämisch angrinste.

Und das Sahnehäubchen waren Hunderte von Smaragden und Diamanten, die mit seiner Haut verschmolzen und fantastisch glitzerten.

Die kleinen Juwelen schmückten seine Wangenknochen und krochen seitlich an seinem Hals hinunter.

»Sind wir ein wenig besessen?« Seine perfekte Oberlippe verzog sich angewidert nach oben.

Jep, alle Männer waren scheiße.

»Ich bin nur verwirrt, warum deine Haut mit Steinen überzogen ist. Das ist seltsam.« Ich warf mir die Haare über die Schulter und tat so, als wären seine Juwelen nicht das Schönste, was ich je gesehen hatte.

Leider war mein weißes Haar ein gefrorenes Rattennest, was den erwünschten Effekt zunichtemachte.

Mein Magen zwickte, und ich dachte an die kleinen Ratten in der Taverne zurück.

Ich hoffte, dass sie ohne mich zurechtkommen würden. Bestimmt vermissten sie ihre Mommy.

Ja, ich hatte mich selbst zur Mutter der Ratten ernannt.

Es war eine seltene, mächtige Rolle, die nur die stärksten Frauen innehaben konnten. Oder diejenigen mit ausreichend Zugang zu Käse.

Wie auch immer, sie waren meine Babys, und ich vermisste sie.

Ich hörte auf, mir Gedanken über meine Ratten zu machen, als der gehörnte Mann einen Schritt auf mich zu machte.

Ich wich zwei Schritte zurück.

Er und der blasse Kerl hatten ausgeprägte Muskeln und waren verdammt groß.

Beide waren mindestens dreißig Zentimeter größer als ich und sicher dreimal so breit.

Im Gegensatz zu mir waren sie so gebaut, als würden sie fünfzehn Mahlzeiten am Tag essen und zum Spaß Felsbrocken durch die Gegend werfen.

Irgendwie war das ein wenig peinlich für sie. Sie sahen aus, als hätten sie sich viel zu sehr angestrengt und wären süchtig nach Sport. Gar nicht süß.

Trotzdem legte ich mich nicht mit ihnen an.

Mein Training bestand hauptsächlich darin, Biergläser zu den Gästen zu schleppen und gegen Dick zu kämpfen.

Erst letzte Woche hatte ich ein ganzes Tablett mit Biergläsern fallen lassen, weil sich mein Bizeps beim Tragen verkrampft hatte.

Körperliche Finesse gehörte nicht zu meinen Stärken.

Ich betrachtete die Maschinengewehre und die Männer vor mir. Die beste Chance hätte ich gegen die Gewehre.

Ich musste nur zur Mauer sprinten, sie erklimmen, die Wachen abwehren, auf der anderen Seite hinunter springen und zur Baumgrenze laufen.

Ich seufzte schwer und fragte mich, wen ich in meinem früheren Leben verärgert hatte, denn dieses Leben lief alles andere als gut.

»Ganz ruhig, Ascher. Kein Grund, sie zu erschrecken.« Ein dritter Mann trat aus dem Schatten der Mauer hervor.

Offenbar hieß der gehörnte Mann Ascher.

Und dieser neue Mann hatte ganz offensichtlich seinen Zwilling im Mutterleib gefressen. Mir fiel keine andere Möglichkeit ein, wie jemand so massiv hätte sein können.

Ich wich zurück und machte mir vor Schreck fast in die Hose, als er ganz ins Licht trat.

Ich war zu einhundert Prozent am Arsch.

Die dritte Bestie schaffte es tatsächlich, die beiden anderen Männer nur noch durchschnittlich aussehen zu lassen.

Eine fantastische Leistung, denn bis jetzt waren sie die stärksten und größten Männer gewesen, die ich je gesehen hatte. Noch viel größer als Dick.

Mein Verstand hatte einen Kurzschluss, und ich trat einen weiteren Schritt zurück.

Dieser Mann hatte dunkle Haut. Lange Zöpfe hingen ihm bis zum Bizeps und waren mit zahlreichen Ketten und Goldornamenten geschmückt.

Die Ketten funkelten im eisigen Wind und wehten um seine Taille.

Außerdem trug er goldene Stifte in den Ohren, und seine breite Nase wurde von einem goldenen Ring geziert.

Soweit ich wusste, trugen Shifter keine Piercings, weil die extremen Temperaturen sie mit unserer Haut verschmelzen würden.

Dieses absolute Mammut von einem Mann sah gut aus.

Ich war ein bisschen neidisch; die Piercings waren hübsch.

Hohe Wangenknochen, volle Lippen und umwerfende graue Augen vervollständigten das hübsche Bild.

Seine Gesichtszüge waren nicht so rau wie die der anderen Männer, was ihn hätte sanfter wirken lassen müssen.

Das war jedoch nicht der Fall.

Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der so groß war. Es schien nahezu unmöglich für jemanden zu sein, eine solche Größe zu erreichen.

Ganze Berge von Muskeln türmten sich an seinem Körper und dehnten sein eng anliegendes langärmeliges Shirt.

Mit den prallen Muskeln, die zu groß waren, um echt zu sein, wirkte er wie die Zeichnung eines Comic-Helden.

Und doch ragte er vor mir auf. Lebendig, in Fleisch und Blut.

Mein Nacken schmerzte, als ich zu ihm aufblickte.

Ich schätzte, dass er über zweihundert Kilo wog und beinahe einen halben Meter größer war als ich.

Ein Schlag von ihm würde mich auf der Stelle töten.

»Mein Name ist Jax. Was treibst du hier an Portal drei?« Er machte einen langsamen Schritt auf mich zu und streckte die Hände aus, als wäre ich ein verwundetes Tier, das er nicht verschrecken wollte.

»Ich weiß es nicht.«

»Lügnerin. Niemand kennt diesen Ort.« Ascher starrte mich an, seine bernsteinfarbenen Augen brannten wie Feuer, während sich seine Brust hob. Flammentattoos züngelten über seinen Hals und wanderten seine hohen Wangenknochen hinauf.

»Vielleicht ist sie eine Spionin.« Der blasse Mann, auf dessen Haut die Diamanten und Smaragde schimmerten, schlenderte im Kreis um mich herum. Er sperrte mich ein.

Mein Bauchgefühl schrie mich an, wegzulaufen. Seine Stimme klang eiskalt, und seine tiefgrünen Augen waren tot – vollkommen seelenlos.

Ihm war anzusehen, wie grausam er war.

»Bleib zurück, Cobra.« Jax streckte seine Hand aus und hielt Cobra davon ab, mich weiter zu umkreisen wie ein Raubtier, das seine Beute in die Enge getrieben hatte.

Cobra war ein passender Name für den wunderschönen, blassen Mann. Er bewegte sich so anmutig, fast so, als würde er über den Schnee gleiten. Unter seinen Füßen ertönte kein eisiges Knirschen.

»Du hast keine Ahnung, warum du hier bist? Das erscheint mir zweifelhaft. Wir haben dich zusammengebrochen in unserem Vorhof gefunden. Irgendwie musst du durch das Tor gekommen sein. Erkläre dich.« Jax grinste nicht und tat auch nichts Einschüchterndes. Er verschränkte einfach lässig seine Arme und spannte sie kurz an.

Mein Blick blieb an seinen Armen hängen; ihr Umfang war doppelt so groß wie der meiner Oberschenkel.

»Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich am Heiligen See geprüft wurde«, sagte ich leise, meine ständig heisere Stimme klang rau.

»Bist du eine neue Beta? Unsere Truppen sind gerade geschwächt, das wäre also gut. Obwohl du unscheinbar klein bist. Nichts für ungut«, sagte Jax und zog eine Grimasse, während der Schmuck in seinem Haar klimperte.

Sein großer Körper verdeckte die rote Sonne, und ich versuchte, mich unauffällig von den drei Männern zu entfernen.

»Ähm, ich bin keine Beta.« Mein Herz hämmerte und mein Kopf schien sich zu drehen.

»Alphas, bitte! Es gibt eine Nachricht von der Oligarchie. Alphas, es ist dringend!« Ein großer, aber dünner Junge stürmte aus der Eingangstür der Festung und rannte über den Hof, als hätte er Feuer am Arsch.

Ich machte noch einen Schritt zurück, in der Hoffnung, dass ich über die Mauer verschwinden könnte, während sie abgelenkt waren.

Alphas.

Das ergab Sinn.

Alle Gerüchte besagten, dass sie furchterregend und psychotisch seien, anders als jeder Beta oder Null-Shifter.

Eine Kraft für sich.

Diese Männer waren Naturgewalten. Sie glichen einem eisigen Schneesturm, der alles gefrieren ließ, was sich ihm in den Weg stellte.

Langsam schlich ich mich in den Schatten, als Jax vortrat, um mit dem verzweifelten Jungen zu reden.

Jax schien ihr Anführer zu sein, auch das ergab Sinn. Er war buchstäblich ein Berg. Außerdem funkelten seine Augen nicht ganz so verrückt wie die der anderen beiden. Er schien rationaler zu sein.

»Tss, tss. Glaubt ihr, die kleine Spionin ist auf der Flucht? Könnte die Faekönigin sie geschickt haben?«, fragte Cobra an Ascher gerichtet. Seine warme Hand schlang sich um meinen Hals und drückte ihn sanft.

Auch in seine Finger waren kleine Juwelen eingebettet, und dort, wo sie sich in meinen Hals bohrten, breitete sich ein Brennen aus.

Cobras Haut war warm, aber die Diamanten waren kalt.

Noch nie zuvor hatte ich mich von Männern anfassen lassen. Niemals.

»Lass mich los.« Ich trat mit der Ferse so fest wie möglich auf seinen Fußrücken und stieß meinen Ellbogen gegen seine Brust.

Anstatt mich loszulassen oder gar vor Schmerz aufzuschreien, lachte Cobra nur. Es war ein seidenweiches Glucksen.

Der Griff um meinen Hals wurde fester, und ich sah Sternchen hinter meinen Augen tanzen. Mein Ellbogen brannte schmerzhaft an der Stelle, an der er mit seinen Brustmuskeln zusammengestoßen war.

»Was ist los, Zed?«, fragte Jax den Jungen, der jetzt auf die Knie gefallen war und keuchte, als wäre er um sein Leben gerannt.

»Die Oligarchie hat gerade eine dringende Nachricht geschickt. Das Mädchen ist eine Alpha. Sie ist die nächste Alpha. Sie haben es bestätigt. Tut ihr nicht weh!« Der Junge, Zed, zeigte auf mich und sah erschrocken aus, als befürchtete er, dass Cobra mir das Genick brechen könnte.

Ich hätte es ihm durchaus zugetraut.

»Mein Name ist Sadie, nicht Mädchen.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, einschüchternd zu wirken, was schwierig war, da immer noch eine Hand um meinen Hals lag.

»Blödsinn.« Cobra ließ meinen Hals los und schob mich von sich, als hätte er sich plötzlich verbrannt.

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er damit nicht meinen Namen meinte, sondern das, was Zed soeben verkündet hatte.

»Auf gar keinen Fall ist diese Prinzessin hier ein Alpha. Es gibt keine weiblichen Alphas. Sie müssen sich irren.« Ascher stampfte frustriert mit dem Fuß auf und fuhr sich mit der Hand über eines seiner Hörner.

Das Feuer in seinen bernsteinfarbenen Augen verriet, was für ein Hitzkopf er war.

An Leute wie ihn war ich gewöhnt: Riesenbabys, die ihre Wut an allen anderen ausließen.

»Bist du dir sicher?« Jax neigte den Kopf zur Seite und musterte mich, als suchte er nach einem Anzeichen dafür, dass ich ein psychotisches Alphatier war, das sich in eine Bestie verwandeln konnte.

»Ja, die Oligarchie hat es bestätigt!«, sagte Zed und deutete auf mich wie auf eine kaputte Gabel, die er verkaufen wollte. Es war keine leichte Aufgabe.

Jax nickte, als hätte er eine Entscheidung gefällt. »Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können. Wir bringen sie rein und testen ihr Durchhaltevermögen.«

»Unmöglich«, sagte Ascher.

Gleichzeitig lachte Cobra auf. »Wir werden sie umbringen.«

Alle drei Alphas stapften in Richtung der Festung, ohne sich darum zu scheren, ob ich ihnen folgte.

Sie sahen mich nicht als Bedrohung an.

Zed kam auf mich zu. Seine großen braunen Augen waren freundlich, als er mich aufrichtig anlächelte. Eine seltene Eigenschaft in der Welt der Shifter.

»Es tut mir leid«, sagte er. »Wir fühlen uns geehrt, eine weitere Alpha an Portal drei willkommen zu heißen. Es ist viele Jahre her, dass ein neuer gefunden wurde. Ich bin ein Null-Shifter. Es ist eine große Sache, ein Alpha zu sein. Gratuliere.«

»Ich glaube, der Heilige See hat einen Fehler gemacht«, sagte ich und rieb mir den Nacken, als wir uns auf den Weg machten, den Alphas zu folgen.

Mir war wirklich nicht nach Feiern zumute.

Der Körper eines Alphas wäre nicht mit Narben übersät; er wäre stark genug, sich selbst zu schützen.

»Der See macht keine Fehler. Ich habe ein gutes Gefühl dabei, dich hier zu haben.« Zed klopfte mir auf den Rücken, und ich hatte Mühe, nicht zusammenzuzucken, als er eine der noch heilenden Gürtelwunden traf.

Ich wich seiner Berührung aus, und er senkte rasch die Hand.

Der Junge war furchtbar darin, die Lage richtig einzuschätzen.

Auch wenn ich es nicht schätzte, wenn mich ein anderer Mann berührte, genoss ich seine unbeholfene Unterstützung. Das war besser als der Hass und die Gleichgültigkeit der Alphas.

Als wir das Gebäude betraten, wurde eines offensichtlich: Die Festung war überwältigend groß. Es musste Hunderte von Räumen und Gängen geben.

»Was für eine Kreatur bist du denn, Prinzessin?«, fragte Ascher spöttisch, während er mit der Hand über seine schwarzen Hörner strich.

Ich betrat ein Trainingszimmer, den wohl größten Raum, den ich je gesehen hatte.

Der Boden war mit blauen und rosafarbenen Matten ausgelegt, und entlang der Wände gab es eine Laufbahn.

Auf der anderen Seite der Trainingshalle standen etwa dreißig Soldatinnen und Soldaten und dehnten sich.

»Was?«, fragte ich verwirrt. Die schiere Größe des Raumes und die Gruppe kräftig aussehender Soldaten hatten mich abgelenkt.

Alle drei Alphas starrten mich erwartungsvoll an.

»In welche Bestie verwandelst du dich? Was ist deine Alpha-Gestalt?«, sagte Jax geduldig.

»Wahrscheinlich ein Kätzchen.« Cobra stieß Jax mit dem Ellbogen an und lachte. Es war kein angenehmer Laut.

Zed war verschwunden, als ich die Trainingshalle betreten hatte, und ich wünschte mir, er würde noch immer neben mir stehen. Seine Anwesenheit war irgendwie beruhigend gewesen, ganz im Gegensatz zu der Energie, die diese Alphas ausstrahlten.

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Mein Körper war nicht so massiv wie die der drei Alphas.

Ich hatte keine Juwelen auf der Haut wie Cobra, keine Hörner wie Ascher und erst recht keine übermenschliche Muskelkraft wie Jax. Im Gegensatz zu den Alphas waren Omegas nicht für ihre körperlichen Fähigkeiten bekannt und verwandelten sich nur in kleine, weniger bedrohliche Bestien.

Es wäre weniger schockierend, wenn ich eine Omega wäre und mich in ein kleines Tier verwandeln würde, wie einen flauschigen Waschbären oder eine Ratte.

Alphas waren riesige Biester, und ich war nur eine kleine Schlampe – körperlich, nicht gefühlsmäßig. Offensichtlich.

»Nun, zu ihrem Glück hilft Gewalt, die zweite Gestalt eines Alphas zu enthüllen.« Cobra ließ seinen Hals knacken, das Geräusch hallte in dem großen Raum wider, dann grinste er Ascher an. Der gehörnte Alpha grinste zurück.

Ich fühlte mich nicht so, als hätte ich gerade besonders viel Glück.

Und ich verstand nicht, warum Cobra immer wieder über mich sprach, ohne direkt mit mir zu reden.

Das war seltsam.

Jax fuhr sich frustriert mit der Hand über das Gesicht. »Normalerweise lassen wir unsere Alphagestalten nicht in die Sporthalle, weil sie … einschüchternd sein können. Heute machen wir eine Ausnahme, damit wir sehen können, ob deine Gestalt zum Vorschein kommt.«

Mein Magen rutschte mir bis in die Zehenspitzen. »Ich glaube, da liegt ein Irrtum vor. Ich werde einfach wieder gehen.«

Als ich mich umdrehte, stieß ich mit Ascher zusammen.

Er bewegte sich schnell, und sein großer, gehörnter Kopf versperrte die Tür, als er mit harter Miene auf mich herabblickte.

Aus der Nähe konnte ich seine Alphapheromone wahrnehmen, sein betörender Duft ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Ascher roch nach Kiefern, es war ein reichhaltiges, moschusartiges Aroma, bei dem sich meine Zehen kräuselten.

Er beugte sich vor, und seine Nasenflügel weiteten sich, als würde er mich ebenfalls einatmen.

Seine bernsteinfarbenen Augen loderten vor Wut. »Du kannst nicht weglaufen. Du wolltest das hier, verdammt. Also bekommst du es auch.«

Sein köstlicher Duft passte leider gar nicht zu seiner nervigen Persönlichkeit.

»Ich wollte gar nichts«, sagte ich angewidert.

Jax seufzte schwer. »Du solltest dich jetzt lieber dehnen.«

Cobra lächelte mich an, was in seinem wunderschönen Gesicht geradezu boshaft aussah.

Als Ascher mich vorwärts stieß, stolperte ich und ging zu Boden.

Auf Händen und Knien stellte ich fest, dass die Matten nicht wirklich blau und rosafarben waren.

Sie waren alle blau – einige waren nur rosa verfärbt.

Von Blut.

Der Schalter in meinem Gehirn legte sich um.

Die Taubheit hatte sich wieder aufgeladen.

---ENDE DER LESEPROBE---