Bonds of Hercules - Jasmine Mas - E-Book

Bonds of Hercules E-Book

Jasmine Mas

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Beschreibung

Götter, Monster und Geheimnisse: Kannst du der Versuchung widerstehen? Die Fortsetzung der heißesten Dark-Romantasy-Reihe auf Tiktok in opulenter Ausstattung und Farbschnitt - mit stark veredeltem Schutzumschlag - mit gestaltetem und bedrucktem Einband - mit bedrucktem Vor- und Nachsatz - mit limitiertem Motiv-Farbschnitt Alexis hat sich in Sparta den Ruf einer unbarmherzigen, gefährlichen Kriegerin erworben. Das verlockt nicht wenige Männer, ihr Glück bei Alexis zu versuchen. Kharon und Augustus, die beiden düsteren Götter der Unterwelt geben sich jede Mühe ihr zu gefallen. Doch auch Alexis attraktive Mentoren Achilles und Patro sind sich auf einmal sicher, dass sie und Alexis füreinander bestimmt sind. Es sieht so aus, als müsste zwischen den Göttern wählen - aber ist das wirklich eine gute Idee? Den vier verliebten Göttern aus dem Weg zu gehen, ist leider keine Option. Denn als Chthonische Erbin ist es Alexis' Pflicht, dem mörderischen Dream Team, der Assembly of Death beizutreten und mit ihnen den Kampf gegen die Titanen aufzunehmen. Alexis ist umgeben von dunklen Göttern, die ihr immer näher kommen, und Geheimnissen, deren tödliches Netz sich immer enger um sie zieht. Für Fans von Scarlett St. Clair, Katee Robert, Callie Hart und Sarah A. Parker. Der perfekte Pageturner mit all unseren Lieblingstropes: Antike Götter - why choose - reverse harem - morally grey love interest - villain gets the girl - who did this to you - touch her and die - forbidden love - training sequence - animal companion Herrlich sarkastische Wortgefechte, fesselnde Action und natürlich unwiderstehliche Villains. Bestseller-Autorin Jasmine Mas erschafft mit den Figuren der antiken Mythologie eine ganz neue Welt. »Ich bin komplett süchtig nach Jasmine Mas' Büchern und ihrem Humor.« Hannah »Macht wahnsinnig Spaß.« Beatrice »ICH BIN VERLIEBT in dieses Buch!« Olganna »Ich hab das Buch an einem Tag verschlungen.« Laura »Ich würde dem Buch am liebsten mehr als 5 Sterne geben.« Rola »Ich konnte es einfach nicht weglegen.« Livi »Für dieses Buch habe ich viele Stunden Schlaf geopfert.« Adria

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Seitenzahl: 706

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jasmine Mas

Bonds of Hercules

Liebe das Monster in mir

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Kira Wolf-Marz

 

Über dieses Buch

 

 

Alexis hat sich in Sparta den Ruf einer unbarmherzigen, gefährlichen Kriegerin erworben. Das verlockt nicht wenige Männer, ihr Glück bei Alexis zu versuchen.

Kharon und Augustus, die beiden düsteren Götter der Unterwelt geben sich jede Mühe, ihr zu gefallen. Doch auch Alexis attraktive Mentoren Achilles und Patro sind sich auf einmal sicher, dass sie und Alexis füreinander bestimmt sind. Es sieht so aus, als müsste sie zwischen den Göttern wählen – aber ist das wirklich eine gute Idee? Den vier verliebten Göttern aus dem Weg zu gehen, ist leider keine Option. Denn als Chthonische Erbin ist es Alexis‘ Pflicht, dem mörderischen Dream Team, der Assembly of Death, beizutreten und mit ihnen den Kampf gegen die Titanen aufzunehmen.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Jasmine Mas studierte Jura und Altertumswissenschaften und ist Bestsellerautorin von Romantasy-Romanen. Sie schreibt gerne über starke Frauenfiguren in magischen Welten – am liebsten stellt sie düsteren Männern sarkastische Frauen gegenüber. Wenn sie nicht schreibt, liest sie Harry-Potter-Fanfiction. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Katze Boo-Boo in Florida.

 

Kira Wolf-Marz ist 2011 durch einen glücklichen Zufall in die Verlagswelt gestolpert, hat vierzehn Romane veröffentlicht und ist außerdem seit 2018 freiberuflicher Übersetzer. Seitdem hat Kira über knapp sechzig Titel übersetzt und arbeitet fleißig daran, das eigene Portfolio genauso breit zu gestalten wie die heimische Bücherwand.

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Copyright © 2025 by Jasmine Mas

Published by Arrangement with WC PUBLISHING LLC

c/o THE WHALEN AGENCY LTD., 500 Post Rd East, 2nd Fl., Ste. 240, Westport, CT 06880 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe: © 2025 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Lektorat: Deborah Exner

Covergestaltung: www.buerosued.de, unter Verwendung von Abbildungen von iStock und Shutterstock und nach einer Idee von Steamy Designs, Parkland, und Harlequin Enterprises ULC.

ISBN 978-3-10-492257-7

 

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Inhalt

[Widmung]

[Triggerwarnung]

Die 12 Häuser von Sparta

Stammbaum der Chthonischen Häuser

Die Chthonischen Männer: Statistik

Augustus

Kharon

Patro

Achilles

[Motto]

Die teilweise verschleierte Prophezeiung der Moire

1 Die Überlebende

2 Der Jäger

3 Die Gejagte

4 Der älteste Erbe

5 Im Haus des Kriegs

6 Waffen und was man sonst zum Vorspiel braucht

7 Der Liebhaber

8 Männer auf Knien

9 Vergiftete Zungen

10 Gebärdensprache

11 Der Drache

12 Kampf auf Leben und Tod und andere weibliche Bestrebungen

13 Der Jäger

14 Der älteste Erbe

15 Die Berührung Satans

16 Dein Schmerz ist mein

17 Der Jäger

18 Der Preis der Macht

19 Dämonen in der Dunkelheit

20 Der älteste Erbe

21 Omen und Warnungen

22 Feinde auf Knien

23 Der Jäger

24 Der älteste Erbe

25 Ein Massaker der Macht

26 Wandelbare Bestien

27 Sexuelle Spannungen und andere Drogen

28 Es beginnt schleichend

29 Eröffnungszeremonien und Gemetzel

30 Der älteste Erbe

31 Die Spiele beginnen

32 Elektrisierende Spannung

33 Das Versprechen einer Sirene

34 Die Schlachten, die wir schlagen

35 Die wahren Spiele beginnen

36 Wie man sich bettet

37 Dämonen in Männergestalt

38 Verführerische Angebote

39 Die Schutzheiligen der Sünde

40 Der Jäger

41 Der älteste Erbe

42 Der Jäger

43 Die zwölf Aufgaben der Hercules

44 Die zwölf Aufgaben der Hercules, Fortsetzung

45 Wer hat dir das angetan?

46 Befragungen

47 Das Inkognito wird gelüftet

48 Medusa

49 Die Versammlung des Bunds

50 Verdorben

51 Die Sünden der Väter

52 Der Liebhaber

53 Der Drache

Die vollständige Prophezeiung der Moire

Danksagung

Dieses Buch ist all denen gewidmet, die nächtelang Fanfictions über Beziehungen lesen, bei denen sie sich fragen: »Geht’s mir eigentlich gut?«

Dieser Roman ist für euch.

Content Note

Dieses Buch enthält ausführliche Gewaltdarstellungen, derbe Sprache und eine kurze Andeutung sexualisierter Gewalt. Bitte pass beim Lesen gut auf dich auf.

Die 12 Häuser von Sparta

Olympische Häuser

 

Das Haus Zeus

Das Haus Hera

Das Haus Athene

Das Haus Hermes

Das Haus Poseidon

Das Haus Demeter

Das Haus Apollo

Das Haus Dionysos

Chthonische Häuser

 

Das Haus Ares

Das Haus Hades

Das Haus Artemis

Das Haus Aphrodite

Stammbaum der Chthonischen Häuser

Die Chthonischen Männer: Statistik

Augustus

Name: Augustus, Erbe von Haus Ares

Spitznamen: Der älteste chthonische Erbe. Erbe vom Haus des Kriegs. Der Diplomat.

Abstammung: Vater Ares, Oberhaupt Haus Ares. Mutter Aphrodite, Oberhaupt Haus Aphrodite.

Hauszuordnung: chthonisch

Größe: 2,00 Meter

Gewicht: 115,5 Kilogramm

Geburtstag: 1. August 2067

Kraft: Geistiger Zwang, geistige Vernichtung

Tierischer Beschützer: Waschbär (tollwütig)

Macht-Ranking: 85 von 100

Beschäftigung: Mitglied der Assembly of Death. Hat zusammen mit Patro, Achilles und Kharon den Waffenhersteller WSDL gegründet. Hauptanteilseigner.

Vermögen: 6 Milliarden Dollar

Kharon

Name: Kharon, Erbe von Haus Artemis

Spitznamen: Der Jäger. Killer. Soziopath. Hades’ Lieblingssoldat. Der Fährmann.

Abstammung: Mutter Artemis, Oberhaupt Haus Artemis. Vater Erebos, uraltes dunkles Wesen.

Hauszuordnung: chthonisch

Größe: 1,98 Meter

Gewicht: 120 Kilogramm

Geburtstag: 1. Februar 2073

Kraft: Emotionale Manipulation, Berührung nötig

Tierischer Beschützer: zwei Höllenhunde

Macht-Ranking: 70 von 100

Beschäftigung: Mitglied der Assembly of Death. Hat zusammen mit Patro, Augustus und Achilles den Waffenhersteller WSDL gegründet.

Vermögen: 4 Milliarden Dollar

Patro

Name: Patroklos

Spitznamen: Patro. Der Sohn des Sex. Anführer des Crimson Duo. Der perfekte Mann. Achilles’ Bändiger.

Abstammung: Mutter Aphrodite, Oberhaupt Haus Aphrodite. Vater menschlich.

Hauszuordnung: chthonisch

Größe: 1,95 Meter

Gewicht: 109 Kilogramm

Geburtstag: 23. August 2078

Kraft: Lügen enttarnen, Berührung nötig

Tierischer Beschützer: Nemeischer Jaguar

Macht-Ranking: 70 von 100

Beschäftigung: Mitglied der Assembly of Death. Hat zusammen mit Achilles, Augustus und Kharon den Waffenhersteller WSDL gegründet.

Vermögen: 3,5 Milliarden Dollar

Achilles

Name: Achilles

Spitznamen: Sohn des Kriegs. Der Killer. Das Biest des Crimson Duos.

Abstammung: Vater Ares, Oberhaupt Haus Ares. Mutter menschlich.

Hauszuordnung: chthonisch

Größe: 2,04 Meter

Gewicht: 132 Kilogramm

Geburtstag: 23. März 2077

Kraft: Folter durch Stimmeinfluss, Details unbekannt

Tierischer Beschützer: Wolf

Macht-Ranking: 95 von 100

Beschäftigung: Mitglied der Assembly of Death. Hat zusammen mit Patro, Augustus und Kharon den Waffenhersteller WSDL gegründet.

Vermögen: 3 Milliarden

Agathokakologisch

(Adjektiv, griechische Wortherkunft)

aus Gutem wie aus Bösem erwachsen

 

Laut griechischer Mythologie wurden die Menschen ursprünglich als Wesen mit vier Armen, vier Beinen und einem Kopf, der zwei Gesichter aufwies, erschaffen. Aus Angst vor ihrer Macht zerschlug Zeus sie in zwei Teile und verdammte sie so dazu, ihr ganzes Leben lang nach ihrer anderen Hälfte zu suchen.

 

Nach Platons Symposion

Die teilweise verschleierte Prophezeiung der Moire

Moire: Eines Tages in der Zukunft

Ich legte den Kopf in den Nacken und sog an meiner Pfeife, um den Rauch der Kräuter tief in meine uralte Lunge zu ziehen.

Symbole, Zahlen und Buchstaben vermengten sich vor meinem inneren Auge zu unsinnigen Mustern – jedes einzelne ein Tropfen Wasser inmitten eines brodelnden Meers. Die Augen verdrehend, entfesselte ich endgültig meine Macht und konzentrierte mich auf die reißende Strömung, die mich umfing.

Einzelne Tropfen brachen glitzernd daraus hervor, erhoben sich über die aufgewühlte See, stoben auseinander und flüsterten mir zu:

Wer einst verloren, muss ändern, was war Vergangenheit;

Gekettet an des Todes Soldaten, erkoren für die Ewigkeit;

Ihr … ahfseng iht … wird … der … Vier …;

…, …, gnna und die Schlange aus einer … Zeit.

 

Wer einst in Ketten lag, macht das lauernde Böse offenbar;

Hgachhhec fvb … den Männern nhadfgt, … klar;

Bis … Lsafhba djjfj, was des Krieges Ausgang war.

 

Das Monster soll heilen, gehegt statt zerstört;

Auf dass bwf vfjalsdbf sein … Brüllen …

Ich riss die Augen auf.

Über mir öffnete der Himmel seine Schleusen, und Regen prasselte mir ins Gesicht.

Zum ersten Mal seit Jahren waren die kryptischen Worte, die mir enthüllt worden waren, auch hinterher noch verworren und verschleiert. Die Unvollständigkeit des Pfads fühlte sich falsch an, zerrte an mir und hinterließ ein Gefühl tiefer Unruhe.

Die Pfeife fiel mir aus den geöffneten Lippen, während ich schwankend meine Toga umkrallte.

Das konnte nur eines bedeuten: Es gab noch jemanden, der auf die Worte der Vorsehung zugreifen konnte. Einen weiteren Spartaner, der die Gabe des Schicksals nicht nur besaß, sondern auch die seltene Fähigkeit hatte, sie zu beherrschen.

Schon wieder war es zu einem Ereignis gekommen, das nur mit einer Chance von eins zu einer Million eintrat.

Das änderte alles.

1Die Überlebende

Alexis: Kreta, Mai 2100

War der menschliche Kollateralschaden vermeidbar?«, fragte Persephone leise, als Hades durch die Haustür kam. Seine Stiefel waren mit tiefrotem Blut getränkt.

Lachend küsste er sie auf die Stirn. »Die Mission war ein voller Erfolg.«

Auch Wochen später quälte mich die Erinnerung an dieses Gespräch noch.

Das Blut von Titanen war schwarz.

Er hatte ihre Frage wohlweislich nicht beantwortet.

Nun wich ich langsam vor dem ausgedehnten Palast von Haus Hades zurück.

Der uralte Marmorkomplex thronte auf einem Hügel auf der Insel Kreta, umgeben vom Ägäischen Meer. Im Westen ging in einem Kranz aus flammendem Orange die Sonne unter. Insekten schwirrten umher.

»Bitte, Schatz. Du musst das nicht tun«, raunte Persephone. Charlie stand mit ernster Miene neben ihr. Hydra, ihr tierischer Beschützer in Drachengestalt, kauerte auf ihrer Schulter und stieß zusammen mit einem klagenden Ruf einen Feuerstrahl aus. Die Flammen hoben sich hell von der Dunkelheit ab.

Die Falten auf Persephones Stirn wurden tiefer.

Ein grelles Klingeln erschallte, und ich neigte den Kopf, um meine Mutter besser erkennen zu können.

Nach wie vor kannte nur Charlie mein Geheimnis: Ich war auf dem linken Auge blind, und auch mein linkes Ohr hatte dauerhaften Schaden genommen. Meine von Gewalt geprägte Kindheit hatte ihre Spuren hinterlassen.

Sie hatte mich zu dem gemacht, was ich heute war.

In meinem Kopf dröhnte eine Sinfonie aus den Schreien Sterbender. Ich selbst hatte sie abgeschlachtet.

Du bist nicht böse, Alexis.

Eigentlich hieß ich Hercules.

Doch, bist du.

Ich knirschte mit den Zähnen.

Nichts davon war echt.

Oh doch, ist es.

Ich hatte nur zwanzig Jahre gebraucht, um den Verstand zu verlieren.

Persephones Finger wurden weiß, als sie sich an Charlies Arm klammerte. Ihre Togen peitschten in der frühlingswarmen Meeresbrise.

Im Licht der untergehenden Sonne brandeten die Wellen wie Schatten an die Küste. Die Nacht war hereingebrochen.

Ich schob den Ärmel meines Umhangs zurück. Mit einem falschen Lächeln auf den Lippen drückte ich sanft die Buchstaben ›C+A‹, die krakelig auf meinen Unterarm tätowiert waren. Persephones neueste Geschenke an mich – zwei elegante goldene Armreifen – bedeckten meine vernarbten Handgelenke. Mein Ehearmband schlug klirrend gegen einen von ihnen.

Charlie nickte mir aus seiner schlaksigen Höhe entschlossen zu. Der Ausdruck seiner gelben Augen war sanft, als er die Geste erwiderte.

Nyx regte sich unter den losen Falten meiner Trainingstoga. Ihr Griff um meinen Oberkörper war fester als üblich. Fluffy junior stieß ein leises Winseln aus und kauerte sich vor meine Füße. Unsere Beschützerverbindung bebte.

Beklemmung kribbelte in meinem Nacken.

Jeder meiner Instinkte schrie mir entgegen, mich an Charlie festzuklammern. In einer perfekten Welt würde ich nie von seiner Seite weichen. In einer perfekten Welt wäre ich ein Mensch.

Aber das war ich nicht. Das hier war Sparta.

Bitte, Gott. Rette meine arme Seele.

Die Flammen der Fackeln im Eingangsbereich des Palasts warfen verzerrte Schatten auf unsere Gesichter: Mutter, Tochter und frisch adoptierter Sohn.

Für meine Erlösung war es viel zu spät.

»Ich weiß genau, wie du dich fühlst.« Persephones Stimme hallte leise nach. Sie grub die nackten Zehen in das kurze Gras, das mit Felsen darum rang, die Landschaft schmücken zu dürfen. »Deine Angst und deine Wut hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack in der Erde. Ich kann deine … Impulse schmecken.«

Sie wollte nett sein. Daher verzichtete sie darauf, vor Charlie das ganze Ausmaß meiner Schande zu enthüllen. Aber die Panik war ihr anzusehen. Sie schmeckte mein Delirium. Sie wusste, dass mein mörderisches Blut mich bei lebendigem Leib kochte und langsam meine Gedanken zum Schmelzen brachte.

In meiner Vorstellung schüttete Pater John mir Weihwasser ins Gesicht. »Du bist besessen«, zischte er mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen. »Du bist eine von ihnen. Eine Abscheulichkeit.«

Zustimmend und ziemlich deprimiert nickte ich.

»Reiß dich zusammen, Alexis!« Persephones Stimme vibrierte vor Macht.

Ich fuhr zusammen und kehrte in die Gegenwart zurück.

Pater John war irgendwo in Montana. Ich war auf Kreta und am Hyperventilieren.

Die Gesegneten und die Verfluchten lebten unter denselben Sternen.

»Alexis, bitte!«, drängte Persephone. Die blonden Locken unter ihrer goldenen Lorbeerkrone hoben sich, als sie ihre Kräfte einsetzte, um mit dem Land zu kommunizieren.

Ihre Mutter war Demeter, aber ihr Vater war Iasion, ein grauenerregendes dunkles Wesen, das angeblich Macht über die Pflanzenwelt besaß – sie schlug ganz nach ihm.

Persephone war sanft und fürsorglich, aber ihre Kräfte konnten einen vor Angst erstarren lassen.

Worauf ich hinauswollte: Ich verlor gerade den Verstand, und sie konnte es buchstäblich fühlen.

In den letzten Monaten hatte ich auf Kreta gelebt, um Satan und der Inkarnation des Bösen (meinen Ehemännern) aus dem Weg zu gehen und wenigstens einen Funken meiner geistigen Gesundheit wiederzufinden. (Den suchte ich immer noch.) In dieser Zeit hatte ich erfahren, dass die Insel nicht Haus Hades gehörte, wie fälschlicherweise allgemein angenommen wurde.

Kreta war nicht Hades’ Eigentum, sondern Persephones.

Ihre eheliche Verbindung hatte die Macht, die ihrer Wesensabstammung entsprang, in etwas Heimtückisches verwandelt. Persephone war mit ihr tief in den felsigen Boden eingedrungen und hatte das Land für sich beansprucht. Sie konnte jede Person, jedes Tier und jede Pflanze, die damit in Berührung kam, im wahrsten Sinne des Worts spüren. Je länger jemand blieb, desto besser konnte sie sich auf denjenigen einstimmen. Deshalb konnte man ihr hier nichts vormachen, und das war auch der Grund, warum die Insel abgesehen von meinen Eltern verlassen war.

Niemand aus Sparta kam je zu Besuch. Niemals.

»Diese hässlichen Empfindungen machen dir so zu schaffen, Tochter … Bitte, lass dich nicht von ihnen leiten«, sagte Persephone langsam. Sie wählte ihre Worte mit Bedacht. »Du kannst dein Leben in Sicherheit verbringen. Die Zeit deiner Kämpfe kann hier und jetzt enden.«

Ihre Locken trotzten der Schwerkraft und stiegen immer höher.

»Der Bund kann dich nicht zwingen, Mitglied der Assembly of Death zu werden«, verkündete sie. Hydra stieß einmal mehr brüllend eine orangefarbene Flamme aus. »Sie können dich nicht von diesem Land wegholen.« Im Drachenfeuer war die Liebe in ihrem Blick deutlich zu erkennen. »Verbring dein Leben hier bei uns, in Sicherheit. Sei besser als die, die dir weh getan haben.«

Alles, was ich mir je gewünscht hatte, war ein ruhiges, einfaches Leben für Charlie und mich. Essen, ein Bett und ein Dach über unseren Köpfen. Die Freiheit, meine Tage mit Lernen und Studieren zu verbringen.

Was sie mir anbot, war der Himmel auf Erden.

Aber nach zwanzig quälenden Jahren auf dieser Welt hatte ich endlich die Wahrheit akzeptiert: Ich war nicht für ein behagliches Leben bestimmt. Es war mein Schicksal, denen weh zu tun, die mich hatten leiden lassen.

Ich würde Sparta eine Lektion erteilen. Ich würde meine Macht beherrschen lernen oder bei dem Versuch sterben. Wahrscheinlich eher Letzteres.

Der Grat zwischen Buße und Rache war schmal, und ich war jetzt schon im Begriff, das Gleichgewicht zu verlieren.

Macht hallte in Persephones Stimme wider. »Wenn du diesen Pfad beschreitest, wirst du es nicht leicht haben, Alexis. Deine Seele wird einen hohen Preis zahlen, aber ich glaube an dich. Du kannst ihn aufbringen. Aber denk daran: Du wirst hinterher nicht mehr dieselbe sein. Unsere Welt ist nicht besonders freundlich.«

Ich zog mir die Kapuze meines neuen Umhangs über die mit Rubinen besetzte Stachelkrone. »Meine war das auch nicht.«

Ich hatte jetzt schon alles verloren: meine Freiheit, jede Moral und meine Menschlichkeit.

Allumfassendes Grauen drohte mich zu ersticken, so dass ich mich von Persephone und Charlie abwandte und den Hügel hinunterrannte, bevor ich endgültig den Mut verlor. Fluffy junior folgte mir als Schemen zerrupften Fells.

Am Ende der Rasenfläche erwartete mich Hades. Cerberus saß neben ihm und wandte mir alle drei Köpfe zu. Ihm hingen die Zungen aus den Mäulern, und seine Schwänze wedelten aufgeregt.

Fluffy junior stürzte sich auf ihn, und sie kugelten zusammen durchs Gras. Inzwischen waren sie fast gleich groß.

Hades schüttelte angesichts ihrer Spielereien den Kopf.

Tintenschwarzer Nebel umwaberte in unheilvollen Schwaden seine bleiche Haut und die lange schwarze Toga. Neue Stimmen, die seiner Macht entsprangen, schlossen sich der Sinfonie in mir an.

»Sie versteht nicht, wie es ist«, durchbrach Hades leise die Stille. »Ihre Kraft ist nicht so … ruhelos wie unsere. Wir sind für die Schlacht geschaffen.«

Er streckte die Hand nach mir aus – ich wich stolpernd zurück. Er würde mir nie weh tun, aber jahrelanger Missbrauch ließen sich nicht einfach ungeschehen machen. Wenn jemand sich schnell auf einen zubewegt, weicht man aus. Und zwar immer.

Hades ließ die Hand sinken, in seinen dunklen Augen tobte die Wut – der Nebel verdichtete sich um unser herum und stürzte die Welt in Kälte –, und die Schreie wurden lauter.

Er stieß die Luft aus, und der kreischende Nebel zog sich zurück.

Wellen brandeten hörbar gegen die Felsen der Insel. Die normale Geräuschkulisse war wieder da.

Hades presste die Lippen zusammen. »Halt dich an das, was ich dir in den letzten Monaten beigebracht habe. Wenn man in Sparta überleben will, kommt es auf zwei Elemente an: Macht und Angst. Du musst lernen, deine eher … komplizierten Empfindungen anzunehmen und für dich zu nutzen. Vor den geistig Gesunden hat niemand Angst.«

Ich nickte, aber mein Kopf fühlte sich an, als gehöre er auf die Schultern einer anderen.

»Für Spartaner wie uns gibt es nur zwei Möglichkeiten, im Leben etwas zu erreichen«, fuhr er leise fort. »Entweder wir laufen davor weg, wer wir sind, oder wir bauen darauf auf und werden zu … Legenden.« Seine schwarzen Augen loderten auf. »Wir sind diejenigen, die Sparta gestalten. Deine Macht ist pures Gift. Du wirst bei der Gladiator Competition Großartiges leisten.«

Am liebsten hätte ich geweint.

Hades’ Tonfall war eindringlich. »Du hast von der Assembly of Death nichts zu befürchten. Du bist meine Tochter. Sie werden lernen, dich zu fürchten.« Er lächelte wehmütig. »Unser beider Blut fließt in deinen Adern.« Mit liebevoller Miene sah er den Hang hinauf zu Persephone. »Du bist unser Wunderkind.«

Ich versuchte zu lächeln, aber meine Lippen gehorchten nicht.

Ich will das nicht.

Hades richtete seine lange Toga. »Hast du deine Waffen?«

Mit zitternden Fingern berührte ich das neue Lederholster an meinen Hüften und nickte.

»Und erinnerst du dich an alles, was ich dir über die Jagd der Assembly of Death erklärt habe?«, fragte er. »Letztendlich ist das Ganze nichts als Schikane.«

»Ich denke sch-schon.«

»Perfekt.« Hades ließ die Rückenwirbel knacken. »Ich kann es nicht erwarten, dich diesen Sommer im Kolosseum kämpfen zu sehen, Tochter.«

Ich muss es tun.

Ich würde meine Ehemänner dafür zahlen lassen, dass sie mir diese Falle gestellt hatten.

Hades trat einen Schritt näher. »Du und ich, wir sind die gefährlichsten Spartaner der Welt. Aber Gefahr ist nichts ohne Macht – und Macht kann ohne Angst nicht existieren … Sorg dafür, dass sie dich fürchten, Tochter.« Seine Stimme sackte eine Oktave in die Tiefe, als plane er, mich in ein finsteres Geheimnis einzuweihen. »Was habe ich dir beigebracht? Wiederhol es. Ein letztes Mal, bevor wir springen.«

Er sah erwartungsvoll auf mich herab.

»Vor den geistig Gesunden hat niemand Angst.« Meine Lippen waren taub.

Zu denen gehörst du jetzt schon nicht, und du bist die Einzige, die Angst vor dir hat.

»Vergiss das nie«, sagte Hades, dann streckte er einen Arm aus und warf einen vielsagenden Blick darauf.

Ich legte meine zitternde Hand auf seine. Die Ranken seiner finsteren Macht schlangen sich erst um meinen Unterarm, dann um meinen ganzen Körper.

Das Haus Hades stand für das Böse, und ich war seine geliebte Tochter.

»Domus.« Hades’ Stimme verhallte, als Dunkelheit um uns herum explodierte.

Boom.

Die Landschaft veränderte sich.

Zum zweiten Mal in meinem Leben betrat ich die Hölle. Dieses Mal freiwillig.

Rauch wogte zu meinen Füßen. Blasses Mondlicht fiel durch den eisüberzogenen Wald, und eine kalte Brise zerrte an unseren Togen.

Hades ließ meinen Arm los und trat beiseite.

Ein langgezogenes, geometrisch gestaltetes tiefschwarzes Gebäude erhob sich unscheinbar zwischen den Schatten der schneebedeckten Bäume – der inoffizielle Außenposten der Assembly of Death.

Sechs chthonische Meuchelmörder standen davor.

Ort: Sibirien.

Jedes Härchen an meinem Körper richtete sich auf.

Zwei der Männer wirkten besonders gewalttätig. Ihre messerscharfen Blicke streiften seitlich über mein Gesicht.

Vor drei Monaten hatten sie mich auf einen Altar gelegt. Sie hatten vor mir gekniet und meinem Körper mit weichen Lippen und ehrfürchtigen Berührungen gehuldigt.

Jetzt schlug mir in harschen Wogen ihr Gift entgegen, beißender, als der eisige Wind je sein könnte. Sie waren zornige Götter, die sich als Männer tarnten.

Lauf um dein Leben!, kreischte meine innere Stimme.

Aber ich hatte das Weglaufen satt.

Ich drückte den Rücken durch, womit ich ihre unnatürlich steife Haltung nachahmte, und tat so, als würden die Chthonier mich kein bisschen einschüchtern. Unter ihren Achseln und an den Oberschenkeln spannten sich Holster über den schwarzen T-Shirts und Cargohosen. Auf ihren Köpfen saßen spartanische Helme.

Uralte Krieger, verkleidet als moderne Killer, bereit, ein neues Mitglied in ihren Kult einzuführen.

Ich war bereit.

Nö, bist du nicht.

Ich ignorierte die Stimme der Vernunft. Sie hatte hier keinen Platz.

Das ländliche Montana hatte mich auf genau zwei Situationen vorbereitet: darauf, meine Organe auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, und auf das Leben in einer Sekte. Aus irgendeinem Grund boten dunkle Zeiten den perfekten Nährboden für unangenehme Gruppierungen, die sich liebend gern gefährlichen Aktivitäten widmeten.

Nyx wand sich unter meiner Toga. »Es ist so kalt. Ich will sterben«, zischte sie. Ihre innere Stärke war die reinste Inspiration. Nicht.

Hades regte sich neben mir. Cerberus stand ruhig und stoisch an seiner Seite.

Fluffy junior dagegen wühlte im Schnee. Mit aufgerichteten Ohren biss er in einen Ast und rammte ihn sich in die Kehle.

Nicht jetzt.

Alle sahen zu, wie mein Beschützer vor sich hinwürgte. Schließlich – ich wollte gerade eingreifen – brachte er ein Stück halbaufgefressene Rinde hervor und sah sich schwanzwedelnd zu mir um.

Gott bürdet nur seinen stärksten Soldaten die schwersten Kämpfe auf.

Ich flehte verzweifelt um den Tod, als ein vertrautes Schnauben ertönte.

Aus alter Gewohnheit sah ich mich nach dem Verursacher um, bevor mir wieder einfiel, dass das überhaupt keine gute Idee war.

Lieber Himmel.

Der Teufel hatte mein Gebet erhört.

Der Blick gletscherblauer Augen traf meinen, und die Temperatur im Wald fiel schlagartig ins Bodenlose. Kalte Klauen gruben sich in mein Brustbein und schienen Frostbeulen darauf zu hinterlassen.

Kharons Mundwinkel hoben sich, in seinem Blick brannte das unausgesprochene Versprechen eines Raubtiers. ›Furia‹ blitzte es vor mir auf, das Tattoo bildete einen scharfen Kontrast zu seiner blassen Kehle. Getrocknetes Blut klebte rund um seinen Mund, und er hatte sich die Fingernägel schwarz lackiert. Die Holster hoben sich auf geradezu obszöne Weise von seinen kräftigen Oberschenkeln und den wie gemeißelt wirkenden Linien seines durchtrainierten Oberkörpers ab. Die Tätowierung auf seinem rechten Arm weckte die Illusion, dass die Knochen an die Oberfläche getreten waren und sich auf der Haut abzeichneten.

Die Zeit verrann langsamer.

»Süße«, formte er lautlos mit rot verschmierten Lippen. »Ich bin zu Hause.«

Mir blieb das Herz stehen.

Vollständiger Zusammenbruch des Herzkreislaufsystems.

Ich hatte vergessen, wie es sich anfühlte, seinem Blick zu begegnen. Ich hatte vergessen, wie jede meiner Zellen in elendem Entsetzen erstarrte, während ein tiefsitzender, animalischer Instinkt in mir brüllte, mich sofort von ihm zu entfernen. Ich hatte auch den spöttischen Gruß vergessen, den er jedes Mal rief, wenn er auf Korfu ankam.

Jetzt fiel mir alles wieder ein.

»Hallo, carissima«, fügte er ebenso stumm hinzu. Seine Haltung hatte etwas Feindseliges an sich, seine Miene war verächtlich.

Raubtiere stehen darauf, mit ihrer Beute zu spielen.

Vor mir stand der Jäger. Ein Wesen, das zu gottloser Verdorbenheit fähig war, und es wollte nur eins: mich.

Ich sah zu Boden und wandte mich leicht ab, damit er in meinem toten Winkel verschwand. Es kam mir vor, als würde ich jeden Moment vor Panik ohnmächtig werden.

Er suchte nach einer Schwäche, konnte es gar nicht erwarten, mich zu manipulieren.

Für ihn ging es um nichts anderes als um Macht, um den nächsten Kick.

Er darf nie von meinem Auge und meinem Ohr erfahren.

Zwei Höllenhunde saßen zu Kharons Füßen. Ihre Knochen waren mal sichtbar, mal nicht, als würden sie von einer Welt in die andere gleiten. Türkise Flammen tanzten in ihren Augenhöhlen.

Sie hätten nicht sichtbar sein dürfen.

»Alexis«, erklang ein seidenweicher Bariton. »Sieh mich an.«

Ich gehorchte.

Aus schwarzen Augen musterte Augustus mich von Kopf bis Fuß. Es war, als würde er mich mit seinem Blick streicheln, während er zugleich nach Verletzungen Ausschau hielt.

Mein Name hing bedeutungsschwer zwischen uns in der eiskalten Luft – drei winzige Silben, und doch gelang es ihm, ihn wie den abstoßendsten aller Flüche klingen zu lassen. Das schaffte er immer.

Mitternachtsaugen suchten meinen Blick. Ich keuchte.

Augustus wirkte ausgehungert.

Die schwarzweißen Haare fielen ihm lose über den Rücken, einzelne Strähne umspielten seine breiten Schultern. Unter dem Helm war ein kleines Stück seiner scharlachroten Narbe zu sehen.

Die Sehnen in seinem Hals spannten sich an und traten hervor.

Gefahr, kreischte mein Unterbewusstsein. Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren.

Blutrot flutete das Weiße in Augustus’ Augen, als er seine chthonischen Kräfte wachrief.

Er schien hingerissen.

Kharon neben ihm leckte sich bedächtig die Lippen.

Die Welt verblasste. Auf einmal gab es nur noch uns drei in diesem verschneiten Wald, zwei gefährliche Ungeheuer und ihre widerstrebende Ehefrau. Ein Trio, das über eine Reihe tödlicher Fähigkeiten verfügte.

Absolute Macht korrumpiert absolut. Aber nicht einmal Lord Acton hätte sich die verkommene Macht der Chthonier vorstellen können.

Ein Tropfen Blut löste sich von Augustus’ Wimpern, rann ihm wie eine Träne übers Gesicht und verschwand unter dem Wangenschirm seines Helms.

So etwas habe ich noch nie gesehen, nicht mal bei einem Chthonier.

Er wird in meinen Verstand eindringen und ihn zerfetzen.

Blankes Entsetzen erfasste mich. Schon während der Feuerprobe hatte er sich gewaltsam Zutritt in meinen Kopf verschafft und mir seinen Willen aufgezwungen. Er könnte es jederzeit wieder tun.

LAUF!

Augustus war ein Monster.

Das bist du auch.

Poco kreischte und klammerte sich mit schwarzen Pfoten um Augustus’ Hals, als er ihm auf die Schulter kletterte. Die Schnurrhaare des Waschbären bebten, in seinen schwarzen Augen blitzte es.

Augustus regte sich nicht. Er starrte mich nur aus tränenden, blutigen Augen an.

Mit zitternden Fingern rieb ich mir die Brust, wo unser noch neuer Ehebund summte. Die Verbindung, die unsere Macht stärken sollte. Eine Verbindung wie jene, die Persephones beängstigende Kraft hervorgebracht hatte.

Augustus und Kharon waren schon jeder für sich eine unbeugsame Macht. Man konnte nicht vor ihnen fliehen. Es gab kein Versteck, in dem sie mich nicht irgendwann finden würden, und nicht einmal auf Kreta war ich vor ihnen sicher. Das spürte ich ganz tief in meinem Inneren.

Ich sah mich um, um mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf die beiden dunklen Götter, mit denen ich meine Seele vereint hatte. Äste knarrten schaurig im Wind.

In meinem Nacken kribbelte es, denn meine Ehemänner waren nicht die Einzigen, die mich anstarrten.

Neben ihnen standen Achilles und Patro und betrachteten mich mit einer Eindringlichkeit, die schon fast an Wahnsinn grenzte.

Meine Mentoren.

Achilles’ Blick war finster. Eine Zigarette hing aus dem Gitter seines Maulkorbs. Rauch umspielte sein Gesicht, rote Augen leuchteten hell hinter den Schwaden. Er hatte sich die Haare streng zurückgebunden, und auf seinen Knöcheln prangten die Buchstaben ›DEATH‹. Seine Anwesenheit war wie ein loderndes Feuer im eisigen Wald.

Nero, sein gewaltiger, zotteliger schwarzer Wolf, dessen Augen ebenso rot waren wie Achilles’, saß gehorsam neben ihm.

Patro lächelte überheblich und lehnte lässig an seinem Liebhaber. Poppae, seine schlanke Jaguar-Begleiterin, ließ den Schwanz hin und her peitschen. Ihre smaragdgrünen Augen funkelten.

Mir schnürte sich die Kehle zu. Schützend berührte ich meinen Hals.

Ich bin von Raubtieren umgeben.

Hastig wandte ich mich den übrigen Wartenden zu.

Hermos und Agatha standen ganz am Ende der Reihe. Beide waren dunkle Wesen, die chthonisches Blut in den Adern hatten. Hermos stammte von den berüchtigten Gorgonen ab. Agatha dagegen war eine Empusa, eine seltene Form von Gestaltwandlerin, die Männer fraß.

Ich fand sie inspirierend.

Boom.

Etwas Riesiges materialisierte sich auf der Lichtung und entlockte mir einen gellenden Schrei. Sobald der Rauch verschwand, gab er den Blick auf eine Frau auf einem monströsen schwarzen Pferd frei, die mir einen höhnischen Blick zuwarf. Um sie herum schimmerten blutrote Tröpfchen in der Luft.

Artemis.

Eisblaue Augen spähten an einer aristokratisch wirkenden Nase herab. Die Luft um sie herum war mit Angst gesättigt: Ihre Macht hatte Gestalt angenommen und umgab sie wie ein glitzernd roter Schleier – eine Manifestation unermesslichen Schreckens.

Das gewaltige Pferd tänzelte auf der Stelle.

Doch Artemis war nicht allein gekommen: Eine vertraute, untersetzte Gestalt in schwarzer Trainingstoga stand zwischen den Bäumen.

Nein.

Das kann nicht sein.

Drex zuckte verlegen die Schultern, während sein goldener Tukan aufgeregt mit den Flügeln schlug.

»Aber d-du bist doch Olympier«, entfuhr es mir ungläubig.

Offiziell lautete die Aufgabe der Assembly of Death, der Bedrohung durch die Titanen Herr zu werden. Doch in Wirklichkeit ging es nur darum, die Chthonier zu unterdrücken und zu bestrafen, nachdem sie den Großen Krieg verloren hatten.

Drex kam näher. »Die Olympier haben mich ins Exil geschickt, weil Theros mein Mentor war.« Seine Stimme brach. »Ich hatte keine Wahl. Aber hier kann ich wenigstens gegen die Titanen kämpfen … mit dir.«

In Sparta herrschte seit Theros’ Verrat und anschließendem Verschwinden immer noch große Unruhe. Laut den ›Falcon Chronicles‹ hatte Ceres, eine Muse aus der Bibliothek der Feuerprobe, Theros geholfen, mich und eine Reihe Erben von Haus Zeus zu entführen. Sie war es gewesen, die die Warnungen in meine Schulbücher geschmuggelt hatte. Nachdem der Artikel erschienen war, war auch Ceres spurlos verschwunden.

»Ich komm schon klar«, flüsterte Drex. »Vielleicht.« Er verengte die Augen. »Hoffentlich?«

Wir sind so was von tot.

»Wir sind hier«, verkündete Artemis, »um zwei neue Rekruten willkommen zu heißen. Eine chthonische Tochter und den ersten … Idioten, der sich je freiwillig hat einberufen lassen.«

Sie fletschte die Zähne. In ihren Augen flackerte der Wahnsinn, als sie einen blutbespritzten Bogen hob und auf den Vollmond zielte.

Jepp, das ist eindeutig Kharons (Karens) Mutter.

»Diesen August bei der Spartan Gladiator Competition werden wir unsere Macht demonstrieren und Angst in die Herzen der Olympier säen.«

Sie feuerte einen Pfeil in den Himmel.

Bitte lass ihn mich treffen.

Mit einem dumpfen Laut fiel ein Eichhörnchen aus den obersten Ästen eines Baums.

Okay, Arthritis (Artemis) muss aufgehalten werden.

Artemis wendete ihr Pferd, um uns anzusehen. »Gemäß der Tradition, Pheidippides aus dem Haus Ares zu ehren, werden euch unsere jüngsten Mitglieder fünfundzwanzig Meilen weit durch den Wald jagen.«

Hat die etwa Blut an den Zähnen?

»Sie werden euch eine ganze Stunde Zeit lassen, bevor sie sich auf eure Spur setzen.« Artemis schnaubte, als wäre das ihrer Meinung nach viel zu viel. »Solange ihr im Wald seid, ist es euch verboten, zu teleportieren oder euch zu wehren. Egal, wie viele Kugeln ihr euch einfangt.« Sie lächelte grausam. »Wenn ihr es nicht schafft, aus dem Wald zu entkommen, und euch erwischen lasst, werdet ihr getötet.«

Drex wimmerte.

Oh, cool, Arthritis sieht richtig begeistert aus.

Hades schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.

Er hatte mir das Ganze bereits erklärt und behauptet, dass immer alle überlebten, aber bei Artemis klang es, als wäre unser Ableben ein sehr wahrscheinlicher Ausgang, für den sie im Zweifelsfall persönlich sorgen würde.

»Wenn ihr den Wald hinter euch gelassen habt, dürft ihr wieder springen«, sagte sie beiläufig, als wäre es gar nicht weiter nötig, das zu erwähnen, weil wir bis dahin eh tot sein würden.

»Wenn ihr beim ersten Licht des Morgens nicht gefangen genommen worden seid, gehört ihr zur Assembly of Death und dürft euch einen Partner für eure erste Mission aussuchen. Wenn ihr erwischt werdet, werden die beiden Spartaner, die euch gefangen haben, diese Rolle übernehmen.«

Kharon zeigte die Zähne, und Augustus grinste. Aus seinen Augen rann nach wie vor Blut.

Achilles dehnte den Nacken nach links und rechts. Der Maulkorb verbarg seinen Gesichtsausdruck und damit jede Gefühlsregung, doch Patro zwinkerte mir selbstgefällig zu.

Artemis erhob den blutverschmierten Bogen. »LAUFT UM EUER LEBEN!«

Das musste sie Drex und mir nicht zweimal sagen. Wir machten auf dem Absatz kehrt und rannten auf die verschneiten Bäume zu.

2Der Jäger

Kharon

Hell und Hound jagten vor mir durch den dunklen Wald. Ab und zu blitzten ihre Knochen zwischen den weiß bedeckten Bäumen auf.

Augustus rannte neben mir her.

Der Himmel öffnete sich, gefrorener Regen prasselte auf uns herab und hüllte die Umgebung in eine tückische Eisschicht. Eine verdammt riskante Nacht für eine Jagd.

Altes Narbengewebe und das deformierte Gelenk in meinem kaputten rechten Knie protestierten. Seitdem Alexis uns verlassen hatte, verlor ich mit jedem Tag mehr die Kontrolle. Wir hatten die Hochzeit vorangetrieben, um das Ehegesetz nicht zu verletzen, da ich am 1. Februar siebenundzwanzig geworden war.

Wir hatten Alexis gejagt, und doch war sie uns entkommen.

Du bist eine einzige Enttäuschung.

Finstere Erinnerungen würgten mich.

Ich war achtzehn gewesen, als Artemis und Erebos mich zur SGC geschickt hatten. Ich sollte mich beweisen und allen zeigen, wie stark ihr Wunderkind war.

Aber stattdessen hatte ich das Unverzeihliche getan: Ich hatte verloren.

Geschlagen und verletzt lag ich keuchend im heißen Sand. Mein rechtes Bein war so zerfetzt, dass Knochensplitter daraus hervorragten, und auf meiner Brust zeichneten sich blutige Brandmale ab. Schließlich robbte ich auf die Arme gestützt aus dem Dolomiten-Kolosseum und brach in den Katakomben zusammen.

Ich wimmerte vor Schmerzen und verlor immer wieder das Bewusstsein, während ich auf meine Eltern wartete. Niemand kam.

Als ich irgendwann aufwachte, ragte Artemis über mir auf. Mit angewiderter Miene erklärte sie: »Du bist nicht mein Sohn.«

Das war das letzte Mal, das wir miteinander gesprochen hatten. Offiziell – und um vor den Olympiern das Gesicht zu wahren – gehörte ich immer noch zum Haus Artemis. Inoffiziell war ich entehrt.

Wenn Augustus mich nicht aufgenommen und mir geholfen hätte, mich auf die Feuerprobe vorzubereiten … Ich weiß nicht, was ich getan hätte.

Denk nicht darüber nach.

Ich konzentrierte mich wieder auf die Gegenwart, auf die Jagd.

Mit gesenktem Kopf rief ich meine Kräfte wach. Die Verbindung zu meinen Beschützern vibrierte in meiner Brust. Im vollen Lauf drängte ich mein Bewusstsein in das meiner Höllenhunde und verband mich mit ihren Sinnen, die so viel schärfer waren als meine.

Mit einem Mal erstrahlte der Wald vor mir in grellem Neongrün. Unsere Verbindung hatte mir Nachtsicht beschert. Gleichzeitig stieg mir ein rauchiger Vanillegeruch in die Nase. Ich nahm ihn tief in mich auf.

Ich hatte diesen Geruch schon einmal inhaliert. Und zwar vor genau neunundneunzig Tagen, zwölf Stunden und dreißig Minuten, als ich mit der Zunge über Alexis’ herrliche goldbraune Haut geglitten war.

»Sie schaffen es nicht rechtzeitig bis zur Lichtung«, stellte Augustus stoisch fest und sah sich sichernd in alle Richtungen um.

Er war mein Jagdgefährte.

Romantische Liebe gab es zwischen uns nicht. Wir balancierten auf dem schmalen Grat zwischen Freundschaft und bedingungsloser Hingabe. Alexis war neuerdings der Leim, der die Lücke dazwischen überbrückte.

»Ihr werdet nie gewinnen«, flötete Patro spöttisch. Er war uns dicht auf den Fersen. »Alex hasst euch.«

Scheiß auf ihn.

Früher hatte ich ihn als Bruder betrachtet.

Patro lachte finster.

Jetzt nicht mehr.

Augustus schaute sich grimmig nach den herannahenden Chthoniern um. In seinen Augen brannte reine Mordlust, während Blut wie Tränen daraus hervorrann. Diese Entwicklung war neu.

Seitdem der Ehebund sich gefestigt hatte, waren unsere Kräfte explosiver als je zuvor. Gewaltiger, aber auch quälender. Wir hatten alles bekommen, was wir uns je gewünscht hatten, und es war die reinste Folter.

Vor uns, vielleicht ein paar Dutzend Meter entfernt, zeichneten sich zwei dunkle Umhänge flatternd vor den Bäumen ab.

Versuchen sie es überhaupt?

Alexis und Drex kamen nur im Schneckentempo voran und schienen jetzt schon am Ende zu sein. Verfluchte Scheiße, es war doch nur ein popeliger Marathon. Die paar Meilen.

Das Licht verfing sich in zerzausten goldenen Locken.

Alexis warf hektisch einen Blick über die rechte Schulter. In ihrer Angst riss sie die Augen auf – eines war dunkel, das andere weiß – und fixierte mich.

Ein elektrischer Schlag jagte durch meine Brust, als unsere Verbindung aufflammte.

Schmerzerfüllt verzog Alexis das Gesicht. Sie taumelte kurz, wandte sich wieder ab und wich in letzter Sekunde einem Baum aus.

»Sei vorsichtig, verdammt nochmal!«, brüllte ich. »Pass auf, wo du hinläufst!«

»Mach dir um ihn keine Gedanken, mein süßer Schützling«, rief Patro höhnisch. »Achilles und ich sind hier und kommen dich holen.«

Hermos schrie Agatha etwas zu. Den Bruchteil einer Sekunde später drang ein Klicken an meine Ohren: Jemand hatte eine Waffe entsichert.

Wie in Zeitlupe drehte Augustus sich um. In seinen weit aufgerissenen schwarzen Augen zeigte sich das pure Entsetzen.

Pop. Pop. Pop. Pop. Pop.

Mündungsfeuer erhellte die Nacht, Rinde platzte von Baumstämmen.

Zwei Kugeln schlugen in Drex’ Arm ein und brachten ihn zum Stolpern.

Sofort packte Alexis ihn an der Toga und zerrte ihn hinter sich her, während sie im wilden Zickzack zwischen den Bäumen entlanghetzte.

Ihre Führung schmolz wie Eis in der Sonne.

Noch zwölf Meter.

Patro rief etwas, und Agatha brüllte zurück, doch ihre Worte wurden vom Wind verschluckt.

Alexis zog Drex ruckartig näher an sich heran und legte sich einen seiner Arme über die Schultern. Halb rannte sie, halb schleppte sie ihn durch den dunklen Wald, wobei sein Blut ihren Körper besudelte.

»LASS IHN ZURÜCK!«, schrie ich.

Aber Alexis umfasste den verletzten Jungen umso fester und half ihm weiter durchs Unterholz.

Wieder Mündungsfeuer.

Pop.

Eine Erschütterung ging durch Alexis’ Körper und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Ein schmerzerfülltes Keuchen hallte zu uns herüber. Als sie sich über das Bein wischte, färbten ihre Handschuhe sich rot.

Der Geruch von Kupfer verpestete die Luft.

Als Alexis nach Drex’ verletztem Arm griff, schrie er vor Schmerzen. Nichtsdestotrotz zerrte sie ihn weiter durch die verbliebenen Bäume. Ich konnte den Blick nicht von ihrem Bein abwenden, denn in ihrer rechten Wade steckte eine Kugel.

Die. Haben. Meine. Frau. Angeschossen!

Augustus bellte etwas.

Patro schrie.

Ein eigentümlicher Schmerz versengte mein Bein.

Schnell schaute ich mich um. Hermos, dieser widerliche Gorgone, hielt eine Waffe in der ausgestreckten Hand. Aus dem Lauf stieg Qualm auf. Er hatte meine Frau mit einer der spartanischen Waffen angeschossen, die ich entworfen hatte.

Mit Typen wie ihm kannte ich mich aus.

Die Ausbilder im Haus Aphrodite waren alle Gorgonen gewesen. Sie hatten Patro als Kind gefoltert, einfach, weil es ihnen einen Mordsspaß machte. Er hatte es ihren sadistischen Bräuchen zu verdanken, dass er heute so verdreht war.

»Sieh zu, dass du zuerst bei ihr bist«, rief er seinem Geliebten zu.

Achilles legte an Tempo zu, auf seinem Maulkorb hatte sich Eis gebildet.

Aber Augustus ließ sich nicht abhängen und erhöhte ebenfalls die Geschwindigkeit.

Die beiden Giganten aus dem Haus Ares schossen Seite an Seite dahin. Sie bewegten sich so schnell, dass ihre Umrisse verschwammen. Schneller als jeder andere Chthonier. Sie waren der Inbegriff der Macht.

»Kümmer dich um Hermos – oder ich vernichte ihn … dauerhaft«, befahl Augustus. Inzwischen rann ihm in einem endlosen Strom Blut aus den Augen, während er voranstürmte und dabei die Äste, die ihm im Weg waren, zum Splittern brachte.

Ich wirbelte herum, blieb mit erhobenen Waffen stehen und feuerte aus kürzester Entfernung.

Pop. Pop. Pop.

Hermos blieb nicht mal genug Zeit zum Blinzeln. Die Kugeln drangen zielsicher in seinen Schädel ein – ins Auge, den Mund und die Stirn – und ließen sein Gehirn explodieren. Sein verbleibender Schwung schleuderte ihn über das Eis, bis er gegen einen Baum prallte.

Ich stapfte zu ihm und trat ihm brutal den spartanischen Helm vom Kopf.

»Wofür war das denn, verdammte Scheiße?«, kreischte Agatha, kam taumelnd zum Stehen und kniete sich neben ihren gefallenen Gefährten.

Meine Brust hob und senkte sich schwer vor Wut. »Er hat auf meine Frau geschossen!«

Agatha barg Hermos’ blutbesudelten Schlangenkopf in den Händen. Ihr Gesicht wechselte hektisch zwischen dem einer Frau und einer Dämonin hin und her. »Ja und? Das sind nun mal die Regeln!«

»Sie ist meine Frau!«, donnerte ich ein letztes Mal, dann drehte ich mich um und lief davon, um die Jagd fortzusetzen.

Der Eisregen wurde zunehmend stärker und schlug mit einem geisterhaften Summen auf den gefrorenen Boden auf. Vor mir regten sich Schatten.

Als ich aus dem dichten Wald herausbrach, fand ich endlich meine Beute. Drex, dieser Waschlappen, war in sich zusammengesackt und hielt sich den Arm, obwohl die Schusswunden schon dabei waren, wieder zu verheilen.

Wie seltsam.

Ich machte einen großen Schritt über ihn hinweg.

Alexis war in der Mitte der Lichtung. Sie zog sich humpelnd vor uns zurück. Ihr eigenartiger Beschützer hatte sich vor ihm kleingemacht und behielt uns im Auge. Blitze erhellten den tintenschwarzen Himmel und brachten Alexis’ feuchte goldene Locken zum Leuchten.

Augustus und Patro näherten sich ihr langsam.

»Komm einfach mit uns!«, schrie Patro über das Heulen des Winds hinweg. »Du hasst deine Ehemänner. Wir haben dich nie hintergangen. Nicht so wie sie.«

Poppae und Nero pirschten gemeinsam mit ihm näher.

Augustus schüttelte entschieden den Kopf. »Hör nicht auf ihn. Lass dir von mir helfen, cara mea.« Poco hockte wie ein Buckel auf seinem Rücken und versteckte sich unter seinem Umhang vor dem Ansturm der Elemente.

Achilles stand mit verschränkten Armen und rauchend im Eisregen und sah zu, wie die beiden zu Alexis aufrückten.

Im Schutz der Schatten schlich ich den Waldrand entlang auf sie zu.

»Lass dir von uns helfen!« Patro streckte die Hand aus. »Mit uns läuft es anders … Wir sind nicht wie sie.«

Donner grollte.

»Vorsicht.« Augustus wandte ihm den Kopf zu. »Du redest hier mit meiner Frau.«

Patros Lachen war kalt und ohne jeden Humor. »Sag doch mal. Zählt so eine Ehe überhaupt, wenn man der Braut eine Falle stellt, sie täuscht und vor den Altar zwingt?«

Augustus hob eine Faust. Sofort setzte Achilles sich in Bewegung. Er schubste Patro nach hinten und stellte sich vor ihn.

»Forder’ mich nicht heraus.« Augustus zeigte drohend auf Patro. »Ich werde mich nicht zurückhalten. Nicht, wenn es um sie geht.«

Ein Blitz erhellte die Nacht. Das Licht fing sich in der Eisschicht auf Achilles’ Maulkorb und gab preis, dass Achilles ein gezahntes Jagdmesser zog und es Augustus ungerührt an die Kehle setzte.

Blut tropfte von Augustus’ Wimpern und gefror, sobald es seine Haut berührte.

Den Schmerz in meinem Bein ignorierend rückte ich näher.

Plötzlich drückte Alexis beide Hände vor die Brust und schloss die Augen. Ein Ausdruck von Konzentration zeigte sich auf ihrem Gesicht.

Dann war sie verschwunden.

Krach.

Der nächste Blitz zuckte über uns vom Himmel.

Nur einen Schritt von mir entfernt nahm Alexis wieder Gestalt an. Sie wirkte schockiert, und mir ging es nicht anders.

Nicht nur, dass sie über kurze Distanz teleportiert war – so etwas war lebensgefährlich, weil dadurch die Wahrscheinlichkeit stieg, in einem Hindernis zu landen –, nein, sie war auch direkt zu mir gesprungen.

»Du hättest dich an einem der Äste köpfen können!« Ich hechtete auf sie zu. Schnee knirschte unter meinen Stiefeln.

Alexis warf sich nach hinten und verzog das Gesicht, als sie gegen einen Baum prallte. Auch das Teleportieren im verletzten Zustand war extrem gefährlich, weil vorhandene Blutungen dadurch stärker werden konnten. Genau das war ihr passiert.

»Lass mich dir helfen.«

Alexis zog sich vor mir zurück.

Ich folgte ihr.

»Alexis, du solltest nicht springen, wenn du verwundet bist. Du hättest dich ernsthaft verletzen können!«, schrie Augustus von der Lichtung. Er sprintete auf uns zu, mit Patro und Achilles auf den Fersen.

Alexis sah mit panischem Blick zwischen den näherkommenden Männern und dem tieferen Wald hin und her, als würde sie ihre Optionen abwägen.

Sie wird doch nicht …

Verletzte Spartaner sprangen nie mehrfach hintereinander. Dafür war die Gefahr, einen großen Blutverlust zu erleiden, dauerhaften Schaden davonzutragen oder sich gravierend zu verstümmeln, einfach zu hoch. Der Überlebenswille war uns angeboren.

Alexis holte tief Luft.

Und wie sie wird, verdammt.

Instinktiv warf ich mich auf sie und packte sie am Oberarm.

Boom.

Von der einen Sekunde zur nächsten standen wir allein auf einer grünen Wiese. Es war Mai, und die Temperatur entsprechend mild. Die Sonne ging in zarten Pinktönen unter.

Ein paar Dutzend Meter entfernt entdeckte ich ein mit Stacheldraht gesichertes Waldstück. Auf einem Schild war in roten Buchstaben zu lesen: ›Militarisierte Schutzzone des Spartanischen Bunds. Achtung: Kein Zutritt für Titanen.‹

Sie hatte uns nach Montana zurückgebracht. Dorthin, wo sie unter einer verdammten Abdeckplane gelebt hatte, wie wir inzwischen herausgefunden hatten.

»Hast du überhaupt keinen Selbsterhaltungstrieb?«, schrie ich entsetzt.

Alexis entzog sich ruckartig meinem Griff. Taumelnd riss sie sich die blutverschmierten Handschuhe herunter und starrte auf ihre zitternden Finger. »Drex«, raunte sie tonlos.

Spinn ich oder glühen ihre Hände ein bisschen?

Sie wischte sie ab. Danach sahen sie wieder normal aus.

»Zwei Teleportationen hintereinander? Was hast du dir dabei gedacht? Willst du dich unbedingt umbringen?«, knurrte ich.

Mit einem Mal wirkte ihre Miene verschlossen. Ihre Wimpern waren von Eis bedeckt, und die zerzausten Locken waren ihr am Gesicht festgefroren. Sie schwankte bedrohlich, als würde der Blutverlust sie jeden Moment von den Beinen holen.

Wut und Angst verbanden sich in meinem Inneren zu einer brandgefährlichen Mischung.

»Schau mich an«, befahl ich.

Sie wandte sich ab.

Finstere Gedanken trafen auf Gefühle der Hilflosigkeit. Mein aggressives Verhalten vertrieb Alexis. Aber ich wurde nicht ohne Grund als der Jäger meiner Generation bezeichnet. Ich wusste, wann ich die Taktik wechseln musste.

Ich muss so tun, als wäre ich ein netter Kerl.

Ich atmete tief durch, senkte die Stimme und zwang mich, mich zu entspannen. »Bitte … Lass mich dir helfen.«

Die untergehende Sonne malte pinke Streifen auf ihre störrische Miene.

Ich setzte den Helm ab und ließ ihn fallen, um ihr zu zeigen, dass ich keine Bedrohung darstellte. (Was nicht stimmte.) »Wir müssen eine Aderpresse anlegen und die Wunde abbinden. Du verlierst zu viel Blut.« Langsam löste ich meine Schulterholster und beförderte meine Waffen ins Gras. Dann zog ich mir das schwarze Jagd-T-Shirt aus und reichte es ihr. »Bind dir das ums Bein.«

Alexis starrte den Stoff an.

»Hier, ich helfe dir.« Ich sank auf die Knie.

Meine Fingerspitzen berührten ihre Wade. Unerwartet schoss gleißende Lust meinen Arm hinauf, so dass ich das tiefe Stöhnen unterdrücken musste, das aus meiner Kehle aufzusteigen drohte. Rasch verlagerte ich das Gewicht, um die unpassende Beule in meiner Hose zu verbergen. Dann wickelte ich ihr das T-Shirt um die obere Hälfte der Wade.

Reiß dich zusammen. Verdammt nochmal, sie ist verletzt, du Tier.

So behutsam wie möglich machte ich einen Knoten.

»Danke«, flüsterte Alexis heiser.

Schmelzendes Eis tropfte von ihren Wimpern auf meine Wange. Mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck sah sie auf mich herab.

Poch. Poch. Poch.

Mir schlug das Herz bis zum Hals. Das war seit Monaten das erste Wort, das sie zu mir gesagt hatte.

Ein feuchter Schleier drohte mir die Sicht zu nehmen, und ich blinzelte dagegen an.

Fessel sie. Schnell, schnapp sie dir. Sie rechnet nicht damit. Wirf sie dir über die Schulter und spring mit ihr weg. Kette sie an deine Seite.

Ich schluckte mühsam.

Nein. Lass ihr eine Wahl.

Es kostete mich vollste Konzentration, die Schultern zu entspannen.

»Bringen wir … dich zur Basis, damit wir dich vernünftig verarzten können.« Ich richtete mich zu voller Größe auf und bot ihr die Hand an. »Ich mache den Sprung.«

Sei ein netter Kerl.

Etwas Abwehrendes trat in ihren Blick, und sie verschränkte die Arme.

Fuck. Ich hätte sie mir doch einfach schnappen sollen.

»Warum … nicht?« Mein Nacken verkrampfte sich, und ich gab mein Bestes, nicht wie ein Raubtier die Zähne zu fletschen.

Ich ging nicht davon aus, dass mir mehr als Schweigen entgegenschlagen würde.

Doch auf einmal wirbelte Alexis’ Kopf herum. Eindringlich fixierte sie mich aus zweifarbigen Augen. Ihr lief Blut über die Wangen, wo sie sich an Ästen die Haut aufgerissen hatte, ihre Locken standen zu allen Seiten ab, und ihre Miene verriet die finsteren Gefühle, die in ihr tobten.

»Du hast mich getäuscht«, zischte sie.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf und reckte ihr erneut den Arm hin. »Nein. Ich habe dich geheiratet.«

Alexis’ Stimme klirrte vor Kälte. »War es das wert, mich so zu verletzen? Nur für eure M-Macht? Habt ihr wenigstens alles bekommen, was ihr euch gewünscht habt?«

»Du verstehst das nicht«, sagte ich durch zusammengebissene Zähne. »So war das nicht. Die Olympier … die Unterdrückung.«

Sie verdrehte die Augen und winkte ab. Der zehnkarätige Diamant, den wir ihr geschenkt hatten, blitzte an ihrem Finger.

Greif bloß nicht deine Frau an.

Geduldig hielt ich ihr weiter die Hand entgegen. »Komm einfach mit.«

Entführ sie nicht.

»Ihr habt mir eine Falle gestellt«, sagte Alexis heiser. »Mich verfolgt wie ein Tier. Ihr habt mich mit euren kranken Kräften gefoltert …«

Meine Selbstbeherrschung brach in sich zusammen. »DEINE KRÄFTE HABEN AUCH ZUGENOMMEN!«, schrie ich. »Wach endlich auf! Das Ehegesetz hätte dich genauso betroffen, Prinzessin. Du profitierst auch von diesem Deal. Ich versuche ja schon, ein besserer Mann zu werden. Für dich!«

»ICH HABE DICH NIE DARUM GEBETEN, DICH ZU ÄNDERN!«, schrie sie zurück.

Ich rammte mir die Knöchel in den Mund, um nichts zu sagen, was ich hinterher bereute.

Als ich mich endlich wieder im Griff hatte, brachte ich erstickt hervor: »Es tut mir leid, dass wir dich in eine Falle gelockt haben. Dass wir dich verfolgt haben. Die Hochzeit. Die Entführung. Ich werde mich bessern.«

»Und was ist mit den K-Körperteilen in den Kartons?«, flüsterte sie.

Ich verengte die Augen. »Was soll damit sein? Dieser Abschaum hat dich gegen deinen Willen angefasst. Was zum Teufel hast du erwartet, wie ich darauf reagiere?«

»Mir wäre praktisch alles recht gewesen«, sagte sie. »Alles, außer sie abzuschlachten!«

Ich verzog spöttisch das Gesicht. »Sei nicht albern, Alexis.«

Sie keuchte, als hätte sie Probleme beim Atmen.

»Ich verstehe immer noch nicht, wieso du die Edelsteine nicht wolltest«, fuhr ich fort. »Haben sie nicht deinen Vorstellungen entsprochen? Augustus hat gesagt, dass die Menschen den Hope-Diamanten früher verehrt haben. Er dachte, du würdest die Geschichte dahinter zu schätzen wissen. Hättest du gern etwas Schöneres gehabt?«

Alexis schlug sich die Hand vor den Mund und stieß ein ersticktes Geräusch aus. Ihr Gesicht lief violett an, und ihr Blick glitt tiefer. Zu meinen Lippen?

Ich bemühte mich um eine sanftere Miene. »Wir werden bessere Männer für …«

»Das ist alles r-rein körperlich«, platzte sie unerwartet heraus.

Ich blinzelte. Im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, was sie überhaupt meinte. Dann zog ich die richtigen Schlüsse. Ihre verfärbten Wangen, wie schwer sie atmete …

Eiskalter Zorn erfasste mich.

»Was … zum Teufel hast du gerade zu mir gesagt?«

Alexis hob den Kopf und biss die Zähne zusammen.

Ihr lief nach wie vor Blut über das Gesicht, als sie stur das Kinn reckte. Sie weigerte sich, vor meiner Wut einzuknicken. Wenn ich nicht so verdammt sauer gewesen wäre, hätte mich das beeindruckt.

»Sag das noch mal«, grollte ich leise. »Das wagst du nicht.«

Sie zeigte mir die Zähne, in ihren Augen blitzte es. »Es ist rein körperlich.«

Ich stürzte mich auf sie.

3Die Gejagte

Alexis

Kharon packte meine Arme.

Die letzten Sonnenstrahlen der abendlichen Dämmerung über Montana betonten seine scharfen, verstörend gutaussehenden Züge, deren Anblick mich immer wieder aus dem Takt brachte, ob es mir passte oder nicht.

Das Skelett-Tattoo auf seinem rechten Handrücken zog sich als Sleeve bis zu seiner Schulter. Wo es endete, ging es in Narbengewebe über. Die ganze Brust war von runden Striemen bedeckt, die von unerträglichen Schmerzen sprachen.

Was ist ihm passiert? Was es auch war, das einem Unsterblichen so viele und vor allen Dingen bleibende Narben zufügen konnte, es musste furchtbar sein.

Blutspritzer glänzten auf seinem von Furchen gezeichneten, nackten Oberkörper bis hinunter zu dem ausgeprägten V aus Muskeln, das zusammen mit einem schmalen Streifen dunkler Haare unter dem Bund seiner Cargohose verschwand.

Die Menschen wussten schon, warum sie die Chthonier als dunkle Götter bezeichneten. Genau das war er.

Mit sengend heißen Wangen rang ich nach Luft. Ich hatte keine Ahnung, wie die Stimmung zwischen uns so schnell umschlagen konnte, aber offensichtlich war ich doch nicht asexuell. Ich stand einfach auf tätowierte, gewalttätige Männer von machiavellistischer Natur. Ein Schicksal, schlimmer als der Tod.

Ich nahm meinen Mut zusammen und suchte nach meiner Stimme. »Lass mich l-los«, flüsterte ich.

In den eisblauen Augen blitzte es bedrohlich auf. »Sonst was?«, fragte Kharon spöttisch.

Ich atmete tief, um mich zu beruhigen und zu tun, was nötig war.

Pop. Pop.

Kharon schnappte schockiert nach Luft. Langsam senkte er den Blick auf meine Hände. Aus der spartanischen Waffe, die Hades mir geschenkt hatte, stiegen dünne Qualmfäden auf.

Seine Lippen wurden schmal.

Ich hatte ihn verfehlt.

Sekunden wurden zu Minuten, während wir uns musterten, ich (die Schützin) und Satan (leider nicht erschossen).

Es war gespenstig still auf der Wiese.

»Du musst beide Hände nehmen, carissima«, murmelte Kharon schließlich mit rauchiger Stimme. »Du solltest die Waffe vor dir halten und auf meinen Oberkörper zielen.« Er stellte sich breitbeinig hin und richtete eine imaginäre Pistole auf mein Herz. »Peng«, flüsterte er und krümmte den Finger, als würde er den Abzug drücken.

Blutflecken bedeckten seine geöffneten Lippen. Er lächelte großspurig. »Im Notfall solltest du versuchen, deine Ellenbogen an den Körper zu pressen, damit der Rückstoß dich nicht umwirft …«

Ich zog den Taser, den ich von Persephone bekommen hatte, und drückte fest auf den schwarzen Knopf.

Hey, es war immerhin ein Notfall! Mein Ehemann war ein Arsch.

Kharon ging zu Boden wie ein gefällter Baum. Jede Ader an seinem Körper trat hervor, während er sich im Gras wand und hellblaue Funken über seine Haut tanzten.

»Gute«, würgte er, »Arbeit.« Keuch. »Das …« Er gab ein grausig ersticktes Geräusch von sich. »… funktioniert natürlich auch.«

Ich hämmerte auf den schwarzen Knopf und versuchte, den Taser abzustellen.

Kharon grollte, als stattdessen die Spannung erhöht wurde.

In dem Versuch, die Stromzufuhr zu unterbrechen, schlug ich auf das Gerät ein.

Obwohl Kharon hilflos am Boden lag und krampfte, grinste er.

»Jihaaa!«, schrie Nyx, die offenbar gerade aufgewacht war und sich um meine Taille schlängelte. »Ja! Verpass ihm den elektrischen Stuhl! Keine Gnade für unsere Feinde.«

Eine Menge passierte auf einmal. (Nichts davon war gut.)

Kharon stieß einen weiteren schrecklichen, schmerzerfüllten Laut aus und drehte sich auf die Seite. Immer wieder zuckte er zusammen, während blaue Lichtfunken über seine Haut knisterten.

»Das ist echt lustig. Warum haben wir das nicht schon früher gemacht?« Nyx wand sich aufgeregt nach oben und um meinen Hals.

»Das ist überhaupt nicht lustig«, flüsterte ich hektisch. »Wie stell ich das dumme Ding wieder ab?« Ich schlug erneut auf den Kasten, aber das gequälte Knurren zu meinen Füßen wurde nur lauter.

»Warum solltest du es abschalten wollen?« Nyx klang ernsthaft verwirrt.

Trotz seiner Schmerzen rollte Kharon sich herum.

Oh, mein Gott.

Mit zuckenden Fingern riss er sich eines der Taser-Projektile aus der Brust – Blut und Hautfetzen flogen in alle Richtungen davon.

»Moment mal … Der steht jetzt aber nicht auf …«, zischte Nyx erschrocken. »Oder?«

Kharon setzte sich auf und drehte sich zu mir um.

Ich quietschte.

Wenn er je versucht hatte, das Ausmaß seines Wahnsinns zu verbergen, hatte er nun endgültig aufgegeben – sein Blick versprach mir, mich mit einer Form von Verderben bekanntzumachen, von der ich keine Ahnung hatte. Nach wie vor geisterten grellblaue Entladungen über seine blasse, fast durchscheinende Haut.

Der fähigste Jäger der Welt bewies eine erschreckende Körperbeherrschung und kam langsam auf die Beine.

»Ach du Scheiße … Er steht«, raunte Nyx. »Wie kann er stehen? Siehst du das?«

Ich ließ den Taser fallen und wich zurück. Der quälende Schmerz in meinem Bein stellte keine unmittelbare Bedrohung für mein Leben dar. Sehr wohl aber der Mann, der ruhig vor mir stand, während ihm Stromstöße durch den Körper jagten.

Kharon wischte sich über die glänzenden Lippen und verteilte dabei frisches Blut über sein Gesicht.

»Carissima«, schnurrte er finster und kam einen Schritt näher. »Wenn du spielen willst … hättest du nur was sagen müssen.«

Neonblaue Flammen leckten an bleicher Haut. Der Geruch von brennendem Metall erfüllte die Luft. Sein angespannter Unterkiefer war die einzige Vorwarnung.

Blitzschnell warf er sich nach vorn. Lange Finger umfassten mein Kinn und hoben mein Gesicht an. Meine Haut kribbelte, als Elektrizität zwischen uns hin- und hersprang und mein Nervensystem lahmlegte, so dass ich mich nicht mehr rühren konnte.

Etwas zischte leise.

Kharon senkte den Kopf, bis unsere Lippen kaum merklich übereinander hinwegstrichen.

Zap. Ein Funke flog, unser Atem vereinte sich und verschmolz.

Mit einem unterdrückten Seufzen ließ er die Zunge hervorschnellen, um mir das Blut von der Unterlippe zu lecken. Mein Mundwinkel kribbelte, wo seine Zungenspitze ihn sacht gestreichelt hatte.

Die Berührung war federleicht gewesen. Trotzdem hinterließ sie ein Lodern auf meiner Haut, als hätten wir uns leidenschaftlich geküsst.

Ihm schien es ähnlich zu gehen.

»Carissima«, stöhnte er gequält.

Boom.

»Was im Namen von Kronos’ Reich ist hier los?« Augustus’ tiefe Stimme brach den Zauber, der so unerwartet von uns Besitz ergriffen hatte.

Wir fuhren hastig zu ihm herum, fast, als hätte er uns bei etwas Verdorbenem ertappt. (Hatte er.)

Augustus sah sich mit gerunzelter Stirn um, als wäre er überrascht, sich an diesem Ort wiederzufinden. Dann konzentrierte er sich auf uns. Er starrte uns eine Weile an, und aus seiner Überraschung wurde etwas … Gefährliches.

»Du musst meinetwegen nicht aufhören. Küss sie«, befahl er mit samtweicher Stimme. »Jetzt.«

Moment mal. Was hat er gerade gesagt …?

Kharon packte mein Kinn und drückte hart seinen Mund auf meinen. Funken stiegen um uns herum auf und hinterließen beim Verglühen ein lustvolles Prickeln auf meiner Haut.

Gierig schob er die Zunge zwischen meine Lippen. Ein heftiger Biss in meine Unterlippe ließ mich wimmern. Er antwortete mir mit einem Stöhnen. Unser Atem wurde wieder eins.

Kharon küsste mich so gierig, als wolle er mich verschlingen. Sein Vorstoß war brutal, und ich drängte mich an ihn, stemmte mich auf die Zehenspitzen hoch, brauchte mehr von ihm und seinem Hunger.

Zwischen uns pulsierte unsichtbar ein Band aus reiner Elektrizität.

»Das reicht«, befahl Augustus.

Kharon riss abrupt den Mund von meinem. Er keuchte heftig, aber seine Finger ruhten nach wie vor an meinem Kinn. Wie von selbst hob ich mich seiner Berührung entgegen.

Ein einzelner Funke war verblieben und schien uns aneinanderzufesseln. Er knisterte in der Luft und verband unsere Lippen. Dann zerstob er zischend.

Ich leckte den stechenden Schmerz weg.

Augustus rückte seine Hose zurecht.

Er steht darauf, uns zuzusehen.

Poco reckte den Kopf über Augustus’ Schulter, warf den pelzigen Kopf zurück und kreischte mich vorwurfsvoll an.

Ja, ich bin pervers. Sonst noch Fragen?

Schwielen gruben sich in meine Haut. Kharon neigte mein Gesicht, bis ich zu ihm hochstarrte. Er weigerte sich immer noch, mich loszulassen.

»Du schmeckst … exquisit.« Seine Stimme war heiser und rau.

Ein heißer Schmerz zuckte durch meine Zähne, als Elektrizität durch meinen Kiefer schoss.

Eine lange Sekunde verstrich. Die Stimmung schlug um.

Mit rasendem Herzen und heißen Wangen nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, um ihm klarzumachen, wo ich stand. »Rein … körperlich«, wiederholte ich flüsternd.

Kharon ließ so plötzlich die Hand sinken, als hätte ich ihn verbrannt.

Obwohl ich stolpernd vor ihm zurückwich, spielte ein triumphierendes Lächeln um meine Lippen.