Psychodynamik und Geschlecht - Vanessa Jilg - E-Book

Psychodynamik und Geschlecht E-Book

Vanessa Jilg

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Beschreibung

In Psychodynamik und Geschlecht analysiert Vanessa Jilg geschlechtsspezifische Interaktionen in der Sozialen Arbeit. Hierfür nutzt sie die Methode des Szenischen Verstehens nach Alfred Lorenzer. Mit diesem u.a. aus der psychoanalytischen Pädagogik bekannten Ansatz greift Vanessa Jilg auf einen Fall ihrer theaterpädagogischen Praxis mit einer Gruppe junger Männer in Haft zurück. Im Vordergrund der Untersuchung stehen Arrangements von Beziehungsgestaltung, welche sie vor dem Hintergrund sozialer Konstruktionen von Geschlecht im Sozialraum JVA überprüft. Die Arbeit wurde im November 2012 mit dem "Henriette-Fürth-Preis für die beste Abschlussarbeit eines Jahrgangs im Bereich Frauen- und Geschlechterforschung" ausgezeichnet.

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Seitenzahl: 128

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Psychodynamik & Geschlecht

Die weibliche Pädagogin und der männliche Klient.
Ein Fallbeispiel Szenischen Verstehens im Arbeitsfeld JVA

Impressum

eBook-Ausgabe März 2013

© 2013 Fleet Street Press, Oberer Kalbacher Weg 10, 603437 Frankfurt am Main, Deutschland

Kontakt: [email protected]

Covergestaltung: Julia Graff, Weil der Stadt

Bildnachweis Icon: © istockphoto.com/ragandi

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

Die Verwertung dieses Textes, insbesondere Vervielfältigung, Sendung, Aufführung, Übersetzung, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Genehmigung durch den Verlag urheberrechtswidrig und nicht gestattet.

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-944479-99-6

„So was lass ich mir nicht sagen. Nicht von einer wie der!“

INHALT

1.

Einleitende Worte

2.

Zur sozialen Kategorie Geschlecht

2.1

Die Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit

2.2

,Der Mensch ist ein Mann‘ - Das soziologische Konzept der Männlichkeit

2.2.1

Der Habitusbegriff

2.2.2

Hegemoniale Männlichkeit

2.2.3

Der männliche Geschlechtshabitus

3.

Der Jugendstrafvollzug als Handlungsrahmen geschlechtsbasierter Interaktionsdimensionen

3.1

Falldarstellung

3.2

Zentrale Themen des Falls

3.2.1

Die Dimension des ,Nicht-Aushalten-Könnens‘

3.2.2

Die Dimension der soziokulturellen Unterschiede

3.2.3

Die Dimension der Sexualität

3.2.4

Die Dimension der männlichen Geschlechtsidentität

3.2.4.1

Männlicher Wettbewerb

3.2.4.2

Weiblichkeitsabwehr und Homophobie

3.2.5

Die Dimension der ,geistigen Mütterlichkeit‘ in der Sozialen Arbeit

4.

Darstellung der Auswertungsmethode – Das Szenische Verstehen

4.1

Der Begriff der Szene

4.2

Übertragung und Gegenübertragung

4.3

Das Szenische Verstehen als interpretatorische Kompetenz

4.4

Das methodische Verfahren

4.5

Die Selbstreflexion als via regia des Verstehens

5.

Auswertung der Szenen

5.1

Der zentrale Konflikt

5.1.1

Abbruch und Verstrickung

5.1.2

Flucht und Wiederkehr

5.1.3

Idealisierung und Vernichtung

5.1.4

Gute Feen und böse Hexen

5.2

Randbemerkung zur Methode des Darstellerischen Spiels

5.3

Schlussbetrachtung

6.

Fazit

7.

Literatur

8.

Anhang

Über die Autorin

Der Henriette-Fürth-Preis

Über Fleet Street Press

Endnoten

„ ...mal im Ernst, denkt ihr, wenn ihr nach Hause kommt, noch ein bisschen über das alles hier nach?“ (Zitat eines Projektteilnehmers, aus dem Praktikumsbericht K.L. 2009, Anhang)

1. Einleitende Worte

Der Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Kategorie Geschlecht in den Bezügen Sozialer Arbeit. Das zentrale Interesse gilt hierbei der Frage nach den Niederschlägen eines gesellschaftlich verankerten Konzeptes männlicher Hegemonie in der sozialarbeiterischen Praxis. Hierbei begrenze ich meine Untersuchungen auf die Interaktionsdimensionen zwischen weiblichen Fachkräften der Sozialen Arbeit und deren männlicher Klientel in männlich dominierten Sozialräumen.

Die Fragestellung entwickelte sich aus einem Fall meiner theaterpädagogischen Praxis. Es handelte sich hierbei um ein sechsmonatiges Theater-Projekt in einer deutschen Justizvollzugsanstalt, das ich im Jahre 2009 mit der Unterstützung einer Praktikantin durchführte. Wie im Jahr zuvor, in dem ich bereits ein ähnliches Projekt in dieser Anstalt geleitet hatte, sollte eine Theateraufführung den Abschluss des Angebotes darstellen. Ungeachtet der bereits erarbeiteten Inszenierung wurde diese jedoch wenige Tage vor der Präsentation von einigen Gruppenmitgliedern abgesagt. Dabei war insbesondere der Entschluss eines einzelnen Teilnehmers ausschlaggebend für den Projektabbruch. Die vorausgegangenen Interaktionen zwischen diesem Teilnehmer und mir sollen im Fokus der Auswertung stehen und unter dem Aspekt des oben formulierten Forschungsinteresses untersucht werden; es steht die Frage im Mittelpunkt, ob geschlechtsrelevante Faktoren den Ausgang des Projektes bestimmt haben können. In diesem Zusammenhang sollen schwerpunktmäßig die Bedeutung männlicher Habitusformationen im Arbeitsfeld Jugendstrafvollzug erörtert und hier mögliche Auswirkungen geschlechtsspezifischer Interaktionsdimensionen auf Arbeitsprozesse mit weiblichen Sozialpädagoginnen thematisiert werden.

Um eine fundierte Auseinandersetzung mit Deutungen, Konstruktionen und Erfahrungen von Geschlechtlichkeit und den hierin enthaltenen Formeln von Beziehungsgestaltung zu gewährleisten, erhalten die Leserinnen und Leser in Kapitel 2 zunächst eine thematische Einführung in aktuelle sozialwissenschaftliche Diskurse zu einer gesellschaftlich konstruierten Dichotomie der Geschlechter

Anschließend soll anhand ausgewählter Theorien (Bourdieu, Connell, Meuser u.a.) veranschaulicht werden, in welchen Sinn- und Strukturzusammenhängen die Dimension männlich segmentierter Macht in diesem Kontext zu verstehen ist. Unter Berücksichtigung der spezifischen Fragestellung grenze ich umfangreichere Theoriediskurse in dem Maße ein, wie sie für das zu bearbeitende Thema relevant sind und verweise dementsprechend auf weiterführende Literatur.

Nachdem das Praxisbeispiel in Kapitel 3.1 vorgestellt wird, werden in Kapitel 3.2 zentrale Themen des Falles formuliert und im Rahmen der zuvor skizzierten wissenschaftlichen Thesen beleuchtet. In Kapitel 4 wird die Auswertungsmethode des Szenischen Verstehens nach Alfred Lorenzer, welche unter anderem in der psychoanalytischen Pädagogik angewandt wird, vorgestellt. Die Wahl der Methode ist zu verstehen als eine Annäherung an die Deutung komplexer Sinngehalte in zwischenmenschlichen Konstellationen. Dabei sollen optionale Erklärungsmodelle aufgezeigt werden, die keineswegs einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Die Methodologie des Szenischen Verstehens ermöglicht es, neben der soziologischen Perspektive psychoanalytische Lesarten des Falles anzubieten. Diese werden in Kapitel 5 formuliert und vor der Ebene von Geschlechtlichkeit analysiert. In diesem Rahmen werden komplexe Zusammenhänge innerpsychischer und habitueller Konzepte der Beteiligten veranschaulicht. Das Ziel ist nicht, ein Abbild einer beweisbaren Realität zu produzieren, sondern eine subjektive Deutung innerhalb erlebter (professioneller) Beziehungskonstellationen aufzuzeigen. In der Identifikation solcher Strukturen sollen Bezüge zu intra- und interpersonellen Prozessen dargelegt werden. Diese werden vor dem Hintergrund geschlechtertheoretischer Erkenntnisse erörtert. Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse des Auswertungsprozesses formuliert und im Rahmen eines Ausblicks auf ein persönliches und wissenschaftliches Professionsverständnis Sozialer Arbeit zusammengefasst (Kapitel 5.3 und Kapitel 6).

In der vorliegenden Ausarbeitung bemühe ich mich um eine einheitliche gendergerechte Schreibweise. Ist mir dies aufgrund direkter Zitationen nicht möglich, so bitte ich dies in Hinblick auf die Formalia zu entschuldigen.

2. Zur sozialen Kategorie Geschlecht

Eine Analyse geschlechtlich organisierter Interaktionen im Kontext Sozialer Arbeit setzt voraus, dass die Kategorie Geschlecht in ihren gesellschaftlichen Bezügen begriffen wird. Um der Frage nach dem Sinngehalt sozialer Konstruktionen von ,Männlichkeit‘ und ,Weiblichkeit‘ auf den Grund zu gehen, muss zunächst geklärt werden, in welchem Kontext wir Begriffe und Definitionen von Geschlecht, Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtlichkeit betrachten.

2.1 Die Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit

Die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung hat sich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte prägend mit sozialisationsbedingten Aspekten von Geschlechtskonstruktionen in unserem Kulturkreis beschäftigt. Ein bedeutender Schritt war und ist die in den Hintergrund tretende Annahme einer rein biologisch bedingten Geschlechtsdifferenz, die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine Aufwertung der Differenz weiblicher und männlicher Wesensmerkmale etablierte (Vgl. Brandes 2002, 47), hin zu einer Verschiebung des Denkens in Richtung einer sozialen und kulturellen und somit veränderbaren Interpretation von Geschlecht innerhalb menschlicher Gemeinschaften.

Einen wesentlichen Beitrag zur kritischen Betrachtungsweise eines gesellschaftlichen Konsens dessen, was Männlichkeit und Weiblichkeit sei und was es nicht sei, liefert unter anderem Carol Hagemann-White, die uns 1988 eine Kultur der Zweigeschlechtlichkeit diagnostiziert, in welcher die Kategorie Geschlecht alltagstheoretischen Attribuierungen von Eindeutigkeit, Naturhaftigkeit und Unveränderbarkeit unterworfen sei (Vgl. Hagemann-White 1988, 228). Auch Hannelore Faulstich-Wieland (2008) zeigt auf, dass die Zugehörigkeit zu einem der beiden kulturell affirmierten Geschlechter eine omnipräsente Komponente unserer Gesellschaftsstruktur sei (Vgl. Faulstich-Wieland 2008, 240).

Mit dem Hinweis auf gleichwohl existierende Abweichungen in der Auffassung von Geschlecht, Geschlechtszugehörigkeit, Zweigeschlechtlichkeit und sozialer Etikettierung von Geschlecht im Alltagsverständnis anderer Kulturen macht Hagemann-White (1988) deutlich, dass Zweigeschlechtlichkeit „zuallererst eine soziale Realität“ (Hagemann-White 1988, 229) sei. Sie äußert sich kritisch gegenüber einer konsensuellen Tatsachenkonstruktion, die sich in Formulierungen wie ,es gibt nun ´mal Männer und Frauen‘ spiegele und somit einen biologistischen Unterschied konstituiere und bewahre. Den in ihrem Verständnis lohnenderen Weg gehe eine Wissenschaft, die sich der ,Null-Hypothese‘ zuwende, also radikal mit jeglicher Annahme naturgegebener Zweigeschlechtlichkeit breche (Vgl. Hagemann-White 1988, 229f.). Anhand dieser Hinweise verdeutlichte Hagemann-White (1988) die Notwendigkeit sozialwissenschaftlicher Sprachspezifizierungen mit Hilfe der Wortdifferenzierung von „sex“ (als biologischem Geschlecht) und „gender“ (als sozialem oder psychologischem Geschlecht) und den darin enthaltenen Zuschreibungen, Begrenzungen sowie Auflösungen von Geschlechtszugehörigkeit (Vgl. Hagemann-White 1988, 227-230).

Ein für die Geschlechterforschung aufschlussreiches Gegenmodell zu dem Axiom biologistisch determinierter Zweigeschlechtlichkeit liefern zudem alternative Entwürfe geschlechtlicher Identität wie der Transsexualität, Transgender oder Intersexualität. Der in westlichen Kulturen präsente soziale Druck, Menschen mit nicht eindeutiger Geschlechtsidentität einem der beiden sozial akzeptierten Geschlechter zuweisen zu müssen, äußert sich beispielsweise in der bis heute gängigen Prozedur der operativen Genitalangleichungen im Säuglings- oder Kleinkindalter bei Intersexualität (zur Terminologie und Klassifikation von Transsexualität und Intersexualität: Vgl. z.B. Schweizer 2010, 22ff.).

Nun steht die Sozialwissenschaft ebenfalls vor der Aufgabe, jene soziale Realität zu hinterfragen, ganz im Sinne einer ebenfalls nicht zu verleugnenden Wahrheit: ,es gibt nun ´mal eine soziale Konstruktion von Geschlecht‘ - wie konstituiert sich diese?

2.2 ,Der Mensch ist ein Mann‘ - Das soziologische Konzept der Männlichkeit

Um die Entstehung gesellschaftlich und interaktional geprägter Geschlechtskategorien zu veranschaulichen, möchte ich u.a. Michael Meuser (2007) folgen, der den Versuch unternimmt, den gesellschaftlichen Entwurf von ,Männlichkeit‘ anhand zweier soziologischer Theorien zu erläutern. Meuser (2007) konstruiert die Theorie eines männlichen Geschlechtshabitus, indem er die von Pierre Bourdieu entwickelte Habitustheorie mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit Raewyn Connells verknüpft. Dieser Fokus auf Männlichkeitskonstruktionen und soziale Prägungen so genannter männlicher Identitätsbildung erklärt sich entsprechend des Forschungsgegenstandes dieser Arbeit. Anhand dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse sollen Deutungsmodalitäten für ein psychosoziales Verstehen der ausschließlich männlichen Klienten im Rahmen der Fallbetrachtung entworfen werden.

2.2.1 Der Habitusbegriff

„Wenn wir von sozialer Praxis als dem Ort der Konstitution von Geschlechtlichkeit ausgehen, setzen wir also dort an, wo Körperlichkeit und Gesellschaftlichkeit noch unmittelbar verbunden sind, insofern es kein Handeln ohne Körper gibt, wie auch kein Handeln ohne soziale Bedeutung, Intention und Folgen“ (Brandes 2002, 61)

Pierre Bourdieu greift einen Habitusbegriff auf, der schon bei Norbert Elias (1987) in Erscheinung tritt als ,spezifisches Gepräge‘, das jeder Mensch an sich trage und mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft, in der er lebt, teile (Vgl. Elias 1987, 244). In abstracto kann der Habitus als gewohnheitsmäßiges Handeln, über welches nicht spezifisch nachgedacht wird, definiert werden (Vgl. Brandes 2002, 62) und wird bei Bourdieu mit den Begriffen der ,Disposition‘ und der ,Praxis‘ unterfüttert und erweitert. Bourdieu geht davon aus, dass soziale Positionen in einer Gesellschaft in Form von Dispositionen (Tendenzen, Neigungen) verinnerlicht und übertragen werden. Sie seien das „Ergebnis der Einverleibung objektiver Strukturen, die mit der primären Sozialisation beginnt“ (Wittpoth 1994, 93). Diese seien als eine Praxis des strukturierten Handelns (,opus operatum‘) in Form einer strukturierenden Art des Handelns (,modus operandi‘) zu verstehen (Vgl. ebd.).

Um die Homogenität bestimmter Praktiken innerhalb sozialer Milieus zu erklären, greift Bourdieu auf das Unbewusste zurück und bezeichnet Dispositionen als verleiblichten spezifischen Habitus, der sich bereits in der frühkindlichen Phase herausbilde. Somit konstituiere sich soziale Klassenzugehörigkeit in einer kaum steuer- oder kontrollierbaren Praxis des Sprechens und Handelns, körperlichen Haltungen, der Gestik, Mimik und der Wahrnehmung von sich und anderen (Vgl. Wittpoth 1994, 95; Brandes 2002, 63). ,Wie‘ gehandelt werde, deute also darauf hin, ,wer‘ es ist, der handelt und umgekehrt; so begründe sich Zugehörigkeit zu der einen und dementsprechend Abgrenzung von der anderen Gruppe - so auch im Habitus der Geschlechter (Vgl. Bourdieu 1987, 129). Männlichem oder weiblichem Habitus lägen bestimmte polare Klassifikationen und Symbolebenen zugrunde, die in der vorwiegend unbewussten Verständigung zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft ordnungsgebend seien (Vgl. Brandes 2001, 36f.) Der Körper ist daher im Verständnis der Habitustheorie nicht getrennt von der Gesellschaft, sondern „Bedeutungsträger“ (Brandes 2001, 40) innerhalb der relevanten sozialen Welt und deren Strukturkategorien.

2.2.2 Hegemoniale Männlichkeit

Folgt man dem Konzept hegemonialer Männlichkeit Connells, in dem dargestellt wird, dass ein gesellschaftlicher Konsens bezüglich der (oft unbewussten) Gleichsetzung von ,männlich‘ mit menschlich vorherrsche (Vgl. Meuser 2007, 55), so wird deutlich, dass diese „Objektivierung des Männlichen zum Allgemein-Menschlichen“ (Meuser 1998, 33) und die „kulturelle[n] Erhöhung des Männlichen zu neutraler Sachlichkeit und Gültigkeit“ (ebd.) eine männliche Machtstellung in Abgrenzung zu einem geschlechtlich geprägten Frau-Sein zum Ausdruck bringt. Meuser (1998) bezieht sich hierzu an verschiedenen Orten auf die Arbeiten Georg Simmels (Vgl. Meuser 2001; Meuser 1998). Der Begriff der ,Hegemonie‘ stelle nach Meuser (2007) „die kulturelle Dominanz eines bestimmten Musters von Männlichkeit“ (Meuser 2007, 56) dar. Dies bedeute, dass eine dominante Form von Maskulinität innerhalb einer Vielfalt von Männlichkeiten bestehe; hegemoniale Männlichkeit sei eine „Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis [...], welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll)“ (Connell 1999, 98). Jegliche männliche Vorherrschaft könne daher in Frage gestellt und (beispielsweise von Frauen) herausgefordert werden oder durch eine neue Gruppe abgelöst werden (Vgl. ebd.). Männliche Hegemonie habe also immer etwas mit gesellschaftlichem Konsens oder der erfolgreichen Aufrechterhaltung der Machtposition einer bestimmten Gruppe zu tun (Vgl. ebd.).

Ein Beispiel hierfür liefert die traditionelle Trennung der Geschlechter in die stilisierte Perpetuierung einer Häuslichkeit der Frau als Mutter/Hausfrau und einer Außerhäuslichkeit des Mannes als Familienernährer (Vgl. Faulstich-Wieland 2008, 250f.). Dieses Modell der getrennten Frauen- und Männerdomänen ist nicht ausschließlich der Herstellung und Aufrechterhaltung geschlechtshabitueller Sicherheit (Vgl. Meuser 1998, 263ff.) geschuldet. Die Prävalenz entsprechender Klassifizierungen kann nur mit Hinblick auf einen gesellschaftlichen und politischen Konsens strukturell fortbestehen, wie beispielsweise bei dem Thema geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktsegregation deutlich wird (Vgl. Sachverständigenkommission zur Erstellung des Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, 19).

Eine - mit den Worten Connells: „derzeit akzeptierte“ (Connell 1999, 98) - Männlichkeitsymbolik berge Meuser (2007) zufolge eine kulturelle Dimension von Macht, in der „ein stillschweigendes Einverständnis der Untergeordneten mit den gegebenen Verhältnissen“ (Meuser 2007, 55) eine zentrale Rolle spiele. Geschlecht, so erfahren wir auch, sei (entsprechend der Connell'schen Lesart) eine relationale Kategorie (Vgl. Meuser 2007, 54); Männlichkeit und Weiblichkeit konstituieren sich in Abgrenzung voneinander, weshalb die Beteiligung aller Geschlechter an den Prozessen männlicher Machtsicherung eine wesentliche Rolle spiele. Männliche Vormachtstellung sei daher nur realisierbar sowohl mit Hilfe eines impliziten Einverständnisses von Frauen als auch einer innergeschlechtlichen hierarchischen Ordnung in rein männlich strukturierten Gemeinschaften (Vgl. Meuser 2001, 6ff.).

2.2.3 Der männliche Geschlechtshabitus

Meuser (2001, 7) verknüpft nun die Argumentation Bourdieus der ,libido dominandi‘ (des Wunsches nach einer doppelten Dominanz des Mannes zum Einen über andere Männer und zum Anderen über Frauen) mit den Thesen Connells. Dieser sehe die zentrale Dimension hegemonialer Männlichkeit, nämlich die der Abgrenzung und Dominanz von Männern gegenüber Frauen, ergänzt durch eine von einer Gruppe hergestellte „kollektive Praxis“ (Kontos/May 2008, 4), in der geschlechtsinterne Machtverhältnisse durch eine allen Beteiligten gemeine, von Connell als „patriarchale Dividende“ (ebd.) benannte Struktur, ebenso geregelt seien.

Ein Erklärungsansatz für dieses Phänomen könnte sich in Bourdieus Habituskonzept finden: Zwar gibt es auch im Habituskonzept einen ähnlichen Ansatz wie bei Connell (1999, 98; siehe Kapitel 2.2.2), dass auch der Habitus „keine mechanische Reproduktion ursprünglicher Konditionierungen“ (Brandes 2001, 41) bewirke, sondern es im menschlichen Handeln und Denken gewisse individuelle Spielräume und Auslegungsarten im Kontext habitueller Besetzung gebe. Bourdieu (1987) geht jedoch davon aus, dass diese Spielräume aufgrund der Umstände ihrer Erzeugung begrenzt seien (Vgl. Bourdieu 1987, 103).

Brandes (2001) verdeutlicht den Ansatz noch einmal in einem gesamtgesellschaftlichen Bezug: „Die Bilder, Vorbilder und Ideologien, die eine Gesellschaft sich beispielsweise vom ,Mann‘ macht, sind immer nur Variationen in den Grenzen, die der männliche Habitus vorgibt, wobei in den unterschiedlichen sozialen Schichten der Gesellschaft unterschiedlich akzentuierte Habitusformen vorherrschend sind“ (Brandes 2001, 43).

In diesem Zusammenhang verweist Brandes (2001) wieder auf die verschiedenen Formen sozial abgestimmter Männlichkeit, die wir bei Connell (1999) finden. So genannte ,komplizenhafte‘ Männer orientierten sich beispielsweise, trotz einer Abweichung im eigenen Handeln, an der Schablone männlicher Hegemonie in Bezug auf die gesellschaftlich anerkannte (Geschlechter-) Ordnung und/oder hinsichtlich der Ansprüche an das eigene Leben. Komplizenhafte Männlichkeit unterscheide sich daher „in ihrer Bezogenheit auf die Herrschaftsstruktur der Geschlechterordnung“ (Meuser 2007, 56) kaum von hegemonialer Männlichkeit. Weibliche ,Mittäterschaft‘ im Sinne aktiver oder passiver Mitwirkung an der Aufrechterhaltung männlicher Herrschaft, kann ebenfalls als Bestandteil einer kollektiven Praxis, wie sie oben (siehe Kapitel 2.2.2) erwähnt wurde, aufgefasst werden.

3. Der Jugendstrafvollzug als Handlungsrahmen geschlechtsbasierter Interaktionsdimensionen