Psychologische Diagnostik in familienrechtlichen Verfahren - Jelena Zumbach - E-Book

Psychologische Diagnostik in familienrechtlichen Verfahren E-Book

Jelena Zumbach

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Beschreibung

Gerichtsverfahren nach Trennung und Scheidung von Eltern (Sorgerechts- und Umgangsrechtsverfahren) und Verfahren zum Entzug elterlicher Sorge wegen Kindeswohlgefährdung machen kindeswohlorientierte Entscheidungen notwendig, für die eine psychologische Expertise häufig unabdingbar ist. Dieses Buch liefert einen strukturierten Überblick über das psychologisch-diagnostische Vorgehen im Rahmen der familienrechtspsychologischen Begutachtung. Nach einer Einführung in relevante Fallkonstellationen, Rechtsnormen und Begriffsbestimmungen wird ein Überblick über den psychologisch-diagnostischen Prozess in familienrechtlichen Verfahren gegeben. Es wird dargelegt, wie juristische Fragestellungen in fallspezifische psychologische Fragestellungen überführt werden, die den Begutachtungsprozess bestimmen und strukturieren. Darauf aufbauend wird die systematische Ableitung eines Untersuchungsplans demonstriert, und zentrale diagnostische Bausteine wie Explorationsgespräche, Verhaltensbeobachtung, psychometrische Testverfahren und Fremdanamnese werden unter Bezugnahme auf aktuelle empirische Befunde im Detail erörtert. Im nächsten Schritt wird die Systematisierung der diagnostischen Ergebnisse und deren Bewertung und Gewichtung vor dem Hintergrund rechtspsychologischer Prüfkriterien erläutert. Es folgen Ausführungen zur Herleitung der kindeswohlorientierten Einschätzung und der Beantwortung der gerichtlichen Fragestellungen. Das Buch schließt mit einem Überblick über Qualitätsanforderungen, Mindeststandards und berufsethische Aspekte. In allen Kapiteln des Bandes werden Anwendungsbeispiele zu den einzelnen Arbeitsschritten präsentiert, die auf Fällen aus der eigenen gutachterlichen Praxis basieren und die veranschaulichen, wie die theoretischen Ausführungen in praktische Anwendungen münden.

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Jelena Zumbach

Bärbel Lübbehüsen

Renate Volbert

Peter Wetzels

Psychologische Diagnostik in familienrechtlichen Verfahren

Kompendien Psychologische Diagnostik

Band 19

Psychologische Diagnostik in familienrechtlichen Verfahren

Prof. Dr. Jelena Zumbach, Dipl.-Psych. Bärbel Lübbehüsen, Prof. Dr. Renate Volbert, Prof. Dr. Peter Wetzels

Begründer der Reihe:

Prof. Dr. Franz Petermann, Prof. Dr. Heinz Holling

Prof. Dr. Jelena Zumbach, geb. 1988. Seit 2013 Tätigkeit als psychologische Sachverständige in familienrechtlichen Verfahren in Kooperation mit dem Bremer Institut für Gerichtspsychologie. Seit Oktober 2018 Juniorprofessorin für Familienrechtspsychologie an der Psychologischen Hochschule Berlin.

Dipl.-Psych. Bärbel Lübbehüsen, geb. 1948. Seit 1990 Tätigkeit als psychologische Sachverständige in familienrechtlichen Verfahren. Seit 1991 Gesellschafterin und Institutsleiterin des Bremer Instituts für Gerichtspsychologie.

Prof. Dr. Renate Volbert, geb. 1957. Seit 1984 Tätigkeit als forensisch-psychologische Sachverständige. Seit 1984 am Institut für Forensische Psychiatrie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin (bis 2003 FU Berlin) tätig. Seit 2009 außerplanmäßige Professorin an der FU Berlin (Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie). Seit 2015 Professorin für Rechtspsychologie an der Psychologischen Hochschule Berlin.

Prof. Dr. Peter Wetzels, geb. 1959. Seit 1986 Tätigkeit als psychologischer Sachverständiger in den Bereichen Familienrecht und Strafrecht. Seit 1988 Gesellschafter des Bremer Instituts für Gerichtspsychologie. Seit 2002 Professor für Kriminologie an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg (Fakultät für Rechtswissenschaft und Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft).

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Merkelstraße 3

37085 Göttingen

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Tel. +49 551 999 50 0

Fax +49 551 999 50 111

[email protected]

www.hogrefe.de

Satz:

Format: EPUB

1. Auflage 2020

© 2020 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3023-2; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3023-3)

ISBN 978-3-8017-3023-9

https://doi.org/10.1026/03023-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Familienrechtspsychologie und Sachverständigentätigkeit in familienrechtlichen Verfahren

2 Fallkonstellationen, rechtliche Grundlagen und Begriffsbestimmungen

2.1 Rechtsnormen

2.2 Kindeswohlgefährdung, Sorgerechtsentzug und Rückführung

2.3 Sorgerechtliche Fragen nach Elterntrennung

2.4 Umgangsrechtliche Fragen nach Elterntrennung

2.5 Positive und negative Kindeswohlprüfung sowie Gefährdungsabgrenzung

3 Der psychologisch-diagnostische Prozess in familienrechtlichen Verfahren

3.1 Überblick des psychologisch-diagnostischen Prozesses

3.2 Konstruktspezifikationen und Überführung juristischer Fragen in psychologisch-diagnostische Fragestellungen

3.3 Erstellung des einzelfallbezogenen Untersuchungsplans auf Basis der psychologischen Fragestellungen

4 Zentrale diagnostische Bausteine in der familienrechtlichen Begutachtung

4.1 Diagnostische Interviews: Anamnese- und Explorationsgespräche

4.1.1 Explorationsgespräche mit Elternteilen

4.1.2 Explorationsgespräche mit Kindern und explorationsunterstützende Erhebungsverfahren

4.1.3 Diagnostik des Kindeswillens

4.2 Verhaltensbeobachtung

4.2.1 Verhaltensbeobachtung auf Individualebene

4.2.2 Verfahren zur freien und strukturierten Interaktionsbeobachtung von Kindern und Eltern

4.2.3 Verfahren zur Bindungsdiagnostik

4.3 Testdiagnostik

4.3.1 Testdiagnostik mit Kindern

4.3.2 Testdiagnostik mit Elternteilen

4.4 Diagnostik von Psychopathologie und Grenzen der Diagnostik im Rahmen der Begutachtung

4.5 Gespräche mit beteiligten Fachkräften und Einholung fremdanamnestischer Angaben

4.6 Gespräche mit weiteren Familienangehörigen

4.7 Hausbesuche

4.8 Gemeinsame Elterngespräche und Hinwirken auf Einvernehmen

5 Bewertung der diagnostischen Einzelbefunde und Gutachtenerstellung

5.1 Systematisierung der diagnostischen Ergebnisse und Vorbereitung der schriftlichen Gutachtenerstellung

5.2 Bewertung der Ergebnisse und Beantwortung der psychologischen Fragestellungen

5.3 Ableitung der kindeswohlorientierten Einschätzung und Beantwortung der gerichtlichen Fragestellungen unter Berücksichtigung empirischer Befunde und ihrer Grenzen

5.3.1 Risikoanalyse und Kindeswohlprognose bei (drohender) Kindeswohlgefährdung

5.3.2 Kindeswohlorientierte Einschätzung in sorge- und umgangsrechtlichen Fragestellungen

5.3.3 Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung

5.3.4 Probleme und Grenzen der Kindeswohlprognose: Herausforderungen und Perspektiven für die rechtspsychologische Forschung

6 Qualitätsanforderungen, Mindeststandards und berufsethische Aspekte

Literatur

|7|Vorwort

Familiengerichte wenden sich regelmäßig an psychologische Sachverständige, um Begutachtungen in sorge- und umgangsrechtlichen Fragen sowie Fragen bei einer drohenden Kindeswohlgefährdung durchzuführen. Psychologischen Sachverständigengutachten wird von den Familiengerichten in der Regel ein erhebliches Gewicht beigemessen. Die Gutachten haben insofern Auswirkungen auf die gerichtlichen Entscheidungen und damit auch auf das weitere Leben von Familien, Eltern und Kindern. Vor diesem Hintergrund muss man den Anspruch erheben, dass Sachverständige die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse integrieren und objektive, zuverlässige und valide Erhebungsinstrumente anwenden.

In den letzten Jahren stellte eine medial sowie in Fachkreisen entfachte Diskussion um die Qualität psychologischer Sachverständigengutachten im Familienrecht infrage, dass dieser Anspruch regelmäßig erfüllt wird. Familienrechtspsychologische Gutachten gerieten durch diese Diskussion deutlich stärker sowohl in den politischen als auch in den wissenschaftlichen Aufmerksamkeitsfokus. Darauf folgten Bemühungen zur Qualitätssicherung, die zum Beispiel in der Veröffentlichung von aktualisierten Mindeststandards für die familienrechtspsychologische Begutachtung in Deutschland mündeten (Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten, 2019). Diese sollen sicherstellen, dass verfügbare wissenschaftliche Befunde für dieses Feld auch tatsächlich im Rahmen der familienrechtlichen Begutachtung beachtet und systematisch auf diagnostische und Beurteilungsschritte übertragen werden.

Im Rahmen dieser Qualitätsdebatten wurde aber auch deutlich, dass im Hinblick auf die wissenschaftliche Fundierung des gutachterlichen diagnostischen Vorgehens zwar auf empirische Befunde aus der Entwicklungspsychologie und Diagnostik sowie systematisierte jahrelange Praxiserfahrungen und klinische Expertise zurückgegriffen werden kann und sollte. Andererseits sind aber auch deutliche Lücken der Forschung im spezifischen Feld der Familienrechtspsychologie zu erkennen. Hier mangelt es bis heute vor allem an gezielten längsschnittlichen Studien und hochwertigen Evaluationsuntersuchungen, die differenziertere Erkenntnisse gerade zu den Fragestellungen liefern, mit denen sich Sachverständige im Rahmen kindeswohlorientierter Prognoseeinschätzungen befassen müssen, die deren Arbeit im Einzelfall insofern auch weiter verbessern können. Hier ist zu hoffen, dass die familien|8|rechtspsychologische Forschung sich dem in näherer Zukunft intensiver zuwenden kann und wird.

Ein strukturiertes diagnostisches Vorgehen und eine evidenzbasierte Herleitung psychologischer Empfehlungen im Rahmen von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht sind notwendig, damit psychologische Sachverständige wissenschaftlich begründete, am Kindeswohl orientierte Einschätzungen und Empfehlungen abgeben können. Dieser Band liefert einen strukturierten Überblick über das fachlich gebotene psychologisch-diagnostische Vorgehen im Rahmen der familienrechtspsychologischen Begutachtung. Wir haben großen Wert darauf gelegt, eine umfassende Grundlage für die Auswahl diagnostischer Ansätze und Verfahren zur Begutachtung unter Bezugnahme auf aktuelle empirische Befunde zu präsentieren. In allen Kapiteln verwenden wir zur Veranschaulichung Anwendungsbeispiele, die auf Fällen aus unserer eigenen gutachterlichen Praxis basieren und für die Leserinnen und Leser so hoffentlich nachvollziehbar machen, wie die theoretischen Ausführungen in praktische Anwendungen münden.

Unser besonderer Dank gilt Frau cand. B. Sc. Psych. Anna Oster, die das Manuskript stets mit größter Sorgfalt bearbeitet und korrigiert hat, sowie dem Verlag für die hervorragende Zusammenarbeit.

Berlin, im Mai 2020

Jelena Zumbach

Bärbel Lübbehüsen

Renate Volbert

Peter Wetzels

|9|1 Familienrechtspsychologie und Sachverständigentätigkeit in familienrechtlichen Verfahren

Bei der Familienrechtspsychologie handelt es sich um ein Anwendungsgebiet der Psychologie, in dem Grundlagen- und Anwendungswissen in besonderem Maße zusammengeführt werden. Dettenborn und Walter (2016) definieren als Gegenstand der Familienrechtspsychologie „menschliches Erleben und Verhalten beim Auf- und Abbau familiärer Beziehungen, soweit dabei Konflikte der rechtlichen Einflussnahme bedürfen“ (S. 16). Gerichtsverfahren nach Trennung und Scheidung von Eltern (i. d. R. Sorgerechts- und Umgangsrechtsverfahren) sowie Gerichtsverfahren bei Fragen nach Kindeswohlgefährdung (i. d. R. Verfahren zum Entzug elterlicher Sorge oder auch Umgangsverfahren nach einer Fremdplatzierung) machen kindeswohlorientierte Entscheidungen notwendig, für die psychologische Expertise häufig unabdingbar ist. Die Familienrechtspsychologie gehört zur wissenschaftlichen Disziplin der Rechtspsychologie, die Grundlagen und Methodenwissen verschiedener Bereiche der Psychologie auf dieses spezielle Anwendungsfeld überträgt. Hier fließen Erkenntnisse aus Entwicklungspsychologie, Entwicklungspsychopathologie, klinischer Psychologie, Psychometrie, Familienpsychologie, Erziehungswissenschaft und Rechtswissenschaft zusammen (vgl. Volbert & Steller, 2008).

In diesem Band wird ein strukturierter Überblick über das psychologisch-diagnostische Vorgehen im Rahmen der familienrechtlichen Begutachtung nach dem aktuellen state of the art gegeben. Nach einer Einführung in relevante Fallkonstellationen, Rechtsnormen und Begriffsbestimmungen (Kapitel 2) wird ein Überblick über den psychologisch-diagnostischen Prozess in der familienrechtspsychologischen Begutachtung geliefert (Kapitel 3). Es wird dargelegt, wie juristische Fragestellungen in fallspezifische psychologische Fragestellungen überführt werden, die den Begutachtungsprozess bestimmen und strukturieren. Weiter wird die darauf basierende systematische Ableitung eines Untersuchungsplans demonstriert. Im Kapitel 4 werden die zentralen diagnostischen Bausteine der familienrechtspsychologischen Begutachtung im Einzelnen erörtert. Unter Bezug auf empirische Befunde wird eine umfassende Grundlage für die Auswahl diagnostischer Ansätze und Verfahren zur Begutachtung im Einzelfall präsentiert. Anschließend wird im Kapitel 5 eine Systematisierung der diagnostischen Ergebnisse |10|aus den einzelnen psychodiagnostischen Ansätzen und die Bewertung und Gewichtung vor dem Hintergrund rechtspsychologischer Prüfkriterien erläutert. Es folgen Ausführungen zur Herleitung der kindeswohlorientierten Einschätzung und der Beantwortung der gerichtlichen Fragestellungen. Der Band schließt in Kapitel 6 mit einem Überblick über Qualitätsanforderungen, Mindeststandards und berufsethische Aspekte. In allen Kapiteln werden Anwendungsbeispiele zu den einzelnen Arbeitsschritten präsentiert, die aus der eigenen gutachterlichen Praxis stammen und für die Leserinnen und Leser nachvollziehbar machen sollen, wie die theoretischen Ausführungen in praktische Anwendungen münden. Alle Beispiele in diesem Buch sind fiktiv, basieren aber auf realen Anwendungsfällen aus der Praxis.

|11|2 Fallkonstellationen, rechtliche Grundlagen und Begriffsbestimmungen

Familienrechtliche Verfahren, in denen es zu psychologischen Begutachtungen kommt, betreffen hauptsächlich Fragestellungen bezüglich der elterlichen Sorge (gemäß § 1626 und § 1671 BGB), des persönlichen Umgangs (gemäß §§ 1684, 1685 BGB) und des Entzugs der elterlichen Sorge (gemäß § 1666 BGB). Ein zuständiges Gericht beauftragt hier psychologische Sachverständige, um für die richterliche Entscheidungsfindung notwendige sachkundige Informationen zu erhalten und eine kindeswohlorientierte Entscheidung vorzubereiten. Die aus den Sachverhaltsfeststellungen zu ziehenden Konsequenzen obliegen dem Gericht (vgl. Dettenborn & Walter, 2016; Salzgeber, 2015; Zumbach, 2017).

Der rechtliche Maßstab in allen familienrechtlichen Verfahren ist dabei das Kindeswohl, als auslegungsbedürftiger, unbestimmter Rechtsbegriff (vgl. § 1697a BGB). In der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1989 wird in Artikel 3 das Wohl des Kindes als ein Gesichtspunkt festgelegt, der bei allen staatlichen und behördlichen Entscheidungen, Eingriffen und Maßnahmen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist. Das Grundgesetz liefert zentrale normative Bezugspunkte für die Konkretisierung des Kindeswohlbegriffs. So sind Kinder als Grundrechtsträger Personen mit eigener Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), mit dem Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Recht auf Schutz ihres Eigentums und Vermögens (Art. 14 Abs. 1 GG).

Der Kindeswohlbegriff gilt als herausragende familienrechtliche Verfahrensleitlinie. Hierbei wird das Kindeswohl teils als Generalklausel und teils als unbestimmter und wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff bezeichnet, der nicht allgemeingültig festgelegt ist und im Einzelfall präzisiert werden muss (vgl. Balloff, 2018). Der juristische Grundgedanke des Kindeswohls wird in § 1 Abs. 1 SGB VIII formuliert: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf Schutz und Förderung als wesentliche Kriterien des Kindeswohls und beschreibt die Verantwortung der |12|Eltern darin, Umstände zu schaffen, in denen sich das Kind zu einer „eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln“ kann (BVerfG, NJW 1968, 2233, 2235). Neben dem gegenwärtigen Schutz vor Gefahren begründet der Bezug auf die Entwicklungserfordernisse des Kindes auch eine Zukunftsorientierung des Kindeswohlbegriffs. „Das aus den Grundrechten abzuleitende Kindeswohl umfasst daher nicht nur den Ist-Zustand des Kindes oder der/des Jugendlichen, sondern auch den Prozess der Entwicklung zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit“ (Schmid & Meysen, 2006, S. 2 – 2).

Damit rekurrieren juristische Definitionen auf primär psychologische Konstrukte, wie die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern oder Jugendlichen. Problematisch ist, dass der Kindeswohlbegriff aus psychologischer Perspektive bislang nur unzureichend empirisch gefüllt wurde und für das Kindeswohl als latentes Konstrukt durchaus Divergenzen hinsichtlich der psychologischen Definition und Operationalisierung (Messbarmachung durch beobachtbare Indikatoren) bestehen.

In der deutschsprachigen familienrechtspsychologischen Literatur findet sich eine Definition bzw. Operationalisierung des Kindeswohlbegriffs durch Dettenborn und Walter (2016): Unter familienrechtspsychologischen Aspekten definieren diese das Kindeswohl als „die für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen günstige Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen“. Hierbei werden „Bedürfnisse“ als Entwicklungserfordernisse definiert, „günstig“ meint, „wenn die Lebensbedingungen die Befriedigung der Bedürfnisse insoweit ermöglichen, dass die sozialen und altersgemäßen Durchschnittserwartungen an körperliche, seelische und geistige Entwicklung erfüllt werden“ (S. 70 f.). Individuelle Entwicklungserfordernisse eines konkreten Kindes sollten jedoch ebenso miteinbezogen werden (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Maßstab Kindeswohl nach familienrechtspsychologischer Definition

Allerdings berücksichtigt diese Definition den Aspekt, das Kind als Träger von verfassungsrechtlich geschützten Grundrechten anzusehen, nicht voll|13|umfänglich (Balloff, 2018). Das Bundesverfassungsgericht beruft sich bei Entscheidungen zum Kindeswohl vorrangig auf die aktuelle wie auch zukünftige Bedürfnislage des Kindes sowie auf das elterliche auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmte Verhalten. Das Bundesverfassungsgericht fordert eine konkrete und individuelle Abwägung der kurz- und mittelfristigen „Auswirkungen [des elterlichen Verhaltens] auf das Kind und seine Persönlichkeitsentwicklung“ (BVerfG 1 BvR 1914/17 [BeckRS 2017, 136507]). Hierbei wird dem Kindeswillen eine besondere Bedeutung beigemessen. „Die Grundrechte des Kindes gebieten, bei der gerichtlichen Sorgerechtsregelung den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist“ (BVerfG 1 BvR 1914/17 [BeckRS 2017, 136507]; grundlegend BVerfG, FamRZ 1981, 124, 126 f.) „Mit der Kundgabe seines Willens macht das Kind von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch. Hat der Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringes Gewicht, so kommt ihm im zunehmenden Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu“ (BVerfG 1 BvR 1914/17 [BeckRS 2017, 136507]).

Zur Kindeswohlgefährdung kommt es folglich dann, wenn die in diesem Sinne relevanten Entwicklungsbedürfnisse des Kindes nicht mehr ausreichend erfüllt werden. In der Rechtsprechung hat sich die Definition der Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB als „eine gegenwärtige, und zwar in einem solchen Maß vorhandene Gefahr …, daß sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen läßt“ etabliert (grundlegend BGH, NJW, 1956, 1434, 1434).

2.1 Rechtsnormen

Die wichtigsten Rechtsnormen finden sich im Grundgesetz (GG), im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sowie im Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) und in der UN-Kinderrechtskonvention.

Die relevanten Grundrechte des Kindes ergeben sich aus Art. 1, Art. 2, Art. 6 und Art. 14 GG. In Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde formuliert. Nach Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder „das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“. Ferner hat jeder „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Art. 2 Abs. 2 GG). Aus Art. 2 GG geht die staatliche Pflicht hervor, Lebensbedingungen für das Kind zu gewährleisten, die für die Ent|14|wicklung und das gesunde Aufwachsen des Kindes erforderlich sind (BVerfG, NJW, 1968, 2233, 2235). Des Weiteren ist auch der Schutz des Vermögens des Kindes grundrechtlich gesichert (Art. 14 Abs. 1 GG). Aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG geht schließlich das staatliche Wächteramt hervor, welches den Staat berechtigt und verpflichtet, das Wohl des Kindes zu schützen. Hierin begründet sich die Funktion und die Berechtigung des Staates, über das natürliche Recht und die Pflicht der Eltern, ihre Kinder zu pflegen und zu erziehen, zu wachen.

Demgegenüber steht die Autonomie der Familie als verfassungsrechtliches Gut. „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (Art. 6 Abs. 2 GG). Kinder dürfen gegen den Willen der Erziehungsberechtigten nur „auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder die Kinder zu verwahrlosen drohen“ (Art. 6 Abs. 3 GG). Nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG obliegt dem Staat eine Verantwortung zum Schutz der Ehe und der Familie, sodass Eingriffe in deren Autonomie nur im Ausnahmefall durch den grundrechtlichen Schutz des Kindeswohls zu rechtfertigen sind.

Dies findet unter anderem Niederschlag in familienrechtlichen Verfahren. Hier stehen weitreichende Entscheidungen zur Debatte, die im extremsten Fall zu einer Trennung der Kinder oder Jugendlichen von ihren Eltern führen können. Wird ein enges Begriffsverständnis von Kinderschutz zugrunde gelegt, so bilden Jugendämter und Familiengerichte in Deutschland den Kern der institutionellen Arrangements für die Bearbeitung von Fällen, in denen das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung geprüft oder in denen auf der Grundlage einer festgestellten Kindeswohlgefährdung gehandelt werden muss. Das staatliche Wächteramt obliegt in Deutschland institutionell den Jugendämtern und den Familiengerichten. Die beiden genannten Institutionen bilden den Kern des staatlichen Kinderschutzsystems, da ihnen vom Gesetzgeber exklusive und zentrale Rollen bei der Bearbeitung von Fällen einer möglichen oder tatsächlichen Kindeswohlgefährdung zugewiesen sind.

Ohne psychologisches Wissen, welches auf einer belastbaren empirischen Grundlage basiert, lassen sich Kindeswohlfragen jedoch oft kaum beantworten. In diesem Kontext werden daher durch Familiengerichte regelmäßig psychologische Sachverständige mit Begutachtungen beauftragt, um für die richterliche Entscheidung notwendige sachkundige Informationen zu liefern und eine kindeswohlorientierte Entscheidung vorzubereiten. Sachverständige können in familienrechtlichen Verfahren somit einen wichtigen Beitrag zur Entscheidungsfindung leisten, indem sie den Familiengerichten am Kindeswohl orientierte Einschätzungen zur Verfügung stellen (vgl. |15|Abbildung 2). Die Heranziehung einer Gutachterin oder eines Gutachters dient der Schließung einer Kompetenzlücke. Die erforderliche psychologische Diagnostik und fachwissenschaftliche Beurteilung kann nicht durch das Gericht erfolgen und wird deshalb an Sachverständige übertragen. Letztere haben innerhalb des Verfahrens eine neutrale Rolle, der in der Regel ein rein diagnostischer Auftrag zugrunde liegt. In Einzelfällen kann das Gericht allerdings anordnen, „dass der Sachverständige bei der Erstellung des Gutachtens auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll“ (§ 163 Abs. 2 FamFG), woraus sich auch eine explizit intervenierende Funktion der oder des Sachverständigen ergeben kann.

Abbildung 2: Institutionelle Beteiligung bei kindeswohlorientierten Rechtsentscheidungen und Heranziehung von psychologischen Sachverständigen