Ramses II. - Hermann A. Schlögl - E-Book

Ramses II. E-Book

Hermann A. Schlögl

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ramses II. (1304/03 – 1213) hat sein Zeitalter geprägt wie kein anderer Pharao des Alten Ägypten. Unter seiner Regentschaft entstanden so großartige Bauten wie die Tempelanlage von Abu Simbel. Zugleich war Ramses II. ein weitsichtiger Politiker und ein Meister in der Kunst der Diplomatie. Er schloss einen Pakt mit den Hethitern, der als erster Friedensvertrag zwischen zwei Großmächten in die Geschichte einging. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 168

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hermann A. Schlögl

Ramses II.

Über dieses Buch

Ramses II. (1304/03–1213 v. Chr.) hat sein Zeitalter geprägt wie kein anderer Pharao des Alten Ägyptens. Unter seiner Regentschaft entstanden so großartige Bauten wie die Tempelanlage von Abu Simbel. Zugleich war Ramses II. ein weitsichtiger Politiker und ein Meister in der Kunst der Diplomatie. Er schloss einen Pakt mit den Hethitern, der als erster Friedensvertrag zwischen zwei Großmächten in die Geschichte einging.  

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Prof. Dr. Hermann Alexander Schlögl machte am Maximiliansgymnasium in München das Abitur und immatrikulierte sich dann an der Universität in der Fächerkombination Literatur- und Theaterwissenschaft. Gleichzeitig Abschlussprüfung für Schauspiel vor dem paritätischen Prüfungsausschuss (Vorsitz Adolf Gondrell) in München. Tätigkeit an verschiedenen deutschsprachigen Bühnen: Nordmark-Landestheater Schleswig, Städtische Bühne Ulm, Städtische Bühnen Wuppertal und Schauspielhaus Zürich. Später studierte er an den Universitäten Zürich und Basel Ägyptologie, Alte Geschichte und Klassische Archäologie. Lic. phil. 1976, Dr. phil. 1979. Mitarbeit an und Leitung von Kunstausstellungen mit altägyptischer Thematik in Zürich, Basel, Luzern und Genf. Berufung als Ägyptologe an die Universität Fribourg (beginnend vom Wintersemester 1980 bis zur Emeritierung Ende Sommersemester 2000). Er ist durch zahlreiche Monographien zur Geschichte und Kultur des Nillandes und durch Übertragung altägyptischer Literatur hervorgetreten.

Ramses besucht Paris

Am 26. September 1976 nachmittags gegen 17 Uhr landete auf der französischen Militärbasis du Bourget nahe bei Paris eine aus Kairo kommende Transall-Maschine. Das Flugzeug hatte einen illustren Passagier an Bord: Ramses II., König von Ägypten, dem die Geschichte den Beinamen «der Große» verliehen hat und der sein Land 1279 bis 1213 v. Chr. regierte.

Die Mumie des vor über drei Jahrtausenden Verstorbenen wurde mit Salutschüssen der «Garde républicaine» begrüßt. Als Vertreter des Präsidenten der Republik war die Ministerin für Unterricht Madame Saunier-Seité erschienen ebenso wie ein fast hundertköpfiges Team von französischen und ägyptischen Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen, das die Aufgabe hatte, den Leichnam des Königs in den kommenden Monaten eingehend zu untersuchen. Nach dem feierlichen Empfang auf dem Flughafen wurde die Mumie Ramses’ II. nach Paris in das Musée de l’Homme verbracht, wo unter der Leitung von Lionel Balout ein eigenes Laboratorium eingerichtet worden war. Die «Opération Ramsès II», die bis zum Frühjahr 1977 dauern sollte, konnte beginnen. Keiner ägyptischen Mumie wurde je eine so gründliche Untersuchung zuteil, und die Ergebnisse erbrachten zahlreiche Aussagen über die körperliche Verfassung des Herrschers und die vermutliche Ursache seines Todes: Ramses war annähernd 90 Jahre alt, als er starb. In den letzten Lebensjahren litt er an einer Gelenkentzündung, die ihm quälende Schmerzen bereitet und seine Bewegungsmöglichkeit stark beeinträchtigt haben muss. Die Todesursache aber scheint eine durch Zahnabszesse hervorgerufene Blutvergiftung gewesen zu sein.

Die Körpergröße des Königs betrug 1,73 Meter, die Farbe seiner Kopfhaare war rot, später, als seine Haare grau wurden, hat er sie mit Henna gefärbt.[1]

Wie spektakulär der Pariser Aufenthalt Ramses’ II. auch war, so hatte der altägyptische Herrscher zu Ende des 19. Jahrhunderts für noch größeres Aufsehen gesorgt, denn es war eine archäologische Sensation ersten Ranges, als man im Juli 1881 seine Mumie in einem versteckten Grab in Der el-Bahari, Theben-West, südlich des berühmten Terrassentempels der Königin Hatschepsut zusammen mit anderen Königsmumien fand. Das Grab hatte eigentlich ein Araber namens Ahmed Abd er-Rasul, ein Einwohner des nahegelegenen Dorfes Kurna, schon zehn Jahre früher entdeckt, und zwar nicht zufällig, sondern auf der Suche nach verborgenen antiken Schätzen.[2] Abd er-Rasul fand das Grab voll mit aufeinandergestapelten Särgen, Kästen mit Totenfiguren (Uschebti), Götterstatuetten aus Holz, Skarabäen und anderem mehr. Diese wundervolle Entdeckung wollte der Araber aber auf jeden Fall geheimhalten und machte davon nur zwei Brüdern und einem seiner Söhne Mitteilung, mit deren Hilfe er einige Tage später verschiedene Särge öffnete und die darin liegenden, mit Binden versehenen Mumien auswickelte. Fundstücke, die sich leicht transportieren ließen, wurden dann an Touristen verkauft und verließen auf diesem Weg das Land. Von 1874 an tauchten so immer mehr Gegenstände aus dem Grab im Pariser Kunsthandel auf und erregten die Aufmerksamkeit des französischen Ägyptologen Gaston Maspero (1846–1916), der für die ägyptische Altertümerverwaltung tätig war. Maspero vermutete sogleich, dass Schatzsucher ein bisher unbekanntes Pharaonengrab entdeckt hätten, dessen Inhalt sie nun Stück für Stück verkauften.

Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, reiste er im Frühjahr 1881 nach Luxor und stellte Nachforschungen in Theben-West an, wobei schon bald Abd er-Rasul in den Verdacht geriet, der Grabschänder zu sein. Er wurde verhaftet und peinlich verhört, leugnete aber alles und wurde schließlich nach längerer Haftzeit wieder auf freien Fuß gesetzt, da ihm nichts nachzuweisen war. Nach einem Familienstreit – man fürchtete, dass schließlich doch die Wahrheit herauskäme – stellte sich aber der älteste der Brüder, Mohamed Abd er-Rasul, der Behörde und gab das Geheimnis preis.

Schon nach elf Tagen erreichte eine offizielle Kommission, in der sich auch der Deutsche Emil Brugsch (1842–1930), jüngerer Bruder des bedeutenden Ägyptologen Heinrich Brugsch (1827–1894), befand, unter Führung von Mohamed Abd er-Rasul das versteckte Grab. Es war ein heißer Tag im Juli, als man zuerst in einen zwölf Meter tiefen, senkrechten Schacht einstieg; dann folgte ein schmaler, ca. 70 Meter langer horizontaler Gang, den man teilweise nur kriechend passieren konnte und der schließlich in eine Grabkammer mündete. Schon der Gang war angefüllt mit Gegenständen, die zu altägyptischen Grabausrüstungen gehören, und Särgen. Darunter erkannte Brugsch die von Ramses I. und Sethos I., Großvater und Vater von Ramses II., sowie den von Ramses II. und die Särge anderer berühmter Pharaonen.

Die Kunde von dem sensationellen Fund verbreitete sich in Windeseile unter der einheimischen Bevölkerung, und das Gerücht machte die Runde, dass ein gewaltiger Goldschatz entdeckt worden sei.

Die Kommission beeilte sich nun, das Grab sofort auszuräumen und die Fundstücke nach Luxor auf einen bereitgestellten Dampfer zu verbringen. Mit 200 schnell verpflichteten Helfern gelang die Arbeit bei größter Hitze in nur 48 Stunden. Auf der Fahrt nach Kairo säumten zahlreiche, aus den umliegenden Dörfern herbeigeeilte Menschen die Ufer des Nilflusses, die, als der Dampfer vorbeifuhr, den alten Königen Ägyptens ihren Respekt zollten, indem die Männer Schüsse aus ihren Gewehren abfeuerten und die Frauen die Totenklage anstimmten.

In Kairo angekommen, begann die wissenschaftliche Aufarbeitung des bedeutenden Fundes.

Heute wissen wir, dass jenes Grab schon um 1550 v. Chr., also lange vor der Zeit Ramses’ II., für eine Königin namens Inhapi angelegt wurde und Jahrhunderte später, in der 21. Dynastie, genau im Jahre 974 v. Chr., als Begräbnisstätte für Neschons, Frau des Hohepriesters des Amun, Pinodjem II., diente. Pinodjem II. starb fünf Jahre später und sollte ebenfalls dort bestattet werden. Die Aufschriften auf den königlichen Särgen berichten, dass drei Tage vor der Grablegung des Pinodjem II. die Mumie Ramses’ I., Sethos’ I. und Ramses’ II. vom «Tal der Könige», der Begräbnisstätte zahlreicher ägyptischer Herrscher, herbeigeholt und am gleichen Tag zusammen mit dem Hohepriester beigesetzt wurden.

Die Umbettung der Pharaonenmumien erfolgte vor allem aus Sicherheitsgründen: Das Grabräuberwesen hatte um 1000 v. Chr. so sehr zugenommen, dass kaum eine Königsmumie in ihrem eigenen Grab sicher war; nach dem Willen der verantwortlichen Priester der 21. Dynastie sollte das versteckte Felsgrab in Der el-Bahari von nun an die Verstorbenen vor der Habgier der Lebenden schützen. Die Wahl war gut: Für fast drei Jahrtausende waren die Toten in Sicherheit.

Vom richtigen Handeln

Die ägyptische Kultur wurde durch die Religion geprägt und bestimmt, in die das Königtum fest eingebunden war. Es erscheint deshalb unmöglich, einen Pharao in seiner Stellung und Funktion ohne gewisse Kenntnisse der Religion zu verstehen. So soll das nachfolgende Kapitel kurz über das Wesen der ägyptischen Götterwelt und über die Jenseitsvorstellungen informieren.

Im Gegensatz zu Christentum, Judentum oder Islam ist die ägyptische Religion keine Offenbarungsreligion, in der sich der Gott selbst enthüllt und vermittelt, sondern sie ist durch Mythen bestimmt: In allem, was der Ägypter auf der Erde oder am Himmel sah, konnte sich die Macht eines Gottes oder einer Göttin manifestieren, und so gab es Hunderte von göttlichen Wesen, die den Raum der Götter – im Himmel oder in der Unterwelt – bevölkerten. Trotz dieses Polytheismus war andererseits aber auch die Vorstellung von einem großen, einzigartigen Gott im Volk lebendig, mit welchem dann meist der Sonnengott Re identifiziert wurde.[3] Doch konnte diese Einzigartigkeit auch auf andere Gottheiten übertragen werden. Die Vielzahl der übrigen Götter blieb gleichzeitig notwendig, denn sie erleichterte den Menschen eine Annäherung und machte die Götter ansprechbar. Die Götter aber waren wie die Menschen einem Alterungsprozess unterworfen, konnten sterben und bedurften der Regeneration[4], sodass in der Vorstellung der Ägypter die Schöpfung nicht ein einmaliger Akt gewesen ist, sondern ständiger Erneuerung bedurfte.

Beide, Götter und Menschen, vereinte die Verpflichtung auf die Maat, ein Wort, das oft mit «Wahrheit» übersetzt wird, aber einen so vielschichtigen Inhalt hat, dass es in unserer Sprache nicht durch ein einziges Wort ausgedrückt werden kann. Maat verkörpert die Weltordnung, die der Schöpfergott bei der Schaffung der Welt gesetzt hat, bedeutet das Gegenteil von Chaos, beinhaltet Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit.[5] Der Ägypter hat diesen Begriff personalisiert in der Gestalt der Göttin Maat, die als Tochter des Sonnengottes Re galt. In der Kunst wird sie als Frau dargestellt, die auf dem Kopf als Scheitelattribut eine Straußenfeder trägt.

Doch nicht nur die Maat in die Tat umzusetzen war Aufgabe von Göttern und Menschen, sondern sie waren auch verpflichtet, die bösen Mächte abzuwehren, welche die Schöpfung permanent bedrohten: Sünde, Ungerechtigkeit, Lüge, Gewalt, Krieg und Tod – Begriffe, die der Ägypter mit dem Wort «Isefet» bezeichnete.[6]

Als Stellvertreter des Sonnengottes Re auf Erden wirkte der König. Er war Garant dafür, dass die Maat im Diesseits herrschte, indem er für Moral und Recht eintrat und die Götter durch Gottesopfer und die seligen Verstorbenen durch Totenspeisung zufriedenstellte.[7] Natürlich war der König gezwungen, diese großen Aufgaben zu delegieren, so an die beiden Vezire, die höchsten Verwaltungsbeamten des Landes, an Priester und Staatsdiener, ja an alle seine Untertanen. So wird die Verwirklichung der Maat zum Werk des ganzen Volkes.

Ihre Realisierung wird auch in Tempelbildern immer wieder dargestellt: Wir sehen den König, wie er der Gottheit ein Bild der Göttin Maat darbringt und damit signalisiert, dass er den Auftrag der Maat-Verwirklichung auf Erden übernommen hat. In einem Hymnus auf Ramses II., der in einer Bauinschrift in Abydos erhalten ist, heißt es vom König:

«Der die Maat liebt und von ihr lebt,

seine Gesetze sind es,

die die beiden Ufer [Ägypten] bewahren.»[8]

Dabei wusste der Ägypter, dass es die Maat in ihrer reinsten Form, wie sie am Tage der Weltschöpfung gewesen war, nicht mehr gab. Überall hatte sich das Böse, die Isefet, ausgebreitet und war nicht mehr zu vertreiben. Unrecht, Lüge, Krieg und Tod waren ein fester Bestandteil dieser Welt. In einem bedeutenden literarischen Text, den wir den «Mythos von der Himmelskuh»[9] nennen – eine Version davon ist übrigens an den Wänden einer Seitenkammer im Grab König Ramses’ II. im Tal der Könige aufgezeichnet –, wird die Unvollkommenheit der Welt gedeutet.

Der Mythos erzählt, wie in einer fernen Vergangenheit der Sonnengott Re selbst als König über Götter und Menschen herrschte, die zu dieser Zeit noch zusammen wohnten. Aber die Menschen empörten sich gegen den alt gewordenen Sonnengott. Da wurde eine Götterversammlung einberufen, die beschloss, die rebellische Menschheit zu vernichten. So schickte der Sonnengott Re sein todbringendes Auge in Gestalt der Göttin Hathor aus, um die Menschen von der Erde zu vertilgen, doch als ein Teil von ihnen getötet worden war, erbarmte sich Re und bewahrte die übrigen vor der Vernichtung. Seine Enttäuschung aber war so groß, dass er auf eine weitere irdische Herrschaft verzichtete und sich auf dem Rücken der Himmelskuh zum Himmel entfernte. Im Original heißt es dann: «Diese Menschen … erblickten ihn auf dem Rücken der Kuh. Da sprachen diese Menschen zu ihm: ‹Die anderen haben sich empört! Komm zu uns, damit wir deine Feinde zu Fall bringen, die gegen den Anschläge ersonnen haben, der sie geschaffen hat.› Aber seine Majestät begab sich zu seinem Palast auf dem Rücken dieser Kuh, er kam nicht zu ihnen, und so war die Welt in Finsternis. Als aber die Welt wieder hell geworden war, am frühen Morgen, da waren die Menschen ausgezogen mit ihren Bogen, um gegen die Feinde zu schießen. Da sprach die Majestät ihres Gottes: ‹Böses lasst ihr euch zuschulden kommen, ihr Blutvergießer – fern bleibe das Gemetzel von euch!› Das ist der Ursprung des Krieges unter den Menschen.»[10]

Durch die sündigen, verblendeten Menschen hatte sich die Welt verändert: Der Himmel war über die Erde gehoben, es gab nun den Wechsel von Tag und Nacht. Die Götter hatten der Erde den Rücken gekehrt, und die von ihnen verlassenen Menschen brachten sich gegenseitig um.

Allein durch den Tod kam es von nun an zu einer direkten Begegnung des Menschen mit den Göttern. Man glaubte, dass sich jeder Verstorbene dem Jenseitsgericht stellen musste, dessen oberster Richter der Herrscher des Totenreiches, Osiris, war. Noch heute gehört Osiris zu den bekanntesten Göttern des altägyptischen Pantheons. In der Spätantike hat sich sein Kult über alle Länder des Mittelmeeres ausgebreitet, ja mit den römischen Legionen kamen Statuetten des Gottes sogar bis in die entlegensten Teile der damaligen Welt. Die große Verehrung, die Osiris bei so vielen nichtägyptischen Menschen fand, war eng mit seinem Schicksal, seinem Tod und seiner Auferstehung, verknüpft[11]: Osiris wurde von der Hand seines eigenen Bruders Seth getötet, der danach den Herrscherthron bestieg, welchen Osiris zuvor innehatte. Die Schwester und auch Gemahlin des getöteten Gottes, Isis, beklagte und betrauerte das Los ihres Gatten mit solcher Kraft und Intensität, dass sie den Verstorbenen so weit zum Leben erwecken konnte, um von ihm das Kind Horus zu empfangen, das später als Rächer seines Vaters auftreten sollte. Die wirkliche Auferstehung des Osiris vollzog sich aber im Jenseits, in Ägypten oft nur als «Westen» bezeichnet, wo er zum Herrscher des Totenreiches wurde.

Um den Nachstellungen des Seth zu entgehen, zog sich Isis auf die mythische Nilinsel Chemmis in ein Papyrusdickicht zurück, gebar dort ihren Sohn und zog ihn auf. Als Muttergottheit, aber auch als listenreiche Göttin mit dem Beinamen «die Zauberreiche» und in ihrer astralen Erscheinungsform als Sothisstern (Sirius) gewann Isis eine große Ausstrahlung, die ebenfalls weit über Ägypten hinausging.[12]

Als Horus herangewachsen war, musste der Usurpator Seth seinen Thronanspruch aufgeben, um ihn dem Sohn des Osiris zu überlassen. Von dieser mythischen Handlung abgeleitet, erbte jeder König Ägyptens als Inkarnation des Horus den Thron von seinem Vater oder Vorgänger, der seinerseits durch sein Sterben in die Rolle des Osiris eintrat.[13]

Der Gott Seth aber gehörte, trotz der bösen Rolle, die er im Osiris-Mythos spielte, zu den wichtigsten Göttern des Landes. Als Gott des Kampfes und der Stärke wurde er nicht nur in seiner Hauptkultstätte, dem oberägyptischen Ombos (etwa 50 Kilometer nördlich vom heutigen Luxor) verehrt, sondern er genoss hohes Ansehen auch im östlichen Delta, in der Gegend von Auaris, aus der die Familie König Ramses’ II. stammte.

Die bei der Schöpfung der Welt gesetzte Ordnung, die Maat, galt auch im Totenreich: In einem Gerichtsverfahren wurde das Herz des Verstorbenen gegen das Federzeichen der Maat gewogen. Senkte sich die Waage zuungunsten des Herzens, dann wurde der Verstorbene einem schrecklichen Wesen, der «Fresserin», überantwortet.[14] Darstellungen dieses Totengerichtes sind ein wichtiger Teil des «Totenbuches», einer illustrierten Spruchsammlung, die dem Verstorbenen seit etwa 1500 v. Chr. mit ins Grab gegeben wurde, um ihn vor allen Fährnissen der Unterwelt zu schützen. Der Verstorbene beteuert einmal vor Osiris und dann den 42 Totenrichtern:

«Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen,

ich habe keine Tiere misshandelt …

Ich habe keinen Gott beleidigt.

Ich habe kein Waisenkind an seinem Eigentum geschädigt.

Ich habe nicht getan, was die Götter verabscheuen.

Ich habe keinen Diener bei seinen Vorgesetzten verleumdet.

Ich habe nicht Schmerz zugefügt und niemanden hungern lassen,

ich habe keine Tränen verursacht.

Ich habe nicht getötet,

und ich habe auch nicht zu töten befohlen;

niemandem habe ich ein Leid angetan.»[15]

Das Ritual der Sündenverleugnung setzt sich weiter fort. In der Schlussrede wendet sich der Verstorbene nochmals an die Totenrichter:

«Ich lebe von Maat, ich nähre mich von Maat.

Ich habe getan, was die Menschen raten und womit die Götter zufrieden sind.

Ich habe den Gott zufriedengestellt mit dem, was er möchte:

Brot gab ich dem Hungernden,

Wasser dem Dürstenden,

Kleider dem Nackten,

ein Fährboot dem Schifflosen.

Gottesopfer habe ich den Göttern,

Totenopfer den seligen Toten dargebracht …

Ich bin einer mit reinem Mund und reinen Händen.»[16]

Als voll Gerechtfertigter wird nun der Verstorbene vor den Herrscher der Unterwelt geführt und kann sein jenseitiges Leben beginnen.

Wie der Mensch am Ende seines Lebens, so tritt auch der Sonnengott jeden Abend durch das westliche Horizonttor in die Unterwelt ein. Er durchfährt sie mit seiner Barke in den zwölf Stunden der Nacht, wobei er und sein Göttergefolge sich nach der ermüdenden Tagesfahrt am Himmel regenerieren: Gealtert zum Greis fährt der Sonnengott in die Unterwelt ein, um sie am Morgen zum Kinde verjüngt wieder zu verlassen – als jugendliche Morgensonne steigt er im Osten empor.[17] Während der Sonnengott die Unterwelt auf seiner Barke durchquert, erweckt sein Licht auch die seligen Toten, die in ihren Mumienumhüllungen schlafend daliegen. Sie richten sich auf, können atmen, sprechen und gebieten wieder über ihren Körper.[18]

Unter den zahlreichen Weltschöpfungsvorstellungen, die es in Ägypten gibt, ist die Entstehung der Welt durch Wortmagie, durch Zauber, in dem berühmten «Denkmal memphitischer Theologie» belegt, das in der Zeit Ramses’ II. abgefasst wurde.[19] Im Mittelpunkt dieses Textes steht der Gott Ptah, Schutzherr jeder handwerklichen Kunst und einer der großen Götter Ägyptens. In der alten Hauptstadt Memphis besaß er, der in der Regel als menschliche Mumie mit einer enganliegenden Kappe auf dem Kopf dargestellt wird, ein bedeutendes Kultzentrum.

Das «Denkmal memphitischer Theologie», auf einer Basaltplatte aufgezeichnet, gehört heute dem Britischen Museum. Der Text berichtet, dass Ptah durch Gedanken und Worte die Götter, die Welt und die Menschen erschaffen hat, und es heißt: «Alle Dinge sind aus ihm hervorgegangen, Nahrung und Speise, Nahrung der Götter und alle anderen guten Dinge. Und so wurde gefunden und verstanden, dass seine Kraft größer sei als die anderer Götter. Und so war Ptah zufrieden, nachdem er alle Dinge und alle Gottesworte geschaffen hatte.»[20] Da der Gott Ptah auch das Recht und die Gesetze festlegte, wurden auch Maat und Isefet angesprochen:

«So wird Maat gegeben dem, der tut, was geliebt wird,

Isefet gegeben dem, der tut, was gehasst wird.

So wird nun Leben gegeben dem Friedfertigen

und Tod gegeben dem Frevler.»[21]

Wenn wir auf die über dreitausend Jahre ägyptischer Religionsgeschichte zurückblicken, dann sehen wir sie immer als ein geschlossenes Ganzes ohne zeitliche oder geographische Differenzierung. Das Bild, das wir dadurch gewinnen, ist falsch und verwirrend. In der ägyptischen Religion hat es zahlreiche große Akzentverschiebungen gegeben. So steht zum Beispiel seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. der Gott Amun als Reichsgott an der Spitze des Pantheons, während er in der Zeit davor kaum in Erscheinung trat. Vom Gott des Windhauches stieg er auf zum Herrn des Lebensodems, der alle Dinge beseelt, und wurde zum Allgott Ägyptens.[22] Die bedeutendste Kultanlage, die man je im Nilland gebaut hat, die Tempelstadt von Karnak, wurde ihm gewidmet. Generationen von Königen haben Kriege in seinem Namen geführt und sein Haus durch Kriegsbeute reich gemacht.[23]

Auch der Herrscher der Unterwelt, Osiris, gewann erst zu Beginn des 2. Jahrtausends seine überragende Bedeutung, und verschiedene Götter wie etwa Tatenen[24], der Gott der Erdtiefe, waren im 3. Jahrtausend völlig unbekannt. Zu allen Zeiten aber gab es die Vorstellung, dass ein Gott oder eine Göttin auch mit einem oder mehreren anderen göttlichen Wesen eine innige Verbindung eingehen konnte, die man «Einwohnung» oder Synkretismus[25] nennt. Bei einer solchen Verbindung werden die Namen der Götter formelartig aneinandergereiht: So konnte Amun in einer Einwohnung mit dem Sonnengott Re zu Amun-Re werden. Diese Verbindung bedeutete nicht, dass ein Gott in dem anderen aufging oder dass Amun und Re identische Wesen waren. In der Form Amun-Re zeigte sich der große Reichsgott Amun in seinem schöpferischen solaren Aspekt, verkörpert durch den Sonnengott Re. Eine solche Einwohnung konnte nur vorübergehender Natur sein, sie konnte aber auch länger bestehen.