Rashminder Nächte - Sandra Gernt - E-Book

Rashminder Nächte E-Book

Sandra Gernt

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Beschreibung

Kaiden, ein talentierter junger Suchmagier, und Eryk, ein ehemaliger Soldat der Stadtgarde, sind als "Meister für Verlorenes, Okkultes und Notfälle aller Art" in ganz Rashmind und darüber hinaus bekannt. Sie ahnen nicht, was ihnen bevorsteht, als sie das so harmlos erscheinende Verschwinden eines Handwerkerjungen untersuchen wollen. Denn sie müssen sich von nun an Fürst Naxander stellen in einem Spiel, in dem sie niemandem vertrauen dürfen außer sich selbst. Dabei riskieren sie nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Freundschaft, und alles das, was sie einander nicht eingestehen dürfen …

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Sandra Gernt

Rashminder Nächte

Impressum:

© dead soft verlag, Mettingen 2012

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: M. Hanke

Motiv Front: © GooDAura – fotolia.com

Giraffe: © Stephi – fotolia.com

Motiv Back: © sansan – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-943678-39-0 (print)

ISBN 978-3-943678-40-6 (epub)

Personen und Orte sind frei erfunden.

Erste Nacht

„Tiefer!“

„Geht nicht!“

„Tiefer und schneller, los!“

„Welcher Teil von geht nicht war zu kompliziert?“

„Nun mach schon!“

Eryk stöhnte vor Überanstrengung.

„Kaiden, ich-kann-nicht-mehr!“

„Wag es nicht, mich fallen zu lassen, du – du Muskelprotz!“

„Du solltest nicht versuchen vulgär zu werden, es liegt dir einfach nicht“, presste Eryk amüsiert hervor.

Sicherheitshalber packte er dennoch das Seil fester und sicherte seinen Stand gegen den niedrigen Felsvorsprung. Immerhin lag das Leben seines Partners in seinen Händen, und das wörtlich.

„Kannst du das verdammte Ding wenigstens sehen, Kaiden?“

Schweigen war die einzige Antwort. Eryk dankte dafür allen Göttern und Heiligen und verdrängte rasch die Tatsache, wie jämmerlich kurz diese Liste war – er hatte sich eigentlich noch nie mit Glaubensdingen beschäftigt.

Wenn Kaidens Mundwerk mal stillstand, war er entweder betrunken, ohnmächtig oder konzentriert bei der Arbeit. Betrunken konnte er nicht sein, für eine Ohnmacht bestand kein Grund … Oder doch? Luftmangel vielleicht? Er konnte nicht sehen, wie es dem Kleinen da unten erging, rund zehn Schritt unterhalb eines Felsvorsprungs baumelnd, mit grob geschätzt einer Meile Abgrund unter den Füßen.

„Alles klar, Partner?“, fragte er und versuchte, auf keinen Fall besorgt zu klingen. Der verfluchte Magier war allergisch gegen jede Form von Beschützerinstinkten und würde es ihn tagelang spüren lassen, falls er sich begluckt fühlte.

„Etwas weiter links und bitte, nur noch ein kleines Stück tiefer.“ Kaidens Stimme klang rau und auf diese seltsame Weise jenseitig. Wie immer, wenn er sich den magischen Strömungen öffnete, wie er es nannte. Eryk empfand es eher als wunderliches Zeugs wirken und dabei die Weltordnung, Leib und Leben in Gefahr bringen.

Selbstverständlich würde er so etwas niemals laut aussprechen. Er wusste, wie empfindlich sein Partner reagierte und Eryk respektierte seine Gefühle. Meistens zumindest. Gut, nach dem zehnten Schnaps konnte es geschehen, dass er nicht mehr unterschied, ob er still oder laut dachte …

Kaiden bewegte sich ruckartig, was Eryk beinahe umgerissen hätte. Das Hanfseil zerschnitt ihm regelrecht die Hände und allmählich hatte er wirklich genug davon, Schweißperlen aus den brennenden Augen zu blinzeln und das Zittern sämtlicher überanstrengter Muskeln zu kontrollieren.

„Wie schwer kann es sein, diese dämliche Kette zu finden?“, murmelte er. Wie lange standen sie jetzt eigentlich schon hier am Abgrund? Viel weiter oben auf der Südseite der Kaiserpforte, des höchsten Bergs in der gesamten Umgebung, als Eryk lieb war.

Er litt zwar keineswegs an Höhenangst, aber er wusste, dass Kaidens Magie nutzlos wäre, sollten er oder auch sie beide hier abstürzen. Zu dumm, dass kein geeigneter Fels in der Nähe war, an dem Eryk das Seil hätte zusätzlich sichern können. Er musste sich ausschließlich auf seine Kraft verlassen. Davon hatte er so einiges zu bieten und Kaiden war ein Leichtgewicht, trotzdem, alles hatte seine natürlichen Grenzen.

„Komm rauf oder ich garantiere für nichts mehr!“, knirschte er, als die Schmerzen zu stark wurden; als er kaum noch wusste, wie er genug Atem schöpfen sollte und sein Herz so hart schlug, dass es jeden Moment durch die Rippen zu springen drohte.

„Hab’s! Ich hab’s, zieh mich hoch!“, rief Kaiden triumphierend.

Eryk warf sich erleichtert nach hinten und zerrte mit aller Macht. Keine zehn Herzschläge später konnte er endlich nach Luft japsend zusammenbrechen.

„Na, großer Krieger, hier wird nicht geschwächelt!“ Kaiden boxte ihm mitleidlos in die Flanken, als Eryk gerade so weit war, dass er wieder ruhig atmen konnte. Widerwillig öffnete er die Lider, um Kaiden böse anzufunkeln. Er wusste, wie sinnlos das war, sein Partner war da völlig unempfänglich. Der glaubte wohl wirklich, ein Soldat dürfe niemals einknicken! Tatsächlich erntete er nichts als ein überhebliches Grinsen von diesem Kerl von einem Magier. Es zauberte Grübchen auf das sommersprossige ovale Gesicht, das von wüsten kupferfarbenen Locken umrahmt wurde. Mitsamt den moosgrünen Augen, der leicht stupsigen Nase und den jungenhaften Zügen wirkte er einmal mehr wie ein zu groß geratener Kobold aus dem Märchenland. Wobei jungenhaft zu hart geurteilt war. Kaiden war ein erwachsener Mann, zumindest körperlich in jeder denkbaren Beziehung.

Triumphierend ließ der Magier das Goldkettchen, den Preis ihrer gemeinsamen Mühen, knapp über Eryks Stirn baumeln.

„Damit ist unser Abendessen für den nächsten Monat gesichert, mein Lieber!“

Eryk nickte nur und legte leise stöhnend den linken Arm über sein schweißnasses Gesicht.

„Ich vermisse angemessene Begeisterung. Das war ein komplizierter Suchzauber, du musst zugeben, dass Baroness’ Ingallas Angaben unzureichend, ja, falsch waren!“ Kaiden holte tief Luft, ein sicheres Zeichen, dass er die nächste Viertelstunde damit zuzubringen gedachte, über die genaue Natur seines Zauberspruchs in sämtlichen Facetten zu dozieren. Eryk war dafür das falsche Publikum. Er wollte runter von diesem Berg, hin zu dem Kammerdiener, der den Auftrag vergeben hatte und die Kette in Empfang nehmen würde. Jenes teure Stück, das die Baroness bei einem Ausflug mit dem falschen Herrn an ihrer Seite unternommen hatte, um die phantastische Aussicht zu genießen. Oder was auch immer ein heimliches Liebespaar hier oben anstellen konnte. Ihr Ehegatte, der das Kettchen geschenkt hatte, sollte nichts von ihrer Wanderlust erfahren, also musste es gefunden werden – und genau das war Kaidens magische Spezialität. Sie waren in der ganzen Stadt und noch darüber hinaus als „Meister für Verlorenes, Okkultes und Notfälle aller Art“ bekannt. Während Kaidens Talent für Suchzauber aus solchen Fällen wie diesen hier eine nette Nachmittagsbeschäftigung machte, war Eryk als ehemaliges Mitglied der Stadtgarde für Kämpfe und Krafteinsätze verantwortlich. Außerdem besaßen sie beide ein höchst effektives Netz von Informanten in so ziemlich jeder Taverne in zwanzig Meilen Umkreis. Trotz ihres guten Rufs, den sie sich in drei Jahren erarbeitet hatten, mussten sie allerdings häufiger mit Geldknappheit kämpfen.

Glücklicherweise waren adlige Herrschaften, denen solch peinliche Missgeschicke widerfuhren wie Baroness Ingalla, für gewöhnlich sehr großzügig – Diskretion war ein teures Gut.

Kaiden klopfte ihm energisch gegen die Rippen, um Eryks Aufmerksamkeit zu fordern. „Du musst dir das so vorstellen, Eryk: Wenn ich bei klimatischen Verhältnissen wie diesen hier, dazu in solcher Höhe, ein wirksames magisches Echo erzeugen will, um den gesuchten Gegenstand zu finden …“

Kaiden war gnadenlos in seinem Element, eindeutig. Stöhnend raffte Eryk sich hoch, zwang seine schmerzlich protestierenden Muskeln, ihm gefälligst zu gehorchen. Was waren schon körperliche Schmerzen im Vergleich zu dem geistigen Elend, Kaiden zuhören zu müssen?

„Es wird dunkel, Kleiner, erzähl mir das nachher, ja?“, flehte er so beherrscht-höflich, wie er noch konnte. Kaiden konnte sehr empfindsam reagieren, wenn man ihm solch freundschaftliche Ratschläge wie „Halt’s Maul, wenn dir deine Zähne lieb sind, dein magisches Geschwätz kannst du dir sonst wo reinschieben!“ erteilen wollte. Magier halt. Schrecklich zimperliches, kompliziertes Volk, immer nur denken, denken, denken …

~*~

Hinter Eryks Rücken lachte Kaiden in sich hinein. So einfach zu manipulieren, dieser stolze Krieger! Eryk wäre vermutlich noch die halbe Nacht wie erschlagen liegen geblieben. Kaiden hatte durchaus Mitleid mit ihm, Eryk hatte sich offenkundig verausgabt. Er torkelte eher, als wie sonst mit raschen, forschen Schritten auszuholen, jeder Zoll kraftvolle Eleganz und natürliches Selbstbewusstsein. Kaiden schauderte ein wenig, ihm war klar, das hätte bitter mit einem Absturz enden können. Eryk durfte sich aber auf keinen Fall einbilden, dass er, Kaiden, sich ernsthaft um ihn sorgte. Oder auch nur für sein Wohlbefinden interessierte. Mehr interessierte, als es statthaft war. Darum plapperte er, gab sich zickig, eingebildet und zimperlich.

Kaiden würde das Risiko eingehen, als widernatürliches Gezücht gefoltert und verbrannt zu werden, sollte er jemals öffentlich der Lust nach Männern angeklagt werden.

Niemals aber, unter gar keinen Umständen, würde er Eryks Leben aufs Spiel setzen – oder die Freundschaft zu diesem Mann, der ihm mehr bedeutete als alles andere auf dieser Welt.

~*~

Es klopfte.

Eryk fuhr aus unruhigen Träumen hoch und hielt bereits das Schwert in der Hand, bevor sein Verstand ebenfalls erwachte und ihm sagte, dass keine Gefahr drohte. Er legte die Waffe allerdings nicht beiseite, als er zur Tür schritt. Es bedeutete nie etwas Gutes, wenn es mitten in der Nacht klopfte. Im Bett an der anderen Seite des Schlafraumes schnarchte Kaiden friedlich vor sich hin. Auch das anhaltende, zunehmend ungeduldiger werdende Pochen störte ihn nicht. Da behauptete man immer, Magier hätten solch sensible Sinne! Kaiden ließ sich grundsätzlich von nichts stören, wenn er es mal schaffte zu schlafen – was selten vorkam. Eryk kannte keinen zweiten Menschen, der mit so wenig Schlaf funktionieren konnte. Sein Partner wurde von nichts aufgerüttelt, das leiser und behutsamer als eine Feuersbrunst oder Schlammlawine war. Manchmal nicht einmal davon, wie Eryk sich mit einem schmerzlichen Grinsen erinnerte. Das eine Mal, als er es gerade noch geschafft hatte, mit Kaiden über der Schulter einer Schlammlawine zu entkommen war unvergesslich. Kaidens Gesicht, der erst erwachte, als Eryk ihn in Sicherheit gebracht und mit einigen beherzten Ohrfeigen zu den Lebenden zurückgeholt hatte, würde er auch nie mehr vergessen.

Eryk warf sich rasch eine Decke über, da er nichts anderes auf die Schnelle finden konnte, um seinem Besucher nicht im Schlafhemd begegnen zu müssen. Mit drei Schritten durchquerte er die Wohn-, Ess-, Koch- und Arbeitsstube, den einzigen weiteren Raum dieses winzigen Häuschens, das Kaiden und ihm gemeinsam gehörte.

„Wer ist da?“, rief er durch die Tür.

„Ich brauche Hilfe!“

Der Stimme nach ein Mann, den Eryk nicht kannte, aber verzweifelt klang; also öffnete er den Riegel und ließ den neuen Kunden ein. Er war mittleren Alters, vom herbstlichen Nieselregeln durchnässt, ärmlich gekleidet. Seine bullige Gestalt verriet, dass er ein Handwerker oder Bauer sein musste, jemand, der zum Arbeiten geboren war.

„Bin ich hier richtig?“, fragte der Fremde misstrauisch, als er Eryk im Schein der Öllampe kurz gemustert hatte.

„Falls Ihr Dienste benötigt, um einen verlorenen Gegenstand zu finden, einen Diebstahl oder ein Verbrechen zu klären, dann seid Ihr richtig, werter Herr“, brummte Eryk mit all der Höflichkeit, die er schlaftrunken zusammenkratzen konnte. Er sprach jeden Kunden an, als wäre er mindestens ein Edelmann, selbst wenn man ihn auf dem ersten Blick als Bettler erkannte. Manchmal verkleideten Adlige sich absurd, um nicht erkannt zu werden, wurden aber wütend, wenn man sie ihrer Tarnung entsprechend empfing.

An das Misstrauen war Eryk gewöhnt. Zu Anfang reagierten beinahe alle Kunden skeptisch, vor allem, wenn sie zuerst Kaiden begegneten. Sein Partner sah jünger aus als die sechsundzwanzig Jahre, die er tatsächlich zählte, und das hübsche Sommersprossengesicht vertrug sich nicht mit seiner Reputation als geschickter Magier. Auch Eryk glaubte man seine fünfundzwanzig Lenze nur zögerlich. Nicht zum ersten Mal dachte er darüber nach, sich einen Bart wachsen zu lassen, um älter und, ja, männlicher zu wirken. Was sinnlos war, seine blonden Stoppeln weigerten sich, ihm anständig Wangen und Kinn zu bedecken, ohne wie ein mottenzerfressener Flickenteppich auszusehen. Zum Ausgleich trug er die Haare sehr kurz geschnitten, um wenigstens ein bisschen Härte vorzeigen zu können – er neigte zu ebensolchen Locken wie Kaiden. Als Kind war er mehr als einmal für ein Mädchen gehalten worden, was in mehrfacher Hinsicht ein Problem war, wenn man auf der Straße aufwuchs.

Er bemerkte den leicht verstörten Blick seines Besuchers und legte rasch das Schwert beiseite, ohne sich zu entschuldigen. Wer zu solch später – oder früher? – Stunde kam, musste mit so etwas rechnen.

„Mein Herr?“, fragte er ungeduldig. Der Mann zuckte zusammen und ließ sich dann auf den nächsten erreichbaren Stuhl fallen.

„Ich brauche Hilfe“, sagte er und starrte Eryk verloren an. „Mein Name ist Holgo, und … und …“

Schweigend goss Eryk etwas Weinbrand in einen Becher, der noch vom letzten Abend hier stand. Es war ihm gleichgültig, dass der Becher benutzt war, Holgo kümmerte es genauso wenig, sollte er es überhaupt bemerkt haben. Mit zitternden Händen hielt er sich an dem hölzernen Trinkgefäß fest, als wäre es eine Rettungsleine, und trank den starken Schnaps mit einem Schluck. Danach entspannte er sich tatsächlich ein wenig.

„Was ist passiert?“, erkundigte Eryk sich betont einfühlsam. Es musste etwas Ernstes geschehen sein, ein Mann, der mit harter Arbeit sein Brot verdiente, geriet nicht wegen einer entlaufenen Katze oder eines gestohlenen Schmuckstücks so außer sich.

„Mein Sohn … mein Sohn wurde entführt. Er heißt Fillip, ist siebzehn … Und nein, er ist nicht mit einem Mädchen durchgebrannt.“ Holgo straffte sich abwehrbereit, anscheinend hatte er bereits überall sonst um Hilfe gebeten, bevor er sich nach schlaflosen Stunden hierher gewagt hatte.

Eryk nickte nur und hob die Hand in einer beschwichtigenden Geste.

„Habt Ihr es gesehen? Die Entführung?“

„Nein. Ich war in der Werkstatt und hörte ihn schreien. Als ich auf der Straße ankam, war niemand mehr zu sehen. Das war vor zwei Tagen, seitdem habe ich nichts von ihm gehört oder gesehen.“

Offenkundig hatte er seitdem auch nicht mehr gegessen oder geschlafen, er hatte solch tiefe Ringe unter den Augen, sah so erschöpft und verzweifelt aus, dass Eryk beschloss, das Unmögliche zu versuchen: Kaiden aufzuwecken.

„Wartet einen Moment, mein Herr, ich muss meinen Partner dazu holen. Er ist ein versierter Magier und kann vermisste Personen im Handumdrehen aufspüren.“

Sicherheitshalber schloss Eryk die Tür zum Schlafraum, bevor er grimmig sein Werk begann. Holgo sollte möglichst wenig mit anhören müssen …

Erstaunlich schnell – nach lediglich einem Krug Wasser ins Gesicht, einem unsanften Schubs auf den Boden und etwa einer Minute Rütteln, Schütteln und Ohrfeigen – kam Kaiden zu sich.

„Wass’nlosdashier?“, nuschelte er und starrte erschrocken zu Eryk auf. Der warf ihm ein Handtuch an den Kopf und zwang ihn gleichzeitig auf die Füße.

„Ein Kunde. Sohn wurde entführt. Anziehen, hopp!“

Kaiden blinzelte verständnislos, hielt sich steif wie ein Brett in Eryks Griff, der ihn vor dem Zusammenbruch bewahrte. Dann kam Spannung in seinen Körper, er kam nun auch geistig in dieser Welt an. Eryk ließ ihn los und trat zurück, während Kaiden sich das nasse Schlafhemd über den Kopf zog. Hunderte Mal schon hatte Eryk ihm dabei zugesehen und konnte trotzdem den Blick nicht abwenden. Die unbekümmerte Natürlichkeit, mit der sein Partner sich nackt durch den Raum bewegte, war atemberaubend. Als sie sich vor über drei Jahren kennengelernt hatten, war Kaiden ein typischer Magier gewesen – hager, weich, ohne jedes Gefühl für den eigenen Körper, der nur als Gefäß für Verstand und Magie galt. Eryk hatte ihn davon überzeugen können, dass ein Soldat manchmal schneller war als jeder Kampfzauber, für den wertvolle Augenblicke der Konzentration vergeudet werden mussten. Seitdem übte Kaiden täglich mit zwei kurzen Schlaghölzern, die er als geeignete Waffen auserkoren hatte. Er hatte Talent und es hatte wundersame Auswirkung auf das Äußere seines Partners gehabt. Eryk schlüpfte rasch selbst in Hemd und Hose, ließ Kaiden dabei aber kaum einen Moment aus den Augen. Niemand würde den Kleinen jemals mit einem Krieger verwechseln, doch für einen Gaukler oder Tänzer hatte man ihn schon häufiger gehalten. Seine Schultern waren breit, und mochte er auch vom Typ her niemals echte Muskelmasse aufbauen können, so war er zumindest sehnig und äußerst geschmeidig. Seine milchweiße Haut schimmerte beinahe im flackernden Licht der Laterne, die Eryk entzündet hatte. An Armen und Schultern war er ähnlich sommersprossig wie im Gesicht, ein reizvoller Anblick.

So wie alles an Kaiden eben. Ein Glück, dass der Junge ein solch unerträglicher Quälgeist war und zugleich so unschuldig wie ein Lämmchen. Wenn er ahnen würde, was Eryk sich in so mancher Nacht ausmalte, während er sich selbst befriedigte …

~*~

Kaiden spürte die Blicke seines Partners, sie verbrannten ihm regelrecht die Haut. Wie gut, dass Eryk ihn körperlich so abstoßend fand! Die finstere Abscheu, mit der er gemustert worden war, als Eryk ihn das erste Mal nackt gesehen hatte, würde er nie vergessen.

„Ein verhungertes Kaninchen hat mehr Muskeln als du!“, hatte er kopfschüttelnd gesagt und angeekelt das Gesicht verzogen. Danach hatte Kaiden unermüdlich an sich gearbeitet, um Eryk zu gefallen und seinen eigenen verletzten Stolz zu pflegen. Mittlerweile war ihm klar, dass Eryk sich wohl immer vor ihm ekeln würde. Jedes Mal, wenn Kaiden sich umzog, starrte Eryk ihn gleichermaßen finster an und zuckte zurück, wenn sie sich dabei zufällig berührten. Er wurde es nicht müde, über Kaidens Milchhaut, über all die Sommersprossen und seine dürren Arme zu lästern. Manchmal hatte Kaiden das Gefühl, dass noch etwas anderes als faszinierte Abscheu in diesen Blicken lag. Immer dann, wenn Eryk sich ein Kompliment über seine Fortschritte mit den Kampfstöcken abrang, gefolgt von Sprüchen wie: „Vielleicht wirst du in zwanzig Jahren tatsächlich auch ohne Magie da draußen überleben können.“

Oder: „Sei froh über dieses Zauberzeugs, ein Knochensack wie du hätte die Kindheit nie überlebt. Irgendjemand hätte dir gewiss diese Haare in Brand gesteckt.“ Kaiden war so dankbar dafür, es sicherte ihre Freundschaft. Er zahlte es Eryk oft mit gleicher Münze heim und überhäufte ihn mit Beschimpfungen. Niemals ließ er sich anmerken, wie schwer es ihm fiel, sich nackt zu präsentieren und damit unweigerlich Spott auszusetzen.

Er wollte verdammt sein, bevor er sich prüde gab und Schwäche zeigte! Es war gut so, wie es zwischen ihnen lief. Jener Teil seiner Seele, der deswegen vor Trauer weinte, blieb tief begraben.

~*~

„Das hier habe ich vor meiner Haustür gefunden, nachdem mein Junge verschleppt wurde“, sagte Holgo und zog einen Fetzen schwarzen Stoffs hervor. Kaiden spürte es bereits, noch bevor er ihn berührte: eine schwache magische Aura.

„Ein Magier?“, fragte Eryk sofort, der wohl seine Reaktion beobachtet hatte. Kaiden nickte. Offenbar war der Fall interessanter, als zuerst vermutet. Wer entführte schon einen Handwerkersohn?

„Ist das schlimm?“ Holgo klammerte sich an der Tischkante fest.

„Nein, nein. Es verlangsamt die Sache nur“, versicherte Kaiden rasch. „Normalerweise brauche ich bloß einen Suchzauber zu wirken und kann jeden Menschen im Umkreis von etwa dreißig Meilen sofort aufspüren. Wenn ein Magier beteiligt ist, wird er sich selbst und Fillip tarnen, um nicht entdeckt werden zu können.“

„Aber ihr könnt ihn finden?“, murmelte Holgo mit der niedergeschlagenen Miene eines Mannes, der alle Hoffnung aufgegeben hatte. „Ich kann nicht viel bezahlen“, fügte er zögerlich hinzu. „Ich war bei der Stadtwache und habe mehrere Söldner gefragt, ob sie mir helfen würden, sie haben mich alle fortgejagt. Das Wenige, das ich habe, soll alles euch gehören, wenn ihr mir meinen Sohn wiederbringt.“ Er legte einige Münzen auf den Tisch. Zwei Silberstücke, eine Handvoll Kupfer. Kaum genug, dass ein einzelner Mann sich davon eine Woche lang ernähren könnte. Kaiden war sich sicher, dass Holgo außer Fillip noch weitere Kinder daheim hatte, die gefüttert werden mussten. Vermutlich war seine Frau tot oder schwer krank und konnte deshalb nicht mehr mitarbeiten. Andernfalls hätte dort mehr Geld liegen müssen, so schlecht ging es einem tüchtigen Handwerker normalerweise nicht. Meister Holgo war ein Zimmermann, wie sie mittlerweile erfahren hatten, ein angesehener Beruf.

Bevor Kaiden reagieren konnte, griff Eryk nach dem Geld. Sorgsam sammelte er jede Münze auf, nahm dann Holgos Hand, legte das jämmerliche bisschen hinein und schloss die zittrigen Finger des Mannes darüber.

„Kauft davon Essen für Eure Kinder“, sagte Eryk und ließ ihn los.

„Wir sind nicht mit Reichtum gesegnet, wie Ihr sehen könnt, aber wir rauben niemanden aus, der uns um Hilfe anfleht. Geht nach Hause, Holgo. Ich will nicht so albern sein und Euch einreden, dass Ihr Euch keinerlei Sorgen mehr machen müsst, denn wer einen geliebten Menschen vermisst, ist immer in Sorge“, sagte Kaiden, der wusste, dass sein Partner dasselbe dachte, nur nicht in kurze Worte fassen könnte.

„Wir kümmern uns um Fillip“, fügte Eryk hinzu. „Sobald wir wissen, welches Schicksal ihn getroffen hat, werdet Ihr es erfahren.“

Meister Holgo stammelte seinen Dank hervor und versuchte zugleich darauf zu bestehen, für ihre Hilfe zu bezahlen.

„Wir haben im Winter Probleme mit den Fensterläden, sie verziehen sich in der Kälte.“ Kaiden nickte Eryk zu, der das Stichwort sofort aufgriff. „Ja, der Wind geht durch. Und wenn es schwer regnet, ist das Dach nicht ganz dicht. Wenn Ihr uns damit helfen könntet, werter Meister, wäre das kostbarer als Euer Geld.“

Holgo versprach umgehend, die gesamten Dachbalken zu erneuern, was sie ihm gerade noch ausreden konnten, und schickten ihn dann nach Hause zu seiner Familie.

Eryk seufzte erleichtert, als er die Tür hinter Holgo verriegelte.

„Das war sehr geschickt“, murmelte Kaiden, während er in Gedanken bereits verschiedene Möglichkeiten durchging, das Problem lösen zu können.

„Hm?“ Eryk warf einen Blick in den Brandweinkrug und teilte die letzten Tropfen darin für sie beide auf.

„Wie du die Möglichkeit sprachlich umschifft hast, dass Fillip tot oder außer Reichweite auf einer Sklavengaleere sein könnte, das war sehr geschickt.“

„Hm.“

Kaiden lächelte insgeheim, Eryk konnte wunderbar einsilbig sein. An der Art, wie er verlegen auf den Tisch starrte und mit seinen Fingern spielte, wurde deutlich, wie sehr sich Eryk über das Lob freute. Es war einer der Momente, in denen Kaiden sich am liebsten über den Tisch werfen und Eryk umarmen, durch das raspelkurze Haar wühlen und diesen Mann bis zur Besinnungslosigkeit küssen würde.

Holgo hatte ihnen auf seine Bitte hin ein Holzfigürchen dagelassen, das entfernte Ähnlichkeit mit einer Katze besaß. Das erste Schnitzwerk, das Fillip als Kind geschaffen und seinem Vater geschenkt hatte. Kaiden drehte es zwischen den Fingern und versuchte die Erinnerungen des Holzes zu finden. Holgos Gesicht flackerte hartnäckig vor Kaidens innerem Auge, er musste lange suchen, bis er den blassen Hauch eines zweiten Gesichts entdeckte. Holgo hatte versichert, dass Fillip dieses Figürchen wenige Tage vor seinem Verschwinden in der Hand gehalten hatte. Das reichte normalerweise nicht, um die geringen Energien aufzuspüren, die ein Mensch durch seine Berührung auf einen Gegenstand übertrug. Doch Fillip hatte dieses Holz geformt und bearbeitet, und das hinterließ einen tiefen Eindruck. Rasch fand Kaiden die Spur, die ihn zuerst einen etwa achtjährigen Jungen erblicken ließ, dann aber weiterführte, bis aus dem blassen Hauch ein so deutliches Bildnis wurde, als stünde der junge Mann leibhaftig vor ihm.

„Oh Göttin der Weisheit.“ Kaiden seufzte und blickte auf. Eryk kannte diese Prozedur bereits und hatte ihn schweigend beobachtet, nachdem er ein Stück beinahe sauberes Pergament und Holzkohle bereitgelegt hatte.

Kaiden hielt sich an dem Bildnis fest, das die Holzfigur offenbart hatte, und zeichnete mit raschen, sicheren Bewegungen das Gesicht nach. Als er fertig war, seufzte auch Eryk bekümmert. Fillip war mit rarer männlicher Schönheit gesegnet, sein jugendliches Gesicht strahlte in nahezu schmerzhafter Vollkommenheit.

„Sklavengaleere können wir ausschließen“, stellte Eryk pragmatisch fest. „Niemand würde einen solchen Jungen für so etwas verschwenden.“

Kaiden schlüpfte in seine Stiefel und begann eine kurze hektische Suche nach seinem Mantel. Er war nachlässig mit seinen eigenen Sachen. Sobald er sie nicht mehr brauchte, ließ er sie meist stehen und liegen, wo immer er sich gerade befand. Es war ein Quell unerschöpflicher Erheiterung für Eryk, dass er, einer der begabtesten Suchmagier des ganzen Reiches, so viel Zeit mit der Jagd nach verlorenen Besitztümern zubringen musste. Zumal er ungern Magie einsetzte, nur um einen verlegten Mantel zu finden. Ein Magier konzentrierte sich ein Leben lang darauf, seine Kräfte nicht zu benutzen, andernfalls würde er allzu leicht die Kontrolle verlieren und verheerende Zerstörungen anrichten oder gänzlich ausbrennen.

Der Mantel befand sich unerklärlicherweise genau dort, wo er hingehörte, nämlich in der Kleidertruhe. Kaiden bedachte seinen Partner mit einem wütenden Blick, der allzu unschuldig aus blau-grauen Kulleraugen erwidert wurde; dann stürzten sie sich in die Nacht hinaus.

~*~

Rashmind, die Hauptstadt des Königreiches Laymark, war für seine himmelhohen Stadtmauern, seine Barden und die zahllosen Tavernen berühmt. Nur in Rashmind gab es eine Akademie, an der Barden geschult wurden. Da die Ausbildung selbst bezahlt werden musste, verdienten die jungen Männer und Frauen sich ihren Unterhalt, indem sie nachts in den Tavernen vorführten, was sie tagsüber gelernt hatten. Wer sich hier durchsetzen konnte, hatte Aussicht, es bis an den Königshof zu schaffen, und das nicht nur im eigenen Lande. Wobei niemand, der bei Verstand war, nach Onur reisen wollte, jenem barbarischen Nachbarland, in dem sich der Adel in permanenten Kriegszustand mit seinesgleichen befand.

Lark der Größere war vermutlich nie so recht bei Verstand gewesen, denn er war nicht nur nach Onur gereist, sondern hatte sogar eine Weile dort gelebt. Dass er zurückgekommen war, wertete Eryk als die klügste Entscheidung, die Lark wohl jemals getroffen hatte. Seinen Beinamen hatte er von jung an. Seine Eltern hatten irgendwann den Überblick über ihre Kinderschar verloren sowie die Lust, sich jedes Mal einen neuen Namen auszusuchen. Darum hatte Lark noch einen jüngeren Bruder, der konsequent Lark der Kleinere genannt wurde. Auch, wenn der Kleine mittlerweile einen Kopf größer war. Lark der Größere besaß das seltene Talent, alles das zu hören, was nicht für seine Ohren bestimmt war, und sehr sorgsam zu entscheiden, wem er diese Geheimnisse weitergab. Genau deshalb saßen Kaiden und er zur dritten Morgenstunde in der bereits fünften Taverne – sie hatten erst einige andere Quellen abgeschöpft, aber Lark war von Anfang an ihr Ziel gewesen –, tranken Bier, spielten Karten und zeigten nebenher das Bild von Fillip all jenen, die möglicherweise etwas wissen könnten. Bislang war ratloses Schulterzucken die einzige Antwort gewesen, doch Lark studierte die Zeichnung nun bereits seit mindestens zwei Minuten, und das war ein gutes Zeichen.

Die Art, wie Kaiden umnebelt grinste und einer grässlichen Statue irgendeiner nichtmenschlichen Wesenheit die Geheimnisse der Berechnung von Kreisen und deren Bedeutung für das Universum enthüllte, war ganz entschieden kein gutes Zeichen. Der Magier war nur bis zu einem gewissen Punkt trinkfest, und den hatten sie offenbar schon vor einer Stunde überschritten.

Eryk beschloss, alle weiteren Nachforschungen auf morgen zu verschieben, sollte Lark ihnen auch nicht weiterhelfen können.

„Ein Magier ist verwickelt, sagtest du?“, murmelte Lark in diesem Moment. Bei der Lautstärke, die in der Taverne herrschte, bedeutete Murmeln, dass er in Eryks Ohr brüllte. Keine angenehme Erfahrung, denn Larks Atem stank so widerlich, dass Kaidens ungewaschene Socken dagegen wie ein liebliches Duftröschen erschienen.

„Ay, ein Magier. Weißt du nun was oder nicht?“

Lark zögerte. Er war Mitte vierzig und besaß noch alle Zähne, was man in dieser Stadt und bei seinem Talent nur schaffte, wenn man wirklich sehr besonnen beim Handel mit Informationen war.

Schließlich seufzte er und nickte zu Kaiden hinüber.

„Sammle deinen Partner ein, meine Schwester macht mich einen Kopf kürzer, wenn die Statue beschädigt wird. Kommt mit ins Hinterzimmer.“

Die Taverne gehörte Larks ältester Schwester Vanda, eine Frau, mit der sich nicht einmal Leute anlegen wollten, die sonst ohne zu zögern in eine Drachenhöhle marschieren würden.

Kaiden war nicht allzu kooperativ, ließ sich aber ohne Anwendung von Gewalt davon überzeugen, dass sein Gesprächspartner auch ohne ihn und die höhere Mathematik überleben würde. Eryk schubste ihn im Hinterzimmer liebevoll in eine Ecke, deckte ihn mit seinem Mantel zu und tätschelte beruhigend seine Wange, als er Anstalten machte wieder aufzustehen. Kaiden sank jammernd zurück und versuchte sich am Boden festzuhalten.

„Ihr wollt’s wirklich wissen, hm?“, fragte Lark amüsiert, wurde allerdings sofort wieder ernst. Er vergewisserte sich zweimal, dass die Tür verriegelt war, und zog Eryk dann in die Mitte des Raumes, wo er ihn beschwor, sehr leise zu sprechen.

„Übertreibst du es nicht ein bisschen? Wer soll uns denn hier belauschen?“ Larks Benehmen war wirklich beunruhigend.

„Lieber dreimal hingeguckt als einmal in die Scheiße getreten“, murmelte Lark, diesmal kaum hörbar. „Is’ ne brisante Sache, wenn es das ist, was ich vermute. Schon mal von den Angelevanern gehört?“

„Die Dämonenanhänger?“ Eryk furchte die Stirn bei dem Versuch, sich an die wenigen Details zu erinnern, die er über diese Gruppe wusste. Fürst Angelevar, der vor über zwei Jahrzehnten hingerichtet wurde, galt als Begründer, was allerdings nicht sicher war. Möglicherweise hatten sich nur einige Wirrköpfe diesen Mann als Vorbild genommen, dem man die üblichen Gräueltaten nachgesagt hatte – von Jungfrauenschändung bis Opferung eines Neugeborenen war alles dabei.

„Vergiss die Dämonen, das ist nur zur Tarnung, damit die Obrigkeit sie in Ruhe lässt. Über Dämonenpaktierer regen sich nur Priester wirklich auf, außer, es verschwinden zu viele junge Mädchen. An denen haben die Angelevaner allerdings kein Interesse, wenn du verstehst, was ich meine.“ Lark starrte ihn bedeutungsvoll an. Eryks bierumnebelter Verstand brauchte eine ganze Weile, bis er ahnte, was gemeint war – „Männer mit … Männern?“

„Geht doch“, brummte Lark und sah sich dabei hektisch um, obwohl Eryk so leise gesprochen hatte, dass er sich selbst kaum verstehen konnte.

„Man munkelt, dass die aus allen Schichten kommen. Einfache Leute, wohlhabende Bürger, Reiche, Adlige, Magier, sogar Priester sollen dabei sein. Man munkelt auch, dass einige der wirklich Reichen gerne männliche Sklaven haben, so wie das dekadente Volk in Irtrawitt. Zu diesem Zweck sollen, so sagt man, hübsche Knaben von der Straße entführt werden. Junge Männer aus der Unterschicht, für die sich die Stadtgarde ’nen feuchten Dreck interessiert. Man sagt, dass Magier diese Entführungen vornehmen, damit ihnen niemand auf die Spur kommt.“

„Und sagt man auch, wohin die Männer gebracht werden?“, flüsterte Eryk. Er hatte genauso wie Kaiden geahnt, dass Fillip ausschließlich aufgrund seines Aussehens entführt wurde, hatte allerdings eher an eine weibliche Adlige gedacht, die sich ein hübsches Spielzeug leisten wollte, oder an Sklavenjäger aus Irtrawitt. Im Reich jenseits der Eisenberge sollte es von reichen Männern wimmeln, die sich an ihren Sklaven vergingen.

„Nun, man sagt, dass dort nur Angelevaner rein kommen. Und wenn du verstehst, was ich meine, da verlässt sich keiner auf die simple Behauptung, du würdest lieber Kerle als Frauen mit ins Bett nehmen.“

Eryk schluckte und widerstand nur mühsam dem Verlangen, in die Ecke zu blicken, in der Kaiden betrunken vor sich hinbrabbelte.

„Wahrscheinlich reicht es wohl nicht, Hand in Hand mit einem gut aussehenden Kerl aufzutauchen und so zu tun, als würde man ihn daheim … was auch immer?“

Larks rundliches Gesicht verzerrte sich, als hätte er einen Frosch verschluckt.

„Nee, das reicht nicht. Man sagt, da muss man öffentlich beweisen, wie man gestellt ist. Nur dann darf man an den Orgien und Auktionen teilnehmen.“

„Auktionen heißt, die Entführten werden verkauft wie … wie Ziegen?“, fragte Eryk entsetzt.

„LEISE! Ja, genau das ist damit gemeint. Also, mir ist es ja egal. Ich würde raten, sagt dem Vater des Jungen, sein Sohn ist tot und vergesst die Sache. Wenn ihr das durchziehen wollt, dann müsst ihr … du weißt schon, und ich denke nicht, dass dein Partner sich darauf einlässt. Ich meine, Kaiden wäre rein körperlich naturgemäß der, der unten liegt und so …“ Lark wurde rot, vor Verlegenheit wusste er kaum, wohin er blicken sollte. Was für diesen Mann, der über jedes von Menschen verübte Verbrechen ohne mit der Wimper zu zucken sprechen konnte, sehr ungewöhnlich war. Über solche Dinge flüsterte man in Rashmind nicht einmal in Hinterzimmern.

„Nur für den Fall, dass wir uns das antun würden – wohin müsste man gehen?“, flüsterte Eryk mit glühenden Wangen. Er konnte spüren, wie Lark ihn mit seinen hellen Augen skeptisch musterte, sehen wollte er es nicht.

„Ich werde mich umhören“, erwiderte Lark nach einer langen Pause. „Morgen Nachmittag komme ich zu euch. Bis dahin dürfte dein Partner auch wieder ansprechbar sein.“

„Lark, wir sind nicht …“, begann Eryk hastig, doch Lark hielt ihm kurzerhand den Mund zu.

„Ich weiß, Junge. Du hast von mir nichts zu befürchten. Selbst wenn ihr euch, nun ja, lieben würdet.“ Lark lächelte, und es sah ehrlich aus. „Mit Liebe kann ich umgehen. Wenn man halbe Kinder zu so was zwingt nicht. Egal, ob Männlein oder Weiblein.“

Er winkte zu Kaiden hinüber, klopfte Eryk herzhaft gegen den Arm und ging dann zurück in den Schankraum.

„Nun gut, heimwärts, Kleiner.“ Ächzend zog Eryk Kaiden in eine mehr oder weniger aufrechte Position und zwang ihn, sich vorwärts zu bewegen.

„Nich’ … Dreht sich alles ... Hab’n Schu… Stu… Sturm“, lallte Kaiden und sank schlaff gegen ihn.

„Wehe, du kotzt mir auf die Stiefel.“ Eryk packte ihn fest und schleifte ihn mit sich.

Nach mehreren Unterbrechungen, in denen Kaiden sich von seinem Mageninhalt befreite – fern von Eryks Stiefeln –, schafften sie es unbehelligt nach Hause. Eryk legte den mittlerweile fast bewusstlosen Magier auf sein Bett und begann ihn auszuziehen. Es war nicht das erste Mal, dass er so etwas für ihn tat, und umgekehrt hatte Kaiden ihm schon so oft nach einer durchgezechten Nacht beigestanden, dass er es gar nicht zählen konnte. Ein wenig beklommen hatte er sich immer gefühlt, wenn sein Partner nackt und hilflos vor ihm lag, darum hatte er sich stets beeilt, ihm das Schlafhemd überzustreifen und ihn zuzudecken. Heute war es anders. Larks Worte geisterten durch sein Bewusstsein. Die Vorstellung – der bloße Gedanke, alles das tatsächlich zu tun, was er sich in seinen beschämendsten Träumen ausgemalt hatte – ließ ihn hart werden. Seine Hände zitterten, während er Kaiden von seiner Hose befreite und er konnte den Blick nicht von dem schlanken, wohlgeformten Körper lassen.

„Waschtuuu?“, lallte Kaiden und öffnete mühsam die Augen.

„Scht, alles gut, Partner. Du hast zu viel getrunken“, sagte Eryk und streichelte ihm über die Wange. Nur kurz, dann zuckte er hastig zurück. Zu viel Zärtlichkeit war hier fehl am Platz!

„Kalt …“ Kaiden schauderte und versuchte stöhnend sich zusammenzurollen, was offensichtlich Schmerzen und Übelkeit verursachte, so, wie er das Gesicht verzerrte. Eryk kannte die Vorzeichen, schnappte sich rasch den Eimer, den er schon bereitgestellt hatte, und packte Kaiden gerade noch rechtzeitig, um die Laken zu retten. Es war nicht gut für seinen verwirrten Zustand, einen nackten Mann im Arm zu halten, ihm den Kopf zu stützen und beruhigend auf ihn einzureden, während er ihm durch das verschwitzte Haar strich. Es war nicht gut, dass er es so sehr genoss, ihm beizustehen. Es war nicht gut, wie vertrauensvoll Kaiden nach ihm griff, um Halt zu suchen.

Als die Attacke vorbei war, bettete Eryk ihn zurück auf das Kissen und deckte ihn halb zu.

„Ich komm gleich wieder“, sagte er leise. Während er den Eimer ausspülte und eine Schüssel mit Wasser füllte, versuchte er den Kopf wieder klar zu bekommen. Rasch wusch er sich selbst von Kopf bis Fuß mit eisigem Wasser, was zumindest gegen die hartnäckige Erregung half, dann füllte er die Schüssel neu und marschierte in den Schlafraum. Kaiden dämmerte bloß, sobald Eryk sich zu ihm setzte, schlug er die Augen wieder auf. Er sagte nichts, beobachtete ihn nur aufmerksam, während Eryk ihm erst einen Becher voll Wasser einflößte und danach Gesicht und Oberkörper wusch.

„Es tut mir leid“, murmelte Kaiden schließlich erstaunlich deutlich und wandte mit einem gequälten Ausdruck den Kopf ab.

Er hatte sich noch nie dafür entschuldigt, betrunken zu sein, zumal es diesmal dienstlich gewesen war, um Informationen zu sammeln.

„Ist nicht schlimm“, versicherte Eryk verwirrt und überlegte dabei, was er Kaiden anziehen sollte. Dessen Schlafhemd war noch durchnässt von der Weckattacke, und er hatte lediglich ein einziges sauberes Hemd übrig. Falls er sich wieder übergeben musste, stünde er womöglich morgen ohne Kleider da. Eryk hatte ebenfalls keinen Wäschevorrat mehr; also musste Kaiden so bleiben, wie er war.

„’s tut mir leid.“ Kaiden hatte die Lider geschlossen und hauchte die Worte mühsam hervor. Irgendetwas schien ihn ernstlich zu beschäftigen.

„Was tut dir leid?“ Eryk zog ihm die Decke bis zum Kinn und lächelte beruhigend.

„Dass du mich anfassen musst. Tut mir leid.“ Kaiden drehte sich ächzend von ihm weg.

„Wir sind Partner, erinnerst du dich? Du rettest meinen Hintern und ich deinen.“

Das war wohl nicht die klügste mögliche Wortwahl. Eryk schluckte, verdrängte alle aufkommenden Vorstellungen und berührte ihn sacht an der Schulter.

„Ich hab dich schon so oft angefasst, ist doch kein Problem?“ Und Kaiden hatte ihn auch bereits unzählige Male berührt … Das eine Mal, als sie in einen Straßenkampf verwickelt wurden und nur Kaidens Kampfmagie sie heil herausgebracht hatte, da war Eryk übel zugerichtet worden. Sein Partner hatte ihn mit allem versorgt und zwei Tage und Nächte schlaflos neben ihm gewacht.

„Kaiden?“ Eryk spürte das Zittern, das nur eines bedeuten konnte. „Hey, mach keinen Unsinn, Kleiner!“

Kaiden versuchte sich zu wehren, aber ihm fehlte die Kraft, sich gegen Eryk zu stemmen, der ihn zu sich herumdrehte. Tränenblind sah Kaiden zu ihm auf. Weil er sich sonst nicht zu helfen wusste, nahm Eryk ihn behutsam in die Arme und barg Kaidens Kopf an seiner Schulter. Seit dem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte Kaiden noch nie geweint. Vielleicht waren ihm irgendwann vor Schmerz einige Tränen über das Gesicht gekullert, aber tatsächlich geweint – das war undenkbar. Er musste wirklich erschöpft und betrunken sein, der Himmel mochte wissen, was er gerade dachte. Ob er vielleicht etwas von Larks Ausführungen aufgeschnappt hatte?

Unbeholfen hielt Eryk ihn an sich gedrückt und lauschte den ruckartigen Atemzügen, spürte, wie der warme Körper bebte und krampfte, wie rasch Kaidens Herz schlug.

Nach einigen Minuten entspannte er sich und lag nun ruhig in Eryks Umarmung.

„Alles wieder gut?“, murmelte er in die roten Locken hinein. Kaiden regte sich nicht – er war eingeschlafen und damit erneut für die Welt verloren.

Eryk deckte ihn fürsorglich zu und wankte in sein eigenes Bett. Der Tag war anstrengend gewesen, die Nacht noch viel mehr. Nicht einmal die beängstigenden Bilder, die Larks Andeutungen provozierten, konnten ihn lange vom Schlaf fernhalten.

~*~

Noch bevor Kaiden die Augen aufschlug, wusste er, dass es ein Fehler war, den er bereuen würde. Von heute an nur noch Wasser!, schwor er sich selbst. Das bisschen Tageslicht, das durch die geschlossenen Fensterläden drang, stach wie Nadeln in seine Augen und der Kopfschmerz flammte hinter seiner Stirn hoch wie ein Steppenbrand. Stöhnend versuchte Kaiden sich zu erinnern, was letzte Nacht geschehen war. Eine Begegnung mit einer durchgehenden Kuhherde war es wohl nicht gewesen, auch wenn es sich so anfühlte.

Meister Holgo – entführter Sohn – Streifzug durch die Tavernen – viel zu viel Bier – und dann?

Kaiden unterdrückte all die Schmerzlaute, die er am liebsten herausgeschrien hätte, als er sich mühsam aufzusetzen versuchte. Irgendwo hatte er noch etwas von dem wundersamen Elixier, das zuverlässig gegen den Saufschädel half … Allmählich erwachten auch seine anderen Sinne, sodass Kaiden mehr wahrnehmen konnte als nur Übelkeit, Kopfschmerz und grässlichen Durst. Dass er nackt war, irritierte ihn. Zu dieser Tatsache gehörte eine Erinnerung, die sich nicht fassen lassen wollte – bis sein Blick auf Eryk fiel, der wie erschlagen auf dem Bauch lag und fest schlief.

Oh Göttin der Weisheit, ich hab doch nicht wirklich rumgeheult?, dachte Kaiden entsetzt. Hoffentlich war Eryk selbst zu betrunken gewesen, um sich daran erinnern zu können! Scham brannte so heiß in ihm, dass es alles andere verdrängte. Nachdem er sein Heilelixier gefunden und heruntergewürgt hatte, ging es Kaiden aber sofort in jeder Hinsicht besser. Was auch immer er letzte Nacht gesagt oder getan haben mochte, er war so volltrunken gewesen, dass absolut alles damit entschuldigt werden konnte. Selbst wenn er Eryk erzählt haben sollte, dass er sich mit der Riesenschildkröte ihres Nachbarn zur linken Seite verloben wollte, würde sein Partner sich keine Sorgen um seine geistige Gesundheit machen. Dass Kaiden etwas von seinen wahren Sehnsüchten erzählt hatte, schloss er aus. So betrunken konnte er nicht werden, um derart außer Kontrolle zu geraten.

~*~

Kaiden hatte den Bericht über das, was Eryk in der Nacht erfahren hatte, unbewegt hingenommen. Er hatte lediglich einige sachliche Fragen gestellt und war dann zu seinem gewohnt anstrengenden Selbst zurückgekehrt. Eryk hatte das Geplapper über alles Mögliche und Unmögliche sowie das agile Umherwuseln seines Partners lange genug toleriert, um einen kräftigen Schluck von Kaidens Kopfschmerz-Weg-Elixiers und ein Frühstück zu genießen. Dieser Zaubertrank war absolut widerlich und durfte sowieso nur sparsam genommen werden, er machte süchtig. Ein kräftiges Essen, so wie sein Partner es servierte, war deutlich besser, um einen Mann mit der Welt zu versöhnen. Niemand war so geschickt darin, Teigfladen aufzubacken und mit einer Mischung aus Käse, Kräutern und Gewürzen köstlich zu füllen, wie Kaiden. Dafür konnte man ihm so einiges verzeihen.

Sein Partner schimpfte hinter ihm her, als Eryk ihn einfach mit dem Abwasch stehen ließ und sich in den Keller verzog. Unter der Wäschetruhe im Schlafzimmer befand sich eine Falltür, die in das unterirdische Reich dieses armseligen Häuschens führte. Zuerst gelangte man in eine enge, unschuldig aussehende Vorratskammer, doch hinter einem Regal öffnete sich eine Tür zu zwei weiteren Räumen. Der eine bot großzügigen Platz für ihr Waffentraining; in dem anderen bereitete Kaiden seine Elixiere zu und verwahrte all die gelehrten Bücher und Ingredienzien, von denen manche ein Vermögen wert und beinahe alle strikt verboten waren.

Magier hatten einen merkwürdigen Stand in Rashmind. In jedem anderen Land des Kontinents wurden magisch begabte Kinder zu Priestern geweiht, da sie so offensichtlich von den Göttern erwählt waren. Magie auszuüben, ohne Priester zu sein, war verboten. Undenkbar. Blasphemie! Auch in Rashmind galt dieses ungeschriebene Gesetz, trotzdem lebten hier einige Hundert Magier, die keinem Tempel angehörten und sich nicht Priester nannten. Sie bildeten eine Art Gilde, zahlten hohe Abgaben an die Stadtobrigkeit und wurden darum geduldet. Die meisten Magier mühten sich eifrig, nützlich zu erscheinen und den Normalsterblichen zu helfen. Die anderen … nun, darum kümmerten sich ihresgleichen.

Eryk war froh, dass sein Partner erst nach weit über einer Stunde nachfolgte und finster blickend schwor, sich nie wieder um die Schmutzwäsche zu kümmern. Offenbar hatte er also nicht nur das Geschirr übernommen, worauf Eryk insgeheim spekuliert hatte.

Kaiden griff zu seinen Kampfstöcken und begann mit den alltäglichen Übungen. Eryk war bereits verschwitzt gewesen, aber Kaiden zu beobachten, wie er mit nacktem Oberkörper durch den Raum glitt, wie er die beiden Stöcke in fließenden Bewegungen durch die Grundmuster der Angriffstechniken tanzen ließ, wie sich die schlanken Muskeln spannten …

Die Erinnerung, wie sich dieser sehnige Leib angefühlt hatte, als Kaiden besinnungslos trunken in seinen Armen lag, brachte Eryk endgültig aus dem Takt der eigenen Übungen. Er versuchte sich zu konzentrieren. Nicht an Larks Worte zu denken, die irgendetwas in Eryks Innerem gelöst hatten, nicht an Kaidens Tränen, nichts von alledem!

Doch erst als er das Übungsschwert ablegte und dazu überging, auf den strohgefüllten Ledersack einzuprügeln, der zu genau diesem Zweck von der Decke baumelte, gelang es ihm, diese sinnlosen Bilder zu verscheuchen.

Diese Traumgespinste, was er mit Kaidens Körper so alles anstellen könnte, wenn der nicht verflucht noch mal verbotenes Terrain wäre.

~*~

Eryk befand sich in einem Zustand höchster Anspannung, als es am späten Nachmittag an der Tür klopfte und Lark seinen unscheinbaren dunkelhaarigen Kopf hereinstreckte.

„Wieder unter den Lebenden?“, begrüßte Lark sie beide und klopfte Kaiden im Vorbeimarsch herzhaft auf den Rücken. Erst dann schien er das Chaos in der Wohnstube wahrzunehmen, das Kaiden bei der Erfüllung seiner Waschmission angerichtet hatte: Haushaltswaren aller Art, Schriftrollen, Bücher, Schreibgerät, alles stapelte sich auf dem Boden, dem Tisch und jeden verfügbaren Fingerbreit, um Platz für den Waschzuber zu schaffen, den Kaiden mitten im Raum hatte stehen lassen. Die saubere Wäsche tropfte von einer Leine vor der Feuerstelle vor sich hin, auf den Holzdielen hatten sich bereits Pfützen gebildet, die sich mit der verschütteten Waschlauge vermischten. Eryk hatte keine Lust gehabt, hinter seinem Partner herzuräumen, der wie üblich das Wort Ordnung nicht einmal buchstabieren konnte. Alles in allem sah es so aus wie immer, nur ein wenig schlimmer als üblich. Lark war allerdings noch nie zu Besuch gewesen und betrachtete das Chaos kopfschüttelnd.

„Jungs“, verkündete er schließlich, „einer von euch beiden sollte dringend heiraten.“ Er störte sich nicht an den finsteren Blicken, mit denen er von zwei Seiten bedacht wurde, senkte allerdings die Stimme, bevor er fortfuhr: „Lasst euch wenigstens häufiger mal bei den Huren blicken oder bringt respektable Witwen hierher, und sei es nur zum Putzen. Wenn – falls ihr wirklich versuchen wollt, dem kleinen Zimmermannsjungen zu helfen, wird es nicht lange dauern, bis euch die Gerüchte um die Ohren schlagen.“

Ohne einen Ton zu sagen, drehte sich Kaiden plötzlich um und verschwand im Schlafraum.

„Er weiß Bescheid?“, fragte Lark fast unhörbar leise. Eryk nickte nur, seine Kehle war wie zugeschnürt.

„Ihr wollt das nicht wirklich durchziehen, oder? Es wäre vollkommen verrückt. Eryk? Hörst du mir noch zu? Gut. Denkt nicht mal darüber nach. Wenn ihr aus der Rolle fallt und die Angelevaner merken, dass ihr gar kein Liebespaar seid, ist es vorbei mit euch. Die hab’n mindestens ein halbes Dutzend Magier auf ihrer Seite, der Kleine könnte euch da also nicht einfach rauszaubern. Vergesst diesen Fillip, ihr kennt den Jungen nicht mal.“ Lark sprach so rasch, als wollte er Eryk hypnotisieren. „Ich weiß, ihr spielt gerne auf Risiko, glaubt nicht, dass ich je den irrsinnigen Coup mit den Schmugglern vergessen könnte, als du so getan hast, als wärest du einer von ihnen und Kaiden sich als Gardist … Egal. Seid vernünftig, das hier liegt euch nicht.“

„Es geht hier nicht nur um Fillip!“, fuhr Kaiden dazwischen, der in diesem Moment zurückgekehrte.

Lark fuchtelte hektisch, um Kaiden dazu zu bringen leiser zu sprechen, doch der reagierte nicht. Er stand in der Tür, ungewöhnlich ernst und bleich, mit einer seiner kostbaren Glasphiolen in der Hand. Eryk wusste, diese winzigen Dinger waren mehr wert als ein Sack voll Gold.

„Diese Kerle entführen immer wieder junge Männer, stimmt’s, Lark? Bettler, Straßenhändler, Handwerker – all jene, für die niemand von den Oberen einen Finger krümmen würde, um nach ihnen zu suchen. Es geht schon lange so, nicht wahr? Und es wird weitergehen, jahrelang, jahrzehntelang, wenn sie vorsichtig bleiben und nicht zu oft im selben Gebiet zuschlagen.“ Er trat zu ihnen und stellte behutsam die Phiole auf dem Tisch ab. Eryk sah, dass Kaidens Hände zitterten, ansonsten gab es kein äußeres Zeichen mehr, dass sein Partner aufgeregt war.

„Ihr könnt ihnen nicht helfen, indem ihr euch umbringen lasst“, zischte Lark in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. Es war klar, wie sehr er es bereute, Eryk überhaupt etwas erzählt zu haben. „Ihr wisst beide nicht, worauf ihr euch da einlassen würdet!“

„Dann erklär es mir!“, zischte Kaiden zurück. „Denn ich will verdammt sein, von solchen Verbrechen zu wissen und nichts zu tun, um sie zu verhindern. Ich weiß nicht, welches Schicksal Fillip und die anderen wirklich durchleiden, aber das, was ich ahne, lässt mich ihnen einen frühen Tod wünschen, damit die Qualen enden.“

Lark sah sich wieder mehrmals hektisch um, wie bereits in der Nacht. Er beugte sich vor und wisperte:

„Wer sich bei den Angelevanern einschleichen will, muss wissen, wo sie sich treffen, muss das geheime Passwort kennen, einen Fürsprecher vorweisen können und vor den Augen aller anwesenden Mitglieder beweisen, dass er so ist wie sie. Um es direkt zu sagen, werter Herr Magus: Ihr müsstet Euren blanken Hintern hochhalten, damit Euer werter Partner seinen Schwanz hineinrammen kann. Sollte er dabei versagen oder Euch Laute entkommen, die nicht nach vollkommener Glückseligkeit klingen, werdet ihr euch gemeinsam mit aufgeschlitzter Kehle in der Gosse wiederfinden. Noch Fragen, mein Herr?“