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Die Promet-Besatzung empfängt einen Notruf vom Planeten Jupiter. Die dort stationierte Atmosphärenstation ist in Gefahr, in Kürze kann sich alles zu einer größeren Katastrophe ausweiten. Das Beiboot T-1 dringt für eine Bergungsaktion tief in die Jupiteratmosphäre ein. Dort lauert das sprichwörtliche Grauen. Doch ein früheres Crewmitglied der Promet versucht alles, um seine Kameraden zu retten.
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen:
5101 Andreas Zwengel Mehr als tausend Lichtjahre
5102 Andreas Zwengel & Gerd Lange Geheiligte Spiele
5103 Andreas Zwengel Eisenfaust
5104 Andreas Zwengel Der Weiße Prophet
5105 Andreas Zwengel Im Tribunal der Häuser
5106 Andreas Zwengel Das Zeitenorakel
5107 Andreas Zwengel Die wahnhaften Künstler
5108 Andreas Zwengel Der Plan der Ehrenschwester
5109 Andreas Zwengel Die Vision der Propheten
5110 Gerd Lange & Achim Mehnert Requiem für Adamson
5111 Andreas Zwengel Die Jäger des Sternenkaisers
5112 Andreas Zwengel Im Reich der Zwölf Monde
5113 Andreas Zwengel Die Gagarin-Zeremonie
5114 Andreas Zwengel Sonderkommando Sagmegar
RAUMSCHIFF PROMET - STERNENABENTEUER
BUCH 14
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Copyright © 2025 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Andreas-Hofer-Straße 44 • 6020 Innsbruck - Österreich
Redaktion: Gerd Lange
Exposé: Gerd Lange
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Logo: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
ISBN: 978-3-68984-583-4
5114 vom 04.10.2025
Sonderkommando Sagmegar
Andreas Zwengel
Planet Jupiter, Atmosphärenstation Sagmegar 2, 13.11.2107, 11:23 Uhr Terra-Standardzeit
Die Station Sagmegar 2 schwebte in 65 Kilometern Tiefe in der Atmosphäre des Weißen Sterns, wie ihn die Babylonier nannten. Dave gefiel der Name Sag-me-gar am besten, der aus Mesopotamien überliefert war. Aber am bekanntesten war immer noch die Bezeichnung für diesen Planeten nach dem Hauptgott der Römer: Jupiter.
Ein Gasriese aus Wasserstoff und Helium und der größte Planet im Sol-System. Jedes Kind kannte seinen markanten Großen Roten Fleck, der sich deutlich von den verschiedenfarbigen Wolkenbändern abhob. Ein gewaltiger Sturm, der bereits vor Jahrhunderten entdeckt worden war, und immer weiter tobte. Dave verspürte bei dem Anblick noch die gleiche Faszination, wie als kleiner Junge, der Jupiter in seinem ersten Sternenatlas betrachtete.
Im Frühjahr letzten Jahres war er vom Weltrat-Projekt Terran Exploration Initiative (TEI) zum Chef-Piloten an diesem Einsatzort ernannt worden. Ein verantwortungsvoller Posten, den er aufrichtig liebte. Aktuell leitete er einen Reparaturtrupp aus neun Personen, die außerhalb des Stations-Cores unterwegs waren, um eine von den Sensoren gemeldete Hüllenbruchstelle zu begutachten und möglichst sofort zu reparieren.
Dave lenkte das Reparatur-Shuttle mit traumwandlerischer Sicherheit. Unterhalb seiner Steuerkanzel befanden sich mehrere Arbeitsebenen mit verschiedenen Funktionen, sowie die Zugangsschleuse und der Triebwerksbereich. Letzterer war umgeben von Andockmöglichkeiten für sechs Rettungskapseln. Dave stand vom Shuttle aus mit den neun Kollegen vom technischen Dienst in ständigem Com-Kontakt. Die Kommunikation des Außeneinsatzes lief über die JSC, wie alle die spezielle Jupiter-Sagmegar-Com nannten.
Vor ein paar Jahren war Dave noch ein übergewichtiger Ex-Astrogator gewesen, der den größten Teil seiner Arbeitszeit sitzend im Astro-Lab verbracht hatte. Es war ihm schon damals lästig, selbst bei der geringsten körperlichen Anstrengung in Atemnot zu geraten, aber der Druck hatte lange gefehlt, aktiv etwas dagegen zu unternehmen. Dafür brauchte es eine größere Lebensveränderung und diese war tatsächlich im Jahre 2102 eingetreten. Er hatte auf der Promet III seinen Abschied genommen und mit der anstrengenden Ausbildung als variabel verwendbarer Einsatzpilot im HTO-Pioneers-Corps eine neue Aufgabe übernommen. Das Konditionstraining hatte seine Pfunde purzeln lassen. Schlank war er zwar immer noch nicht, aber er hatte eine sichtbare Transformation durchgemacht. Von einem Klops zu einem aktiven Mann mit leichtem Übergewicht. Und er betrachtete diesen Prozess als noch längst nicht abgeschlossen.
„Wie kommt ihr voran?“, erkundigte sich Dave über JSC bei Jeremy Liessi, einem der Top-Techniker bei TEI.
„Ist dir so langweilig, dass du uns hier bei der Arbeit stören musst?“, scherzte sein Kollege.
Dave musste lachen. „Wenn man in der Zentrale den Eindruck bekommt, dass wir diesen Auftrag nicht ernst genug nehmen, schicken sie jemand anderen.“
„Wahrscheinlich die Drama-Queen Oberski. Die lässt selbst eine Routineinspektion wie einen Auftrag auf Leben und Tod erscheinen, um in der Zentrale Eindruck zu schinden und sich unentbehrlich zu machen.“
„Keine Sorge“, beruhigte Dave seinen Kollegen. „Dort weiß man das einzuschätzen. Gib mir regelmäßig Meldung über eure Fortschritte. Die Zentrale will ständig Statusmeldungen haben und da möchte ich etwas erzählen können.“
„Wird gemacht“, versprach Liessi.
Der Bau von Sagmegar 2 befand sich in der dritten Phase. Ende 2106 war die Experimentalstation Sagmegar 1 stillgelegt worden, die dazu gedient hatte, Erfahrungen mit dem Aufbau und der Ausstattung einer speziellen Atmosphärenstation für den Jupiter zu sammeln. Diese Kenntnisse waren unmittelbar fürdas Folgeprojekt Sagmegar 2 verwendet worden.
In der ersten Bauphase war der stabile Innenkern geschaffen worden, der Core genannt wurde. Er bestand aus vier Kavernen, die durch einen zentralen Antigravlift verbunden waren. Außerhalb der Kavernen folgten die Gas- und Wassertanks und die Notversorgungssysteme, bevor in der zweiten Phase eine Außenbeschichtung angebracht wurde, die aus einer molekularen Bindehaftschicht bestand. Sie diente zum Andocken von Atmosphärepartikeln. In der dritten Bauphase, in der sie sich gerade befanden, sollten die Partikel der Jupiteratmo-sphäre an der Haftschicht andocken und sich dort verfestigen, um eine stabile Schutzhülle zu bilden.
Nun hatten die Sensoren ausgerechnet dort einen Bruch in der Hülle festgestellt. Der bisherige Höhepunkt einer Reihe von Reparaturaufträgen, die das Team von der Zentrale in den letzten Stunden erhalten hatte. Hauptsächlich kleinere Arbeiten wie verstopfte Windkanäle, lose Zentrifugalrohre oder kaputte Rückstauklappen, die der Station zu schaffen machten. Aber eben auch Störungen, die zu einer echten Bedrohung werden konnten. Deshalb war neben Daves Reparatur-Shuttle zeitgleich noch ein weiterer Trupp an der Südostflanke der Station tätig. Alle Arbeiten sollten möglichst zeitnah abgeschlossen werden.
Ihr Einsatz sah vor, den Hüllenriss mit einer Nanomerplane zu reparieren. Diese musste anschließend ebenfalls beschichtet werden, damit sich auch auf ihr die Partikel anhefteten und dadurch wieder zum stabilen Bestandteil der Stationshülle wurden. Das war ein anstrengender Job, der Daves Leuten alles abverlangte, denn die Atmosphäre des Jupiters war alles andere als ein ruhiger und sicherer Arbeitsplatz. Sie befanden sich in der oberen Troposphäre in rosa bis dunkelrot variierenden Wolkenbändern aus Ammoniumhydrogensulfid. So faszinierend der Jupiter auch aus der Ferne aussah, seine lebensfeindliche Atmosphäre mit starken Gewittern, hohen Strahlungswerten und giftigen Wolken war nicht besonders einladend. Jeremy Liessi und die anderen arbeiteten in speziellen Raumanzügen, die eigens für die Arbeit in der Jupiteratmosphäre entwickelt worden waren. Sie waren mit speziellen Schwerkraftregulatoren sowie Atmosphären-Druckausgleichern ausgestattet. Diese Neuentwicklungen basierten auf der Technik der Erros, mit denen die Promet III einige Jahre zuvor in Kontakt gekommen war. Ohne diese Zusatzausstattungen waren Außenbordeinsätze per Raumanzug an diesem Ort nicht möglich. Die Reparaturtrupps verdankten der Technik der Erros auch die speziellen Nanomerplanen, die zur Baustellenabdeckung an der Stationshülle verwendet wurden und in den Stationsbereichen, die nicht mit normaler Atemluft geflutet waren. Und nicht zuletzt waren auch die Nanomertaue der Raumanzüge deren Entwicklung. Diese vielseitig einsetzbaren Taue waren ungeheuer belastbar und blieben unbeeinflusst von Schwerkraft, Temperatur und Druckverhältnissen.
Plötzlich erschütterte ein gewaltiger Stoß die gesamte Sagmegar-Station und brachte sie zum Beben. Ringsum lösten sich Bauteile. Bruchstücke der festen Gitterverstrebungen der Außenverkleidung fielen in die Tiefe und ein riesiger Stützbalken verfehlte das Shuttle nur um Haaresbreite. Zeitgleich brach der Funkkontakt zum zweiten Shuttle ab.
Dave wich dem tödlichen Hagel aus. Er handelte in solchen Momenten eiskalt, verdrängte alle Gedanken an einen negativen Ausgang und ignorierte die Möglichkeit seines eigenen Todes. Stattdessen konzentrierte er sich ausschließlich auf die notwendigen Handlungen als Pilot. Dave bemühte sich, die Bewegungen von Sagmegar 2 im Voraus zu erkennen. Die Station trudelte leicht um die eigene Längsachse hin und her. Er ging davon aus, dass einige der insgesamt acht Horizontalstabilisatoren ausgefallen waren. Die verbliebenen schafften es aber noch, stabil den Driftbewegungen der Winde zu trotzen. Bedrohlicher war dagegen der Ausfall von mehreren Gravitationsstabilisatoren, denn dadurch begann die Station abzusinken. Momentan noch langsam, doch die Geschwindigkeit konnte sich durchaus mit den zunehmenden Gravitationskräften weiter erhöhen. Dave befürchtete, dass mindestens die Hälfte der Gravitationsstabilisatoren nicht funktionierte. Sie mussten so schnell wie möglich wieder in Gang gebracht werden, doch darauf hatte er im Shuttle keinen Einfluss. Seine Aufgabe bestand momentan darin, sein Außenteam in Sicherheit zu bringen.
Jeremy Liessi und der übrige Reparaturtrupp hielten sich dicht an der Plane, um vor den herabfallenden Trümmern Schutz zu suchen. Doch die unkontrollierten Bewegungen von Sagmegar 2 belasteten nicht nur die Station selbst, sondern spannten auch die Plane bis zur Belastungsgrenze. Scharfkantige Teile der Außenverkleidung prasselten auf sie ein. Fast alle prallten von der Oberfläche ab und fielen weiter in die Tiefe, aber einige bohrten sich auch in die Plane hinein. Sie verursachten kleine Löcher und Schnitte, die die Plane ihrer Stabilität beraubten. Rasch breiteten sich diese unter dem ungeheuren Druck aus und es folgte, was kommen musste.
Die neuangebrachte Nanoplane riss komplett auf und bot keine Sicherheit mehr. Die Mitglieder des Reparaturtrupps taumelten ungeschützt an ihren Nanomertauen umher. Ihre Spezialraumanzüge bewahrten sie vor den schädlichen Einflüssen der Umgebung, aber nicht vor herabstürzenden Teilen der Atmosphärenstation. Ihnen auszuweichen, ohne einen festen Halt zu besitzen oder auch nur die Richtung beeinflussen zu können, in die sie im nächsten Moment geschwungen wurden, war ein Ding der Unmöglichkeit. Schreie und Hilferufe seines Trupps beherrschten den Funkverkehr in Daves Cockpit. Zu allem Übel öffnete sich der Hüllenriss der Station noch weiter.
Dave koppelte sofort die sechs Rettungskapseln vom Shuttle ab und dirigierte sie ferngesteuert zu seinen Leuten. Keine leichte Aufgabe, denn nicht nur die Kapseln pendelten stark umher, auch die Station schwang noch von der Erschütterung nach.
Über die Außenoptiken beobachtete Dave mit Entsetzen, wie unterhalb der Station das andere Shuttle mitsamt seinem Außentrupp in die Tiefe gerissen wurde. Kein Notruf über JSC, sie verschwanden stumm in den Wolken der Jupiteratmosphäre. Hoffentlich bekamen sie das Shuttle rechtzeitig unter Kontrolle, bevor sie durch die Druckverhältnisse zerquetscht wurden. Davor mussten sie die tosenden Bänder der Mega-Stürme durchqueren, die von dem heißen Inneren des Planeten verursacht wurden, und durch Gewitterzonen mit Blitzen hindurch von einem Ausmaß, das auf der Erde unvorstellbar war. Dave machte sich keine großen Hoffnungen.
Da wurde eine seiner Rettungskapseln von einem länglichen Metallstück getroffen und in seine Einzelteile zerlegt. Dave zwang sich, das Schicksal des anderen Shuttles zu ignorieren und konzentrierte sich ganz auf die Lenkung der Kapseln. Wenn er zu viele von ihnen verlor, gab es nicht genug Platz für das Außenteam. Die Rettungskapseln waren jeweils nur für einzelne Personen samt Raumanzug konzipiert. Im Notfall konnten sich auch zwei Menschen in eine hineinquetschen, aber niemals drei. Das bedeutete, es mussten alle verbliebenen fünf Kapseln ihr Ziel erreichen. Der Shuttle-Pilot steuerte sie auf seine Leute zu, wich dabei weiterhin herabfallenden Teilen der Station aus und musste außerdem noch auf Bedrohungen für sein Shuttle achten.
Mit einem Mal funktionierte die Kommunikation wieder und ließ Dave zusammenzucken, als die Steuerkanzel mit einem ohrenquälenden Stimmengewirr erfüllt wurde. Auf der Stations-Com JSC überschlugen sich die Meldungen aus dem Inneren von Sagmegar 2. Sie wurden völlig ungefiltert übertragen und jeder konnte alles hören. Es war ein akustisches Trommelfeuer, das es unmöglich machte, die einzelnen Meldungen auseinanderzuhalten. Dave hörte von Personen, die wegen verklemmter Türen eingeschlossen waren oder in kollabierten Gängen feststeckten, das meiste waren unverständliche Wortfetzen oder Schmerzensschreie. Aus einzelnen Bruchstücken folgerte er, dass es viele Verletzte gab, weil sich Zwischendecks verschoben hatten. Dave wollte sich nicht die grausamen Szenen ausmalen, die sich gerade im Inneren der Sagmegar 2 abspielten. Eine Stimme, die ihm vertraut vorkam, die er aber wegen der schlechten Tonqualität nicht identifizieren konnte, meldete zahlreiche Tote, weil sich die Sicherheitsschotte der Außengänge zwischen den vier Kavernen der Station gelöst hatten und dadurch die Jupiteratmosphäre durch diverse Hüllenrisse in den Zwischenausbau eingedrungen war. In Teilen des stabilen Kammernkerns, dem Core der Station, breiteten sich ungehindert Ammoniak und Methan aus.
Über Funk baten alle um Anweisungen, flehten um Führung, doch eine Antwort blieb aus. Man konnte glauben, sie beschworen einen unsichtbaren Gott und nicht ihren offiziellen Kommandanten, der sich bei ihnen im Core befand.
Dave drehte den Funk leiser. Die aktuelle Notlage war mit Aufgaben verbunden, die über die Fähigkeiten eines einfachen Piloten hinausgingen. Darum mussten sich die Verantwortlichen von Sagmegar 2 und TEI-5 kümmern. Sie besaßen die technischen Voraussetzungen und Ressourcen, um die Rettungsmaßnahmen zu koordinieren. Er dagegen war nur Pilot, und das mit Leib und Seele. Dinge, die nicht mit einem Steuerpaneel zu regeln waren, bereiteten ihm oft Probleme und er konnte bei ihnen leider nicht annähernd dieselbe Souveränität zeigen wie bei seinem Job. Deshalb konzentrierte er sich voll und ganz auf den Bereich, in dem er etwas bewirken konnte.
Dave hatte die Rettungskapseln auf die Anzüge des Außenteams programmiert. Leider steuerten sie ihr Ziel direkt an und konnten nicht autonom auf äußere Bedrohungen wie herabstürzende Trümmerteile reagieren, weil sie diese überhaupt nicht orteten. Hier musste er lenkend eingreifen. Und zwar bei fünf Kapseln gleichzeitig.
Aus dem Augenwinkel nahm er etwas in der Übertragung der Außenoptiken wahr. Ein Schwarm aus unbekannten bläulichen Molekularpartikeln sauste dicht am Shuttle vorbei. Sie stammten vermutlich von der Außenverkleidung der Station.
Lass dich nicht ablenken, beschwor er sich selbst in Gedanken.
Jeremy Liessi wurde zuerst gerettet. Die Rettungskapsel tauchte hinter ihm auf, öffnete sich und pflückte ihn praktisch aus der Atmosphäre. Das Nanotau löste sich beim Schließen der Kapsel automatisch von seinem Anzug.
„Das war allerhöchste Zeit, mein Bester“, meldete sich Jeremy über Funk. Es klang nicht vorwurfsvoll, sondern nur erleichtert.
„Roderick ist der Nächste. Er kann mit Sahyra in eine Kapsel“, sagte Dave.
„Das geht nicht, ich muss Roderick bei mir aufnehmen. Wir haben gerade Sahyra verloren“, berichtete Jeremy mit belegter Stimme. „Ein Bruchstück hat ihr Nanotau getroffen. Das Tau selbst hat den Kontakt überstanden, aber nicht die Verankerung an ihrem Anzug.“
Mehr musste er nicht sagen. Dave konnte sich ausmalen, wie ihr Anzug mit ungeheurer Gewalt gerissen war. Wenigstens durfte es ein schneller Tod gewesen sein, der die sympathische Marokkanerin ereilt hatte.
Dave erhielt die Statusmeldung einer weiteren Rettungskapsel. „Drake und Bogdan sind sicher an Bord einer Kapsel.“
Jeremy gab einen erleichterten Laut von sich. „Ausgerechnet unsere beiden Schwergewichte müssen sich eine teilen. Sie werden den Flug lieben.“
„Wir können euch hören“, beschwerte sich Drake über Funk.
„Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“, brummte Bogdan.
„Kannst du vielleicht mal deinen Arm an eine andere Stelle schieben?“, rief Drake.
Erleichtert blendete Dave die beiden Streithähne aus und entdeckte, dass Roderick inzwischen bei Liessi in Sicherheit war. Eine weitere Bestätigung erschien auf seinen Anzeigen. „Philippe ist sicher!“, rief er und steuerte die beiden verbliebenen Rettungskapseln präzise zwischen fallenden Trümmerteilen hindurch, um sie auf dem schnellsten Weg zu ihren Zielen zu leiten. Da fiel ihm eine Warnmeldung auf.
„Verdammt!“, fluchte er.
„Was ist los?“, erkundigte sich Jeremy.
„Philippe hat die Steuerung der Kapsel selbst übernommen.“
Die Rettungskapseln waren für einen engen Radius autonom steuerbar, aber in dieser Situation war dies absolut nicht zu empfehlen, da es aus ihnen nur einen begrenzten Überblick auf die Umgebung gab. Gefahren, die sich ihnen schnell von oben näherten, waren aus dem Inneren kaum zu erkennen und die Möglichkeiten zum Ausweichen stark begrenzt.
„Philippe, überlass die Steuerung mir!“, forderte Dave über Funk auf, doch der Franzose reagierte nicht und gab die Kapsellenkung nicht frei. Er musste vollkommen in Panik sein, denn er steuerte auf direktem Weg auf das Reparatur-Shuttle zu, um so schnell wie möglich anzudocken. Um Haaresbreite entging er einem fallenden Metallring und sauste unbeschadet durch dessen Mitte.
„Er schafft es“, jubelte Dave.
„Dieser verrückte Franzose.“ Jeremy lachte. „Sowas lernt man wahrscheinlich nur im Pariser Berufsverkehr.“
Eine Explosion an der untersten Kaverne schleuderte einen Schwarm nagelgroßer Metallteile in die Umgebung. Sie perforierten die Rettungskapsel von Philippe in einer Dichte, die niemand im Inneren überleben konnte. Die Kapsel ließ sich nicht mehr steuern und stürzte in die Tiefe. Das alles dauerte kaum länger als ein Blinzeln.
Dave sog scharf die Luft ein, aber dann machte er weiter. Nun standen nur noch vier Kapseln für insgesamt sieben Leute zur Verfügung. Jetzt durfte nichts mehr schiefgehen. Nicht darüber nachdenken, beschwor er sich selbst.
Die letzten drei Überlebenden hatten sich an ihren Nanotauen dichter an die Plane gezogen, um nicht weiter unkontrolliert umherzutreiben. Außerdem wurden sie dort durch vorstehende Teile wenigstens halbwegs vor herabfallenden Bruchstücken geschützt. Doch die Trudelbewegung der Längsachse von Sagmegar 2 nahm zu und Dave befürchtete, dass ein weiterer der Horizontalstabilisatoren ausgefallen war oder dies zumindest kurz bevorstand.
Eine erneute Explosion an der Kavernenhülle drohte eine weitere Kapsel wie ein Nadelkissen zu spicken, doch Dave schaffte es, rechtzeitig auszuweichen. Er lenkte die Kapsel in einem Bogen zu seinen drei Mitarbeitern, während er die zweite auf einem parallelen Ausweichkurs hielt. Zeitgleich trafen die beiden Kapseln ein und nahmen den Rest des Reparaturtrupps auf.
Alle waren nun in den Kapseln, aber damit befanden sie sich noch längst nicht in Sicherheit. Dave musste sie noch zum Shuttle zurückholen. Jeremys und Rodericks Kapsel sowie die mit Bogdan und Drake befanden sich bereits außerhalb der unmittelbaren Gefahrenzone. Um sie musste er sich nicht mehr kümmern, denn ab einer bestimmten Nähe zum Shuttle dockten die Rettungskapseln automatisch an. Eine Funktion, die Dave in dieser Situation sehr zu schätzen wusste, denn die Sicht verschlechterte sich immer mehr. Hatte die Umgebung vor wenigen Minuten noch an den berühmten Londoner Nebel erinnert, glich es mittlerweile dem Smog über Neu-Delhi an einem besonders schlechten Tag.
Er schenkte seine komplette Aufmerksamkeit den beiden verbliebenen Kapseln. Alle hatten das Schicksal von Philippe miterlebt und überließen Dave die Steuerung. Es war in ihrer Situation nicht einfach, das eigene Schicksal völlig in fremde Hände zu legen, doch sie alle wussten um das Können des Chef-Piloten.
Nacheinander verließen die beiden letzten Kapseln den Gefahrenbereich und trafen ebenfalls beim Shuttle ein. In der Steuerkanzel verfolgte Dave das Andocken. Sehen konnte er den Vorgang nicht, denn der Nebel aus Schwefelpartikeln raubte ihm die Außensicht. Dafür entdeckte er weitere der eigenartigen blauschimmernden Klumpen, die dicht an ihm vorbeiflogen. Größer als die vorherigen. Vergeblich versuchte er, sich in der rotbraunen Wolkendecke zu orientieren, aber die Sicht war gleich null. Es war ihm unmöglich, fallenden Bruchstücken der Station auszuweichen, wenn er sie erst einen Sekundenbruchteil vor dem Zusammenstoß entdeckte. Bleiben konnte er allerdings auch nicht, denn die Gefahr war an ihrem augenblicklichen Standort kaum geringer.
Ein Trümmerstück näherte sich rasend schnell. Dave wich aus, aber es war zu spät. Es gelang ihm noch, das Shuttle so zu drehen, dass das Bruchstück die Rettungskapseln nicht erwischte und stattdessen über die Oberseite des Shuttles schrammte. Sie wurden alle ordentlich durchgeschüttelt, aber die Außenhülle blieb intakt.
Wie aus dem Nichts erschienen in der Nebelsuppe plötzlich zwei weitere Rettungskapseln. Überrascht musste Dave feststellen, dass sie zu dem abgestürzten Shuttle gehörten. Während sie sich automatisch an die zwei freigewordenen Andockplätze einklinkten, schaute Dave auf das Biosonar. Es zeigte in den Kapseln zwar jeweils eine Signatur an, aber beide Körper wiesen keine aktiven Lebenszeichen mehr auf.
