Ray und Grace - Annika Kastner - E-Book

Ray und Grace E-Book

Annika Kastner

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Beschreibung

"Du musst kämpfen. Für mich, für uns." Grace´ Leben ist von vorne bis hinten durchgeplant. Sie weiß, welchen Platz sie einzunehmen hat und wie ihre Zukunft aussehen wird - zumindest denkt sie das, denn erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Durch eine fatale und ebenso absurde Wette ihres Freundes gerät ihre Welt völlig aus den Fugen. Das Blatt wendet sich und ihr Dasein verläuft in ganz andere Bahnen, als sie ursprünglich angedacht hat. Aber will sie das, die Sicherheit verlassen und sich in ein Abenteuer stürzen? Ray ist ein Bad Boy, wie er im Buche steht – jedenfalls nimmt er das bis zu dem Tag, als er Grace das erste Mal in die Augen sieht, an. Dieser Moment ändert alles für ihn: Andere Frauen sind plötzlich uninteressant und haben keinerlei Chance, denn seine volle Aufmerksamkeit schenkt er ausschließlich ihr. Eine egomane Wette mit ihrem Freund erweist sich als perfekte Gelegenheit. Nicht nur, dass er seinem Ziel näher kommt, auch kann er dadurch seine wohl größte Lüge aufrechterhalten.

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Ray & Grace

Annika Kastner

Erstausgabe im Februar 2020

Copyright © 2020

Alle Rechte beim Booklounge Verlag

Booklounge Verlag, Sabrina Rudzick

Johann-Boye-Str. 5, D-23923 Schönberg

www.booklounge-verlag.de

Coverfoto: @artfotoss

978-3-947115-16-7

Inhalt

Kapitel Eins - Grace

Kapitel Zwei - Ray

Kapitel Drei - Grace

Kapitel Vier - Ray

Kapitel Fünf - Grace

Kapitel Sechs - Ray

Kapitel Sieben - Grace

Kapitel Acht - Ray

Kapitel Neun - Grace

Kapitel Zehn - Ray

Kapitel Elf - Grace

Kapitel Zwölf - Ray

Kapitel Dreizehn - Grace

Kapitel Vierzehn - Ray

Kapitel Fünfzehn - Grace

Kapitel Sechzehn - Ray

Kapitel Siebzehn - Grace

Kapitel Achtzehn - Ray

Kapitel Neunzehn - Grace

Kapitel Zwanzig - Ray

Kapitel Einundzwanzig - Grace

Kapitel Zweiundzwanzig - Ray

Kapitel Dreiundzwanzig - Grace

Kapitel Vierundzwanzig - Ray

Kapitel Fünfundzwanzig - Grace

Kapitel Sechsundzwanzig - Ray

Kapitel Siebenundzwanzig - Grace

Kapitel Achtundzwanzig - Ray

Kapitel Neunundzwanzig - Grace

Kapitel Dreißig - Ray

Kapitel Einunddreißig - Grace

Kapitel Zweiunddreißig - Ray

Kapitel Dreiunddreißig - Grace

Kapitel Vierunddreißig - Ray

Kapitel Fünfunddreißig - Grace

Epilog - Ray

Epilog - Grace

Widmung

Die Autorin

Playlist

Liebe Leser

Kapitel Eins - Grace

»Na, wo bleibt dein Prinz Char­ming?« El­la schaut mich her­aus­for­dernd an. In ih­rer Stim­me liegt deut­li­che ei­ne Spur Ver­är­ge­rung und so­gar Miss­bil­li­gung. »Er hat dich ver­ges­sen, oder? Mal wie­der. Oh mein Gott, wie ich die­sen Kerl has­se.«

Ich bei­ße mir auf die In­nen­sei­te mei­ner Wan­ge, ehe ich et­was er­wi­de­re, denn ich mag die Ant­wort, die ich ihr ge­ben wer­de, ab­so­lut nicht. »Nein, er ver­spä­tet sich si­cher nur ei­nen Mo­ment«, ant­wor­te ich ge­übt lo­cker und bin stolz auf mei­ne schau­spie­le­ri­sche Leis­tung, ob­wohl es mir weh­tut, dass sie ver­mut­lich recht hat. Er­neut, ne­ben­bei be­merkt. Aber, wie pflegt mei­ne Mutter immer zu sa­gen: Zei­ge nie dei­ne wah­ren Ge­füh­le, set­ze ei­ne Mas­ke auf – und das ver­su­che ich, tag­täg­lich. Ich bin ei­ne Meis­te­rin da­rin, vor an­de­ren die per­fek­te Freun­din und Tochter zu spie­len, der Welt das Ge­sicht zu zei­gen, wel­ches sie se­hen wol­len oder sol­len.

Mein Lä­cheln ist ei­ne Se­kun­de mi­ni­mal ver­krampft, sitzt dann je­doch per­fekt auf mei­nen leicht ge­schmink­ten Lip­pen. Wir wis­sen aller­dings bei­de, dass es nur auf­ge­setzt ist. El­la kennt mich ein­fach zu gut, um sich wirk­lich täu­schen zu las­sen, doch sie ver­steht die Welt, aus der ich kom­me, nicht mal an­satz­wei­se. Li­am ist eben … tja … wahn­sin­nig ver­gess­lich in letz­ter Zeit, je­den­falls wenn es um mich geht. Ge­nau, so ist es, ent­schul­di­ge ich mei­nen Freund vor an­de­ren – wie schon viele Ma­le zu­vor, den­noch glau­be ich mei­ne Lü­ge selbst nicht. Ein Ver­such ist es immer­hin wert ge­we­sen. El­la nennt es zwar Des­in­ter­es­se, mei­ne Va­ri­an­te ge­fällt mir da­ge­gen bes­ser. Er ist ver­gess­lich, Punkt. Außer­dem ist es nichts, über das ich aus­gie­big dis­ku­tie­ren möch­te. Vor al­lem, da wir die­se Dis­kuss­ion bei­nahe wö­chent­lich füh­ren. Mir ist be­wusst, dass er mich nicht gut be­han­delt, än­dern kann es hin­ge­gen nicht, ob­wohl ich es mehr­mals ver­sucht ha­be.

»Wenn er in den näch­sten fünf­zehn Mi­nu­ten nicht auf­taucht, kommst du mit uns zur Par­ty der Be­tas. Der Film hat oh­ne­hin schon an­ge­fan­gen, Sü­ße. Du wür­dest die Hälf­te ver­pas­sen … Shit hap­pens!« Ja­mes ist El­las Zwil­lings­bru­der und wirkt eben­so ver­är­gert wie sie über das Fern­blei­ben mei­nes Freun­des. Bei­de kön­nen Li­am nicht lei­den, da­raus ma­chen sie kein Ge­heim­nis. Im Ge­gen­teil, sie las­sen mich jeg­li­che Ab­nei­gung spü­ren. Sie ver­ste­hen un­se­re Be­zie­hung nicht, das kann wohl kaum ei­ner, aber da­für müss­te man auch dort auf­ge­wach­sen sein, wo ich mein Le­ben vor dem Col­le­ge ver­bracht ha­be und in den Krei­sen ver­keh­ren, in de­nen ich mei­ne Frei­zeit ver­brin­ge – dort, wo an­de­re Wer­te zäh­len.

Ich mus­te­re die Zwil­lin­ge mit ih­ren feu­er­ro­ten Haaren, dem Meer an Som­mer­spros­sen und ih­ren leuch­ten­den grü­nen Augen. Sie neh­men wirk­lich kein Blatt vor den Mund, sind ver­flucht tem­pe­ra­ment­voll und die ab­so­lut be­sten Freun­de, die man sich wün­schen kann. Auf sie ist immer Ver­lass und sie pas­sen so gar nicht zu mei­nem an­de­ren Le­ben, wie ich es heim­lich nen­ne, was ich to­tal an ih­nen lie­be. Wir wür­den ge­gen­sei­tig fü­rei­nan­der über Scher­ben lau­fen, und das will was hei­ßen. Lei­der ist es manch­mal mehr als be­schis­sen, dass sie mei­nen Freund nicht mö­gen, was je­doch auf Ge­gen­sei­tig­keit be­ruht. Die wich­tigs­ten Men­schen in mei­nem Le­ben has­sen sich. Man kann sich nie ein­fach tref­fen, da es stets in Zi­cke­rei­en oder in wil­den Wort­ge­fech­ten aus­ar­tet. Wenn El­la und Li­am ei­nen rich­tig gu­ten Tag ha­ben, so­gar in wüs­ten Be­schimp­fun­gen, die mich mehr ver­let­zen als sie. Die­se Ta­ge has­se ich be­son­ders, denn ich ste­he stän­dig zwi­schen den Stüh­len. Ins­be­son­de­re, weil Li­am auto­ma­tisch er­war­tet, dass ich auf sei­ner Sei­te ste­he, was ich gar nicht will, aber muss. Es wird nun mal von mir er­war­tet und ich se­he kei­nen Weg, aus die­ser Si­tua­tion her­aus­zu­kom­men. Ver­sucht ha­be ich es et­li­che Ma­le, po­si­tiv ist es nie aus­ge­gan­gen. Mei­ne Eltern sind sehr ein­falls­reich, was ih­re Stra­fen be­trifft oder ih­re Mittel, sich durch­zu­set­zen. Als ich mich in der Schu­le mit der Tochter der Putz­frau an­ge­freun­det ha­be, hat ih­re Mutter den Job ver­lo­ren. Ha­be ich zu ei­ner Par­ty ge­hen wol­len, die in ih­ren Augen nicht an­ge­mes­sen ge­we­sen ist, bin ich plötz­lich wie­der aus­ge­laden wor­den. So geht es be­reits mein gan­zes Le­ben.

Li­am und ich sind seit drei Jah­ren of­fi­ziell ein Paar und ich bin ihm hier­her auf die­se Uni ge­folgt, weil es der Wunsch un­se­rer Eltern ge­we­sen ist, wie auch un­se­re Be­zie­hung wohl­ge­merkt. So ist das in un­se­ren Krei­sen – dort wer­den die be­sten Ver­bin­dun­gen ge­schlos­sen. Ein gu­ter Na­me zählt. Zwei Häu­ser zu ver­bin­den, ist für viele ein Glücks­fall. Ger­ne wä­re ich weiter in die Welt hin­aus­ge­zo­gen, aber nur auf die­se Wei­se ha­ben sie, oder eher Li­am, mich im Blick. Als ich mir ein Ti­cket ge­bucht ha­be, um vor dem Se­mes­ter­start nach Euro­pa zu rei­sen, sind mei­ne Kon­ten ein­ge­fro­ren wor­den. Zack, so ein­fach geht das und schon kann ich kein Ti­cket zah­len. Ich kann nichts an­stel­len, was ih­rem Ruf oder An­se­hen schaden wür­de. Nicht mal die Sa­chen kau­fen, die mir ge­fal­len, weil mir dann ein Ein­kaufs­be­ra­ter mit deut­li­chen In­struk­tio­nen an die Sei­te ge­stellt wird. Nichts wan­dert in die Tü­ten, was mei­ner Mutter miss­fal­len könn­te. Ver­trauen ist gut, Kon­trol­le bes­ser – ein Mot­to mei­ner Eltern. Sie be­herr­schen es wie Welt­meis­ter. Li­am und ich ken­nen uns un­ser gan­zes Le­ben, wir kom­men aus glei­chen Ver­hält­nis­sen und sind von je­her da­rauf ge­trimmt wor­den, dass wir ei­nes Tages das Ehe­bett mit­ein­an­der tei­len wer­den. Wo­bei, das muss man da­zu sa­gen, er deut­lich mehr Frei­hei­ten hat als ich. Un­se­re Eltern ha­ben die­sen Plan für uns ge­schmie­det, wir spie­len mit. Ich, weil ich es muss und Li­am, weil es am be­quems­ten für ihn ist und er so­wie­so ma­chen kann, was er will. Er ist ein Mann, steht so­mit in un­se­ren Krei­sen über mir. Alt­mo­disch, aber wirk­lich weh­ren kann ich mich da­ge­gen nicht, wie man merkt, immer­hin ist es mei­ne Fa­mi­lie und ich ha­be noch nichts vor­zu­wei­sen. Kein Ab­schluss, kei­nen Job … Nach ei­nem ein­zi­gen An­ruf mei­ner Eltern stellt mich oh­ne­hin nie­mand ein. Was mich an­geht, bin ich das schö­ne Vor­zei­ge­püpp­chen an Li­ams Sei­te. Die Frau, die net­te Tee­ge­sell­schaf­ten hal­ten, Kin­der in die Welt set­zen und ku­schen wird. Das wird mein Le­ben wer­den und ich ha­be mich da­mit ab­ge­fun­den. Was ha­be ich auch für ei­ne Wahl? Frü­her ha­be ich ver­sucht, für mehr Frei­heit und Rech­te zu kämp­fen, aber gleich­zei­tig ler­nen müs­sen, dass es sinn­los ist. Sie drän­gen uns in die Rich­tung, die für sie am be­sten scheint, und jeg­li­cher Wi­der­spruch wird hart be­straft. Nicht, dass ich es je of­fen aus­spre­chen wür­de, doch ich glau­be, Li­am sieht mich als selbst­ver­ständ­lich an, wie ein Ac­ces­soi­re. Er hat ge­wusst, dass er sich bei mir nie­mals groß­ar­tig an­stren­gen muss, weil un­se­re Eltern eben wol­len, dass wir uns zu­sam­men tun. Da­bei hät­te er sich trotz al­lem et­was Mü­he ge­ben kön­nen, oder? Immer­hin wer­den wir un­ser Le­ben zu­sam­men ver­brin­gen und das sind noch viele Jah­re. In mei­ner Welt zählt ein­zig ma­te­riel­ler Wert. Lie­be ist ein Luxus, den man mir nicht gönnt. Lie­be, ein Wort, mehr nicht – ver­pönt und be­lä­chelt von den Rei­chen und Mäch­ti­gen. Die Ant­wort auf ein »Ich hab dich lieb« an mei­ne Eltern ist immer ge­we­sen: Lie­be macht schwach. Viel­leicht täu­sche ich mich auch in Li­am, wer weiß. Er ge­hört zu den Män­nern, die nicht über ih­re Ge­füh­le re­den. Op­tisch ist er der ty­pi­sche Sur­fer­boy: blon­de – immer per­fekt ge­styl­te – Haa­re, fri­sche So­la­ri­um­bräu­ne, Wasch­brett­bauch und zu­dem ziem­lich be­kannt an der Uni, was da­ran liegt, dass er im Foot­ball­te­am spielt. Klar, er ist se­xy und ich ha­be Glück, ei­nen solch at­trak­ti­ven Mann an mei­ner Sei­te zu wis­sen, doch mir fehlt … mehr Ge­fühl – ein Krib­beln im Bauch, Sehn­sucht. Das Ge­fühl, nicht oh­ne ihn le­ben zu kön­nen. Manch­mal füh­le ich mich in­ner­lich wie tot. Ab­ge­stumpft, ein­sam und ver­lo­ren, aber da­rüber kann ich eben­falls nie­mals of­fen spre­chen – wie wür­de mei­ne Mutter sa­gen: Ge­füh­le zei­gen Schwäche. Wir, mein Kind, sind nicht schwach! Sie nicht, ich an­schei­nend schon, denn ich ha­be nie ge­lernt, ih­re Re­geln zu be­fol­gen.

Tausend Ge­füh­le to­ben in mir und las­sen sich nicht ab­stel­len. Ich schaue seuf­zend auf mein Smart­pho­ne. Er ist seit vier­zig Mi­nu­ten über­fäl­lig, und noch nicht mal ei­ne Nach­richt von ihm. Auch das ist so ty­pisch Li­am. Blö­der Arsch! Er weiß ge­nau, dass ich mit El­la und Ja­mes un­ter­wegs bin, und bie­tet ih­nen da­mit nur mehr Zünd­stoff, ihn zu ver­ab­scheu­en. Mich regt das in­ner­lich maß­los auf, doch ich ver­su­che, ge­las­sen zu wir­ken. Zwar wol­len wir ins Ki­no, aber das ist nun eh egal, denn die re­ser­vier­ten Kar­ten wer­den si­cher­lich be­reits ab­ge­lau­fen sein, da sie drei­ßig Mi­nu­ten vor Be­ginn hät­ten ab­ge­holt wer­den müs­sen. Ich schlucke mei­nen Är­ger run­ter, zäh­le lang­sam bis zehn, le­ge ein char­man­tes Lä­cheln auf. Die Wut lan­det wie ein Stein in mei­nem Ma­gen, aber es bringt nichts, wenn ich mich jetzt weiter da­rüber auf­re­ge – ir­gend­wann wird da­raus be­stimmt ein Ma­gen­ge­schwür wer­den. »Ich soll­te heim­fah­ren und ler­nen«, brum­me ich, tromm­le da­bei mit den Fin­gern auf dem Tisch he­rum. Ei­ne An­ge­wohn­heit, die immer durch­kommt, wenn ich ge­stresst bin.

Die Zwil­lin­ge se­hen erst sich an, ehe sie sich mir, mit die­sem spe­ziel­len Blick, den nur sie drauf ha­ben und der nichts Er­freu­li­ches ver­spricht, zu­wen­den. Sie pla­nen wie­der et­was, das se­he ich am Glit­zern ih­rer Augen. Manch­mal sind sie schon ein we­nig un­heim­lich, wenn sie sich ganz oh­ne Wor­te mit­ein­an­der ver­stän­di­gen. Mir ist klar, dass ich, so­bald die­ser Blick auf­taucht, schnell die Bei­ne in die Hän­de neh­men und ren­nen soll­te, was das Zeug hält, da es meist Är­ger be­deu­tet, doch ich ha­be mich mitt­ler­wei­le da­mit ab­ge­fun­den. »Nichts da! Du soll­test Prinz Char­ming ab­schie­ßen und dir ei­nen Mann su­chen, der dich zu schät­zen weiß.« El­la an­gelt sich ei­nen Eis­würfel aus ih­rem Glas, schiebt ihn sich zwi­schen die Lip­pen, um ihn dann lauts­tark zu zer­kau­en. Das Ge­räusch jagt mir ei­nen Schau­er über den Rü­cken. Allei­ne die Vor­stel­lung, in das kal­te Eis zu bei­ßen, lässt mei­ne Zäh­ne schmer­zen.

»Bei dei­nem hei­ßen Body, Ba­by, wird das kein Pro­blem sein.« Ja­mes mus­tert mich von oben bis un­ten oh­ne jeg­li­che Scham. Weil er mein be­ster Freund ist, las­se ich es ihm durch­ge­hen. Zwi­schen uns ist kei­ne se­xu­el­le An­zie­hungs­kraft, nie ge­we­sen. Nicht mal an­nä­hernd. »In mei­nem Te­am gibt es ei­ni­ge, die dich schon ab­ge­checkt ha­ben«, lässt er mich über­flüs­si­ger­wei­se wis­sen, wes­halb ich pu­ter­rot wer­de. Ver­mut­lich spornt er sei­ne Kum­pels so­gar an, das wür­de zu ihm pas­sen. Ich kann es bild­lich vor mir se­hen, wie er in der Um­klei­de­ka­bi­ne steht, Re­den schwingt und sie an­sta­chelt, mich an­zu­gra­ben. Da­bei wis­sen sie ge­nau, dass ich Li­am nicht ver­las­se, egal wie oft sie ihn nie­der ma­chen. Lei­der ist es un­mög­lich, mit an­de­ren so of­fen da­rüber zu re­den, wie ich es viel­leicht ger­ne tä­te. Sie kom­men aus ei­ner an­de­ren Fa­mi­lie, le­ben nach an­de­ren Re­geln als ich. Was ha­be ich dem­nach für ei­ne Mög­lich­keit?

Mein Le­ben ist eigent­lich gar nicht so übel, Li­am ist eben, wie er ist. Er hat auch sei­ne gu­ten Sei­ten, ist groß­zü­gig, und ich weiß, wo­ran ich bin oder was mich er­war­tet. Außer­dem wür­de mei­ne Mutter aus­ra­sten, wenn ich ih­re Plä­ne kreu­ze. Sie wür­de mir alles neh­men, was ich ha­be. Wo soll ich denn hin oh­ne Ab­schluss und oh­ne Ver­mö­gen? Ist es da nicht bes­ser, das Le­ben zu neh­men, wie es ist, als ver­stoßen zu wer­den und allein zu sein? Für un­se­re Fa­mi­lien ist in Stein ge­mei­ßelt, dass wir nach dem Stu­di­um hei­ra­ten wer­den. Da­rüber gibt es kei­ne Dis­kuss­ion, kein Wenn und kein Aber, und vor al­lem gibt es kei­ne Wi­der­wor­te. Nie­mals. Das ha­be ich schmerz­haft ler­nen müs­sen. Manch­mal glau­be ich, dass sie es be­reits vor un­se­rer Ge­burt be­schlos­sen und uns dann in die­se Bah­nen ge­lenkt ha­ben – voll­kom­men gleich­gül­tig, was wir ge­wollt ha­ben. Viel­leicht ha­ben sie oben­drein die Schwan­ger­schaf­ten auf­ein­an­der ab­ge­stimmt, zu­zu­trauen wä­re es ih­nen, nur dass sie die Ge­schlech­ter schlecht pla­nen ha­ben kön­nen. Es ist eben ei­ne fif­ty-fif­ty Chan­ce ge­we­sen. Sie ha­ben Glück ge­habt, ich nicht.

Seit mei­ner Kind­heit wird mir ein­ge­trich­tert, dass ich zum Woh­le der Fa­mi­lie han­deln muss. Fa­mi­lie über alles. Mein Wohl steht un­ter dem des Ge­sam­ten. Oh­ne mei­ne Fa­mi­lie bin ich ein Nie­mand. Wen­de ich mich ge­gen mei­ne Fa­mi­lie, bin ich ein na­men­lo­ser Schand­fleck und we­ni­ger wert als der Dreck un­ter den High Heels mei­ner Mutter. Es ist wie mit mei­nem Stu­di­um. Sie las­sen mich nur mei­nen Kram stu­die­ren, weil ich hin­ter­her nie ar­bei­ten wer­de. Allei­ne aus die­sem Grund darf ich mei­nen Stu­dien­gang selbst wäh­len. Ziem­lich groß­zü­gig, oder? Ein klit­zek­lei­ner Fun­ke Frei­heit, der mein Herz ju­beln lässt, denn ich lie­be das, was ich stu­die­re. Das Tan­zen, die Ar­beit mit den Kin­dern, all das macht mich wirk­lich glü­cklich. Nach der Hoch­zeit aller­dings, wer­de ich wie mei­ne Mutter zu Hau­se blei­ben, Kin­der be­kom­men und Wohl­tä­tig­keits­ar­beit leis­ten – ob ich will oder nicht -, des­we­gen möch­te ich mei­ne Zeit hier ge­nie­ßen, so gut ich es nach ih­ren Re­geln kann. Ei­ge­nes Geld ver­die­nen? Nie­mals! Das wür­de mir zu viel Macht über mein Le­ben ge­ben.

»Ich ste­he nicht auf Schwim­mer, zu brei­tes Kreuz«, ne­cke ich Ja­mes, wo­rauf­hin er ent­rüs­tet Luft aus­stößt und da­bei sei­ne Augen ver­dreht, al­te Dra­ma-Queen.

»Du lügst, Ba­by, das weißt du. Alle Mäd­chen ste­hen auf brei­te Schul­tern und gro­ße …« Er grient breit, als ich ihn augen­bli­cklich un­ter­bre­che: »Ja­mes, sprich es nicht aus. Ernst­haft. Ich will nichts über dei­nen Pe­nis hö­ren. Ne­ver! Das ist selbst für dich ein No-Go. Pe­nis-Ge­schich­ten über­schrei­ten mei­ne freund­schaft­li­che Wohl­fühl­zo­ne um ein Viel­fa­ches.« Er macht ei­ne Hand­be­we­gung Rich­tung Schritt, grinst dann so dre­ckig, dass ich doch lei­se la­chen muss.

»Wenn du wüss­test, Klei­nes. Du wür­dest wei­nen, weil er per­fekt ist.« El­la fängt nun auch an, zu la­chen, so­dass wir bei­de ki­chern wie klei­ne Mäd­chen. Die Zwil­lin­ge sind schre­cklich, aber ich lie­be sie wirk­lich. Sie sind völ­lig an­ders als mei­ne so­ge­nann­ten Freun­de von frü­her. Mei­ne Mutter wür­de sie ver­ab­scheu­en, vom Hof ja­gen und die To­re zum An­we­sen ver­rie­geln. Kopf­ki­no pur, was mich noch brei­ter grin­sen lässt. Das wä­re ein Spek­ta­kel. Und lei­der hat sie nichts ge­gen die bei­den in der Hand, was sie ge­gen sie ver­wen­den könn­te, da­mit sie sich von mir ab­wen­den.

Mit spit­zen Fin­gern dre­he ich das Schirm­chen mei­nes Cock­tails, ehe ich ei­nen Schluck neh­me. Fruch­ti­ge Sü­ße brei­tet sich in mei­nem Mund aus. Lang­sam leh­ne ich mich wie­der zurück und den­ke nach. Sie ha­ben recht, ich soll­te mit zu die­ser Fei­er ge­hen, or­dent­lich auf den Putz hau­en. Ich bin nur ein­mal jung, außer­dem hö­re ich eh viel zu sehr auf Li­am und mei­ne Eltern. Die re­bel­li­sche Sei­te in mir wacht auf, sorgt da­für, dass ich mein Han­dy aus­schal­te. Soll­te Li­am sich noch mel­den, wird er we­nigs­tens mal mer­ken, wie es ist, wenn man den an­de­ren nicht er­reicht. Er kann ja pet­zen ge­hen. Heu­te Abend wer­de ich Spaß ha­ben. Punkt. Ach was, Aus­ru­fe­zeichen! »Okay, ich bin da­bei.« Ich neh­me ei­nen wei­te­ren gro­ßen Schluck und stel­le das Glas mit Schwung auf dem Tisch ab. Das Schirm­chen segelt zu Boden, bleibt un­be­ach­tet lie­gen.

»Fan­tas­tisch! Sehr cool«, ju­belt El­la, was ih­re ro­ten Lo­cken wip­pen lässt wie Me­du­sas Schlan­gen. Sie sieht aus wie ein wasch­ech­tes Cow­girl mit ih­rer rot ka­rier­ten Blu­se, den en­gen Je­ans, die in dunk­len Cow­bo­ys­tief­eln steckt. Mit ei­nem Lä­cheln neh­me ich mir vor, ihr un­be­dingt ei­nen die­ser Cow­boy­hü­te zum Ge­burts­tag zu schen­ken, da­mit wird sie je­dem Ty­pen den Ver­stand rau­ben. Die­se Frau ist so ver­dammt se­xy, dass die Män­ner ei­nem fast leid­tun kön­nen, aber nur fast. Die Run­dun­gen, die sie zu bie­ten hat, gönnt man mir nicht mal in mei­nen Träu­men. In mei­nem Fall ist da­von zu träu­men schon außer­or­dent­lich ge­wagt. Ich bin eher das Mo­dell: kaum Vor­bau, Boh­nen­stan­ge, was si­cher­lich auch an mei­ner Er­näh­rung liegt. Die­se ist ge­nau fest­ge­legt, bis auf die klein­sten Vi­ta­mi­ne. Alle Ma­kro- und Mi­kro­nährs­tof­fe sind op­ti­mal ab­ge­stimmt. Wenn mei­ne Mutter et­was mehr ver­ab­scheut als das Wort Lie­be, sind es Ka­lo­rien. Sie ver­ach­tet über­ge­wich­ti­ge Men­schen eben­so wie ar­me, kran­ke oder we­ni­ger at­trak­ti­ve Ge­schöp­fe als sie selbst. Da­zu wür­de sie aller­dings nie­mals ste­hen, eben­so we­nig, dass sie Schön­heits-OPs vor­neh­men lässt. Da­von hat sie reich­lich ge­habt – ge­tarnt als Well­ness-Ur­laub, ver­steht sich. Wenn ich ehr­lich bin, las­se ich das gan­ze Ka­lo­rien­zäh­len seit der Uni schlei­fen. Zum Glück hat Li­am ein ge­nau­es Augen auf mich und steckt es bei Be­darf auch gern mei­ner Mum, die dann immer kurz vor ei­nem An­fall steht. El­la hin­ge­gen tut, was sie will, da­für be­nei­de ich sie. Sie weiß, wie heiß sie ist, und das setzt sie scham­los ein. Sie will kei­ne Be­zie­hung, son­dern Spaß und den hat sie in rau­en Men­gen. Sie ge­nießt das Le­ben in vol­len Zü­gen. Noch et­was, was die Zwil­lin­ge ge­mein­sam ha­ben. Ihr Mot­to: Die Uni ist zum Aus­to­ben da, nicht für fes­te Be­zie­hun­gen.

»Per­fekt. Ich wer­de euch be­schüt­zen, La­dys, und die nei­di­schen Bli­cke der an­de­ren Män­ner voll und ganz ge­nie­ßen.« Ja­mes lä­chelt ver­schmitzt, leert sein Glas mit ei­nem Zug, stellt es sog­leich mit ei­nem lau­ten Knall auf dem Holz­tisch ab. »Los gehts, La­dys! Auf zur wil­den Sau­se.«

Kur­ze Zeit spä­ter ste­hen wir vor dem Ver­bin­dungs­haus der Be­tas. Lau­te Musik hallt uns ent­ge­gen, wäh­rend der Bass direkt ins Blut ein­dringt und dort wild pul­siert. Die er­sten Gäs­te tor­keln uns be­reits ent­ge­gen, ei­ni­ge Rau­cher sit­zen vor dem Haus auf dem Rasen, da­rüber hin­aus kniet ein Mäd­chen dicht vor uns auf dem Bord­stein, über­gibt sich ge­räusch­voll in den Rinn­stein. An­ge­wi­dert rümp­fe ich die Na­se, als der Ge­ruch von Er­bro­che­nem zu mir weht, da­bei den Duft von fri­scher Nacht­luft ver­treibt. Schon jetzt ha­be ich kei­nen Bock mehr, aber El­la zieht mich weiter, wäh­rend Ja­mes fröh­lich summt. Er legt ei­ne klei­ne Tanz­ein­la­ge auf dem Weg zu Tür hin, sorgt da­für, dass sich mei­ne Stim­mung mi­ni­mal hebt. So auf­ge­dreht wie er ist, gleicht er ei­ner an­ste­cken­den Natur­ge­walt.

Der Ge­ruch von Grill­fleisch liegt in der Luft, ver­treibt den Ge­dan­ken an die Schnaps­lei­chen vorm Haus. Mein Bauch knurrt lei­se, was mei­ne Ge­müts­la­ge nicht son­der­lich er­hellt, mir eher in Er­in­ne­rung ruft, dass ich eigent­lich jetzt ei­ne Tü­te Pop­corn ge­fut­tert hät­te. Wenn ich Hun­ger ha­be, bin ich nicht freund­lich ge­stimmt, das ge­be ich zu. Man ver­gleicht mich dann schon mal gut und ger­ne mit der Da­me aus der Sni­ckers Wer­bung, die zur Di­va wird. Ich ha­be mich der­ma­ßen auf das ver­damm­te Pop­corn ge­freut, dass ich Li­am echt bö­se bin. Pop­corn ist das Highl­ight ei­nes je­den Ki­nos. Im Ideal­fall mit so viel Zu­cker wie es geht, dann wird es im Mund or­dent­lich kra­chen. Li­am fragt zwar immer, ob mir klar ist, wie viele Ka­lo­rien das Zeug hat, aber … nun ja, Pop­corn ist eben Pop­corn. Egal, viel­leicht ist ja auf dem Grill noch ein Bur­ger für mich über. Bei mei­nem Glück be­zweif­le ich das zwar, weil wir ziem­lich spät sind und hier ei­ne Hor­de an Fei­ern­den tobt, doch die Hoff­nung stirb be­kannt­lich zu­letzt. El­la lässt mei­ne Hand los, be­ginnt leicht um uns he­rum zu tän­zeln, zu­dem singt sie krumm und schief mit und wiegt ih­re Hüf­ten zur Musik. Kurz vor der Tür schlingt sie ih­re Hand wie­der um mei­ne, zieht mich ent­schlos­sen mit sich ins Haus, be­vor ich auf die Idee kom­men kann, um­zu­dre­hen.

Wir lan­den mit­ten im Ge­tüm­mel. Der Flur ist so ver­stopft, dass wir uns nur schlep­pend durch die Mas­sen schlän­geln. Da­bei stoßen schwit­zen­de und völ­lig über­wärm­te Körper un­an­ge­nehm ge­gen mei­nen. Die Luft hier drin ist dick, von Al­ko­hol ge­tränkt und warm wie im Dschun­gel, wäh­rend der Bass die Wän­de be­ben lässt. Die Körper um uns he­rum tan­zen im Takt der Musik und schun­keln uns mit sich hin und her. In die­sem Mo­ment be­reue ich schon, mit­ge­kom­men zu sein. Mir ist das deut­lich zu viel feucht­fröh­li­cher Körper­kon­takt mit frem­den Men­schen. Das geht weit über mei­ne Wohl­fühl­zo­ne hin­aus.

»Gra­ce. Hal­lo.« Die er­sten Leu­te er­ken­nen mich, so­dass ich mich ih­nen zu­wen­de und höf­lich schmun­zelnd win­ke. Wie ge­sagt, die­ses Spiel be­herr­sche ich per­fekt. Mei­ne in­ne­re Ab­nei­gung ge­gen eben­die­se Fei­er las­se ich nie­man­den er­ken­nen.

»El­la, komm rü­ber«, ruft es von ir­gend­wo aus dem Raum. Wir lä­cheln, blei­ben je­doch nicht ste­hen. El­la will tan­zen, bahnt sich un­nach­gie­big ih­ren Weg – un­ter Ein­satz ih­rer El­len­bogen – durch die Mas­sen frei und zieht mich mit sich. Als Cheer­lea­der ste­hen uns immer alle Türen of­fen, wir sind auf den Par­tys gern ge­se­he­ne Gäs­te, ob­wohl El­la eher die Par­ty­ka­no­ne ist und ich ih­re nicht ganz so lus­ti­ge Be­glei­tung. Da­mit kann ich den­noch pro­blem­los um­ge­hen. Ich ha­be eigent­lich kei­ne Ah­nung, was mich ge­rit­ten hat, die­ser Trup­pe bei­zu­tre­ten, doch das zu­sätz­li­che Trai­ning tut mir gut, außer­dem macht es zu­sam­men mit El­la meist auch Spaß. Oben­drein fin­det Li­am, es nutzt sei­nem An­se­hen, wenn ich Cheer­lea­de­rin bin, da er ja im Foot­ball­te­am spielt. An die knap­pen Out­fits muss man sich ge­wöh­nen, aber ich ge­be zu, mein Körper ist nie so fit und trai­niert ge­we­sen wie jetzt. Zu­min­dest kann ich da­durch den ei­nen oder an­de­ren Scho­ko­rie­gel nach dem Trai­ning ver­drü­cken, was ich gna­den­los aus­nut­ze. Zwar wi­der­spricht es sich et­was, dass er ak­zep­tiert, was ich wäh­rend­des­sen tra­ge, aber so ist er nun mal. Er mag es, wenn über ihn ge­re­det wird oder Men­schen ihn be­nei­den.

Mir wird ein Be­cher in die Hand ge­drückt. Vor­sich­tig schnup­pe­re ich dran und rie­che war­mes Bier. Wi­der­lich. Na­se­rümp­fend ge­be ich es an Ja­mes weiter, der es in ei­nem Zug leert, oh­ne zu mur­ren. Er ist nicht be­son­ders wäh­le­risch. Haupt­sa­che es knallt or­dent­lich rein. Mei­ne Augen­braue hebt sich leicht, doch er lacht nur, tanzt ei­ne zier­li­che Blon­di­ne an, die noch nichts von ih­rem Glück ahnt, sei­ne heu­ti­ge Aus­er­wähl­te zu sein. Ja­mes wird nicht allei­ne nach Hau­se ge­hen, so viel steht fest.

Kapitel Zwei - Ray

»So viele hüb­sche Är­sche in ei­nem Raum! Was für ei­ne gei­le Par­ty.« Li­am pro­stet mir zu, ich pro­ste halb­her­zig zurück.

Un­se­re gan­ze Mann­schaft ist hier, fei­ert aus­ge­las­sen, wäh­rend ich am Rand ste­he und die Meu­te be­ob­ach­te. Mir ist heu­te nicht da­nach, mich ins Ge­tüm­mel zu stür­zen. Ein paar Bier mit den Jungs, ja, mehr nicht. Die Be­tas sind ein Hau­fen echt hei­ßer Stu­den­tin­nen und man mun­kelt, dass es schwer ist, in ih­re Ver­bin­dung auf­ge­nom­men zu wer­den, was je­doch nicht ge­ra­de an ei­nem ho­hen Maß an In­tel­li­genz liegt, wenn man man­che ih­rer Ge­sprä­che ver­folgt. Du musst über­durch­schnitt­lich hübsch sein, auf Ma­ke-up ste­hen und solch ko­mi­sches Zeugs. Das glau­be ich so­gar, wenn ich die gan­zen Mä­dels in Be­tas­hirts be­trach­te. Alle sind bis zu den Haar­wur­zeln zu­ge­kleis­tert. Na­tür­lich sind auch an­de­re Gäs­te an­we­send, aber ich weiß ge­nau, wel­che Li­am meint. Er pickt sich nur die Sah­nesch­nit­ten raus.

»Hey, Ray.« Ich schaue die Brü­net­te mit dem knap­pen Rock an, über­le­ge da­bei fie­be­rhaft, wie sie heißt, doch es will mir nicht ein­fal­len. Sie schaut mich er­war­tungs­voll an. Ver­mut­lich soll­te ich ein schlech­tes Ge­wis­sen ha­ben, ha­be ich aller­dings nicht. Die Frau­en wis­sen, wo­rauf sie sich mit mir ein­las­sen – Spaß, mehr nicht. Was ich su­che, fin­de ich bei ihr wohl kaum.

»Hey«, ant­wor­te ich aus Höf­lich­keit, wen­de mich dann spie­lend ab. Auf ein Ge­spräch mit ihr kann ich ge­trost ver­zich­ten. Ich has­se die­se auf­ge­don­ner­ten Weiber, die ein­fach nur da­mit an­ge­ben wol­len, ei­nen Foot­bal­ler zum Freund zu ha­ben. Als ob es das ist, was im Le­ben zählt. Sie wer­den bit­ter auf die Na­se fal­len, wenn die Uni vor­bei ist und an­de­re Din­ge wich­tig wer­den. Oder sie su­chen sich ei­nen rei­chen Kerl und füh­ren die­ses Le­ben weiter – bei vielen hier ist es wahr­schein­lich. So oder so, es soll nicht mein Pro­blem sein. Sie ist unin­te­res­sant für mich und ich will ihr kei­ne Hoff­nun­gen ma­chen, wo kei­ne sind. Die er­sten Jah­re am Col­le­ge ist das gan­ze Theater noch auf­re­gend ge­we­sen, aber jetzt, wo ich auf mei­nen Ab­schluss zu­ge­he, den­ke ich über vieles an­ders.

»Li­am, ist das nicht dei­ne Klei­ne?« Ei­ner un­se­rer Te­am­ka­me­ra­den stößt ihn an und ich schaue auto­ma­tisch zur Tür. Mei­ne Augen scan­nen den Raum ab, mein Herz­schlag be­schleu­nigt sich ein klei­nes biss­chen. So unin­te­res­sant die Brü­net­te ge­we­sen ist, so in­te­res­sant wird mein Abend jetzt. Das ha­be ich nicht er­war­tet. Dass sie heu­te hier sein wird, lässt die­se Fei­er sehr viel span­nen­der wer­den.

»Fuck! Gra­ce und ich woll­ten ins Ki­no. Ich wuss­te, ich ha­be was ver­ges­sen.« Er schlägt sich mit der fla­chen Hand ge­gen den Kopf, wäh­rend die an­de­ren schaden­froh la­chen.

»Al­ter, wie oft ver­setzt du sie? An ih­rer Stel­le wür­de ich dir den Arsch auf­rei­ßen«, grölt Et­han und die an­de­ren ni­cken zu­stim­mend.

Li­am ist ei­ne Flach­pfei­fe, und was für ei­ne. Sei­ne Ein­stel­lung macht mich wahn­sin­nig. Ich möch­te ihm manch­mal echt den Arsch auf­rei­ßen. Eigent­lich fast täg­lich, weil er sei­nen ver­fluch­ten Schwanz nicht bei sich be­hal­ten kann und sei­ne Freun­din re­gel­mä­ßig be­scheißt. Was mich da­ran stört? Dass sei­ne Freun­din Gra­ce ist.

»Gra­ce ist viel zu nett, zu­dem ver­dammt süß«, wirft Ma­son ein, fängt sich da­rauf­hin ei­ne Kopf­nuss von Li­am, der es hasst, wenn wir so über sei­ne Freun­din spre­chen. Er dürf­te nie­mals mei­ne Ge­dan­ken hö­ren, wenn ich sie se­he. Die wä­ren wei­taus schlim­mer als das, was Ma­son in den Raum ge­wor­fen hat, und außer­dem nicht jugend­frei – alles an­de­re als das. Eigent­lich dre­hen mei­ne Ge­dan­ken sich vier­und­zwan­zig Stun­den am Tag um sei­ne Freun­din, was aus mir wohl ei­nen ver­dammt schlech­ten Kum­pel macht. Ver­mut­lich ist es auch nicht för­der­lich für mein Kar­ma und ich wer­de als Scha­be wie­der­ge­bo­ren oder so. Kei­ne Ah­nung, was die Göt­ter für mich pla­nen, aber ge­gen ei­ni­ge Din­ge ist man ein­fach macht­los und bei mir sind es eben mei­ne Ge­füh­le für die­se Frau.

»Hey, pass auf, wie du über mei­ne Freun­din sprichst«, mahnt er, wo­rauf­hin die bei­den an­fan­gen, sich zu kab­beln, wäh­rend ich Gra­ce weiter­hin im Blick be­hal­te.

Wie hy­pno­ti­siert schaue ich sie an. Mein Herz rast in ei­nem wil­den Ga­lopp und ich wün­sche mir ins­ge­heim, dass sie we­gen mir hier ist, nicht we­gen Li­am. Sein Ver­hal­ten stößt bei mir auf pu­res Un­ver­ständ­nis, denn sei­ne Freun­din scheint von in­nen her­aus zu strah­len, hat et­was an sich, dass die gan­ze Welt ver­än­dert, wenn sie den Raum be­tritt. Sie schafft es, mich ganz und gar ge­fan­gen zu neh­men, da­bei für alles an­de­re blind zu ma­chen. Ich kann es nicht be­schrei­ben, aber wenn ich sie se­he, geht die Son­ne auf. Sie ist win­zig, be­stimmt nur knapp eins­sech­zig, mit lan­gen blon­den Haaren, die ihr weit den Rü­cken hi­nab fal­len. Allein ihr Äu­ße­res weckt in mir das Ver­lan­gen, sie an mich zu zie­hen, um sie mit mei­nem Körper vor der Welt zu schüt­zen. Gra­ce wirkt so ver­dammt zer­brech­lich mit ih­ren rie­si­gen hell­grü­nen Augen. Es ist, als wür­de ein Ne­an­der­ta­ler tief in mir ho­cken, sich auf die Brust trom­meln, und wenn er sie er­blickt, brül­len: Meins! Meins! Da­rauf­hin will er die Keu­le schwin­gen, alle Män­ner in ih­rer Um­ge­bung KO zu schla­gen. Tja, wenn es so ein­fach wä­re, wä­re sie be­reits mei­ne Freun­din und ich hät­te Li­am den Knüp­pel über den Dick­schä­del ge­zo­gen – dann gä­be es für mich ein Hap­py End, so rich­tig á la Dis­ney, aber lei­der le­ben wir nicht mehr in der Stein­zeit und Keu­len ha­be ich auch kei­ne. Scha­de eigent­lich.

Sie lacht ge­ra­de über et­was, das El­la ihr zu­flüs­tert, wo­bei ih­re wei­ßen Zäh­ne auf­blit­zen, wäh­rend ih­re Augen verg­nügt fun­keln. Gott, ih­re Augen fun­keln, ha­be ich das wirk­lich ge­dacht? Das be­ste Zeichen da­für, dass ich ver­rückt wer­de. Ich klin­ge wie vom an­de­ren Ufer. Nein, stimmt auch wie­der nicht. John, mein Kum­pel aus Kin­des­zeit, hört sich nie so an, und der steht de­fi­ni­tiv auf Män­ner. Dann klin­ge ich eben wie ein Wei­chei. Fun­keln­de Augen, was kommt mor­gen? Wer­de ich Poet? Ich weiß ge­nau, dass ih­re Augen ein so hel­les Grün ha­ben, dass ich immer an den Früh­ling den­ken muss und an die er­sten saf­ti­gen Gras­hal­me, die aus dem Boden sprie­ßen. Sie hat ei­nen sport­li­chen Körper, fast schon zu dünn – ich mag es, wenn ich et­was zum An­fas­sen ha­be. Das dun­kel­blaue, ver­dammt kur­ze Kleid schmiegt sich aller­dings per­fekt ih­rem Körper an. Ich muss schlu­cken und wid­me mich so­dann mei­nem Bier, weil mein Mund plötz­lich ziem­lich aus­ge­dörrt ist.

Ge­nau in die­sem Mo­ment ent­deckt sie ih­ren Freund und ihr Lä­cheln ver­rutscht kurz, än­dert sich kaum merk­lich, doch ich er­ken­ne es. Eben noch herz­lich und vol­ler Freu­de, wirkt es jetzt auf­ge­setzt und strahlt ei­ne Ver­letz­lich­keit aus, die mich tief be­rührt. Am liebs­ten möch­te ich Li­am mei­ne Mei­nung gei­gen, was mir aller­dings nicht zu­steht. Sie ist sei­ne Freun­din und wenn sie sich wie Dreck be­han­deln las­sen will, ist es ihr Ding. Es er­schließt sich mir nicht. Je­mand wie Gra­ce kann ei­nen wei­taus bes­se­ren Ty­pen fin­den. Sie ist wun­der­schön, se­xy und na­tür­lich. Wa­rum gibt sie sich mit Li­am ab? Es geht mir nicht in den Schä­del, aber fra­gen kann ich sie wohl kaum.

Er macht sich nicht die Mü­he, zu ihr zu ge­hen, al­so muss sie sich den Weg zu uns er­kämp­fen. Mein Kie­fer knirscht, als ich se­he, wie sie an­ge­rem­pelt wird, wäh­rend ihr Freund weiter an sei­nem Bier nu­ckelt, da­bei mit den Jungs lacht. Was ist er bloß für ein Voll­idi­ot? Es ist ihm gleich­gül­tig, wo­für ich ihm ei­ne ver­pas­sen könn­te. Ver­mut­lich ist er so­gar an­ge­pisst, weil sie hier ist. So kann er kei­ne Frau­en ab­che­cken oder an­de­re Är­sche be­grap­schen – zwei sei­ner Lie­blings­be­schäf­ti­gun­gen auf Ver­bin­dungs­par­tys.

»Hey, Gra­ce. Hey, El­la.« Ma­son nimmt bei­de in sei­ne kräf­ti­gen Ar­me, um sie zu be­grü­ßen, und der Rest der Jungs kom­men ihm auf die glei­che Art und Wei­se nach. Sie sind die Cheer­lea­der un­se­res Te­ams, wir trai­nie­ren oft im glei­chen Raum, fah­ren mit dem­sel­ben Bus zu Aus­wärts­spie­len und ir­gend­wie hän­gen wir auch an­dau­ernd zu­sam­men ab. Das schweißt zu­sam­men. Zur Be­grü­ßung neh­me ich El­la in den Arm, ehe Gra­ce sich mir zu­wen­det. Ich muss weit nach un­ten se­hen. Als un­se­re Bli­cke sich tref­fen, durch­zieht Wol­lust mei­nen Körper und ich will viel mehr, als sie nur in den Arm neh­men. Sie an mich rei­ßen und küs­sen, bis uns der Atem stockt, wä­re ei­ne Idee, die mir sehr ge­fällt. Sie lä­chelt mich fast schüch­tern an, mein Herz stol­pert kurz.

»Hey, Ray.« Ich lie­be es, wie sie mei­nen Na­men aus­spricht. Er dringt heiß durch je­de Zel­le mei­nes Körpers. Mei­ne Ar­me schlie­ßen sich um sie, was das Ver­lan­gen, mei­ne Lip­pen auf ihr duf­ten­des Haar zu pres­sen, in mir aus­löst, doch ich kom­me recht­zei­tig zur Ver­nunft … un­ter an­de­rem weil sie mir ent­ris­sen und in Li­ams Ar­me ge­zo­gen wird. So­fort re­bel­liert alles in mir und der Ne­an­der­ta­ler brüllt lauts­tark in mei­nem Kopf. Un­ge­hal­ten schwingt er sei­ne Keu­le, wäh­rend ich mit star­rer Mie­ne da­ne­ben ste­he, und ver­su­che, mein Herz zu be­ru­hi­gen. Eigent­lich müss­te ich ei­nen Os­kar für die­se Leis­tung er­hal­ten. Viel­leicht soll­te ich in den Schau­spiel­kurs wech­seln, ei­ne Über­le­gung ist es wert.

»Hey, Ba­by. Sor­ry, Ki­no ha­be ich gar nicht mehr auf dem Schirm ge­habt. Die Jungs woll­ten fei­ern und zack, du weißt ja, wie das ist. Ge­gen die­se Hor­de bin ich macht­los.« Li­am macht sich nicht mal die Mü­he, schuld­be­wusst zu wir­ken. Man merkt, dass ihm das ver­ges­se­ne Da­te voll­kom­men am Arsch vor­bei geht. Die­se elen­di­ge Rat­te. Ich se­he, wie sich ih­re Lip­pen miss­mu­tig auf­ein­an­der­pres­sen, ehe sie sich dann zu ei­nem Lä­cheln zwingt, aber nichts sagt. Tap­fe­res Mäd­chen, bloß kei­ne Schwäche zei­gen. Das wür­de Li­am noch mehr freu­en, er steht drauf, und wirkt in der Tat et­was ent­täuscht, als möch­te er sie un­be­dingt ver­let­zen.

»Du bist ein Mist­kerl, Woods! Ei­nes Tages wird Gra­ce das mer­ken, zack, dann bist du weg vom Fens­ter«, knurrt El­la. Un­will­kür­lich grin­se ich bei die­sen Wor­ten in mei­nen Be­cher. El­la und Li­am sind wie Hund und Katz, wo­bei ich ge­ste­he, in­ner­lich feie­re ich je­des bies­ti­ge Kom­men­tar, wel­ches sie Li­am an den Kopf wirft.

»Halt dei­ne gro­ße Klap­pe, Pu­muckl«, kon­tert er, wo­bei ih­re Augen wü­tend fun­keln. Sie rich­tet sich ge­ra­de auf, scheint direkt vor uns zu wach­sen, und so­gar ih­re ro­ten Lo­cken wir­ken ge­laden. Jetzt geht es los, den­ke ich amü­siert, leh­ne mich ge­nüss­lich an die Wand, um das Schau­spiel mit an­zu­se­hen.

»Ich ge­be dir gleich Pu­muckl, du Groß­kotz. Gra­ce ist viel zu scha­de für dich. Du bist ein wi­der­li­cher Ego­ma­ne. Oh, falls dir das Wort nichts sagt, du Matsch­hirn, er­klä­re ich es dir sehr ger­ne. Es be­deu­tet, du bist ein selbst­be­zo­ge­nes Stück Schei­ße, das sich ei­nen Dreck um sei­ne Freun­din küm­mert und in sei­ner klei­nen Mi­kro­welt lebt, in der sich alles nur um ei­nen selbst dreht. Ich hof­fe, dass du es jetzt ver­stan­den hast. Wenn nicht, schreib ich es dir ger­ne auf.«

Gra­ce ver­dreht ge­nervt die Augen, tritt dann zwei Schrit­te von Li­am zurück und be­en­det den Streit mit ei­nem Blick, ehe er tat­säch­lich be­gon­nen hat, oder Li­am zu ei­ner Ant­wort an­set­zen kann. Scha­de, ich ha­be ge­hofft, El­la ver­passt Li­am ei­ne di­cke Ab­rei­bung. Das hät­te mei­ne Lau­ne deut­lich ge­ho­ben. Der An­fang ist so viel­ver­spre­chend ge­we­sen. Li­ams Kopf je­den­falls ist pur­pur­rot, er ist rich­tig sau­er. Ich bin froh, dass Gra­ce nicht ge­hört hat, was er vor knapp fünf Mi­nu­ten über die an­de­ren Frau­en ge­sagt hat. Dann hät­te El­la ihm si­cher die Ei­er ab­ge­ris­sen, um sie ihm in den Mund zu stop­fen. Gra­ce hat ihn wirk­lich nicht ver­dient und manch­mal fra­ge ich mich so­gar, ob ich es El­la doch ei­nes Tages ste­cken soll.

Die­se Frau löst ei­nen ver­damm­ten Be­schütz­erins­tinkt in mir aus, den ich noch nie er­lebt ha­be. Es ist ver­rückt. Sie schaut auf, merkt, dass ich sie weiter­hin an­se­he, doch ich hal­te ih­rem Blick stand. Mein Blut scheint zu ko­chen, mein Körper steht in Flam­men und ich füh­le mich wie ein ver­lieb­ter Tee­na­ger. Ich bin un­fass­bar scharf auf die Freun­din mei­nes Kum­pels. Ver­dammt, macht das aus mir auch solch ei­nen Mist­kerl? Was sie wohl denkt, wenn sie mich an­sieht? Ob sie mich at­trak­tiv fin­det? Ei­ne zar­te Rö­te brei­tet sich auf ih­ren Wan­gen aus. Wahr­schein­lich ist es bes­ser, jetzt den Bli­ckkon­takt zu un­ter­bre­chen, aber es ge­lingt mir nicht. Alles an die­ser Frau ist atem­be­rau­bend und be­zau­bernd. Je­des klei­ne Detail sau­ge ich auf, ge­nie­ße es. Wenn es Lie­be auf den er­sten Blick gibt, dann ist mir das bei Gra­ce pas­siert. Ihr bin ich hil­flos aus­ge­lie­fert. Ich bin schon mit vielen Frau­en zu­sam­men ge­we­sen, doch kei­ne hat mich je so be­rührt wie sie.

»Und wie geht es dir, Ray? Ner­vös we­gen dem gro­ßen Spiel?« Sie lä­chelt und tat­säch­lich ist die­ses Lä­cheln echt. Ei­nes von de­nen, die warm und freund­lich sind, und ih­re Augen da­bei strah­len las­sen. Das Be­ste da­ran: es gilt mir. Nicht Li­am, aus­schließ­lich mir. Fuck, die­se Frau ist wie Kryp­to­nit für mich. Sie macht mich to­tal fer­tig und weiß es nicht mal. Es ist die Höl­le auf Er­den, da­rüber hin­aus ist sie mit ei­nem Kerl wie Li­am zu­sam­men, der sich durch die Welt­ge­schich­te poppt.

»Wenn ihr uns an­feu­ert, kann nichts schief­ge­hen, oder?« Ich zwin­ke­re ihr zu, wo­durch sie noch rö­ter wird, was mir durch­aus ge­fällt, denn immer­hin be­deu­tet es, ich las­se sie nicht kalt.

»Oho, Ray flir­tet mit dei­ner La­dy, Li­am. Pass bloß auf.« Et­han wirft mir ei­nen Bier­de­ckel an den Kopf, der direkt an mei­ner Stirn ab­prallt, doch ich fan­ge ihn schmun­zelnd auf, ehe er zu Boden fal­len kann.

»Lass das, du Spin­ner.« Ich wer­fe den De­ckel zurück, tref­fe aller­dings nicht, weil er sich duckt und mir den Mittel­fin­ger zeigt. Er meint sei­ne Sprü­che nie wirk­lich ernst, er ist der Spaß­vogel von uns. Da­mit kann ich gut um­ge­hen. Er ist der, der alle zum La­chen bringt. Da­bei ahnt nie­mand, wie na­he er da­mit an mei­ne ech­ten Ge­füh­le her­an­kommt. Ge­fähr­lich na­he.

Li­am schaut zu uns her­über, hebt ei­ne Augen­braue, mus­tert mich kurz von oben bis un­ten. »Nicht bö­se ge­meint, Ray, aber du bist nicht ihr Typ.« Er haut Gra­ce auf den Hin­tern, wo­rauf­hin sie zu­sam­men zuckt, ehe sie be­schämt zu Boden schaut. In mir bro­delt es. Das wil­de Tier in mir brüllt be­sitz­ergrei­fend, fletscht oben­drein die Zäh­ne, be­reit, Li­am in Stü­cke zu rei­ßen, wenn sich die Mög­lich­keit bie­tet. Er be­han­delt sie wie ein Stück Fleisch, stellt sie vor uns zur Schau, weil er denkt, dass es cool sei. Sie hasst es, was ihm gleich­gül­tig ist, das se­he ich ihr an. Er spielt den Ober­ma­cker, da­bei ist es nur lä­cher­lich, wie er sich auf­führt. Ich mag mein gan­zes Te­am, doch Li­am ist wirk­lich ein Fall für sich, was viel­leicht auch an mei­ner Eifer­sucht liegt, wenn es um sei­ne Freun­din geht – mög­li­cher­wei­se nicht die ideale Be­din­gung für ei­ne Freund­schaft, ob­wohl ich be­zweif­le, dass ich das Gan­ze an­ders se­hen wür­de, wenn es nicht so wä­re. Mir stößt sein prot­zi­ges Ver­hal­ten ein­fach auf. Ja, ich soll­te mich schä­men, auf die Freun­din mei­nes Kum­pels zu ste­hen, aber als ich sie das er­ste Mal ge­se­hen ha­be, hat es direkt Klick ge­macht. Es ist so ge­we­sen, als wür­de et­was in mir aus­klin­ken und mich mei­ner Macht be­rau­ben. Ich ver­su­che immer wie­der, ei­ne Er­klä­rung da­für zu fin­den, doch es gibt kei­ne. Das be­sag­te Tier in mir hat ge­brüllt, ge­ra­de­zu ge­ru­fen: die­se oder kei­ne. Seit­dem ha­ben sämt­li­che an­de­re Frau­en den Reiz für mich ver­lo­ren, was für ei­nen Ty­pen am Col­le­ge echt mies ist. Sie sind für mich le­dig­lich Ab­len­kun­gen, un­ter Um­stän­den für et­was Spaß, mehr nicht. Kei­ne von de­nen be­rührt mein Herz, aber im Ge­gen­satz zu Li­am, bin ich ehr­lich zu ih­nen. Wo wir bei Lie­be auf den er­sten Blick sind: Seit ich Gra­ce ge­se­hen ha­be, glau­be ich an die­sen Myt­hos. An­ders ist nicht zu er­klä­ren, was mit mir pas­siert ist.

»Li­am«, zischt Gra­ce lei­se, wo­bei man merkt, wie pein­lich ihr die­ses Spek­ta­kel ist. Zu gern möch­te ich sie an mich zie­hen, Li­am dann ei­ne ver­pas­sen, doch statt­des­sen neh­me ich ei­nen Schluck scha­les Bier und läch­le leicht. Gu­te Mie­ne zum bö­sen Spiel, da­rin bin ich Pro­fi.

»Sei dir nicht so si­cher, Li­am, du weißt ja nicht, was ich zu bie­ten ha­be«, las­se ich ihn wis­sen, schaue Gra­ce da­bei ge­ra­de­wegs in ih­re be­zau­bern­den Augen, die sich sog­leich über­rascht wei­ten. So ei­ne Ant­wort hat wohl nie­mand er­war­tet, wes­we­gen El­la mich nun auch neu­gie­rig mus­tert, als wiegt sie mei­ne Wor­te ab, wäh­rend sich Li­ams Blick ver­fins­tert. Jetzt hört der Spaß auf, zu­min­dest teilt mir dies sein Blick mit. In sei­nen Augen bin ich of­fen­sicht­lich zu weit ge­gan­gen. Ich zwin­ge mich zu ei­nem auf­ge­setz­ten Lä­cheln, le­ge Gra­ce spie­le­risch den Arm um die Schul­tern, der dort, ne­ben­bei be­merkt, per­fekt hin­passt. »Auf je­den Fall bin ich immer pünkt­lich. Das ist mehr, als du von dir be­haup­ten kannst.« Alle la­chen wie auf Kom­man­do, was be­deu­tet, dass ich glü­ckli­cher­wei­se ge­ra­de so die Kur­ve be­kom­men ha­be.

Kapitel Drei - Grace

Das Trai­ning hat längst an­ge­fan­gen, als El­la schnau­bend in die Hal­le stürmt. Da ich es nicht an­ders von ihr ken­ne, stret­che ich mich weiter, wäh­rend viele Köp­fe sich ihr zu­wen­den. Das ist ty­pisch und bringt mich da­zu, mei­ne Mund­win­kel zu ei­nem Lä­cheln zu ver­zie­hen. El­la liebt gro­ße Auf­trit­te. So ist sie ein­fach. Ave­ry fun­kelt sie wü­tend an, was mei­ner Freun­din aller­dings herz­lich egal ist. »El­la, fünf Ex­tra­run­den. Du bist schon wie­der zu spät, un­fass­bar. Ich soll­te dich aus dem Te­am wer­fen! Was glaubst du, wer du bist?« Sie wirft ihr pla­tin­blon­des Haar zurück, stemmt die Hän­de in die Hüf­ten und guckt so fins­ter, als wä­re ihr Hund ge­stor­ben. Mit Ave­ry ist wahr­lich nicht zu spa­ßen. Sie lei­tet das Te­am mit har­ter Hand, wür­de El­la je­doch nie raus­wer­fen. Ex­tra­run­den lau­fen las­sen, ja, die be­kommt sie je­des zwei­te Mal ver­passt, doch es scheint sie nicht zu stö­ren.

»Ja, ver­dammt. Ich muss­te was we­gen ei­ner Haus­ar­beit klä­ren«, brummt mei­ne Freun­din un­se­ren Te­am Cap­tain an, bin­det sich da­bei ei­nen un­or­dent­li­chen Haar­kno­ten, der da­nach wie ei­ne Pal­me von ih­rem Kopf ab­steht. Selbst da­mit sieht sie scharf aus, wäh­rend ich mit die­ser Fri­sur den An­schein ma­chen wür­de, als wä­re ich frisch aus dem Bett ge­kro­chen.

»Ach, ver­arsch wen an­de­res. Du hast si­cher wie­der mit den Kom­mi­li­to­nen ge­flir­tet. Ge­nau wie letz­tes Mal. Maya hat dich ge­se­hen. Du bist und bleibst ei­ne Lüg­ne­rin. Da­für müss­test du zehn Run­den lau­fen. Frech­heit«, braust Ave­ry sich auf, was mich hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand ki­chern lässt. Maya duckt sich und wird feu­er­rot, als El­la sie un­gläu­big an­sieht.

»Pet­ze«, flüs­tert sie fast ton­los, wo­rauf­hin ich lau­ter ki­che­re.

»Selbst Schuld! Viel Spaß bei den Ex­tra­run­den«, ne­cke ich sie gut ge­launt, set­ze so­dann mein Stret­ching fort. Ihr Kopf wen­det sich mir be­tont lang­sam zu.

»Als ech­te Freun­din wür­dest du mit mir lau­fen. Was sind schon fünf Run­den? Wir könn­ten quat­schen.«

Ich la­che nun laut auf, was uns wie­der ei­nen bö­sen Blick von un­se­rem Cap­tain ein­bringt, die ge­ra­de die Play­list fürs Trai­ning her­aus­sucht, wäh­rend wir uns deh­nen.

»Ver­giss es! Die kannst du schön allei­ne lau­fen. Außer­dem, waren es nicht zehn?« Ich bin rich­tig gut ge­launt, leh­ne mich weit nach hin­ten und ge­nie­ße das Zie­hen mei­ner Mus­keln.

»Quatsch, sie soll mit fünf zu­frie­den sein. Si­cher, dass du nicht mit­lau­fen willst? Wir kom­men am Foot­ball­te­am vor­bei. Du könn­test mit dei­nem Po­po vor Li­am hin und her wa­ckeln. Das wird dem Spin­ner ge­fal­len, wet­ten? Außer es ist ein Spiegel in der Nä­he, dann geilt er sich an sei­nem Spiegel­bild und dem gro­ßen Ego auf. Ich wet­te, das ist das Ein­zi­ge, was an die­sem Idio­ten groß ist. Ha­be ich recht? Ja, das ha­be ich.« Ich ver­dre­he die Augen, sie ist der Spin­ner. »Oder ist dir Ray lie­ber? Was läuft da über­haupt mit un­se­rem se­xy In­der? Ich wuss­te vor­her gar nicht, dass da was im Busch ist. Stil­le Was­ser sind tief, mei­ne Lie­be. Hast du et­wa be­schlos­sen, dei­nen Ego­ma­nen ab­zu­schie­ßen? Das wä­re wie Weih­nach­ten und Os­tern an ei­nem Tag. Ach, was re­de ich, es wä­re das Highl­ight mei­nes Lebens. Ich wür­de wo­chen­lang fei­ern und mei­ne Kin­der nach dir be­nen­nen.«

Mir wird heiß und kalt zu­gleich bei ih­ren Wor­ten und ich set­ze mich ruck­ar­tig auf­rich­tig hin. »Wie kommst du denn auf die­sen Mist?«, zi­sche ich und spü­re direkt, wie ich rich­tig rot wer­de. So et­was soll­te sie nicht mal aus Spaß sa­gen. Hier sind ge­nug Pet­zen un­ter­wegs, die es Li­am ste­cken wür­den, nur um sei­ne Auf­merk­sam­keit auf sich zu zie­hen. Dann geht das Dra­ma erst recht los. Das Brül­len mei­ner Mutter kann ich bei­nahe glas­klar hö­ren. So­fort füh­le ich mich von den an­de­ren Mäd­chen be­ob­ach­tet, wo­bei ich mir si­cher bin, dass sie ih­re Oh­ren spit­zen. Neu­gie­ri­ge Ban­de.

»Da geht doch was zwi­schen euch. Er frisst dich mit Bli­cken auf und sein Kom­men­tar am Wo­che­nen­de ist auch nicht oh­ne ge­we­sen. Li­ams Blick – zu geil. Hab ich to­tal ge­fei­ert. Der ist der­ma­ßen an­ge­pisst ge­we­sen. Ich an dei­ner Stel­le wür­de wis­sen wol­len, was Ray zu bie­ten hat.« Sie schnippt ge­gen mei­ne Na­se, um ih­ren Wor­ten Nach­druck zu ver­lei­hen. Wo­von re­det sie? Ray hat ei­nen Witz ge­macht, mehr nicht.

»Kannst du bit­te lei­ser re­den«, brum­me ich ver­le­gen und rei­be mir da­bei den Na­cken. »Das, was du dir in dei­nem kran­ken Kopf zu­sam­men­reimst, stimmt nicht. Er ist Li­ams Kum­pel«, stot­te­re ich, wäh­rend sich Ha­zel vor­lehnt. Ih­re blau­en Augen sind vol­ler Schalk.

»Ich muss El­la recht ge­ben. Ray schaut wirk­lich oft zu dir, was uns an­de­ren ar­men weib­li­chen We­sen oh­ne Freund echt nei­disch macht. Ich mei­ne ernst­haft, habt ihr euch die­sen Traum von Mann mal an­ge­se­hen? Die vol­len schwar­zen Haa­re, der Drei­ta­ge­bart und dann die­ser kras­se Wasch­brett­bauch? Da wird man schwach. Da­zu ver­lei­hen die Tat­toos ihm et­was Ver­we­ge­nes, oder? Er ist ver­dammt heiß. Gott, da be­kom­me ich gleich Schweiß­aus­brü­che. Er ver­körpert den In­beg­riff ei­nes Bad Bo­ys, wie er im Bu­che steht eben und das auf ei­ne ver­dammt hei­ße Art und Wei­se.«

El­la und Ha­zel ki­chern lei­se, klat­schen sich ab und nun stimmt So­phia auch mit ei­nem ver­klär­ten Blick ein. »Oh ja. Wir an­de­ren müs­sen sab­bernd zu­se­hen, wäh­rend Gra­ce gleich zwei Spie­ler für sich re­ser­viert. Rich­tig un­fair. Du musst dich für ei­nen ent­schei­den. Den an­de­ren kannst du uns über­las­sen.«

Mein Kopf muss aus­se­hen wie ei­ne To­ma­te. Mir ist fürch­ter­lich heiß und ich weiß nicht, ob sie mich ver­ar­schen oder es ernst mei­nen. Ich füh­le mich in sol­chen Si­tua­tio­nen immer to­tal hil­flos. Vor Li­am ha­be ich kei­nen Freund ge­habt, mei­ne Eltern hät­ten das nie er­laubt, und ich ha­be nicht sol­che Er­fah­run­gen wie an­de­ren Mäd­chen – das macht mich zu ei­nem leich­ten Opfer für Ne­cke­rei­en. »Ihr seid doch ver­rückt«, brum­me ich, möch­te da­bei im Erd­boden ver­sin­ken. Wie­so soll­te Ray mich an­schau­en? Je­der weiß, dass ich mit Li­am zu­sam­men bin. Er und Li­am sind Freun­de. Ray kann ganz an­de­re Frau­en be­kom­men.

Ver­stoh­len schaue ich zu den Jungs des Foot­ball­te­ams, die zeit­gleich an den Ge­rä­ten im Ne­ben­raum trai­nie­ren. Statt mei­nen Freund, mus­te­re ich Ray. Es ist ja nicht so, als wä­re er mir nicht auf­ge­fal­len – dann müss­te ich blind sein -, er ist ein­fach un­er­reich­bar für mich. Punkt. Mei­ne Augen wis­sen das an­schei­nend nicht, sie bli­cken ihn weiter an. Rie­sen Feh­ler, denn mein Bauch krib­belt leicht, was oft­mals in sei­ner Ge­gen­wart vor­kommt. Sein Ober­körper glänzt vor Schweiß, wäh­rend er sich immer wie­der kraft­voll an der Stan­ge hoch­zieht und ei­nen Klimm­zug nach dem an­de­ren ab­sol­viert, als wä­re es ein Kin­der­spiel. Aus Er­fah­rung weiß ich, wie hart es ist, und nicht so leicht, wie es ge­ra­de wirkt. Sei­ne Mus­keln ar­bei­ten im Ein­klang und sind wirk­lich ein­dru­cksvoll, da ha­ben die an­de­ren schon recht. Ich müss­te To­ma­ten auf den Augen ha­ben, wenn ich ihn nicht se­xy fin­den wür­de – das ist er de­fi­ni­tiv. Sein lin­ker Arm ist vom Hand­ge­lenk bis über die lin­ke Brust mit Tat­toos be­deckt und ich lü­ge, wenn ich be­haup­te, dass ich es nicht eben­so at­trak­tiv fin­de. Es ist re­bel­lisch, was ich je­doch nie vor je­mand an­de­ren zu­ge­ben wer­de. Nie­mals! Mei­ne Mutter dul­det sol­che Schwär­me­rei­en nicht. Egal, wie an­zie­hend ich es fin­de. Er hat et­was Düs­te­res und Ver­we­ge­nes an sich, voll­kom­men an­ders als mein blon­der Freund, der in sei­ner un­mittel­ba­ren Nä­he trai­niert. Sie sind wie Tag und Nacht. Be­ach­boy und Bad Boy. Da stim­me ich So­phia zu. Oh Gott, was hat El­la nur an­ge­rich­tet, dass ich jetzt da­rüber nach­den­ke? Ich muss es im Keim er­sti­cken, so­fort.

Ray stammt aus In­dien und stu­diert hier Bio­tech­no­lo­gie. Näch­stes Jahr wird er sei­nen Ab­schluss in der Ta­sche ha­ben, wie der Rest der Mann­schaft. Wenn ich Li­am rich­tig ver­stan­den ha­be, ist er so­gar echt gut. Li­am stu­diert Sport und will da­nach Leh­rer wer­den, wäh­rend ich noch zwei weite­re Jah­re vor mir ha­be. Ich bin zwei Jah­re jün­ger als Li­am, so­mit vier­und­zwan­zig. Er und Ray müss­ten glei­chen Alters sein, schät­ze ich, um die sechs­und­zwan­zig. Ob Ray wie­der zurück nach In­dien geht? Wie se­hen wohl sei­ne Plä­ne aus?

Als wür­de er mei­nen Blick spü­ren, schaut er auf und un­se­re Bli­cke tref­fen sich. Er lässt sich läs­sig von der Stan­ge fal­len, oh­ne den Bli­ckkon­takt zu un­ter­bre­chen. Mei­ne Ner­ven­zel­len am Rück­rad krib­beln spür­bar. Er reibt sich den Schweiß aus dem Ge­sicht, wo­bei mein Blick an ihm kle­ben bleibt. Tro­cken schlucke ich, als mei­ne Augen zu sei­nem de­fi­nier­ten Bauch wan­dern. Schnell zwin­ge ich mich, wie­der zur Ver­nunft zu kom­men, als ich er­ken­ne, dass er mir ein schie­fes Grin­sen schenkt. Ich weiß, dass sei­ne brau­nen Augen fröh­lich blit­zen, auch wenn ich sie von hier kaum se­hen kann. Ver­wirrt schaue ich zu Boden, wäh­rend El­la wis­send schmun­zelt, aber nichts sagt. Gott sei Dank, die­se blö­de Nuss pflanzt mir ko­mi­sche Ge­dan­ken in den Kopf. Sie dür­fen mir nicht so ei­nen Floh ins Ohr set­zen. Wenn Li­am das hört, brennt die Höl­le. Vor al­lem wür­de er mir die Schuld da­ran ge­ben, wo­rauf ich ge­trost ver­zich­ten kann, ganz zu schwei­gen von mei­ner Mutter, die me­ckern wür­de, bis mir die Oh­ren blu­ten.

Die er­sten Klän­ge von Christ­ina Agui­le­ra – Can’t Hold Us Down er­klin­gen. Ave­ry klatscht in die Hän­de, wäh­rend wir auf­ste­hen, um uns warm zu ma­chen. Alle, außer El­la, lau­fen ih­re fünf Run­den. Da wir an dem Raum mit den Foot­ball­spiel­ern vor­bei ren­nen, ha­ben wir ei­nen per­fek­ten Blick auf ihr Trai­ning – und sie auf uns, nicht zu ver­ges­sen. Ich hal­te mein Tem­po, ver­su­che mich nur auf die Musik zu kon­zen­trie­ren, was schwer ist. Immer wenn wir an den Jungs vor­bei kom­men, er­tö­nen Pfif­fe, Ju­bel und, ob ich will oder nicht, fra­ge ich mich, ob die an­de­ren even­tu­ell recht ge­habt ha­ben. Schaut Ray mir nach? Ge­fällt ihm, was er sieht? Und wa­rum in­te­res­siert mich das über­haupt? El­la, ich has­se dich! Ich stei­ge­re mein Tem­po, ver­trei­be so die Ge­dan­ken an brau­ne Augen und ei­nen mus­ku­lö­sen Körper, se­he zu, dass ich mei­nem ei­ge­nen Trai­ning nach­kom­me.

Das Pro­gramm ist schweiß­trei­bend ge­we­sen. Mü­de schlep­pe ich mich in die Du­schen, wo die an­de­ren schon verg­nügt schwat­zen, doch ich ha­be kei­ne Lust zu re­den. Ich füh­le mich völ­lig aus­ge­po­wert, ein­zig da­durch ha­be ich die­se ver­rück­ten Ge­dan­ken ver­trei­ben kön­nen. Das war­me Was­ser lo­ckert mei­ne Mus­keln, wo­bei ich ge­nüss­lich seuf­ze. Lei­der ha­be ich nicht viel Zeit, da­her fällt die Du­sche ziem­lich kurz aus. Zwar lie­be ich lan­ges Du­schen, aber noch mehr lie­be ich es, zu ba­den. Das fehlt mir hier echt, ei­ne Ba­de­wan­ne und el­len­lan­ge Schaum­bä­der.