Raze - Bis zum Tod - Tillie Cole - E-Book

Raze - Bis zum Tod E-Book

Tillie Cole

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Beschreibung

Nach Jahren der Gefangenschaft in der schlimmsten Hölle auf Erden hält Raze nur ein Gedanke am Leben: Rache zu üben an demjenigen, der ihm alles Menschliche nahm und ihn in eine Killermaschine verwandelte. Schon seit frühester Jugend wurde er zum eiskalten Kämpfer ausgebildet und bestreitet Untergrundkämpfe auf Leben und Tod. Unter Drogen gesetzt, misshandelt und seiner Erinnerungen beraubt, ist Gewalt das Einzige, was er kennt. Erst als er Kisa Wolkowa begegnet, regen sich Gefühle in ihm, die er nie kannte. Auch Kisa hat in ihrem jungen Leben schon viel Schmerz und Leid erfahren müssen. Die Tochter des Oberhaupts der Russischen Mafia in New York lebt in einem goldenen Käfig und wird von ihrem Verlobten Alik immer wieder aufs Grausamste missbraucht. Vom ersten Augenblick an fühlen sich Raze und Kisa zueinander hingezogen, doch ihre Liebe bringt vor allem Kisa in allergrößte Gefahr ... (ca. 380 S.)

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Seitenzahl: 452

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Impressum

TILLIE COLE

Raze

Bis zum Tod

Roman

Ins Deutsche übertragen von Sylvia Gleißner

Zu diesem Buch

Nach Jahren der Gefangenschaft in der schlimmsten Hölle auf Erden hält Raze nur ein Gedanke am Leben: Rache zu üben an demjenigen, der ihm alles Menschliche nahm und ihn in eine Killermaschine verwandelte. Schon seit frühester Jugend wurde er zum eiskalten Kämpfer ausgebildet und bestreitet Untergrundkämpfe auf Leben und Tod. Unter Drogen gesetzt, misshandelt und seiner Erinnerungen beraubt, ist Gewalt das Einzige, was er kennt. Erst als er Kisa Wolkowa begegnet, regen sich Gefühle in ihm, die er nie kannte. Auch Kisa hat in ihrem jungen Leben schon viel Schmerz und Leid erfahren müssen. Die Tochter des Oberhaupts der Russischen Mafia in New York lebt in einem goldenen Käfig und wird von ihrem Verlobten Alik immer wieder aufs Grausamste missbraucht. Vom ersten Augenblick an fühlen sich Raze und Kisa zueinander hingezogen, doch ihre Liebe bringt vor allem Kisa in allergrößte Gefahr …

An die Musik für die regelmäßige Inspiration.

Und an Little Big Town dafür, dass ihr diese Geschichte mit euren wundervollen Worten inspiriert habt.

You roll through life like a roaring fire.

I bring the rain like a thunderstorm …

aus »Live Forever«

(Little Big Town)

Es war ihnen von jeher bestimmt gewesen, zusammen zu sein: ein Junge und ein Mädchen, zwei Herzen, entzweigerissen und allein an weit entfernte Orte gesandt. Denn Gott wollte sehen, ob wahre Liebe die Prüfung bestand. Er wollte sehen, ob zwei Hälften einer Seele einander wiederfinden konnten, trotz aller Widrigkeiten. Jahre würden vergehen, beide würden Verletzungen erleiden, traurig sein, doch eines Tages, wenn sie es am wenigsten erwarteten, würden ihre Wege sich erneut kreuzen. Die Frage ist: Würden ihre Seelen einander wiedererkennen? Würden sie den Weg zurück zu ihrer Liebe finden …?

Prolog

Sein Herz hämmerte wie verrückt – schnell, laut, heftig.

Sein Brustkorb hob und senkte sich unter schweren, keuchenden Atemzügen.

Angst erfüllte ihn bis in die Knochen, bis in jede Zelle seines Körpers, seine Hände zitterten wie Espenlaub, und Schweißperlen tropften von seiner erhitzten Haut.

»Willkommen in der Hölle, Junge.«

Diese fünf Worte empfingen den Jungen, als er von einem hünenhaften Wärter brutal in einen feuchtkalten Keller getrieben wurde. Überall nur Schwärze; finsterste Schwärze. Die Wärter trugen Schwarz, die Wände des Lastwagens, der ihn hergebracht hatte, waren schwarz, der Himmel draußen war schwarz, und der fensterlose Raum, in dem sie nun standen: schwarz. Die abgestandene Luft war feucht und stickig, und es war glühend heiß hier drin. Der Gestank von glitschigem Fett, Schweiß und etwas noch Grässlicherem brannte dem Jungen in der Nase, ließ ihn würgen, und seine Füße wollten sich nicht vom klebrig-schmutzigen Boden lösen.

Die Hölle, wiederholte der Junge in Gedanken die Worte des Wärters. Das hier war die leibhaftige Hölle.

Dann stieß ihn der Wärter erneut vorwärts, diesmal eine steile, rutschige Treppe hinab. Dämmrige Lichter waren in die Wände eingelassen. Die hohen Ziegelwände hatten eine bräunlich gelbe Farbe, und im Hintergrund heulten uralte Ventilatoren in dem vergeblichen Versuch, die viel zu heiße Luft zu kühlen. Aus Rohren über seinem Kopf tropfte beständig Abwasser auf den Betonboden, und Ratten und anderes Ungeziefer huschten um seine Füße.

Dieser Ort war ein Dreckloch.

Wieder traf eine schwere Hand den Rücken des Jungen und stieß ihn einen schmalen Flur entlang. Mit jedem Schritt hörte der Junge den eigenen Atem lauter in seinen Ohren. Mit jedem Schritt spürte er sein Herz heftiger pochen. Und mit jedem Schritt hörte er immer lauter werdenden Lärm, der von irgendwo genau vor ihm kam, gleich hinter einer schwer aussehenden Eisentür. Leute, die schrien und johlten, begleitet von dem unverwechselbaren Klang von Metall, das auf Metall prallte.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Junge auf die Tür, und seine Nasenflügel weiteten sich vor Entsetzen. Nichts an diesem Ort versprach »Sicherheit«. Im Gegenteil – mit jeder Bewegung fühlte er nichts als reine Angst.

Der Wärter griff an dem Jungen vorbei und klopfte zweimal laut gegen die Eisentür. Jedes Klopfen vibrierte wie Kanonendonner durch den Brustkorb des Jungen. Dann wurden Riegel aufgeschoben, Schlüssel klirrten, und schließlich schwang die Eisentür auf.

Die Augen des Jungen weiteten sich ungläubig, als er die Szene erfasste. Erwachsene Männer überall in dem überfüllten Raum. Kein freier Zentimeter, von einer dicken Wand zur anderen nichts als verschwitzte Körper, die einander herumschupsten. Die Männer tranken Wodka, tauschten Geld aus, winkten aufgeregt, und alle Blicke waren direkt nach vorn gerichtet, konzentriert auf etwas, das sich direkt vor ihnen befand.

»Bewegung, Junge«, befahl der Wärter. Der Junge zögerte, er wollte nicht die Schwelle zur »Hölle« übertreten. Er konnte sich nicht bewegen. Wie erstarrt blieb er stehen, seine Beine zitterten, und in seinem Kopf drehte sich alles.

Der Wärter packte den Jungen mit festem Griff am Kragen, sodass er zusammenzuckte, als er mit Gewalt durch die zurückweichende Menge geschoben wurde. Erwachsene Männer hielten inne und taxierten den Jungen, manche beifällig, die meisten abschätzig. Sie alle verschwammen vor den Augen des Jungen, der Anblick und die Gerüche wurden zu viel für ihn.

Er fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Seine schnellen, kurzen Atemzüge brannten in seiner Lunge. Seine Finger zitterten vor Furcht, aber er schüttelte den Kopf, verbannte die angstvollen Gedanken, wie sein Vater es ihn gelehrt hatte, und so gelang es ihm, den Kopf hoch erhoben zu halten und jedem, der ihn neugierig anstarrte, direkt in die Augen zu sehen.

Als die Menge sich langsam teilte, erschrak der Junge bei dem Anblick, der sich ihm bot: ein riesiger quadratischer Stahlkäfig vom Boden bis zur Decke und oben darauf scharfer Klingenstacheldraht. Im Käfig waren schnelle Bewegungen zu sehen, schmerzerfülltes Stöhnen und Blutspritzer drangen nach draußen und trafen sein graues Hemd und sein Gesicht. Dieses Mal versagten ihm seine Lungen den Dienst. Er war erstarrt. Erstarrt vor Schock, als der kupferartige Geruch von Blut in seine Nase drang.

Der Junge traute seinen Augen nicht. Den Anblick, der sich ihm da bot, konnte er mit seinem Verstand gar nicht erfassen: Schmerz, tiefe Schnittwunden, Schreie, Blut … so viel Schmerz und Blut.

Plötzlich wehte ein Schwall fauligen Gestanks an seinem Gesicht vorbei. Der Junge zuckte zusammen, als er den Übelkeit erregenden Geruch von verdorbener Nahrung und beißendem Tabakrauch einatmete.

»Schau es dir gut an, Junge. Nicht mehr lange, und das da in dem Käfig bist du.«

Der Junge hielt den Atem an, bis er nicht mehr konnte. Dann atmete er scharf aus und widerstand dem Drang, zu husten oder aufzuschreien.

Schon in frühester Kindheit war ihm beigebracht worden, niemals Emotionen zu zeigen. Wann immer er es wagte, sich zu beklagen oder gar zu weinen, hatte sein Vater ihn bestraft. Und er hatte nicht die Absicht, hier und jetzt damit anzufangen. Der Junge beschloss, beherrscht, gleichmütig und stoisch zu bleiben … was auch immer er sein musste, um diese … diese, was zur Hölle das auch war, zu überstehen.

Ein lautes reißendes Geräusch war im Käfig zu hören. Es jagte ihm schneidend über den Rücken und ließ ihm Übelkeit in den Mund steigen. Als ein riesiger Zuschauer abrupt zur Seite trat, ein erfreutes Grinsen im Gesicht, wurde alles klar. Die Kämpfer in dem Käfig waren Kinder … Jungen, die nicht älter aussahen als er selbst.

Und sie kämpften … bis zum Tod …

Ungläubig jagte der Blick des Jungen über den Käfig, den Waffen aller Art säumten: Klingen, Ketten, Hämmer, Äxte, um nur einige wenige zu nennen.

Einer der jungen Kämpfer stolperte rückwärts und presste sich die Hände auf den Bauch, während sein Gegner ihn umkreiste, mit irrem Blick aus hervortretenden Augen, konzentriert auf seine Beute. Der Angreifer, eindeutig der stärkere der beiden, hielt ein Messer umklammert, von dessen langer Klinge Blut tropfte.

Seine Beute drehte sich wankend der Menge zu und klammerte sich an den dicken Maschendraht, der den Käfig umgab. Erst da sah der Junge, dass der Bauch des Unterlegenen aufgeschlitzt war und Blut und Eingeweide aus der klaffenden Wunde quollen.

Übelkeit bahnte sich ihren Weg in die Kehle des Jungen, als er zusah, wie der tödlich verwundete Kämpfer in Todesqual auf die Knie sank. Sein Magen verkrampfte sich schmerzhaft, und unvermittelt übergab er sich auf den schon verdreckten Boden. Dann wischte er sich den Mund am Ärmel seiner grauen Kluft ab und richtete sich wieder auf – nur um zu sehen, wie der Verlierer des Kampfes seinen letzten Atemzug tat.

Die dicht gedrängte Menge der Männer brach in Geschrei über den Sieg oder enttäuschtes Stöhnen aus, während bündelweise Geld in Windeseile durch die Hände ging. Der Kampf war vorbei. Der Lärm im Keller wurde lauter, und die Männer konzentrierten sich auf ihre Gewinne und ignorierten den Sieger in der Mitte des Käfigs.

Doch der Junge sah nicht weg. Er konnte nicht wegsehen; sein Blick war fixiert auf den Anblick vor ihm.

Er sah zu, wie der Sieger, bedeckt von Blut und Eingeweiden seines Gegners, auf die Knie fiel. Jede Kraft war aus seinem viel zu wuchtigen Körper gewichen, seine Augen waren rot, und er zitterte am ganzen Körper.

Der Junge sah zu, wie der Sieger sich vor Wut anspannte, den Kopf in den Nacken legte und seinen Schmerz darüber hinausschrie, dass er zusehen musste, wie das Blut, das Leben seines Opfers verrann.

Der Junge sah zu, wie der Sieger das blutige Messer fallen ließ und vollkommene Taubheit seinen Körper überkam.

Und der Junge sah, wie die leblosen Augen des Siegers sich auf ihn richteten, seinen Blick erwiderten und ihm offenbarten, wie seine eigene Zukunft aussehen würde.

Erneut wehte dem Jungen derselbe ranzige Atem ins Gesicht, und er hörte: »Von nun an wird man dich als Kämpfer 818 kennen, und wenn du leben willst, wirst du lernen, zu kämpfen und zu überleben, hier in der Hölle.«

Und 818 tat genau das.

Im Laufe der Zeit wurde 818 unübertroffen.

818 wurde der Tod.

Ein.

Verdammter.

Eis.

Kalter.

Killer.

KAPITEL EINS

Kisa

Heute …

»Oh, Myschka, du bist so verdammt eng …«

Mit kräftigen Händen drückte mein Verlobter mich an den Schultern aufs Bett nieder und rammte sich in mich, hämmerte seinen Schwanz mit unglaublicher Wucht in meine Vagina, und seine starken Hüften hielten mich unter ihm fest.

Ich versuchte mich zu bewegen, stemmte mich mit aller Kraft gegen seinen Oberkörper, aber er gab nicht einen Zentimeter nach.

So war es immer, wenn er mich nahm – hart, grob, roh … und völlig außerhalb meiner Kontrolle.

Ein Feuer leuchtete in Aliks blauen Augen auf, als ich mich gegen ihn wehrte, angefacht durch meinen Widerstand und die Aggression, die er von mir erwartete, wann immer er mich in diesem Bett nahm – es war eine Aggression, die er liebte und brauchte.

Er hatte gern Sex. Niemals Liebe, nur Sex, harten Sex, solange er die Kontrolle hatte.

Er nahm die rechte Hand von meiner Schulter und legte sie um meine Kehle. Nicht so fest, dass ich keine Luft mehr bekam, aber es reichte, um mich festzuhalten, während ich ihm meine französisch manikürten Fingernägel in Rücken und Schultern grub.

Meine Hüften zuckten, doch seine kräftigen Oberschenkel drückten mich noch stärker nieder, und sein Schwanz rammte sich unbarmherzig gegen meinen G-Punkt und zwang mich, vor Lust aufzuschreien. Alik lachte über meine vergebliche Anstrengung, ihn von mir zu schieben. Sein Mund war nur noch Zentimeter von meinem Gesicht entfernt.

»Versuch es nur, Myschka, versuch mich wegzuschieben … Du bist mein Eigentum«, knurrte er mir ins Ohr. Sein Schwanz zuckte in mir, und ich schrie auf und biss ihn in die Schulter, sodass etwas Blut aus der Haut quoll. Aliks Finger um meinen Hals spannten sich an und unterdrückten mein Stöhnen. Sein Atem wurde schwerer, sein kantiges Kinn spannte sich an und sein Blick bohrte sich in mich.

»Komm, Myschka. Komm!«, befahl er. Noch drei harte Stöße, während er meine Klitoris beinahe mit seiner Hand zerquetschte, und ich zersprang innerlich, hielt seinen Schwanz eng umklammert – ob ich wollte oder nicht.

Ich hasste es, dass er meinen Körper so gut kannte. Dass er wusste, wie er mich scharf machen, mich zum Schreien bringen konnte. Wenn ich kam, betrachtete Alik das als Beweis meiner Liebe zu ihm. Ich sah es nur als einen Weg mehr, wie er mich benutzte, um seine Macht über mich zu demonstrieren.

Seine Hand glitt von meiner Schulter in mein Haar, und er zog fest an den langen, hellbraunen Strähnen. Seine Augen waren geschlossen, und sein Mund stand offen. Dann, mit einem ohrenbetäubenden Aufbrüllen, kam er und ergoss sich in mich. Mein Atem ging schwer, und meine harten Brustwarzen rieben über seine feste, muskulöse Brust.

»Kisa … fuck!« Alik stöhnte und stieß langsam in mich, kam wieder zu sich, während die harten Muskeln seines Körpers sich anspannten und wieder lockerten.

Ohne seinen Griff um meinen Hals und in meinem Haar zu lockern, drückte er seine Lippen auf meine und zwang seine Zunge in meinen Mund. Ich gab nach, wie immer, und stöhnte, wie er es immer wollte, während sein Unterleib über meine empfindsame Klitoris rieb.

Alik zog sich zurück, und Belustigung blitzte in seinen scharf geschnittenen Zügen auf. »Myschka maunzt immer wie eine kleine Mieze, hm?« Sein Mund senkte sich an mein Ohr, und seine Zunge fuhr über die Ohrmuschel. »Liebst du es, wenn ich dich hart vögle? Liebst du es, wenn ich deine Spalte bearbeite?«

Alik ließ meinen Hals los, nur um weiter unten zuzugreifen, meine Brust zu kneten und an der aufgerichteten Brustwarze zu zupfen. Ich schrie fauchend auf, und sein Lächeln wurde noch breiter.

»Ich liebe es auch, dich zu vögeln, Myschka«, murmelte er. Dann zog er abrupt seinen immer noch harten Schwanz aus mir heraus und ließ mich liegen, auf seinem breiten Bett in seinem Luxusapartment in Brooklyn, während ich versuchte, wieder zu Atem zu kommen und mich zu erholen. Alik ging durchs Zimmer, sein muskulöser, hochgewachsener Körper Perfektion auf zwei Beinen, und fuhr sich mit der Hand durch den dunklen Bürstenhaarschnitt.

Er nahm sich ein Handtuch aus dem Wandschrank und schlang es sich um die Taille. Ich rutschte auf dem Bett nach oben und beobachtete ihn.

Alik hatte sich seit unserer Kindheit sehr verändert. Er hatte den groß gebauten, wuchtigen Körper eines Kämpfers, leicht gebräunte Haut, und seine kantigen Züge waren aristokratisch, sogar gutaussehend. Er war Alik Durow – der Mann, der schon beschlossen hatte, mich für sich zu beanspruchen, als wir nur ein paar Kinder der Bratwa waren, die versuchten, sich einen Weg durch die Widrigkeiten und Mühsale eines rauen Mafialebens zu bahnen. Der Junge, in dem ich nie mehr als einen Freund gesehen hatte, bis er mich zu mehr zwang.

Wir wuchsen zusammen auf. Sein Vater und meiner waren zwei der drei »Roten Könige« der Bratwa, der Bruderschaft von New York. Mein Vater, Kirill Wolkow, war der Pakhan, der Pate. Er war der oberste Boss, derjenige, der die russische Unterwelt hier in New York regierte. Aliks Vater, Abram Durow, war der Vollstrecker, der nächste Anwärter auf den höchsten Sitz. Derjenige, der mit der dunkleren Seite der Mafia zu tun hatte, mit den gewalttätigen Angelegenheiten, mit Rache, Morden und Einschüchterungen. Er war sadistisch, unversöhnlich und grausam …

Wie der Vater, so der Sohn.

Alik hatte mich schon seit Jahren gewollt. Von Kindheit an wollte er mich immer in seiner Nähe haben. Er war ständig wütend, fing Schlägereien an und brachte sich in Schwierigkeiten. Er erzählte mir immer, dass er Stimmen in seinem Kopf hörte, Stimmen, die ihm befahlen, Menschen zu verletzen, doch wenn er in meiner Nähe war, dann wurde er ruhig und die Stimmen verschwanden.

Alik tat mir leid. Schon immer. Abram als Vater zu haben war, als würde man mit dem Teufel in Person zusammenleben. Aber ich hatte jemand anderen gehabt, einen Jungen, den ich aus tiefstem Herzen liebte und verehrte … der nur für diese Liebe geboren war. Doch dann, als ich ein Teenager war, riss eine Tragödie uns auseinander. Und nur wenige Tage später machte Alik dann seinen Zug und erklärte mich zur Seinen.

Seitdem waren wir zusammen.

Als Prinz und Prinzessin der Mafija betrachtete die gesamte russische Gesellschaft in New York uns als das »perfekte« Paar. Etwas anderes würde Alik auch nicht dulden. Er war besessen von mir. Er überwachte jeden meiner Schritte. Ich war seine Myschka – sein Mäuschen.

Und ich wagte es nicht, den Blick auf jemand anderen zu richten. Alik würde jeden, der sich zwischen uns stellte, töten. Und das war keine leere Drohung – es war das, was Alik tat.

Er tötete.

Seine Bestimmung im Leben war das Töten.

Er war ein Kämpfer – ein Deathmatch-Kämpfer –, aber ich wusste, dass er auch außerhalb des Käfigs für die Bratwa aktiv war. Er tötete diejenigen, die die »Roten Könige« wirklich leiden lassen wollten.

Alik »The Butcher« Durow war unbestrittener fünfmaliger Champion des Dungeon. Er war knapp sechsundzwanzig Jahre alt und der gefürchtetste Mann in New York.

Nie, niemals würde ich ihn verlassen können. Selbst wenn ich wollte. Das Leben in der Bratwa sah so aus, dass die Männer den Ton angaben und ihre Frauen pflichtbewusst ihren Spuren folgten. Es war die Essenz des Mafialebens, und sie leistete einem gute Dienste, wenn man auf Nummer sicher ging.

Sentimentale Gefühle und Fantasien von »wahrer Liebe« spielten in diesem Leben keine Rolle. Es war eine Unterweltgesellschaft, basierend auf Respekt und der ultimativen Hingabe an die »Familie«.

Alik musterte mich, und in seinen hellen Augen blitzte erneut Verlangen auf. Er strich über sein hartes Glied unter dem roten Versace-Handtuch, das er sich um die Taille geschlungen hatte. Langsam schüttelte er den Kopf, während seine Gedanken offensichtlich mit seiner Begierde rangen.

»Ich muss duschen, Myschka. Muss in zehn Minuten weg. Serge kommt, um dich nach Hause zu fahren. Kann nicht noch einmal tief in dich eintauchen, auch wenn ich wollte.« Dann wurde sein Blick weicher. »Und du weißt, dass ich dich will, nicht wahr? Ich kann nie genug von dir bekommen, Baby.«

Ich runzelte die Stirn und fragte sanft: »Dann gehen wir nicht gemeinsam Abendessen? Wir haben eine Verabredung, weißt du noch?« Ich versuchte, mich enttäuscht zu geben. Doch ich empfand nur Erleichterung. Erleichterung, dass ich ihn dann nicht irgendwie in der Öffentlichkeit wütend machte wegen irgendetwas, das ganz willkürlich seinen Unmut erregte, was ihm dann eine Rechtfertigung gab, mich zur Strafe besonders hart zu nehmen.

Alik kam zu mir, und seine kräftigen, narbenbedeckten Bauchmuskeln spielten bei jeder Bewegung. Dann packte er mich am Kinn und hob meinen Kopf, sodass ich ihn ansehen musste.

»Ich habe zu tun, Myschka.«

»Wo denn? Und wie lange?«, fragte ich, und wünschte mir augenblicklich, ich hätte nicht gefragt, als Aliks Miene sich versteinerte.

Sein Griff an meinem Kinn wurde stärker, um sicherzustellen, dass ich begriff, dass ich meine Grenzen überschritten hatte. Mein Kiefer schmerzte, und der dumpfe Druckschmerz ließ mich zusammenzucken.

Alik schüttelte langsam und spöttisch den Kopf und sagte dann: »Geschäft ist Geschäft. Es dauert so lange, wie es dauert. Und es passiert, wo es passiert.«

Ich senkte ergeben den Blick und versuchte, verständnisvoll zu nicken, aber Alik hielt mich weiter in unnachgiebigem Griff. Er seufzte tief auf. Und plötzlich lag sein Mund auf meinem, und seine Zähne bissen in meine Lippe, sodass ich aufwimmerte. Eine Sekunde später löste er sich wieder von mir.

»Fuck! Ich kann dir nie lange böse sein, Myschka. Du bist so verdammt schön.«

Vorsichtig hob ich eine zitternde Hand, um Alik über die stoppelige Wange zu streichen. »Ich liebe dich, Alik«, flüsterte ich, und Tränen stiegen mir in die Augen. Er war alles, was ich hatte. Er war meine einzige Zukunft. Und auf gewisse Weise liebte ich ihn wirklich … er brauchte mich. Und ich wollte zu jemandem gehören. Ich wollte geliebt werden.

Aliks Blick wurde milder, doch nur ein klein wenig. Er konnte keinerlei Schwäche zeigen. Aber ich wusste, dass er es liebte, diese drei Wörter aus meinem Mund zu hören. Sie beruhigten das Monster in ihm.

Dann drückte er noch einen schmerzhaft festen Kuss auf meine Lippen, stand auf und ging ins Badezimmer.

Mit klopfendem Herzen kämpfte ich die Nervosität nieder und fragte: »Kann ich heute Abend Vater Kruschew bei seiner Wohltätigkeitsarbeit helfen? Er verteilt Essenspäckchen an Obdachlose.«

Alik blieb stehen. Er drehte sich um, sah mich mit einem gönnerhaften Schmunzeln an und witzelte: »Dann mal los, meine gute kleine Myschka. Geh und diene dem Herrn! Geh und rette den Abschaum auf den Straßen.« Mit herablassendem Lachen ging er ins Badezimmer, aber ich ignorierte die Demütigung und die kurz angebundene Entlassung. Ich horchte nur auf meinen Atem … normal.

Die Kirche war der eine Ort, an dem mein Vater und mein Verlobter nicht ihre Männer hinter mir herschickten, um mir nachzuspionieren. Niemand würde es wagen, sich in ihrer geheiligten Kirche mit der Bratwa anzulegen. Es war der einzige Ort, an dem ich mich wahrhaft frei fühlte. Der einzige Ort, an dem ich mit meinen Gedanken in der Vergangenheit leben konnte, mit den Erinnerungen, die mir so lieb und teuer waren.

Ich stand von dem riesigen Bett auf und betrachtete mein Bild in dem vergoldeten, verzierten Spiegel. Das Mädchen, das ich einst gewesen war, erkannte ich darin kaum wieder. Es war über die Jahre irgendwie abhandengekommen, hatte sich verborgen, war um sein Leben gerannt. Tote blaue Augen, die sonst gebräunte Haut blass und das lange hellbraune Haar schlaff.

Ich war nur noch ein Schatten der Frau, die ich einst gewesen war.

An meinem Hals bildeten sich bereits kleine Blutergüsse. Also würde ich die nächsten Tage wieder Rollkragenpullis tragen, und das im Sommer. Seit meinen Teenagerjahren waren Rollkragenpullis Standardausrüstung in meinem Kleiderschrank – eine Notwendigkeit, nachdem ich Aliks »Eigentum« geworden war und nur zu schnell seine brutalen Sexpraktiken und seine hohen Erwartungen an mich als seine Freundin kennengelernt hatte.

Rasch zog ich mich an und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, damit ich vorzeigbar aussah. Alik mochte es nicht, wenn ich nicht perfekt aussah.

Dann ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich dort in den antiken Sessel, ein Erbstück von Aliks Urgroßmutter, das noch aus der Oktoberrevolution stammte. Dort wartete ich pflichtgemäß, um mich zu verabschieden.

Ich betrachtete die üppige Möblierung des Zimmers, die größtenteils aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert stammte. Der Raum strahlte Status und Wohlstand aus. Mein Magen krampfte sich furchtsam zusammen. In weniger als zwölf Monaten würde das hier mein Zuhause. Ich würde die Königin dieses Penthouse werden, gefangen in einer Zelle voll zaristischem Luxus. Die Regeln der Bratwa bestimmten, dass ich nicht mit Alik zusammenleben konnte, bevor wir verheiratet waren. Auf direkten Befehl meines zutiefst traditionellen und gläubigen russisch-orthodoxen Vaters. Eine Tatsache, für die ich dem Allmächtigen jeden einzelnen Tag dankte.

Mein Vater billigte die Heirat. Sie passte zu unserem Lebensstil. Er sah die finstere Seite von Alik nicht, und falls doch, ignorierte er sie. Er sah nur den starken und unerbittlichen Mann, zu dem Aliks Vater seinen Sohn geformt hatte. Für meinen Vater war die harte und brutale Seite Aliks nur ein Beweis, dass er ein perfekter Soldat der Bratwa war, der perfekte Mann, um die Zügel zu übernehmen und ein gutes Oberhaupt für seine Tochter zu sein. Meine Mutter war gestorben, als ich fünfzehn Jahre alt war. Mein Vater war am Boden zerstört gewesen, und Alik wurde zu meiner Stütze, zu dem Jungen, der sich um mich kümmerte, als alles andere zur Hölle gegangen war. Vater liebte ihn dafür.

Ich klammerte mich an den Gedanken, dass mir noch ein Jahr blieb, bis wir verheiratet waren, was mir flüchtige Momente der Freiheit gewährte, bevor ich, wie vorgesehen, in die Rolle der perfekten Bratwa-Ehefrau des einzigen verbleibenden Erben der Bratwa schlüpfte. Bald würde Alik die gesamte russische Unterwelt kontrollieren, eine Position, nach der er dürstete, und etwas, worauf er sein ganzes Leben lang vorbereitet worden war.

Ich hörte, wie die Dusche ausging, und es dauerte keine Minute, bis Alik meinen Namen rief und durch die Flügeltüren des Wohnzimmers gestürmt kam, um nach mir zu suchen.

Sein angespannter Gesichtsausdruck löste sich wieder, als er mich da sitzen sah, brav wartend im Sessel seiner Großmutter. Er neigte den Kopf zur Seite und machte schmale Augen.

»Einen Moment lang dachte ich schon, du wärst gegangen, bevor ich dir die Erlaubnis erteilt habe. Einen Moment lang dachte ich, du hättest dich mir widersetzt, Myschka … Einen Moment lang dachte ich, du hättest den verdammten Verstand verloren.«

Ich stand auf und knipste ein Lächeln an, ging zu ihm und fuhr mit dem Finger langsam seinen Oberkörper hinab.

»Niemals, Baby«, schnurrte ich, um ihn zu besänftigen. »Ich würde mich dir nie widersetzen. Das habe ich nie und werde ich nie.«

Alik legte den Arm um meine Taille und zog mich an seine feuchte Brust, so fest, dass mir die Luft wegblieb. Mit der Hand an meinem Hinterkopf hielt er mich fest.

»Du wirst die perfekte Ehefrau sein, Kisa. Ich warte schon viel zu lange darauf, dass du in meinem Bett liegst und neben mir schläfst. Ich hasse es, dass ich dich jede Nacht zu deinem Vater zurückschicken muss. Ich will dich vögeln, stundenlang, dich ans Bett binden und zum Schreien bringen, dich jeden einzelnen meiner Befehle befolgen sehen … dich ficken, bis du nicht mehr laufen kannst. Ich will dich vollkommen besitzen, über dich verfügen, dich aus dem Griff des Pakhans lösen und völlig unter meiner Kontrolle haben … und das schon viel zu verdammt lange.«

»Bald, Baby«, beschwichtigte ich ihn.

Alik lockerte seinen Griff in meinem Haar, und seine harten blauen Augen verloren für einen kurzen Augenblick ihren Zorn.

»Ja«, antwortete er, gab mir einen harten Klaps auf den Po und drückte mir einen schmerzhaften, besitzergreifenden Kuss auf die geschwollenen Lippen. Dann ließ er mich abrupt wieder los, ging zurück ins Schlafzimmer und rief dabei über die Schulter: »Serge ist unten. Er fährt dich zur Kirche.« Ich entspannte mich, doch dann versteifte ich mich wieder, als er befahl: »Aber erst, wenn du dich umgezogen hast. Wage es nicht, so aus dem Haus zu gehen. Denn sonst verliere ich verdammt noch mal den Verstand!«

»In Ordnung. Ich liebe dich, Baby. Immer«, platzte ich heraus. Das ließ Alik wie angewurzelt stehen bleiben.

Er drehte sich um, hob das Kinn, und das kurze Aufflackern eines Schmunzelns umspielte seine Oberlippe, als er sagte: »Myschka, ich liebe dich auch.«

Erleichtert ließ ich bei diesem Zeichen von Zuneigung die Schultern sinken und beruhigte mich. Es waren diese liebevollen Augenblicke, in denen ich einen flüchtigen Blick auf die noch in Alik vorhandene Menschlichkeit erhaschte. Das waren die Augenblicke, die ich liebte. Schon als wir Kinder waren, war Alik überspannt gewesen, immer zornig und immer darauf aus, anderen Schmerz zuzufügen; er fügte ständig anderen Kindern Schmerz zu. Sein Vater hatte ihn dazu erzogen. Ich verstand das; es war die Art, wie Männer der Bratwa erzogen werden mussten. Aber Jahre des Kämpfens und des Tötens im Dungeon hatten ihn so sehr verhärtet, dass die freundlichere Seite seiner Persönlichkeit immer mehr in den Hintergrund trat und die Finsternis in ihm langsam aber sicher jedes noch vorhandene Licht auslöschte. In diesem Leben in der Bratwa und bei Aliks »Beruf« war es notwendig, dass er so war. Trotzdem wünschte ich mir, seine weichere Seite würde etwas mehr zum Vorschein kommen.

Es war dumm von mir und anderen gegenüber unmöglich zu erklären. Aber auf meine eigene Weise liebte ich Alik, so weit mein zerrissenes Herz es zuließ. Ich wollte, dass er Frieden fand. Er war so gepeinigt … so finster im Inneren, dass ich einfach meinen Beitrag dazu leisten wollte, das zu lindern.

Verloren in Aliks leichtem, schönem Lächeln schwang mein Herz sich empor und schwebte auf einer Wolke liebevoller Hoffnung, dass ich etwas Gutes in ihm sehen würde, dass ich endlich zu ihm durchgedrungen war. Doch schnell löste mein Tagtraum sich wieder auf, als dieser kurze Augenblick der Freundlichkeit, wie immer, von Härte verdrängt wurde.

Aliks wahnhaftes Verlangen, mich zu besitzen, kam wieder zum Vorschein, als er warnend anfügte: »Falls irgendwer dich heute Abend auch nur ansieht, geschweige denn dich anspricht, dann sagst du es mir. Und benimm dich angemessen. Sprich nicht mit Männern … nur mit Vater Kruschew. Ich will nicht, dass man mein Mädchen für eine Hure halten könnte.«

Ich nickte brav. Seine Augen wurden schmal, als er meinen Körper mit seinem Blick verschlang. »Zieh etwas an, das dich bedeckt, alles von dir. Ich will nicht irgendeinen Scheißkerl umbringen müssen, weil er dir auf die Titten starrt. An solche Dinge musst du denken, Myschka. Wenn du erst meine Frau bist, wird es keine Fehler geben. Ich bringe dich rechtzeitig in Form. Du wirst ein Vorbild für alle Ehefrauen der Bratwa sein.«

»Okay, Baby«, flüsterte ich beklommen.

Alik fuhr sich mit den Zähnen über die Unterlippe, sein Blick war starr und sein Glied unter dem Handtuch wurde steif.

»Geh, Kisa, bevor ich dich an die Wand gedrückt nehme und dein Vater noch wütender auf mich wird, weil ich zu spät komme.«

Mit dieser Entlassung drehte ich mich auf dem Absatz um und floh die Treppe hinab in den wartenden schwarzen Lincoln Navigator. Serge, der Fahrer und Bewährtester der Byki, der Leibwächter meines Vaters, sah mich durch den Rückspiegel an und fragte höflich: »Wohin, Miss Wolkowa?«

Ich liebte Serge. Er war wie ein Onkel für mich. Mein ganzes Leben lang hatte er mich überallhin gefahren und mich beschützt. Er hatte nie geheiratet, noch hatte er Kinder. Ich denke, irgendwie betrachtete er mich als seine Tochter. Ich konnte ihm alles sagen, und er würde es nie einer Menschenseele weitererzählen. Inzwischen war er ein alter Mann, schon in den Siebzigern, aber ich wusste, dass er bis zu seinem Tod bei meinem Vater bleiben würde.

»Nach Hause zum Umziehen, und danach zur Kirche, bitte«, antwortete ich.

Serge sah mich einen kurzen Augenblick zu lange im Rückspiegel an. Ich konnte sehen, dass er besorgt war. Natürlich würde er nicht wagen, es laut auszusprechen, aber ich wusste, dass er Alik nicht mochte, und dass er sich Sorgen machte über meine Pflicht, mein Schicksal, Aliks Frau zu werden. Seine stille Angst um mich schien mit jedem Tag größer zu werden.

Doch dann verbarg Serge seine Besorgnis und reihte sich in den gewohnt lebhaften Verkehr von Brooklyn ein. Ich sah zu, wie die hellen Lichter durch die verdunkelte Scheibe hereinfielen.

Zumindest heute Abend, in der Kirche, würde ich ein paar Stunden hochbegehrter Freiheit kosten können.

KAPITEL ZWEI

Kisa

»Kisa, du verteilst heute Abend die Essenspäckchen auf der Straße, okay?«

Ich lächelte Vater Kruschew begeistert an, doch innerlich drehte sich mir der Magen um. Ich hasste es, die Essenspäckchen auf der Straße zu verteilen; mir war es lieber, sie in der Sicherheit des Lieferwagens auszugeben. Draußen war es zu feucht. Ich hasste es, durch die dunklen Gassen und schmalen Straßen von Brooklyn zu gehen – sie waren von Obdachlosen bevölkert, und nicht alle von ihnen hatten gute Absichten.

Der Lieferwagen hielt an, und ich stellte mich neben Pawel, einen langsam ergrauenden, kleinen, korpulenten Mann von unserer Kirche.

»Sieht so aus, als würden wir heute Abend zusammenarbeiten, Paw.«

Pawels blasses, runzeliges Gesicht lächelte mich warmherzig an. »Der Herr wird dir seine Dankbarkeit zeigen, Kisa. Schließlich tust du Sein Werk. Du tust etwas Gutes. Etwas Ehrenvolles. Es ist gut für dich.«

Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen und ihm zu sagen, mein Leben wäre so im Eimer, dass ich nicht daran glaubte, dem Herrn wichtig zu sein. Stattdessen nickte ich in gespielter Zustimmung. Pawel hatte Gutes und Ehrenhaftes betont, wegen meines Vaters. Die Worte »gut« und Kirill »The Silencer« Wolkow wurden normalerweise nicht in einem Atemzug genannt. Pawel war schon eine sehr lange Zeit hier, und er war viele Male Zeuge der Zerstörung geworden, die der Pakhan und die Bratwa über ihre Feinde gebracht hatten.

Doch so sehr die Menschen meinen Vater fürchteten, so sehr liebte ich ihn. Ich wollte immer das Beste für ihn. Ich achtete darauf, die Kirche zu besuchen und Almosen zu geben, denn: a) mein Papa befahl es mir, um Vater Kruschew zu beschwichtigen – mein Papa war in ständiger Sorge wegen der Brutalität unseres Familiengeschäftes und dessen Auswirkung auf unsere Seelen. Und b) falls es wirklich einen Gott gab, dann musste ich einige gute Taten im Namen meiner Familie ansammeln, damit ich dann an unserem jeweiligen Tag des Jüngsten Gerichts damit feilschen konnte. Meiner Rechnung nach stand es im Augenblick so, dass unsere Waagschale sich schwer auf die Seite des Bösen neigte, wir alle absolut verdammt waren und uns ein langer Aufenthalt in den Flammen der Hölle bevorstand.

Nennt mich einen Optimisten, aber ich hoffte, dass diese kleinen wöchentlichen Akte der Nächstenliebe uns alle einen Schritt von der völligen Verdammnis und dem Etikett »böse Sünder« in alle Ewigkeit entfernten. Außerdem gefiel es mir wirklich, den Bedürftigen zu helfen. Es verschaffte mir nicht nur eine Pause von der Rund-um-die-Uhr-Überwachung durch die Gorillas meines Vaters oder Aliks immer wachsamem Blick. Es diente mir auch als Erinnerung, dass ich, wenn auch gefangen in einem Leben, das ich nicht wollte, immer genug zu essen hatte, in den besten Häusern lebte, die besten Kleider trug … In diesem Leben materieller Bedürfnisse war ich gesegnet, und ich fühlte mich gut, wenn ich helfen konnte, das Leben anderer Menschen zu verbessern.

»Okay, wir können anfangen«, rief Vater Kruschew.

Wir Freiwilligen lösten die Sicherheitsgurte der Autositze. Seufzend zog ich den Reißverschluss meiner Jacke über meinem schlecht sitzenden, unförmigen dünnen Rollkragenpulli und den locker sitzenden Jeans zu.

Ich stand auf und ging zu der kleinen Kochnische hinten im Lieferwagen. Vater Kruschew händigte mir die erste Ladung Essenspäckchen aus und lächelte mir dankbar zu.

»Bleib heute Abend bei deiner Gruppe, Kisa. Bei dieser Art Hitze in der Stadt kommen gefährliche Menschen zum Vorschein.«

Ich schenkte ihm ein verstehendes Lächeln, drehte mich um und stieg aus dem Truck in eine weitere glühend heiße Sommernacht.

Der erste Truck war bereits angekommen, und meine beste Freundin, Talia, kam auf mich zu. Sie war die einzige Tochter von Iwan Tolstoj – dem dritten Oberhaupt der Bratwa. Ich musterte sie, als sie auf mich zukam, hochgewachsen, mit blondem Haar und strahlend braunen Augen. Ihre Zehn-Zentimeter-Absätze entlockten mir ein Lächeln. Selbst wenn sie Aufschnittwurst und Decken an Obdachlose verteilte, hielt sie das nicht davon ab, kniehohe Lederstiefel von Gucci zu tragen.

»Kisa! Ich dachte, du bleibst heute Abend weg, um mit Alik auszugehen? Oder hat er dich für eine Weile von der kurzen Leine gelassen?«

Ich quittierte Talias bissige Bemerkung mit einem Schulterzucken und versuchte, locker zu wirken. »Er hat Geschäfte mit unseren Vätern zu erledigen, also habe ich beschlossen, heute Abend herzukommen. Vater Kruschew hat mich am Sonntag in der Kirche gefragt, ob ich helfen könne.« Ich zeigte ihr die Essenspäckchen in meinen Händen. »Und hier bin ich.«

Talias Blick wurde weicher, und sie umarmte mich vorsichtig, um die Essenspäckchen und Decken in meinen Armen nicht zu zerquetschen. Ich zuckte zusammen, als ihre Schulter auf den großen Bluterguss an meinem Arm drückte. Er stammte von letzter Woche, als ich bei einer geschäftlichen Veranstaltung Aliks Missfallen erregt hatte. Ich hatte »zu lange« mit einem männlichen Geschäftspartner seines Vaters geplaudert, und er hatte mir sein »Missfallen« mit schraubstockartigem Griff und groben, in mein Ohr geflüsterten Worten kundgetan. Doch ich unterdrückte eine Reaktion und akzeptierte den Schmerz. Ich würde Alik niemals herausfordern; mein Leben war den Kampf nicht wert.

Talia ließ mich wieder los, musterte mich dann skeptisch und fragte: »Alles okay bei dir, Kisa? Du wirkst immer ein wenig distanziert, wenn wir über Alik reden. Angst vor der Hochzeit? Oder ist da noch mehr?« Ihre braunen Augen musterten prüfend mein Outfit. »Und was in aller Welt hast du da an? Es ist heiß wie in einem Backofen, und du bist angezogen wie im tiefsten Winter!«

Ich knipste mein Lächeln an und drückte mir die Hand auf die Stirn. »Mir ist kalt, also habe ich mich eingemummelt. Ich habe das Gefühl, ich könnte eine Erkältung bekommen oder so. Außerdem ist Wohltätigkeitsarbeit keine Modenschau, Talia. Und es geht mir gut, ich bin nur etwas traurig, weil ich den Abend nicht mit Alik verbringen kann. Stattdessen bin ich wieder hier.« Ich verdrehte die Augen. »Für die Sünden meiner Familie …«

Talia wandte nicht eine Sekunde den Blick von mir, aber letztendlich ließ sie es dabei bewenden und hakte sich bei mir unter. »Für all die Sünden unserer Familien! Also, lass uns das hier erledigen, damit wir dann in eine Bar gehen und uns betrinken können! Vater Kruschew hat mich einem anderen Team zugeteilt. Er weiß, dass wir zu viel reden und unsere Pflichten vernachlässigen, wenn wir zusammen sind. Also, mach schnell, und dann treffen wir uns wieder hier. Ich brauche etwas Alkoholisches!«

»Wir werden sehen«, meinte ich und wusste schon, dass ich später mit Ausreden kommen würde, um mich Talias Einladung zu entziehen. Alik würde durchdrehen bei dem Gedanken, dass ich durch die Bars zog. Er würde denken, ich würde Männer aufreißen. Und dann noch ausgerechnet mit Talia. Alik hasste sie, er hielt sie für eine Schlampe, wobei sie tatsächlich nur ein normales Leben führte. Und außerdem hasste er, was ihr Bruder für mich bedeutet hatte und dass sie die Erinnerung an ihn lebendig hielt. Das Letzte, was mein Vater und die Bratwa brauchten, war, dass Alik durchdrehte und irgendwen umbrachte. Wenn Aliks Wut erst einmal Fahrt aufgenommen hatte, war das Toben des Killers in ihm nicht mehr aufzuhalten. Mein Vater verfügte bald über keine Gefälligkeiten mehr, die er noch in New Yorks Justizsystem einfordern konnte, um Alik vor dem Gefängnis zu bewahren.

Pawel winkte mich zu sich, und ich gab Talia einen Kuss und ging rasch zu der Gruppe Freiwilliger und begann mit meinen Bemühungen, ein paar verlorene Seelen zu retten.

»Gott segne Sie, Kind … Gott segne Sie … Sie kümmern sich immer so um mich.«

Ich schenkte dem alten Mann ein Lächeln, als er sich in sein Päckchen vertiefte und sofort das Schinkensandwich vertilgte, das sich fest in Frischhaltefolie eingewickelt darin befand. Er lebte schon seit Jahren hier an dieser Stelle. Nun ja, korrigierte ich mich, zumindest seit den drei Jahren, die ich mittlerweile in der Kirche aushalf. Paw sagte, dieser alte Mann lebe wahrscheinlich schon seit mindestens drei Jahrzehnten auf diesen Straßen. Er verbarg sich immer hier in dieser engen Gasse, wie eine verschreckte Maus, die zu viel Angst hat, um ihr Mauseloch zu verlassen. Ich hatte mich entgegen der Anweisung von meiner Gruppe davongeschlichen, aber ich konnte ihn nicht ohne sein Essenspäckchen lassen. Etwas an dem alten Mann trieb mich an, ihn zu retten. Er sah immer so … gebrochen aus, so traurig.

Ich konnte es nachempfinden.

»Kisa? Kisa, wo bist du?« Eine Stimme in der Ferne weckte meine Aufmerksamkeit. Ich erkannte sie sofort als die von Pawel.

Mit einem prüfenden Blick auf den alten Mann vergewisserte ich mich, dass es ihm gut ging, und lächelte, als ich sah, dass er in warme Decken gewickelt und unter einer Menge Schachteln vor den Blicken anderer verborgen war.

»Kisa?« Ich verdrehte die Augen und stöhnte, als Talias verzweifelte Stimme in Pawels Rufen mit einstimmte.

Na wunderbar.

Ich warf einen Blick auf die wachsende Ansammlung von Freiwilligen am Ende der langen Gasse und lief auf sie zu, als plötzlich ein verwahrloster bärtiger Mann wie ein Geist aus der Dunkelheit auftauchte, mir mit voller Absicht ein Bein stellte und mich so auf dem kalten, nassen Boden zu Fall brachte.

Ich hatte nicht einmal Zeit zu schreien, als ich auch schon auf dem Boden aufprallte und mir die Handflächen an dem rauen Asphalt aufschürfte. Plötzlich spürte ich das ganze Körpergewicht meines Angreifers auf meinem Rücken, und er versuchte, mir die Handtasche zu entreißen. Er stank nach Alkohol und altem Körpergeruch, und ich unterdrückte den Drang, mich zu übergeben. Ich erkannte ihn nicht als einen der Obdachlosen, die sich regelmäßig in dieser Gasse aufhielten. Und er hatte absolut keine Ahnung, wessen Tochter er da gerade überfiel!

»Nein! Runter von mir! Hilfe!«, wollte ich schreien, doch durch das Gewicht des Mannes auf meinem Rücken bekam ich nicht genug Luft, um mich laut in der leeren Gasse bemerkbar zu machen. Die Freiwilligen konnten mich hier nicht sehen, sie hatten den Angriff nicht mitbekommen, die Entfernung und die Dunkelheit hinderten sie daran, auf den Vorfall aufmerksam zu werden.

Mein Angreifer riss weiter an meinem Arm, und ich sah schwarze Punkte. Ich wollte den Arm unter meinem Körper hervorziehen und die Tasche loslassen, aber er steckte fest.

Und dann erstarrte ich, als ich spürte, wie eine scharfe Klinge seitwärts an meinem Hals entlangfuhr.

»Gib mir die Tasche, du Schlampe, oder ich schlitze dir die verdammte Kehle auf«, befahl die halblaute Stimme, aber ich konnte meinen Arm nicht freibekommen. Angst fuhr mir bis in die Knochen.

Die Klinge drückte sich stärker gegen meinen Hals, und ich schloss die Augen und erwartete das Schlimmste. Doch plötzlich hörte ich ein tiefes Aufbrüllen, mein Angreifer wurde von mir weggerissen, und sein ersticktes Protestjaulen verstummte abrupt, als ein knirschendes Geräusch von den hohen Wänden der Gasse widerhallte.

Panisch kroch ich vorwärts, um dem Geräusch zu entfliehen, rappelte mich hastig auf die Knie hoch, drehte mich um, plumpste auf den Po … und hielt augenblicklich die Luft an bei dem Anblick, der sich mir bot.

Mein Angreifer hing wie festgenagelt an die Mauer gedrückt, und ein riesiger Kerl mit Kapuze hämmerte mit geballten Fäusten auf sein Gesicht und seinen Bauch ein. Ich konnte den Blick nicht abwenden. Der Kapuzentyp war gnadenlos, teilte präzise Schlag um Schlag aus, sein Brustkorb hob und senkte sich schwer vor Anstrengung, und seine Füße tänzelten von einer Seite zur anderen, während er das Ventil für seine Aggression genoss. Er genoss den Kampf … Er genoss die Gewalt …

Ich erkannte die Anzeichen, weil ich oft genug zugesehen hatte, wie Alik seine Opfer im Käfig in Stücke gerissen hatte.

Ich kroch zu der Mauer in der Gasse und stützte mich an der feuchten Ziegelwand ab, um auf die wackeligen Füße zu kommen. Dann drehte ich den Kopf zu dem Kapuzentypen um … der mittlerweile die Hände um den Kiefer meines Angreifers gelegt hatte.

Als mir klar wurde, was er zu tun im Begriff war, machte ich einen Satz nach vorn und rief: »Nein!« Doch – ein scharfer Ruck seiner großen Hände, und ein lautes Knacken hallte von den Mauern wider. Der leblose Körper meines Angreifers sackte vor meinen Füßen zu Boden – Genickbruch.

Ich starrte den reglosen Körper an. Für gewöhnlich brachte der Tod mich nicht aus der Fassung. Ich hatte in meinem Leben schon viele Leichen gesehen, mehr als die meisten Bestattungsunternehmer in ihrem gesamten Berufsleben zu sehen bekommen – doch die Leichtigkeit, mit der dieser Fremde tötete, erfüllte mich mit Furcht und Grauen. Es war offensichtlich, dass er schon zuvor getötet hatte; keiner, der das zum ersten Mal tat, tat es so leichthin.

Mein Blick glitt an dem Kapuzenkiller nach oben, der dabei unheimlich reglos blieb. Er betrachtete sein Opfer, die geballten Fäuste seitlich am Körper, und sein muskulöser Brustkorb hob und senkte sich rhythmisch unter dem Sweatshirt, das seinen Oberkörper bedeckte.

Er war nahe. So nahe, dass ich Hitze in Wellen von seinem Körper abstrahlen fühlte. Mein Atem ging schwer, und ich wollte nichts wie weg von hier. Doch ich konnte mich nicht rühren, war gefangen in hypnotischem Rausch, als ich den Mann anstarrte, der bedrohlich vor mir aufragte.

Er trat einen Schritt vorwärts – mein Körper machte sich auf einen Angriff gefasst – und dann noch einen. Mein Rücken prallte gegen die Mauer, als ich voller Furcht zurückwich, und der Fremde machte noch einen letzten Schritt und stand dann so dicht vor mir, dass wir uns beinahe berührten.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die finstere Gestalt an, die so nahe vor mir stand, und atmete ganz langsam. Der Mann bewegte sich kein bisschen, stand nur reglos da, wie eine Statue.

Er war riesig, breit und hochgewachsen. Nur die untere Hälfte seines Gesichts war zu sehen – volle Lippen, kräftiges Kinn mit Bartstoppeln … ein breiter, bloßer Brustkorb mit dämonisch aussehenden Tattoos, die seine wundervoll definierten Brustmuskeln bedeckten.

Er hob leicht den Kopf, und mehr von seinem Gesicht kam zum Vorschein. Mein Herz pochte noch heftiger, als ich darauf wartete, sein Gesicht ganz zu sehen, doch der Stoff seiner Kapuze hing ihm tief ins Gesicht und verbarg seine Augen.

Ich sah, wie der Mann mit den Zähnen über seine Unterlippe fuhr, nahm das bisschen Mut zusammen, das ich aufbringen konnte, und widersetzte mich ganz eindeutig sämtlichen von Aliks Regeln, als ich zaghaft einen Schritt vorwärts trat und herausplatzte: »Du … du hast mich gerettet.«

Meine Hände zitterten, meine Beine und meine Stimme waren ganz schwach, und so gefährlich dieser Mann auch aussah, mit einem Körper, der viel zu angespannt und unnachgiebig war – meine Furcht verschwand. Es schien, während wir uns so direkt gegenüberstanden, als wolle er mich studieren, mir näher sein.

Sein Kinn spannte sich an, und er neigte den Kopf zur Seite, als würde er über meine Worte nachdenken. Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. Seine Aura war animalisch, ungezähmt, und doch irgendwie … nicht. Ich konnte es nicht erklären.

Der warme Wind wehte mir seinen Duft zu. Berauschend, wiesenfrisch, als hätte er Monate im Freien verbracht, wie der Duft des ersten Schneefalls auf das kalte Gras im Central Park. Es schnitt durch den Gestank der schmutzigen Gasse wie ein Messer durch Butter und jagte mir Schauer über den Rücken.

»Hast du … hast du einen Namen?«, fragte ich, und meine Stimme wurde langsam wieder fester.

Die kräftige Gestalt des Fremden richtete sich abrupt auf, als wäre gerade ein Stromschlag durch seinen Körper gejagt. Zum ersten Mal hörte ich seinen schweren Atem in der stillen Gasse. Er keuchte und rang um Luft, als hätte man ihn in den Oberkörper geboxt. Meine Frage schien ihm die Luft genommen zu haben.

Er wich einen Schritt zurück, dann noch einen und noch einen, bis er neben der Leiche des Angreifers stand. Ich trat langsam vor, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, doch er nahm die Kapuze nicht ab.

Sein Kopf blieb gesenkt, er wollte seine Augen nicht zeigen.

Der Fremde bückte sich und drehte die Leiche meines Angreifers mit dem Fuß um. Dann kickte er den Toten in eine dunkle Ecke der Gasse, als würde er eine leere Bierdose entsorgen. Und er wich zurück.

Mir wurde bang ums Herz, und ich streckte die Hand aus, um ihn zum Stehenbleiben zu bewegen. »Nein! Bitte, ich will dir nur dafür danken, dass du mich gerettet hast. Dieser Mann … ich glaube, er hatte vor, mich umzubringen. Du hast mir das Leben gerettet …«

Doch meine Worte blieben ohne Wirkung. Der Fremde entfernte sich immer weiter und ballte wieder die Fäuste. Und dann rannte er in die andere Richtung davon.

»Warte!«, rief ich ihm hinterher, doch ich sah nur noch seine dunkle Gestalt in den Schatten verschwinden.

Plötzlich packte mich eine kalte Hand. Ich kreischte vor Schreck auf und wirbelte herum – und sah Talia, mit bleichem Gesicht und weit aufgerissenen Augen.

»Kisa … was in aller Welt ist gerade passiert?«, flüsterte sie drängend.

Und da setzte der Schock über den gerade abgewehrten Angriff ein, verzögert dadurch, dass ich auf den Fremden fixiert war. Nun jagte er mir durch den ganzen Leib, und Tränen liefen mir über die Wangen.

»Ich … ich wurde angegriffen …«, weinte ich, und Talia nahm mich in die Arme.

»Mist! Wer war der Kerl, der da weggerannt ist?«

»Ich weiß es nicht. Aber er hat mir das Leben gerettet.« Ich löste mich von Talia und sah sie an. »Er hat den Mann g–getötet, um mir das Leben zu retten.«

»Mist!«, zischte Talia wieder. »Ich rufe einen von Vaters Leuten an, um die Leiche zu entsorgen.«

Das ließ meine Tränen augenblicklich versiegen. »Sie dürfen meinem Papa oder Alik nichts sagen. Die beiden drehen durch, wenn sie erfahren, dass ich mich von der Gruppe entfernt habe.«

Talia starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren, aber dann nickte sie widerstrebend. »In Ordnung. Ich kenne jemanden, der Stillschweigen bewahren wird. Ich sage ihm nicht, dass du etwas damit zu tun hattest.«

»Danke.« Ich war erleichtert.

Talia strich mir über das wirre Haar. »Kannst du laufen? Bist du in Ordnung?«

»Nur aufgewühlt«, antwortete ich. »Es geht mir gut, Tal. Ich will nur nicht, dass Papa oder Alik davon erfahren.«

Nur wenige Sekunden später zog Talia mich mit sich die Gasse entlang, weg vom Schauplatz des Geschehens.

Ich warf noch einen letzten Blick in die Richtung, in die mein Retter verschwunden war, und ließ mich von Talia zurück zum Lastwagen führen, ohne noch an den getöteten Mann in der Gasse zu denken.

Vater Kruschew sah mich zurückkommen und schüttelte in stillem Tadel den Kopf.

Die wartenden Freiwilligen waren offensichtlich verärgert über meine Verspätung, also stieg ich ein, ließ mich auf einen leeren Platz am Fenster sinken und drückte die Stirn an die heiße Fensterscheibe.

Talia setzte sich neben mich und hielt mir in stiller Unterstützung die Hand, doch ich starrte weiter aus dem Fenster, während der Truck langsam auf die Straße rollte.

Träge betrachtete ich die Reihen obdachloser Männer und Frauen, die sich in ihren notdürftigen Unterschlüpfen für die Nacht niederkauerten. Ich schauderte, als ich daran dachte, was eben geschehen war und mir der Ernst des Überfalls und der Tötung meines Angreifers langsam bewusst wurde.

Mein Herz war voll Mitgefühl für die Obdachlosen und ihre beklagenswerte Lage. Und dann, aus dem Augenwinkel, sah ich eine große, nein, riesige dunkle Gestalt am Ende der heruntergekommenen Straße sitzen. Eine riesige dunkle Gestalt in grauem Sweatshirt, Kapuze ins Gesicht gezogen, saß da, im Schneidersitz, mit gesenktem Kopf. Eine riesige, dunkle, männliche Gestalt, die ein großes Gefäß aus Glas in der Hand hielt. Ich presste die Hände an die Fensterscheibe, als wir vorbeifuhren. Mein Blick drängte ihn, aufzublicken, damit ich sein Gesicht sehen konnte. Ein Passant ging an ihm vorbei und ließ beiläufig etwas Geld in sein Glas fallen.

Die Erkenntnis ließ mich erstarren.

Der Mann, der mich gerettet hatte … der Mann, der mir eben das Leben gerettet hatte, war … obdachlos?

Der Mann, der kämpfte wie ein Tier, das man aus einem Käfig befreit hatte, ein Killer … bettelte auf der Straße um Geld?

Ich verdankte mein Leben einem mysteriösen obdachlosen Mann auf der Straße.

Einem obdachlosen Mann, der kämpfte wie ein Killer.

KAPITEL DREI

818

Ein Monat zuvor …

Schüsse.

Getöse.

Schreie.

Ein Schuss nach dem anderen und tumultartiges Geschrei drangen hämmernd durch die Steindecke, während ich in meiner kleinen, feuchten Zelle herumtigerte. Über mir eine Stampede, das Donnern von Hunderten von Füßen. Gefangene auf freiem Fuß. Und ich saß in dieser verdammten Zelle fest!

Ich will hier raus. Ich muss hier raus!, schrie es immer wieder in meinem Kopf, als ich mit der Hand über die metallenen Gitterstäbe fuhr, die mich hier drin festhielten.

Ich donnerte mit der rechten Schulter gegen die Metalltür meiner Zelle. Doch die wackelte nicht mal. Ich packte die Gitterstäbe am Fenster fest mit den Händen und überflog suchend den trübe beleuchteten Flur, dessen flackernde Glühbirnen von all dem Getöse oben hin und her schwangen. Diese Ebene des Gefängnisses, des Gulags, wie es unter den Gefangenen genannt wurde, war für uns Champions reserviert, die wertvollsten unter den Todeskämpfern. Für die verdammten Killer, die Mörder, die Monster, die dazu geschaffen worden waren, nichts zu wollen, außer das Gefühl von Wut zu verspüren

und das Verlangen nach Blutvergießen. Wir waren tief in den Eingeweiden dieses Drecklochs gefangen, ohne Chance auf Entkommen. Unsere Zellen waren zu weit entfernt, um je einen anderen Kämpfer zu Gesicht zu bekommen, außer beim Training.

Ich atmete schwerer. Frustriert brüllte ich auf und rüttelte an den Stahlgitterstäben, sodass meine Armgelenke unter dem enormen Druck, dem ich sie aussetzte, knackten. Meine gewölbten, durch Drogen aufgepumpten Muskeln spannten sich unter der Anstrengung. Doch die Gitterstäbe rührten sich nicht, und ich brüllte noch einmal auf.

Die Dosis, die sie mir vor Kurzem verpasst hatten, machte mich unruhig und kampflustig. Ich war für einen Kampf später heute Nacht vorgesehen. Ich spürte Wut, nichts als rasende Wut.

Ich musste töten. Es war der einzige Weg, um der Wut ein Ende zu bereiten.

Der erste Schuss war vor etwa dreißig Minuten gefallen, schätzte ich. Genau wusste ich es nicht; Zeit war ohne Bedeutung im Gulag.

Ich konnte die anderen Kämpfer schreien hören, sie schrien, dass sie frei waren; ich konnte das Kreischen von Zellentüren hören, die aufgerissen wurden, das Schreien von Männern, die starben.

Ich war verdammt rasend.

Ich wollte Blut.

Und ich brauchte einen Kampf!

Das Blut in meinen Adern kochte, feurig, sengend, machte mich bereit für einen Kampf auf Leben und Tod. Um zu tun, was ich am besten konnte: verstümmeln, niedermetzeln … töten.

Mit einem Aufbrüllen ließ ich die Gitterstäbe los und fing wieder an, in der Zelle auf und ab zu gehen. Mein Blick konzentrierte sich, selbst in der Dunkelheit, auf die Wand und den Namen, der dort in den Stein geritzt war. Alik Durow. Darunter eine Adresse. Brooklyn, New York. Und darunter ein Motiv. Rache. Und zuletzt ein klarer Befehl. Töten.

Ich konnte mich nicht erinnern, das dort eingeritzt zu haben, und ich hatte keine Erinnerung an mein Leben vor diesem Ort. Ich wusste nicht, ob ich jemals ein Leben außerhalb dieser Steinmauern gehabt hatte. Mein Gehirn hatte dichtgemacht, blendete alles aus, außer dem Drang zu töten, und löschte jede Erinnerung daran, wer ich war, woher ich kam und wieso ich mich in diesem verdammten Dreckloch befand. Aber eins war sicher. Ich hatte diesen Namen eingeritzt, die Adresse, das Motiv und den Befehl. Als ich auf die gezackten Buchstaben starrte, die auf ewig in dieser Wand eingeritzt waren, durchdrang der Zorn jede Zelle meines Körpers, und ich wusste ohne jeden Zweifel, dass ich tun musste, was diese Inschrift befahl.

Aber zuerst musste ich hier raus.

Das Geräusch der Gangtür, die aufgerissen wurde, hallte von den Wänden. Ich stürmte zu den Gitterstäben, um zu sehen, was zum Teufel da passierte. Mir juckte das Fell vor Verlangen, hier rauszukommen, bei dem Kampf mitzumischen … meine Rache zu bekommen.

Das knirschende Geräusch von Zellentüren, die geöffnet wurden, ließ mein Herz schneller schlagen. Meine Knöchel knackten, so fest hielt ich die Gitterstäbe umklammert.

»Holt mich hier raus, verdammt noch mal!«, knurrte ich, als ich schwere Schritte hörte, die sich meiner Zelle näherten. Ich drückte die Wange fest an das kalte Metall, streckte mich, um zu sehen, wer da kam, und rüttelte mit den Händen an der Zellentür, bis Blut aus der aufreißenden Haut an meinen Fingern sickerte.

»Lauf! Lauf!«, befahl eine Männerstimme einem Gefangenen, und ich hörte einen Mann weglaufen. »Sie sind überwältigt worden. Lauf zum Osttor.«

Sie sind überwältigt worden.