Rechnung ohne Wirt - Hermann Metz - E-Book

Rechnung ohne Wirt E-Book

Hermann Metz

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Beschreibung

Ausländische Beobachter entdecken im balkanischen Kampfgebiet ungewöhnliches Kriegsgerät. Es stellt sich heraus: Neuartige, für die Holzgewinnung konzipierte Maschinen wurden zu Kanonen umgebaut. Der Journalist Hans-Gerd Unstihl soll für das zeitkritische Magazin BRENNPUNKT herausfinden, wer sie geliefert hat. Bei seinen Nachforschungen stellen sich ihm nicht nur unerwartete Schwierigkeiten in den Weg; er gewinnt auch einen Einblick in die Gedankenwelt und in das Arbeiten von Technikern. Die Kanonengeschichte endet völlig anders, als Unstihl sie sich vorgestellt hat.

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Imprint

Rechnung ohne Wirt

Hermann Metz

Published by: epubli GmbH (Verlagsgruppe Holtzbrinck), Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Hermann Metz

ISBN 978-3-8442-4275-1

Markus, Ursula

1

Obwohl ich mit meinen Nachforschungen zunächst nur langsam vorankam, schienen die Tatsachen anfangs auf einer geradlinigen und überschaubaren Spur zu liegen. Bald schon brachte mich aber nicht nur der Tod meines ergiebigsten Zeugen in die größte Verlegenheit; in der misslichen Lage fiel mir auch noch meine Frau in den Rücken.

»Du schreibst über Maschine – du fühlst wie Maschine.« Wie oft schon musste ich mir dieses lieblose Urteil anhören! Auch: So abgebrüht wie ich könnten nur Journalisten sein, schämte sie sich nicht, mir an den Kopf zu werfen, und hatte damit in einem Abwasch die ganze schreibende Zunft in den Schmutz gezogen. »Du fühlst wie Maschine« – langsam ging mir sogar ihr Deutsch auf die Nerven. Ihre Ausbrüche fördern nicht nur zu Tage, was sie von mir hält, nein, sie werfen zugleich ein Licht auf den bedenklichen Zustand unserer Ehe.

Mein Gott, wie wenig weiß doch diese Frau von mir!

Es ist wahr, noch bevor ich halbwegs brauchbare Erkenntnisse gewonnen hatte, überschatteten tragische Vorkommnisse meine Untersuchungen. Darauf hatte sich Eugenia bei ihrer letzten Entgleisung bezogen, aber sie täuschte sich, wenn sie mich verdächtigte, ich sei herzlos darüber hinweggegangen, habe kaltblütig meine Arbeit fortgesetzt und ungerührt an meinem Text weiter geschrieben. Den Vorgängen stand ich einfach machtlos gegenüber, und vieles, was in diesen vierzehn Tagen geschah, war nicht mehr und nicht weniger als Schicksal. Es zeigte mir überdeutlich,wie Unbekanntes, Unberechenbares, Dunkles dann in unser Dasein tritt, wenn wir nicht daran denken, wenn wir es nicht brauchen können und nicht wahrhaben wollen. Ich hatte mich, wenn ich zurückdenke, in eine Geschichte verstrickt, die mich über das Leben mehr lehrte, als irgendetwas anderes zuvor.

Was aber Eugenia anging: War sie überhaupt noch verantwortlich für ihr Verhalten?

Den Anlass für die Rolle, die Markus Occhio in der Affäre spielte, gab die Lieferung von Forstmaschinen an eine Handelsvertretung in Wien. Forstmaschinen sind teuere und trotzdem für die allerfriedlichsten Waldarbeiten gedachte Konstruktionen. In diesem Fall aber war eine größere Anzahl davon an das zerfallende Jugoslawien verkauft worden, wo zu der Zeit niemand daran dachte, Bäume zu fällen oder Ast- und Rindenabfälle zu häckseln. Bei meinen Ermittlungen war ich auch auf den Erfinder der Maschinen gestoßen. Hatte er etwas damit zu tun? Warum wehrte er sich mit Händen und Füßen dagegen, dass sein Name in die Öffentlichkeit gelangte?

Bei meiner Suche nach den Hintergründen des Handels war Occhio derjenige, der mir am schnellsten brauchbare Informationen liefern konnte und sie auch zu liefern bereit war. Er wurde seit mehreren Wochen in einer Rehabilitationsklinik des Kurstädtchens K. behandelt, und seine Krankengeschichte erfuhr ich, bevor ich ihn dort besuchte, von seiner Frau.

Vor Jahren hatte ihn ein Herzinfarkt angefallen, nach dem nichts mehr war wie vorher: Atembeschwerden bei jedem unpässlichen Wetter, besonders bei Wetterumschwüngen, aber auch, wenn er beim Gehen in seinen eiligen Schritt verfiel, oder wenn sein Weg nur geringfügig anstieg. Am meisten aber peinigten ihn die nächtlichen Angstzustände und Albträume. Immer, wenn er dann alleine war, erfasste ihn eine Panik, die seinen ganzen Körper inAufruhr versetzte. Er war froh, in der Klinik andere Patienten, Ärzte und das Pflegepersonal um sich zu haben, denn in ihrer Mitte fühlte er sich weniger gefährdet.

Dieses Mal hatten seine Beschwerden gar nicht mehr aufgehört und er spürte ein gleichbleibendes Stechen in der »Pumpe«. Markus Occhio konnte den Techniker in sich nicht verleugnen; die intensive Beschäftigung mit Fragen der Hydraulik in den letzten Jahren war ihm bis in seine elenden Tage hinein gegenwärtig geblieben. Das brachte mit sich, dass er sein Herz nie mehr Herz sondern »meine Pumpe« nannte. Sie hatte in seiner Vorstellung eine einfache und klare Funktion: Blut ansaugen, Blut weiter drücken. In den Hydrauliksystemen, mit denen er beruflich befasst war, trat allerdings der Defekt, der ihm zu schaffen machte, nicht auf. Er hatte nie von einer Pumpe gehört, die wie sein Herz von Ablagerungen zugesetzt war. War der Schöpfer da vielleicht unaufmerksam gewesen?

Was ihm früher kaum vorkam: Jetzt in der Klinik ertappte er sich immer wieder einmal dabei, mit Gott über sein Schicksal zu hadern. »Mein Lieber«, schimpfte er dann etwa auf einem Spaziergang im Park, »als DU den Menschen erschufst, gab es noch keine hydraulischen Systeme. Aber wenn DU der Allmächtige und Allwissende bist: Hättest DU die technische Entwicklung bei uns hier unten nicht voraussehen müssen? DU hättest einiges von uns abschauen können. Würde einem, der doch über allem steht, eine Perle aus der Krone fallen, wenn er zugäbe, dass unsere irdischen Hydrauliksysteme auch manches für sich haben?«

Es war wirklich so: Als man begann, Drücke und Bewegungen mit Öl zu übertragen, erkannten die Techniker schnell, wie in der zirkulierenden Flüssigkeit an x Stellen Verschmutzungen entstehen können, und auch Markus Occhio wusste es nur zu gut: Damit feinster Abrieb von den sich drehenden und hin und her gehenden Teilen in Pumpen, Zylindern und Ventilen, aberauch Alterungsprodukte des Öls dem Kreislauf nicht gefährlich wurden und kostspielige Ausfälle verursachten, sicherte man jedes System mit einer ausreichenden Zahl Filtern, Sieben und Magnetstäben ab. Wurden diese Schmutzsammler regelmäßig ausgetauscht, dann durfte man sicher sein, dass die Anlage so und so viele Stunden ungestört weiter arbeiten würde.

Seinem Reden zum Heiler allen Schmerzes verlieh Occhio mit theatralischem Fuchteln der Hände und Arme Nachdruck. Krankenschwestern und Pfleger, die ihn im Vorbeigehen oder durch die Fenster beobachteten, lästerten, offensichtlich sei nicht nur sein Herz angeschlagen, sondern nun beginne es auch im Kopf. Seinen unsichtbaren Gesprächspartner stellte sich Occhio vor wie jenen gekrönten Gottvater, den ein begnadeter Künstler des späten Mittelalters für den Hochaltar seiner Heimatkirche geschnitzt hatte. Eigentlich sprach er mit ihm, denn er war wie sein Freund, wie sein eigener Vater. Weil er ihn oft betrachtet und bewundert hatte, war er im Laufe der Jahre vertraut mit ihm geworden. Ihn versuchte Occhio zu Beginn seines Klinikaufenthalts in Streitgespräche zu verwickeln, denn er fühlte sich einsam und hatte deshalb Zeit dafür. Dass sein Gottvater nicht antwortete, erboste ihn anfangs. Doch er sah es ein: Es musste dem Himmel lächerlich erscheinen, wenn ihm ein Herzkranker mit menschlichen Erfindungen kam. Nach zwei Wochen glaubte Occhio, der Allerhöchste antworte ihm gerade dadurch, dass er still blieb, und er begann selbst still zu werden. Seine Gespräche und Fuchteleien wurden weniger, hörten schließlich ganz auf, und zuletzt war er nur noch Hörender. In diesem Zustand fühlte sich Markus Occhio seltsam glücklich und gelöst. Seine Frau wunderte sich, dass er ihr davon erzählte, denn das Thema Gott war in ihrer Ehe gänzlich ausgespart geblieben und so wusste sie nicht recht, wie sie umgehen sollte mit dem ungewohnten Gesprächsstoff.

Wenn er dann aber wieder in seine hydraulische Gedankenweltverfiel, ging Occhio die Kavitation durch den Sinn, jenes Phänomen, das ihnen beim Prototyp der FOM – so bezeichnete man die Forstmaschine firmenintern – schwer zu schaffen gemacht hatte. Auch sie war etwas, was es im menschlichen Herzen nicht gab. Diese hinterlistige Kavitation! Sie ist in der Lage, aus einer Pumpe feinste Metallteilchen herauszuschlagen. Es brauchte nur an einerStelle des durch die Rohre schießenden Öls ein Unterdruck zu entstehen, dann bildeten sich Dampfbläschen, die kurz danach zusammenbrachen, implodierten, und – fast unvorstellbar – wie kleine Meißel auf das Metall eindroschen. Beim Blutpumpen allerdings konnte sich Occhio deren Existenz nicht vorstellen. Hier schien DER, dem nichts verborgen ist, alles richtig dimensioniert zu haben: Das Blut wurde in keiner Ader so schnell, dass ein Unterdruck entstand. Insofern hinkte sein Vergleich zwischen technischen Hydrauliksystemen und dem menschlichen Blutkreislauf, und er bat seinen fernen Gesprächspartner, der ihm nur dadurch antwortete, dass er still blieb, augenzwinkernd um Verständnis für manche Wissenslücken seinerseits. Trotzdem wollte er den Vorwurf deutlich ausgesprochen haben: Herr, es ist doch unter DEINER Würde, den nach Fortschritten lechzenden Menschen so unfaire physikalische Stolperfallen wie die Kavitation in den Weg zu legen.

Es half nichts: Bei ihm, bei Markus Occhio, waren Filter – sah man von den besonderen Funktionen der Leber und der Niere ab – nicht vorgesehen, und so lag er, er wusste schon nicht mehr, zum wievielten Mal, in der Klinik zur Beobachtung und hoffte, dieÄrzte würden ihn bald wieder einigermaßen hergestellt haben – »eingestellt«, sagten sie, und das Wort gefiel ihm, erfüllte ihn mit Vertrauen. Auch empfand er es als große Erleichterung, als man nach dem zweiten Klinikaufenthalt seinem Rentenantrag stattgegeben hatte. Dass die ewigen Aufregungen und Spannungen im »Geschäft«, wie er seine Arbeitsstelle nannte, ein gerütteltes Maßzu seinem Leiden beigesteuert hatten, davon war er überzeugt. Was er freilich auch nicht bestreiten konnte und was ihm die Ärzte oft genug vorhielten: Mit übermäßigem Rauchen hatte er seine Pumpe durch eigenes Zutun mehr geschädigt als der schlimmste Stress es je vermocht hätte. Dass man ihm gleich auch noch eine seiner großen Freuden verbot, das Waldhornspielen, nahm er nicht so ernst; den ersten Hornisten beschwichtigte er noch in der letzten Probe: »Lass den Doktor reden: In einem viertel Jahr werden wir weiter sehen.«

Occhios Frau war es immer unbegreiflich, wie er sein Herz mit einem Erzeugnis aus kaltem Metall, mit einem Gerät aus Kolben und Lagerbuchsen, aus Dichtringen, Leckölleitungen und Schrauben in Zusammenhang bringen konnte. Sie hatte eher romantische Vorstellungen vom Herzen und von seiner Rolle im Leben der Menschen. Wie den Altvorderen war es für sie gleichbedeutend mit dem Sitz der Seele, auch wenn sie von dieser nicht einmal annähernd hätte sagen können, was und wie sie sei.

Eines Morgens fiel Occhio in der Zeitung eine Notiz auf: Die Staatsanwaltschaft sei einem Handel auf der Spur, wurde berichtet, bei dem zu Kanonen umgebaute Harvester über Österreich ins balkanische Krisengebiet geliefert worden waren. ‚Harvester‘ nannte man solche Maschinen in Fachkreisen, die es geradezu mit Leidenschaft vermieden, Dinge mit ihren deutschen Namen zu bezeichnen. Markus Occhio allerdings gefielen fremde Ausdrücke, weil er mit ihnen stets Geheimnisvolles verband. Er verwendete sie sogar mit Lust, obwohl ihm das Englische ein Buch mit sieben Siegeln war. Als ihn an jenem Nachmittag seine Tochter mit den Enkelkindern besuchte, zeigte er ihr den Zeitungsbericht und sagte: »Ich bin gespannt, wie meine Firma ihren Hals aus dieser Schlinge ziehen wird.« Occhios ehemaliger Arbeitgeber wurde in dem kurzen Artikel allerdings nicht namentlich erwähnt.

Am Tag danach machte ich mich in die Klinik auf, zu der ich eine knappe Stunde von meinem Wohnort aus zu fahren hatte. Als ich im 2. Stock vor Occhios Tür stand, klopfte ich an und betrat auf ein »Herein« das Krankenzimmer.

Mir stand ein kleiner, drahtiger Mann gegenüber, der in einem grünroten Morgenmantel mit etwas zu lang geratenen Ärmeln steckte. Auf der rechten Kopfseite zog sich eine grausig aussehende, blaugrüne Verfärbung von der Stirn über das Auge zum Wangenknochen herab. Interessiert blickten mich durch große Brillengläser hindurch Augen an, die mir trotz des Flecks nicht den Eindruck eines kranken Menschen machten. Man weiß es ja: Die heutigen medizinischen Möglichkeiten können bei todkranken Menschen blühendes Leben vortäuschen. Ich sah den Schulfreund vor mir, den ich ein Jahr zuvor im Krankenhaus besucht hatte und der an Krebs litt. Obwohl er unverklemmt über sein böses Leiden sprach, kam auch er mir nicht vor, als sei er leidend, wenngleich er sehr abgemagert war. Eine Woche nach meinem Besuch las ich in der Zeitung in großen Lettern seinen Namen – in seiner Todesanzeige.

Ich bat Occhio, die Störung zu entschuldigen, und da ich dabei wohl etwas gehüstelt hatte, sagte er als Erstes: »Sie rauchen.«

»Leider ja.«

»Geben Sie’s auf«, belehrte er mich, »sonst sind Sie auch bald hier.«

Seit Jahren sei ich dabei, tröstete ich den so unerwartet um mich Besorgten, mich von dem Laster zu befreien. Ich zog ein Camel-Päckchen aus der Brusttasche, zeigte es ihm, verdrehte hilflos die Augen und steckte es wieder ein. »Unstihl, Hans-Gerd Unstihl – ich komme«, klärte ich ihn auf, »vom BRENNPUNKT«.

Jaja, sagte er, seine Frau habe ihm von einem Zeitungsmenschen erzählt, der darum gebeten habe, ihn besuchen zu dürfen.

Da ich nicht mit der Tür ins Haus fallen wollte, erkundigte ich mich nach seinem Leiden.

»Nicht das blaue Mal hier ist es«, beeilte sich Occhio zu sagen und umkreiste die Verfärbung mit der Hand. Vorgestern sei er gestolpert und gestürzt, vor dem Klinikeingang, so eine Schande, wenigstens zwei Dutzend Menschen hätten es mitangesehen, ein Schwächeanfall, wie aus dem heiteren Himmel. »Nein. Die Pumpe«, sagte er dann seufzend und pochte mit den rund zusammengenommenen Fingerspitzen ein paar Mal auf seine Brust, »die Pumpe, Herzinfarkt. Mit meiner Pumpe ist nicht mehr viel los.« Occhio sprach mit einem auffällig rollenden R. Eine Krankenschwester, die ohne anzuklopfen mit einem Tablett voller Arzneien hereingekommen war, hatte diese letzte Bemerkung Occhios gehört.

»Nehmen Sie’s nicht zu tragisch, Herr Otschio«, sagte sie beschwingt, »wir haben Sie im Griff. Hier ist Nachschub.«

Ich hatte sie sofort erkannt: Ursula! Dass ich schon gleich bei seiner Frau geklärt hatte, wie »Occhio« auszusprechen sei – nämlich wie ‚Ockio‘ – dies gab mir ein Gefühl des Vorsprungs, als ich vernahm, dass Ursula ein ‚Otschio‘ daraus machte. Occhio selbst schien es nicht zu stören, wenigstens korrigierte er sie nicht.

»Solche optimistischen Menschen braucht man in meinem Zustand«, bemerkte er lächelnd, als sie wieder draußen war. »Und gerade sie tut mir gut. Sie ist ja auch eine Augenweide, wie Ihnen nicht entgangen sein wird.«

Ich schluckte trocken: Ursula. Ja, das war sie früher schon gewesen: eine Augenweide. In ihrer Geschäftigkeit war ich wahrscheinlich gar nicht in ihren Blickhorizont geraten, was mir sehr entgegen kam, denn es hätte mir vielleicht nur Unannehmlichkeiten gebracht.

Ich wolle ihn nicht über Gebühr belästigen, sagte ich zu Occhio und kam mir etwas verlegen vor; ich sei beauftragt, im BRENNPUNKT über einen Handel zu berichten, in den ein deutscher Maschinenhersteller verwickelt sei. Bei meinen ersten Recherchen sei mir sein Name genannt worden. Ich hätte erfahren, dass er, Occhio, Einblicke in technische Einzelheiten der Maschinen habe, um die es in der Angelegenheit gehe.

»Nehmen Sie doch Platz,« sagte Occhio und zog einen Hocker unter dem kleinen, in der Ecke stehenden Tisch heraus. Dann blätterte er auf seinem Nachttisch in einem Berg Postkarten, Briefen und Zeitungen, und legte eine ausgeschnittene Zeitungsnotiz vor mich hin: »Meinen Sie das hier?« Ich nickte und dachte daran, dass man von mir verlangte, dem Staatsanwalt zuvorzukommen.

Occhio hatte von meinem ersten Wortschwall offensichtlich einen trockenen Mund bekommen, denn er füllte ein auf dem Nachttisch stehendes Glas zweimal mit Mineralwasser und trank es beide Male in einem Zug leer. Schüchtern fragte er, ob ich mehr wisse als das, was in der Tageszeitung stand. Ich habe mir in solchen Dingen über die Jahre jenen Stil angeeignet, der in unserem Beruf oft genug auf eine Beschwichtigung des Gesprächspartners hinausläuft, und so fuhr ich fort, er werde sich mit seinen Aussagen ganz und gar nicht verdächtig machen, zumal er ja nicht mehr in seiner Firma tätig sei. Sein Name, beruhigte ich ihn, werde, falls er mir Informationen gebe, in dem Bericht natürlich nicht genannt, er werde auf jeden Fall geändert. Was ich benötige, seien verlässliche Fakten, denn der BRENNPUNKT sei, wie er bestimmt wisse, als seriöses Nachrichtenmagazin bekannt, das einen Namen und Leser zu verlieren habe und ich einen Job dazu, falls ich Erfundenes oder gar Unwahres veröffentliche.

»Ich will Sie zu nichts drängen, wäre aber trotzdem für Details dankbar. Ich kann Ihnen ein Honorar anbieten, das sich, wenn Sie nicht zu zimperlich sind, durchaus auf der Ebene von tausend Mark bewegen würde.«

Occhio formte seine dicken, blutleer gewordenen Lippen zu einer kunstvollen Rundung und entließ einen erstaunten Pfiff.

»Dafür müsste ich Näheres über gewisse Eigenschaften der Forstmaschine der Firma Moll erfahren, aber auch, was Sie über den Weg wissen, den die Maschinen ins Ausland genommen haben.«

Occhios Pumpe hatte, wie er mir am Tag darauf verriet, unter diesem unerwarteten Überfall zu schlagen begonnen, als hätte er ihr »einen Marsch auf die Zugspitze« zugemutet.

Ich spürte, wie es in Occhio arbeitete. Er nestelte an den Bügeln seiner Brille herum und sagte dann mit unsicherer Stimme: »Das kommt mir zu schnell – ich muss mir Ihr Ansinnen durch den Kopf gehen lassen.« Ich möge mich doch morgen Nachmittag – er zog einen auf dem Tisch liegenden Terminplan zu sich her, um sich zu vergewissern – ja, morgen Nachmittag, das gehe in Ordnung, möge ich mich nochmals vorbei bemühen. Es sei ihm aber lieber, setzte er hinzu, wenn ich nicht ins Krankenzimmer, sondern in die Cafeteria im vierten Stock käme, gegen vierzehn Uhr dreißig.

Occhio fand keinen Schlaf in der folgenden Nacht. Bei der Visite kommentierte der Oberarzt die Vormittagsmessungen mit: »Mein lieber Herr Occhio, mit so schlechten Werten sind Sie uns noch nie gekommen, seit wir Sie in unserer Obhut haben. Ich verstehe das nicht recht! Konstatierten wir bis jetzt nicht eine durchgängige Besserung?« Er heftete seinen Blick auf die neben ihm stehende Oberschwester. Doch, so sei es, bestätigte die Schwester und fuchtelte mit dem Krankenblatt in der Luft herum.

»Das hängt bestimmt mit meiner schlaflosen Nacht zusammen«, versuchte Markus Occhio zu erklären.

»Sollten die Werte morgen nicht besser sein, müssen wir etwas unternehmen.« Der Oberarzt lächelte freundlich wie immer und klopfte nach dieser Occhio recht nebulös erscheinendenAuskunft seinem Patienten kumpelhaft auf die Schulter, bevor er mit seinem Anhang aus dem Zimmer segelte.

Markus Occhio setzte sich an seinen Tisch und schaute auf eine Zeitung, ohne zu lesen. Wieder dachte er: Tausend Mark! Hört sich nicht schlecht an für die Beschreibung einer Angelegenheit, die genügend anderen in der Firma auch bekannt war. Er beschloss in diesem Moment, dafür einiges preiszugeben. Alles würde er diesem Journalisten nicht sagen, denn es gab Erlebnisse, wie beispielsweise jenes Treffen in Hannover, über die nie etwas nach außen dringen durfte. Sogar Mallör hatte er die Party unterschlagen. Wenn er Unstihl richtig verstanden hatte, war der in erster Linie an technischen Details interessiert. Über den Transport der Harvester nach Österreich gab es nichts Spektakuläres zu berichten. Bevor er Unstihl gegenüber den Mund auftat, würde er jedoch eine Unterschrift verlangen, mit der er den Journalisten verpflichtete, seinen Namen geheim zu halten. Und das Honorar würde er unverzüglich dem Altenstift überweisen.

Occhios Gedanken blieben in Hannover hängen, an diesem seltsamen Abend in Hannover.

2

Am Sonntag ging die Ausstellung zu Ende. Am Freitagabend davor tafelten zwölf Personen in dem am Rande der Stadt liegenden Anwesen von Wieland Dietrich, Kunstprofessor und Vorsitzender des Ausschusses »Gutes Design« der deutschen Wirtschaft. Eingefädelt hatte das Treffen C-Moll – so wurde Carsten Moll von allen genannt. Schon bei der Verleihung des Preises an Mallör hatte Moll Occhio informiert, gegen Ende der Messe sei ein Kontaktförderungstreffen geplant; er solle »gut aufpassen« und später ein Protokoll über die wichtigsten Aussagen anfertigen,während des Treffens jedoch möge er keine Aufschriebe machen. Er hielt ihn an, niemals mit irgendjemandem, auch nicht in der Firma, über die Veranstaltung zu reden.

Auch mit Mallör nicht? Das würde C-Moll dann wohl selbst übernehmen. Mallör war bereits Donnerstag früh auf eigenen Wunsch zurückgereist, um bei der Bearbeitung des neuen Auftrags keine Zeit zu verlieren.

Vor dem Treffen bei Wieland hatte der größere Teil der Teilnehmer zusammen das Theater besucht. Occhio fand es schon fast makaber, dass man vor das Ganze die Aufführung des »Freischütz‘« gesetzt hatte. Wenn doch, wie in dieser Oper, der Teufel bei den Jugoslawien-FOM auch nur jede siebte Kugel abschösse! Am Ende des Abends war Occhio vielmehr, als habe der Satan den FOM-Handel ganz und gar an sich gerissen. Und doch hatte er sich der Theateratmosphäre, der eingängigen, einschmeichelnden romantischen Musik, entspannt hingegeben. Es tat ihm gut, einmal in eine ganz andere Welt einzutauchen als die, die er dauernd erlebte: Maschinen, Hydraulik, Arbeitsdruck, Reklamationen, Ärger mit den Mitarbeitern, die Besserwisserei, das Misstrauen des Chefs. In der Dunkelheit des Opernsaals dachte er mit Bedauern daran, wie wenig Platz er Kulturgenüssen in seiner Freizeit einräumte. Dies wollte er bald ändern.

Vor dem von einem Traiteur servierten opulenten Mahl, das Professor Dietrich genutzt hatte, die Anwesenden noch einmal offiziell einander vorzustellen, begab sich die Gesellschaft über eine breite, geschwungene Treppe hinauf in den riesigen Wohnraum in der 1. Etage. Occhio fielen großformatige Bilder an den Wänden auf, durchweg abstrakte Malerei, mit der er wenig anzufangen wusste. Dagegen imponierte ihm das Ambiente insgesamt, das die Kunstwerke dem Raum verliehen. Was genau ihm behagte, hätte er nicht sagen können. Es waren wohl die Farben, die in ihrer Komposition und Ausgewogenheit angenehm undberuhigend auf ihn wirkten. Auf dem Boden stand eine Vase mit einem gewaltigen Strauß von wenigstens hundert Rosen. Occhio vermutete hinter dieser Pracht Moll als Urheber, der Rosen über alles liebte. Rosen gehörten zu seinem Büro wie der Blick von dort über das Tal auf die Buchenwälder. Auch hier war es genau Molls bevorzugte Art, eine langstielige Sorte mit tiefroten, fast schwarzen Blüten.

Sie nahmen in im U aufgestellten Ledersesseln Platz. So hatten sie alle auch den Rosenstrauß im Blick. In der Runde saßen Professor Dietrich und seine beim Ausschuss »Gutes Design« beschäftigte Assistentin, zu ihrer Rechten Carsten Moll mit Gattin und Chefsekretärin. Schon gleich mit seinem Sessel an sie herangerückt war Milan Brankovic, ein athletischer, gut aussehender Mensch, etwa um die vierzig, den der Professor als serbischen Maschinenhändler und Partner von Dr. Riscisc vorgestellt hatte. Die Sekretärin schien – Occhio beobachtete es mit einigem Neid – die Nähe des Charmeurs zu genießen. Dr. Riscisc, Generalvertreter aus Wien, seine Gattin sowie Holzbaumer, Abteilungsleiter bei Riscisc, folgten. Den Kreis beschlossen Dr. Justus von Woehle, Abgeordneter und Sprecher des Wirtschaftsausschusses im Landtag, Occhio und Holleweg, der Verkaufsleiter von Moll.

Professor Dietrich und die Assistentin reichten Champagner. C-Moll bestimmte, man werde nun auf das Wohl aller und besonders auf den guten Verlauf der Messegeschäfte anstoßen.

Danach erhob sich der Abgeordnete.

Er sei sehr gerne hergekommen, sagte er, da er jedoch am folgenden Morgen mit einer Regierungsdelegation nach Saudi-Arabien fliege, müsse er den round table leider schon bald verlassen. Herr Carsten Moll, der ihm seit ihren gemeinsamen Zeiten auf dem Gymnasium ein teurer Freund sei, habe ihn zu dem meeting eingeladen; auch habe er wegen seines übervollen Terminkalendersihm freundlicherweise erlaubt, als Erster ein kurzes statement an die Versammlung zu richten.

Dr. von Woehle sprach mit fast unangenehm starkem schwäbischem Akzent. Sein Bemühen, hochdeutsch zu reden, verunstaltete seinen Dialekt derart, dass es Occhio schmerzte.

Es sei ja nun kein Geheimnis, sagte er, dass sein Land der Förderung des technischen Fortschritts seit Langem höchste Priorität einräume und Kooperationen wie die zwischen der Firma Moll und Unternehmen in Jugoslawien nachdrücklich unterstütze. Er bedauere zutiefst, und dabei verschluckte er sich und führte seinen Zuhörern einen nicht enden wollenden Hustenanfall vor, dass der Balkanstaat eine so unerfreuliche Phase der Friedlosigkeit durchzustehen habe – das Wort Krieg nahm er nicht in den Mund. »Womit könnten wir krisengebeutelten Staaten besser zu neuer Stabilität zu verhelfen«, rief er pathetisch aus, »wenn nicht mit so harmlosen, friedlichen und doch hoch entwickelten Maschinen wie unseren harvesters?«

Occhio sah Brankovic verständnisvoll mit dem Kopf nicken. Ihm war ganz übel geworden, denn C-Moll hatte ihm beim Essen zugeflüstert, dieser dauernd lächelnde Brankovic sei nicht der Maschinenhändler, als den Dietrich ihn vorgestellt hatte, sondern Offizier der jugoslawischen Armee. Das müsse er aber unbedingt für sich behalten.

Nur bedauerlich, meinte von Woehle, dass Herr Mallör, der Schöpfer dieses technischen Wunderwerks, nicht anwesend sei. Der verehrte Herr Professor Dietrich – von Woehle machte eine knappe Verbeugung zum Professor hin, himmelte dabei aber dessen reizende Assistentin an – habe ja Herrn Mallör am Dienstag den wohlverdienten »Award of Best Design« überreichen dürfen. Ihm selbst habe man die Frage gestellt, ob die Landesregierung solche deals unterstütze. Dazu könne er, erklärte von Woehle etwas verspannt und rückte seine Fliege zurecht, im Moment zwarnichts Definitives sagen, aber er werde das Problem einer Klärung zuführen, denn Frieden stabilisierende connections wie die vorliegenden stießen bei den Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium durchaus auf open ears.

Dr. Riscisc übersetzte dem des Deutschen nicht mächtigen Brankovic von Woehles Einlassungen flüsternd ins Ohr.

Man möge ihm nachsehen, sagte von Woehle zum Schluss, wenn er in etwa einer halben Stunde die Party verlasse, weil er, wie gesagt, morgen in aller Frühe a flight to Saudi habe. Aus nahe liegenden Gründen benötige man dort leider keine harvesters, außer eventuell bei Oasenrodungen. Es gebe fast nur Steine, sands und desert da unten. Nur: Speziell über die Oasenrodungsproblematik mit ihrem ganzen background an klimatechnologischen Problemkomplexen besitze er kein präzises know how, werde sich jedoch kundig machen und spätestens in einer, zwei Wochen in der Lage sein, Herrn Moll weitere informations zu diesem Aspekt zukommen zu lassen. Im Moment seien Solaranlagen der Hit und er jette nicht zuletzt deswegen an den Golf, um nach dem Rechten zu sehen, weil hinter dem Solargeschäft inzwischen auch die Japaner her seien und offensichtlich mächtig pression machten. Er selbst sei sich jedoch der kausalen Rolle der das Ganze so schwierig gestaltenden Nationalitätssensibilitäten durchaus bewusst.

Occhio war angewidert; er hatte regelrecht Kopfweh bekommen. Während die Anderen dem Abgeordneten frenetisch Beifall klatschten, pochte sein Herz und er hatte wieder diesen unangenehmen, stechenden Schmerz auszuhalten. Nach von Woehles Gesülze schwor er sich, selbst nie mehr ein englisches oder amerikanisches Wort in den Mund zu nehmen. Um sich Luft zu verschaffen, neigte er sich zu seinem Nachbarn hinüber: »Na, Holleweg, ist dir nun klar, warum du es beruflich nicht weiter gebracht hast?«

Holleweg fingerte nach seinem Glas: »Ich bin höchst gespannt auf deine scharfsichtige Analyse, Occhio.«

»Weil du einfach nie den Mumm aufbrachtest, an Sir von Woehles verbale Explikationspotenz heranzukommen.«

»Und das muss ich mir von einem Bleistift spitzenden Harvesterbauer, wie du einer bist, sagen lassen?«

Occhio, vergnügt über die gelungenen Sprüche, schlug sein Glas so ungestüm an das Hollewegs, dass beide nach dem Zuprosten nur noch den Stiel zwischen den Fingern hielten. Die Gutes Design-Sekretärin rannte auf, kam mit Handfeger und Schaufel zurück und setzte sich wieder.

Noch während Holleweg die Scherben zusammenkehrte, richtete sich C-Moll in seinem Ledersessel auf und erhob das Glas. »Auf eine erfolgreiche Reise, Justus, und denke daran: Scherben bringen Glück!« sagte er vergnügt, und von Woehle prostete zurück.

Moll bedankte sich bei seinen Gästen für ihr Erscheinen und beim Professor dafür, dass er seine geschmackvolle Villa für den Anlass zur Verfügung gestellt habe. Sein besonderer Gruß galt Herrn Dr. Riscisc aus Wien und seiner charmanten Gattin, besonders aber Herrn Milan Brankovic aus Belgrad. Mit ihrem Auftrag von gleich zehn Forstmaschinen habe die RIHAG indirekt nicht zu unterschätzende Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Moll GmbH beste Qualität liefern werde und nun vor jeglicher Konkurrenz uneinholbar vorne liege, sofern es bei Forstmaschinen überhaupt eine solche gebe.

»Nicht wahr Herr Brankovic«, unterbrach ihn Riscisc mit lauter Stimme, und legte seinem Geschäftspartner jovial die Hand auf den Arm, »und wir freuen uns über die Absicht Ihrer Firma, mit der Moll GmbH einen Kooperationsvertrag abzuschließen; Sie geben damit den Weg frei, die Maschinen in Jugoslawien in Lizenz zu bauen.« Dies wiederholte er auf Serbisch und Brankovic,der notgedrungen von der Sekretärin abgerückt war, bestätigte es glucksend, denn er hatte sich nicht nur mit einem Glas zufrieden gegeben.

Dann erhob sich Riscisc. Er war eine schwergewichtige, aber gepflegte Erscheinung, um die sechzig Jahre alt, und Occhio beobachtete genüsslich, mit wieviel Mühe er sich aus seinem weichen Sessel herauswand. Doch da stand schon Brankovic vor ihm und streckte ihm die Hand entgegen. Mit der Hilfe des selbst nicht mehr ganz standsicheren Jugoslawen fand Riscisc das Gleichgewicht, zog seine Jacke zurecht, klopfte an sein Glas, und ließ seine sonore Stimme ertönen:

»Meine Damen und Herrn, es war eine exzellente Idee von Herrn Fabrikant Moll, zu diesem Gedankenaustausch einzuladen. Unser Treffen wird nicht nur Grundlage sein für neue Geschäftsverbindungen zwischen zwei kompetenten Partnern, den Firmen RIHAG und Moll, nein, wir werden auch die Beziehungen zu unserem jugoslawischen Auftraggeber intensivieren, die möglicherweise, wie schon erwähnt, in die Lizenzfertigung von Harvestern einmünden werden. Da die Maschinen für den Balkan wegen der besonderen Waldverhältnisse dort anders bestückt sein müssen als mitteleuropäische Harvester, haben wir mit Schweizer Herstellern Kontakt aufgenommen, die unsere Maschinen mit hoch spezialisierten Ausrüstungen und Aggregaten komplettieren werden. Ich freue mich, dass die Firma RIHAG auf diese Weise zu einer Konzentration und Stärkung des Harvestermarkts beitragen kann.«

»Hoch spezialisierte Ausrüstungen«, dachte Occhio verbittert. Nahm Riscisc ernsthaft an, dieses Wortspiel würde irgendeiner hier missverstehen? Dass ein Schweizer Hersteller nicht schon über die Ausrüstung für eine Maschine verfügen konnte, die erst als Prototyp bestand und deren Existenz Fachkreisen seit gerade einer Woche bekannt war, musste jedem klar sein. Nein, umwelche Art von Ausrüstung es wirklich ging, zeigte die Anwesenheit dieses jugoslawischen Offiziers. Für die meisten hier galt Brankovic zwar als Maschinenhändler, aber von Woehle zum Beispiel, dieser verlogene Schwätzer, wusste genau, wer er war. Und die dubiosen Schweizer Hersteller? Wer weiß – Occhio durchfuhr es heiß – vielleicht saßen sie längst in ihren Startlöchern als Lieferanten für die Jugoslawien-Ausrüstung. Dann hätte man ihn, den Chefkonstrukteur der Moll, schamlos hinters Licht geführt. Er fühlte sich mehr als unwohl in seiner Haut. Unter diesen Umständen hatte er es nicht zu verantworten, wenn seine Firma nun dabei war, sich in eine unseriöse Situation hinein zu manövrieren.

Riscisc sagte nur noch: »Wir, die Firma RIHAG, werden für die Firma Moll ein verlässlicher Partner bleiben. Ich stoße mit Ihnen auf diese Partnerschaft an.«

Occhio blieb wie erschlagen in seinem Sessel sitzen.

Von alledem erfuhr Mallör, ganz nach C-Molls Wunsch, nie etwas.

3

Markus Occhio hatte sich hinter einem Blumenkasten versteckt, wo ich ihn – ich betrat um Punkt halb drei die Cafeteria – erst nach mehrmaligem Hin- und Hergehen entdeckte. Wir begrüßten uns und ich setzte mich. Mit seinem verfärbten Bluterguss im Gesicht, der sich ausgedehnt zu haben schien, sah er nun aus wie ein Clown.

»Ich werde Ihnen entgegenkommen«, sagte Occhio leise und drehte den Kopf nach allen Richtungen, um sich zu vergewissern, ob ihn niemand gehört hatte. »Aber«, er räusperte sich und zog die Stirn in Falten, als käme nun etwas Ungeziemendes, »mein Name bleibt tabu?!«.

Ich überging seine Frage: »Vielleicht können Sie Ihre Aussagen etwas ausweiten.« Wieder musste ich gegen das Kratzen im Hals ankämpfen. »Wissen Sie, als Journalist ist man immer sehr dankbar, wenn man genügend ‚Fleisch‘ hat, wie wir es bezeichnen – wie gesagt, dann könnte ich Ihnen auf fünfzehnhundert, eventuell auf mehr aufstocken. Doch es kommt wirklich darauf an, ob sich aus Ihren Informationen etwas Fundiertes destillieren lässt.« Ob dies aber zutreffe, machte ich ihm klar, könne ich erst am Ende beurteilen. Auf einen Hans-Gerd Unstihl könne er sich da ganz verlassen. »Tausend erhalten Sie auf jeden Fall.« Ich legte ihm ein Kuvert mit fünf Hundertmarkscheinen auf den Tisch und sagte leise: »Eine Anzahlung.«

Er schob mir einen Zettel her, auf den er mit Kugelschreiber und in Normschrift geschrieben hatte:

15.September 1996 Markus Occhio

Ich, H. G. Unstihl, Journalist, unterschreibe dafür, dass ich in meinem Harvester-Bericht weder den Namen Markus Occhio nennen noch irgendeinen Hinweis auf seine Familie geben werde.

Ich las, unterschrieb und gab ihm den Zettel zurück. Er erschien mir wertlos, aber ich sagte es ihm nicht. Hastig faltete er das Papierstück zusammen und stopfte es mit dem Umschlag in eine Tasche seines Morgenmantels. Auf seine Frage, was er nun zu tun habe, ob er mir hier in der Cafeteria erzählen solle, was ich wissen wolle, und ob ich dann mitschriebe, fischte ich aus meinem Aktenkoffer ein Diktiergerät und legte es auf den Tisch.

»Ein Diktiergerät. Es hat drei Knöpfe: Hier schalten Sie ein. Weiterdrehen desselben Knopfs bringt mehr Lautstärke beim