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Peter Hoeres

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Beschreibung

Nach dem Ende der Sowjetunion galt die Unterscheidung »rechter« und »linker« politischer Strömungen als veraltet. In einer globalisierten Welt sollten politische Entscheidungen nicht mehr durch ideologische Kategorien bestimmt, sondern fortan sachgerecht getroffen werden. Spätestens nach den Terroranschlägen von 2001 erwies sich die Vorstellung vom Ende der Geschichte als Illusion. Seitdem kehrt das binäre politische Ordnungsmuster mit Macht zurück, allerdings neu akzentuiert. Kaum ein Mensch will und darf in Deutschland mehr rechts sein. Die Zuschreibung »links« ist hingegen weniger stark negativ belastet. Wie variabel die Positionierung zwischen den beiden Polen allerdings sein kann, zeigt sich mit Blick auf Selbstverständnis und Außenwahrnehmung der Nationalsozialisten und auf die Richtungskämpfe im Kommunismus. Peter Hoeres belegt eindrucksvoll, dass die Renaissance des binären politischen Ordnungsschemas auf Konstanten beruht, die sich durch die gesamte menschliche Geschichte ziehen. »Rechts« war, im Gegensatz zu heute, historisch überwiegend positiv, »links« überwiegend negativ besetzt. Eine politische Umwertung erfolgte erst im Zuge der Französischen Revolution. Mit der zunehmenden normativen Zuspitzung droht das binäre Schema inzwischen zur Gefahr für den Rechtsstaat und das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu werden.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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PETER HOERES

Rechts und links

Zur Karriere einer folgenreichen Unterscheidung in Geschichte und Gegenwart

Reihe zu Klampen

Essay Herausgegeben von

Anne Hamilton

Peter Hoeres, geboren 1971, studierte

Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft. Seit 2013 hat er den Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind internationale Beziehungen, Kultur-, Medien-, Wissenschafts- und Ideengeschichte. Er schreibt regelmäßig für Tageszeitungen, u. a. für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und die »Neue Zürcher Zeitung«, und hat mehrere Bücher veröffentlicht.

Für Wolfgang

Inhalt

I. Einleitung: Die permanente Unterscheidung

II. Der Vorrang der rechten Seite

a) Biologie: Woher kommt der Rechtsdrall?

b) Sprache: Etymologie und Bedeutung

c) Religion: Zur Rechten des Herrn

d) Ethnologie: Die Rechts-links-Orientierung bei indigenen Völkern und in Ostasien

e) Rechtsschreibung, Rechtsverkehr, Rechtsgewinde

f) Geschichte: Rechts und oben

III. Die Umkehrung und die Ausbreitung des Rechts-links-Schemas seit 1789

a) Sitzordnung und politische Sprache in Frankreich

b) Vormärz und 1848

c) Die globale Verbreitung der Rechts-links-Unterscheidung

d) War der Nationalsozialismus rechts?

e) Rechts- und Linksabweichler im Kommunismus

f) Rechts und links nach 1945

IV. Der »Kampf gegen Rechts«

V. Fazit: Rechts und Links – ungleiche Geschwister

Dank

Bibliographie

Soll ich da nicht Mitleid haben mit Ninive, der großen Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die zwischen rechts und links nicht unterscheiden können?

Jona, 4,10

I. Einleitung: Die permanente Unterscheidung

Kaum ein Mensch will rechts sein. Zumindest gilt das für unsere Gegenwart und besonders für Deutschland. Gleichwohl ist der Begriff mit seinen Komposita allgegenwärtig. Beständig wird vor Rechts gewarnt und gegen Rechts gekämpft. Allenthalben ist von einem Rechtsruck die Rede. Auch die Zuschreibung links findet rege Verwendung, weniger stark negativ belastet, aber auch nicht bei allen beliebt. Was hat es mit diesen Begriffen auf sich, woher kommen sie, warum gebrauchen wir sie, was ist mit ihnen gemeint? Warum polarisieren sie dabei so stark, warum sind sie derart umkämpft? Wie sollten wir sie künftig verwenden?

Viele Soziologen haben ihr Ende vorhergesagt, ja ersehnt. In einer eigentümlichen Mischung aus vermeintlicher Deskription und normativer Setzung haben sie die Rechts-links-Unterscheidung für obsolet erklärt. Von Anthony Giddens bis Armin Nassehi haben sie in Anspruch genommen, »jenseits von Links und Rechts« zu denken und damit eine adäquatere Beschreibung der Gesellschaft zu liefern und eine stärkere Problemlösungskompetenz aufzubieten, als es das überkommene binäre Schema impliziert.1 Auch die Grünen vertraten anfangs diesen Anspruch, ehe sie das hergebrachte Deutungsmuster doch recht schnell einholte und sie sich sowohl im Parteienspektrum als auch innerparteilich danach einsortierten. Dies gilt auch für andere ökologische Bewegungen, etwa in Belgien.2 Entweder setzen sich neue Deutungsmuster und Klassifikationen also nicht durch. Oder sie sind ihrerseits wieder binär und auf den Rechts-links-Code abbildbar, so etwa die Unterscheidung zwischen den mobilen, flexiblen Anywheres und den bodenständigen, veränderungsaversen und migrationskritischen Somewheres von David Goodhart.3 Auch die Positionsbestimmung »Mitte« setzt die Existenz von rechts und links voraus, ebenso alle Modifikationen wie die beliebte Selbsteinordnung linksliberal, die in meinem Fach, der Geschichtswissenschaft, nahezu ubiquitär geworden ist.

Die These, die ich hier vertrete, ist allen Abgesängen und Untergangsprophezeiungen für die Rechtslinks-Unterscheidung entgegengesetzt. Zunächst meine ich, dass diese Unterscheidung relevant bleibt und bleiben wird, und zwar global. Wir werden weiterhin mit ihr leben, ja leben müssen. Dies belegen Umfragen, die das Institut für Demoskopie Allensbach seit den 1970er Jahren in Deutschland durchführt. Demnach verorten sich auch heutzutage mehr als 90 Prozent der Befragten problemlos auf einer Links-rechts-Skala, mit einer zunehmend deutlichen Clusterung nahe der Mitte. Nach einer INSA-Umfrage Ende 2024 konnten sich nur 8,9 Prozent der Befragten nicht diesem Schema gemäß einordnen, 28 Prozent ordneten sich links, 26 rechts der Mitte ein. Auch europaweit und sogar global sortieren sich die meisten Befragten problemlos auf einer Rechts-links-Achse ein. Das prozentuale Ausmaß der Selbstverortung und Verortung der Parteienlandschaft in einem Rechts-links-Schema hängt dabei vom Bildungsstand, dem Freiheitsgrad der Gesellschaft und der demokratischen Konsolidierung in den jeweiligen Gesellschaften ab. Dabei wird unter diesen Zuordnungen Ähnliches verstanden, auch wenn die Zuordnungen im Hinblick auf etwa den Kapitalismus nicht deckungsgleich sind.4

Für Lateinamerika kommen Experten- und Politikerbefragungen sogar zu ziemlich deckungsgleichen Einordnungen der lateinamerikanischen Präsidenten auf einer Links-rechts-Skala.5 In der Politikwissenschaft werden weiterhin solche, meist aus zwanzig Punkten bestehende Skalen verwendet, auf denen mit einiger Scheingenauigkeit auch aktuelle Positionen von Parteien eingetragen werden. Um höhere Differenzierung zu erreichen, wird der Dualismus mitunter auch mehrdimensional erweitert, ohne die Grundstruktur aufzugeben.6

Im Folgenden will ich aber über die These einer Persistenz der Rechts-links-Zuordnung hinausgehend darlegen, dass die Rechts-links-Unterscheidung eine anthropologische Konstante ist, historisch durchgängig und global verbreitet, wobei rechts traditionell überwiegend positiv, links überwiegend negativ besetzt ist. Das wirkt auch bei uns bis heute sprachlich, religiös und kulturell nach. Die politische Wertung ist dagegen erstaunlicherweise seit der Französischen Revolution invers, stößt damit aber an kulturelle und religiöse Grenzen und gefährdet in ihrer heutigen extremen normativen Zuspitzung, so meine These, die Demokratie und den Rechtsstaat, ja das friedliche Zusammenleben der Staatsbürger.

Mir geht es hier nicht in erster Linie darum, eine eigene abschließende Definition von rechts oder links vorzuschlagen. Das wäre transhistorisch und transnational auch kaum möglich. Die einzelnen Phänomene, wie der von Panajotis Kondylis sezierte antiaufklärerische und antirationalistische »Konservativismus« der societas civilis, sind epochen- und ortsgebunden. Die moderne politische Rechte sah Kondylis dann als eine Formation zur Verteidigung des bürgerlichen Eigentums und des Wirtschaftsliberalismus, also letztlich als liberale Partei an.7 Es kommt bei der Begriffsbestimmung aber entscheidend auf den Abstraktionsgrad des Gemeinten an. Für den vorliegenden historisch weit ausgreifenden und globalen Versuch wird heuristisch ein eher allgemeines politisch-kulturelles Verständnis von Rechts und Links zugrunde gelegt werden müssen. Tatsächlich sind die beiden Zuordnungen bei aller Zeit-, Orts-, und Kulturabhängigkeit und sogar bei manchem Positionswechsel, etwa im Falle des Nationalismus oder der Anwaltschaft für die autochthone Arbeiterklasse, gerade nicht kontingent; das zeigen auch die folgenden Ausführungen.

Im politischen Sinne hat Norberto Bobbio sicher recht, dass das Kriterium der Egalität beziehungsweise der Akzeptanz oder sogar Affirmation der Ungleichheit als Voraussetzung jedes Wohlstandes und jeder Kultur – Ungleichheit war für Nietzsche Grundlage jeder höheren Kultur – eine wesentliche Scheidelinie zwischen Rechts und Links darstellt.8 Der Aufstand gegen die als Ungerechtigkeit empfundene materielle politische und kulturelle Ungleichheit motiviert eine »ewige Linke« (Ernst Nolte) immer wieder neu, gegen hergebrachte Macht- und Besitzverhältnisse aufzubegehren, von Spartacus bis Attac.9 Die hergebrachte Ordnung wird dann von Rechts verteidigt, vom Adel, den Königstreuen, den Konservativen. Stabilität, Tradition, Ordnung, Herrschaft, Hierarchie, Differenz, Natur, die Patria und die Institutionen, die »Herrenmoral« (Nietzsche) sind bleibende Bezugspunkte der Rechten. Revolution, Neuordnung, Umverteilung, Bewegung, soziale Gerechtigkeit, Umwertung, Utopie für ein besseres irdisches Leben, das sind die der »Sklavenmoral« (Nietzsche) entspringenden Bezugspunkte der Linken. Ihr Symbol, die geballte linke Faust, verweist auf den gewaltsamen Widerstand und den ungeschickteren »linkischen« Fingerapparat der linken Hand, der erst zur Faust zusammengezogen seine Wirkung entfaltet. Dabei zeigt sich an der Haltung zum Wahlrecht, dass im Einzelnen die Positionen durchaus wandelbar sind; galt etwa das Klassenwahlrecht zunächst als revolutionäre Überwindung der Ständeversammlungen, so wurde es Ende des 19. Jahrhunderts zum Relikt einer überkommenen Ungleichheit.

Die Rechts-links-Unterscheidung geht aber weit über das Politische hinaus, hat tiefere Wurzeln. Sie ist vielmehr eine fundamentale anthropologische Form der Orientierung. Die Orientierung im Raum ist dem nicht umweltgebundenen Mängelwesen Mensch (Arnold Gehlen) eine stete Aufgabe; es muss in der Welt seinen Platz finden. Neben und noch vor rechts und links sind dem aufrecht gehenden animal rationale dafür oben und unten als fundamentale Richtungen vorgegeben: Der Mensch trägt den Kopf mit dem Sinnesapparat oben, zur Sonne, zum Himmel hin, und steht mit den Füßen unten auf der Erde, deren Schwerkraft er widerstehen muss. Das Große wird aus dieser Perspektive als höher eingestuft als das Kleine. Diese Oben-unten-Orientierung entwickelt sich zur zentralen (religiösen) Wertmetapher: Der Himmel, Gott, das Gute ist oben, die Hölle, der Teufel, das Schlechte unten. Dabei ist das Oben stärker in Mythen und Erzählungen bestimmt als das Unten. Diese vertikale Orientierung ist in den Religionen nahezu global präsent und eine Identifizierung von gut mit oben und böse mit unten dabei die Norm. Häufig ergibt sich ein Dreierschema mit dem Himmel oben, der Unterwelt unten und der Erde dazwischen und entsprechenden Auf- und Abstiegsszenarien. Horizontale religiöse Orientierungen sind, wenn überhaupt, dann eher bei Unterschichten zu finden, so in Indien und China, bei den Azteken und in Uganda.10

Das Oben-unten-Schema wird dann für die gesellschaftliche Ordnung adaptiert, es konkretisiert sich in der sozialen Pyramide. Der König steht oben, der Sklave unten. Dieser wird vom vierfüßigen Tier im griechischen Wort ἀνδράποδον (andrápodon) durch die Männerfüße abgegrenzt, also auf die unteren Extremitäten konzentriert. Die Richtungen werden zu Metaphern, der Mensch ist in einer dyadischen Symbolwelt eingerichtet, die dem Verständnis abstrakter Sachverhalte dient. Die soziale Ordnung wird im Mittelalter durch Grundherrschaft und Lehenswesen differenziert und vertikalisiert. Die Pyramide der Stände verdeutlicht das mit dem einzelnen König oben, gefolgt vom (höheren) Klerus und Adel und den freien Bauern und später Bürgern, ganz unten stehen die unfreien Hörigen. Neben der vertikalen Ordnung ist die Nähe zum König oder anderen wichtigen Personen von Bedeutung, wobei der Vorrangplatz stets rechts war und ist. Der Gegensatz von oben und unten wird also ergänzt oder sogar überlagert durch rechts und links. Rechts und oben ist Gott, das Gute, der König, links und unten das Gegenteil, der Teufel, das Böse, die Feinde des Königs. Oben wie rechts sind die Primärorientierungen, unten und links sind negativ auf oben und rechts bezogen.11

Wie kam es aber zu dieser Privilegierung der rechten Seite? Im Jahr 1909 führte der Soziologe Robert Hertz in einem genialischen Essay die omnipräsente Privilegierung der rechten Hand und die Abwertung der linken Hand auf die Grundunterscheidung seines Lehrers Émile Durkheim von religiös/heilig und profan/böse zurück. Denn die offenkundige Privilegierung habe nur sekundär mit einer physischen Asymmetrie zu tun. Vielmehr werden die rechte Hand und die rechte Seite insgesamt in den meisten Kulturen mit dem Sakralen, Guten, Schönen und Männlichen verknüpft, mit dem Leben schlechthin; die linke dagegen mit dem Profanen, Bösen, Schlechten, häufig auch Weiblichen, und dem Tod. Dieser religiösen Dualität folgt die soziale, so Hertz, als ihr Reflex, was zu Unterdrückung, Fesselung und mitunter Verstümmelungen der linken Hand führte und zur Ausbildung der Fähigkeiten der rechten Hand.

Bedeutsam ist die normative Aufladung der »Seiten des Körpers mit dem Raum«. Die rechte Hand ist die Schwur- und Schwerthand, die linke Hand ist die passive, unreine, tabuisierte Hand, die Hand zur Säuberung von Ausscheidungen. Und rechts befindet sich der Himmel, die Sonne, der Osten (mit dem Sonnenaufgang) und Süden, links die Verdammnis, die Hölle, der Westen (mit dem Sonnenuntergang) und der Norden. Die Grundunterscheidung von rechts und links gehört zu den wichtigsten Elementen unserer geistigen Ausstattung. Sie ist vorindividuell, aber nach Hertz nicht unveränderlich. Daher könne, so sein bisher nicht in Erfüllung gegangener Optimismus, die linke Hand entwickelt werden und die jahrhundertelange Verstümmelung des menschlichen Wesens überwunden, mithin der Organismus harmonischer entfaltet werden.12

Auch Hertz konnte die Vorherrschaft der rechten Seite nicht abschließend erklären und kehrte am Ende seines Essays zur biologisch stärkeren rechten Hand, die allerdings der linken nur zu etwa zehn Prozent überlegen ist,13 als Anlass für die mentale dualistische Unterscheidung zurück. Die Orientierung an der Sonne als Ursache schied für Hertz mit Verweis auf die Hemisphäre der Maori auf Neuseeland aus, wo die Präferenzen anders sein müssten, es aber nicht sind. Auch in Neuseeland geht die Sonne freilich im Osten auf, wandert dann allerdings über den Norden nach Westen. Joseph Chelhod wandte gegen Hertz ein, dass die Vergöttlichung der Sonne und die damit einhergehende Vorherrschaft der rechten Seite nicht originär universal, sondern von klassischen Zivilisationen in der nördlichen Hemisphäre verbreitet worden sein kann. Dann müsste diese Orientierung in Konsequenz dieser Argumentation aber ein Importprodukt in Australien und Neuseeland gewesen sein. Bei der späten Besiedlung Neuseelands aus Polynesien im 13. oder 14. Jahrhundert könnte die Rechtsorientierung mitgebracht worden sein, aber wirklich über eine sehr lange Migrationsund Transfergeschichte aus dem nördlichen Wendekreis? Der erste Kontakt zu Europäern fand Mitte des 17. Jahrhunderts statt.14 Chelhod unterschätzte auch die Händigkeit der Menschenaffen und hielt die Vorherrschaft der rechten Seite für ein reines Kulturprodukt.15 Die Orientierung an der Sonne wie an der leichten Überlegenheit der rechten Hand sowie eine genetische Disposition zur Rechtshändigkeit beim ganz überwiegenden Teil der Menschheit spielen offenbar im Verbund die entscheidende Rolle bei der Privilegierung der rechten Seite. Die lebensbringende Sonnenseite in der anthropologisch universalen dualistischen Symbolstruktur ist dann Ausgangspunkt der sakralen Aufladung in ihrem Gegensatz zur profanen Nachtseite.

Im Folgenden soll diese Privilegierung der »rechten Seite« als universal-anthropologische und im Kern religiöse Orientierung vorgestellt werden. Sie ist bereits vorchristlich und an zahlreichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten anzutreffen. Ich möchte dann auf die Verkehrung der Wertung im Zuge ihrer Säkularisierung – alle prägnanten politischen Begriffe der Moderne sind bekanntlich säkularisierte theologische Begriffe16 –, die Umwertung der Rechts-links-Unterscheidung im Gefolge der politischen Symbolik der Französischen Revolution auf dem nicht geradlinigen Weg bis zum heutigen »Kampf gegen Rechts« eingehen. Zum Schluss frage ich nach der bleibenden Bedeutung dieser grundlegenden Unterscheidung und dem anzuratenden Umgang mit ihr. Ferner möchte ich gleichsam mäeutisch etwas aus unserem Inneren hervorholen, was dort unverrückbar angelegt ist: eine anthropologische Orientierung, die weit über die politischen Richtungsbezeichnungen hinausgeht. Der vorliegende Versuch stützt sich dabei auf die Forschung unterschiedlicher Disziplinen, auf Evolutionsbiologie, Etymologie, Theologie, Ethnologie, Geschichts- und Politikwissenschaft. Allerdings sind viele Fragen und Aspekte noch nicht hinreichend erforscht, so dass dieser Essay Anstöße für weitere Forschung geben möchte.

II. Der Vorrang der rechten Seite

a) Biologie: Woher kommt der Rechtsdrall?

Beginnen wir mit Alltagsbeobachtungen. Wir begrüßen uns mit der rechten Hand, klatschen uns mit ihr ab, schneiden mit ihr das Essen, öffnen mit ihr die Tür, bekreuzigen uns mir ihr, bedienen mit ihr komplizierte Geräte und teilen mit der rechten Hand Ohrfeigen aus. Auch sexuelle Handlungen führen wir vorrangig mit der rechten Hand aus. Die rechte Hand ist gegenüber der linken zumindest bei den meisten Menschen die stärkere, geschicktere und aktivere. Wir stehen für gewöhnlich auch mit dem rechten Bein auf. Beim Zungenkuss neigen wir den Kopf nach rechts, damit es wirklich passt und die Nasen nicht im Weg sind. Den Ehrengast plazieren wir zu unserer rechten Seite und gehen links von ihm, und so wird auch die Braut vom Bräutigam zum Altar oder vor den Standesbeamten geführt. Die meisten von uns schreiben mit rechts, nehmen den Hammer und die Waffe in die rechte Hand, wir werfen mit rechts und schießen den Fußball mit rechts. Beim Boxen ist die Schlaghand die stärkere rechte, ebenso beim Armdrücken. Das Siegerpodest bei Wettkämpfen im Sport verbindet die Oben-unten-mit der Rechts-links-Auszeichnung. Der Sieger steht auf der höchsten Stufe in der Mitte, der Zweitplazierte steht rechts daneben auf der zweithöchsten Stufe, links steht der Drittplazierte auf der untersten Stufe.

Ungefähr neunzig Prozent aller Menschen sind Rechtshänder, ca. zehn Prozent Linkshänder; letztere führen allerdings keineswegs alle oben genannten Tätigkeiten mit links aus, viele benutzen unterschiedliche Hände und Füße für spezifische Tätigkeiten. Unter Männern ist die Linkshändigkeit etwas weiter verbreitet als unter Frauen. Die frühere Umerziehung von Links- zu Rechtshändern ist überwunden, in der Bundesrepublik seit 1971. Bei einigen indigenen Kulturen und im arabischislamischen Raum jedoch ist noch die Tabuisierung oder Ächtung der linken Hand, die für das Saubermachen nach der Ausscheidung zuständig ist, zu beobachten. Bei den Zulu in Südafrika wurden Anfang des 20. Jahrhunderts drastische Maßnahmen beobachtet, linkshändige Kinder zum Essen mit der rechten Hand zu bewegen. So wurde die linke Hand in kochendes Wasser getaucht. Die Umerziehung der Händigkeit steht in Korrelation zum Anteil von Stotterern. Eine hohe Quote an Stotterern wurde noch Ende des 20. Jahrhunderts bei den Zulu festgestellt. Auch in der westlichen Welt wurden drastische Maßnahmen in der Schule gegen die stigmatisierten Linkshänder angeordnet, so das Sitzen auf der linken Hand beim Schreiben oder das Abbinden des linken Arms. Zur Gruppe der Umerzogenen gehörte auch der britische König Georg VI. (1936–1952), dessen Stottern ihm dann große Probleme bereitete, wie der oscarprämierte Film »The King’s Speech« von Tom Hooper 2010 eindrucksvoll gezeigt hat.1