Redwall 3 - brian Jacques - E-Book

Redwall 3 E-Book

Brian Jacques

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Beschreibung

Die heldenhaften Abenteuer von Redwall gehen weiter mit einer weiteren epischen Geschichte voller tapferer Persönlichkeiten. Slagar der Fuchs ist entschlossen, das friedliche Redwall zu besiegen. Er versammelt seine Söldnerbande aus Ratten, Hermelinen und Wieseln und stürmt die Abtei mit einem gerissenen Plan: Statt mutige Schlachtpläne zu schmieden, will er die Kinder von Redwall direkt vor den Augen ihrer Eltern stehlen. Seine Beute ist Mattimeo, der eigensinnige junge Sohn von Matthias, dem furchtlosen Mäusekrieger!

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Erstes Buch

Slagar der Grausame

Zweites Buch

General Eisenschnabel

Drittes Buch

Malkariss

PROLOG

Die heiße Mittagssonne brannte unerbittlich auf Orlando die Axt herab.

Der gewaltige Dachs marschierte über die weitläufige Westebene. Die Schönheit des blütenreichen Graslands, dessen Grün sich in Gold verwandelt hatte, interessierte ihn nicht.

Orlando die Axt folgte dem Fuchs.

Der Dachs wischte sich mit der großen, staubigen Pfote über die Augen. Sonnenlicht brach sich in der riesigen zweischneidigen Kriegsaxt, die auf seiner Schulter ruhte. Sein Zuhause lag geplündert hinter ihm. Es gab dort nichts mehr außer Verwüstung und Einsamkeit.

Orlando die Axt folgte dem Fuchs.

Vor zwei Sonnenaufgängen war er dem seltsamen Fuchs und seiner Bande begegnet. Sie waren ihm aus dem Weg gegangen, während er in den Hügeln am Fuß der Berge nach Nahrung und den kleinen Felspflanzen gesucht hatte, die seine Tochter Auma so gern mochte. Orlando fürchtete sich vor keinem Tier. Er war an dem Fuchs vorbeigegangen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass sich seine Spur bis zu seinem Bau zurückverfolgen ließ. Am nächsten Morgen war er beladen mit Nahrung und Felsblumen nach Hause gekommen. Auma war weg gewesen, der Bau zertrümmert und geplündert.

Orlando die Axt folgte dem Fuchs.

Vor drei Wintern war seine Frau Grimnase gestorben und seitdem zog er ihre kleine Tochter allein auf. Orlando liebte nichts so sehr wie Auma. Er hatte ihr die Jahreszeiten beigebracht, ihr die Ebenen und die Berge gezeigt. Nun hatte er diese Ebenen und Berge hinter sich gelassen. Nur noch ein Gedanke trieb ihn an: Er musste seine Tochter finden und die Kreatur, die sie entführt hatte.

Orlando die Axt folgte dem Fuchs.

Der Dachs schritt über das weite Land. In seinem breiten Brustkorb baute sich ein tiefes Knurren auf, ein schrecklicher Laut, der zu einem heulenden, wütenden Gebrüll anschwoll. Es hallte von den Bergen auf der anderen Seite der sonnendurchfluteten Ebene wider, als er die Kriegsaxt mit einer Pfote hochhob und die Augen zusammenkniff, bis sie zu blutunterlaufenen Schlitzen wurden, durch die sich die Welt vor ihm rot färbte.

Orlando die Axt folgte dem Fuchs.

ERSTES BUCH

Slagar der Grausame

1

Aus dem Tagebuch von John Kirchenmaus, Historiker und Chronist der Rotwall-Abtei im Moosblumenland.

Der längste Tag dieser Jahreszeit, des Sommers der Goldenen Ebene, steht kurz bevor. Heute nahm ich mein Buch und die Feder, um etwas zu schreiben. In meinem ruhigen kleinen Arbeitszimmer war es kühl und dunkel. Mit rastlosem Geist setzte ich mich hin, nahm die Feder in die Pfote und lauschte dem fröhlichen Treiben in den sonnendurchfluteten Kreuzgängen unserer Abtei. Ich konnte die Einsamkeit nicht länger ertragen, die ausgelassene Stimmung da draußen zog mich an, doch ich durfte meine Pflichten als Chronist nicht vernachlässigen. Also ging ich mit Buch und Feder nach draußen und dann die Treppe hinauf bis zur Krone der Außenmauer, direkt oberhalb des Kriegerhäuschens, das als Torhaus an der Schwelle der Rotwall-Abtei fungiert.

Was für ein wunderschöner Tag! Der Himmel war in diesem Sommer ganz besonders blau und es ließ sich keine einzige Wolke blicken. Bienen summten träge unter dem heißen Blick der Sonne, während Grashüpfer ununterbrochen zirpten und sägten. Im Westen erstreckten sich die weiten Ebenen in der Hitze wabernd bis zum Horizont. Bedeckt wurden sie von einem atemberaubenden Teppich aus Butterblumen und Löwenzahn und dazwischen einigen Schlüsselblumen. Wir hatten noch nie so viele gelbe Blüten gesehen. Abt Mordalfus nannte die Jahreszeit den Sommer der Goldenen Ebene. Was für eine kluge Wahl. Ich sah, wie er am Glockenturm mit hochgekrempelten Ärmeln um die Ecke kam. Keuchend half er jungen Waldbewohnern beim Aufstellen der Sitzbänke für das große Fest. Dies war die achte Jahreszeit des Friedens und des Überflusses seit den Kriegen.

Otter schwammen träge im Teich der Abtei und rupften essbare Wasserpflanzen aus dem Boden (aber hauptsächlich spielten sie und tollten herum. Ihr wisst ja, wie Otter sind.) Kleine Igel und Maulwürfe hielten sich im östlichen Obstgarten auf. Ich hörte sie singen, während sie reifende Beeren und die ersten Zwetschgen sammelten, ebenso Birnen, Pflaumen und Äpfel, die ihnen Eichhörnchen aus den Bäumen zuwarfen. Hübsche kleine Mausemädchen und junge Wühlmäuse kicherten und lachten. Sie sollten Blumen für die Tischdekoration pflücken, flochten aber auch Kränze aus den Blüten, die sie wie einen Hut aufsetzten. Spatzen flogen hin und wieder an meinem Kopf vorbei. Sie trugen Nahrung im Schnabel, die sie gefunden oder gefangen hatten (allerdings würden wohl nur Vögel und keine anderen Tiere einige der fragwürdigen Dinge essen, die ein Spatz entdeckt). Der Steigerwurf und seine Mannschaft würden bald eintreffen und die Backgrube ausheben. In der Zwischenzeit ging das geschäftige Treiben unter mir weiter und hinter der Abtei erhob sich unser geliebter alter Moosblumenwald. Er ragte grün und gelassen empor. Keine Brise rauschte durch das dichte Laub. Eichen, Eschen, Ulmen, Buchen, Eiben, Ahorn, Hornbäume, Tannen und Weiden rahmten mit ihren hell- und dunkelgrünen Blättern und Nadeln den Norden und den Osten unserer Abtei schützend ein.

Nur zwei Tage noch bis zu den alljährlichen Festivitäten. Ich bin so aufgeregt wie ein junger Waldbewohner! Doch als Historiker und Chronist kann ich nicht einfach meine Kutte zusammenraffen und mich ins Getümmel stürzen. Ich werde also meine Schreibarbeiten so schnell wie möglich beenden und dann vielleicht zu einigen der Ältesten im Keller gehen. Ich weiß, dass sie das eingelagerte Oktoberbier und den Brombeerwein probieren, nur um zu gewährleisten, dass Geschmack und Temperatur annehmbar sind. Das gilt besonders für den Holunderbeerenwein vom letzten Herbst. Ihr wisst natürlich, dass ich das nur tue, um einige alte Freunde zu unterstützen.

John Kirchenmaus(Chronist der Rotwall-Abtei, ehemals aus Sankt Ninian)

2

Die Strahlen der Nachmittagssonne fielen durch die Lücken in den Wänden und des Dachs der Sankt-Ninian-Kirchenruine auf das Unkraut und die Dornen, die zerbrochene, morsche Sitzbänke überwucherten. Eine kleine Wolke aus Mücken löste sich rasch auf, als Slagar an ihr vorbeiging. Durch die zerbrochene Tür warf der Fuchs einen Blick auf den gewundenen, staubigen Pfad, der scheinbar ziellos in Richtung Süden bis zum Waldrand verlief.

Slagar beobachtete den Pfad schweigend. Sein Atem klang rau unter der purpurroten, mit einem Diamantmuster versehenen Schädelmaske, die seinen ganzen Kopf bedeckte. Wenn er etwas sagte, klang seine Stimme heiser und krächzend, als hätte er einst eine schreckliche Verletzung an der Kehle davongetragen.

»Da kommen sie. Öffnet rasch die Seitentür!«

Ein langer, bunter Karren mit einer regenbogenfarbenen Abdeckung wurde von einem Dutzend abgerissener, an die Deichsel geketteter Tiere in die Kirche gezogen. Ein Hermelin saß auf der Kutscherbank. Mit einer langen, dünnen Weidenrute schlug es brutal auf die Ziehenden ein.

»Los! Hängt euch rein, meine Kleinen!«

Dem Karren folgte eine Mischung aus Gesindel und Taugenichtsen: Hermeline, Frettchen und Wiesel. Sie waren ebenso gekleidet wie ihre Kameraden, die mit Slagar auf sie warteten. Sie trugen breite Schärpen, in denen rostige Dolche, Metalldornen oder Messer steckten. Einige hatten einen Speer dabei oder eine seltsam aussehende Axt mit nur einer Klinge.

Slagar der Grausame trieb sie zur Eile an. »Na los, schwingt die Pfoten und schließt die Tür!«

Der Kutscher sprang vom Karren. »Sie sind alle hier, Slagar«, meldete er, »nur der Otter nicht. Der war zu schwach, um mitzuhalten, deshalb haben wir ihn erledigt, in den Graben geworfen und mit Farnen bedeckt. Um den Rest werden sich die Insekten und Würmer kümmern.«

Der Fuchs schnaubte mürrisch unter seiner Maske. »Hauptsache, ihr wurdet von niemandem gesehen. Neuigkeiten verbreiten sich in Moosblume schnell. Wir müssen uns verstecken, bis Fitch zurückkommt.«

Die zwölf an die Deichsel geketteten Gefangenen, Mäuse, Eichhörnchen, ein paar kleine Igel und eine junge Dächsin, waren ausgemergelt.

Ein junges Eichhörnchen, das gerade einmal ein paar Jahreszeiten alt war, stöhnte mitleiderregend. »Wasser, bitte gebt mir Wasser.«

Das Hermelin, das als Kutscher fungiert hatte, schlug mit seiner Weidenrute brutal auf das arme Eichhörnchen ein. »Wasser? Ich geb dir Wasser, du kleine Kröte. Aber erst mal kriegst du meinen Stock zu spüren!«

Slagar trat auf das Ende der Rute und verhinderte so, dass das Hermelin noch einmal zuschlagen konnte. »Halbschwanz, du Idiot, willst du Sklaven, die man verkaufen kann, oder einen Haufen totes Fleisch? Benutz deinen Verstand, Hermelin. Gib dem Vieh was zu trinken. Hier, Schring, gib allen was zu trinken und ein paar Wurzeln oder Blätter zu essen, sonst können wir nichts mit ihnen anfangen.«

Das Frettchen namens Schring lief sofort los, um Slagars Befehl auszuführen.

Halbschwanz zog an der Weidenrute, aber Slagar trat nur noch fester zu, sodass er sie nicht befreien konnte.

»Halbschwanz, mein Freund, ich glaub, du wirst langsam taub. Hatte ich dir nicht befohlen, mit dem Karren im Wald zu bleiben?«

Halbschwanz ließ die Rute los. »Ja, und das hab ich auch gemacht, wann immer es ging«, sagte er aufgebracht. »Aber habt Ihr schon mal versucht, ’nen Karren und zwölf Sklaven durch diesen Wald da draußen zu ziehen?«

Slagar der Grausame hob die Weidenrute auf. Die Maske straffte sich an seinem Kinn, als er scharf einatmete. »Du vergisst dich, Hermelin. Ich muss keinen Karren durch den Wald ziehen. Ich bin hier der Chef. Als ich mir eben den Pfad angesehen habe, seid ihr rotzfrech in der Mitte gefahren, als hättet ihr nichts zu befürchten. Und das am helllichten Tag. Weißt du nicht, dass ein Wächter von der Spitze der Rotwall-Abtei eure Staubwolke hätte sehen können?«

Halbschwanz erkannte die Warnzeichen nicht. »Is doch egal.« Er zuckte mit den Schultern. »Hat ja keiner was gemerkt.«

Slagar schwang wütend die Rute und Halbschwanz schrie vor Schmerzen. Er duckte sich neben den Karren, konnte aber den Schlägen, die auf seinen Kopf, die Schultern und den Rücken einprasselten, nicht entgehen.

»Das ist nicht egal, Schleimhirn. Und es ist auch nicht egal, dass du mir widersprichst. Ich bin hier der Anführer. Wenn du das nicht kapierst, zieh ich dir die Haut ab!« Slagars Krächzen nahm mit jedem Schlag der Weidenrute zu.

»Waaah, Gnade, au, auauau! Bitte hört auf! Nicht noch mehr, Chef!«

Slagar brach die Rute in der Mitte durch und warf sie dem Hermelin verächtlich an den mit Beulen übersäten Kopf. »Ha, du hörst ja auf einmal besser. Hol dir eine neue Weidenrute. Die hier ist abgenutzt.«

Der maskierte Fuchs fuhr zu seinen Sklavenhändlern herum. Sie saßen schweigend und eingeschüchtert da. Der Seidenstoff spannte sich über seinem Gesicht, als er sich vorbeugte. »Das gilt für euch alle. Wer mir den Plan ruiniert, wird sich wünschen, er hätte sich das Leben mit der eigenen Pfote genommen, wenn ich mit ihm fertig bin. Ist das klar?«

Alle murmelten zustimmend.

Slagar kletterte auf einen morschen Fensterrahmen. Er warf einen Blick in Richtung der Rotwall-Abtei. »Schring, bring mir was Vernünftiges zu essen und einen Krug Wein aus dem Karren«, befahl er.

Das unterwürfige Frettchen lief sofort los.

»Dreiklaue, du stellst dich draußen hin, wenn es dunkel wird. Warte, bis Fitch zurückkommt.«

Das Wiesel salutierte. »Jawohl, Chef.«

Der goldene Nachmittag verging friedlich. Ab und zu tanzte ein kleiner Staubwirbel in der Hitze über dem Pfad.

Slagar strich mit der Pfote sanft über die Seidenmaske mit dem Harlekinmuster. Er lächelte darunter, während der Plan, mit dem er sich an Rotwall rächen würde, langsam in seinem verdorbenen Verstand kreiste.

Schon seit Langem trieb ihn Rache an. Manchmal genoss er sogar die brennenden Lanzen des Schmerzes, die durch sein Gesicht zuckten, denn er wusste, dass sich der Tag näherte, an dem die bezahlen würden, die er für seine Verletzungen verantwortlich machte.

Ein Käfer kroch aus dem morschen Holz des Fensterrahmens. Slagar der Grausame spießte ihn sauber mit einer Kralle auf und sah zu, wie sich das Insekt im Todeskampf wand. »Rotwall, haahaahaa!» Das Gelächter des Fuchses ließ alle Anwesenden erschaudern.

3

»Mattimeo, Mattimeo!«

Kornblume knetete geistesabwesend ihre Pfoten. Sie ließ einen letzten Blick durch das Höhlenloch schweifen, dann lief sie die Treppe zum Großen Saal hinauf. Es war ruhig und kühl im größten Raum der Abtei. Sonnenlicht fiel durch die Buntglasscheiben und tauchte den alten Steinfußboden in die Farben des Regenbogens.

Die Maus ging hastig nach draußen und murmelte dabei leise: »Wo ist der kleine Knirps denn jetzt schon wieder hin? Ach, Matti, wegen dir bekomme ich noch graues Fell.«

John Kirchenmaus kam gerade recht steif und mit Buch und Feder in den Pfoten die Treppe zur Westmauer hinunter. Er wäre beinahe mit Kornblume zusammengestoßen, die gerade um die Ecke bog.

»Guten Tag, meine Liebe. Meine Güte, du hast es aber eilig.«

Kornblume setzte sich auf die unterste Stufe und seufzte schwer. Sie strich sich mit einer Pfote über die Schnurrhaare. »Eilig ist noch geschönt, John. Ich suche schon seit einer Stunde nach meinem Sohn. Hast du ihn zufällig gesehen?«

Der gütige Chronist tätschelte Kornblume die Pfote. »Schon gut, mach dir keine Sorgen. Dein kleiner Matti spielt bestimmt mit meinem Tim und meiner Tess. Die kleinen Schlingel sollten eigentlich Bruder Rufus helfen, die Platzkarten für den Tisch zu schreiben. Ah, da ist er ja. Hallo, Rufus, hast du Tim, Tess oder den jungen Matti gesehen?«

Bruder Rufus kam kopfschüttelnd näher. Er wedelte anklagend mit einer Rolle Birkenrindenpergament. »Ruiniert!«, stieß er hervor. »Seht euch mal die Liste an, die sie hätten schreiben sollen. Die kann ich doch nicht als Platzkarten benutzen. Seht, Abt Mordalfus mit Doppel-B, Basil Hirsch Hase ist ja eigentlich nicht so schwer, oder? Oh nein, sie haben Basil ›Bassil‹ geschrieben und anstatt Hirsch ›Hirse‹!«

John Kirchenmaus zog ein Taschentuch aus der Jacke. Er schnäuzte sich laut die Nase, um den Lachkrampf, der ihn durchschüttelte, zu überspielen. »Hm, ja, ahaha. Entschuldigung, aber das kann meine Tess nicht gewesen ein. Sie kann ziemlich gut schreiben.«

Bruder Rufus rollte das Pergament fest zusammen. »Das ist der kleine Mattimeo. Er stiftet die anderen an. Ich weiß, dass du das nicht hören möchtest, Kornblume, Gnädigste, aber es ist die Wahrheit!« Er war so frustriert, dass seine Stimme schrill klang.

Kornblume nickte traurig. »Ja, da muss ich dir leider zustimmen, Bruder Rufus. Matti wird zu einem echten Problem. Ich wage es nicht, seinem Vater auch nur die Hälfte der Sachen zu erzählen, die er anstellt.«

John Kirchenmaus sah sie über den Rand seiner quadratischen Brillengläser mitfühlend an. »Vielleicht solltet du das besser, wenn du mir diese Worte erlaubst. Der kleine Matti wird irgendwann anfangen müssen, erwachsen zu werden, wenn er je der Krieger von Rotwall werden will, so wie sein Vater Matthias. Mattimeo muss langsam aufhören, sich wie ein verzogenes Balg zu benehmen, und Verantwortung für sich übernehmen. Entschuldige meine Offenheit.«

Kornblume stand auf. »Ich weiß genau, was du meinst, aber vielleicht behandeln wir Matti unfair. Schließlich muss er als Sohn von Rotwalls Krieger großen Erwartungen gerecht werden. Außerdem wird er seit seiner Geburt von fast allen Waldbewohnern, die in diesen Mauern leben, verwöhnt.«

John und Rufus nickten zustimmend.

Die peinliche Stille, die daraufhin eintrat, wurde von einer Gruppe kleiner Tiere unterbrochen. Der junge Maulwurf an ihrer Spitze winkte hektisch mit seinen Grabklauen. »Kimmt schnell, Mause, beeilt euch. De kleene Matti bringt de Fitch um!«

Obwohl das kleine Tier den ungewöhnlichen und komplizierten Maulwurfdialekt sprach, verstanden alle sofort, wie dringend die Angelegenheit war.

»Wo? Wo?«, riefen sie. »Bring uns schnell hin!«

Die Gruppe lief um den Südgiebel der Abtei herum und nahm eine Abkürzung zur Ostseite.

Kornblume hob ihren Rock hoch und entging nur knapp dem Zusammenstoß mit einem Igelkind. Bruder Rufus lief voran.

Jess Eichhörnchen traf als Erstes am Tatort ein. Sie hatte mit ihrem Sohn Sam in einem Apfelbaum im Obstgarten gesessen, als sie beide auf einmal Schreie hörten. Schnell wie ein Vogel schwang sich Jess von Ast zu Ast, dann sprang sie zu Boden und versuchte, die beiden Tiere, die sich ineinander verkeilt durchs Gras rollten, zu trennen. Sie traten, spuckten und bissen, als wären sie von Sinnen. Sam ließ sich fallen, um seiner Mutter beizustehen. Sie packten jeder ein Tier und zogen sie auseinander. Als sie das geschafft hatten, traf die Menge ein.

Mattimeo keuchte schwer. Er versuchte, sich zu befreien, aber Jess schüttelte ihn am Genick. »Bleib ruhig, du kleiner Raufbold, sonst zieh ich dir die Ohren lang«, warnte sie ihn.

Sam hielt den anderen Mäuserich fest. Fitch war zwar klein, erinnerte aber an eine Ratte. Er wehrte sich nicht, sondern schien erleichtert über das Ende des Kampfes zu sein.

John Kirchenmaus trat energisch zwischen die beiden. »Was ist denn hier los, hm?«

»Er hat mich eine magere kleine Ratte genannt.«

»Er hat gesagt, ich sei kein Sohn eines Kriegers.«

»Er hat mich am Schwanz gezogen und angesprungen und gebissen und …«

»Ruhe!«

Alle Tiere erstarrten, als sie das donnernde Knurren der riesigen grauen Dächsin hörten. Konstanze, die Mutter von ganz Rotwall, stellte sich auf die Hinterläufe, sodass sie alle überragte. Sie faltete bedächtig die Vorderpfoten und musterte die beiden kleinen Übeltäter. »Fitch heißt du, richtig? Also, Fitch, du bist zwar neu in unserer Abtei, aber das entschuldigt die Prügelei nicht. Wir Tiere in Rotwall sind friedliebend. Gewalt ist nie die Lösung für einen Streit. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?«

Der rattenartige Mäuserich wischte sich einen Blutstropfen von der Schnauze. »Mattimeo hat angefangen«, wimmerte er kläglich. »Er hat einfach zugeschlagen, obwohl ich gar nichts gemacht hatte. Ich hab nur …«

Fitchs gestammelte Entschuldigungen endeten in einem Winseln, denn er brachte unter dem strengen Blick der Dächsin kein Wort mehr heraus. Sie richtete ihre Tatze auf ihn. »Geh in die Küche. Sag Bruder Hugo, dass ich dich geschickt habe. Du wirst für ihn den Boden schrubben und die Pfannen auskratzen. Ich erlaube keine Kämpfe in der Abtei, auch kein Quengeln, kein Winseln und keine Schuldzuweisungen. Bruder Rufus, geh mit ihm in die Küche, damit er meine Nachricht auch richtig weitergibt.«

Fitch schien sich verdrücken zu wollen, aber Bruder Rufus packte ihn am Ohr und führte ihn ab. »Komm, kleiner Fitch, fettige Pfannen säubern und den Boden schrubben wird dir guttun.«

»Auauau, lass los, du brutaler Kerl«, protestierte Fitch. »Du reißt mir das Ohr ab!«

Als Fitch weg war, wandte sich Konstanze dem anderen Übeltäter zu. Jess hatte Mattimeo losgelassen. Er stand beschämt da, trat nach einem Dreckklumpen und betrachtete mit gesenktem Kopf seine Pfoten. Er sah nicht, dass seine Mutter und Konstanze einander zunickten. Kornblume gab der Dächsin schweigend ihre Erlaubnis. Mattimeo würde sich eine Standpauke anhören müssen.

»Sohn von Matthias dem Krieger, sieh mich an!«, befahl Konstanze.

Der junge Mäuserich hob kleinlaut den Blick, bis er Konstanze in die dunklen Augen, die nicht zu blinzeln schienen, sehen konnte. Die Zuschauer schwiegen, während die Matriarchin dem jungen Mäuserich ein paar passende Worte sagte.

»Mattimeo, ich muss nicht zum ersten Mal mit dir reden. Ich werde dich nicht um eine Erklärung bitten, weil ich nicht glaube, dass du dich in diesem Fall rechtfertigen kannst. Fitch ist neu hier und gerade erst eingetroffen. Du bist in Rotwall geboren und kennst die Regeln unserer Abtei. Wir leben friedlich mit anderen zusammen, fügen keinem Tier unnötigen Schaden zu, trösten und helfen allen und sind stets gütig.«

Mattimeos Lippe zitterte, als wollte er etwas sagen, aber der strenge Blick der Dächsin brachte ihn zum Schweigen.

»Heute hast du entschieden, ein anderes Tier, einen Gast in unserem Zuhause, anzugreifen«, fuhr Konstanze anklagend fort. »Du, der Sohn meines alten Freundes Matthias der Krieger, der um den Frieden in Moosblume gekämpft hat. Mattimeo, ich werde dich nicht mit Aufgaben bestrafen. Die Sorgen, die du deiner Mutter bereitest, und die Schande, die du über deinen Vater bringst, sind die Strafen, die du dir selbst aufgehalst hast. Geh jetzt und sprich mit deinem Vater.«

Mattimeo schlurfte mit gesenktem Kopf davon.

Tess, Tim und Sam Eichhörnchen schwiegen. Sie wussten, dass alles, was Konstanze gesagt hatte, stimmte. Mattimeos zweiter Vorname hätte Ärger lauten sollen.

4

Der Mond war aufgegangen. Er hing wie eine frisch geprägte Münze an einem mitternachtsblauen, wolkenlosen Himmel. Motten flatterten anmutig nach oben, bevor sie wie Laub zurück ins Gras trudelten. Die Bäume standen da wie zeitlose Wächter. Irgendwo sang eine Nachtschwalbe in der sanften Dunkelheit ihr Lied.

Dreiklaue hielt aufmerksam Wache. Er entdeckte Fitchs Umrisse und stieß einen leisen Pfiff aus.

Der zu kurz geratene Rätterich sah auf. »Wo sind Slagar und die anderen?«, fragte er.

Dreiklaue zeigte mit seinem Dolch hinter sich. »In der Kirche. Was ist dir denn passiert?«

»Steck deine Schnauze nicht in meine Angelegenheiten, Fettsack«, sagte Fitch, während er geschickt an Dreiklaue vorbeiglitt und die Kirche betrat.

Wiesel sowie ein paar Frettchen und Hermeline lagen schlafend am Boden. Slagar lehnte mit dem Rücken an dem bunt bemalten Karren. Er sah Fitch finster an. »Du hast dir ja ganz schön Zeit gelassen. Was beim Fang hat dich aufgehalten?«

Fitch ließ sich müde auf ein ausgefranstes Kniekissen sinken. »Musste dreckige Töpfe und fettige Pfannen spülen, Böden schrubben und mich rumschubsen lassen.«

Slagar beugte sich vor. »Das ist mir egal. Ich habe dich da eingeschleust, damit du was für mich rausfindest. Wann wird das Fest anfangen?«

»Ach das. Am frühen Abend nach dem nächsten Mondaufgang.«

»Gut. Hast du dich um die Bolzen am kleinen Nordtor gekümmert?«

»Natürlich. Das hab ich gleich als Erstes gemacht. Sie sind gut eingefettet und für eine schnelle Flucht geeignet. Ihr könnt dieses Rotwall behalten, Slagar. Ich geh da nicht noch mal rein.«

»Warum das denn nicht, Fitch?« Die Stimme des Fuchses klang gefährlich sanft.

»Ach, es war schon schwer genug, mich als Maus auszugeben. Dieser junge Mäuserich, wie heißt er noch? Matty irgendwas … Er hat direkt Lunte gerochen. Ich musste mich mit dem nervtötenden kleinen Knirps prügeln. Der ist so stark wie ’n Otter. Dann wurde ich von ’ner großen Dächsin ausgeschimpft. Bei meinen Schneidezähnen, das sind doch keine friedlichen Tiere! Ich wurde am Ohr in die Küche gezerrt und musste für ’nen dicken, alten Koch dreckige Töpfe sauber machen. Ich stand bis zum Schwanz in fettigem Spülwasser, während er mich gezwungen hat, zu schrubben und …«

»Halt die Klappe und hör auf zu nörgeln, Ratte. Dieser kleine Mäuserich, hieß er Mattimeo, Sohn von Matthias dem Krieger?«

»Ja, richtig, aber woher wisst Ihr das?«

Slagar berührte seine rote Seidenmaske und fletschte bösartig die Zähne. »Das spielt keine Rolle. Wir werden ihn uns greifen, ihn und alle anderen, die wir in die Pfoten bekommen.«

Fitchs Miene hellte sich auf. »Vielleicht könnt Ihr mich nach unserer Flucht ’n paar Minuten mit Mattimeo allein lassen, wenn er gut angekettet ist.«

Slagar musterte den kleinen Rätterich anerkennend. »Das würde dir gefallen, was?«

»Hehe, gefallen? Ich fänd’s toll!« Fitchs Augen funkelten drohend.

Der Fuchs beugte sich vor. »Das Wort heißt Rache. Ich kann dir sagen, Ratte, dass es nichts Besseres auf der Welt gibt als den Moment, wenn dein Feind hilflos vor dir liegt und du dich rächen kannst.«

Das verwirrte Fitch. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ’ne so kleine Maus Euch ein Leid zufügen könnte, Listiger. Was hat er denn getan, dass Ihr Euch an ihm rächen wollt?«

Slagars Blick richtete sich in weite Ferne. Er atmete zischend unter seiner Maske aus. »Es war sein Vater, der Krieger, und diese große Dächsin … um genau zu sein, haben mich alle Tiere in Rotwall verletzt. Der Kleine war da noch nicht mal geboren, aber ich weiß, wie sehr ihn alle lieben. Er ist der Sohn ihres Kriegers, ihre Hoffnung für die Zukunft. Wenn ich Mattimeo mitnehme, schlage ich eine Menge Fliegen mit einer Klappe. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Qualen sie erleiden würden, wenn er verschwinden würde. Ich kenne die Waldbewohner dieser Abtei. Sie verehren ihre Kinder und sie würden sich eher selbst gefangen nehmen lassen, als zuzusehen, wie ihren lieben Kleinen was passiert. Das wird meine Rache umso süßer machen.«

Fitch streckte auf einmal eine Pfote nach Slagars maskiertem Gesicht aus. »Haben sie Euch das angetan? Tragt Ihr deshalb immer diese Maske? Warum nehmt Ihr sie nicht … Aaarrrggghh!«

Slagar packte Fitchs Pfote und bog sie brutal nach hinten. »Wage es nie wieder, dich mit deinen schmutzigen Pfoten meinem Gesicht zu nähern! Sonst reiß ich sie ab und zwing dich, sie zu fressen, Ratte! Geh jetzt wieder zurück zur Abtei und pass gut auf. Lass den jungen Mäuserich keinen Moment lang aus den Augen, damit ich ihn in die Pfoten bekomme, wenn die Zeit reif ist.«

Er ließ Fitch los. Der kleine Rätterich sank schluchzend zu Boden. Slagar spuckte ihn verächtlich an. »Steh auf, Jammerlappen. Wenn du gleich noch hier liegst, bekommst du mein Schwert zu spüren. Dann wirst du einen Grund zum Heulen haben.«

Fitch stand langsam und schmerzerfüllt auf. Im nächsten Moment trat ihm Slagar so fest ins Hinterteil, dass er quer durch den Raum geschleudert wurde.

»Argh! Geh mir aus den Augen, Rotznase.«

Fitch entfernte sich hastig und überließ Slagar sich selbst. Der Grausame lehnte sich zurück, doch an Schlaf war nicht zu denken, denn ein Wort kreiste durch seinen verdorbenen Verstand wie eine gruselige Melodie.

Rache!

5

Matthias, der Krieger von Rotwall, stand mit dem Rücken zum leeren Kamin. Kornblume hatte das Haus schon früh verlassen, um beim Backen zu helfen. Goldenes Morgenlicht fiel durch die Fenster des kleinen Torhauses und ließ das taubedeckte Obst, das sich auf dem Tisch stapelte, glitzern. Eine Karaffe mit kaltem Apfelwein, einige Käsesorten und frisch gebackenes Brot standen zum Frühstück bereit, aber Matthias hatte keinen Appetit. Missmutig sah er sich im Zimmer um. Es war ein ordentlicher und freundlicher Raum, was in diesem Moment so gar nicht der Stimmung des Kriegers entsprach.

Jemand klopfte an der Tür.

»Ja, bitte?«, rief er und richtete sich auf.

Der Steigerwurf trat ein. Zur Begrüßung tippte er sich mit einer riesigen Grabklaue ans samtschwarze Kopffell. Er kräuselte die Knopfnase und lächelte so breit, dass seine funkelnden kleinen Augen fast verschwanden. »Gude Mosche, Mattes, yurr. Mer Maulwürf hebe gleech de Kochgrub aus. Willste mitmache?«

Matthias erwiderte das Lächeln voller Zuneigung. Er klopfte seinem alten Freund auf den Rücken, weil er wusste, dass der Maulwurf ihn nur aufmuntern wollte. »Danke dir für das Angebot, Steigerwurf. Leider muss ich mich heute Morgen um eine ernstere Angelegenheit kümmern. Hm, und wenn ich das richtig höre, steht diese Angelegenheit gerade nebenan auf. Entschuldige mich bitte, mein Freund.«

»Hurr hurr, de’ jung Matti is schon ’en gude Kerl. Zieh em net zu sehr de Ohre lang.« Der Steigerwurf schmunzelte und machte sich auf den Weg zurück zu seiner Mannschaft.

Matthias war am Nachmittag zuvor zu wütend gewesen, um sich mit seinem Sohn zu befassen, deshalb hatte er ihn ohne Abendessen ins Bett geschickt. Nun stand der Krieger vor dem Kinderzimmer und sah zu, wie Mattimeo vorsichtig den zerzausten Kopf durch den Türspalt schob.

Als er seinen Vater sah, zögerte er.

»Komm rein, mein Sohn.« Der Krieger winkte ihn mit einer Pfote heran.

Der kleine Mäuserich trat ein, warf einen hungrigen Blick auf den üppig gedeckten Frühstückstisch und sah dann seinen Vater an. Die Verärgerung, die noch am Vortag seine Miene geprägt hatte, war von Strenge ersetzt worden.

»Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Mattimeo?«

»Tut mir leid«, murmelte Mattimeo.

»Das hoffe ich sehr.«

»Tut mir sehr leid«, murmelte Mattimeo erneut.

»Der Steigerwurf sagte, ich sollte dir die Ohren lang ziehen. Wie siehst du das?«

»Tut mir sehr, sehr leid. Das mach ich nicht noch mal, Papa.«

Matthias schüttelte den Kopf und legte seinem Sohn die Pfote auf die Schulter. »Matti, warum machst du so was? Du tust deiner Mutter weh, du tust mir weh, du tust all unseren Freunden weh. Du bringst sogar deine Spielkameraden in Schwierigkeiten. Warum?«

Mattimeo stand stumm da. Was wollten sie denn nur alle? Er hatte sich entschuldigt und gesagt, dass es ihm leidtäte. Und er würde so was wirklich nie wieder tun. Jess Eichhörnchen, seine Mutter, Konstanze, alle hatten ihn ausgeschimpft. Nun war sein Vater an der Reihe. Mattimeo wusste, sobald er auch nur eine Pfote aus der Haustür setzte, würde jemand, wahrscheinlich Abt Mordalfus, ihm eine weitere strenge Lektion erteilen.

Matthias musterte seinen Sohn aufmerksam. Hinter dem reumütigen Gesicht und den herabhängenden Schnurrhaaren spürte er eine schwelende Rebellion und eine Feindseligkeit gegenüber den Erwachsenen.

Matthias drehte sich zur Wand über dem Kamin um und nahm sein großes Schwert von den Haken. Dies war das Symbol seines Rangs als Krieger von Rotwall. Es war auch das Einzige, womit er die Aufmerksamkeit seines Sohnes komplett auf sich ziehen konnte. Matthias streckte die Waffe aus.

»Hier, Matti, mal sehen, ob du es schon schwingen kannst.«

Der junge Mäuserich nahm das große Schwert in beide Pfoten. Mit leuchtenden Augen betrachtete er den mit schwarzem Leder umwickelten Griff, den roten Edelstein im Knauf, das stabile Kreuzstück und die beeindruckende Klinge. Sie leuchtete hell wie ein Schneefeuer, die Schneiden waren so scharf und hart wie ein Schneesturm im tiefsten Winter und es lief so spitz zu wie ein Dorn.

Zweimal versuchte er, es über seinen Kopf zu schwingen. Doch es gelang ihm nicht, denn das Schwert war zu schwer.

»Fast, Vater. Ich kann es fast schwingen.«

Matthias nahm seinem Sohn die Waffe aus der Hand. Er hob sie mit einer Pfote hoch und ließ sie herumwirbeln, bis die wundervolle, tödliche Klinge die Luft mit ihrem Lied erfüllte. Er schwang sie rauf und runter und dann zur Seite, wobei sie bis auf Haaresbreite an Mattimeos Kopf herankam. Dann fuhr Matthias herum, schlug den Stiel von einem Apfel, halbierte das Brot, ohne den Tisch zu berühren, und befreite den Käse beinahe beiläufig von der Rinde. Schließlich drehte Matthias das Schwert kräftig herum, hob es zum Kriegergruß und stellte es dann mit der Spitze auf den Boden, wo es zitternd stehen blieb.

In den Augen seines Sohnes leuchtete Bewunderung für den Krieger von Rotwall.

Matthias musste unwillkürlich lächeln. »Eines Tages wirst du an meine Stelle treten, mein Sohn. Du wirst so groß und stark werden, dass du das Schwert schwingen kannst, und ich werde dich lehren, es wie ein echter Krieger zu führen. Aber es ist nur ein Schwert, Mattimeo. Du wirst nicht zum Krieger, nur weil du es trägst. Auch Tiere, die böse, unehrlich, brutal oder faul sind, können Waffen benutzen. Der wahre Krieger ist gut, sanft und ehrlich. Sein Mut kommt aus dem Inneren. Er lernt, seine Ängste und Missetaten zu besiegen. Verstehst du das?«

Mattimeo nickte.

Matthias wurde wieder streng. »Gut, das macht mich froh. Ich werde dir nicht die Ohren lang ziehen. Ich habe noch nie meine Pfote gegen dich erhoben und das wird sich auch jetzt nicht ändern. Allerdings hast du den kleinen Fitch angegriffen und dafür wirst du auf die eine oder andere Weise büßen müssen. Zuerst hatte ich mir überlegt, dir die Teilnahme an den Feierlichkeiten zu verbieten …«

Er sah das ungläubige Entsetzen auf dem Gesicht seines Sohnes und fuhr fort: »Doch ich habe beschlossen, dass du hingehen darfst, aber nur, wenn du sofort in die Küche läufst. Dort wirst du Bruder Hugo bitten, dir doppelt so viele Aufgaben wie Fitch gestern zu geben. Wenn du damit fertig bist, wirst du deiner Mutter beim Blumenpflücken helfen, bis sie dich von dieser Aufgabe befreit. Ist das klar?«

Mattimeos Gesicht verriet seine Fassungslosigkeit. Er, der Sohn des Kriegers von Rotwall, sollte arbeiten?! Noch nie hatte man ihn gebeten, geschweige denn ihm befohlen, irgendwelche Aufgaben in der Abtei zu erledigen. Der junge Mäuserich betrachtete sich als Nachfolger seines Vaters. Er würde dessen Pflichten übernehmen, daher war das Schrubben von Pfannen und Sammeln von Gänseblümchen unter seiner Würde. Sogar Konstanze wusste das. Sie hatte Fitch zur Schwerarbeit verurteilt, aber es nicht gewagt, den zukünftigen Helden zu zwingen, sich mit niederen Arbeiten die Pfoten schmutzig zu machen. Außerdem war Fitch bestimmt schon mit seinen Aufgaben fertig. Er würde schadenfroh zusehen, wie sein Feind doppelt so hart und mehr arbeiten musste.

Matthias beobachtete seinen Sohn. Dies war der Moment der Wahrheit. Würde er sich benehmen wie ein verzogener Knirps, der sein Leben lang von allen in der Abtei verwöhnt worden war, oder würde er Charakterstärke beweisen?

Der junge Mäuserich schluckte schwer und nickte. »Ich werde tun, was du sagst, Papa.«

Matthias klopfte ihm zufrieden auf den Rücken. »Gute Maus. Ein Krieger, der etwas lernen will, muss gehorchen. Dann mal los!«

Die Morgensonne zeichnete die Umrisse der hohen Fenster in sanftem Rosa auf den Sandsteinboden des Großen Saals, als Mattimeo auf dem Weg in die Küche dort entlangging. Er spürte, wie sich das Fell auf seinen Schultern leicht aufrichtete, so als würde ihn eine Bestie in seinem Rücken beobachten. Er drehte sich langsam zur Westwand um. Keine Bestie. Der Saal war leer, abgesehen von einem Bild von Martin dem Krieger, das in den Rotwall-Wandteppich eingelassen war. Mattimeo machte diese Erfahrung oft, wenn er sich in der Nähe des gewebten Stoffs befand. Er näherte sich ihm, bis er vor dem Abbild des glorreichen, gepanzerten Mäuserichs stand. Martin der Krieger sah groß und stark aus. Er hielt das berühmte Schwert mühelos in der rechten Pfote. Ein Lächeln stand auf seinem ehrlichen Gesicht und hinter ihm flüchteten die Bilder geschlagener Feinde voller Angst, als wollten sie aus dem Wandteppich entkommen. Der junge Mäuserich starrte seinen Helden bewundernd an. Er sprach zu Martin, ohne zu ahnen, dass sein Vater Matthias in seiner Jugend dasselbe getan hatte.

»Ich habe gespürt, dass du mich beobachtest, Martin. Ich bin auf dem Weg in die Küche, um Buße zu tun, aber das weißt du wahrscheinlich. Ich wollte meinen Eltern nicht den Gehorsam verweigern oder sie unglücklich machen. Das verstehst du doch, oder? Ich musste gegen Fitch kämpfen, weil er Dinge über meinen Vater gesagt hat. Er dachte, dass ich Angst vor ihm hätte, aber ich bin der Sohn eines Kriegers und ich konnte nicht zulassen, dass er meine Familie beleidigt. Wenn mein Vater die Wahrheit wüsste, würde er mich nicht bestrafen, aber na ja, er ist mein Vater. Ich kann ihm Dinge nicht richtig erklären. Bei dir ist das anders, Martin. Du verstehst, was in mir vorgeht.«

Mattimeo ging unruhig auf dem Steinfußboden auf und ab. Martins Gesichtsausdruck veränderte sich nie.

»Manchmal bist du wie mein Vater. Hör zu, es tut mir leid. Ich werde versuchen, ein besserer Mäuserich zu werden. Ich verspreche, dass ich keinen Kampf mehr anzetteln werde, dass ich mir keinen Ärger mehr einhandele und dass ich meinen Eltern keinen Kummer mehr bereiten werde.«

Er drehte sich um und schlurfte missmutig in Richtung Küche. Dabei murmelte er: »Ich wünschte, es gäbe wieder einen großen Krieg. Dann würde ich es allen zeigen. Ha! Sie würden sich über junge Mäuse freuen, die kämpfen können. Dann müsste ich keine Pfannen schrubben. Sie würden mir bestimmt einen Orden verleihen oder so.«

Das Lächeln im Gesicht des Wandteppichkriegers schien sanfter zu werden, als die reglosen Augen zusahen, wie die kleine, in eine Kutte gehüllte Gestalt die Stufen zum Höhlenloch hinunterging.

Bruder Hugo war der unbestrittene Herrscher der großen Küche von Rotwall. Er war die dickste Maus in der Abtei und trug eine weiße Schürze über der Kutte. Hugo hielt immer ein Ampferblatt im Schwanz, mit dem er sich Luft zuwedelte, über eine verbrannte Pfote rieb oder sich die Augen abschirmte, wenn er einen Blick in dampfende und blubbernde Töpfe warf. Mattimeo wartete auf seine Befehle, als Hugo die Listen durchging und seinen Helferstab einteilte.

»Hm, mal sehen, das sind sechs große Himbeerkerntorten. Wir brauchen vier mehr. Bruder Segge, nimm die Pfanne mit der Sahne vom Herd, bevor sie überkocht. Du kannst den geriebenen Muskat gleich unterrühren. Schwester Agnes, würfel bitte die kleinen Zwiebeln und streu die Kräuter in den Waldeintopf. Oh, was ist denn das? Zehn Flaschen kalter Erdbeerlikör. Das reicht doch nicht, wir brauchen doppelt so viel. Hier, junger Matti, geh in den Keller und füll weitere Flaschen aus den Fässern ab. Ambros Dorn ist da unten, du brauchst also keinen Schlüssel.«

Die Kochgerüche waren zwar verführerisch, trotzdem war Mattimeo froh, als er die heiße und hektische Küche verlassen konnte. Er salutierte zackig vor dem Bruder und lief los. Dabei wich er mit Tabletts, Töpfen, Tellern und Schüsseln beladenen Mäusen, Igeln und Eichhörnchen aus.

Im Keller der Abtei war es dunkel und kühl. Mattimeo überraschte den alten Ambros Dorn, ohne es zu wollen. Der Kellerwächter schüttete gerade Oktoberbier in eine Schale und blies den Schaum herunter, bevor er davon trank. Als er die Schnauze an die Schale hielt, sagte Mattimeo: »Entschuldigung, Vater Hugo sagte, ich …«

Der uralte Igel verschluckte sich und fuhr niesend herum, wobei er Mattimeo mit Bier vollprustete.

»Haaatschiii! Schleich dich doch nicht so an, junger Matti. Bleib bitte einen Moment stehen.«

Ambros trank die Schale aus. Er gewann seine Fassung zurück und warf einen Blick auf den Schaum am Boden seiner Probierschale. »Harr, herrlich! Aber ich muss schon sagen, dass niemand Oktoberbier so gut braut wie die Dorn-Familie. Also, was kann ich für dich tun, Maus?«

»Bruder Hugo sagt, ich soll ein paar Flaschen Erdbeerlikör abfüllen.«

»Oh, gut, die Fässer stehen im nächsten Raum«, erklärte Ambros. »Die rosa beschrifteten. Die Flaschen stehen an der Wand, wenn du reinkommst. Aber sei behutsam. Die kleinen Fässer mit Holunder- und Brombeerwein werden trüb, wenn man sie schüttelt.«

Als Mattimeo in den nächsten Raum trat, wurde er auch schon begrüßt.

»Psst, Matti, psst, hier hinten!«

Das waren Tim und Tess und Sam Eichhörnchen. Mattimeo ging auf Zehenspitzen zu ihnen.

»Was macht ihr drei denn hier unten?«

Tess Kirchenmaus unterdrückte ein Kichern. »Als Ambros gedöst hat, haben wir uns an ihm vorbeigeschlichen. Komm und trink kalten Erdbeerlikör mit uns. Der ist so lecker.«

Die drei hatten den Korken aus einem Fass gezogen, das auf der Seite lag. Sie benutzten lange, hohle Schilfrohre als Trinkhalme. Sie hielten sie in den Likör und tranken den prickelnden, eiskalten Erdbeersaft.

Tess gab Mattimeo einen Strohhalm. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und setzte sich zu ihnen.

Von kaltem Erdbeerlikör wird einem schlecht, wenn man zu viel davon trinkt. Das fanden Matti, Tess, Tim und Sam schnell heraus. Also legten sie sich hin und ruhten sich eine Weile aus. Dann halfen die beiden Kirchenmäuse und das junge Eichhörnchen Mattimeo beim Abfüllen der Flaschen, die sie dann gemeinsam in Richtung Küche trugen.

Ambros Dorn hob seine Schnauze aus einer Schale mit nussbraunem Bier, als sie durch seinen Keller gingen. »Hm, das ist ja komisch«, murmelte er. »Eben war nur einer hier.«

Bruder Hugo arbeitete nun ununterbrochen. Vor dem Fest gab es noch jede Menge zu tun.

»Du da, Willem Maulwurf, kannst du mir einen schönen mittigen Tunnel durch den großen Kürbis graben?«

»Hurr, is keen Problem, wenn’ch esse kann, was ich raushol.«

»Natürlich kannst du das. Ach, da bist du ja, junger Matti. Geh mit deinen Freunden zur Speisekammer. Ich brauche zwei kleine, mit Salbei gewürzte weiße Käse, zwei große rote Käse mit Bucheckern und Rosmarin und einen extra großen gelben Käse mit Eicheln und Apfelstücken. Seid vorsichtig, wenn ihr den großen gelben herrollt. Sonst werft ihr noch jemanden um oder macht Möbel kaputt.«

Die vier Kameraden stürmten davon. Dabei riefen sie fröhlich: »Hurra, wir dürfen den Käse rollen!«

Für einen so würdevollen Mäuserich sah Abt Mordalfus ganz schön lustig aus. Er steckte bis zu den Schnurrhaaren in frischer Sahne, kandierten Zesten, Nüssen und wilden Pflaumen.

Bruder Hugo staubte dem Abt im Vorbeigehen das Gesicht mit seinem Ampferblatt ab. »Ha, da bist du ja, Alf. Wie macht sich denn der besondere Kuchen des Rotwall-Abts?«

Der alte Mordalfus kaute nachdenklich auf einem Stück kandierter Zeste. »Danke, sehr gut, Hugo. Aber ich glaube, es fehlt noch etwas. Was meinst du?«

Hugo tauchte sein Ampferblatt in die Mischung und probierte den Teig. »Hm, ich verstehe, was du meinst, Alf. An deiner Stell würde ich etwas Waldbeerengelee hinzufügen, damit der Kuchen auch wirklich wie der eines Abts aussieht. Ein bisschen Schummeln schadet nie. Schließlich benutzt du ja das Rezept von Abt Saxus, aber alles ist Geschmackssache. Ja, mehr Waldbeeren, dann können wir das Rezept Abt Alfs Rotwallbeerenkuchen nennen.«

Der Abt wischte sich Mehl von den Pfoten und lächelte stolz: »Was für eine gute Idee. Oh, hallo Matthias, wohin bist du denn unterwegs?«

Der Krieger von Rotwall hatte zwei Angelschnüre und Köder dabei. Er wich zwei Maulwürfen aus, die mit einem Karren voller dampfender Blaubeermuffins vorbeiliefen, und rief: »Habt Ihr vergessen, dass wir im Abteiteich angeln gehen wollten, um das Hauptgericht des Abends zu fangen?«

Mordalfus schlug sich mit einer mehlverstaubten Pfote an die Stirn. »Meine Güte, das stimmt. Ich bin gleich bei dir, mein Sohn.«

Matthias warf einen Blick auf das geschäftige Treiben. »Bruder Hugo, hast du Mattimeo gesehen?«

»Das habe ich, Matthias. Der kleine Kerl unterstützt mich sehr. Haha, ich habe ihn und seine Freunde gebeten, die Käse herzurollen. Damit sollten sie eine Weile beschäftigt sein. Konstanze Dachs ist als Einzige stark genug, um einen großen gelben Käse herzurollen. Ich habe ihnen trotzdem gesagt, dass sie das tun sollen, haha. Das würde ich gern sehen.«

Matthias zwinkerte ihm zu. »Freu dich nicht zu früh, Hugo. Ich habe Neuigkeiten, die dir das Lächeln aus den Schnurrhaaren vertreiben werden. Basil Hirsch Hase ist gerade angekommen. Ich habe ihn vor nicht mal einer Minute durch das Haupttor eingelassen. Er sagt, dass er lange über die Westebene patrouilliert ist und seit drei Sonnenaufgängen nichts Anständiges mehr gegessen hat. Oh, er sagte auch, er hätte sich selbst zum offiziellen Vorkoster ernannt.«

Matthias und Abt Mordalfus verließen überstürzt die Küche. Bruder Hugo machte diese Nachricht sprachlos, aber nur einen Moment lang. Dann schwoll sein kleiner dicker Körper vor Empörung fast bis zum Bersten an. Als die beiden durch den Großen Saal eilten, hörten sie Hugos entrüstetes Quieken.

»Was? Niemals! Ich werde nicht zulassen, dass sich irgendein pensionierter Regimentsvielfraß in meiner Küche vollstopft. Oh nein! Dieser dürre Schaumschläger würde uns noch vor Sonnenuntergang die Speisekammer und den Vorratsraum leer fressen. Und bei meinem Fell, was, wenn er sich mit Ambros Dorn trifft und sie sich durch die Fässer probieren? Wir werden die Kleinen bitten müssen, sich die Ohren zuzuhalten, wenn die beiden anfangen, ihre Kasernenballaden und Waldliedchen zu singen. Ach, meine Nerven, ich glaube, das halte ich nicht aus.«

Kornblume und Frau Kirchenmaus trugen einen Rosenstrauß durch die Abtei. Die Blüten hatten viele verschiedene Farben, von Weiß und Gelb bis hin zu Lila, Rosa, Rot und Purpur. Auf einmal tauchte ein schlaksiger alter Hase mit bunt gesprenkeltem Fell vor den beiden Mäusen auf und nahm ihnen die Last ab.

»Wenn ich darf, meine Damen? Dass zwei hübsche junge Dinger wie ihr dieses Gebüsch mit euch herumschleppen müsst, spottet doch jeder Beschreibung, nicht wahr?«, sagte er galant. »Basil Hirsch Hase, stets zu Diensten. Hm, ach, rieche ich da etwa Kochgerüche? Ha, der gute alte Hugo braut da wohl etwas Leckeres zusammen, denke ich. Würde es euch furchtbar viel ausmachen, wenn ich euch beiden Schönheiten diese lieblichen Rosen zurückgeben würde? Sie stehen euch ganz wundervoll. Ich muss mich nun meinen Nachforschungen widmen. Bis bald, wenn’s gefällt. Cheerio!«

Kornblume und Frau Kirchenmaus krümmten sich vor Lachen, als der alte Hase auf Bruder Hugos Küche zustürmte.

»Oh, hahahehe! Der gute alte Basil, ohohoho! Gleich fliegt Fell durch die Küche. Hahaha hohoho!«, keuchte Kornblume.

»Hehehe! Au, meine Rippen, hast du gesehen, wie er die Rosen fallen gelassen hat, als er das Essen gerochen hat? Haha, dieser Kerl ist wirklich ein wandelnder Schlund«, kicherte Frau Kirchenmaus.

Der Steigerwurf und seine Mannschaft sahen aus der Backgrube, die sie gerade aushoben, auf. Sie wischten sich die Pfoten am Fell ab und schnäuzten sich den Dreck aus der Nase. Dann lachten sie und klopften sich gegenseitig auf den Rücken.

»Hohurr hurr, ich hab noch nie so was Hungrigs geseh’n, net übber un’ net unner de Erd. De Brud’r wird ’em ganz schö’ eens middem Löffel hinner de Löffel geb’n, hurrhurr.«

Die Geräusche und das Gelächter der geschäftigen Tiere vermischten sich mit dem Rauch des Holzes und der Kochgerüche, während der sonnige Nachmittag in einen warmen, windstillen Abend überging. Die roten Sandsteinwände der Abtei färbten sich im Sonnenuntergang rosarot und goldene Staubkörner trieben träge an ihnen entlang.

6

Slagar zog Kostüme aus dem bunt angemalten Karren und warf sie den entsprechenden Künstlern seines Zirkustrupps zu.

»Flohrücken, Dickauge, Hautpfote, ihr schlagt die Saltos. Teilt das zwischen euch auf.«

»Aber Chef …«, beschwerte sich Flohrücken.

»Es wird nicht genörgelt, verstanden!«

»Hier, gebt mir mal die gelben Pfotensocken.«

»Die kannst du haben, die sehen dämlich aus.«

»Sie sollen dämlich aussehen, Dummkopf«, erklärte Slagar. »Ich sagte, es wird nicht genörgelt. Komm her, Haarbauch. Du wirst balancieren. Probier das mal an. Ach, und vergiss nicht, den Ball mit der klebrigen Seite auf die Nase zu setzen, sonst fällt er runter. Mal sehen, wie dir das steht.«

»Manno, Chef, ich musste schon letztes Mal balancieren. Kann ich dieses Mal nicht die Tricks mit dem Seil machen?«

»Nein, kannst du nicht. Das macht Warzenklaue, er ist der Beste.«

»Ich hab jetzt schon keine Lust mehr«, knurrte Haarbauch. »Die Tunika passt mir nicht. Außerdem kann ich nicht singen.«

Slagar sprang mit gezogenem Dolch auf das arme Wiesel zu. »Du wirst bestimmt richtig schön singen, wenn ich dir mit der Klinge die Augäpfel kitzele. Hört alle zu, wenn sich noch einer beschwert, werf ich euch zurück auf die Straße, wo ihr hergekommen seid. Dann könnt ihr wieder als Landstreicher und Bettler verhungern. Was anderes wart ihr ja nicht, bevor ich euch zu richtigen Sklavenhändlern ausgebildet habe. Kapiert?«

Seine Anhänger murmelten eingeschüchtert. Slagar ließ den Dolch fallen und griff nach einem Schwert. »Ich habe gefragt, ob ihr das kapiert?«

Dieses Mal stießen alle ein lautes »Ja!« hervor. Die Seidenmaske blähte sich bereits heftig bei jedem Atemzug, was auf Slagars zunehmende Verärgerung hinwies.

Haarbauch begriff das etwas langsamer als die anderen. Ihn störte es immer noch, dass er balancieren sollte. »Aber das ist nicht fair, Chef«, meldete er sich zu Wort. »Ihr steht morgen doch nur rum, während wir die ganze Arbeit machen.«

Slagar schien ihn im ersten Moment zu ignorieren. Er drehte sich zum Karren um und zog einen weiten Seidenumhang heraus. Er hatte das gleiche Muster wie seine Kopfbedeckung. Das Innenfutter bestand aus schwarzer Seide, die mit goldenen und silbernen Mond- und Sternsymbolen verziert war. Er warf ihn sich gekonnt über die Schultern und sprang elegant auf eine Kirchenbank. Dann breitete Slagar theatralisch die Pfoten aus.

»Ich werde Lunar Stellaris sein, Licht und Schatten, hier und da so wie der Nachtwind. Ich werde über allem stehen. Der Herr vom Bergufer, mal seht ihr mich …« Er ließ sich hinter die Bank fallen und rief: »Mal nicht.«

Die Zuschauer streckten den Hals, um herauszufinden, wo er sich versteckte. Doch Slagar war nicht hinter der Bank.

Plötzlich, wie durch Magie, tauchte er zwischen seinen Anhängern auf. Direkt neben Haarbauch.

»Haha, Lunar Stellaris, Herr über Licht und Schatten. Aber für die, die mir den Gehorsam verweigern, bin ich Slagar der Grausame, Herr über Leben und Tod.«

Bevor Haarbauch auch nur blinzeln konnte, durchbohrte Slagar ihn mit seinem Schwert. Das tödlich getroffene Wiesel starrte Slagar verblüfft und fassungslos an. Dann sah es das Schwert, das aus seinem Oberkörper ragte. Es taumelte und sein Blick wurde stumpf.

Slagar lachte boshaft und brutal. »Bringt diesen Narren zum Sterben nach draußen. Er soll hier nicht alles vollbluten. Wenn einer von euch Nichtsnutzen sich zu ihm gesellen will, muss er’s nur sagen!«

Als am Morgen des Fests in Rotwall die Sonne aufging, war es neblig. Abt Mordalfus und Matthias waren seit dem vorherigen Nachmittag mit Angeln beschäftigt. Da sie am Tag wenig Glück gehabt hatten, hatten sie beschlossen, weiterzumachen, bis sie etwas fingen. Es war schließlich Tradition, dass ein Fisch aus dem Abteiteich die festliche Tafel zierte. In früheren Jahren war es ihnen gelungen, Äschen an Land zu ziehen, doch in diesem Jahr gab es nicht viele. Aus Achtung vor den Äschen hatten sie zwei besonders große Exemplare wieder vom Haken gelassen und beharrlich bis in die Nacht hinein geangelt. In der Stunde vor Sonnenaufgang hatten sie endlich einen mittelgroßen Karpfen gefangen. Es war ein beeindruckender Kampf. Das kleine Boot war durchs Wasser gezogen worden, durch Binsen gebrochen und über Untiefen geschlittert. Mordalfus war eine erfahrene Fischermaus und erinnerte sich an die Zeit, als er noch einfach nur Bruder Alf gewesen war, der Hüter des Teichs. Er setzte all seine Fähigkeiten und List ein. Dank Matthias’ starken Pfoten war es ihnen schließlich gelungen, den Karpfen niederzuringen, der abtauchte und zog, sprang und sich zurückzog, bis sie ihn schließlich ins seichte Wasser getrieben und ihm mit dem Boot den Weg versperrt hatten, sodass er am grasigen Ufer gestrandet war.

Kriegsschnabel, die Spazza-Königin, war an diesem Tag schon früh auf. Sie weckte den Spatzenstamm, der unter dem Dach der Abtei lebte, als sie die Aktivitäten am Teich bemerkte.

»Kriegsschnabel sagen, Spazza helfen Matthias und alte Abtmaus.«

Matthias und Mordalfus freuten sich über die Unterstützung. Sie waren müde, nass und hungrig und saßen schwer atmend am Ufer.

»Kriegsschnabel, puh! Ich bin so froh, dass ihr hier seid.« Matthias begrüßte seine gefiederte Freundin und ihren Stamm. »Der Abt und ich sind völlig erledigt. Was hältst du von unserem Fisch?«

Der wilde kleine Vogel breitete die Flügel aus. »Viel gross Fischwurmer, Freund Matthias. Meine Krieger bringen zu Fettmaus Bruder, er brennen Fisch gutt gutt. Spazza mogen Fischwurm. Wir essen viel viel bei große Wurmzeit.«

Die Spazza zogen den Karpfen in Richtung Küche. Abt Mordalfus wandte sich lächelnd Matthias zu. »Unsere Spatzenverbündeten sind wirklich gute Freunde, auch wenn ich nicht verstehe, warum sie ständig über Würmer reden. Ich würde zu gern Hugos Gesicht sehen, wenn Kriegsschnabel ihm sagt, er soll den Fischwurm gutt brennen.«

Matthias schüttelte Wassertropfen von seinen Pfoten. »Sie reden einfach so, Abt. Manchmal frage ich mich, ob die Maulwürfe oder die Spatzen schwerer zu verstehen sind.«

Mordalfus warf einen Blick nach oben. Die Sonne durchbrach den Nebel und tauchte die Welt von Moosblume in ein rosa Licht. Ein heißer Hochsommertag kündigte sich an. Die Glocken im Turm der Abtei läuteten fröhlich und forderten die Bewohner von Rotwall dazu auf, sich zu erheben und den Tag zu genießen.

Konstanze, die Dächsin, schlenderte am See entlang und zog das Boot mit einer kräftigen Tatze an Land. »Uff! Das wird heute brütend heiß«, bemerkte sie. »Aber Tim und Tess sind trotzdem hellwach. Hört mal, wie kräftig sie die Methusalem- und die Matthias-Glocke läuten. Wir dürfen den Tag jedoch nicht verschwenden. Es gibt noch viel zu tun, bevor wir heute Abend feiern können.«

Matthias gähnte und streckte sich. »Also ich mache erst mal ein Nickerchen und nehme ein Bad. Du weißt schon, dass der Abt und ich seit gestern Mittag in diesem Boot gesessen haben? Wir haben die ganze Nacht geangelt, richtig, Mordalfus?«

Konstanze hielt sich eine Tatze an die Lippen. »Psst, er ist eingeschlafen. Der gute alte Alf.«

Der Abt hatte sich im Ufergras zusammengerollt und schniefte leise vor sich hin. In seinen Träumen rang er wohl immer noch mit dem Karpfen.

Matthias lächelte und tätschelte seinem alten Freund sanft die Schulter. »Ach ja, Alf. Ich weiß noch, wie er mich zum ersten Mal mit auf den Teich nahm. Wir haben damals eine Äsche gefangen. Hm, damals war ich sogar noch jünger als mein Sohn heute. Wir werden eben im Verlauf der Jahreszeiten alle nicht jünger.«

»Ich jedenfalls nicht«, schniefte die Dächsin. »Und Alf auch nicht. Aber bei dir bin ich mir nicht so sicher, Matthias. Manchmal frage ich mich, ob du überhaupt alterst. Ruh dich jetzt aus, ich kümmere mich um unseren angelnden Abt.«

Konstanze legte sich den schlafenden Mordalfus auf den breiten Rücken und trottete in Richtung der Abteischlafsäle davon.

Auf dem Weg zum Torhaus entdeckte Matthias Kornblume und Mattimeo, die Blumenkörbe und Gartenmesser dabeihatten. Er winkte ihnen zu. »Wir haben einen schönen Karpfen gefangen. Ich muss jetzt schlafen und baden.«

Kornblume machte eine Schleife in die Schnüre ihres Häubchens. »Freut mich, dass du einen guten Fisch gefangen hast, Schatz. Dein Frühstück steht auf dem Tisch. Wir sehen uns später. Mattimeo ist so lieb, weißt du? Er hat versprochen, mir den ganzen Tag zu helfen.«

Matthias zwinkerte seinem missmutigen Sohn fröhlich zu. »Was für einen tollen Jungen wir doch haben, Kornblume. Ich bin mir sicher, dass das seine Idee war.«

Als die Morgensonne höher stieg, erwachte Rotwall zum Leben. Eine Gruppe junger Igel und Eichhörnchen sang fröhlich vor sich hin, während sie Brennholz, feuchtes Gras und flache Steine zur Backgrube brachten. Die Maulwürfe verpassten ihr gerade den letzten Schliff.

»Grab de Seit’n schön grad, Schorsch. Gaffer, klopp de Bode’ gut fest.«

»Yurr, behalt deen Rat für dich, Lehmhund. Ich wees, was ich tu.«

»Ho urr, abbe biste sicha, dass de Grub tief genug is?«

»Gurr, frag de Brud’r, obber deen Kopp ’ne Weel’ kocht, Wurzer. Villeech’ kochter dir ’n bissi Verstan’ nee.«

Bruder Hugo ging einige Male um den Fisch herum und tupfte ihn mit seinem Ampferblatt ab.

»Hm, ich habe schon lange keinen Karpfen mehr gebacken. Bruder Tragg, bring mir Lorbeerblätter, Dill, Petersilie und Kastanienflocken. Oh, und vergiss den Heißwurzelpfeffer und die Sahne nicht, jede Menge Sahne.«

Eine Otterin, die in der Nähe des Karpfens stehen geblieben war, leckte sich über die Lippen, als sie hörte, welche Zutaten in die Soße kamen. »Wie wäre es mit ein paar Wasserkrabben zum Garnieren, Bruder?«, schlug sie vor. »Die wären bestimmt lecker.«

Der fette Mäuserich vertrieb sie mit seinem Ampferblatt. »Verschwinde, Winifred. Ich habe jede Schuppe an diesem Fisch gezählt. Wenn du Wasserkrabben haben willst, brauche ich mindestens zwei Netze voll, damit ich ihn vernünftig garnieren kann.«

Die Bienen waren in diesem Sommer der Goldenen Ebene ganz besonders produktiv und nett. Es gab sehr viel Honig. Er tropfte zähflüssig und glänzend von den symmetrischen Waben. Jess Eichhörnchen und ihr Sohn Sam verstauten ihn in drei flachen Fächern. Eichhörnchen liebten den klaren, flüssigen Honig. Aus dem Keller hörte man schiefen Gesang, Basil Hirsch Hase mit seinem zitternden Sopran und Ambros Dorn mit seinem rauen, dunklen Bass.

»Oh, was hilft, wenn ich mich nicht gut fühle?

Des Oktoberbiers und des Weines Kühle.

Ich töte ’nen Drachen, das würd ich machen.

Ich such ’n Wiesel, bewerf’s mit Kiesel.

Ich würg ’ne Schlange, bis sie is steif wie ’ne Stange.

Und alles nur für mein geliebtes nussbraunes Bier …

Nuuusssbrauuuuuneeeess Biiiiiiieeeer!«

Über ihnen im Gemüselager wies Frau Lettie Rötelmaus ihren Sohn Klein-Rollo zurecht. Er hatte die Worte auf seine Art gelernt und grölte sie laut und gurgelnd mit.

»Is würg ’ne Slange, bewerf sie mit Kiesel,

Ich töte ’nen Drachen und geb ihm Wiesel …«

»Klein-Rollo, hör sofort auf! Halt dir die Ohren zu und hilf mir mit dem Salat.«

»Is slag ’ne Schlange mit ’nem alten Steinkuchen …«

»Rollo! Geh raus spielen und hör dir nicht mehr diese schrecklichen Lieder an. Drachen erwürgen und Bier hinunterschütten … wo soll das noch hinführen?«

Mattimeo fand heraus, dass Rosen spitze Dornen besaßen. Zum zweiten Mal an diesem Tag lutschte er an seiner Pfote und zog den Dorn mit den Zähnen heraus. Tim Kirchenmaus war mit den Ottern losgezogen, um Krabben zu fangen, aber Tess war aus Mitleid mit dem Kriegersohn dageblieben.

»Hier Matti, du stapelst die Körbe für deine Mama auf den Karren. Ich sortiere die Rosen für dich. Die sind ja ganz durcheinander.«

Mattimeo zwinkerte ihr dankbar zu. »Danke, Tess. Ich kann mit Blumen so wenig anfangen wie ein Maulwurf mit Flügeln. Ich hätte nicht gedacht, dass die Arbeit so schwer ist.«

»Wieso hast du dich dann freiwillig gemeldet?«

»Hab ich nicht«, erklärte er. »Mein Papa hat gesagt, ich müsste das zur Strafe machen, weil ich mich doch mit Fitch geprügelt hab.«

Tess stampfte mit einer Pfote auf. »Ach, die kleine Ratte. Das ist so gemein. Er hat dich provoziert. Guck mal, er steht da hinten am Tisch und lacht dich aus.«

Mattimeo sah, dass Fitch faul an einem Tisch lehnte. Er grinste höhnisch und streckte dem jungen Mäuserich die Zunge heraus.

Mattimeo wurde wütend. »Dem geb ich gleich Grund zum Zunge-Rausstrecken«, murmelte er leise. »Ich werd ihm die Kehle zudrücken, bis sie für immer draußen bleibt.«

Tess tat ihr Freund leid. »Beachte ihn nicht, Matti. Er will nur, dass du dir wieder Ärger einhandelst.«

Es fiel Mattimeo schwer, Fitch zu ignorieren. Der Rätterich hielt sich gerade die Pfote an die Schnauze und wackelte vor seinem Feind damit.

Der junge Mäuserich stellte den letzten Korb ab. »So, es reicht. Ich kann seine Beleidigungen nicht mehr ertragen.«

Tess drängte sich rasch an Mattimeo vorbei und lief auf Fitch zu, der immer noch Grimassen zog. Die junge Kirchenmaus griff wütend nach dem erstbesten Gegenstand, der ihr in die Pfoten fiel: ein abgeschnittener Rosenstiel. Sie lief auf Fitch zu und rief hastig: »Pass auf, Fitch, auf deinem Schwanz sitzt eine große Wespe. Halt still, ich kümmere mich darum!«

Fitch wurde von Tess’ Warnruf so überrumpelt, dass er sofort gehorchte. Er drehte sich um und beugte sich leicht vor, damit sie an das aufdringliche Insekt herankam. Allerdings gab es hinter Fitch keine Wespe.

Tess schwang den Rosenstiel. Ihre Wut überraschte sie, aber sie konnte die Rosenpeitsche nicht mehr bremsen. Sie traf hart und schnell auf Fitchs ungeschütztes Hinterteil.

Zisch, krach!

»Jaaaaauuuuuuulllll!« Der Rätterich wurde stocksteif, sprang hoch in die Luft und rieb sich mit beiden Pfoten über den quälenden Stich.

Kornblume eilte herüber. »Oh nein, das arme Ding. Was ist denn passiert, Tess?«

Die kleine Kirchenmaus gab sich völlig unschuldig, was sie natürlich nicht wahr. Mit hochrotem Kopf stammelte sie eine Ausrede. »Oh nein. Auf Fitchs Hinterteil saß eine Wespe. Ich konnte sie nicht rechtzeitig vertreiben. Sie hat ihn bestimmt gestochen.«

Fitch warf sich auf dem Gras hin und her. Tränen flossen über seine Wangen, während er sich wie wild das schmerzende Hinterteil rieb.

Kornblume war ernsthaft besorgt. »Ach, du armes Ding. Reib das nicht, du machst es nur schlimmer. Geh zu Schwester Mai in die Infirmerie. Sie wird dir eine Kräutersalbe auftragen. Tess, führ ihn bitte hin.«

Fitch kam schluchzend hoch, schlug Tess’ angebotene Pfote aus und lief davon.

Tess wandte sich an Mattimeo. »Ach, der arme Fitch. Das tut bestimmt sehr weh«, sagte sie zuckersüß.

Mattimeo fiel es schwer, ernst zu bleiben. »Das glaube ich auch. Es muss schlimm sein, von einer Kirchenmaus, äh, Wespe ins Hinterteil gestochen zu werden.«

Kornblume legte beiden die Pfote auf die Schulter. »So ist es. Geht jetzt spielen. Hier gibt es vielleicht noch mehr Wespen. Ich will nicht, dass ihr auch noch gestochen werdet.«

»Komm, Matti, helfen wir Tim und den Ottern beim Krabbenfang«, schlug Tess vor.

»Gut. Dann laufen wir um die Wette dorthin. Eins, zwei, drei. Los!«

Kornblume schirmte ihre Augen mit der Pfote ab, während sie den beiden nachsah. »Was für ein fröhliches junges Pärchen«, sagte sie laut.

Frau Kirchenmaus ging gerade mit einem Strauß aus Stiefmütterchen und Dotterblumen an ihr vorbei. »Ja, aber achte auf deinen Matti. Er lässt Tess bestimmt gewinnen, weil er sie so gernhat.«

»So soll es ja auch sein«, nickte Kornblume und lächelte.

7

Es war später Nachmittag auf dem Gemeindeland hinter Sankt Ninian. Slagar hatte seine Sklaventreiber antreten lassen. Das Wiesel Dreiklaue und das Hermelin Dickauge waren zusammen mit der abgerissenen kleinen Sklavengruppe im Inneren der Kirchenruine geblieben. Die Sklaven hatte man zusammen an eine lange Kette gefesselt. Sie sollten dort auf die Rückkehr von Slagar und den anderen in dieser Nacht warten.

Nun musterte der Listige seine Truppen. Sie hatten sich als herumreisende Zirkusartisten verkleidet. Keiner von ihnen wirkte bösartig, darauf hatte Slagar geachtet. Jedem Frettchen, Hermelin oder Wiesel hatte er mit Beerensaft und Pflanzenfarbe ein albernes Grinsen aufs Gesicht malen lassen und alle trugen lustige, sackartige Kleidung. Der Fuchs ging an der Reihe entlang, zupfte hier an einer Rüsche und rückte da eine falsche rote Nase zurecht.

Slagar der Grausame hatte sich als der Herr vom Bergufer verkleidet. Er wirkte weder lustig noch amüsant. Dank seiner Maske und dem Umhang aus gemustertem Samt, der bei jeder Drehung das schwarze Innenfutter mit den Mond- und Sternmotiven enthüllte, umgab ihn eine mysteriöse Aura.

»Hört mir gut zu. Werft all eure Waffen weg. Sofort!«, knurrte er warnend und gefährlich ruhig.

Alle traten nervös von einer Pfote auf die andere. Die Sklavenhändler wollten die Abtei nicht ohne Waffen betreten.

Slagar ging erneut an den Reihen entlang. »Letzte Chance. Wenn ich euch befehle, die Waffen fallen zu lassen, dann meine ich das ernst. Bei meiner nächsten Runde werde ich euch durchsuchen. Jeder, der dann noch eine Waffe trägt … und mir ist es egal, wer das ist … wird von mir damit getötet. Ich werde ihn aufschlitzen, und zwar gleich hier. Also werft eure Waffen weg!«

Es klirrte laut. Messer, Haken, Schwerter, Würgeschlingen, Dolche und Äxte fielen zu Boden wie ein unerwarteter Regenguss im April.