Regina Mars Collection 2 - Regina Mars - E-Book

Regina Mars Collection 2 E-Book

Regina Mars

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Beschreibung

Die Regina Mars Collection 2 enthält diese drei Gay Romance-eBooks: SONNENGEKÜSST Eine goldige Frohnatur wie Sunny hat keine Feinde. Eigentlich. Na ja, vielleicht gibt es jemanden, den er ein ganz klein wenig blöd findet: Luca, den Kapitän der Fußballmannschaft, dessen einziges Hobby Brüllen zu sein scheint. Dass Luca Sunny für einen erbärmlichen Waschlappen hält, macht die Sache nicht besser. Sie sind viel zu verschieden, um je Freunde zu werden. Leider werden sie Stiefbrüder. Und Sunny findet heraus, dass sie mehr gemeinsam haben, als er dachte. Sehr viel mehr. Ist ihre Patchworkfamilie vielleicht doch ein Glücksfall? Ist sein nerviger Stiefbruder netter als es scheint? Mag sein, aber Sunny wird sich ganz bestimmt nicht in ihn verlieben. Nie. Auf gar keinen Fall. EHEBRECHER Liebe passt nicht in seine Pläne. Seit seine Adoptivmutter starb, ist es Gabriels einziger Lebensinhalt, ihr Vermögen zusammenzuhalten. Bis Vin in sein Leben tritt. Der ist der Bruder der Betrügerin, die Gabriels Bruder heiraten will: tätowiert, muskulös, gefährlich ... und unglaublich heiß. Außerdem haben sie ein gemeinsames Ziel, also steht einer Zusammenarbeit nichts im Wege, oder? Vin muss verhindern, dass seine Schwester nur des Geldes wegen einen windigen Volksmusik-Moderator heiratet. Selbst, wenn dessen Bruder aussieht wie ein Superschurke und Vin schon immer eine Schwäche für Superschurken hatte. Aber vielleicht kann Gabriel ihm helfen, die Ehe zu verhindern? Und vielleicht können sie eine harmlose, kleine Affäre miteinander haben? Doch wenn Gabriel und Vin beteiligt sind, bleibt nichts harmlos oder klein. Und schon bald sind sie gefangen in einem Wirbelsturm aus Intrigen, Mordanschlägen und der größten Gefahr von allen: der Liebe. SEXY VERSAGER Ben, mürrisch, hochintelligent, Jahrgangsbester seines Chemiestudiums, ist ein Versager. Marek, sein gutaussehender Konkurrent, auch. Außerdem können sie sich nicht leiden, was weniger an ihnen selbst liegt als an ihrer schwierigen Vergangenheit. Allerdings haben sie, abgesehen von ihrem Callcenter-Job, noch ein gemeinsames Problem: Sie sind schlecht im Bett. Können sie sich gegenseitig helfen? Kann aus Abneigung Liebe werden? Oder ist alles, was Ben und Marek anfassen, zum Scheitern verurteilt? Alle Storys enthalten M/M-Erotikszenen und alberne Witze. Das ist keine Warnung, sondern ein Versprechen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Regina Mars Collection 2
*** SONNENGEKÜSST ***
Begegnung im Schnee
Frühling der Liebe
Abendessen zu fünft
Rauf oder runter
Sieger nach Punkten
Prinzessin im Turm
Freund in Not
Gefährlich bis lebensgefährlich
Angst und Schrecken
Wenn und Aber
Treffen im Dunkel
Erkenntnis am Morgen
Anders aber besser
Küsse im Sonnenschein
Gefahr der Entdeckung
Spaß am See
Fast zu spät
Traum und Realität
Feier mit Überraschungen
Flucht in die Nacht
Hand in Hand
Bereit oder nicht
Mutter gegen Sohn
Vorfreude und Nachglühen
Gefahr im Verzug
Kopf an Kopf
Fahrt zur Hölle
Allein unter Freunden
Erwachen ohne Gnade
Lug und Trug
Geist der Nacht
Falsch aber unaufhaltsam
Müde und mutlos
Sicher und verzweifelt
Hilfe von unten
Endspiel mit Familie
Ruhe nach dem Sturm
Sieg der Herzen
Friede und Freude
Epilog
*** EHEBRECHER ***
Prolog
Date
Séance
Vertragsverhandlung
Familienzusammenführung
Begegnung
Hausbesuch
Kammerkonzert
Sendung
Konfirmationsfeier
Trauerfeier
Meeting
Schenkung
Vorbereitung
Casting
Fahrt
Aussprache
Spätschicht
Krankenbesuch
Pause
Verdacht
Suche
Hochzeitsfeier
Wiedersehen
Countdown
Ferien
Epilog
*** SEXY VERSAGER ***
Die Abenteuer von Bengalo Stutenknaller
Brötchen verdienen
Jute Jecken
Wettsaufen
Äh …
Reue, zu spät
Party!
Schlechter Sex
Mehr schlechter Sex
Gemeinsam
Notruf
Wettrennen
Gute Taten
Romantik
Ein schwerer Gang
Sonntagsessen
Böller bauen
Kallenbroich
Spazierengehen
Märzen-Anstich
Nachwirkungen
Aufwärts
Mareks neues Leben
Drei Worte
Friedlich

Regina Mars Collection 2

Impressum

 

Regina Mars Collection 2

Text Copyright © Regina Mars

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.

Regina Mars

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

Alle Rechte vorbehalten

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

*** SONNENGEKÜSST ***

Begegnung im Schnee

 

Ja, das war er.

Luca Wolf. Kapitän der Fußballmannschaft. Ein Meter achtzig pure Wut und jemand, der nie sprach, sondern stets aus vollem Halse brüllte. Gerade lag er allerdings bäuchlings im Schnee, alle viere von sich gestreckt.

Sunny beobachtete ihn unschlüssig. Lebte der Kerl noch? Ja, seine Nasenflügel weiteten sich und weiße Flocken stoben in einer Dampfwolke auf. Immerhin. Der Rest von Lucas muskelbepacktem Körper war leider vollkommen regungslos.

Eisiger Wind zerrte an Sunnys Locken, während er überlegte, was er tun sollte. Fröstelnd blickte er sich um. Niemand war zu sehen, nicht auf dem zertrampelten Weg und nicht im Rest des kleinen Parks mit den schlanken Fichten. Weit und breit nur Schnee.

Der merkt doch gar nicht, dass du weitergehst, flüsterte eine leise Stimme in Sunnys Ohr. Sofort hatte er ein schlechtes Gewissen. Klar, er hatte Angst vor dem Kapitän, aber er konnte ihn nicht einfach hier liegenlassen.

Vorhin, in der Grillhütte, hatte das Fußballteam drei Fässer Bier und fünf Flaschen Wodka geleert. Und Luca war mittendrin gewesen, stets mit mindestens einem Pappbecher in der Hand. Selbst wenn er lachte, brüllte er. Er brüllte, sobald er den Mund aufmachte.

Irgendwie war er immer wütend. Was auch der Grund war, warum Sunny sich nicht traute, ihn zu wecken. Er rechnete damit, einen Hieb auf die Nase zu bekommen, sobald er sich zu Luca herunterbeugte.

Konnte er sich überhaupt noch bewegen? Der Kerl musste kurz vor einer Alkoholvergiftung stehen. Zumindest roch er so. Der klare Geruch des Winters mischte sich mit dem Gestank nach abgestandenem Bier und der ging eindeutig von Luca aus.

Sunny ballte die Hände zu Fäusten und stupste dem anderen Jungen mit dem Fuß gegen den Oberarm. Der rührte sich nicht.

»Hey«, sagte Sunny. »Kannst du mich hören?«

Ein unwilliges Brummen. Lucas schmale Lippen verzogen sich. Er sieht echt aus wie ein Wolf, dachte Sunny. Nein, wie ein Dobermann. Als würde er einem gleich an die Kehle springen. Kräftig genug war er auf jeden Fall. Er hatte die breitesten Schultern der ganzen Stufe.

»Du musst aufstehen«, versuchte Sunny es erneut und bemühte sich, freundlich und vertrauenswürdig zu klingen. »Es ist kalt. Wenn du hier liegen bleibst, erfrierst du.«

Luca murmelte irgendetwas in den Schnee.

»Was?« Sunny beugte sich nun doch zu ihm herunter.

»Hau ab«, nuschelte Luca.

Sunny seufzte.

»Ich kann nicht.«

»Wso?« Lucas Stimme schwankte zwischen Brabbeln und Lallen.

»Wenn ich dich allein lasse, stirbst du vielleicht.«

»Na und?« Luca öffnete ein Auge. Das linke, graue. Dass er verschiedenfarbige Augen hatte, ließ ihn nur noch gruseliger aussehen.

Er blieb liegen. Schloss das Auge wieder. Und Sunny hatte zu viel Angst, um ihn wachzurütteln. Stattdessen zog er sein Handy aus der Manteltasche und rief Alex an.

»Ja?« Wummernde Musik untermalte Alex' Stimme. Alex' wunderschöne Stimme. Sunny schluckte. Er war also noch in der Grillhütte, in der Chantal ihren Geburtstag feierte. Und wahrscheinlich hatte er Alex gerade beim Knutschen mit Chantal unterbrochen.

»Hey! Ich brauch die Nummer von Lucas Eltern«, sagte Sunny fröhlich. »Hast du die?«

»Die Nummer von … Was willst du denn damit?«

»Ich … hab ihn gefunden. Auf dem Heimweg.«

»Was? Gefunden?« Alex zögerte. »Ist er tot?«

»Ne, sturzbesoffen. Ich habe eben nicht mal mitbekommen, dass er gegangen ist. Dachte, er ist immer noch bei den Fußballern und säuft. Und jetzt liegt er hier und will nicht aufstehen.«

»Lass ihn doch liegen.« Alex schnaubte. »Er ist ein Arschloch.«

»Ich kann ihn doch nicht einfach erfrieren lassen.« Meinte Alex das ernst?

»Warum nicht? Er hat dich einen Lappen genannt.«

»Ja, aber …«

»Und ein Weichei«, sagte Alex. »Und eine Lusche und einen Versager und ein Mädchen und …«

»Ja, aber ich kann ihn doch nicht sterben lassen!«, rief Sunny. Alex' Worte pieksten in sein Herz wie winzige Nadelstiche. Er sah auf Luca herunter, der zu seinen Füßen lag und sich nicht rührte. Ja, das hatte er alles gesagt. Der Dummbeutel.

Alex seufzte.

»Wie du meinst. Ich frag mal rum.«

Die wummernde Musik wurde lauter. Sunny erkannte im Stimmengewirr Anna und Fred. Anscheinend war die Party noch im vollen Gange. Er wäre auch geblieben. Anna hatte ihn angefleht, zu bleiben, weil er der einzige Junge war, der tanzte. Aber Alex und Chantal rumknutschen zu sehen, Alex' strahlendes Lachen, wenn er mit ihr sprach … Das hatte Sunny nicht ausgehalten. Also war er aufgebrochen. Und hatte Luca gefunden, Kilometer von der Grillhütte entfernt …

Eine Bewegung zu seinen Füßen. Sunny schreckte zurück und sah, dass Luca sich aufrappelte. Seine gesamte Vorderseite war weiß, mit bröckeligem Schnee bedeckt. Schwankend kam er zum Stehen. Wischte sich über das Dobermann-Gesicht, blinzelte und ließ seinen trüben Blick umherwandern.

Ja! Sunny hätte fast geheult vor Erleichterung. Dieser Dummbeutel würde es alleine nach Hause schaffen! Er würde heimgehen und …

Luca wandte sich um, torkelte ein paar Schritte bis zum nächsten Baum und öffnete die Knöpfe seiner Jeans. Sunny sah nur seinen breiten Rücken, aber ihm war klar, was der Typ machte. Mit dem rechten Ohr hörte er Partygeräusche, mit dem linken ein leises Plätschern. Aber das war es nicht, was ihm die Hitze in die Wangen steigen ließ. Lucas Hose war ein Stück heruntergerutscht und Sunny konnte ganz klar erkennen, dass … nun, dass sein Hintern schöner war als sein Charakter. Viel schöner.

Wütend auf sich selbst drehte er sich um. Was sollte das jetzt? Luca war ein Dummbeutel, den hatte er nicht schön zu finden. Er war in Alex verliebt und …

»Hab sie!«, rief Alex in sein Ohr und Sunny machte einen Satz rückwärts. »Die Nummer von seinem Vater. Ich schick sie dir. War sonst noch was? Ich bin hier ein bisschen beschäftigt, falls du verstehst, was ich meine.« Er lachte und Sunny schloss die Augen.

»Ja, danke.« Er zwang sich, zu lächeln. »Bis … bis Montag dann.«

»Ja, bis Montag.« Klick. Alex hatte aufgelegt. Ein leises Summen kündigte an, dass Sunny die Nummer von Lucas Eltern erhalten hatte. Aber das würde nicht nötig sein. Der Dummbeutel hatte es immerhin geschafft, aufzustehen, also würde er auch nach Hause finden …

Zack.

Plötzlich lag der massige Körper des Kapitäns wieder vor Sunnys Füßen. Genau wie eben. Nur andersherum, so dass er den schmelzenden Schnee auf Lucas Brust bewundern konnte. Immerhin hatte er seinen Hosenstall geschlossen.

»Hey.« Sunny trat ihm, so sanft er konnte, in die Rippen. »Hey, du musst aufstehen. Du musst nach Hause gehen.«

Zu seiner Verwunderung hörte er ein leises Lachen.

»Binnoch nich lebensmüde«, lallte der Kapitän. »Wenn ich so heimkomme, krieg … krieg ich hundert Jahre Hausarrest. Minnestens.«

»Aber …«

»Ich warte hier, bis mein Vater schlafen geht. So um … eins.« Luca schloss die Augen. Sunny sah auf sein Handy. Es war noch nicht mal halb zwölf.

Er rieb sich über die Nasenwurzel und rief Lucas Vater an. So langsam wurde es ungemütlich. Eisige Kälte kroch durch den Stoff seiner Jeans und griff nach seinen Knochen. Bibbernd betrachtete er die Dampfwölkchen, die seinen Mund verließen. Er wollte nach Hause. Unter die warme Decke, schlafen, Alex vergessen, Chantal vergessen … und Luca erst recht.

Aber niemand ging ans Telefon. Sunny ließ sein Handy sinken und seufzte tief. Todtraurig schrieb er eine Nachricht an Lucas Eltern. Er wusste, was zu tun war. Er hasste es.

»Aufstehen!« Er rüttelte an Lucas Schulter. »Du kannst bei mir pennen. Aber steh auf, ich kann dich nicht heben.«

»Du Lappen«, murmelte Luca. Dieser Dummbeutel. Aber er drehte sich zur Seite und wuchtete seine Masse aus dem Schnee.

Irgendwie schaffte Sunny es, ihn den Rest des Weges mitzuschleifen. Ständig kam Luca von der Straße ab und Sunny, der ihn stützte, war nicht stark genug, um sich dagegen zu stemmen. Sie waren fast gleich groß, aber Sunny war halt viel schmächtiger. Ein Lappen.

Ihre Fußabdrücke im frischen Weiß waren trampelige Schlangenlinien. Luca war schwer. Und stank nach Alkohol. Und … na ja, seine Wärme war ganz nett, jetzt, wo der Großteil des Schnees von ihm abgefallen war. Immer wieder berührten sich ihre Wangen. Die Umstände waren nicht ideal, aber endlich hielt Sunny einen anderen Jungen im Arm.

Trotzdem war er noch nie so erleichtert gewesen, sein Zuhause zu sehen. Die kleine Mietswohnung in dem weißen Mehrfamilienhaus, in der er mit seiner Mutter wohnte. Sie schlief schon, daher bugsierte er Luca, so leise er konnte, über die dunklen Holzdielen im Flur.

Der vertraute Räucherstäbchengeruch drang in seine Nase, als er am Yogazimmer vorbeiging. Dem, in dem seine Mutter Privatstunden gab. Heute hatte sie die mit Sandelholzduft abgebrannt.

Als sie endlich sein Zimmer erreicht hatten, ließ er Luca einfach auf den Teppich fallen. Es reichte. Er breitete eine Schafwolldecke über Lucas Körper aus, versicherte sich, dass er frei atmen konnte und krabbelte ins Bett. Das war eh nicht groß genug für zwei und er wollte es bestimmt nicht mit diesem Säufer teilen. Warum trank ein Sportler so viel? Das konnte doch nicht gut für seine Kondition sein.

Sunny wälzte sich herum und betrachtete Lucas Gesicht. Im trüben Mondlicht, das durch seine Vorhänge drang, sah es ein wenig weicher aus als sonst. Kunststück. Härter ging auch kaum. Alles an Luca war kantig, seine Wangenknochen, sein Kinn, seine gerade Nase …

Sunny wusste genau, dass sie gleich alt waren. Aber Luca sah aus wie ein Mann und er selbst … wie ein süßer kleiner Junge. »Niedlich« und »knuffig« waren Komplimente, die er oft bekam. Komplimente für seine hellbraunen Locken, seine Grübchen, sein fröhliches Gemüt. Sunny. Der Sonnenschein der Klasse. Alex' Sidekick. Eine Lusche, laut dem Kerl, der auf seinem Boden ausgebreitet lag.

Ein ohrenbetäubendes Schnarchen erklang. Super. Lucas Lippen vibrierten mit jedem Sägegeräusch. Sunny schluckte. Im Dunkeln sahen diese Lippen gar nicht mehr so schmal aus. Der Mund nicht so hart. Ein saublöder Gedanke poppte in seinem Kopf auf.

Du wolltest doch wissen, wie es sich anfühlt, flüsterte eine Stimme. Wie es ist, einen anderen Jungen zu küssen. Dieser Dummbeutel ist viel zu besoffen, um etwas mitzukriegen. Und morgen erinnert der sich eh an nichts mehr.

Aber das war falsch. Das ging nicht. Sunny biss sich auf die Unterlippe. Sah auf Lucas kräftigen Schädel mit den kurzgeschorenen Haaren.

Nein, beschloss er und drehte sich um. Nicht so. Und schon gar nicht mit dem.

 

Frühling der Liebe

 

Eine Woche später schlurfte Sunny wieder in die Küche. Schwache Wintersonnenstrahlen schienen auf die Fliesen, die sich unter seinen Füßen eiskalt anfühlten.

Wieder saß Aaron Wolf bei Marianne am Küchentisch.

»Morgen«, murmelte Sunny und gähnte.

Die beiden sahen ihn an, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. Hä? Oh richtig: Aaron trug diesmal die Batik-Filzschlappen, die Marianne allen Gästen aufdrängte, und … Mariannes Bademantel, den er mit seiner Masse fast sprengte. Es schien ein fairer Tausch gewesen zu sein: Marianne trug nämlich Aarons Hemd. Es musste Aarons sein, da es so lang war, dass es ihr bis zur Mitte der nackten Oberschenkel ging.

Sunny kratzte sich am Kopf. Waren sie beiden … Hatten sie … Ab und zu brachte Marianne Männer nach Hause, er hätte nicht gedacht, dass Aaron ihr Typ wäre.

»Guten Morgen, mein Schatz«, zwitscherte Marianne. Sie sprang auf und drückte Sunny einen Kuss auf den Kopf. »Du fragst dich sicher, was Aaron hier macht …«

»Ich glaub, das weiß ich.« Er erwiderte die Umarmung. Marianne roch gut, nach Sandelholz und nach Mutter. Und nach Aarons Hemd, Waschmittel und Rasierschaum. Das war neu.

»Morgen, Junge. Sandro.« Aaron Wolf nickte ihm zu. Er wirkte riesig, wie ein Bär, der in einer Puppenküche hockte. Kein süßer Teddy. Ein gefährlicher Grizzly, der einen jeden Moment anfallen konnte.

»Guten Morgen, Herr Wolf«, sagte Sunny und gähnte erneut. »Sie können mich auch Sunny nennen.«

Er löste sich von Marianne, schlappte zur Anrichte und sammelte sein Frühstück zusammen. Amaranthmüsli, getrocknete Früchte, Milch aus dem Kühlschrank. Die ganze Zeit über beobachteten die beiden ihn. Als wäre er der Erwachsene und sie würden darauf warten, dass er ihnen Hausarrest erteilte.

»Ich ess in meinem Zimmer, wenn es euch nichts ausmacht«, murmelte Sunny. Er hatte keine Lust, beim Romantik-Frühstück seiner Mutter dabei zu sein.

»Ist gut.« Marianne wirkte nervös.

Sie setzte sich wieder an den kleinen Küchentisch und nahm Aarons Hand. Die beiden aßen nicht mal: Die Holztischplatte zwischen ihnen war vollkommen leer, bis auf die schiefe Blumenvase, die Sunny in der Grundschule getöpfert hatte. Anscheinend waren sie vollauf damit beschäftigt gewesen, sich tief in die Augen zu schauen. Ein ungutes Gefühl kroch Sunnys Nacken hinauf, aber er schob es beiseite.

Nie, dachte er.

 

Eine Weile darauf klopfte es an seiner Zimmertür. Marianne schob ihren graubraunen Lockenkopf hinein und lächelte Sunny zu, der auf seinem Bett lag und Alex schrieb.

»Sunny, Schatz, hast du einen Moment Zeit?«

»Ja, klar.« Sunny legte sein Handy beiseite und setzte sich auf. Marianne nahm vor ihm auf der Matratze Platz. Sie trug wieder eines ihrer üblichen langen Kleider. Ein blaues mit weiten Ärmeln. Sah sehr gemütlich aus.

»Das mit Aaron und mir … Das ist nichts Ernstes«, sagte sie. Sunny fühlte sich unerwartet erleichtert, als er das hörte. »Wir sind nur … Wir haben festgestellt, dass wir viel gemeinsam haben und da haben wir uns gestern getroffen, einfach, um zu reden und, na ja …«

»Was habt ihr denn gemeinsam?«, fragte Sunny. Er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen.

»Ach, du weißt schon.« Sie lächelte, ein wenig traurig, ein wenig verträumt. »Wir ziehen beide ganz allein ein Kind auf, das heißt, er zieht vier auf, da hat man schon gemeinsame Themen. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt Zeit für ein Treffen hatte, bei der Arbeit, die er zuhause hat.«

»Ja, Luca ist bestimmt nicht einfach«, sagte Sunny. Richtig, er hatte davon gehört, dass der Kapitän keine Mutter hatte. »Und er hat noch drei Geschwister? Alex hat von seinem Bruder erzählt, aber gleich drei?«

»Hat er, alles Jungs. Aaron kümmert sich alleine um sie, seit seine Frau gestorben ist.« Marianne senkte den Kopf und faltete die Hände übereinander, als würde sie beten.

»Gestorben?«, fragte Sunny. »Aber … Oh nein. Der Arme. Die Armen.«

»Das war wohl sehr hart für sie. Die Jungs waren ja noch klein, der Älteste erst zehn, glaube ich.«

»Oh.«

Sunny knabberte an seinem Daumennagel. Lucas Mutter war tot. Er hatte keine Ahnung gehabt. Gar keine. Irgendwie war er davon ausgegangen, dass sie abgehauen war, so wie sein eigener Vater …

Mit einem Mal schämte er sich. Kein Wunder, dass Luca so ein Brüllaffe war. Wenn Marianne so früh gestorben wäre, dann … dann wäre Sunny auch wütend gewesen. Verdammt wütend. Er nahm sich vor, netter zu Luca zu sein, egal, wie oft der ihn noch als Lappen bezeichnete. Oder als Lusche.

»Auf jeden Fall tun wir uns gegenseitig gut«, sagte Marianne mit glänzenden Augen. »Ich denke, wir werden uns noch einmal treffen, vielleicht sogar zweimal. Aber dann werden wir getrennte Wege gehen, jeder auf seinem Pfad, und gestärkt weiterziehen.«

»Das ist schön«, sagte Sunny vorsichtig. Wann hatte sie zuletzt so glücklich ausgesehen? Vor sechs Jahren vielleicht, als sie ihren letzten Freund kennengelernt hatte. »Warum trefft ihr euch nicht öfter?«

»Unsere Lebensentwürfe passen einfach nicht zusammen.« Marianne schaute aus dem Fenster, hinter dem schon wieder weiße Flocken fielen. »Sonst … Aber nein. Eine kleine Affäre, ein bisschen wilder Sex, und das war’s.«

»Gut, gut.« Sunny räusperte sich. Er und Marianne konnten sich wirklich alles erzählen, aber wenn es um ihre Männergeschichten ging, wurde es ihm unangenehm. »Nur eine Affäre. Gut.«

 

Der Schnee schmolz, die Linde auf dem Schulhof strotzte vor Blüten und der Park, in dem er Luca gefunden hatte, war nicht mehr weiß, sondern grün. In der Luft schwebte der Geruch von Frühling und Neubeginn.

Aaron saß immer noch jeden Sonntagmorgen in der Küche, pünktlich wie ein Uhrwerk. Jedes Mal, wenn Sunny müde hereinschlurfte, lieferten Herr Wolf und Marianne sich ein romantisches Blickduell, wobei Aaron eher aussah, als wollte er einen Messerkampf anfangen. Er hatte einfach so ein Gesicht. Sunny hatte sich an den Anblick gewöhnt. Umso erstaunter war er, als er Anfang Mai in die Küche kam und Aaron mit Abwesenheit glänzte.

»Wo ist er?«, fragte Sunny. Er vermisste ihn nicht direkt, schließlich hatten sie kaum mehr als Begrüßungen und Verabschiedungen ausgetauscht. Aber wenn die Affäre beendet war, war Marianne bestimmt traurig …

Nur, dass sie strahlte vor Glück. Sie tanzte durch die Küche wie eine Elfe im Yoga-Outfit, Sterne in den Augen und Grübchen in den Wangen.

»Aaron ist bei seinen Söhnen«, zwitscherte sie. »Er musste früher gehen, um es ihnen zu sagen.«

»Ihnen was zu sagen?«

»Dass wir zusammenziehen.«

»Was?!«

Abendessen zu fünft

 

Luca schäumte vor Wut. Das tat er meistens.

»Aber ich will nicht in diesem verdammten Hexenhaus wohnen«, brummte er. Mehr war nicht drin, seine Stimme war schon ganz wund vom Brüllen. Gestern und vorgestern hatte er nichts anderes gemacht. Vergeblich. Seine Brüder waren auch nicht begeistert, aber wie immer hatte ihr Vater sich durchgesetzt.

»Wir ziehen da ein. Ende der Diskussion.« Aaron sah ihn an und Luca schrumpfte ein Stück. Diesen Effekt hatte Dads strenger Blick leider auf ihn, seit er klein war.

Luca verschränkte die Arme, lehnte sich in seinem Metallstuhl zurück und knurrte. Hatte ja eh keinen Sinn. Dad machte, was er wollte. Und alle mussten mit: Luca und seine drei älteren Brüder. Er schaute in die Runde und sah dieselbe Resignation in deren Gesichtern, die er selbst spürte.

Sonnenstrahlen fielen durch das Küchenfenster auf die weiße Plastiktischdecke. Leicht abwaschbar. Leider schwitzte man wie ein Schwein, sobald man die Arme darauf ablegte. Es war eindeutig Sommer.

Sechs Monate, seit diese Lusche ihn im Schnee aufgelesen hatte. Sechs Monate, seit sein Vater diese verdammte Marianne kennengelernt hatte. Warum hatte dieses Weichei ihn nicht einfach liegengelassen? Luca hatte schon ganz andere Sachen überlebt, und …

Er hat sich halt Sorgen gemacht, flüsterte eine leise Stimme in seinem Hinterkopf. Er ignorierte sie, wie immer. Warum hatte dieser Idiot sich Sorgen um ihn gemacht? Sie waren doch keine Freunde oder so. Ganz im Gegenteil. Und jetzt war sein Vater dieser Hexe Marianne verfallen und hatte beschlossen, dass sie alle zusammenziehen würden. Super.

Gestern hatten sie das neue Haus besichtigt. Eine verdammte Bruchbude war das. Ein verdrecktes Ziegelgebäude mit dreimal so vielen Erkern und Giebeln, wie nötig waren. Schmalen, uralten Fenstern, von denen der Lack abblätterte. Einem Dach mit mehr Lücken, als es das Gebiss eines Hundertjährigen hatte. Und einer ähnlichen Farbe, falls der Hundertjährige sein Leben lang Kautabak gefuttert hatte. Selbstverständlich war der Garten ein vollkommen verwilderter Dschungel.

Marianne hatte es ausgesucht. Standen Frauen auf solche Bruchbuden? Sie hatte es wildromantisch genannt. Eine Bruchbude war das, verdammt. Und Sunny, der Lappen, hatte natürlich neben seiner Mutter gestanden und begeistert genickt. Wie aus einem Schauerroman, hatte er mit glänzenden Augen getrötet. Vermutlich hatte er Recht.

Luca wusste jetzt schon, dass er den Rest des Sommers mit Renovieren und Rasenmähen verbringen würde. Ohne die Hilfe der Lusche oder von Marianne. Die würde sich ganz auf die Einrichtung ihrer Yoga-Praxis konzentrieren. Und der Lappen konnte nichts.

Das hatte er ja damals schon bewiesen, als er zu blöd gewesen war, eine Leiter zu halten. Eine Leiter! Und dann hatte er geheult, wie ein verdammtes Mädchen, nur, dass selbst Mädchen in dem Alter nicht mehr gleich losplärrten, wenn man ihnen ein wenig die Meinung geigte … Na ja, doch. Taten sie. Luca brachte ständig Leute zum Weinen, wenn er sie anbrüllte. Selbst erwachsene Männer. Selbst Lehrer.

Luschen.

Luca hatte gelernt, nicht mal mit der Wimper zu zucken, wenn sein Bruder Leif ihn im Schwitzkasten hatte und dessen Zwilling Lars ihm ins Gesicht furzte. Was eine Zeitlang täglich vorgekommen war. Man musste sich halt abhärten. Aber das hatten sie bei der Lusche wohl vergessen.

Leif knallte das Essen auf den Tisch: Schnitzel und Salat. Wie immer. Lothar, der Älteste, war der Einzige, der sich ab und zu an was Ausgefallenem versuchte, was auch nicht immer gut war.

»Essen«, brummte Leif, als könnten sie das nicht sehen. Dad nahm sich als Erster, während die anderen ihm misstrauisch zusahen. Ein Schnitzel landete auf seinem Teller. Zwei. Drei. Mist. Das ließ für seine vier Söhne … genau fünf Schnitzel. Machte er das absichtlich? Sofort begannen die Zwillinge, sich darum zu streiten.

»Ich hab gekocht!«, brüllte Leif. »GIB HER!«

»Hol's dir doch!« Lars drehte sich um und stopfte sich so viel in den Mund, wie er konnte. Leif packte seine Achseln und versuchte, ihn zu Boden zu ringen. Dad schüttelte resigniert den Kopf. Von den drei Schnitzeln hatte er bereits eins vernichtet. Luca sah seine Kiefermuskeln arbeiten. Dieses verdammte Schweinefleisch war zäh wie Gummi.

»Ich hoffe, Marianne kann kochen«, sagte Lothar neben ihm. Er klang hoffnungsvoll. »Dann hätte der Umzug wenigstens etwas Gutes.«

Luca schnaubte verächtlich.

»Als ob die was anderes kochen würde als Tofu und … vegane Paste.«

Lothar seufzte. Alle Hoffnung verschwand aus seinem breiten Gesicht.

»Wahrscheinlich, Zwerg. Du meinst, wie das Zeug, das sie das letzte Mal gemacht hat? Dieses Getreidedings?«

»Das sollte ein Hackbraten sein.« Luca konnte es immer noch nicht fassen. »Ein fleischloser Hackbraten. Ich meine … warum?«

»Marianne kocht, was sie will.« Dads Stimme war schneidend. »Und ihr drückt euch nicht vor euren Aufgaben, ist das klar?«

Luca und Lothar nickten widerwillig, während die Zwillinge sich immer noch kloppten. Dad packte sein Bier und nahm einen tiefen Zug. Sie hatten alle so eine Blechdose vor sich stehen, bis auf Luca. Was er vollkommen unfair fand. Er war fast achtzehn, zur Hölle, da hätte sein Vater ruhig eine Ausnahme machen können!

»Marianne und ich haben darüber geredet.« Dad wischte sich den Schaum vom Mund, »Jeden Tag wird ein anderer kochen. Sechs Leute für sechs Tage. Und sonntags gehen wir essen.«

Super. Luca fragte sich, was die Lusche kochen würde. Vermutlich vegetarisches Steak aus Dinkelsamen. Nicht, dass er ihn zuhause »Lusche« nennen durfte. Das hatte Dad ihm verboten. Der Waschlappen stand unter dem Schutz seiner Mutter. Und die Mutter hatte seinen Dad in der Hand, so einfach war das. Deshalb würde Sunny auch als Einziger ein eigenes Zimmer bekommen, während Luca weiter Lothars Schnarchen ertragen musste.

Sunny. Was für ein blöder Name. Wie konnte man sich selbst so auf eine einzige Sache reduzieren? Der Typ war einfach eine Pfeife.

 

Rauf oder runter

 

Sunny liebte das neue Haus. Die verschnörkelten Fensterrahmen, das Efeu, das sich an den Wänden entlangschlängelte, den wilden Garten …

Es gibt wirklich nur einen Nachteil, dachte er, als er den achten Bücherkarton die Treppe zur Haustür hochschleppte. Luca drängelte an ihm vorbei, genauso verschwitzt wie Sunny, einen Armeerucksack auf den Schultern, und warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Klar, der hätte drei Bücherkartons auf einmal tragen können.

»Geht das nicht schneller?«, motzte er im Vorbeidrängeln.

»Nein.« Sunny sah stur geradeaus. Er hatte beschlossen, Luca einfach zu ignorieren. So, wie er es damals hätte machen sollen, als er ihn im Schnee gefunden hätte. Dann müsste er jetzt nicht mit ihm zusammenziehen.

»Du bist so eine Schnecke«, stellte Luca fest.

»Hilf mir halt, dann geht's schneller«, sagte Sunny.

»Mit deinen tausend Büchern? Selbst schuld, wenn du die sammelst.«

Und schon war er weg. Die Treppe hoch, bevor Sunny es nur durch die Haustür geschafft hatte. Dabei hatte Sunny es viel weiter. Sein Zimmer lag ganz oben im Turm. Er lächelte. Im Turm. Das Haus hatte einen Turm.

Es war so viel spannender als die langweilige Mietswohnung, in der sie zuletzt gelebt hatten. Und es gab keine Nachbarn, die den Geruch von Räucherstäbchen mit dem von Gras verwechselten und ständig die Polizei riefen. Er konnte er kaum erwarten, Alex sein Zimmer zu zeigen …

Luca kam ihm wieder entgegen gepoltert, nun ohne Rucksack. Sunny wich ihm mit Mühe aus. Die Treppe war eigentlich viel zu schmal für zwei Leute, vor allem, wenn einer von ihnen ein Schrank war. Wobei … Sunny sah sich um. Aaron Wolf stieg gerade aus dem Umzugswagen. Die Zwillinge wuchteten den Küchentisch herein. Schweiß glänzte auf ihren Stiernacken.

»Weißt du«, sagte er verwundert. Luca blieb stehen und sah sich zu ihm um, »ich dachte immer, du wärst voll das Tier. Aber in deiner Familie bist du noch der Zierlichste.«

Lucas Gesicht verfinsterte sich. Schallendes Lachen ertönte.

»Da hat er allerdings recht, Zwerg.« Lothar war oben am Treppenabsatz erschienen.

Sunny zuckte zusammen. So hatte er das doch gar nicht gemeint. Aber bevor er das erklären konnte, war Luca schon die Treppe heruntergestürmt. Sunny wollte sich umdrehen, um ihn aufzuhalten, schwankte unter dem Gewicht des Kartons, tastete nach der nächsten Stufe … und trat ins Leere.

Mit einem Schrei stürzte er die Treppe hinunter. Genau auf Luca. Der war nett genug, den Sturz mit seinem Rücken aufzufangen, obwohl er das gar nicht wollte. Schmerz explodierte in Sunnys Seite, als er gegen ihn prallte. Der Karton krachte auf die Stufen und die Bücher flogen durch die Luft. Die beiden Jungen gingen zu Boden. Band vier der Krabbentaucher-Chroniken erwischte Luca an der Schläfe.

»Oh, das tut mir …«

»BIST DU VÖLLIG BESCHEUERT?« Lucas Brüllen ließ die Wände erzittern. Kein Wunder, die waren echt alt.

»Tut mir wirklich leid, das war ein Versehen …«

Aber Luca ließ sich nicht besänftigen. Er lärmte weiter, bis Sunnys Ohren klingelten. Immerhin brüllte er nur. Er würde ja wohl kaum zuschlagen, hier, wo sein Vater und Marianne zuschauten …

Ein wunderschönes Gesicht tauchte hinter Lucas zornesrotem auf.

»Alex!«, rief Sunny und ließ Luca einfach stehen. Er hüpfte die Stufen zum Eingang hinunter, bis er vor ihm stand.

»Hi!« Alex sah toll aus. Wie immer. Seine blonden Haare glänzten im Sonnenlicht, seine warmen, braunen Augen strahlten und seine teuren Klamotten saßen wie angegossen an seinem perfekten Körper. Heute trug er ein weißes T-Shirt und dunkelblaue Jeans. Er sah so fantastisch aus, dass Sunnys Mund ganz trocken wurde.

»Wie läuft's?«, fragte Alex. Sunny grinste seinen besten Freund an.

»Super. Ich muss nur noch die Bücherkisten hochbringen. Alina-Lara und Mandy packen schon aus.«

Alex nickte Luca zu, der aufgehört hatte, zu schreien.

»Hi.«

»Hallo.« Luca nickte, dann stieg er ebenfalls die Stufen herunter und gab Alex die Hand.

Irgendwie wirkten Luca und Alex wie entfernte Bekannte, die sich nichts zu sagen hatten. Dabei waren sie doch in einer Mannschaft und trainierten täglich gemeinsam. Ein wenig beneidete Sunny Luca. Er hätte gern mit Alex zusammen gespielt.

Die beiden redeten ungefähr zehn Sekunden über das morgige Training, dann marschierte Luca weiter zum Transporter. Alex half Sunny, die Bücher zusammenzusammeln.

»Mandy und Alina-Lara, ja?« Alex' Mundwinkel verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. »Sind die beiden immer noch hinter dir her?«

»Sind sie nicht«, sagte Sunny. »Sie sind meine Freunde. Echt.«

»Sicher.« Alex schenkte ihm einen zweifelnden Blick. »Ist doch völlig offensichtlich, dass sie scharf auf dich sind. Der Moppel muss dich dauernd anfassen.«

»Sie klopft mir vielleicht mal auf die Schulter oder umarmt mich. Das ist normal unter Freunden.« Sunny hatte nie verstanden, was Alex gegen die beiden hatte. Zum Glück benahm er sich, wenn sie alle im gleichen Raum waren. »Sie fasst mir ja nicht an den Arsch oder so.«

»Ich wette, das würde sie gern. Schon gut«, fügte Alex hinzu, als er Sunnys warnenden Blick sah. »Ich reiß mich zusammen. Bin voll der Gentleman, das weißt du doch. Auch wenn ich's lustig finde, dass die beiden den falschen Baum anbellen.«

»Ich …« Sunny sah sich um, aber die anderen waren zu weit weg, um ihn zu hören. »Ich sollte es ihnen endlich sagen. Wenn sie irgendwann mitkriegen, dass ich sie schon die ganze Zeit anlüge … Ich meine, Mandy will mich unbedingt mit Evelyn verkuppeln, und ….«

»Das ist eine beschissene Idee«, sagte Alex und blickte Sunny ernst an. »Das weißt du selbst.«

»Ja. Ja, vielleicht.« Wusste er das? Sunny räusperte sich. »Wie war dein Date?«

»Nichts Besonderes.« Alex zuckte mit den Schultern. »Die war ein bisschen langweilig, hat immer nur gekichert. Hab das Gefühl, dass sie nicht sehr helle war.«

»Ach so.« Sunny verbarg seine Erleichterung. Irgendwann würde Alex eine Freundin haben. Dann würde Sunny ins Abseits gedrängt werden, weil Alex keine Zeit mehr für ihn haben würde. Aber noch war es nicht so weit. Noch war Alex der Casanova der Klasse und hatte jede Woche ein anderes Mädel. Noch konnte Sunny davon träumen, dass er irgendwann …

Er seufzte.

»Danke, dass du mir hilfst. Gehen wir hoch?«

Alex nickte. Seine seidenweichen Haare fielen verwegen in seine Stirn und Sunnys Herzschlag verdoppelte sich. Wenn …

»Aus dem Weg.« Luca drängte sich an ihnen vorbei.

 

Sieger nach Punkten

 

Mandy und Alina-Lara sahen Alex an, wie sie ihn immer ansahen: mit einer Mischung aus Beunruhigung und Verlangen. Klar, er war der hübscheste Kerl der ganzen Schule. Oder des ganzen Universums, wenn es nach Sunny ging.

»Hey, Ladies.« Wie versprochen war Alex der perfekte Gentleman. Sogar ein wenig zu charmant. Die beiden Mädels wurden rot. Alina-Lara verschlug es sogar komplett die Sprache. Sunny konnte sie verstehen.

»Hallo.« Mandy grinste Alex an, der sich bereits abwandte.

»Ich muss gleich wieder los, zur Fahrstunde«, sagte er. »Wollte mir nur kurz dein neues Zimmer anschauen. Und die ganze Bude.«

»Oh, klar.« Sunny verbarg seine Enttäuschung. Wie schön, dass Alex trotzdem hergekommen war. »Und, was denkst du?«

»Heruntergekommen, aber spannend.« Alex winkte knapp, lächelte nochmal in die Runde und ging.

Mandy seufzte vernehmlich, als er weg war.

»Eindeutig die Nummer eins«, sagte sie und korrigierte den Sitz ihrer Glitzerhaarspange.

»Nummer eins der Dreaminess-Skala?«, fragte Sunny.

»Der Dreaminess-Skala minus Sunny, weil keiner mit dir mithalten kann«, verbesserte Mandy.

»Natürlich.« Sunny grinste. »Whoah, ihr habt ja schon total viel geschafft!«

An der rechten Wand seines neuen Zimmers, die fast nur aus wild zusammengewürfelten Regalen bestand, prangten Hunderte Buchrücken. Vor allem Fantasy, Sunnys absolutes Lieblings-Genre.

»Ich hab schon total viel geschafft«, murmelte Alina-Lara. »Mandy hat gelesen.«

»Hey, ich hab das Brett hier eingeräumt«, protestierte Mandy und deutete auf ein halbvolles Regalbrett.

»Habt ihr die nach Farben sortiert?«, fragte Sunny.

»Ja, super, oder?« Mandy stemmte die Hände in die Hüften. Die Augen hinter ihren runden Brillengläsern blitzten. »Hat viel mehr Stil, als die einfach so zusammengewürfelt zu lassen.«

»Macht sie aber auch schwerer zu finden«, nuschelte Alina-Lara.

»Ja, aber es sieht besser aus.«

Damit war die Diskussion beendet. Alina-Lara packte den neuen Bücherkarton und wuchtete ihn aufs Bett. Sie war stark. Ungefähr so groß und breit wie Luca. Nur viel, viel weicher. Wie ein Pudding im Vergleich zu Lucas steinharten Muskeln. Die Schulter, mit der Sunny eben gegen ihn geprallt war, schmerzte immer noch. Vermutlich hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn er auf dem Boden gelandet wäre.

»Wo steht Luca eigentlich auf der Dreaminess-Skala?«, fragte Sunny, ohne nachzudenken.

»Luca?« Mandy schaute auf ihr Smartphone. »Platz 37 von 62, wieso?«

»Ich dachte nur …« Sunny zuckte mit den Achseln. »Er ist echt muskulös. Das ist gut, oder?«

»Ja, aber die Dreaminess-Skala berücksichtigt Schönheit UND Charakter.« Mandy hob den Zeigefinger wie eine strenge Lehrerin. »Und er hat genau null Charakterpunkte.«

»Immer noch?« Sunny war erstaunt. »Wegen damals? Das ist doch schon so lange her.«

»Er hat dich zum Weinen gebracht.« Mandys Augenbrauen zogen sich zusammen wie eine Gewitterfront. »Wenn ich nicht so viel Angst vor ihm hätte, würde ich ihm in die Eier treten.«

»Ach, aber das hat sich am Ende doch als Glücksfall herausgestellt«, sagte Sunny, obwohl die Erinnerung an diesen peinlichen Tag ihm immer noch Gänsehaut machte. Seltsam, inzwischen war es ihm gar nicht mehr so wichtig, was die Leute von ihm dachten. »Wenn du mich damals nicht getröstet hättest, wären wir vielleicht keine Freunde geworden.«

»Wären wir wohl«, sagte Alina-Lara, so leise, dass sie es kaum hörten. Sie stoppte das Bücher-Einräumen, drehte sich um und sah Sunny aus ihren Knopfaugen fest an. »U-und wenn dieser Blödi dir was tut, sag Bescheid. Da-dann hau ich ihm eine. Echt.«

Sunny lächelte gerührt.

»Mach ich«, sagte er. »Aber das wird ganz bestimmt nicht so schlimm. Vielleicht … vielleicht werden wir ja auch Freunde. Ich glaube, ich gebe ihm noch eine Chance. «

Er ignorierte die zweifelnden Blicke seiner Freundinnen und rannte nach unten, um die nächste Kiste zu holen.

 

Prinzessin im Turm

 

»Was machen sie da?«, fragte Sunny.

Es war Wochenende und er war gerade erst von Alex zurückgekommen. Marianne stand am Küchenfenster, vor der holzverkleideten Spüle, und sah aus dem Fenster. Ihr weites rotes Kleid fiel fast bis zu ihren nackten Füßen. Unter dem Küchentisch verschlang Friedbert eine Portion Katzenfutter. Sie schüttelte den Kopf.

»Sie bauen ein Gerüst«, sagte sie.

Sunny trat neben sie. Draußen waren Aaron und seine vier Söhne damit beschäftigt, Löcher in den Rasen zu buddeln. In den raspelkurz geschnittenen Rasen. Er sah ziemlich hässlich aus. Vermoost und braun, weil die Gräser so hoch gestanden hatten, dass kaum Licht bis auf den Boden gedrungen war. Aber das würde besser werden, hatte Aaron versichert. Und Sunny zweifelte nicht daran. Dieser Rasen würde sich genauso wenig trauen, sich Aaron zu widersetzen wie alle anderen.

Der Garten war sein Hoheitsgebiet. Dafür hatte Marianne die Herrschaft über das Haus. Beziehungsweise dessen Einrichtung, wie man an den lila gestrichenen Küchenwänden und den pfefferminzgrünen Vorhängen erkennen konnte. Und dem riesigen Mandala-Kalender neben der Spüle.

»Warum bauen sie ein Gerüst?« Sunny war einen Moment lang davon abgelenkt gewesen, dass seine neuen Stiefbrüder alle ohne Shirt arbeiteten. Die Zwillinge brüllten sich gerade wieder an. Wegen irgendetwas. Sunny war schon nach einer Woche erstaunlich gut darin, das stetige Geschrei zu ignorieren.

»Für ihr Morgentraining.« Marianne schüttelte den Kopf. »Durch Reifen rennen und Liegestütze machen reicht anscheinend nicht.«

»Echt? Was fehlt denn noch?«

»Ein Gerüst. Aaron meint, sie müssten lernen, an einem Seil Wände hochzuklettern, zu hangeln und … Ach, keine Ahnung. Irgendetwas mit Muskel- oder Charakterbildung.«

»Scheint für sie eh dasselbe zu sein.« Sunny schrak zusammen. »Ich meine … so war das nicht gemeint. Sie sind eigentlich sehr nett. Glaube ich.«

Bis auf das gelegentliche böse Wort von Luca ließen seine Stiefbrüder ihn in Ruhe. Vermutlich wussten sie nicht viel mit ihm anzufangen. Er hatte gedacht, dass sie sich beim gemeinsamen Abendessen besser kennenlernen würden, aber das bestand meistens darin, dass die Vier sich Brüllgefechte lieferten, während sie innerhalb weniger Minuten ihr Essen herunterschlangen.

Na ja, kein Wunder, dass die immer Hunger hatten. Jeden Morgen um sechs scheuchte Aaron seine Söhne über den Hindernisparcours, den sie aufgebaut hatten, und ließ sie gegeneinander kämpfen. Sunny war fast aus dem Bett gefallen, als er ihn das erste Mal im Morgengrauen brüllen gehört hatte.

»Ich weiß, Schatz.« Marianne strich ihm über die Locken. »Ich … Ehrlich gesagt, bin ich ganz froh, dass du nicht viel mit ihnen zu tun hast. Sie sind so …«

»Brutal?«, fragte Sunny. »Ich glaube, die sind harmloser, als sie wirken.«

»Hm.« Marianne schien nicht überzeugt. Ein seltsamer Ausdruck erschien in ihrem sonst so sanften Gesicht. Fast ein wenig kalt. »Halt dich trotzdem von ihnen fern, ja, Schatz?«

»Aber …« Sunny musterte sie. »Wenn … Also wenn du denkst, dass sie ein schlechter Einfluss sind, warum sind wir dann alle zusammengezogen?«

»Ich wollte halt bei Aaron sein. Er hatte so viel um die Ohren, mit seinem Job und den Jungs, dass wir uns viel zu selten sehen konnten. So ist es besser.«

Ihre Augen leuchteten, wie immer, wenn sie von ihm sprach. Oder ihn ansah, so wie jetzt. Seine Muskeln schienen kurz vorm Explodieren, als er den Spaten ansetzte, den Fuß darauf stellte und einen Klotz Erde aus dem Boden wuchtete.

Nicht zum ersten Mal fragte Sunny sich, ob ihre Liebe zu Aaron Wolf wirklich nur mit seiner schönen Seele zusammenhing. Seine Seele sei rein und pur, behauptete sie. Aber sein Bizeps ist halt auch nicht zu verachten, dachte Sunny. Misstrauisch blickte er Marianne an. Die nippte an ihrem Brennnesseltee und sah gedankenverloren aus dem Fenster.

»Mir geht’s auch gut hier. Richtig gut.« Sunny lächelte. »Und ich hab eh nicht so viel mit den Vieren gemeinsam, dass wir dauernd zusammenhängen werden.«

Marianne nickte zögernd. Überzeugt wirkte sie nicht.

 

Sunny stieg die Treppen zu seinem Zimmer hoch. Es war das einzige im dritten Stock. »Die Prinzessin im Turm« nannten die anderen ihn. Natürlich nicht, wenn er dabei war. Er hatte es von seinem geheimen Platz aus gehört. Er hatte jetzt einen geheimen Platz. Dieses Haus war einfach fantastisch. Ein Märchenschloss.

Sunny schloss die Tür hinter sich. Am liebsten hätte er den Schlüssel umgedreht, aber das ging nicht. Er hatte nämlich keinen. Wie sich herausgestellt hatte, gab es für keins der Zimmer im Märchenschloss welche. Sie hätten die Schlösser austauschen lassen können, wenn das Geld dafür gereicht hätte. Aber das tat es nicht. Aarons Sicherheitsdienst und Mariannes Yogapraxis warfen gerade genug für die nötigsten Reparaturen ab.

Sunny hatte trotzdem einen Weg gefunden, ein wenig Privatsphäre zu haben. Kaum war er in seinem neuen Zimmer angekommen, kletterte er auf den Schreibtisch und öffnete das Fenster. Der erste Schritt war der schwerste, aber wenn man sich einmal überwunden hatte, ging es. Sich am Fensterrahmen festhaltend, verborgen von der riesigen Buche, die vor dem Haus wuchs, tastete er sich vor. Seine Finger hielten sich an der Regenrinne fest und seine Füße bewegten sich Schritt für Schritt über den ausladenden Vorsprung, der rund um das Haus lief.

Dann war er angekommen. Auf dem Dach, zwischen der Seitenwand seines Zimmers und dem Giebel des Haupthauses war sein geheimer Ort. Eine Nische, durch Baum, Giebel und Wände verborgen vor den Blicken aller. Ein Winkel unter freiem Himmel, der nur ihm gehörte.

Der schmale Boden war verkleidet mit Metall, länglich, und gerade so breit, dass er darüber laufen konnte. Sunny lehnte sich auf das schräge Dach der einen Seite und blickte nach oben. Langgestreckte Flauschwolken zogen träge vorbei und tauchten ihn mal in Schatten, mal in Licht.

Eines Tages würde er Alex diese Stelle zeigen. Irgendwann. Aber noch wollte er es nicht tun. Noch wollte er davon träumen. Davon träumen, wie er hier mit ihm allein sein würde. Alex würde verstehen, wie magisch dieser Ort war. Er würde sich begeistert umschauen. Und dann …

Sunny stellte sich vor, wie Alex den Blick vom Himmel abwenden würde. Wie er Sunny anschauen würde, mit einem Ausdruck reinen Erstaunens, als würde er ihn zum ersten Mal sehen, und …

»VERGISS ES, DU VOLLIDIOT!«, brüllte Luca von unten. Sunny runzelte die Stirn.

»FRESSE! DU BIST EIN VOLLIDIOT!«, brüllte Lars zurück. »UND JETZT GIB DEN SPATEN HER!«

Sunny seufzte. Dann atmete er tief durch und ließ sich zurück in seine Phantasie sinken.

Alex würde ihn anschauen wie nie zuvor, zärtlich und … verliebt. So verliebt, wie Sunny in ihn war. Alex würde sich ihm zuwenden, seine Hand würde durch Sunnys Locken fahren, er würde näher kommen … Sunny schluckte. Sein Herz hämmerte bis zum Hals, wenn er nur daran dachte. Und zwischen seinen Beinen spürte er ein angenehmes Ziehen.

Alex' Mund würde seinen streifen, erst vorsichtig, dann fordernder. Sein Körper würde sich gegen Sunnys drängen. Er würde die Kontrolle verlieren, ihn immer wilder küssen. Sunny biss sich auf die Lippen. Seine Hand fuhr über seinen Unterleib und das Ziehen wurde stärker.

»HÖR ENDLICH AUF DAMIT, DU SPAST!«, brüllte Luca.

Sunny beachtete ihn nicht.

 

Freund in Not

 

Alex rief an, als Sunny gerade mit der Theatergruppe den Proberaum betrat. Weder er noch Mandy hatten allzu großes Interesse am Theaterspielen. Aber ohne ihre Unterstützung traute Alina-Lara sich nicht auf die Bühne, deshalb waren sie dabei. Wie so oft war Sunny der einzige Junge und bekam daher alle guten Rollen. Diesmal also Romeo. Na gut. Solange es Alina-Lara half …

»Was ist denn?«, flüsterte er in sein Handy. Frau Michler, die Leiterin der Theatergruppe, sah ihn strafend an.

»Du musst mir helfen.« Sunny zuckte zusammen. Alex klang … panisch?

»Ist ein Notfall. Entschuldigung«, sagte er laut und rannte aus dem Raum.

»Was ist passiert?«, fragte er, als er sicher im Schulflur stand.

»Ich fliege aus der Mannschaft.« Ja, da war Panik in Alex' Stimme. Und Wut. »Wegen diesem verblödeten Arschloch.«

»Wem?«, fragte Sunny, auch wenn er es bereits ahnte.

»Deinem bekackten Stiefbruder«, fauchte Alex. »Der kann mich schon die ganze Zeit nicht ab, weil alle meinen, ich wäre ein besserer Kapitän als er. Und jetzt hat er einen Weg gefunden, mich loszuwerden.«

»Was? Wie?«

»Er meint, ich hätte seinen dämlichen Kumpel absichtlich gefoult. Dabei war das ein total normaler kleiner Rempler. Ist doch nicht meine Schuld, wenn der so blöd fällt, dass er sich gleich die Hand verstaucht. Als Fußballer sollte man das abkönnen.«

»Und deshalb will er dich aus der Mannschaft werfen?«, fragte Sunny. Dieser Dummbeutel! »Das kann er doch gar nicht.«

»Anscheinend schon«, knurrte Alex. »Der Trainer lässt ihn einfach machen, was er will und jetzt hat er halt beschlossen, dass ich fliege.«

»Aber …« Sunny knabberte an seinem Zeigefingerknöchel.

»Du musst mir helfen, Sunny«. Alex klang so flehend, dass Sunnys Herz zu einer kleinen Pfütze zusammenschmolz.

»Ja. Ja, klar. Was soll ich tun?«

»Red mit ihm«, sagte Alex. »Er ist doch jetzt dein Bruder.«

»Äh.« Wie sollte er Alex das erklären? »Ich glaube nicht, dass das was bringt.«

»Warum?«

»Er wird nicht auf mich hören. Noch weniger als auf dich. Wir sind … Er meint, dass ich eine Lusche bin. Das hat sich nicht geändert.«

»Ja, aber ihr lebt im selben Haus, da kennst du ihn bestimmt viel besser als ich.«

»Kein Stück.« Sunny wünschte sich, es wäre anders. War es aber nicht. »Wir treffen uns kaum, nicht mal morgens. Wenn ich frühstücke, veranstalten die ihr Morgentraining und dann nimmt er das Rad und ich laufe. Eigentlich sehen wir uns nur beim Abendessen und da schreit er sich meistens mit seinen Brüdern an.«

»Was?«

»Ja. Die sind irgendwie komisch.« Sunny kratzte sich am Nacken. Er hätte Alex so gern geholfen.

»Kannst du es nicht wenigstens mal probieren?« Alex klang verzweifelt. Ganz anders als sonst. Sonst strotzte er vor Selbstbewusstsein, hatte immer einen lockeren Spruch auf den Lippen und ein freches Grinsen sowieso. Sunnys Herz zog sich zusammen bei dem Gedanken, dass dieser blöde Luca Alex so traurig gemacht hatte. Wut kochte in ihm hoch, soviel, dass er es kaum schaffte, sie wegzuatmen.

»Ich … ich werd's versuchen«, sagte Sunny. »Aber ich kann dir echt nichts versprechen.«

»Danke!«, rief Alex, so voll Dankbarkeit, dass Sunnys Herz einen Hüpfer machte. Oh Mann.

»Ich muss zurück zur Theatergruppe«, sagte Sunny. »Aber danach rede ich mit ihm. Versprochen.«

»Du bist der Größte.« Alex lachte.

Du bist der Größte. Sunny schwebte praktisch in den Proberaum.

 

Die Frage war nur, wie er Luca dazu bringen sollte, Alex wieder ins Team zu lassen. Luca hörte auf niemanden, oder? Na ja, vielleicht auf seinen Vater. Aber wie sollte Sunny den überzeugen? Konnte er Marianne überreden, Aaron zu überreden … Aber das war so hinterlistig.

Es ist wohl das Beste, es erstmal bei Luca selbst zu probieren, dachte er. Nur, wie sollte er den je alleine erwischen? Zuhause würde er bei all dem Gebrüll und Gewusele nie einen ruhigen Moment finden.

 

Gefährlich bis lebensgefährlich

 

Sunny hatte Glück. Als er nach Hause kam, stiegen Aaron und Lucas Brüder gerade in den Van. Marianne kam aus der Haustür, geschminkt und zurechtgemacht. Stimmte ja, heute gingen sie essen. Pizza. Aaron hatte wegen seines Jobs keine Zeit gehabt, zu kochen.

»Da bist du ja!« Marianne lächelte. »Steig ein, wir fahren gleich los.«

»Wo ist Luca?«, fragte Sunny. Unter den Quadratschädeln im Inneren des Vans fehlte der kleinste.

»Dem geht es nicht gut.« Marianne fuhr sich durch die graubraunen Locken. »Er hat gesagt, er hat Bauchschmerzen und bleibt hier.«

Sunny war wie elektrisiert. Das war die Gelegenheit, alleine mit ihm zu sprechen!

»Ich … Also, ich fühle mich auch ein bisschen krank«, log er und schaute elend. »Vielleicht geht da grad was an der Schule rum. Ich glaube, ich lege mich hin.«

»Oh. Na gut. Ich bring dir einen Kamillentee vorbei, wenn wir zurück sind.«

Marianne wirkte niedergeschlagen. Klar, sie musste jetzt ohne Rückendeckung ein Essen mit den Brüllaffen überstehen. Es tat Sunny echt leid, aber er durfte Alex nicht im Stich lassen.

So winkte er fröhlich und trat dann durch die offene Haustür ins Innere. Als sie hinter ihm zufiel, hörte er den schwarzen Van starten. Das Motorengeräusch entfernte sich und Sunny atmete tief ein. Okay. Er würde mit Luca reden. Und er musste ruhig bleiben. Sich nicht provozieren lassen, wenn der blöd reagierte. Was er ganz bestimmt tun würde.

Sunny verbrachte zur Sicherheit fünf Minuten mit Atemübungen, bevor er die Treppe hochging.

Lieber Luca, dachte er. Würdest du Alex bitte wieder ins Team lassen … Er seufzte. Er hörte Luca praktisch schon Nie im Leben, du Lusche! rufen. Aber er würde nicht aufgeben! Egal, wie laut Luca rumbrüllte. Er würde standhalten. Für Alex.

Ein letztes tiefes Einatmen, dann trat er mit erhobenem Kopf durch die Tür zu Lucas Zimmer, dessen Boden mit dreckigen Klamotten und Hanteln übersät war. Luca war da. Mit dem Rücken zu Sunny lag er auf seinem Bett, so dass er nur das graue Shirt und die dunklen Haare seines geliebten Stiefbruders sehen konnte.

»Luca«, sagte Sunny mit fester Stimme. »Würdest du Alex bitte wieder …«

Er erstarrte. Mit einiger Verspätung erkannte sein Gehirn, was Luca da auf dem Bett machte. Warum seine rechte Hand sich in seiner Hose auf und ab bewegte. Warum er auf den Bildschirm seines Handys starrte. Was sein schweres Atmen bedeutete.

Rückzug!, schrie Sunnys Gehirn. Rückzug!

In Lucas Ohren steckten Kopfhörer. Zum Glück. Er hatte Sunny nicht bemerkt. Noch nicht. Langsam, ganz vorsichtig, sacht und leise schlich Sunny rückwärts. Atmete lautlos ein und aus. Seine Wangen brannten, als er Lucas immer schneller werdende Handbewegungen sah.

Dann fiel sein Blick auf Lucas Handy. Und sein Herz blieb stehen. Es war klar gewesen, dass der einen Porno schaute. Aber nicht, dass … das einer mit zwei Männern sein würde. Zwei nackten, schwitzenden Typen, die unter der Dusche …Oh, Scheiße!

Lebensgefahr, blinkte in Leuchtschrift vor Sunnys Augen auf. LEBENSGEFAHR!!! Raus hier! SOFORT! Luca bringt dich um, wenn er dich erwischt! Erwürgt dich und vergräbt dich in einem von den Löchern, die er im Garten gebuddelt hat und …

Plötzlich war etwas Metallisches unter Sunnys Fuß. Eine Hantel. Er rutschte weg, ruderte mit den Armen.

Und fiel.

Mit einem lauten Krachen stürzte er zu Boden. Lucas Kopf ruckte hoch. Er fuhr herum. Sunny blickte in seine weit aufgerissenen Augen.

Alle Farbe wich aus Lucas Gesicht, als er ihn erkannte, Sunny schob sich rückwärts, krabbelte panisch über die Dielen in Richtung der Tür. Er kam nicht weit. Kurz, bevor seine Hände die Türklinke erreicht hatten, war Luca über ihm.

Seine Hände schlossen sich wie eiserne Klauen um Sunnys Schultern und nagelten ihn auf den Holzdielen fest. Lucas Augen, eins schiefergrau, eins bernsteinfarben, leuchteten in seinem totenblassen Gesicht. Er sah nicht wütend aus, sondern panisch. Seltsamerweise machte der Schrecken in seinen Zügen Sunny mehr Angst als die übliche Wut. Wer so schaute war zu allem fähig.

»Ich … hab nichts gesehen«, piepste Sunny.

Er konnte sich nicht bewegen. Einmal, weil Luca auf ihm hockte und außerdem, weil er starr vor Angst war. Sein Körper fühlte sich an, als wäre er von einem Versteinerungsfluch getroffen worden.

»L-lüg nicht«, krächzte Luca. Das war das Gegenteil eines Brüllens. Gruselig.

Sunny sah sich schon tot, mit einer Hantel erschlagen, in Stücke zerteilt, im Garten vergraben. Tränen stiegen in seine Augen. Ein Schluchzen kletterte seine Kehle hinauf. Aber er schluckte es herunter.

Nein, dachte er. Nicht nochmal. Wenn ich sterbe, dann … dann nicht wie die Heulsuse, für die Luca mich hält.

»La-la-lass mich los«, stotterte er. »Bitte.«

»Was tust du hier?«, zischte Luca.

Sein Griff lockerte sich kein Stück. Sunny musste ihn beruhigen. Aber wie?

»Ich wollte mit dir reden«, sagte er. Luca schien ihn nicht mal zu verstehen.

»Was tust du hier? Warum?« wiederholte er. »Warum musstest du hier reinkommen, verdammt?«

»I-ist doch nicht so schlimm«, flüsterte Sunny, ohne darüber nachzudenken. »Weißt du, ich … ich bin auch schwul«

»ICH BIN NICHT SCHWUL!«, brüllte Luca. Sehr gut. Brüllen war normal. Nicht wie diese bleiche Verzweiflung. Und dann blinzelte er. »Äh … echt?«

Sunny nickte, so gut er konnte.

»Würdest du mich loslassen?«, bat er höflich.

Und erstaunlicherweise lockerte Luca seinen Griff. Die Klauen verließen Sunnys Schultern. Er stieg von ihm herunter und setzte sich auf den Boden. Sunnys Herz hämmerte so heftig, dass es fast aus seiner Kehle gesprungen wäre.

Er war ein wenig stolz auf sich. Er hatte nicht geweint und sich auch nicht – er schaute sicherheitshalber nach – in die Hose gemacht. Keine schlechte Leistung, wenn man bedachte, wen er da vor sich hatte.

Luca starrte ihn an, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. Ein helles und ein dunkles Auge durchbohrten Sunny. Das wäre der Moment gewesen, um schnell abzuhauen. Aber er blieb sitzen, gegen die Tür gelehnt.

Wo sollte er auch hin? Die Türen ließen sich nicht abschließen, und wenn Luca ihm etwas tun wollte, war der eh nicht zu stoppen. Aber Luca saß da wie versteinert. Schließlich färbten sich seine Wangen rot und er knöpfte hastig seine Hose zu. Sunny hatte gar nicht gemerkt, dass die noch offen gewesen war.

Zu spät, dachte ein verräterischer Teil seines Gehirns, als Luca alles wieder verstaut hatte. Jetzt hast du gar nichts gesehen.

Ehrlich, Sunny verabscheute diesen Teil von sich. Es war der böse. Der, der auch für Wut und Hass und alles Schlechte zuständig war.

Die Minuten verstrichen. Sunnys Hals war so staubtrocken, dass er kaum sprechen konnte.

»Also … wissen deine Brüder es?«, fragte er schließlich.

Lucas Augen wurden riesig. Ein heiseres Lachen drang aus seiner Kehle.

»Bist du verrückt?«, krächzte er. »Ich … ich weiß nicht, was die machen würden, wenn …«

Mit einem Mal sah er aus, als würde er gleich den Boden vollreihern.

»Du kannst es ihnen nicht sagen«, brachte er hervor. Und dann sagte er das Schockierendste, was Sunny heute gehört hatte: »Bitte.«

Sunny schüttelte den Kopf, erst langsam, dann entschlossener.

»Mach ich nicht, keine Sorge. Auf keinen Fall. Nie.« Er zögerte. »Marianne weiß auch noch von nichts. Wegen mir, meine ich. Wäre lieb, wenn du … Ich meine, ich will es ihr irgendwann sagen. Ich warte nur auf den richtigen Moment.«

Luca gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Er wirkte immer noch, als hätte er einen Geist gesehen. Mit einem Mal tat er Sunny leid.

Er erinnerte sich daran, wie Aaron gestern gesagt hatte, dass er keine Mädchen erziehen würde. Daran, wie oft die vier Brüder sich gegenseitig als Schwuchteln beschimpften. Hatte Luca da besonders laut zurückgebrüllt? Die Furcht, die Sunny nun sah, war die die ganze Zeit da gewesen?

»Hast du … Angst davor, was sie sagen wird? Marianne?«, fragte Luca, so leise, dass er ihn kaum verstand.

»Nein, nicht wirklich«, sagte Sunny. »Ich will nur … Ich hab diese Idee. Eine etwas blöde Idee, wenn ich ehrlich bin. Ich wollte es ihr sagen, und ihr dann gleich meinen Freund vorstellen. So, dass es sofort perfekt ist. Nur … nur hab ich keinen Freund.«

»Ah.«

Falls Luca auffiel, wie sinnlos Sunnys Plan war, ließ er es sich nicht anmerken. Er zog die Beine an und kauerte sich zusammen. Dass er so verloren aussah, schnürte Sunnys Brust zu. Am liebsten hätte er Luca in den Arm genommen und getröstet (Getröstet! Luca!), aber das war vermutlich eine noch blödere Idee.

»Ich kann es ihnen nicht sagen«, murmelte Luca. »Nie.«

Es klang so endgültig, dass Sunny fast die Klappe gehalten hätte.

»Warum?«, fragte er stattdessen. Luca schloss die Augen.

»Er hat … Dad hat gesagt …« Luca schaffte es nicht, weiterzusprechen.

Sunny legte den Kopf schief und betrachtete die zusammengesunkene Gestalt vor sich. »Aber deine Brüder, die … würden die zu dir halten?«

Ein Kopfschütteln, so sacht, dass er es beinahe nicht gesehen hätte. Sunny hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Er rechnete damit, dass Marianne sich total freuen würde, dass er einen Freund hatte. Wenn er ihn hatte. Würde sie doch, oder? Auf jeden Fall war die Hürde, die ihn davon abhielt, es ihr zu erzählen, wohl ein kleines Stöckchen im Vergleich zu der Barrikade, vor der Luca stand.

»Hast du … schon jemanden in Aussicht?«, fragte Luca plötzlich. »Den du ihr vorstellen kannst, meine ich.«

»Ja … Nein … Ich bin in jemanden verliebt, aber der … Also, erstmal wird das wohl nichts.«

»Ist es Alex?«

Ups.

»Ist das so offensichtlich?« Sunny lächelte, ein wenig schief. Luca zuckte mit den Achseln. Er schien immer noch unerträglich traurig.

»Schon, wenn man's weiß.« Er seufzte.

Und dann herrschte wieder Stille. Sunny wollte etwas tun. Irgendetwas, um Luca in Ordnung zu bringen. Ihm wäre es inzwischen lieber gewesen, wenn der ihn angebrüllt hätte, anstatt weiter so dazuhocken. Ein Gedanke schoss in sein Hirn.

»Hast … du einen Freund?«, fragte Sunny. »Einen heimlichen oder so?«

Ein bitteres Lachen war die Antwort.

»Ich?« Luca verzog das Gesicht. »Ich hab noch nicht mal jemanden geküsst. Dabei bin ich fast achtzehn.«

Seine Züge waren weicher geworden. Sunnys Herz nahm wieder Fahrt auf. Er konnte nicht … Konnte er nicht, oder?

»Was ist?«, fragte Luca, als er Sunnys Blick bemerkte. Er wollte noch etwas sagen, aber da hatte Sunny sich schon vorgebeugt und seinen Mund auf Lucas gepresst.

Es war ein ungeschickter Kuss und er dauerte nicht mal eine Sekunde. Gerade genug, um Lucas Lippen zu spüren, die erstaunlich nachgiebig waren.

»Jetzt hast du jemanden geküsst. Also sei nicht traurig«, sagte Sunny und lächelte aufmunternd.

Luca starrte ihn an. Und Sunny wurde klar, was er da angestellt hatte.

»Tut mir leid!«, rief er und sprang auf. »Tut mir echt leid. Ich …«

Er wusste nicht, wie er den Satz beenden sollte. Also riss er die Tür auf und rannte aus dem Zimmer. Polterte die Treppe hoch und warf sich auf sein Bett.

Scheiße. Was hatte er getan?

Das fragte er sich, immer und immer wieder, während er mit rasendem Puls auf den Laken lag und an die Decke starrte. Was hatte er getan? Warum? Durfte man das, so einfach … Wie peinlich war das denn bitte? Und was würde Luca dazu sagen?

So nervös, dass er den eigenen Herzschlag in den Ohren pochen hörte, wartete er auf Schritte auf der Treppe. Darauf, dass sein neuer Stiefbruder hereinkommen würde. Aber nichts geschah.

Erst viel später fiel ihm ein, dass er nicht mit ihm über Alex geredet hatte.

 

Angst und Schrecken

 

Verdammt. Er hatte … Er wusste es. Jemand kannte sein Geheimnis und es war ausgerechnet dieser Lappen.

Luca war schlecht vor Angst. Was, wenn diese Lusche gelogen hatte, als er versprochen hatte, die Klappe zu halten?

Das Wochenende über war nichts passiert. Er war Sunny aus dem Weg gegangen und der ihm. Einmal waren sie sich im Flur begegnet, zusammengezuckt und stumm aneinander vorbeimarschiert.

Dieser blöde Lockenkopf. Und außerdem … hatte er ihn geküsst. Luca konnte den Geist von Sunnys Lippen auf seinen eigenen spüren. Immer. Morgens, wenn Dad hereinkam und brüllte, dass sie aufstehen sollten. Beim Training, wenn er sich an den dicken Seilen entlanghangelte und mit seinen Brüdern um die Wette rannte, über liegende Autoreifen und unter Stacheldraht hindurch. Und auch jetzt, am Sonntagabend, als sie alle gemeinsam im Steakhaus hockten.

Countrymusik dudelte im Hintergrund, Bratgeruch und Stimmengewirr lagen in der Luft. Lars und Lothar stritten sich um das letzte Steak. Marianne schwieg verbissen. Dad legte einen Arm um sie und ihr Gesicht hellte sich auf. Und neben seiner Mutter saß Sunny und war … sonnig. So wie immer halt. Ständig hatte er ein Lächeln auf den Lippen. Den Lippen, mit denen er …

Luca sollte keine so große Sache daraus machen. Was war das schon gewesen? Ein harmloser Schmatzer. Wie er sich benahm, das war einfach nur peinlich. Aber er konnte nicht anders.

Alle fünf Minuten erlaubte er sich, in Sunnys Richtung zu blicken. Und keine Sekunde früher.

Sonnig. Alles an ihm war warm, seine Augen, die viel zu langen Locken, die wie ein Nest um seinen Kopf herum wuchsen. Und seine Haut, die von innen zu leuchten schien …

Ein Gedanke kam Luca und er fühlte sich, als wäre er ins Eis eingebrochen.

Mit wem war die Lusche befreundet? Richtig, mit Alex. Alex, der seinen Posten als Kapitän wollte. Alex, der keine Skrupel kannte. Der sich an Rudis Freundin herangemacht hatte, der Kolja fast den Knöchel gebrochen hatte, nur, weil sie gegen ihn gestimmt hatten. Was würde der mit dem Wissen machen, dass Luca auf Jungs stand?

Was schon. Ihn erpressen. Oder es gleich allen sagen. Die Jungs waren ansonsten in Ordnung, aber wenn sie herausfanden, dass er eine Schwuchtel war, würde er aus dem Team fliegen. Und dann würde Dad es auch gleich erfahren.

»Was ist los, Zwerg?« Lothar boxte ihm in die Seite. »Kein Hunger?«

Luca blickte auf seinen Teller. Da lag ein Steak, und es fehlte nur eine Ecke. Bei dem Gedanken daran, mehr zu essen, drehte sich ihm der Magen um. Wortlos schob er es Lothar hin, der sich freudig darauf stürzte.

Und dann merkte er, dass Sunny ihn ansah. Der wandte den Blick nicht ab, als Luca zurückstarrte. Ihm stumm zu verstehen gab, dass er nicht so auffällig sein sollte. Aber die Lusche hörte nicht. Seine hellbraunen Kulleraugen mit den dunklen Wimpern schauten ihn unverwandt an.

Kein Wunder, er hatte Luca in der Hand. In seiner winzigen, viel zu zarten Hand, mit der er gerade ein Stück Salat aufpickte. Und seinen Blick wieder auf Luca richtete. Und lächelte. Als Luca die Grübchen in Sunnys Wangen sah, fröstelte er. Dann ballte er die Fäuste.

Willst du mich erpressen, Lusche?, dachte er. Ganz dumme Idee. Das beweise ich dir, sobald wir das nächste Mal allein sind.

 

Wenn und Aber

 

»Und? Hast du mit ihm geredet?«, fragte Alex, als sie sich am nächsten Morgen vor dem Schultor trafen. Seine Augen leuchteten erwartungsvoll und Sunny hasste es, ihn zu enttäuschen.

»Ist leider was dazwischengekommen«, sagte er wahrheitsgemäß.

»Ah.« Alex musterte ihn verblüfft. Klar, sonst erledigte Sunny alles, um das er ihn bat, sofort. »Und wann sprichst du mit ihm?«

»Äh. Muss ich?« Sunny sah Alex flehend an. »Kannst du … kannst du das nicht selbst machen?«

Es war ihm viel zu peinlich, auch nur in Lucas Nähe zu sein. Obwohl … irgendwie hatte es gut getan, mit ihm zu sprechen. Sonst kannte nur Alex sein Geheimnis, und der wollte nie darüber reden, also tat Sunny es nicht. Es Luca zu erzählen, war richtig … befreiend gewesen. Nur dann hatte er …

Er musste sich entschuldigen. Egal, wie. Gestern, beim Abendessen, hatte er versucht, Luca stumm zu signalisieren, dass er nichts verraten würde. Dass Luca ihm vertrauen konnte. Aber war das auch so angekommen?

»Sunny. Mann, du kannst mich doch nicht einfach im Stich lassen. Du musst mit ihm reden.« Alex boxte ihm schmerzhaft auf den Oberarm. »Komm schon. Du musst.«

»Ja.« Sunny schluckte. »Ja, du hast recht.«

»Natürlich habe ich das.«